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Apuleius / Amor und Psyche

Benutzt wurden neben manchen Hinweisen in Friedr. Nordens Kommentar die Übersetzungen von Pressel und E. Norden.

 

Erstes Kapitel

Es waren einmal in einer Stadt ein König und eine Königin, die hatten drei ausnehmend schöne Töchter. War schon der Liebreiz der beiden älteren sehr groß, so fand die menschliche Zunge doch noch Worte genug, sie zu verherrlichen; die Schönheit der jüngsten hingegen war so überirdisch, daß die menschliche Sprache zu arm war, um sie zu schildern oder auch nur genügend zu preisen. Viele Leute aus dem Lande und reichbegüterte Fremde führte das Gerücht eines so außergewöhnlichen Schauspiels in lebhafter Neugier zusammen, und jeder, der sie sah, verstummte betroffen vor so unerreichbarer Schönheit, ja sie legten andächtig die Hand an den Mund und verehrten das Mädchen in frommer Inbrunst ganz wie die Göttin Venus selber. Und schon war in die Nachbarstädte und die angrenzenden Länder die Kunde gedrungen, die Göttin, die einst dem Schoße des blauen Meeres entstiegen, aus dem Tau der schäumenden Wogen erwachsen sei, die weile jetzt mitten unter der Volksmenge und gönne gnadenvoll jedermann den Anblick ihrer Hoheit; zum mindesten wollte man wissen, daß durch eine neue Aussaat himmlischen Taues, wie vordem das Meer, so jetzt die Erde befruchtet worden sei und eine neue, in jungfräulicher Schönheit prangende Venus habe aufsprießen lassen.

Und dieser Glaube wuchs von Tag zu Tag ins Ungemessene, und die Kunde verbreitete sich weit hin über die nächsten Inseln und viele Länder bis in die fernsten Reiche; schon pilgerten Scharen von Sterblichen auf weiten Wegen des Landes und der grundlosen See zu dem berühmten Wunder der Welt. Niemand fuhr mehr nach Paphos, niemand nach Knidos, selbst niemand nach Kythera, um die Göttin Venus zu schauen. Ihre Feste blieben unbesucht, ihre Tempel verödeten, ihre Polster standen verwaist, die frommen Bräuche wurden vernachlässigt; die Standbilder ohne Kränze, die leeren Altäre mit der kalten Asche boten einen häßlichen Anblick. Nur noch zu jenem Mägdlein betete man, nur in menschlichen Zügen huldigte man der Majestät der hehren Göttin; wenn die Jungfrau morgens aus dem Palaste trat, so ehrte man mit Opfer und Festschmaus den Namen der Venus, die doch fern war, und wenn sie durch die Straßen wandelte, streuten die Leute ihr scharenweise Blumen und Kränze auf den Weg.

Solch maßlose Übertragung himmlischer Ehren auf ein sterblich Mägdlein erregte der wahren Venus heftige Wut; voll Entrüstung schüttelte sie das Haupt und sprach in tiefem Grolle also zu sich: »Wie? Ich, die altehrwürdige Mutter der Welt, ich, der Uranfang der Elemente, ich, des Erdkreises hohe Herrin, ich, Venus, soll mit einer sterblichen Magd meine Hoheitsrechte teilen, soll meinen himmlischen Namen von Erdenschmutz entweihen lassen? Ich soll es dulden, meine Ehren mit einer andern auf gut Glück zu teilen? soll es dulden, daß ein sterbliches Mägdlein als mein Ebenbild auf Erden wandle? Umsonst also war's, daß jener Paris, dessen gerechtes, lauteres Urteil der große Jupiter bestätigt hat, mich dank meiner außerordentlichen Schönheit den beiden großen Göttinnen vorgezogen hat? Doch nein, übel soll's ihr, wer sie auch sein mag, bekommen, daß sie sich meine Ehren angemaßt hat; bald soll gerade diese unerlaubte Schönheit sie gereuen!«

Eilends rief sie ihren geflügelten Sohn herbei, den kecken Gesellen, der sich mit seinen losen Sitten über alle Polizeiordnung hinwegsetzt und, mit Fackel und Pfeilen bewehrt, des Nachts fremde Wohnungen durchschwärmt, alle Ehen zerrüttet und ungestraft das größte Unheil anrichtet, kurz, ein rechter Taugenichts ist! Dann reizt sie den ohnehin schon dreisten Burschen auch noch ausdrücklich auf, führt ihn zu jener Stadt und zeigt ihm von weitem die Psyche; so hieß die Prinzessin. Dabei berichtet sie ihm die ganze Geschichte, wie jene ihr's an Schönheit gleichtun wolle, und wendet sich stöhnend und knirschend vor Empörung an ihn: »Bei der Liebe zu deiner Mutter, bei den süßen Wunden deiner Pfeile, bei deiner Fackel wonniglichem Brande beschwöre ich dich, schaffe deiner Mutter Rache, aber vollauf! Strafe die trotzige Schöne mit aller Strenge, einzig und allein das sollst du willig mir vollbringen: jene Maid soll in glühender Liebe zum Geringsten aller Sterblichen entbrennen, dem das Schicksal alles zugleich geraubt hat, Ehre, Vermögen, Gesundheit, kurz, zu einem Unglücklichen, des Elend seinesgleichen auf Erden nicht hat.«

Nach diesen Worten bedeckte sie den Mund des Sohnes mit langen, inbrünstigen Küssen, dann enteilte sie zum nahen Gestade der brandenden See. Mit rosigen Sohlen streifte sie den Saum der gekräuselten Wellen; kaum hatte sie sich auf dem lichtklaren Scheitel der dunklen Tiefe niedergelassen, da gehorchte ihr, schon auf den unausgesprochenen Wunsch hin, als wäre es ein längst gegebener Befehl, sogleich die Welt des Meeres: Nereus' Töchter umringen sie mit holdem Gesange, Portunus, der Hafengott, mit seinem struppigen, blauschwarzen Barte, und Salacia, des Oceanus Gemahlin, den Schoß von Fischen schwer, gesellen sich zu ihnen, auch Palaemon Portunus, der Hafengott, Salacia, Göttin der Salzflut, altrömische, Oceanus, Nereiden, Tritonen, der vom Delphin getragene Palaemon ursprünglich griechische Meergottheiten., der liebliche Knabe, lenkt seinen Delphin durch die Wogen. Bald wimmelt das Meer allenthalben von den hüpfenden Scharen der Tritonen; hier bläst einer sanft auf tönender Muschel, dort wehrt ein anderer mit seidenem Schirme der Glut der feindlichen Sonne, ein dritter hält der Herrin den Spiegel vor Augen, vor den Wagen der Göttin spannen sich schwimmend zwei andere. Also ist das Gefolge, mit dem Venus zum Palast des Oceanus dahinfährt.

Indessen hatte Psyche von all ihrer strahlenden Schönheit keinen Gewinn. Alle beschauten, alle priesen sie, doch keiner, kein König, kein Prinz, selbst kein Mann aus dem Volke nahte sich, der sie zur Ehe gewünscht und begehrt hätte. Wohl bewunderten alle die göttliche Erscheinung, aber nur so, wie man ein meisterlich vollendetes Bildwerk anstaunt. Längst hatten die beiden älteren Schwestern, deren bescheidenere Schönheit nie zum Gerede der Leute geworden war, fürstliche Freier gefunden, mit denen sie bereits glücklich vermählt waren: Psyche dagegen saß noch immer einsam als Jungfrau in ihrer Kammer und weinte bitterlich über ihre Verlassenheit. Siechen Körpers und wunden Gemütes verwünschte sie innerlich ihre von aller Welt so hochgepriesene Schönheit.

So kam der unseligsten Tochter unglücklicher Vater auf die Vermutung, dahinter stecke der Zorn des Himmels, und voll Angst vor der Rache der Götter befragte er das uralte Orakel des Apollo von Milet Das Branchidenheiligtum in Didymai bei Milet, vgl. zu S. 108.; mit Gebeten und Opfern flehte er zu dem gewaltigen Gott und bat ihn um Ehe und Gemahl für die verschmähte Jungfrau. Aber Apollo, obwohl ein Grieche und Ionier, antwortete dem römischen Verfasser des Märchens zulieb in einem lateinischen Spruch also:

»König, stelle die Maid auf des Berges ragenden Gipfel,
Prangend im Schmucke der Braut sei sie dem Tode geweiht!
Nimmer erwarte vom Stamm der sterblichen Menschen den Eidam,
Nein, ein Unhold naht, giftigen Drachen entstammt!
Schwingt er sich hoch durch den Äther daher, so erlieget ihm alles,
Flammen- und eisenbewehrt siegt er in jeglichem Kampf.
Jupiter selber erzittert vor ihm, der den Göttern ein Schrecken,
Selbst in des Hades Nacht schaudern die Wasser des Styx.«

siehe Bildunterschrift

Venus das Meer durchschwimmend.
Wandgemälde nach Athenische Mitteilungen 1876

Als der vormals so glückliche König diesen Bescheid des heiligen Orakels vernommen, begab er sich langsam und gramvoll nach Hause zurück und enthüllte seiner Gemahlin die unselige Weisung des Gottes. Da erhob sich viele Tage lang ein Weinen, Jammern und Klagen. Aber endlich läßt sich die grause Vollziehung des entsetzlichen Spruches nicht mehr verschieben: schon wird für die ärmste Jungfrau das schaurige Hochzeitsgepränge gerüstet, schon erstirbt in düster russiger Asche das Licht der Hochzeitsfackel, der Ton der bräutlichen Flöte wandelt sich in wehmütig klagende Weisen, des Brautlieds Freudensang endigt in trauervollem, dumpfem Klagelied, und Tränen wischt die Braut sich ab mit ihrem Hochzeitsschleier. Und die ganze Stadt teilte mit Seufzen und Klagen das traurige Schicksal des schwergeprüften Fürstenhauses, und zum Ausdruck der allgemeinen Stimmung wurde gleich Landestrauer angesagt.

Doch den Mahnungen des Himmels galt es unweigerlich zu gehorchen, und man konnte das arme Königskind der verhängten Strafe nicht entziehen. So ward denn die Hochzeitsfeier der Todgeweihten unter tiefstem Grame zu Ende geführt; das ganze Volk geleitete das lebende Opfer hinaus, und weinend schritt Psyche im Zuge dahin, – ihrem Todesweg, nicht Hochzeitszuge. Noch zauderten die tiefgebeugten Eltern, außer sich vor übergroßem Leide, die ruchlose Tat zu vollenden, als Psyche ihnen also Mut einsprach: »Was quält ihr unglückliche, greise Eltern euch mit beständigem Weinen? was peinigt ihr euch, nein, weit mehr noch mich, durch anhaltendes Schluchzen? was entstellt ihr euer mir so ehrwürdiges Antlitz durch nutzlose Tränen? trübt auch meiner Augen Glanz durch euer Weinen? Was zerrauft ihr euer graues Haar, schlagt eure Brust und den heiligen Busen? Da habt ihr den herrlichen Lohn meiner hohen Schönheit: der ruchlose Neid hat euch tödlich getroffen! Doch jetzt da ihr's empfindet, ist es zu spät. Als alle Welt mich mit göttlichen Ehren feierte und alle einstimmig mich die neue Venus nannten, damals hättet ihr klagen, damals weinen, damals über mich als eure verlorene Tochter trauern sollen. Jetzt weiß ich's, jetzt seh' ich's: der Name Venus allein war es, der mir Verderben gebracht. Führt mich hin zu dem Felsen, den mir das Orakel bestimmt hat, und setzt mich dort aus. Wie drängt mich's, jene Glückshochzeit zu begehen, drängt mich's, meinen edlen Gemahl von Angesicht zu sehen! Was säume ich und weigere mich, den zu empfangen, der da zum Verderben der ganzen Welt geboren ist?«

Nach diesen Worten verstummte die Jungfrau, und festen Schrittes reihte sie sich nunmehr in den Zug des Volkes, das ihr das Geleite gab. Alles zog nun nach dem steilen Felsengipfel; dort ganz oben ließ man die Jungfrau allein. Mit Tränen löschte man die Hochzeitsfackeln, die dem Zuge geleuchtet, und ließ sie an Ort und Stelle zurück. Gesenkten Hauptes machten sich alle auf den Heimweg. Die armen Eltern waren durch den Verlust ihres Kindes ganz gebrochen, sie schlossen sich im dunkelsten Winkel ihres Palastes ein und lebten dort in ewiger Nacht.

Psyche aber saß zitternd und zagend auf dem Gipfel des Felsens; da kam mit lindem Wehen des Zephirs sanfter Hauch, leise spielend hob er ihr Gewand, mählich bauschte er die Falten des Kleides, hob sie in ruhigem Luftzug empor, trug sie sänftiglich über den steilen Felshang hinunter und ließ sie leise zum tiefen Talgrund hinabgleiten, wo sie auf schwellendem Rasen eine Ruhestatt fand.

