Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Cäsar Gratianus hatte richtig gemuthmaßt. Das Hornsignal, das vom Lager ertönte und schmetternd in den Wäldern widerhallte, galt dem geheimnißvollen Händler, den Arator freigelassen hatte und dem Syagrius nachsetzte. Der Aufseher Gajus, beschämt durch den Verweis, den er erhalten und angeeifert durch die Anwesenheit des Notars, hetzte seine Leute nach Rothari's und Arator's Abschied alsbald wieder an die Arbeit. Zwei der Soldaten, die ihren Quaderstein bereits am Morgen fertig gestellt hatten, streiften im Walde, um einen neuen Findlingsblock zu suchen, da stießen sie auf den Pack mit Fellen, den der stolze Germane kurz zuvor von sich geworfen. Im Jubel trugen sie die Beute nach der Hütte, um sich und ihren Freunden gute Lagerstätten für die hier oben noch immer kühlen Nächte zu bereiten. Das Freudengeschrei und das ungehörige Treiben zog den Notar herbei und seine stattliche Spürnase witterte alsbald den wahren Sachverhalt. Sein erster Gedanke war: »Der Pelzhändler ist mehr als ein Kundschafter. Wer solche Waare wegwirft, gehört nicht zu den Kleinen im Volke. Vermuthlich war er bei der Flucht des Königssohns aus Mogontiacum betheiligt.« Der zweite Gedanke wendete sich gegen Rothari. »Er hat dem Verräther durchgeholfen. Das ist eine Verschwörung, bei der auch der Germane Merobaudes mitspielt«, und alsbald beschloß er an den Kaiser zu berichten. Bei dem dritten Gedanken aber strich er sich befriedigt den wohlgepflegten rothen Bart, denn er lautete: »Auch Arator hat sich bloßgestellt. Ich werde sein Amt erhalten« – hier aber stockten ihm die Gedanken. Eine hohe Gestalt, dunkle, schwärmerische Augen, eine gebieterisch erhobene schmale Frauenhand scheuchten seine bösen Anschläge rückwärts. »So oder so« ... murmelte er. »Jedenfalls macht das den stolzen Vater gefügig.«
»Heda«, rief er den arbeitenden Soldaten zu. »Der Pelzhändler, der den Comes täuschte, ist ein Sendling Macrian's, ein vornehmer Alamanne, vielleicht der Räuber von Macrian's Sohn. Wer ihn einbringt, ist des Kaisers Freund und wird besser belohnt, als wenn er hundert Jahre Steine klopfte. Tretet an, rasch, ohne Lärm, daß das Wild nicht scheu werde. Ihr geht die Schlucht hinab und faßt ihn, falls er den Nicer überschreitet. Ihr geht auf die Höhe und schaut aus, ob er nach der Ebene zurückstrebt. Du, Gajus, folgst mit Zwölfen seinen Spuren im Walde. Nimm die zwei Hunde mit dir. Laß sie aber erst schnüffeln an den Fellen, damit sie wissen, wen sie jagen. Ich werde mit den Leuten der untern Hütte sofort über den Strom setzen, um das Ufer drüben zu bewachen. Lebendig oder todt müssen wir den Schurken einbringen, der drei römische Kastelle auskundschaftete und dem der treulose Rothari durchhalf.« In einem Augenblicke waren die Soldaten zum Dienste bereit. Solche Jagd gefiel ihnen besser als unter den heißen Strahlen der Mittagssonne Steine behauen. Der Klang des Meißels war verstummt, nach allen Seiten stoben die Jäger auseinander.
