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Aus Aelian: Über die Natur der Tiere

Benutzt wurde die Übersetzung von Wunderlich und Jacobs.

 

1. Der Löwe und der Holzhauer

Eudemos berichtet, auf dem thrakischen Pangaiosgebirge sei ein Bär einmal auf ein unbehütetes Löwenlager gestoßen und habe die Jungen der Löwen getötet, die noch klein und unfähig waren, sich selbst zu verteidigen. Als nun der alte Löwe und die Löwin von der Jagd zurückkamen und die Jungen in ihrem Blute erblickten, da war ihr Schmerz natürlich groß, und sie gingen auf den Bären los. Doch der rannte voll Angst, so schnell ihn seine Füße trugen, auf einen Baum hinauf, saß nun dort oben und versuchte so dem bedrohlichen Angriff der beiden auszuweichen. Die aber waren entschlossen, nicht umzukehren, ohne an dem Bösewicht Rache genommen zu haben. Deshalb wich die Löwin wie eine Schildwache nicht vom Platze, sondern blieb lauernd unten am Stamme sitzen und schaute mit blutdürstigen Blicken hinauf, während der Löwe in dumpfem, wahnsinnigem Schmerze ziellos in den Bergen umherschweifte. Da traf er auf einen Holzhauer, der voll Schrecken sein Beil fallen ließ; der wilde Löwe aber begrüßte ihn, so gut er konnte, mit freundlichem Wedeln, reckte sich empor und leckte ihm mit der Zunge das Gesicht, so daß jener Mut faßte; dann schlang der Löwe seinen Schwanz um ihn, zog ihn mit sich fort und litt es nicht, daß er das Beil liegen ließ, sondern suchte ihm mit dem Fuße deutlich zu machen, er solle es aufnehmen. Und da der Mann dies nicht verstand, faßte er es selbst mit dem Maule und reichte es ihm hin. Nun folgte jener dem Löwen, und der führte ihn in sein Lager. Und als die Löwin ihn erblickte, kam sie ebenfalls wedelnd herbeigelaufen und schaute bald ihn kläglich an, bald blickte sie wieder hinauf zu dem Bären. Wie nun der Mann all das ansah, schloß er hieraus, der Bär müsse irgendein Unrecht an jenen verübt haben; da nahm er alle Kraft seiner Arme zusammen und hieb den Baum um. Und kaum war mit dem Sturze des Baumes auch der Bär herabgestürzt, da hatten ihn schon die beiden Bestien zerrissen. Den Mann aber führte der Löwe unverletzt und unbeschädigt wieder an den Platz zurück, wo er ihn zuerst getroffen hatte, und ließ ihn wieder seiner alten Beschäftigung nachgehen.

 