 

Zweites Kapitel

Psyche fand sich in einem zarten Wiesengrunde auf taufrischem Graspolster sanft gebettet, und nach so viel Aufregungen versank sie bald in erquickenden Schlummer. Als sie genug geschlafen hatte und neugestärkt erwachte, war auch der holde Lebensmut zurückgekehrt. Sie sah sich inmitten eines Parks mit gewaltigen, hochgewachsenen Bäumen, sah einen Quell kristallklaren Wassers genau in der Mitte sich hindurchschlängeln. Dicht bei der rieselnden Quelle erhob sich ein Palast, nicht von Menschenhand, sondern von Götterkunst erbaut. Gleich beim Eintreten merkte man, daß dieses lichtdurchflutete, reizvolle Haus einen Gott beherberge. Goldene Säulen trugen die kunstvoll mit Citrusholz und Elfenbein getäfelten Decken und Kuppeln, von allen Wänden begrüßten silbergetriebene Bildwerke von allerlei wildem und zahmem Getier den Eintretenden. Das mußte ein ganz erstaunlicher Mensch, vielmehr ein Halbgott oder gewiß ein Gott sein, der mit höchster und feinster Kunst so viel silbernes Getier schaffen konnte. Selbst den Estrich des Fußbodens zierten bunte Bilder aller Art aus kleinen Steinchen zusammengesetzt. O selig und aber selig die, deren Fuß über Edelsteinen und Kleinodien dahinwandelt! Und auch die übrigen Teile des Palastes, der sich weit nach jeder Richtung erstreckte, waren über alle Begriffe kostbar, ganze Wände aus massivem Golde leuchteten in eigenem Glanze, so daß es auch ohne Sonnenschein taghell gewesen wäre. In gleicher Pracht erstrahlten die Schlafgemächer, Hallen und selbst die Baderäume. Auch die reiche Einrichtung des Hauses entsprach der Majestät des Ganzen: fürwahr! ein Himmelspalast schien es zu sein, dem hohen Jupiter für seinen Verkehr mit Sterblichen errichtet.

So viel Reiz und Schönheit lud Psyche zu näherem Anschauen ein; schon etwas weniger scheu wagte sie sich ins Innere, und bald lockte sie die Neugier, all die Herrlichkeiten im einzelnen näher zu betrachten. Auch die prächtigen Schatzhäuser zu beiden Seiten des Palastes, in denen lauter Kostbarkeiten und Kleinodien aufgespeichert waren, schaute sie sich an. Da gab es alles, was sich nur denken ließ. Aber bei all dem erstaunlichen Reichtum war noch das größte Wunder, daß kein Riegel, kein Verschluß, kein Wächter die Schätze der ganzen Welt dort hütete. Während nun Psyche alles mit höchlichem Ergötzen beschaute, traf die Stimme eines unsichtbaren Wesens ihr Ohr: »Was staunst du, o Herrin, diese Schätze an? Dein ist ja alles, was du hier siehst. Begib dich nur ins Schlafgemach und gönne deinen müden Gliedern Erquickung auf dem Ruhebett, und, so du Lust hast, im Bade. Wir sind's, deine Dienerinnen, deren Stimme du hörst, wir werden dich eifrig bedienen, und hast du deines Körpers gepflegt, so wartet deiner auch ein königliches Mahl.« Nun ahnte Psyche, daß die göttliche Vorsehung sie begnade; sie hörte auf die Weisungen der unsichtbaren Stimme und suchte erst im Schlummer, dann in einem Bade Erquickung für ihre ermatteten Glieder. Gleich darauf fiel ihr Blick auf ein halbrundes Ruhebett, davor stand ein Tischlein, das mit allem, was zu einem Mahle gehört, so einladend ausgestattet war, daß sie freudig Platz nahm. Im Nu wurden ohne jede sichtbare Bedienung, wie von Geisterhänden, nektarsüßer Wein und eine reiche Fülle von Gerichten aufgetragen. Und dabei war niemand zu sehen, nur ab und zu hörte sie Worte fallen; Stimmen nur waren ihre Diener. Nach dem Ende des köstlichen Mahles trat jemand unsichtbar ein und sang, ein anderer spielte auf der Leier, die ebenfalls unsichtbar blieb. Darauf drang ein harmonischer Gesang von vielen melodischen Stimmen an ihr Ohr: dort mußte sich, wiewohl kein Mensch zu sehen war, ein ganzer Chor befinden. Nach so viel Genüssen kam der Abend heran und lud Psyche zum Schlafengehen ein. Schon war es tiefe Nacht, als ein seltsam sanfter Ton das Ohr der Ruhenden traf. Da überkam die Jungfrau in ihrer hilflosen Verlassenheit eine tiefe Bangigkeit, voll Angst und Grausen sieht sie dem unbekannten und darum doppelt schlimmen Unheil entgegen.

Doch schon hatte sich ihr unbekannter Gemahl eingestellt, hatte das Lager bestiegen und sich mit Psyche vermählt. Aber vor Tagesgrauen war er eilig wieder verschwunden. Sogleich waren die Stimmen der unsichtbaren Dienerinnen in der Kammer zur Wartung und Pflege der Neuvermählten bereit. So ging das lange Zeit. Und das anfangs Ungewohnte war ihr, wie das natürlich ist, mehr und mehr zur lieben Gewohnheit geworden, und der Ton der unbekannten Stimme war ihr ein Trost in ihrer Einsamkeit.

Indes vergingen ihre greisen Eltern fast vor Trauer und Schwermut; und da die Geschichte weithin bekannt geworden war, so hatten auch die beiden älteren Schwestern alles erfahren, hatten voll Trauer und Schmerz sogleich ihre Häuslichkeit verlassen und waren in wetteifernder Kindesliebe zu ihren Eltern geeilt, damit ihr Anblick und Zuspruch sie aufrichte.

In dieser Nacht sprach der Gemahl, – denn, wenn sie ihn auch nicht sah, so empfand sie doch den Druck seiner Hände und hörte den Klang seiner Stimme –, also zu Psyche: »O Psyche, meine süße, teure Gemahlin, das tückische Schicksal bedroht dich mit verderblicher Gefahr, um so peinlicher mußt du auf deiner Hut sein. Deine Schwestern wähnen, du seiest gestorben, ganz verstört gehen sie deinen Spuren nach und werden gleich dort auf jenem Felsgipfel erscheinen. Solltest du nun etwa ihre Klagen vernehmen, so antworte nicht, ja, sieh gar nicht hinüber, sonst wirst du mir unsägliches Weh, dir selbst aber das schlimmste Verderben bereiten!« Gerne sagte Psyche das zu und gelobte, getreulich nach ihres Gemahles Willen zu handeln. Als er aber mit Tagesgrauen wieder verschwunden war, verbrachte das arme Geschöpf den ganzen Tag mit Weinen und Klagen; jetzt sei es vollends um sie geschehen, wiederholte sie sich immer wieder, in einem vergoldeten Gefängnis eingeschlossen, ohne jede menschliche Ansprache oder Verkehr könne sie nicht einmal ihren Schwestern in ihrem Gram Hilfe und Erlösung bringen, ja nicht einmal sehen dürfe sie die Langentbehrten. Und sie wies Bad, Speise, überhaupt jede Erquickung zurück, und in Tränen schwimmend legte sie sich endlich schlafen. Es dauerte nicht lange, da kam ihr Gatte zeitiger als sonst, das Lager mit ihr zu teilen. Zärtlich umschlang er die noch immer Weinende und machte ihr Vorhaltungen: »Hältst du so dein Versprechen, liebe Psyche? was soll jetzt dein Gemahl von dir erwarten, was hoffen? Den ganzen Tag, die ganze Nacht, selbst in den Armen deines Gemahls zerquälst du dich unaufhörlich. Nun gut, wie du willst, gehorche nur den verderblichen Gelüsten deines Herzens! Nur denk' an meine ernste Warnung, wenn ach, zu spät die Reue bei dir einkehrt!« Aber Psyche ließ nicht nach mit Bitten, und durch die Drohung, sie werde sonst sterben, entrang sie dem Gemahl schließlich die Zustimmung dazu, daß sie die Schwestern sehen, ihre Trauer lindern und mit ihnen plaudern dürfe. So hatte er also den Bitten der jungen Gattin nachgegeben, er erlaubte ihr noch obendrein, den Schwestern nach Herzenslust Gold und Kleinodien zu schenken. Nur warnte er sie wiederholt und dringend, sie solle ja nicht den verderblichen Ratschlägen der Schwestern Gehör schenken und nach seiner Gestalt forschen: sonst würde sie durch solch frevelhafte Neugier sich selber von der Höhe ihres Glückes ins Verderben stürzen und auch seine Umarmungen fortan entbehren müssen. Psyche dankte dem Gemahl, und frohen Herzens beteuerte sie: »Aber lieber hundertmal sterben als deine süße Liebe missen! Ich hab dich ja doch, wer du auch sein magst, ganz unaussprechlich lieb, gleich wie mein eigen Leben; du bist mir mehr als Gott Amor selber, wenn er käme. Aber die eine Bitte sollst du noch, so fleh ich, mir gewähren: gebiete dem Zephir, deinem Diener, mir meine Schwestern auch auf dem gleichen Wege durch die Lüfte hierher zu bringen!« Und dabei bedeckte sie ihn mit verführerischen Küssen, überschüttete ihn mit Schmeichelworten, und indem sie ihn eng umschlungen hielt, flüsterte sie ihm allerhand Koseworte zu, als: »mein sonniger, wonniger Liebling, du holdes Leben deiner Psyche!« Zu stark war die Gewalt des holden Liebesgeflüsters, schweren Herzens gelobte er, er wolle alles tun, und beim Nahen des Tageslichts entschwand er den Armen der Geliebten.

 

Drittes Kapitel

Unterdessen hatten sich die beiden Schwestern erkundigt, wo jener Felsengipfel sei, auf dem man Psyche verlassen hatte. Eilig begaben sie sich dorthin, weinten sich die Augen aus und schlugen ihre Brüste, bis Felsen und Klippen ihr unaufhörliches Jammergeschrei mit gleichen Tönen zurückgaben. Schließlich riefen sie die arme Schwester so lange mit Namen herbei, bis der schrille Ton ihrer klagenden Stimmen in die Tiefe hinabdrang, so daß Psyche außer sich vor Angst aus dem Palaste stürzte: »Was härmt ihr euch, rief sie, »umsonst mit jammervollen Klagen? Da bin ich ja, um die ihr weinet! Laßt die trauervollen Reden und trocknet endlich die Tränenströme von euren Wangen, denn nunmehr ist euch vergönnt, die in eure Arme zu schließen, um die ihr klagtet.« Darauf rief sie den Zephir und mahnte ihn an die Weisung ihres Gemahls. Der gehorchte ihrem Befehl unverzüglich und trug sogleich die beiden Schwestern mit sanftestem Flügelschlage in ganz ungefährlicher Fahrt durch die Lüfte hinab. Erst konnten sie sich in Umarmungen und inbrünstigen Küssen nicht genug tun, und die Freude lockte die schon gestillten Zähren von neuem hervor. »Doch jetzt«, sagte Psyche, »seid willkommen in meinem Haus und Heim und erholt euch bei eurer Psyche von dem ausgestandenen Leide.« Nach dieser Einladung zeigte sie ihnen das goldene Schloß mit seinen reichen Schätzen und ließ die Stimmen der vielen dienenden Geister vor ihren Ohren erklingen; darauf wurden sie in einem wunderschönen Bade und mit allen Herrlichkeiten des Zaubertisches aufs prächtigste erquickt, so daß die beiden von solcher geradezu himmlischen Fülle des Reichtums überströmt und gesättigt schon in der Tiefe ihres Herzens den Neid zu nähren begannen. Zuletzt drang die eine Schwester mit peinlich neugierigen Fragen unablässig in Psyche und wollte wissen, wer der Herr dieser himmlischen Schätze, was für ein Mann ihr Gatte sei und wie er aussehe. Doch Psyche verletzte das Gebot ihres Gemahls in keiner Weise. Um sich das Herzensgeheimnis nicht entreißen zu lassen, griff sie zu der Notlüge, es sei ein schöner Jüngling, dem kaum der weiche Flaum die Wangen beschatte, er verbringe die meiste Zeit als eifriger Jäger auf den Auen und Bergen. Und damit ihr nicht im Fortgange des Gespräches ein Wörtchen entfalle, das ihre geheimen Gedanken verriete, beschenkte sie die Schwestern aufs reichste mit goldenem, juwelenbesetztem Geschmeide, dann rief sie gleich den Zephir, daß er die beiden zurücktrage.