Der Alamanne war inzwischen langsam und nachdenklich den Waldpfad weiter geschritten. Er mußte nach dem anderen Ufer des Nicer, aber er wählte dazu bedachtsam eine Stelle, an der der Wald näher zum Flusse herantrat, um sich den Augen der Römer zu entziehen. Sie brauchten nicht zu wissen, wohin er sich gewendet habe. Am Ufer angelangt rastete er eine Weile, um sich zu verkühlen. Dann schritt er vorsichtig, die Streitaxt in dem Gürtel, in dem seichten Strome vorwärts bis er den Grund verlor, um nun mit kräftigem Arme die grünen Wogen zu theilen. Da war ihm, als ob Streitruf das Rauschen der Wellen übertöne, er hörte es hinter sich klatschen, als schwämme man ihm nach. Eben fand sein Fuß festen Boden, da schaute er zurück und alsbald sieht er einen Kahn mit Soldaten auf sich halten. Ihm nahe taucht das Haupt einer Rüde auf, dahinter die zweite. Weiß blinkte ihm das scharfe Gebiß des Thieres entgegen, aber die Dogge kam nicht zum Gebrauch ihrer fletschenden Zähne. Mit einem Arme hatte der kriegsgewaltige Mann den Ast einer Weide erfaßt, mit dem andern die Streitart. Drüben hetzten die römischen Soldaten: »Sphinx! faß, hetz, faß, Phylax!« Aber das Haupt der grimmen Sphinx verschwand alsbald blutend unter den Fluthen. Da fand Phylax gerathen umzukehren und trotz aller Zurufe der Soldaten schwamm der Hund, mächtig das Wasser schlagend, daß es hoch aufspritzte, an's andere Ufer rückwärts. »Wir müssen den Hund haben«, riefen die Einen, »nein vorwärts!« spornten die Andern. Vorwärts und rückwärts zugleich gerudert, drehte der Kahn sich im Kreise. »Die Christianer müssen natürlich immer befehlen«, rief der Steuermann, indem er zornig sein Ruder erhob. »Mit euch braucht man nur zu jagen, so entgeht sicher das Wild«, lautete die Antwort. Während sie zankten, hatte Macrianus in mächtigen Sätzen den Waldessaum erreicht und tauchte in das Düster. Da schlug dicht vor seinen Füßen ein mächtiges Wurfgeschoß ein, daß die Steine zur Rechten und Linken auseinanderstäubten. Aus den Büschen sah er den verhaßten rothen Bart leuchten, der ihm schon zweimal Unheil bedeutet hatte. Zornig riß er den Wurfspieß an sich und zielte nach dem Neiding. Da verschwand der Feind; aber an dem Niederwerfen hörte er, es waren ihrer viele. So schwang er sich zur Seite. Von unten aber ertönte bereits wieder der Ruf: »such Phylax, hetz Phylax!« An ein Entrinnen war nicht zu denken. Noch eine Weile strebte der König wüthend vorwärts. Im Vorbeigehen sah er die Spur eines Hirsches, er lief in ihr, um den Hund irre zu machen. Sie führte zurück gegen die Ebene, von der er gekommen. Dann erklomm er den Ast einer Eiche und stieg von Zweig zu Zweig wie ein Eichhorn. Als er den Gipfel erreicht, schwang er sich hinüber nach einer Fichte, von da nach einer zweiten, einer dritten, um den Hund zu täuschen. In seiner Nähe blieb es still. Aber er hörte, wie der Rothbart seine Männer immer je zwei und zwei am Abhang vertheilte. Immer neue Feinde kamen über den Nicer. Bald wurde es laut auch unter ihm. Der Hund hatte seine Spur gefunden und folgte ihr kläffend. Wo sie in die des Hirsches einlenkte, ward das Thier unsicher und lief bellend hin und wieder. Einen Augenblick stand er schnüffelnd an dem Baume, aber die Soldaten trieben ihn weiter. »So laß doch den Hund gewähren, verdammter Götzendiener«, rief es unten. Wieder stritten die Soldaten hitzig herüber und hinüber. Dann folgte der Hund lustig der Spur des Hirsches und der Lärm verhallte in der Ferne. Aber das Alles konnte nichts helfen, die Wachen blieben und immer wieder nahten streifende Gruppen Macrian's Zuflucht. »Er muß hier sein, vielleicht in einem hohlen Baume«, hörte er den Rothbärtigen sagen. »Hier enden seine Spuren.«