2. Der verliebte Delphin

Die Liebe eines Delphins zu einem schönen Knaben in Iasos Stadt an der Südwestküste Kleinasiens., von der die Menschen schon seit alten Zeiten singen und sagen, darf ich nicht mit Stillschweigen übergehen, und darum soll sie erzählt werden. Der Turnplatz der Iasier liegt dicht am Meere, und wenn die jungen Leute genug von der Rennbahn und dem Staub des Ringplatzes haben, so gehen sie an den Strand hinunter, nach alter Gewohnheit sich den Schweiß und Schmutz im Bade abzuspülen. Wie sie nun dort umherschwammen, wurde ein Delphin von heftigster Liebe zu einem ausnehmend schönen Knaben erfaßt. Zuerst setzte er ihn durch seine Annäherung in Angst und Schrecken; nach und nach jedoch gewöhnte sich der Knabe daran, und er begann für den Fisch eine Art freundschaftlicher Teilnahme und lebhafte Zuneigung zu empfinden. Die beiden fingen an, miteinander zu spielen. Bald schwammen sie um die Wette nebeneinander her, bald bestieg der Knabe den Rücken des Delphins, wie ein Reiter sein Roß, und ließ sich stolz auf dem schwimmenden Liebhaber dahintragen, daß es für Einheimische und Fremde ein wunderbares Schauspiel war. Denn der Delphin trug seinen Geliebten weit hinaus in die offene See, so weit es dem Knaben gefiel; dann kehrte er wieder um und hielt sich in der Nähe des Strandes, bis beide sich trennten und der eine ins weite Meer, der andere nach seiner Behausung zurückkehrte. Immer auf die Stunde, da die Schüler vom Turnplatze entlassen wurden, stellte sich der Delphin ein, der Knabe aber freute sich jedesmal schon im voraus auf seinen Freund und das heitere Spiel mit ihm; seine natürliche Schönheit erregte allgemeine Bewunderung, noch mehr aber, daß diese große Schönheit nicht nur auf die Menschen, sondern sogar auf vernunftlose Geschöpfe solchen Eindruck machte. Aber es dauerte nicht lange, da erlag auch diese Liebe und Gegenliebe dem Neide der Götter. Eines Tages hatte der Knabe bei den Übungen sich mehr als gewöhnlich angestrengt und sich ermüdet mit dem Bauche auf seinen Träger geworfen, unglücklicherweise aber stand der Rückenstachel des Tieres in dem Augenblick aufgerichtet, so daß er den schönen Knaben am Nabel verwundete. Dadurch wurden einige Adern zerrissen, so daß das Blut in Strömen von ihm floß und der Knabe starb. Der Delphin merkte das an der Schwere seiner Last (denn er fühlte ihn nicht, wie gewohnt, nur leicht auf seinem Rücken, da er sich ja nicht mehr durch das Atmen leicht machte) und sah, wie sich das Meer vom Blute des Sterbenden purpurn färbte; da wußte er, was geschehen war, und brachte es nicht über sich, den Geliebten zu überleben. Daher schoß er wie ein eilendes Schiff mit aller Wucht durch die brausenden Wogen dahin und warf sich freiwillig hinaus auf den Strand, den Leichnam auf dem Rücken. Da lagen sie nun beide, der eine tot, der andere mit dem Tode ringend. Das tat Laios seinem Chrysippos nicht, mein trefflicher Euripides Laios hatte den schönen Chrysippos, den Sohn des Pelops, entführt, er galt deshalb für den Urheber der Knabenliebe. Euripides hatte die Sage in seinem »Chrysippos« behandelt., wenn schon er, wie du selbst sagst und die Sage lehrt, der allererste war, der bei den Hellenen mit der Knabenliebe begonnen hat.

Zum Lohn für die heiße Liebe der beiden ließen die Bewohner der Stadt Iasos für den schönen Jüngling und den liebenden Delphin ein gemeinsames Grab errichten, darauf war ein Denkmal: ein schöner Knabe, der auf einem Delphin reitet. Auch ließen sie silberne und eherne Münzen schlagen und darauf als Merkzeichen die rührende Geschichte der beiden einprägen, und überlieferten so voll Ehrfurcht die Tat des gewaltigen Gottes der Nachwelt.

 

3. Von der Treue der Hunde

Die unüberwindliche Treue der Hunde gegen ihren Ernährer bestätigt wohl auch folgende Geschichte.

Der Römer Calvus war in einem der Bürgerkriege zu Rom getötet worden; jedoch konnte keiner seiner Feinde ihm das Haupt abschlagen, obgleich unzählige mit diesem Wagestück sich Ruhm erwerben wollten, bis sie den Hund, den er aufgezogen hatte, getötet hatten. Der hatte nämlich den Leichnam seines Herrn nicht verlassen und ihm seine Anhänglichkeit mit der größten Treue bewahrt und für den tot Daliegenden wie ein wackerer Kriegskamerad, Zeltgenosse und Freund noch bis zum letzten Atemzug gekämpft.

Ähnlich ist auch folgende hörenswerte Tat, die wiederum, bei Zeus! nicht ein Mann, sondern ein wackerer Hund mit starkem Geiste vollbracht hat. Pyrrhos von Epeiros fand einst auf einer Reise den Leichnam eines Ermordeten; neben dem erschlagenen Herrn stand ein Hund und bewachte ihn, auf daß nicht zum Morde auch noch die Leiche geschändet würde. Und das war schon der dritte Tag, daß der Hund ohne Nahrung den mühevollen, harten Wachdienst durchführte. Auf die Kunde hiervon bekam Pyrrhos Mitleid, so daß er dem Ermordeten ein ehrlich Begräbnis zubilligte und auch für den Hund Sorge zu tragen befahl; auch reichte er ihm mit eigener Hand sein Futter und wandte alle Mittel an, damit das Tier ihn recht lieb gewinne und ihm treu werde. So zog Pyrrhos den Hund allmählich an sich. So viel nur hiervon.