Rasch war das Gebot vollzogen. Aber im Herzen des trefflichen Schwesternpaares schlug bei der Heimkehr der glimmende Neid in hellen Flammen empor; voll Gift und Galle tauschten sie laut ihre Gedanken aus. »O blindes, grausames und ungerechtes Schicksal!« begann die eine, »von den gleichen Eltern stammen wir alle, war das dein Wille, daß unser Los so verschieden sein soll? Wir, die älteren, sollen unser Leben vollbringen, fremden hergelaufenen Gatten zur Magd gegeben, fern von Haus und Herd und Heimat, weit von unseren Eltern, gleich Verbannten; sie aber, die jüngste, der müden Ehe letztes Kind, soll solche Macht gewinnen und einen Gott zum Gemahl haben? Weiß sie doch nicht einmal die Fülle ihres Glückes recht zu schätzen! Du hast ja, Schwester, das herrliche Schloß gesehen, die Pracht des Geschmeides, den Glanz der Stoffe und das Funkeln der Juwelen, die es birgt, zudem das viele Gold, über das der Fuß dort allenthalben wandelt. Ist nun vollends der Gatte, den ihre Arme umschlingen, so schön, wie sie versichert, so ist sie zur Stunde die glücklichste Frau auf dem ganzen Erdenrund. Und wird das Verhältnis noch herzlicher und die zärtliche Neigung noch inniger, so wird vielleicht ihr göttlicher Gemahl sie noch zur Göttin erheben. Ja bei Gott, so ist es, so gab sie, so benahm sie sich schon jetzt! Schon gehen ihre Blicke gen Himmel, schon atmet ihr ganzes Wesen Götterstolz, Geisterstimmen hat sie zu Mägden, und den Winden gebeut sie. Ich Ärmste dagegen, mir ward ein Gemahl beschert, der älter ist als mein eigener Vater, kahler als ein Kürbis und dabei ein Zwerg, kleiner als das nächste beste Bübchen, und sein ganzes Haus hält er hinter Ketten und Riegeln fest verschlossen.«

Drauf nahm die andere das Wort: »Aber ich erst! Meinem Mann hat die Gicht die Glieder gekrümmt und gelähmt, so daß er nur ganz selten meine Liebe erquickt; dafür darf ich ihm immerzu seine verkrümmten, steinharten Finger reiben, muß meine zarten Hände mit übel duftenden Verbänden, schmutzigen Lappen und ekelhaften Umschlägen befassen, kurz, anstatt ihm eine zärtliche Gattin zu sein, muß ich die mühevolle Rolle der Pflegerin durchführen. Magst du, liebe Schwester, zusehen, ob du dies mit geduldigem oder lieber, um es frei herauszusagen, mit sklavischem Sinne ertragen willst. Ich fürwahr kann nicht länger mit ansehen, daß solcher Segen einer Unwürdigen zugefallen sein soll. Erinnere dich nur, wie hochnasig, wie anmaßend sie uns behandelt, wie sie ihren geschwollenen Dünkel schon durch ihr maßlos prahlerisches Wesen verraten hat: nur widerwillig hat sie uns winzige Abfälle von ihrem ungeheuren Reichtum hingeworfen, unsere Anwesenheit war ihr beschwerlich, so daß sie uns schleunigst mit Sausen und Zischen an die Luft setzen ließ. Ich will kein Weib sein und überhaupt nicht mehr leben, wenn ich sie nicht von ihren Schätzen fort und ins Verderben stürzen werde. Und wenn, wie billig, auch dir unsere Schmach den Stachel ins Herz drückt, so laß uns beide einen wirksamen Ratschluß suchen. Vor allem aber wollen wir, was wir im Schilde führen, weder unseren Eltern noch sonst jemandem offenbaren und überhaupt ihr Glück völlig ignorieren. Es ist schon genug, daß wir zu unserem Verdrusse Zeugen desselben sein mußten: das fehlte noch, daß wir's den Eltern und aller Welt ausposaunten! Denn nur der ist wahrhaft glücklich, dessen Reichtum die Welt kennt. Sie soll es noch erfahren, daß wir nicht ihre Mägde sind, sondern ihre älteren Schwestern. Für jetzt freilich laß uns zu unseren Gatten gehen und unser armes, aber durchaus ehrenwertes Heim wieder aufsuchen, dort werden wir alles lang und reiflich überlegen, um dann um so fester entschlossen zur Bestrafung der Übermütigen zurückzukehren.«

Dem bösen Paar gefiel der böse Plan. Sie versteckten alle die kostbaren Geschenke, rauften ihr Haar, zerfleischten ihr Antlitz (das ja wirklich nichts Besseres verdiente), erneuerten die falschen Tränen und rissen so auch ihren Eltern die Schmerzenswunde von neuem auf. Dann verließen sie diese schleunig und eilten wutschnaubend jede nach ihrem Haus, um verbrecherische List, ja geradezu schändlichsten Mord gegen ihre unschuldige Schwester anzuzetteln.

Unterdessen wurde Psyche abermals von ihrem unbekannten Gemahl in einem jener nächtlichen Gespräche gewarnt: »Siehst du die große Gefahr, die dir vom Schicksal droht? Noch ist sie in weiter Ferne, aber wenn du nicht ganz ernstlich auf der Hut bist, wird sie bald dicht bei dir sein. Die tückischen Hyänen machen ruchlose Anschläge auf dich und lassen nichts unversucht, um ihr wichtigstes Ziel zu erreichen: sie wollen dich dahin bringen, daß du nachforschest, wie ich aussehe. Und ich sagte dir doch schon oft: hast du meine Züge einmal gesehen, so wirst du sie nie wiedersehen. Wenn also künftig jene bösen Teufelinnen mit ihrer argen List kommen werden – und sie werden kommen, ich weiß es – so laß dich überhaupt in kein Gespräch mit ihnen ein; kannst du aber mit deinem arglosen Gemüt und deinem weichen Herzen dies nicht über dich gewinnen, so sollst du jedenfalls über deinen Gemahl kein Sterbenswörtchen anhören noch erwidern. Denn wisse, du wirst Mutter werden und trägst in deinem bis jetzt noch so kindlichen Schoße ein Kindlein – ein göttliches, wenn du unser Geheimnis schweigend wahrst, ein sterbliches, wenn du's verrätst.«

Wie strahlte Psyche bei der frohen Botschaft, wie tröstlich war ihr die Hoffnung auf das Götterkind! Der Gedanke an das herrliche Liebespfand ließ ihr Herz höher schlagen, und sie sonnte sich in der Würde des Mutternamens. Voll Bangen zählte sie die Tage, die kamen, und die Monde, die schwanden; der Bürde ungewohnt verfolgte sie mit kindlichem Staunen das Wachstum des winzigen Wesens in ihrem gesegneten Leibe.

Aber schon kamen jene Unholdinnen und höllischen Furien in ruchloser Hast Schlangengift atmend übers Meer daher. Da warnte in den kurzen Augenblicken des Beisammenseins der Gemahl wiederum seine Psyche: »Gekommen ist der letzte Tag, die Not am höchsten! Siehe, deine Todfeinde gleichen Geschlechtes und Blutes haben bereits zu den Waffen gegriffen, ihre Truppen herangeführt und zur Schlacht aufgestellt, das Signal ertönt, und schon zücken die nichtswürdigen Schwestern ihren Dolch nach deiner Kehle. O welch Unheil droht uns, meine süße Psyche! Erbarme dich deiner und meiner, halte fromm dein Gelübde, auf daß du das Haus, den Gatten, dich selbst und unser armes Söhnchen vor dem drohenden Verderben bewahrst. Und jene Ruchlosen – Schwestern kannst du sie, seitdem sie dich so tödlich hassen und alle Bande des Blutes so mit Füßen treten, nicht mehr nennen – sieh sie nicht an, hör sie nicht an, wenn sie Sirenen gleich von hoher Klippe ihr verhängnisvolles Lied ins Felsental erklingen lassen!«

Vor Weinen und Schluchzen konnte Psyche kaum reden, endlich begann sie: »Schon längst hast du, dächt' ich, Beweise meiner Treue und Verschwiegenheit bekommen, Und auch jetzt soll meines Herzens Festigkeit sich dir bewähren. Drum weise nur unsern Zephir wieder an, seine Dienste zu erfüllen, und gönne mir, da der Anblick deiner hochheiligen Gestalt mir versagt ist, zum Ersatze wenigstens wieder den Anblick meiner Schwestern. Beim balsamischen Dufte deiner wallenden Locken, bei der mädchenhaft zarten Rundung deiner Wangen, bei dem rätselhaften Feuer, das deine Brust durchglüht, so wahr ich dereinst in diesem Kinde wenigstens dein Antlitz zu erkennen hoffe, laß dich durch meine demütig frommen Bitten erweichen, gönne deiner Psyche den Genuß, die eignen Schwestern zu umarmen, und erquicke ihre treuergebene Seele durch diese Freude! Ich forsche ja auch nicht mehr nach deinem Antlitz, und selbst mit der nächtlichen Finsternis bin ich jetzt ausgesöhnt: Licht ist's um mich, solange ich dich im Arme halte.«

Dem Zauber solcher Worte und zärtlichen Umarmungen erlag der Gatte, mit seinen Locken trocknete er ihre Tränen und versprach's ihr. Dann entschwand er in Eile vor dem Schimmer des beginnenden Tages.

Das böse Schwesternpaar hatte es aber so eilig, die Verschwörung auszuführen, daß es sich nicht einmal die Zeit nahm, die Eltern zu sehn, sondern vom Schiffe aus geradewegs auf jenen Felsen eilte. Und so hitzig hatten sie's, daß sie nicht einmal das Herankommen des tragenden Windes abwarteten, dreist und tollkühn wagten sie den Sprung in die Tiefe. Doch Zephir, wohl eingedenk des königlichen Befehles, fing sie, wenn auch ungern, auf und brachte sie im Schoße eines sanften Lüftchens auf den Grund des Tales. Ohne Zögern eilten sie beflügelten Schrittes ins Innere des Palastes, dort umarmten sie ihr Opfer und spielten die zärtlichen Schwestern. Freude im Gesicht, doch die Herzen voll von Lug und Trug, begannen sie mit kriechender Freundlichkeit:

»Ei, Psyche, vor kurzem noch ein kleines Mädchen und jetzt schon bald Mutter! Nein du glaubst nicht, wie viel Glück das kleine Geschöpf für uns alle bedeutet! Wie viel Wonne und Fröhlichkeit für unser ganzes Haus! Welche Freude für uns, das Goldkind mitaufzuziehen! Wird es schön wie seine Eltern – und wie sollt' es das nicht? – so wird's ein Amor ganz und gar!« So bestürmten sie Schritt für Schritt mit erheuchelter Zärtlichkeit das Herz der Schwester. Diese bot den vom Wege Ermüdeten sogleich bequeme Sitze zum Ausruhen, sie durften sich im dampfend heißen Bade erfrischen und wurden dann im herrlichen Speisesaal mit den wunderbaren Gerichten und himmlischen Leckerbissen erquickt. Sie befiehlt Leierspiel: da erklingt die Leier, ein Flötenkonzert: die Flöten ertönen, Chorgesang: Lieder erschallen. Und während so niemand zu sehen war, drangen die holdesten Weisen sänftigend ins Herz der Hörer hinein.

Doch selbst die holde Süßigkeit dieser Töne konnte die Bosheit des ruchlosen Paares nicht erweichen. Fest entschlossen, die Schlinge tückisch zuzuziehen, brachten sie scheinbar harmlos das Gespräch darauf, wer und was ihr Gemahl sei, aus welchem Hause und Lande er stamme. Psyche hatte, vollkommen arglos, wie sie war, ihre frühere Antwort schon vergessen und brachte etwas ganz Neues vor, das sie sich ausgedacht hatte: ihr Gatte sei ein Großkaufmann aus dem Nachbarlande, ein Mann mittleren Alters, doch schon etwas angegraut. Doch hielt sie sich bei diesem Gegenstand nicht gar lange auf, sondern überhäufte die Schwestern wiederum mit kostbaren Geschenken, dann überließ sie sie wiederum dem luftigen Fahrzeug.