»Nicht umsonst hat dich Freya mit solcher Nase beschenkt, römischer Spürhund«, dachte der König und faßte die Streitaxt fester. Es blieb nichts übrig als den Abend hier oben zu erwarten und dann sich durchzuschleichen. Aber der Notar ging, um weitere Leute zur Durchsuchung des Waldes zu holen. Wieder schwang sich der König von Baum zu Baum, dann glitt er leise hinab und schlich behutsam zwischen den Büschen. Da kreuzte der mit Steinplatten belegte Pfad nach dem Wartthurm seinen Weg. »Vielleicht ist's am besten, ganz offen zu schreiten«, dachte er und hochaufgerichtet stieg er in mäßiger Eile den geplatteten Weg zum Wartthurme aufwärts. Wer ihn von Weitem sah, hielt ihn für einen Boten, der den beiden Soldaten dort oben Nachricht bringe. Wo eine Zwergkiefer den Pfad überschattete, verschwand er dann wieder in das Dickicht und suchte endlich todtmüde auf einer breitästigen Eiche Ruhe und Deckung. Aber es wollte nicht still werden im Walde, die Sonne sank, die Stämme glühten im Abendroth. Dann ward es dämmerig und dunkel. Aber die Krieger dachten nicht an Heimkehr. Der König sah fast muthlos, wie die Aufmerksamkeit der streifenden Soldaten unter ihm sich verdoppelte. Nur über ihm in der Nähe des Thurmes blieb es still. Da schoß ihm eine Jägerlist durch den Kopf, die vielleicht zum Ziele führte. Ein Ausdruck heiterer Schlauheit belebte auf's neue seine müden Züge. »Ich will den Wald säubern durch ihre eigenen Signale«, sagte er zu sich selbst. Leise glitt er vom Baume und schlich sachte gegen die Warte.
Der römische Wartthurm auf dem Mons Valentiniani, der höchsten Erhebung auf dem linken Ufer des Nicer, war wie alle derartige Thürme ein schlanker viereckiger Bau, umgeben von einem Hofe von Palissaden und oben gekrönt von einer Galerie, auf der die Wache die Runde machte. Die in der Höhe angebrachte Thüre konnte nur mit einer Leiter erklommen werden, die die Wächter nach sich zogen, so daß sie nicht überrumpelt werden konnten. Der Innenraum war eng, denn ein Posten sollte stets wachen, während der andere in der Kammer ruhte, deren Lager nur für einen Mann Platz hatte. Mürrisch und wortkarg saßen Salvius und Lupicinus auf der Galerie und spähten, auf ihr Pilum gelehnt, der Eine nach Süden, der Andere nach Norden, ob der Flüchtling sich zeige, der auch ihnen bald nach ihrer Ankunft gemeldet worden war. Doch berührte sie die Sache wenig, da die Jagd sich auf den Nordabhang des Berges beschränkte. So standen die beiden Wächter den ganzen Mittag. Ueber den weiten einsamen Waldkuppen schifften, silbernen Schwänen gleich, hochgethürmte Wolken. Die Sonne ging hinab und ihr rother Wiederschein glänzte noch lange am Himmel; dann wob die Dämmerung ihre Schleier um die hohen Eichenwipfel und eine Bergkuppe nach der andern versank in dem Nebel, der vom Flusse empordampfte. Traumhaft regte sich hier und dort das Geflügel in den Büschen, die Nachtigall begann ihren schluchzenden Gesang, die Waldtaube lachte von ferne und noch in so später Stunde hörte man auch das Klopfen des Spechts an der Kiefernborke. Das Alles berührte die beiden trotzenden Genossen wenig. Es waren ihnen gewohnte Laute des Waldes. Aber ihr Interesse belebte sich plötzlich, als sie ganz in der Nähe das Schnalzen, Kurren und Zischen eines balzenden Auerhahns vernahmen. Immer lauter und lockender tönte das Töd öd öd öd Glack! des großen Vogels aus dem benachbarten Busche. »Ein Hahn«, sagte der blonde Lupicinus mit germanischer Freude am seltenen Thiere. Es war das erste Wort, das er seinem Kameraden gönnte. Aber Salvius schwieg. »Man kann sie greifen, wenn sie balzen.«
»Thue, was du willst«, erwiderte Salvius mürrisch.