Bald darauf jedoch fand eine Heerschau über die Schwerbewaffneten statt, wobei der vorgenannte König zuschaute, jenen Hund neben sich. Eine Zeitlang verhielt sich der Hund schweigsam und war ganz ruhig. Als er aber die Mörder seines Herrn bei der Musterung unter den Soldaten sah, da brachte er es nicht mehr fertig, ruhig zu bleiben, sondern sprang mit Gebell und Kratzen auf sie los, dabei kehrte er sich immer wieder zu Pyrrhos um und suchte ihn, so gut es ging, als Zeugen dafür beizuholen, daß er wirklich jetzt die Mörder habe. Daher schöpft denn auch der König und seine Umgebung Verdacht, das Bellen des Hundes gegen die erwähnten Soldaten wird ihnen bedenklich: man nimmt sie fest und foltert sie, bis sie die ganze Tat gestehen.

Derlei scheint allen denen eine Fabel, die das Gesetz des Zeus, des Schutzgottes jeglicher Freundschaft, mit Füßen getreten und dann ihre Freunde im Leben wie nach dem Tode verraten haben. Ich aber glaube denen nicht, die sich so schlecht verstehen auf die Herrlichkeit der Natur. Wenn diese schon den unvernünftigen Wesen an Güte und Liebe Anteil gegeben hat, wieviel mehr dann wohl vernünftigen Geschöpfen, wie wir sind! Aber man macht keinen Gebrauch von dieser Gabe. Wozu soll man da noch all das Böse aufzählen, das Menschen sonst noch um schnöden Gewinnes willen an ihren eigenen Freunden durch Hinterlist und Verrat verübt haben? Mich allerdings schmerzt es, daß ein Hund sich Menschen an Treue und Güte überlegen erwiesen hat!

 

4. Androkles und der Löwe

Die Tiere haben auch Gedächtnis, und auch dies ist eine ihnen eigene Gabe, ohne daß sie eine besondere Gedächtniskunst nötig hätten, die erfunden zu haben einige Prahlhänse Es gab im Altertum eine ausgebildete Gedächtniskunst, als deren Erfinder der Dichter Simonides galt. sich rühmen. Dies beweist auch folgende Geschichte:

Ein Sklave namens Androkles entlief seinem Herrn, einem römischen Senator; was er begangen, Großes oder Kleines, vermag ich nicht zu sagen. So war er nach Afrika gekommen, die Städte vermied er und, wie man zu sagen pflegt, nur die Sterne zum Geleite nehmend, wanderte er in die Wüste hinaus, wo er von der heißen Glut der Sonnenstrahlen versengt in einer Felsenhöhle willkommenen Schutz und Ruhe fand. Nun aber war dieser Felsen eines Löwen Lager. Der kam von der Jagd zurück, heftig gequält von einem großen Dorn, den er sich in den Fuß getreten. Wie er nun den Jüngling dort fand, sah er ihn mit sanften Blicken an, begann zu wedeln, hielt ihm den Fuß hin und bat, so gut er konnte, ihm den Dorn herauszuziehen. Doch Androkles duckte sich zuerst voll Angst; als er aber die Sanftmut des Tieres sah und die Wunde an seinem Fuß erblickte, zog er den schmerzenden Dorn heraus und befreite es so von seinen Qualen. Wie groß war da des Löwen Freude! Er blieb seinem Arzte den Lohn für die Heilung nicht schuldig, sondern behandelte ihn als einen lieben Gastfreund, mit dem er seine ganze Jagdbeute teilte: der Löwe verzehrte sie roh nach Löwenart, während Androkles seinen Anteil briet; so zehrten sie von einem Tische, ein jeder nach seiner Natur.

Drei Jahre verlebte Androkles auf diese Weise. Da ihm aber die Haare überlang gewachsen waren, und er von heftigem Jucken gequält wurde, so verließ er den Löwen auf gut Glück. So ziellos umherirrend, wurde er aufgegriffen, und als man herausgebracht, wem er gehöre, wurde er in Fesseln zu seinem früheren Herrn nach Rom geschickt. Der zog den Sklaven für sein Vergehen zur Rechenschaft, und Androkles wurde verurteilt, den wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen zu werden.