Abermals trug sie Zephir mit sanftem Hauche nach oben. Aber während der Heimfahrt gab dann ein Wort das andere: »Was sagst du, Schwester, zu der ungeheuerlichen Lüge dieser Närrin? Damals war es ein Jüngling, dem eben erst mit blühendem Flaum der Bart keimt, jetzt ist es ein Mann mittleren Alters, mit lichten, grauen Stellen im Haar! Was ist das für ein Mann, den eine kleine Spanne Zeit so plötzlich zum Greis umgeschaffen hat? Du wirst keine Antwort darauf finden, als daß entweder das schlechte Frauenzimmer Lügen erdichtet oder daß sie die Gestalt ihres Gemahls gar nicht kennt. Was nun auch die Wahrheit sein mag: es gilt, sie möglichst bald aus ihren Schätzen hinauszujagen. Wenn sie aber wirklich ihres Mannes Angesicht nicht kennt, dann ist es fürwahr ein Gott, dem sie vermählt ist, und ein Gott auch, den sie im Schoße trägt! Aber wenn die eines göttlichen Knäbleins Mutter wird – oh daß es nie dazu käme! – so werde ich mich ganz gewiß gleich aufhängen und meinem Leben ein Ende machen! Doch wir wollen zunächst zu unseren Eltern zurückkehren, um dort den Trug, den wir angezettelt haben, nach Kräften weiterzuspinnen.«

Die verworfenen Weiber hatten sich dermaßen in Hitze geredet, daß sie die Eltern nur flüchtig begrüßten; nach einer schlaflos verbrachten Nacht eilten sie in der Morgenfrühe zum Felsengipfel, um sich von dem dienstbaren Winde wie immer in jähem Fluge hinabtragen zu lassen. Unten preßten sie sich erst durch heftiges Reiben Tränen aus den Augen, dann redeten sie listig auf das Mägdlein ein: »Du bist freilich selig,« sagten sie, »und sitzest im Glücke und ahnst nichts von dem Unheil und der Gefahr, die dich bedrohen; wir aber, die wir Tag und Nacht für dich auf dem Posten sind, quälen uns zu Tode um deine Not. Denn was wir als sicher verbürgt erfahren haben, das dürfen wir, die wir ja Schmerz und Unglück mit dir teilen, nicht länger verhehlen: der Gemahl, der nachts heimlich bei dir schläft, ist ein ungeheurer Drache, der in viel verschlungenen Windungen daher kriecht; von tödlichem Gifte trieft sein blutrünstiger Hals und der tiefgähnende Rachen! Erinnere dich nur an den Spruch des göttlichen Orakels: einem wilden Untier, so verkündete es, seist du zur Braut bestimmt. Viele Bauern und Jäger und andere Leute aus der Gegend haben den Unhold gesehen, wie er des Abends vom Fraße kam und in der Furt des nahen Flusses badete. Und nicht mehr lange, versichern alle, werde es dich schmeichlerisch und dienstbeflissen herausfüttern, nein, sobald erst dein Kind ganz ausgetragen, werde es dich mitsamt deinem Kinde als köstlichen Bissen verschlingen! Jetzt kannst du dich also entscheiden, ob du auf deine für dein teures Leben besorgten Schwestern hören, dem Tod ausweichen und mit uns sicher vor jeder Gefahr weiterleben oder im Leibe des grausamsten Untiers dein Grab finden willst. Willst du aber weiter in der von Geisterstimmen durchtönten Einsamkeit dieses Landsitzes oder in dem widrigen und gefahrvollen Genuß heimlicher Buhlschaft und den Umarmungen des giftigen Drachens dein Vergnügen finden – nun gut, so haben wenigstens wir als treue Schwestern das Unsrige getan.«

Angst und Grausen erfaßte die arme Psyche in ihrer Einfalt und Herzensreinheit bei dieser niederschmetternden Eröffnung. Sie verlor so durchaus jede Besinnung, daß alle Warnungen ihres Gemahls wie auch ihre eigenen Versprechungen wie ausgelöscht waren und sie sich ins tiefste Unglück stürzte: zitternd und totenbleich konnte sie nur noch mit stockender Stimme und bebenden Lippen diese Worte hervorstammeln: »Teuerste Schwestern, ihr bleibt euch doch immer gleich in eurer treuen Liebe; aber auch jene Leute, die euch solches versichern, werden wohl leider nicht lügen. Denn nie sah ich das Antlitz meines Mannes, noch weiß ich überhaupt, wer und woher er ist; ich muß damit vorlieb nehmen, bei Nacht des Gatten flüsternde Stimme zu vernehmen, von dem ich weiter nichts weiß, als daß er sich dem Lichte des Tages durchaus entzieht. Oh ihr habt recht, und ich muß euch beistimmen: ein Untier muß es sein. Darum jagt er mir auch immer Angst und Schrecken vor seinem Anblick ein und droht mit großem Unglück, wenn ich der Neugier, sein Gesicht zu sehen, nachgäbe. Oh, wenn ihr irgend eurer Schwester in ihrer Not jetzt Rettung bringen könnt, so tut's noch diesen Augenblick! Wenn ihr mir nicht weiter beisteht, war ja eure ganze bisherige Fürsorge und Güte umsonst.«

So fanden die schurkischen Weiber die Tore zum schutzlosen Herzen der Schwester weit aufgetan. Jetzt konnten sie die versteckten Ränke beiseite lassen und auf das verängstete Herz des arglosen Mägdleins mit dem gezückten Schwert der Hinterlist eindringen. So begann denn die eine: »Als deine leiblichen Schwestern fühlen wir uns getrieben, jeder Gefahr ins Auge zu sehen, wenn es sich um dein Leben handelt. Drum wollen wir dir den Weg zeigen, der allein, wie wir nach reiflicher Überlegung erkannten, zur Rettung führt. Nimm ein scharf geschliffenes, noch auf der Handfläche gewetztes Messer und verbirg es heimlich in dem Teile des Lagers, wo du zu ruhen pflegst; dann nimm ein zierliches, helleuchtendes Lämpchen voll Öl, das bringst du wohlversteckt in einem kleinen Topfe unter: alle diese Zurüstungen müssen durchaus verborgen bleiben. Wenn er dann, den schlürfenden Leib hinter sich herziehend, das gewohnte Lager bestiegen hat und nun dort im ersten Schlafe ausgestreckt daliegt und seine ruhigen Atemzüge zeigen, daß er fest schläft, dann gleite du vom Lager herunter, schleiche auf bloßen Füßen ganz sachte, sachte hin zur Lampe und befreie sie aus ihrer finsteren Haft; dann nimm, so ruft ihr heller Schein dir zu, die günstige Gelegenheit zu herrlicher Tat wahr, hebe deine Rechte mit der scharfen Waffe kühnlich hoch und durchhaue mit starkem Hieb den giftigen Drachen da, wo Kopf und Hals zusammenstoßen! An unserer Hilfe wird's nicht fehlen: sobald du dich durch den Tod des Untiers gerettet hast, werden wir fürsorglich zur Stelle sein und mit dir zusammen schleunigst all diese Schätze davontragen, um dich dann in willkommener Ehe mit einem Menschen menschlich zu vermählen.«

Mit solchen Hetzreden wußten sie Psyches ohnehin schon große Erregung zu hellen Flammen aufzupeitschen, um dann die Schwester schleunigst allein zu lassen, denn die Nähe solchen Unheils machte sie für ihr liebes Ich ausnehmend besorgt. So ließen sie sich vom gewohnten Flügelschlag zur Höhe des Felsens bringen, von dem sie in eiliger Flucht davonstürzten, um ihre Schiffe zu besteigen und wegzufahren.

 

Viertes Kapitel

So war nun Psyche allein zurückgeblieben – wenn das Umgetriebensein von allen bösen Geistern Alleinsein heißt. Ihr Inneres wogt gramvoll gleich dem brandenden Meere: so fest ihr Plan, entschlossen ihr Herz auch ist, so schwankt sie doch wieder unschlüssig, als es gilt, die Hände zur Tat zu regen, und das Bewußtsein ihres Unglücks zerreißt ihr das Herz: bald eilt sie zur Tat, bald schiebt sie's wieder auf, abwechselnd ist sie mutig und ängstlich, verzagt und wieder voll Rachgier und, das Schlimmste von allem: ein und dasselbe Wesen haßt sie als Untier und liebt es als ihren Gemahl. Als es jedoch auf die Nacht ging, da kam's mit jäher Eile über sie, so daß sie alle Zurüstungen für die böse Tat traf. Nun kam die Nacht und mit ihr der Gemahl, der nach dem ersten Liebesgeplänkel bald in tiefen Schlaf gesunken war. So schwach Psyche sonst an Körper und Seele gewesen war, jetzt ließ die Wut des Schicksals ihre Kräfte erstarken, und kühn wie ein Mann holte sie die Lampe und riß das Messer heraus. Aber kaum hatte die Lampe des Lagers Geheimnis mit hellem Scheine beleuchtet, da sah sie das holdeste und süßeste aller Ungeheuer – Gott Amor selbst in Schönheit daliegen, so schön, daß bei seinem Anblick selbst das Licht der Lampe freudig aufflackerte und des Messers mörderische Schneide glänzend erblinkte. Psyche vollends war bei dem Anblick starr vor Schrecken und einer Ohnmacht nahe, so daß sie leichenblaß und zitternd in die Knie sank und den Stahl zu verbergen suchte – aber in der eigenen Brust! Und traun, sie hätte es getan, wäre nicht die Waffe aus Furcht vor solcher Untat den verwegenen Händen rasch entglitten. Ermattet und verzweifelt fand sie endlich Erquickung im Anblick der göttlichen Züge, in deren Herrlichkeit sie sich wieder und wieder versenkte. Sie sah das üppige, ambrosische Gelock des goldenen Hauptes, das, in zierlich gekräuselten Ringeln auf Brust und Rücken niederwallend, die schneeigen Schultern und purpurnen Wangen umspielte und vor dessen überherrlichem Glanze selbst das Licht der Lampe erblaßte. An den Schultern des geflügelten Gottes erglänzten in funkelndem Schimmer die taufrischen Schwingen, und die zarten, feinen Federchen am Rande der Flügel trieben, obwohl diese ruhten, doch ruhelos zitternd ein munteres Spiel. Hell schimmerte die weiche Haut des Körpers, auf den Venus als Mutter wohl stolz sein durfte. Zu Füßen des Bettes aber lagen Bogen, Köcher und Pfeile, des großen Gottes gnadenreiche Waffen. Psyche konnte sich an all dieser Schönheit nicht sattsehen, auch die Waffen ihres Gemahls betastete und bewunderte sie so recht neugierig; schließlich wagte sie's, einen Pfeil aus dem Köcher zu nehmen und setzte ihn, um seine Schärfe zu erproben, mit der äußersten Spitze auf ihren Daumen auf. Da aber ihre Hand noch immer zitterte, war die Bewegung zu stark, und die Spitze drang tiefer in die Haut ein, so daß ein paar Tröpflein rosigen Blutes hervordrangen. So geschah es, daß Psyche ahnungslos durch ihre eigene Tat in Liebe zum Liebesgotte verfiel. Heißer und heißer erglühte ihr Herz für ihn, daß sie voll inbrünstigen Verlangens sich über ihn beugte und ihn mit herzlichen, stürmischen Küssen bedeckte. Aber während sie nur das eine fürchtete, er möchte davon erwachen, und ihr das Herz liebeswund und doch selig vor übergroßem Glücke wogte, ließ jenes Lämpchen, aus tückischer Bosheit oder aus giftigem Neid oder auch aus brennendem Verlangen, diesen Leib ebenfalls zu berühren und gleichsam zu küssen, einen Tropfen siedenden Öles auf die rechte Schulter des Gottes fallen. Weh dir, du dreiste, verwegene Lampe, du, sonst der Liebe niedere Gehilfin, du wagst es, den Herrn des ganzen Feuers selbst zu versengen? Und doch war's sicherlich irgendein Liebhaber, der dich zuerst erfunden hat, um länger auch des Nachts den ersehnten Anblick der Geliebten genießen zu können!

Vor Schmerz sprang der Gott auf: ein Blick zeigte ihm, wie schändlich sie ihr Wort gebrochen, und ohne ein Wort flog er sofort aus den Augen und Armen der unglücklichen Gattin davon. Wohl suchte sie im ersten Augenblick mit beiden Händen den rechten Fuß des Auffahrenden zu umklammern und so, ein Häuflein Jammer, sein Entfliegen aufzuhalten; und selbst als er durch die Wolkenregionen aufwärts stieg, hielt sie sich schwebend fest; aber ermattet mußte sie endlich loslassen und sank zu Boden.

Doch auch der Gott brachte es nicht über sich, die am Boden liegende Geliebte so zu verlassen: er flog auf die nächste Zypresse, von deren hohem Wipfel aus er, selbst tief erschüttert, also zu ihr sprach: »O einfältige Psyche, nicht achtend der Befehle meiner Mutter Venus, die geboten hatte, dich der Leidenschaft für einen elenden, unwürdigen Menschen auszuliefern und so zu niedrigster Ehe zu verdammen, bin ich lieber selbst auf Flügeln der Liebe zu dir geeilt. Aber ein Tor war ich, ich weiß es, ein netter Schütze, der sich selbst verwundet! So macht' ich dich zu meiner Gattin, auf daß du ein Untier in mir sehest und mir das Haupt abzuschlagen suchtest, mein Haupt mit diesen, ach! so sehr in dich verliebten Augen! Das war's ja, wovor ich immer dich gewarnt, was ich dir immer auf die Seele band, und meinte es so gut! Aber deine Schwestern, die trefflichen Ratgeberinnen, sollen mir augenblicks für ihre verderblichen Lehren büßen; deine Strafe aber soll nur in meiner Flucht bestehen.« Und mit den letzten Worten schon schwang er sich hoch in die Lüfte fort.

