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Babrios

Gelegentlich herangezogen sind die Übersetzungen von Hertzberg und Härtung.

 

1. Ideales Königtum

Ein Löwe herrschte einst, der war nicht jähzornig,
nicht roh und grausam und auch nicht gewalttätig –
gerecht vielmehr und milde, wie ein Mensch ist.
Nun wurde, sagt man, unter seiner Herrschaft
ein Reichstag ausgeschrieben aller Waldtiere,
damit ein jeder dort zu seinem Recht käme.
Dort zahlten alle Übeltäter Reugelder,
der Wolf dem Lamm, der Panther an die Bergziege,
dem Hirsch der Tiger. Überall war Landfriede.
Da sprach der Hase Duckedich: »Wie lang schon
ersehnt' ich diesen Tag, der den Gewalttätigen
vor uns, den Schwachen, Schrecken würde einjagen!«

 

2. König Löwe und Truchsess Affe

Der Löwe wollt's den besten Menschen gleichtun,
und offne Tafel hielt er in der Felshöhle,
zu Gaste bittend, wer ihm in der Tierwelt
von guten Sitten schien. Von Tag zu Tag nun
ergoß sich ohne Furcht ein dichter Tierschwarm
in seine Höhle, die er gastlich aufnahm
und denen er das Allerbeste vorsetzte.
Das Füchslein war sein Liebling und sein Hausmeister,
das ja seit alten Zeiten schon sein Freund ist.
Ein alter Affe aber war der Truchseß
und schnitt den Gästen gleiche Stücke Fleisch zu.
Kam nun ein neuer, keiner von den Stammgästen,
so legt' er dem das Gleiche wie dem Herrn vor
von allem, was der Löwe sich erjagt hatte.
Jedoch der Fuchs bekam den alten Abfall
von gestern her. Als der nun trotzig stillsaß
und nicht zum Tisch kam, nicht die Speisen anrührte,
da fragte ihn der Löwe: »Nun, was hast du,
mein schlaues Füchslein? Schwatz doch, wie du sonst pflegst,
und lege fröhlich an die Speisen Hand an!«
Der aber sprach: »Erhabenster des Tierstamms!
Groß ist die Sorge, die an meinem Herz nagt,
da nicht die Gegenwart allein mich trüb stimmt,
nein, Schlimmeres mir noch ahnet für die Zukunft.
Wenn hier tatsächlich die Gewohnheit einreißt,
daß Tag für Tag zu dir ein neuer Gast kommt,
erhalt' ich schließlich nicht einmal den Abfall.«
Der Löwe schmunzelte, wie's Herrscherart ist,
und sprach: »Den Affen trifft, nicht mich, der Vorwurf!«

 