Nun war aber auch jener afrikanische Löwe gefangen worden und wurde im Theater losgelassen, und ebenso als todgeweihtes Opfer der Jüngling, der einst gerade jenes Löwen Haus- und Zeltgenosse gewesen war. Und der Mensch erkannte das Tier nicht, jenes aber erkannte den Menschen sofort, umwedelte ihn, und mit dem ganzen Leib sich unter ihn schmiegend, warf es sich ihm zu Füßen. Viel später erst erkannte auch Androkles seinen Gastfreund, umfaßte den Löwen und begrüßte ihn wie einen von der Reise heimgekehrten Freund. Das alles erweckte den Anschein, als ob Zauberei im Spiele wäre, darum ließ man auch noch einen Panther gegen ihn los, doch wie der auf Androkles losgeht, da hilft der Löwe in treuem Gedenken dem einstigen Arzte und Tischgenossen und zerreißt den Panther. Darüber waren die Zuschauer, wie begreiflich, äußerst betroffen, und der Veranstalter der Spiele ließ Androkles zu sich rufen, der ihn über alles aufklärte. Und da das Gerücht auch unter die Menge kam und das Volk Genaueres über den Fall erfuhr, forderten sie mit lautem Geschrei die Freilassung des Mannes wie des Löwen. So ist also auch den Tieren Gedächtnis eigen.

siehe Bildunterschrift

Eros von Delphin getragen.
Bronze nach Bulletin de corresp. hellén. VII

 

5. Der dankbare Storch

Auch das ist ein Vorzug der Tiere, daß sie ihrer Dankespflicht eingedenk sind. In Tarent lebte eine Frau, Herakleïs mit Namen, wohlgeachtet bei den Leuten und eine rechte Gattin gegen ihren Mann. Und solange ihr Gatte lebte, pflegte sie ihn mit großer Sorgfalt. Nachdem er aber aus dem Leben geschieden war, wurde der Frau der Aufenthalt in der Stadt und das Haus, wo sie ihren Mann hatte tot sehen müssen, verleidet; in ihrer Betrübnis zog sie zu den Gräbern hinaus und verweilte beständig beim Hügel ihres vormaligen Gatten, dem sie auch unter der Erde noch ihre Treue bewies.

Einmal zur Sommerzeit, als die jungen Störche ihre ersten Flugversuche machten, da fiel einer der jüngsten, der seine Schwingen noch nicht zu regieren verstand, herab und brach ein Bein. Herakleïs hatte den Sturz mit angesehen, und da sie den Schaden am Bein bemerkte, bekam sie Mitleid mit dem jungen Tier, hob es in schonendster Weise auf und verband den Bruch, den sie dann mit allerhand lindernden Waschungen und Umschlägen behandelte. Auch reichte sie ihrem Pflegling Futter und gab ihm zu trinken, bis er nach angemessener Zeit wieder zu Kräften gekommen war und starke Schwungfedern bekommen hatte; da ließ sie ihn frei.

Der Storch war davongeflogen, aber dank einer natürlichen wunderbaren Einsicht fühlte er, daß er der Frau Lohn für seine Rettung schuldig sei. Nach Verlauf eines Jahres stand diese einmal an einem strahlenden Frühlingstage in der warmen Sonne; da erblickte der geheilte Storch seine Wohltäterin, sofort mäßigte er die Schnelligkeit seines Fluges und schwebte aus der Höhe hernieder, bis er nahe bei ihr war; dort ließ er aus dem geöffneten Schnabel einen Stein in den Schoß der Herakleïs fallen, worauf er sich wieder emporschwang und aufs Dach setzte. Die Frau war natürlich zuerst verwundert und wußte in ihrer Verwirrung nicht, was sie von dem rätselhaften Vorfall denken sollte. Den Stein legte sie irgendwo im Hause hin. Als sie aber dann einmal des Nachts aus dem Schlafe erwachte, sah sie einen Glanz und Schimmer von dem Steine ausgehen, der das Haus erhellte, als hätte man eine Fackel hereingebracht; so groß war der Glanz, den das Stück Stein erzeugte und verbreitete. Da die Frau aber später einmal den Storch ergriff und betastete, bemerkte sie die Narbe der Wunde und erkannte, daß es der nämliche war, der bei ihr Mitleid und Heilung gefunden hatte.