Psyche aber verfolgte am Boden hingestreckt, soweit es möglich war, unter den heftigsten Klagen den Flug ihres Gemahls. Aber als die unermeßliche Höhe, zu der ihn sein Flügelpaar emporgetragen, ihn ihren Blicken entrückt hatte, da stürzte sie sich in jähem Sprunge in den nächsten Fluß. Doch der milde Flußgott trug sie zu Ehren des furchtbaren Gottes, der selbst das Wasser in Brand zu setzen pflegt, sogleich in sanftem Wirbel dahin und setzte sie an einer blumigen Wiese ans Land, wo eben Pan, der ländliche Gott, die Bergnymphe Echo im Arme, am Uferhange saß und diese darin unterwies, Rufe aller Art im melodischen Widerhalle zurückzugeben. Zunächst am Ufer weideten da und dort im munteren Spiele seine Ziegen und rupften das saftige Laub ab.

siehe Bildunterschrift

Amor und Psyche.
Statue nach Photographie

Der bocksfüßige Gott rief die liebeswunde und erschöpfte Psyche, deren Schicksal ihm ja nicht unbekannt war, gnädig zu sich her und suchte sie mit sanften Worten also zu trösten: »Du artiges Mägdlein, ich bin zwar nur ein bäurischer Schäfer, aber dank meinem hohen Alter reich an Erfahrung. Wenn ich deinen schwankenden und unsicheren Schritt, die Leichenblässe deines Antlitzes, dein beständiges Seufzen und auch deinen traurigen Blick richtig deute, (Prophetengabe nennen's kluge Männer), so muß ich sagen, du leidest an übergroßer Liebe. Nun höre auf mich: versuche nicht zum zweiten Male durch einen Sturz oder anderen freiwilligen Tod deinem Leben selbst ein Ende zu machen. Nein, lege die Trauer ab und laß den Gram, bete lieber zu Amor, dem größten der Götter, und suche dir durch Schmeicheln und Gehorsam die Gnade eines so verwöhnten, üppigen Jünglings, wie er es ist, zu verdienen.«

So sprach der Hirtengott. Ohne ein Wort der Erwiderung sprach Psyche nur ein stilles Gebet an den hilfreichen Gott und ging ihres Weges weiter. Müden Schrittes hatte sie so auf unbekannten Pfaden ein ziemliches Stück Weges ziellos durchwandert, da kam sie gegen Abend in eine Stadt, wo der Gemahl ihrer einen Schwester als König herrschte. Als Psyche dies erfahren, bekam sie Lust, sich bei ihrer Schwester melden zu lassen; man führte sie sogleich zu ihr, und nach den ersten Umarmungen und Begrüßungen fragte die Schwester nach dem Grunde ihres Besuches, darauf begann sie also: »Du erinnerst dich noch an den Rat, den ihr mir gegeben, ich solle das Untier, das sich für meinen Gemahl ausgab und mein Lager teilte, mit scharfem Messer umbringen, ehe es mich Ärmste mit seinem gefräßigen Rachen verschlänge. Aber als ich – wie ausgemacht – beim Scheine der Lampe (meiner Verbündeten), zum erstenmal sein Gesicht erblickte, da gewahrte ich ein wunderbares, wahrhaft göttliches Schauspiel: Amor selbst, der leibhaftige Sohn der Venus, lag in ruhigem Schlummer vor mir da. Während mich nun das herrliche Schauspiel im Innersten bewegte, so daß ich vor übergroßer Wonne – denn das war mehr Glück, als ich tragen konnte – fassungslos dastand, da wollte es der böse Zufall, daß ein Tropfen siedenden Öles aus der Lampe auf seine Schulter fiel. Vor Schmerz fuhr er aus dem Schlafe auf, und wie er mich mit dem Licht und der Waffe dastehen sah, rief er: »Hebe dich sofort hinweg von meinem Lager zur Strafe für deine Untat, – wir beide sind geschiedene Leute. Ich aber werde mich gleich mit deiner Schwester – und dabei nannte er deinen vollen Namen – in rechtsgültiger Ehe vermählen. Dann gab er sogleich dem Zephir den Befehl, mich durch die Luft über die Grenzen seines Palastes davonzutragen.«

Noch hatte Psyche nicht ausgeredet, als jene von wahnsinniger Gier und neidischer Bosheit getrieben rasch ein Schiff bestieg und sofort zu jenem Felsen fuhr. Ihrem Gemahl hatte sie vorher eine geschickt ersonnene Geschichte vorgelogen, wonach sie vom Tode ihrer Eltern Kunde erhalten hätte. Und wiewohl ein ganz anderer Wind wehte, rief sie doch, vor Gier und Hoffnung verblendet: »Nimm mich hin, Amor, als würdige Gattin«, und mit den Worten: »Zephir, fang deine Herrin auf«, stürzte sie sich mit jähem Sprunge in die Tiefe. Aber sie sollte ihr Ziel nicht einmal tot erreichen; ihre Glieder wurden bei dem wilden Sturze an den Felszacken zerschmettert, und das Fleisch ihres Leibes wurde, wie sie's verdiente, zerrissen. So umgekommen lag sie da, den Vögeln und wilden Tieren zum Fraß.

Auch die Bestrafung der zweiten Schwester ließ nicht lange auf sich warten. Psyche kam im weiteren Verlauf ihrer Irrfahrt in eine andere Stadt, wo die andere Schwester in gleicher Stellung lebte. Auch diese ließ sich gleichermaßen durch die trügerische Maske schwesterlicher Liebe täuschen, auch sie eilte, eifersüchtig auf die ruchlose Schwester und deren Vermählung auf den Felsen, um dort ein ähnlich entsetzliches Ende zu finden.

 

Fünftes Kapitel

Während nun Psyche auf der Suche nach Amor die Welt durchwanderte, lag jener stöhnend über die Qualen seiner Wunde, die ihm die Lampe beigebracht, im Gemach seiner Mutter. Da tauchte jener Vogel, der mit seinen Schwingen über die Fluten der See hinstreift, die schneeweiße Möwe, eilig zum tiefen Schoß des Ozeans hinab, wo eben Venus badete, trat neben die Schwimmende und zeigte ihr an, daß ihr Sohn an einer schmerzhaften Brandwunde darniederliege, er verzehre sich in Gram und Verzweiflung, und bereits seien bei allen Völkern böse Gerüchte und Lästerreden über Venus und ihre ganze Familie im Umlauf: »Ihr beide«, heißt es, »hättet euch vor der Welt zurückgezogen, jener zu einem Liebchen in die Berge, du aber ins Seebad an den Ozean; darum sei alle Freude, Anmut und Grazie aus der Welt geschwunden und alles in Häßlichkeit, Roheit und Graus versunken, es gebe keine echten Ehen, wahre Freundschaft und Kinderliebe mehr, nur schändliche Orgien und schmutzige, abstoßende Gemeinheit finde man allenthalben.« Mit solchem Geplapper lag der geschwätzige, vorwitzige Vogel Venus im Ohre, um den Sohn bei ihr anzuschwärzen. Aber in hellem Zorn rief die Göttin: »Also hat mein trefflicher Herr Sohn schon ein Liebchen? Wohlan, du einzig treue Dienerin, heraus mit dem Namen der Verführerin, die mir den schwachen, unreifen Knaben verlockt hat, sie sei aus dem Volke der Nymphen oder aus der Zahl der Horen, aus dem Chore der Musen oder aus der dienstbaren Schar meiner Grazien!« Da schwieg der schwatzhafte Vogel nicht, sondern sagte: »Herrin, ich weiß es nicht; ich glaube, er ist bis über die Ohren in ein Mägdlein verliebt, Psyche heißt sie, wenn ich mich recht erinnere.« Venus aber rief in höchster Empörung: »Liebt er wirklich Psyche, die anmaßende Nebenbuhlerin meiner Schönheit und meines Namens, ei fürwahr, so hat mich das Bürschlein für eine Kupplerin geachtet, als hätt' ich ihm die Dirne damals nur gezeigt, um seine Bekanntschaft mit ihr anzubahnen!«

Mit lautem Schelten tauchte sie rasch aus dem Meere empor und eilte schnurstracks in ihr goldnes Gemach, wo sie ihren Knaben, ganz wie sie es vernommen hatte, krank fand. Schon an der Türe schrie sie ihn mit lauter Stimme an: »Saubere Geschichten! Das paßt ja recht nett zu unserer Familie und zu deiner bisherigen Bravheit, daß du die Weisungen deiner Mutter, ja deiner Herrin mit Füßen trittst: anstatt meine Feindin in die Qualen einer gemeinen Liebe zu verstricken, hast du sie vielmehr, du unreifer Junge, in verfrühter Leidenschaft selbst in deine Arme geschlossen. Ich soll mir wohl gar meine Feindin als Schwiegertochter gefallen lassen! Du bildest dir jedenfalls ein, du windiger Schwätzer und Schürzenjäger, du seiest der einzige Prinz, und ich sei schon zu alt, um noch Kinder zu bekommen! So wisse denn, daß ich einem andern Sohn das Leben geben werde, der weit besser ist als du; oder nein – du sollst noch schimpflicher behandelt werden: ich werde eines der Sklavenbübchen aus dem Hause adoptieren und dem deine Flügel und Fackeln, selbst Bogen und Pfeile, kurz deine ganze Ausrüstung, die du ja durchweg von mir, nicht von deinem Vater hast, schenken, denn zu solchem Treiben war sie dir nicht gegeben! Von klein auf bist du ja ein mißratener Junge gewesen, dem es oft genug in den Fingerspitzen prickelte, unehrerbietigerweise die eigenen Eltern und Großeltern zu verwunden; ja selbst mich, deine Mutter, stellst du immer wieder bloß, du Bösewicht! Wie oft traf mich dein Pfeil! Du hast eben nicht den geringsten Respekt vor mir, als wär' ich eine hilflose Witwe; selbst vor deinem Stiefvater, dem gewaltigen Kriegshelden Mars, der sonst als Liebhaber der Venus gilt. Amor gilt meist als Sohn Jupiters oder auch Vulkans., hast du keine Angst. Wie solltest du auch? dem pflegst du ja, mir zum Verdruß, immer mit Dirnen aufzuwarten. Aber warte nur, ich werde noch dafür sorgen, daß du ein Haar in diesem Spiele findest und daß auch bei deiner Liebe der bittersaure Nachgeschmack nicht ausbleibe! Mich so zum besten zu haben! Wenn ich nur gleich wüßte, was tun und wohin mich wenden, damit ich den schlauen Spitzbuben festhalten kann! Soll ich bei meiner frostigen Feindin, der Nüchternheit, Hilfe holen, die ich gerade durch diesen mutwilligen Knaben sooft gekränkt habe? Nein, mir graut davor, mich persönlich an das häßliche, schäbige Frauenzimmer zu wenden. Und doch, Rache ist süß, gleichviel, woher sie kommt. Sie vor allem gilt es beizuziehen, damit sie den Windbeutel tüchtig plage, sie soll ihm Köcher und Pfeile rauben, die Sehne vom Bogen losmachen und die Fackel auslöschen, und ihn auch am eigenen Leibe mit einer energischen Kur behandeln! Dann erst will ich den mir angetanen Schimpf als gesühnt ansehen, wenn sie ihm die Locken, die ich so oft eigenhändig mit goldenem Glanze geschmückt, abgeschoren, wenn sie die Flügel, die ich ihm auf meinem Schoße mit Nektar beträufelt, gestutzt hat!«

Nach diesen Worten stürzte die Göttin zur Türe hinaus, voll Zorn und Galle, wie nur Venus hassen kann. Da begegneten ihr Ceres und Juno, und wie sie ihr böses Gesicht sahen, fragten sie, warum sie den holden Glanz ihrer Augen durch diese finstere Miene trübe. Doch Venus erwiderte: »Gut, daß ich euch treffe, ich bin ganz außer mir vor Zorn, und ihr könnt mir einen Gefallen erweisen. Helft mir, ich bitt' euch, mit all euren Kräften die Psyche, die flüchtige Landstreicherin, suchen. Ihr habt ja gewiß auch schon vom Skandal in meinem Hause und den unglaublichen Streichen meines Herrn Sohnes vernommen.«

Natürlich wußten jene von allem, suchten aber den leidenschaftlichen Zorn der Venus zu besänftigen: »Aber Verehrteste, was hat denn dein Sohn so Schlimmes verbrochen, daß du seine Vergnügungen so hartnäckig bekämpfst und sein Liebchen sogar zu verderben begehrst? Und fürwahr! was ist denn eigentlich Schlimmes dabei, wenn das nette Mädchen seinen Beifall gefunden hat? Ist er doch ein junger, kräftiger Mann! Oder hast du die Zahl seiner Jahre vergessen und glaubst, weil er alle Zeit gleich hübsch geblieben, er sei immer noch ein Knabe? Du, seine Mutter und sonst eine so gescheite Frau, willst noch immer die Liebeleien deines Sohnes ausspionieren und ihm Vorwürfe machen, wenn er einmal über die Schnur haut, und jede Liebschaft unterdrücken? Willst du deine eigenen galanten Künste bei dem schönen Jungen tadeln? Götter und Menschen werden sich gleichermaßen dagegen empören, daß du, die über die ganze Welt die Saat der Leidenschaften ausstreut, im eigenen Hause den Liebenden die Liebe verwehrst und den Zauber, dem kein Weib widerstehen kann, aus der Welt aussperrst.«

So schmeichelten jene dem abwesenden Amor aus Angst vor seinen Pfeilen und wollten aus Gefälligkeit seine Sache führen. Venus aber war empört, daß man die Beleidigung, die ihr widerfahren, so lächerlich nehme, ließ die beiden stehen und schlug rasch den Weg nach dem Meere zu ein.