3. Hirschherz

Krank lag der alte Löwe in der Felshöhle,
die matten Glieder auf dem Boden ausstreckend,
und nur das Füchslein war bei ihm, sein Liebling.
Zu diesem sprach er: »Willst du mich vom Tod retten?
Ich hungre nach dem Hirsche, der im Walddickicht
dort unter jener finstren Tannen Schirm haust.
Zur Hirschjagd fehlt es leider jetzt an Kraft mir,
doch, wenn du willst, wird er mir in die Hand fallen,
da deiner Reden Honigseim ihn leicht ködert.«
Der Schlaukopf ging. Er fand den Hirsch am Tanndickicht,
wo er auf fetter Wiese froh umhersprang.
Er warf sich vor ihm nieder, bot den Gruß ihm
und sagte, daß er ihm ein großes Glück bringe.
»Der Löwe, weißt du,« sprach er, »ist mein Nachbar,
doch geht's ihm schlecht: er wird wohl bald ins Gras beißen.
Nun fragte er mich jüngst, wer wohl sein Nachfolger
im Tierreich würde. ›Ja, das Schwein ist stumpfsinnig,
der Bär ist lahm, der Panther gar zu jähzornig,
der Tiger ist ein Prahlhans und Herumtreiber.
Der Herrschaft,‹ sprach er, ›scheint mir nur der Hirsch würdig.
Er ist von Ansehn prächtig und er lebt lange.
Auch sein Geweih ist aller Kreatur Schrecken,
gleicht einem Baume, nicht den stumpfen Stierhörnern.‹
Was schwatz' ich viel? Mit einem Wort: dich wählt er,
und herrschen wirst du ob des Waldes Tierscharen.
Dann magst du, Herr, auch einmal an den Fuchs denken,
der dir als erster diese Botschaft ansagte.
Nur deshalb kam ich, Liebster. Doch leb wohl jetzt,
ich eile, daß der Löwe nicht umsonst sich
nach mir nun umsieht. Bin ich doch sein Ratgeber
in allen Dingen! Und so wirst auch du's halten,
so hoffe ich, und diesen grauen Kopf ehren.
Doch höre jetzt schon: Wäre es nicht ratsam,
du gingst zum Löwen mit und sprächst ihm Trost ein
in seinem Elend? Gar Geringes gibt oft
im letzten schweren Augenblick den Ausschlag.
Die Seele liest man in dem Aug' der Todkranken!«
So sprach der Schlaukopf. Und durch seine Trugworte
ließ sich der Hirsch betören. Ohne Argwohn
ging mit er in des Ungeheuers Felshöhle.
Doch allzu jäh vom Lager auf ihn einspringend,
zerriß der Leu dem Hirschen nur den Ohrzipfel,
vor Eifer blind. In toller Flucht hinausstürzend,
eilt' jener zitternd in das tiefste Walddickicht,
indes die Hände schmerzlich übers Haupt schlagend
das Füchslein laut um die verlorene Müh klagte.
Der Leu lag ächzend und in seinen Bart knirschend,
da ihn der Hunger wie der Ärger gleich plagte,
bis er sich bittend wieder an den Fuchs wandte,
daß eine neue Jagdlist er ihm aussänne.
Der sprach im tiefsten Herzensgrunde Rat suchend:
»Ich will's versuchen, wenn's auch noch so schwer scheint.«
Auf neue Künste nun und neue List sinnend,
folgt' er der Fährte wie ein kluger Schweißhund
und fragte jeden Hirten, den er antraf,
ob nicht bei ihm ein blutiger Hirsch vorbeifloh.
Und wer drum wußte, gab ihm auch den Weg an.
So fand er schließlich denn den Hirsch im Walddunkel,
wie er vom Rennen ruhte, und mit Keckheit
an Aug' und Stirn gewappnet trat er vor ihn.
Ein Schauer fuhr durch Mark und Bein dem Hirsch erst,
doch ließ die Galle bald ihn also losbrechen:
»Diesmal, du Scheusal, soll's dir wenig Glück bringen,
wenn du herankommst und nur einen Mucks wagst.
Bei andern Toren magst du künftig fuchsschwänzen,
mit Königtum sie ködern und wie mich krönen.«
Doch unverzagt begann nun ihm ins Wort fallend
der Fuchs: »So mutlos bist du und so unedel?
Wie kann man auf die Freunde so Verdacht werfen!
Es wollte dir der Löwe einen Rat geben,
um dich zu wecken aus der frühern Schlaffheit.
Er faßte dich am Ohre, wie den Sohn wohl
am Totenbett der treue Vater anfaßt.
Doch du ertrugst nicht einer kranken Hand Zupfen
und wurdest wund erst, als du selbst dich losrissest.
Und nun tobt jener gar noch mehr als du selbst,
da du so sinnlos ängstlich seist und mißtrauisch.
Den Wolf, so sagt er, will er nun zum Herrn machen.
O weh, des schlimmen Königs! – Was soll ich tun?
An unser aller Elend trägst nun du Schuld!
Doch komm und zeige endlich, daß du Mut hast!
Erschrick nicht, wie das Lämmchen aus der Schafherde!
Bei allen Blättern schwör' ich, allen Bergwassern,
so wahr, als ich nur dich allein zum Herrn wünsche,
so wahr liebt dich der Löwe, und aus Wohlwollen
will er dich jetzt zu aller Tiere Herrn machen.«
Also beschwatzte schmeichelnd er den Hornträger,
daß er sich nochmals in des Grabes Tor wagte.
Doch als er dort nun an die Wand gedrängt war,
da hielt der Löwe schmatzend einen Festschmaus,
das Fleisch verschlingend, der Gebeine Mark schlürfend
und die Gedärme kauend. Doch umsonst hungernd,
stand neben ihm sein Treiber. Nur das Hirschherz
verschlang er heimlich, da es nebenaus fiel,
als kargen Lohn für alle seine Mühsal.
Jedoch der Leu, die Eingeweide nachzählend,
bemerkte, daß von allem noch das Herz fehle,
und sucht's im Lager, sucht's im ganzen Wohnraum.
Da bringt der Fuchs ihn von der wahren Spur ab:
»Der hatte gar keins – suche nicht umsonst nach!
Wie sollte der ein Herz Das Herz ist nach antiker Auffassung auch Sitz des Verstandes. auch haben, der sich
zweimal in eines Löwen Bau hineinwagt?«