 

6. Pindos und die Schlange

König Makedon von Emathia, dem späteren Makedonien, hatte einen tapferen, ausnehmend schönen Sohn namens Pindos. Er hatte auch noch andere Söhne, doch die waren schwachen Geistes und körperlich nicht stark. Späterhin aber bereiteten diese, auf des Bruders Tapferkeit und glückliche Erfolge neidisch, ihm den Untergang, schufen sich aber zugleich ihr eigenes Verderben und büßten ihre Schuld nach der Ordnung der Dike. Die Göttin des Rechtes und der Gerechtigkeit.

Da nämlich Pindos merkte, daß ihm seine Brüder nach dem Leben trachteten, verließ er sein väterliches Reich und wohnte auf dem Lande; und als ein starker Mann, der er war, verlegte er sich nunmehr auf die Jagd.

Einst jagte er auf Rehe. Als nun diese, so schnell sie konnten, davonliefen, setzte er ihnen nach, so rasch ihn nur sein Pferd tragen mochte, und bei dieser Verfolgung war er weit von seinen Jagdgesellen abgekommen. Die Rehe aber schlüpften in eine hohle, sehr tiefe Schlucht, die sie den Blicken ihres Verfolgers entzog, so daß sie verschwunden und gerettet waren. Pindos sprang nun vom Pferde und band dieses mit dem Zügel an einen nahen Baum; dann machte er sich daran, die Schlucht zu durchsuchen, um die Entschwundenen aufzuspüren. Da hörte er eine Stimme rufen: »Vergreife dich nicht an den Rehen!« Aber obwohl er sich überall umschaute, konnte er nichts erblicken. Da bekam er Angst, die Stimme möchte wohl von einer höheren Macht herrühren. Er entfernte sich schleunig und führte auch sein Pferd hinweg. Tags darauf aber kehrte er allein an den Platz zurück, nur in die Schlucht wagte er sich nicht in Erinnerung an die Stimme, die er vernommen, und aus Furcht. Wie er nun alles hin und her überlegte und sich gar nicht denken konnte, wer ihn wohl am vorhergehenden Tage in seinem Jagdeifer aufgehalten hätte, und sich, wie natürlich, nach Hirten des Gebirges oder einer Hütte oder anderen Jägern umschaute, sieht er auf einmal eine gewaltige Schlange, ein riesiges Untier, das den größten Teil des Leibes am Boden nachschleppte, während der Hals im Verhältnis zu dieser Masse nur wenig emporragte (und doch war dieser Hals mit dem Kopfe höher als ein ausgewachsener Mann). Erst erschrak Pindos über diesen Anblick, ohne sich jedoch zur Flucht zu wenden, vielmehr faßte er sich und suchte dem Ungetüm mit Klugheit beizukommen. Er brachte einige Vögel, die er zum Glück erjagt hatte, herbei und bot diese der Schlange als Gastgeschenk und Lösegeld an. Und in der Tat ließ sich diese durch die Geschenke besänftigen und, möchte man sagen, bezaubern, so daß sie sich verzog.

Dieser Erfolg freute den Jüngling, und von da an entrichtete er in seiner Herzensgüte der Schlange dauernd den Lohn für seine Rettung, indem er ihr die Erstlinge seiner Jagdbeute, sei's von den Tieren der Berge, sei's von den Vögeln als willkommene Gabe darbrachte. Und wie Pindos im Schenken großen Eifer betätigte, so bescherte ihm auch der Dämon Gedeihen, und mit jedem Tage ging's ihm glänzender: auf der Jagd glückte ihm ein guter Fang nach dem andern, gleichviel ob unter allen den Tieren des Waldes oder unter den Vögeln allen, so daß er Überfluß hatte. Und sein Ruhm verbreitete sich; es hieß, er nehme mit allen wilden Tieren den Kampf auf, und da sei keines, über das seine Kühnheit nicht Herr werde. Er war auch von hoher Gestalt und konnte durch seinen riesigen und dabei doch wohlgebauten Körper schon Furcht einflößen. Dabei entflammte er auch augenscheinlich durch seine Schönheit alle weiblichen Herzen, daß sie in Liebe zu ihm entbrannten. Und es wallfahrten nicht nur alle ledigen Weiber gleich Begeisterten und Verzückten an seine Türen, nein auch die Verheirateten, die durch Gesetz und Sitte bewacht wurden, erlagen dem Rufe von Pindos' Schönheit und wollten lieber mit ihm zusammen hausen, als unter die Göttinnen aufgenommen sein. Auch die Mehrzahl der Männer bewunderte und liebte ihn – feind waren ihm nur seine Brüder. Und eines Tages lauerten sie ihm auf, als er allein in der Nähe eines Flusses jagte, und da sie ihn ohne Genossen sahen, überfielen sie ihn zu dritt und drangen mit ihren Schwertern auf ihn ein. Er aber schrie laut, so daß seine Freundin, die Schlange, es hörte, denn dieses Tier hat ein äußerst scharfes Gehör und Gesicht. Die kam nun aus ihrem Lager hervor, umschlang die Ruchlosen mit den Windungen ihres Leibes und würgte sie, bis sie erstickten. Dann aber blieb sie selber auf ihrem Posten, bis die Angehörigen des Jünglings ihn vermißten und herbeikamen. Als sie ihn nun tot daliegend fanden, erhoben sie ein Klagegeschrei, wagten es aber aus Furcht vor dem Wächter nicht, zur Bestattung des Leichnams näher hinzutreten. Doch die Schlange begriff, dank einer Art geheimer Stimme der Natur, daß sie es sei, die die Leute fernhalte, ging also ganz langsam von dannen und verließ den Leichnam, damit ihm die Angehörigen den letzten Liebesdienst erweisen könnten. So wurde denn Pindos mit großer Pracht bestattet, und der Fluß in der Nähe der Mordstelle erhielt nach dem Erschlagenen und seinem Grabe den Namen Pindos.