 

Sechstes Kapitel

Unterdessen irrte Psyche in rastlosen Wanderungen umher. Tag und Nacht gönnte sie sich keine Ruhe auf der Suche nach ihrem Gemahl, fest entschlossen, wenn es ihr nicht gelinge, durch schmeichelnde Liebkosungen des Gatten Zorn zu besänftigen, so doch wenigstens durch demütige Bitten ihn gnädiger zu stimmen. Da sah sie von ferne einen Tempel auf dem Gipfel eines steilen Berges und gleich dachte sie: »Ob vielleicht mein Herr und Gebieter dort weilt?« Eilends lenkte sie ihre Schritte dorthin; Hoffnung und Sehnsucht beflügelten ihren von den beständigen Mühsalen ermatteten Fuß. Nachdem sie so eifrig sich den steilen Abhang hinangearbeitet hatte, trat sie ins Allerheiligste. Vor den Göttersitzen sah sie Weizen- und Gerstenähren auf einem Haufen und andere zu Kränzen gewunden, ferner auch Sicheln und allerlei Erntegeräte. Aber alles lag in Unordnung durcheinander am Boden, wie eben die Arbeiter es in der Mittagshitze aus den Händen geworfen hatten. Da ging Psyche hin, suchte alles sorgsam auseinander und legte dann jegliches für sich in gehöriger Ordnung zusammen. Denn sie dürfe, dachte sie, keines Gottes Heiligtum und Brauch vernachlässigen, sondern müsse die Barmherzigkeit und Gnade aller erflehen.

Emsig in diese Arbeit vertieft fand sie Ceres, die hehre Göttin, und rief schon von weitem: »Ist's möglich, die arme Psyche? Venus läßt voll Wut die ganze Erde aufs schärfste nach deiner Spur durchsuchen, wünscht dir die schlimmsten Qualen anzutun und setzt ihre ganze göttliche Kraft daran, sich an dir zu rächen, du aber mühst dich in meinem Dienst und kannst noch an irgend etwas anderes denken als an deine Rettung?«

Da warf sich Psyche vor ihr auf die Knie, daß ihre strömenden Tränen die Füße der Göttin netzten und ihr Haar den Boden fegte. Und mit inbrünstigen Bitten flehte sie um Gnade: »Bei deiner fruchtspendenden Hand und deinen frohen Erntebräuchen, erhöre mein Flehen! Bei den geheimen Symbolen deiner Mysterien und dem geflügelten Wagen der Schlangen Eleusis, wo Demeter-Ceres den Ackerbau zuerst gelehrt haben, und Sizilien, wo der Raub der Proserpina stattgefunden haben sollte, sind Hauptstätten des Demeterdienstes. Mit leuchtender Fackel war die Göttin über die Erde gewandert, die durch Plutos Raub entrissene Tochter zu suchen; auf einem mit geflügelten Schlangen bespannten Wagen bringt sie den Menschen den Getreidebau. Darstellungen vom Raub der Proserpina, den Irrfahrten der Mutter, dem Wiederaufstieg der Tochter zur Oberwelt mögen auch in den eleusinischen Mysterien den Mittelpunkt der Feier gebildet haben., die dir dienen, bei Siziliens pflugdurchfurchter Ackerscholle, bei dem Wagen, der Proserpina entführte, und der Erdentiefe, die sie festhielt, bei ihrem Abstieg zur düstern Hochzeit und bei deiner Tochter Wiederkehr und Wiederfindung durch deiner Fackel Licht, bei allem, was sonst noch mit heiligem Schweigen deckt das attische Eleusis, – o hilf der armen Psyche, die hier in Demut vor dir kniet! Laß nur ein paar kurze Tage mich hier zwischen deinen Getreidehaufen versteckt halten, bis der wilde Zorn der gewaltigen Göttin durch die Länge der Zeit milder wird oder wenigstens meine von langer Mühsal erschöpften Kräfte sich durch eine Ruhepause wieder erholt haben.«

Ceres erwiderte ihr: »Deine Bitten und Tränen rühren mich, und ich möchte dir gerne helfen, aber ich kann es nicht mit meiner Muhme, der guten Frau, mit der mich auch alte Freundschaft verbindet, verderben. Drum weiche alsbald aus diesen Hallen und sei noch froh, daß ich dich nicht festhalte und in Gewahrsam nehme.«

So sah Psyche ihr Hoffen zurückgewiesen. Doppelt gramvoll lenkte sie ihre Schritte zurück, als sie tief unten im Tal durch die Lichtung eines Haines einen anderen Tempel von kunstvoller Bauart erblickte; und da sie keine noch so unsichere Hoffnung auf besseren Erfolg aufgeben, vielmehr jeden Gott um Gnade angehen wollte, näherte sie sich den geheiligten Toren. Sie sah dort kostbare Gaben und mit goldenen Inschriften bemalte Bänder an den Ästen der Bäume und Türpfosten aufgehängt, die mit dem Dank für eine Wohltat den Namen der Gottheit, der sie geweiht waren, kundtaten. Da ließ sie sich auf die Knie nieder, trocknete ihre Tränen und mit den Händen den noch warmen Altar umschlingend sprach sie folgendes Gebet:

»O Schwester und Gemahlin des großen Jupiter Samos und Argos Hauptstätten des Heradienstes in Griechenland. Die semitische Stadtgöttin von Karthago, Tanith, wurde als »Himmelsjungfrau« nach Vergils Vorgang häufig mit Hera-Juno gleichgesetzt. Sie wurde auf einem laufenden Löwen sitzend dargestellt., magst du in Samos' uraltem Heiligtume weilen, der Stätte, die sich deiner schmerzensreichen Geburt rühmt, die dein erstes Lallen vernahm und dich aufwachsen sah; magst du des hohen Karthagos selige Sitze aufsuchen, das dich ehrt, seitdem ein Löwenwagen dich, die Himmelsjungfrau, zu den Sternen trug; magst du an des Inachos Ufern, der dich schon des Donnerers Gemahlin und Himmelskönigin nennt, in Argos' hoch berühmten Mauern thronen; du Hehre, die das ganze Morgenland als Schützerin der Ehe verehrt, das ganze Abendland als Göttin der Geburten preist, o sei auch mir in meiner schweren Not Juno die Retterin! Und wie du sonst wohl Frau'n in ihrer schweren Stunde oft schon ungerufen halfst, ich weiß es, so erlöse auch mich nach so viel ausgestandener Not aus aller Angst und Gefahr!«

Also flehte sie, da erschien ihr sogleich Juno leibhaftig in ihrer ganzen erhabenen Majestät und sprach: »Wahrhaftig, wie sehr wünscht' ich, ich könnte mein Haupt gewährend neigen deinem Flehen! Aber gegen den Willen meiner Schwiegertochter Venus zu handeln, die mir immer lieb wie eine Tochter war, das bringe ich nicht über mich. Zudem halten mich auch die Gesetze zurück, so da verbieten, flüchtigen Sklaven ohne Genehmigung ihrer Herren Aufnahme zu gewähren!«

 

Siebentes Kapitel

So war Psyches Glücksschifflein abermals gescheitert. Verschüchtert, außerstande ihren geflügelten Gemahl wiederzuerlangen, gab sie alle Hoffnung auf und ging also mit sich selbst zu Rate: »Wo könnte ich in meinem Herzeleid noch weiter Hilfe suchen oder finden, wenn nicht einmal Göttinnen bei allem guten Willen mir durch ihre Fürsprache nützen konnten? Wo soll ich nun wieder meine Schritte hinlenken, ohne mich in neue Schlingen zu verstricken? Unter welchem Dach, in welchem dunkeln Winkel kann ich mich verbergen, um den allsehenden Augen der großen Venus zu entgehen? Nein, Psyche, sei mutig wie ein Mann! Da der letzte Hoffnungsschimmer geschwunden ist, so gib's entschlossen auf: stelle dich freiwillig deiner Herrin, vielleicht kann nachträgliche Fügsamkeit, ihren wilden Zorn noch besänftigen. Wer weiß, ob du nicht den lang Gesuchten dort im Hause seiner Mutter findest?« So auf gefahrvollen Gehorsam, nein auf sicheres Verderben gefaßt, überlegte sie noch, mit welchen Worten sie ihre eindringlichen Bitten einleiten solle.

Aber Venus war der Nachforschung mit irdischen Mitteln müde geworden und gab Befehl, ihr zur Himmelsfahrt den goldenen Wagen zu rüsten. Das war ein Kunstwerk von feinster Arbeit und kostbarster Politur, Vulkans Hochzeitsgeschenk, an dem der göttliche Goldschmied selbst die Zierate gefeilt und getrieben und das Gold nicht gespart hatte. Vier schneeweiße Tauben kamen aus der zahlreichen Menge, die rings um das Schlafgemach der Herrin nistet, freudig hervorstolziert, und die gesprenkelten Hälschen hin und her drehend spannten sie sich unter das juwelenbesetzte Joch. Kaum hatte die Herrin den Wagen bestiegen, hoben sie sich froh in die Lüfte. Mutwillige Sperlinge gaben dem Gefährt mit lebhaftem Zwitschern das Geleit, und mit süßtönenden Weisen verkündeten Singvögel das Nahen der Göttin. Die Wolken teilten sich, die Pforten des Himmels taten sich seiner Tochter auf, und freudig empfing der lichte Äther die hohe Göttin, deren sangesreiches Gesinde mit nach oben zog ohne Furcht vor den räuberischen Falken und Adlern der Luft.

Venus begab sich sogleich in den Palast Jupiters und verlangte nichts Geringeres von ihm, als daß er ihr die Dienste des Merkur, des redegewandten Gottes, ohne den sie ihren Zweck nicht erreichen könne, zur Verfügung stelle. Und wirklich: Jupiter »nickte mit dunkeln Brauen Gewährung« Nach Ilias I, 528.. Sogleich schwebte Venus in Merkurs Begleitung frohlockend vom Himmel hernieder; dabei redete sie eifrig auf ihn ein: »Mein lieber Bruder aus Arkadien, deine Schwester Venus hat nie etwas ohne deinen Beistand vollbracht, das weißt du. Auch jetzt ist es dir jedenfalls nicht entgangen, daß eine meiner Mägde sich schon lange verborgen hält, so daß ich sie nirgends finden kann. Es bleibt also nichts übrig als öffentlich eine Belohnung auf ihre Auffindung zu setzen, die du durch Heroldruf aller Welt bekanntmachen mußt. Vollziehe also rasch meinen Auftrag und gib ja ihre besonderen Kennzeichen recht deutlich an, damit nicht Unkenntnis vorschützen kann, wer sich etwa des Verbrechens, sie unerlaubterweise verborgen zu halten, schuldig macht.«

Mit diesen Worten überreichte sie ihm einen Zettel, der Psyches Namen und das Weitere enthielt, darauf kehrte sie nach Hause zurück.

Merkur vollzog alles getreulich; er eilte durch alle Völker hin und waltete überall des Heroldamts, wie ihm befohlen: »Wenn jemand«, so rief er, »die entlaufene Magd der Venus, eine Königstochter, namens Psyche, zurückbringen oder ihr Versteck nachweisen kann, so verfüge er sich zu Merkur, dem Ausrufer hinter der Venuskapelle am Zirkus Ein römischer Lokalscherz: innerhalb des Zircus Maximus lag ein Heiligtum der Murcia, die man als » Myrtea« der Venus gleichsetzte; dahinter, gegen den Aventin hin, lag der Tempel des Merkur., all wo er als Belohnung für die Anzeige von Venus persönlich sieben süße Küsse und ein extra süßes Schmätzchen als Zugabe entgegennehmen darf.«

Das war der Wortlaut der Verkündigung. Kein Wunder, daß alle Menschen vor Begierde brannten, sich solchen Preis zu verdienen, und um die Wette suchten. Dadurch war nun vollends allem Zaudern Psyches ein Ende gemacht. Als sie vor die Türe ihrer Herrin kam, begegnete ihr eine aus der Dienerschaft der Venus, mit Namen »Liebelei«, die fuhr sogleich mit lautem Geschrei auf sie los: »Du lüderliche Magd, hast du endlich begriffen, daß du eine Herrin hast? Oder willst du etwa, unverschämt wie du in allem bist, noch so tun, als wüßtest du gar nicht, wieviel Not und Mühe wir mit der Suche nach dir gehabt haben? Aber gut, daß du gerade mir in die Hände gefallen bist, das ist so gut als hätte dich der Teufel selbst am Kragen! Warte nur, im Augenblick wirst du für deinen Trotz gestraft sein!« Und damit fuhr sie ihr derb in die Haare und zerrte sie nach fruchtlosem Widerstand ins Haus hinein.