»Dem wird der Hahn so gut munden, wie mir«, dachte der gutmüthigere Blondkopf. »Bei dem Braten wollen wir uns versöhnen.« Rasch verschwand er durch die Treppe, stellte sein Geschoß in die Ecke der Kammer und nahm dafür Bogen und Pfeile, dann hängte er die Leiter ein und kletterte leise abwärts. Der Genosse hörte noch, wie er den Balken von der Hofthüre schob, die er hinter sich offen ließ. »Pflichtgefühl eines Arianers«, sagte Salvius höhnisch. »Erst verleugnen sie den Herrn, dann verleugnen sie ihre Pflichten, und das alles um einen Vogel.« Er jedenfalls wollte nichts von diesem Thiere essen, nichts von der ganzen Sache wissen und er trat auf die andere Seite des hölzernen Umgangs. Dennoch erreichte ihn auch hier das Geräusch eines Sprungs, eines Falls, eines unterdrückten Schrei's. Die Jagd ist wohl mißlungen, dachte er hämisch. Nach einer Weile hörte er die Pforte der Palissadenthüre schließen, es stieg die Leiter herauf, sie wird nachgezogen und zur Seite gestellt. Es klingt, als ob Lupicinus die Hände nicht frei hätte. So hat er also die Beute dennoch gefangen. Doch Salvius rührt sich nicht von der Stelle; er will diesem Arianer zeigen, was er von seinem Betragen halte. Aber die polternde Wucht des Auftretens ärgert ihn und zornig fährt er herum und starrt in das furchtbare Angesicht eines Fremden. So sieht Kain aus, der Abel soeben erschlagen. Blutunterlaufene rothe Augen glühen ihn an, noch sieht er einen zum Schlag erhobenen Arm, dann fällt eine Streitaxt auf Salvius' Haupt – sie war schon von Blut geröthet – und lautlos sinkt der Römer an den Boden. »Stirb, römischer Hund«, ruft der vom Blutrausch betäubte König. Dick ist die Ader auf seiner Stirne angeschwollen und Mord steht in seinen Augen. Roth sieht er alle Gegenstände um sich her, roth die Berge, roth den Nachthimmel und er führt wilde Hiebe nach dem Gefallenen, bis der Mordgeist in ihm sich beruhigt. Dann greift er nach dem Pilum des Wächters und auf das Geschoß gelehnt sieht er fest dem Todesringen des Jünglings zu. Als er sicher ist, nicht mehr gestört zu werden, geht er bedächtig an ein seltsames Werk. Er holt die Pechpfanne und schichtet trockenes Holz. Auch Stahl und Feuerstein sind zur Stelle. In wenig Augenblicken lodert eine rothe Flamme zum Himmel empor. Starr schaut Macrian gegen Norden. Aufgeschreckt durch das ungewohnte Licht kreischen die Vögel, die Thiere des Waldes werden unruhig, die Fledermäuse, die Insekten stiegen geblendet in die verderbliche Flamme. Der Germane starrt unverwandt nach Norden. Nach einer Weile antwortet ein deutlicher Feuerschein von der Kuppe des Mons Piri und hinter demselben glänzt ein zweites Lichtchen in der Ferne auf und bis zum Melibocus stammen die Fanale; als er sich nach Süden kehrt, strahlt ihm auch dort schon das rothe Zeichen entgegen und nun ertönen unten im Lager die Hornsignale, die die Truppen zurückrufen und im Walde ein schmetterndes Echo finden. Ueberall wird es lebendig. Die zerstreut aufgestellten Wachen laufen, so schnell ihre Füße es vermögen, dem Strome zu. Ein panischer Schreck hat sie ergriffen und jeder hält den hinter ihm her jagenden Genossen für einen Alamannen, der ihn verfolgt. Viele stürzen über die von Kiefernwurzeln durchflochtenen Wege und bitten einander jammernd um Gnade. »Nun ist es Zeit«, sagt Macrianus spöttisch lächelnd. »Die Löwen sind Hasen geworden und der Weg ist gesäubert.