So ist es also den Tieren eigen, ihren Wohltätern Dank zu beweisen, wie ich schon oben gesagt habe, aber in diesem Falle ganz besonders hervorhebe.

 

7. Die melitäische Schlange

Homer sagt: »Furchtbar ist es, den Gott leibhaftig zu schauen«. Ilias 20, 131. Die Lesung des Ortsnamens »Melite« ist unsicher. Auch die Schlange, die heiligste Verehrung genießt, hat etwas Göttliches in ihrem Wesen, und sie zu sehen ist nicht nützlich. Was ich damit meine, ist folgendes:

Zu Melite in Ägypten haust in einem Turme eine heilige Schlange; man zollt ihr Verehrung, und sie hat ihre Diener und Wärter. Tisch und Mischkrug wird vor sie hingesetzt, und Gerstenmehl mit Honig und Milch täglich in dem Kruge für sie eingeweicht. Dann gehen die Diener weg; kommen sie dann am folgenden Tag wieder, so finden sie den Krug leer. Nun erfaßte den ältesten dieser Diener einmal heftiges Verlangen, die Schlange zu sehen. Er ging also allein hinein, tat alles wie gewöhnlich und entfernte sich wieder.

Als nun die Schlange an den Tisch kam und ihr Mahl verzehrte, da öffnete der Vorwitzige die Tür (die er vorher wie gewöhnlich geschlossen hatte), machte aber dabei ein ziemlich starkes Geräusch. Da wurde die Schlange böse und verschwand; jenem aber bekam es schlimm, daß er gesehen, was er gewünscht hatte: er wurde wahnsinnig. Nachdem er alles, was er gesehen, berichtet und seine Sünde bekannt hatte, verlor er die Sprache, und nicht gar lange darauf tat er einen Fall und starb.

 

8. Die Rettung des Gilgamos

Eine Eigenschaft der Tiere ist auch die Menschenliebe. So hat ein Adler einmal ein kleines Kind gerettet. Ich will die ganze Geschichte erzählen, damit sie meine Behauptung bestätige. Als Seuechoros über die Babylonier herrschte, erklärten die Magier, das Kind seiner Tochter werde seinem Großvater die Krone rauben. Diese Weissagung machte dem König Angst, und er wurde, scherzhaft zu sprechen, an seiner Tochter ein zweiter Akrisios Dem König Akrisios war geweissagt worden, er werde durch den Sohn seiner Tochter Danaë Thron und Leben verlieren; daher schloß er sie in einen ehernen Turm ein. Trotzdem nahte ihr Zeus in der Gestalt eines goldenen Regens und zeugte mit ihr den Perseus. und ließ sie aufs strengste bewachen. Doch das Schicksal war weiser als der Babylonier: die Tochter, die von einem unsichtbaren Manne schwanger geworden, gab heimlich einem Knaben das Leben. Da warfen die Wächter aus Furcht vor dem König das Kindlein von der Höhe der Burg, auf der die Königstochter eingeschlossen war, in die Tiefe. Aber ein Adler erspähte mit seinen scharfen Augen den jähen Sturz des Kindes, und noch ehe dies zerschmettert am Erdboden aufschlug, fing er es mit untergebreiteten Schwingen auf und trug es auf seinem Rücken in einen Garten, wo er es gar behutsam niedersetzte. Dort erblickte der Aufseher des Gartens das schöne Knäblein, gewann es lieb und zog es auf; es erhielt den Namen Gilgamos und wurde später König von Babylon.