Kaum hatte Venus die Ärmste vor sich erblickt, da ließ sie ein höhnisches Lachen vernehmen, aus dem ihre ganze grimmige Wut hervorklang, dann brach sie, mit allen Gebärden des Zornes sich schüttelnd, in die Worte aus:

»Hast du endlich geruht, deine Schwiegermutter zu begrüßen? Oder wolltest du lieber nur deinem Gemahl einen Besuch machen, der noch an der gefährlichen Wunde von dir darniederliegt? Aber sei nur ruhig: ich will dich jetzt so empfangen, wie es einer guten Schwiegertochter gebührt.« Und damit rief sie: »Wo sind meine Mägde Kümmernis und Herzeleid?« Die beiden wurden hereingeholt, und Venus übergab ihnen Psyche zur Folterung. Die befolgten denn das Gebot der Herrin getreulich und setzten der armen Psyche mit Peitschenhieben und anderen Martern gar hart zu. Dann brachten sie sie wieder vor die Gebieterin. »Ei sieh,« sagte diese abermals hohnlachend, »nun will sie uns rühren und durch das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, unser Mitleid erwecken, ein prächtiges Kerlchen natürlich, das mich zur glücklichen Großmutter machen soll. Welch ein Glück fürwahr, daß ich schon in der Blüte meiner Jahre mich Großmutter nennen lassen und der Sohn einer niederen Magd mein Enkel heißen soll! Doch wie töricht und sinnlos, ihn überhaupt einen Sohn des Hauses zu nennen! Denn eine ungleiche Heirat, die zudem in einem Landhaus ohne Zeugen und Einwilligung des Vaters geschlossen ist, kann nicht als rechtmäßige Ehe gelten; folglich wird dein Kind als Bastard zur Welt kommen, – wofern wir dich überhaupt die Geburt überstehen lassen werden.«

Und nach diesen Worten fuhr sie auf Psyche los, riß ihr das Kleid in Fetzen, zauste ihr die Haare und schlug ihr ins Gesicht.

Nach diesen schweren Mißhandlungen nahm sie Körner von Weizen, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen, schüttete alles zu einem hohen Haufen durcheinander und wandte sich dann an Psyche: »Eine so häßliche Magd, wie du bist, kann sich allerdings nur durch dienstwilligen Fleiß Liebhaber verschaffen; so will ich denn deine Tüchtigkeit auch einmal auf die Probe stellen. Hier liegen Sämereien aller Art durcheinandergemengt vor dir, die lies mir auseinander und ordne sie, daß immer Häuflein gleicher Körner hübsch für sich beisammen liegen. Noch vor Abend mußt du damit fertig sein und mir vorlegen, was du geschafft hast.«

Darauf begab sie sich zu einem Hochzeitsmahle. Psyche stand erst sprachlos vor Entsetzen über diese ungeheuerliche Forderung vor dem unentwirrbaren, riesigen Haufen und wagte es nicht, auch nur eine Hand daran zu legen. Da kam die kleine Feldameise herbei, von Mitleid mit der Geliebten des großen Gottes erfaßt. Die fühlte sich solch schwerer Arbeit gewachsen; unter Verwünschungen auf die böse Schwiegermutter trippelte sie voll Eifer hierhin und dorthin, um das ganze Heer der Ameisen aus der Nachbarschaft mit Bitten und Drängen zusammenzurufen: »Erbarmt euch, ihr flinken Kinder der Allmutter Erde, erbarmt euch und eilt Amors Gemahlin, dem hübschen Mägdlein, in seiner Not mit behender Tat zu Hilfe!« Da stürzte ein Strom des sechsfüßigen Völkleins, Woge auf Woge herein, eifrig nahm jede ein Korn, und so trugen sie den großen Haufen auseinander. Nachdem sie dann jede Art für sich geordnet und zusammengetan hatten, machten sie sich hurtig wieder davon.

Erst spät abends kam Venus vom festlichen Mahle in heiterer Weinlaune zurück; eine Wolke von Wohlgerüchen umhüllte den Leib, den schimmernde Rosenketten umkränzten. Kaum hatte sie die wundersam fleißige Arbeit erblickt, da rief sie: »Das ist nicht dein und deiner Hände Werk, Nichtswürdige, sondern dessen, der zu deinem und seinem eigenen Nachteil Gefallen an dir gefunden!« Dann warf sie ihr ein Stück grobes Schwarzbrot hin und begab sich zur Ruhe.

Unterdessen saß Amor einsam in einem einzigen kleinen Zimmer im Innersten des Hauses, eingesperrt und scharf bewacht, damit er nicht durch mutwillige Streiche seine Wunde verschlimmern noch auch mit seiner Geliebten zusammenkommen könne. So waren die Liebenden zwar unter einem Dache, aber sie verbrachten getrennt und voneinander ferngehalten eine schlimme Nacht.

Beim ersten Schimmer der Morgenröte rief Venus die Psyche vor sich und sprach zu ihr: »Siehst du dort den Hain, der auf eine weite Strecke hin von den Wellen des Flusses bespült wird? Nahe bei seinen tiefwirbelnden Fluten siehst du im Tale eine Quelle, dort weiden Schafe mit goldglänzendem Vließe frei umher. Hole mir sogleich eine Flocke der kostbaren Wolle – wie du dazu kommst, ist deine Sache.«

Willig machte sich Psyche auf den Weg, freilich nicht um gehorsam den Auftrag zu vollziehen, sondern entschlossen, sich vom Felsen in den Fluß zu stürzen und so Erlösung von ihren Leiden zu finden. Doch horch, da klingt's vom Flusse her wie süße Melodien, und vom sanften Windhauch leise bewegt läßt sich das grüne Schilfrohr prophetisch also vernehmen: »Psyche, du Schwergeprüfte, entweihe meine heiligen Fluten nicht durch jammervollen Selbstmord! Aber hüte dich auch, zu dieser Stunde deine Schritte zur furchtbaren wilden Herde zu lenken, wo ihr die heiße Sonne ihre Gluten leiht; denn da pflegen die Tiere von Tollwut befallen mit spitzem Horn, steinharter Stirn, ja manchmal selbst mit giftigen Bissen die Menschen anzufallen und tödlich zu verletzen. Warte, bis am Nachmittag die Hitze sich gelegt hat und die Herde in der lieblichen Kühlung, die vom Flusse aufsteigt, ausruht; so lange magst du dich unter der hohen Platane dort verstecken, die mit mir aus dem gleichen Flusse trinkt. Sobald dann, die Wut der Schafe verflogen und ihre Stimmung sanfter geworden ist, brauchst du nur die dichtbelaubten Büsche im nahen Hain zu schütteln, um überall die an den Zweigen hängen gebliebenen Goldflocken zu bekommen.«

So zeigte das freundliche Schilfrohr der bekümmerten Psyche den Weg zur Rettung; sie hatte scharf hingehört und wußte nun gut Bescheid. Und da sie die Weisung ganz genau befolgte, konnte sie nach mühelosem Raube der Venus einen ganzen Schoß voll weichen, wolligen Goldes zurückbringen. Doch trug ihr auch die glückliche Vollbringung dieser zweiten gefahrvollen Arbeit, bei ihrer Herrin wenigstens, noch kein gutes Zeugnis ein, vielmehr zog Venus die Stirne kraus und sprach mit bitterem Lächeln: »Ich weiß es wohl, auch diesmal hat eigentlich ein anderer das Verdienst. Aber jetzt will ich ernstlich die Probe machen, ob du wirklich so ausnehmend tapfer und klug bist. Siehst du den steilen Berggipfel dort über jenem hohen Felsen? Aus schwarzer Quelle brausen finster dort die Wogen ins nahe Felsental, dort mischen sie ihr Wasser mit dem Stygischen Sumpf und nähren des Cocytus Styx und Cocytus sind Unterweltsflüsse. Siehe oben S. 157. dumpf brandenden Strom. Nimm hier dies Fläschchen, damit schöpfe mir dort oben an der Stelle, wo die Quelle sprudelnd hervorschießt, das eiskalte Naß und bring mir's schleunig herunter!«

Darauf gab sie ihr unter schweren Drohungen ein Fläschchen aus geschliffenem Kristall.

Psyche machte sich eiligen Schrittes nach der Höhe des Berges auf, in der Hoffnung, wenigstens ihr elendes Dasein dort zu enden. Aber als sie ganz nahe an jene Höhe herangekommen war, sah sie, wie ungeheuerlich und mörderisch die Schwierigkeiten der übernommenen Aufgabe waren. Vor ihr stieg ein riesiger Felsen schroff in die Höhe, dessen schlüpfriges Geröll jede Erklimmung unmöglich machte; der spie aus tiefem Krater schaurige Sprudel aus, die jäh aus dem düstern Schlund hervorbrechend den Abhang hinunterbrausten und in einem engen Felsenbette unsichtbar in den nahen Talkessel stürzten. Aus den Klüften des Gesteins zur Rechten und zur Linken krochen grausige Drachen mit langgestreckten Hälsen hervor, die mit ihren funkelnden, immer lauernden Augen ewige Wache hielten. Und nun fingen die heulenden Wasser selbst an, ihr den Weg zu wehren: »Hinweg!« erklang es von Zeit zu Zeit, und: »was tust du? paß auf! was hast du vor? nimm dich in acht!« und »flieh!«, »du bist des Todes«. Da stand Psyche ob der Unmöglichkeit ihres Beginnens förmlich versteinert, die Sinne schwanden ihr, die Wucht der unbezwingbaren Gefahr hatte sie dermaßen überwältigt, daß selbst der letzte Trost, die Tränen, versagten.

Aber den ernsten Augen der Vorsehung, der gütigen Göttin, entging die Not der unschuldigen Seele nicht: der königliche Vogel des hohen Jupiter, der räuberische Adler, kam plötzlich mit ausgebreiteten Schwingen herangeschwebt. Wie er einst auf Amors Geheiß den trojanischen Prinzen Ganymedes als Mundschenk für Jupiter gen Himmel getragen hatte, so wollte er auch jetzt in treuem Gehorsam dem Gotte dienen und brachte seiner Gemahlin in ihrer schweren Not zur rechten Zeit Hilfe. Er verließ des Himmelsgewölbes hohe Bahnen und, dem Mädchen zu Häupten schwebend, begann er: »Hoffst du wirklich in deiner Herzenseinfalt von der hochheiligen, tosenden Quelle auch nur einen Tropfen zu rauben oder sie überhaupt nur zu berühren? Hast du denn nicht davon gehört, daß vor diesen höllischen Wassern selbst die Götter und sogar Jupiter zurückbeben? daß, wie ihr bei der Macht der Götter, so diese bei der Majestät des Styx zu schwören pflegen? Doch gib nur das Fläschchen her!« Sogleich packte er es und eilte davon, es zu füllen. Die riesigen Schwingen auf und nieder neigend schwebte er zwischen den Rachen der züngelnden Drachen mit ihren dräuenden Zähnen und dreifach gespaltenen Zungen hindurch und fing bald rechts- bald linkshin sich wendend das Wasser auf. Zwar sträubten sich die Gewässer und wollten ihn unter drohenden Zurufen wegjagen, aber er wußte sich zu helfen: er gab sich für einen Diener der Venus aus, auf deren Befehl er das Wasser hole. Daraufhin wurde ihm der Zutritt williger gewährt.

So konnte Psyche freudigen Herzens das gefüllte Fläschchen in Empfang nehmen, um es eilends der Venus zu bringen.

Aber noch immer gelang es ihr nicht, das Herz der grimmigen Göttin gnädig zu stimmen, die ihr noch schwereres Unheil in Aussicht stellte und sie mit Unheil verkündendem Lächeln also empfing: »Mir scheint nach und nach, du bist eine Art Hexe; nur eine ganz verschlagene Zauberin konnte solche Aufgaben so brav ausführen. Aber den einen Dienst wirst du mir noch leisten müssen, mein Püppchen. Nimm hier die Büchse, die ich dir gebe, und verfüge dich damit geradewegs in die Unterwelt in den Totenpalast des Pluto selbst. Dann überreiche sie der Proserpina mit folgender Botschaft: Venus läßt dich bitten, du möchtest ihr ein klein wenig von deiner Schönheitssalbe schicken, sei's auch nur so viel, daß es knapp für einen Tag reicht; denn ihre eigene hat sie über der Pflege ihres kranken Sohnes ganz und gar aufgebraucht. Aber kehre ebenso rasch wieder zurück, denn ich muß mich damit schminken, weil ich zur Götterversammlung in den Olymp gehen will.«