« Die Leiter einhängend steigt er festen Schrittes hinab. Dann nimmt er dieselbe wieder ab und schleift sie hinter sich her. Als er an dem blonden Jüngling vorüberschreitet, der leblos an der Erde liegt, kommt eine weichere Stimmung über den harten Krieger. »Thörichter Knabe«, sagt er halblaut, »was brauchst du den Auerhahn zu jagen, wenn dir die Wache vertraut ist. Hättest du bei Macrian gedient, du wärest nicht in diese Falle ... Soll ich die Leiter zerschlagen? Aber wer weiß, ob ich nicht hierher zurück muß«, und er nahm sie noch eine Strecke mit sich und verbarg sie dann in dichtem Buschwerk. Drunten im Thale sah der König rothe Lichter hin und wieder irren. Signale wurden gegeben und erwidert. Sein Weg aber führte waldwärts und bald schritt der Held durch einsame Gründe, wo sein Pfad nur die Fährte des Wolfes kreuzte; und der Klageruf der Eule die Stille der Nacht unterbrach. Voll und groß stieg der Mond empor und beleuchtete die wirren Pfade des tapfern Kriegers. Als der Lärm am Nicer sich gelegt hatte, war König Macrian längst in den Gauen der Alamannen geborgen. Am Morgen traf er in einem Hofe ein, wo ihn Hortari und seine Mannen mit fröhlichem Schwertschlag am Schildrande und lautem »Heilo! Sigo!« empfingen.
Zu derselben Stunde, daß der Alamannenkönig den Wartthurm auf dem Mons Valentiniani verließ, hatte sich Rothari, Zorn und Eifersucht im Herzen, von dem jungen Augustus verabschiedet, und wollte nach seinen Gemächern zurückkehren. Aber vom Vestibulum her überraschte ihn Fackelschein. Geleitet von einem Sklaven und der alten Phorkyas trat ihm Jetta entgegen. Es war ein seltsames Bild, die schlanke Gestalt mit den bleichen, geistvollen Zügen und das einäugige Hexenangesicht, beleuchtet von der rothen Fackel, deren Licht die bewegten Schatten an die weiße Wand des Eingangs zeichnete. »Verzeihe, edler Gast, wenn ich dich beunruhige«, sagte Jetta, und wieder machte der volle Metallklang ihrer Stimme Rothari im Innersten erbeben. »Mein Vater sendete eine Botschaft, die in erster Reihe an dich geht. Seit einer halben Stunde, so meldet er aus dem Lager, flammen Lichter auf allen Signalthürmen. Die Soldaten treffen in wilder Flucht theils bei der Brücke, theils bei der Porta prätoria ein. Niemand weiß etwas Bestimmtes, aber Syagrius fürchtet einen Ueberfall der Alamannen. Alle Truppen sind in's Lager zurückgezogen. Mir läßt der Vater die Wahl, entweder mich zu ihm in's Prätorium zu flüchten oder mich unter deinen Schutz zu stellen, damit du mich nöthigenfalls nach Alta Ripa bringst. Du, so meint er, würdest mich am ehsten vor Unbill durch die Barbaren zu sichern wissen.« Und sie schaute ihn erröthend an, während ein liebliches Lächeln ihre Züge verschönte.
Rothari's Herz klopfte stürmisch. »Und wofür hast du dich entschieden, edle Jungfrau?« fragte er.
»Ich?« und sie lachte hell auf über sich selbst. »Ich möchte vor allen Dingen einmal die Signale brennen sehen. Schon lange träumte ich davon, wie herrlich es müsse zu schauen sein, wenn ringsum im Kranze der Berge die Flammen lodern!« und ihr Lachen klang so hell und voll Uebermuth, als ob keine Gefahr sie rühre. »Wir wollen hinausreiten in die Ebene«, sagte sie bittend, »und dieses seltene Schauspiel genießen.«
»Da beginne ich meine Mentorrolle mit einer Thorheit«, erwiderte Rothari, »aber auch der kluge Jason mußte ja thun, was Medea ihm geboten.«
»Das Signal auf dem Mons Valentiniani ist erloschen«, meldete in diesem Augenblicke ein Sklave.