Sollte aber jemand dies für eine Fabel halten, so erhebe ich keinen Widerspruch, wiewohl ich nach Kräften die Sache zu ergründen versucht habe.

 

9. Der dankbare Adler

Einst waren Schnitter, sechzehn Mann, auf dem Felde. Die Sonne brannte heiß hernieder, und der Durst quälte sie, so daß sie einen aus ihrer Mitte abschickten, um aus einer nahen Quelle Wasser zu holen. Beim Gehen trug dieser die Sichel in der Hand, das Schöpfgefäß hing ihm über die Schulter. Als er an Ort und Stelle gekommen war, traf er dort einen Adler, den eine Schlange mit großer Gewalt und Kraft umschlungen hielt, so daß er beinahe erstickte. Der Adler war nämlich auf die Schlange herabgestoßen, war aber nicht Herr über sie geworden, noch brachte er, mit Homer Ilias 12, 200 ff. Dort erblicken die Trojaner, im Begriffe, Graben und Mauer des griechischen Lagers zu erstürmen, ein Wahrzeichen: einen Adler, der eine Schlange in seinen Klauen trägt, aber so von dieser gebissen wird, daß er sie fallen lassen muß, »und nicht bracht' er sie heim zum Fraß für die harrenden Jungen« (222). zu reden, sie seinen Kindern zum Mahle, vielmehr war er von ihren Windungen so umstrickt, daß er, bei Zeus! nahe daran war, umgebracht zu werden anstatt umzubringen. Da nun der Landmann wußte, daß der Adler des Zeus Bote und Diener sei, die Schlange dagegen ein schlimmes Tier, so durchhieb er die Bestie mit besagter Sichel und erlöste damit den Adler aus jenen unentrinnbaren Fesseln und Banden.

Für den Mann war der ganze Vorfall ein beiläufiges Abenteuer auf seinem Wege gewesen, das nun für ihn abgetan war; nachdem er sein Wasser geschöpft, kehrte er zurück, mischte es mit Wein und reichte nun allen den Trunk. Sie aber tranken in vollen Zügen Becher um Becher zu ihrem Frühstück. Nach ihnen wollte auch jener trinken, denn bis jetzt war er gewissermaßen ihr Diener und nicht ihr Zechgenosse gewesen. Als er aber den Becher an die Lippen setzte, da zahlte ihm der gerettete Adler, der zum Glück für ihn noch an der Stelle verweilte, den Lohn für die Lebensrettung: er schoß auf den Becher herab und gab ihm einen Stoß, so daß der Trank auslief. Der Mann aber rief voll Unmut, denn er war durstig: »Fürwahr, du bist's?« (denn er hatte den Vogel erkannt), »das also ist der Dank, den du deinem Retter abstattest? Ist das auch recht? Wer wird da wohl noch geneigt sein, sich für jemand Mühe zu machen aus Ehrfurcht gegen Zeus, den Aufseher und Wächter über Dank und Undank?« So sprach er, von dörrendem Durst gepeinigt; als er sich aber umwandte, sah er alle, die getrunken hatten, in Todeszuckungen liegen: die Schlange hatte vermutlich in die Quelle gespien, so daß diese vergiftet war. So hatte der Adler seinem Retter in gleicher Münze gelohnt.

Krates der Pergamener berichtet, daß davon auch Stesichoros Krates, ein Grammatiker und Gelehrter des zweiten Jahrhunderts v. Chr., das Haupt der sog. pergamenischen Schule. – Stesichoros (um 600 v. Chr.), einer der ältesten lyrischen Dichter. in einem Liede gesungen habe, das aber kaum in weite Kreise gedrungen sei; damit bringt er, wenigstens nach meinem Urteil, einen alten und ehrwürdigen Zeugen bei.


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