Da merkte Psyche, daß nun erst recht ihr letztes Stündlein geschlagen habe; jeder täuschende Schleier war gefallen, und sie sah sich dem sofortigen sicheren Verderben gegenüber, da sie ja doch gezwungen wurde, bei lebendigem Leibe in die Hölle und zu den Geistern der Abgeschiedenen zu wandern! Aber ohne langes Zaudern bestieg sie einen sehr hohen Turm, um sich von dort in die Tiefe zu stürzen, das däuchte ihr der richtige und beste Abstieg zur Unterwelt. Aber da brach der Turm plötzlich in die Worte aus: »Arme Kleine, warum willst du so mit jähem Sprunge dein Leben enden? warum bei dieser letzten gefährlichen Arbeit so von vornherein dich verloren geben? Denn ist erst dein Geist einmal vom Körper getrennt, so wirst du freilich in die Tiefe des Tartarus kommen, aber von dort wird es keine Wiederkehr geben. Drum höre mich an: nicht weit von hier liegt Sparta, die hochberühmte Griechenstadt, und nahe dabei ganz abgelegen und versteckt Taenarum Vorgebirge an der Südspitze des Peloponnes (vgl. S. 140), wo der Eingang zur Unterwelt sein sollte.. Diesen Ort suche auf, man wird dir dort den Höllenschlund zeigen, dessen gähnende Tore sich auf einen unwegsamen Pfad öffnen. Hast du nur erst die Grenze der Oberwelt hinter dir, so vertraue dich diesem Pfade an, er wird dich geradewegs zum Palaste des Pluto führen. Aber nicht mit leeren Händen darfst du das dunkle Reich bis an dein Ziel durchschreiten, sondern mußt in jede Hand einen Kuchen aus Gerstenmehl und Honig nehmen und in den Mund zwei Heller. Wenn du ein gutes Stück des Todeswegs zurückgelegt hast, wirst du einen lahmen, mit Holz bepackten Esel samt einem gleichfalls lahmen Treiber antreffen, der dich bitten wird, ihm einige heruntergefallene Scheite zu reichen; doch ohne ein Wort zu reden, geh' an ihm vorüber. Gleich darauf wirst du an den Totenfluß kommen, an dem Charon seines Amtes waltet und jedem, der des Weges kommt, das Fährgeld abfordert, ehe er ihn in seinem geflickten Kahn übersetzt. So herrscht eben auch unter den Toten die Habsucht. Auch Charon und sogar ein so großer Gott, wie der Vater Pluto, tut nichts umsonst. Selbst ein armer Teufel muß, wenn er stirbt, sich Reisegeld verschaffen, und wenn zufällig kein Pfennig bei der Hand ist, ist ihm zu sterben nicht gestattet. Diesem schmutzigen Alten gib als Fährlohn den einen der beiden Heller, jedoch in der Weise, daß er ihn dir selbst aus dem Munde nimmt. Während der Überfahrt über den trägen Fluß wird dann der Leichnam eines alten Mannes angetrieben kommen, seine welken Hände zu dir aufheben und dich anflehen, ihn in den Kahn zu ziehen. Doch lasse dich nicht durch übel angebrachtes Mitleid erweichen. Und wenn du am andern Ufer eine Strecke weit gehst, werden ein paar alte Weiber dasitzen, die an einem Stück Tuch weben, und dich bitten, ein bißchen mit Hand anzulegen: aber auch damit darfst du dich nicht befassen. Denn alle diese Dinge und noch viele andere sind nur Fallstricke, die dir Venus gelegt hat, damit du wenigstens einen der beiden Honigkuchen fallen lassest. Aber so wertlos solch ein Brocken ist, halte ja seinen Verlust nicht für geringfügig, denn hast du selbst nur einen Kuchen verloren, so ist dir die Rückkehr zum Lichte dauernd verwehrt. Denn ein furchtbares Ungetüm, ein riesiger Hund mit drei gewaltigen Köpfen, bewacht beständig die Schwelle der düstern Halle Proserpinas und hütet Plutos öden Palast; wie Donner tönt sein Geheul, vor dem selbst die Toten, denen er doch nichts mehr anhaben kann, erbeben. Aber durch das Opfer eines einzigen Kuchens kannst du ihn kirre machen, daß er dich gerne vorbeiläßt, und du ohne weiteres zu Proserpina hineingehen kannst. Sie wird dich gütig und freundlich empfangen und dich auffordern, dich auf einem weichen Polster niederzulassen und ein leckeres Mahl zu genießen. Du aber setze dich auf den Boden und bitte nur um ein Stück Schwarzbrot, davon iß erst, dann melde den Zweck deines Kommens. Hast du dann das Gewünschte empfangen, so mache dich auf den Rückweg; kaufe dich von dem wütenden Hunde mit dem zweiten Kuchen los, ebenso gib dem habsüchtigen Fährmann den aufgesparten zweiten Heller. Wenn du dann seinen Fluß hinter dir hast, wirst du, den alten Weg getreulich verfolgend, wieder emporsteigen zum Reigen der himmlischen Gestirne. Vor allen Dingen aber laß dich davor warnen, die Büchse, die du trägst, zu öffnen oder irgend hineinzuschauen; laß deine Neugier nicht gelüsten nach dem köstlichen Schatze göttlicher Schönheit, den sie birgt!«

So sprach als wohlmeinender Prophet der Turm. Und Psyche machte sich unverzüglich auf nach Taenarum, nahm nach der Vorschrift die Münzen und Kuchen zu sich und trat die Höllenwanderung an. Schweigend schritt sie an dem lahmen Eseltreiber vorüber, gab dem Fährmann ihren Heller, ließ sich nicht durch das Flehen des heranschwimmenden Toten erweichen, hörte auch nicht auf die hinterlistigen Bitten der webenden Weiber, schläferte durch den hingeworfenen Kuchen die Wut des grausigen Hundes ein und trat ins Haus der Proserpina. Und auch dort wies sie den gastlich angebotenen behaglichen Sitz wie das reiche Mahl zurück, ließ sich vielmehr demütig zu Füßen der Göttin auf den Boden nieder und begnügte sich mit einem Stück gewöhnlichen Brotes. Als sie dann die Botschaft der Venus ausgerichtet, konnte sie sogleich die geheimnisvolle Büchse gefüllt und verschlossen in Empfang nehmen. Weit lebhafteren Schrittes trat sie den Rückweg an; mit dem zweiten Kuchen wurde dem bellenden Hunde das Maul gestopft, mit dem noch übrigen Heller der Fährmann bezahlt. So kam sie glücklich aus der Hölle zurück und konnte betend das himmlische Licht begrüßen. Indessen so sehr sie's drängte, ihren Dienst zu beenden, wurde sie doch von sträflicher Neugier ergriffen: »Wie töricht bin ich doch,« sprach sie zu sich, »ich trage das göttliche Schönheitsmittel in Händen, ohne mir auch nur ein ganz klein wenig davon zu nehmen! Vielleicht würde ich dann meinem schönen Geliebten wieder besser gefallen!« Gesagt, getan, sie öffnete die Büchse: aber diese enthielt kein Schönheitsmittel und überhaupt nichts Greifbares, sondern kaum war der Deckel der Büchse gelüftet, da entstieg ihr ein leibhaftiger Höllensohn, der Geist des tiefen Schlafes; der überwältigte Psyche, daß eine Wolke bleierner Betäubung all ihre Glieder einhüllte, und sie sogleich mitten auf dem Wege ohnmächtig zusammenbrach. So lag sie in seinem Bann unbeweglich, wie im Totenschlaf, da.

 

Achtes Kapitel

Unterdessen war die Wunde Amors vernarbt, und da er es nicht mehr aushalten konnte, andauernd fern von seiner Psyche zu sein, schlüpfte er durch das enge Fenster seines Gewahrsames hinaus; seine durch die lange Ruhe gekräftigten Flügel trugen ihn weit rascher voran, so daß er seine Psyche schnell erreicht hatte. Erst nahm er behutsam den Schlaf von ihren Augen und verschloß ihn wieder in die Büchse, dann weckte er Psyche durch einen ganz sanften Stich seines Pfeiles. »Siehst du,« sagte er, »zum zweiten Male wäre die Neugier dir fast zum Verderben geworden, mein armes Mädchen! Aber vorerst erledige brav den Auftrag meiner Mutter, für alles andere laß mich sorgen!« Mit diesen Worten hob der Liebende sich leichtbeschwingt in die Lüfte, während Psyche Proserpinas Geschenk rasch zu Venus trug.

Indessen verzehrte sich Amor vor Liebesweh, und die kummervollen Züge verrieten, wie sehr ihm vor der jähen Strenge seiner Mutter bangte. Da probierte er es wieder mit seinen alten Schlichen: mit eilenden Schwingen durchflog er die Höhen des Himmels, warf sich dem großen Jupiter zu Füßen und trug ihm seine Sache vor. Der aber tätschelte ihm die Wange, führte sein Händchen an den Mund und gab ihm einen herzhaften Kuß. Dann sagte er: »Mein Herr Sohn, du hast mir zwar niemalen die mir durch Götterbeschluß zuerkannten Ehren erwiesen, sondern mein Herz, das den Elementen und Gestirnen ihre Gesetze anweist, immer und immer wieder durch deine Pfeile verwundet und durch häufige irdische Liebesabenteuer befleckt, ja, du hast mich mit den Gesetzen zur Hebung der öffentlichen Zucht und Sittlichkeit in Konflikt gebracht und durch schimpfliche Buhlschaften meinen Ruf und Leumund geschädigt Im Original ist eines dieser Gesetze, das von Augustus gegebene Julische, ausdrücklich genannt. – Jupiter hat die Gestalt einer Schlange angenommen bei Proserpina, die des Feuers bei Aegina, des Adlers bei Asteria, des Schwans bei Leda, des Stiers bei Europa.; du warst es, der mich dazu brachte, meine erlauchten Züge in schnöde Gestalten von Schlangen und Feuer, von wilden Bestien und Vögeln und weidenden Rindern zu verwandeln. Aber trotzdem will ich in meiner gewohnten Milde, und weil du unter meinen Händen groß geworden bist, alle deine Wünsche erfüllen. Nur vergiß nicht, vor Nebenbuhlern auf der Hut zu sein! Zum Dank für meine Gnade sollst du mir die schönste Jungfrau, die gegenwärtig auf Erden lebt, verschaffen.«

Nach diesen Worten gibt Jupiter dem Merkur Befehl, sofort alle Götter zur Versammlung zu berufen mit der Ankündigung, daß etwaiges Fernbleiben mit einer Buße von 10 000 Silberlingen geahndet werde Wörtlich: 10 000 Sestertien [c. 180 M.]; entsprechend der Buße, welche säumige Senatoren bedrohte.. Da bekamen die Himmlischen Angst, und im Nu war der olympische Sitzungssaal gefüllt; dann begann Jupiter voll Hoheit von seinem erhabenen Throne aus also, während die Musen protokollierten Wieder eine scherzhafte Analogie mit dem römischen Senat, aber in den Worten des Apulejus kaum wiederzugeben. Die alte formelhafte Anrede an den Senat: »patres conscripti« wird aufgefaßt als: »die im Album senatorium, in der Senatsliste, eingetragenen Väter«; danach redet hier Zeus die Götter an: »Dei conscripti Musarum albo!« »Ihr Götter, die ihr im Verzeichnis der Musen eingetragen seid!«:

»Hochansehnliche Götterversammlung! Daß ich diesen jungen Mann da eigenhändig aufgezogen habe, wißt ihr alle. Jetzt, wo er aber zum Jüngling herangereift ist, gilt es meines Erachtens, seinem hitzigen Temperament gewissermaßen Zügel anzulegen; denn so kann es nicht weitergehen, daß er Tag für Tag durch Liebeleien und Verführungen aller Art sich ins Gerede bringt und seinen guten Ruf gefährdet. Wir müssen dem jungen Mann ein für allemal die Gelegenheit zu solchen Streichen nehmen, indem wir ihn in die Fesseln der Ehe schmieden. Ein Mädchen seiner Wahl, dem er sein Magdtum genommen hat, das soll er als rechtmäßig angetraute Ehegattin besitzen und in Psyches Armen ewige Liebesfreuden genießen.« Sodann wandte er sich an Venus und fuhr fort: »Auch du, meine Tochter, sei nicht böse! Du brauchst wegen dieser Ehe mit einer Sterblichen keine Angst für deine altadlige Familie und deren Stellung zu haben. Ich werde dafür sorgen, daß es keine Mißheirat gibt, sondern eine rechtlich vollgültige, standesgemäße Ehe.« Und sogleich erteilte er dem Merkur den Befehl, Psyche durch die Lüfte zu entraffen und in den Himmel zu bringen; und dort reichte er ihr einen Becher Ambrosia mit den Worten: »Trink, Psyche, und sei unsterblich! Nie wird Amor aus deinen Armen gehen; von nun an seid ihr in ewiger Ehe verbunden.«

Und nun wurde alsbald ein verschwenderisch reiches Hochzeitsmahl gerüstet. Den Ehrenplatz nahm der junge Ehemann ein, Psyche schmiegte sich an ihn, ebenso hatte auch Jupiter seine Juno neben sich, und danach folgten alle Götter und Göttinnen der Reihe nach. Der Becher mit Nektar wurde dem Jupiter von seinem Mundschenk Ganymedes, dem prächtigen Burschen, den andern von Bacchus kredenzt; Vulkan war der Koch; mit Rosen und anderen Blumen schmückten die Horen die Tafel, die Grazien besprengten alle mit balsamischen Wohlgerüchen. Die Musen ließen melodischen Gesang erschallen, und Apollo begleitete den eigenen Gesang mit der Leier. Nach dem Takte süßer Klänge wiegte sich Venus im lieblichen Tanze, ein Schauspiel, zu dem alle mitwirkten: die Musen sangen im Chor, ein Satyr spielte die Flöte, und ein kleiner Pan ließ sich auf der Schalmei vernehmen.

So wurde Psyche dem Amor feierlich angetraut, und bald gebar sie dem Gatten eine Tochter; die nennen wir Menschen »die Wonne«.


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