»Oh weh«, sagte Jetta betrübt, »nun kommen wir wieder zu spät.«
»Es war blinder Lärm, ich dachte es gleich«, sagte Rothari. »Das kommt dabei heraus, wenn ein Mann der Bücher, wie Syagrius, den Feldherrn spielt. Immerhin mögen meine Mannen für alle Fälle die Pferde bereit halten.«
»Und du rüste mein Maulthier«, fügte Jetta, zu dem Sklaven gewendet, hinzu. »Wir brauchen kein Licht, der Mond wird gleich herauf sein.« Als der Fackelträger sich entfernt hatte, sagte Jetta mit anmuthiger Wendung zu dem Germanen: »Ist es dir genehm, so wollen wir hier den Vater im Garten erwarten. Die Maiennacht ist mild und ich liebe das Plaudern der Quelle.« Ob es dem jungen Krieger genehm war! Alle seine Pulse stürmten. Wie sie sich so vornehm lässig auf dem Lehnsessel neben einem marmornen Wasserbecken niederließ, in dem bereits der erste Strahl der heraufsteigenden Luna zitterte, glich sie dem Bilde der schönen Frau, die der Colonia AgrippinaKöln. den Namen gegeben.
»Fürchtest du dich nicht, edle Jungfrau«, sagte Rothari befangen, indem er sich auf einem Stuhle neben Jetta niederließ, »hier hart an der Grenze des Feindes zu Hausen? Ihr könnt euch ja hier niemals niederlegen und sicher sein, daß euch nicht Schlachtruf weckt und ihr am Morgen als Gefangene in die Berge geschleppt seid?«
»Was hülfe mir die Furcht?« fragte sie heiter. »Dazu sind wir Frauen da, daß wir die Soldaten bei guter Laune erhalten, sonst müßte man uns aus der Nähe des Lagers verweisen. Je schlimmer es steht, um so fröhlicher muß ich mich zeigen, dann schämt sich auch der Feige seiner Schwäche. So mache ich den Leuten Muth mit meinen Scherzen.« Wiederum mußte Rothari an die schöne Agrippina denken, die in solchem Lagerleben die Soldaten gleich einem Feldherrn zu begeistern wußte und so gut wie ihr Gemahl Germanien dem Reiche erwarb. Das schöne Mädchen aber fuhr ruhig fort: »Ich will gerade den Soldaten zeigen, daß wir nicht als Gäste hier sind, sondern daß wir hier bleiben. Darum habe ich nun schon den zweiten Winter hier ausgeharrt, damit unsere Leute wissen: bis zu den Bergen ist Rom. Seit die flavischen Altäre errichtet wurden, gehörte das Decumatenland zum Reiche des Augustus und sollen volle zwei Jahrhunderte von Roms Größe ausgelöscht sein durch das eine unserer Schmach? Von allen Gedichten Martial's mag ich nur das eine leiden, das er damals schrieb. Das aber ist mir wie ein Gebet, weil es den Rhenus ganz uns zuspricht und nicht nur auf einem Ufer:
Rhein, der Nymphen Vater und der Flüsse,
Die des Nordlands Reif und Nebel trinken,
Eisfrei mögen deine Wogen strömen,
Daß kein Ochsentreiber schmachvoll
Mit barbar'schem Rade dich befahre.
Goldne Hörner mögest du als Gott empfangen,
Und an beiden Ufern du ein Römer wallen,
Dem Augustus folgsam und dem Herrscher Tiber.
»Romanus utraque ripa! Das ist meine Losung!« rief sie und es lag etwas von dem schönen Wahnsinn der Pythia in ihrem Auge, als sie so sprach. Rothari sog ihr Wesen in sich mit allen seinen Sinnen. Ihre tiefen, blauschwarzen Seheraugen weit geöffnet schaute sie ihn an und wenn sie den Mund aufthat, glich der Ton dem dunkeln Schalle eines Beckens von Dodona, so daß er immer wieder neu verwundert auffuhr.
»Das ist's«, fuhr sie fort, »warum auch ich Valentinianus für einen großen Mann achte. Man nennt ihn roh und grausam, doch sei er, was er wolle, er ist der Erste, der seit Probus und Julian Gedanken faßt, würdig des alten Rom. Statt ewig zu vertheidigen, fängt er wieder an zu erobern. Er ist ein Römer, auch wenn es zuweilen scheint, er sei selbst ein Barbar.«
Rothari stimmte ihrem Lobe des Kaisers bei. Er erzählte ihr seine Erfahrungen mit dem Augustus, seine barbarische Begegnung mit Mica und die rührende Art, wie der Kaiser seine frevelhafte Uebereilung wieder gut gemacht. Andächtig und immer sympathischer gestimmt hörte Jetta ihm zu. Der feingeschnittene Kameenkopf neigte sich bei der aufregenden Erzählung immer näher zu ihm herüber, das Goldblech, das ihre Haare hielt, glänzte im Mondscheine, sie glich einer Königin, oder in dieser Zaubernacht einer Circe. Die vollen weißen Arme hielten ihre Kniee umspannt, weich fiel das wollene Gewand auf ihre Brust, die der Goldgürtel unterband, je mehr seine Erzählung ihr Herz erregte, um so näher neigte sie ihr Antlitz ihm entgegen, so daß er verwirrt ward und stockte. Berauschend wirkte auf diese beiden jungen und schönen Menschenkinder ihre eigene Nähe und ringsum das traumhafte Weben und Leben der Frühlingsnacht. Glänzende Glühwürmer sprühten in den Büschen und wo einer sich niederließ, erhellte er rings eine kleine Welt von Spitzen und Blüthen der Gräser, von glänzenden Blättern und weißen Blüthen. Würziger Duft von Geisblatt und Jasmin führte der Abendwind betäubend um das Haupt der Ruhenden und süßes Lebensgefühl, wie er es nie empfunden, durchdrang den jungen Krieger; er mußte an sich halten, das schöne Mädchen nicht an sich zu ziehn, aber er bezwang sich.
»Setzen wir den Fall«, sagte er ernst, »daß es gelänge, diese Eroberung der letzten Jahre festzuhalten, würdest du wirklich hier an der Grenze des Reiches bleiben und nicht zurückkehren nach der Hauptstadt?«
»Ich habe gelobt zu bleiben, bis« .. hier stockte sie.
»Nun, bis« .. wiederholte er und schaute sie freundlich mit seinen hellen Augen an.
»Es wird dich kränken, denn du bist ein Germane und wie sie sagen ein Königssohn. Ich aber war noch ein thörichtes Kind, als ich Valentinian einst sagte, womit sie mich heute verspotten, nicht eher würde er mich aus dem Lager los werden, bis ich gesehen, daß neun Könige der Alamannen vor ihm knieen, wie einstens vor Probus, und um Frieden bitten aus seiner Hand.«
»Zu deinen Füßen«, sagte der Jüngling lächelnd, »wirst du sie eher sehen als zu denen Valentinian's. Aber es freut mich, daß wir noch lange Kampfgenossen sein werden, denn auch ich bleibe hier.«
»Ich weiß es und freue mich dessen. Du wirst nicht kommen und gehn wie so viele deines Stamms. Bist du doch auch den alten Göttern treu geblieben, – das war es, was dir zuerst mein Vertrauen gewann«, und sie erröthete über das Wort, das ihr wider ihren Willen entfahren war.
»Woher wußtest du das?« fragte er befangen.
»Ich hörte es aus den hundert Neuigkeiten, mit denen mich der junge Augustus heute übersprudelte.«
»Und wie gefiel dir Gratian?«
»Aus einem aufgeregten Knaben wird, wenn die Götter ihn lenken, ein tüchtiger Mann. Nur die Trägheit wäre in seinem Alter ein Uebel.«
Das klang sehr weise und mütterlich. Rothari war beruhigt, so sehr, daß er Gratian zu loben begann.
»Auch er sprach Gutes von dir«, sagte sie nach einer Weile, »aber sein Lob klang wärmer.« Sie hatten ein feines Gehör diese kleinen Venusmuscheln der Medea. Rothari fühlte den Vorwurf und verstummte. Auch Jetta schwieg. »Eine Frage an deine Kunst«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe heute eine gewagte That begangen. Bringt sie mir Verderben?«
»Um welche Stunde war es?«
»Zwei Stunden vor Mittag.«
»Und wie alt bist du?«
»Sechsundzwanzig Jahre und drei Tage.«
»Auch die Namen deiner Eltern muß ich wissen.«
Rothari zögerte. »Wirst du ihre Ruhe stören?« fragte er bedenklich, »sie sind in Asaheim, wie ich hoffe.«
»Sie sollen ruhig in eurem Göttersaale sich erfreuen und damit du siehst«, sagte sie lächelnd, »daß ich dir vertraue, will ich dir genau sagen was ich thue.«
»Auch ich traue dir«, sagte er abwehrend – »sie heißen Vadomar und Brechta.«
»Gut. Die Antwort suche morgen nach Sonnenaufgang unter diesem Steine.«
»Und tadelst du es nicht, daß dein Gast schon in der ersten Stunde dich um solchen Dienst bemüht?«
»Du hast die gute Linie zwischen deinen Brauen«, sagte sie mit ihrem lieblichen Lächeln. »Wer sie hat, dem verweigere ich die erste Bitte nie.«
Rothari schwieg. Hätte er das gewußt, dann hätte er etwas Anderes gebeten. Jetzt war es ihm leid und er erwog, ob man vielleicht noch eine zweite Bitte frei habe um der guten Linie willen. Aber noch ehe er das rechte Wort gefunden, traf Hufschlag sein Ohr. »Der Vater«, rief Jetta freudig aus. In der That sprengte der Comes heran. Eilig sprang er vom Pferde und warf dem Sklaven die Zügel zu. Jetta hastig grüßend ergriff er Rothari am Arme und zog ihn tiefer in den Garten. »Nun war es doch eine Thorheit«, sagte er leise, »die wir diesen Morgen zusammen verübten. Valentinian erschien heute ganz plötzlich in Alta Ripa. Macrian allarmirte durch seinen Uebermuth das ganze Lager. Die Wachen auf dem Wartthurme ließen sich überrumpeln. Salvius liegt todt auf dem Thurme, Lupicinus ist noch nicht gefunden. Das ganze Thal entlang sind die Truppen auf den Beinen und der Augustus selbst wird morgen hier sein.«
»Ich nehme alles auf mich«, sagte Rothari ruhig. »Er hat mir die Verhandlungen mit Macrian übertragen, ich habe sie so geführt, wie ich es für Rom am besten hielt. Gefällt ihm meine Führung des Geschäftes nicht, so mag er mich strafen.«
»Ich danke dir, Rothari, du bist ein Freund in der Noth.«
»Als Freund meiner Freunde sollst du mich stets erfinden.« Beide kehrten nach dem Hause zurück, wo sie Jetta erwartete. Sie hatte sich bescheiden zurückgezogen, aber ihr Frauenohr hatte am Tone des Vaters schon gehört, daß der Germane ihm viel bedeute. Wie einem alten Bekannten reichte sie ihm die Hand, ehe sie nach ihren Gemächern hinaufstieg. Bald darauf entdeckte Rothari, daß er in seinem Gemache zwischen den alten Waffenstücken König Vadomar's sitze. Wie er dahin gekommen, wußte er nicht. Sie war wirklich eine Zauberin. Das Blut hämmerte ihm in den Schläfen und es dauerte lang bis der Traumgott seine erregten Gedanken beschwichtigte.