 

4. Der Fuchs in der Löwenhöhle

Der Löwe, den das Greisenalter schlaff machte,
so daß zum Jagen nunmehr ihm die Kraft fehlte,
lag wie ein Kranker in der tiefen Felsgrotte.
Er schnaufte sehr, als ob es ihm recht schlecht ginge,
und zwang die mächtige Stimme leis zu lispeln.
Die Botschaft drang zu aller Tiere Wildlager,
und alle schmerzt' es, daß der König krank wäre.
Ein jeder eilte, daß er ihm Besuch mache,
und einzeln, wie sie kamen, fraß der Leu sie,
so daß es trotz des Alters ihm recht gut ging.
Am Eingang aber blieb der schlaue Fuchs stehn,
der ihn durchschaute und begann: »Wie geht's dir,
o König?« »Sei willkommen, du mein Liebling,
vor allen Tieren!« sprach der, »tritt herein doch!
Was stehst du ferne? Komm, mit klugem Scherzwort
mich aufzuheitern, Süßer, da der Tod naht.«
»O mögest du genesen! Doch verzeih mir,
wenn ich verschwinde,« sprach der Fuchs, »mich hält fern
die große Menge mannigfacher Tierspuren.
O zeige mir doch eine, die heraus führt!«

 

5. Das Wiesel

Ein Wiesel liebte einen schönen Mann einst,
und Kypris, die die Mutter heißt der Sehnsucht,
erbarmt' sich seiner und schuf es zum Weib um.
Es ward so schön, daß jeder gleich in Glut stand,
der es erblickte, und so auch der Jüngling.
Er warb um sie. Bereit schon stand das Festmahl.
Da huscht ein Mäuschen durch den Saal: die Braut springt
vom weichen Pfühle auf und jagt der Maus nach.
Aus war es mit der Hochzeit, denn mit Hohnlachen
floh Eros fort: er mußte der Natur weichen.

 

6. Der Wolf und der Reiher

Dem Wolfe blieb ein Knochen einst im Schlund stecken.
Er ging zum Reiher, dem er hohen Lohn bot,
wenn er den Hals in seinen Schlund hinabsenkend,
den Knochen hole und ihn so vom Schmerz heile.
Der zog ihn aus und fordert' dann den Lohn ein.
Doch jener sprach, den Reiher drohend angrinsend:
»Es mag genügen dir als Lohn der Heilkunst,
daß heil dein Haupt du zogst aus einem Wolfsrachen.«

 

7. Der Ochs und der Esel

Ein Mann, der einen Ochsen nur im Stall hatte,
schirrt' einen Esel zu ihm an die Pflugschar
und pflügt' mit ihnen, wie es eben gehn wollte.
Doch als das Werk getan war und der Mann sie
vom Joche löste, hub der Esel so an:
»Wer wird dem Alten das Geschirr nach Haus bringen?«
»Nun«, sprach der Ochse, »jener, dem es zukommt!«

 

8. Der Stier und das Kalb

Ein junges Kalb, das frei noch auf der Flur spielte,
sprach zu dem Zugstier, der den schweren Pflug schleppte:
»O wie das Joch, du Armer, dich so wund reibt!«
Es schwieg der Stier, die Furchen wacker ausziehend.
Doch als die Bauern nun zum Opferfest eilten,
da ging der Stier vom Joch befreit zur Grasweide,
doch um die Hörner warf man einen Fangstrick
dem ungezähmten Kalb, des Blut den Altar
der Götter röten sollte. Und der Stier sprach:
»Zu diesem Zweck nur bliebst du von der Last frei
und eilst, o Junger, vor dem Greis zur Schlachtbank.
Nun wird vom Beile, nicht vom Joch, dein Hals bluten.«

 

9. Der gefräßige Fuchs

Ein Buchbaum zeigt' am Fuße eine Höhlung.
In der lag eines Hirten alter Schnappsack,
gefüllt mit trocknem Brote und mit Fleischstücken.
Den sah ein Fuchs, und in die Höhle eindringend,
fraß er ihn leer. Natürlich schwoll sein Bauch an,
daß aus dem engen Loch er nicht herauskonnte.
Er klagte laut, so daß ein anderer Fuchs kam,
der spottend sprach: »Nun halte hier nur Fasttage.
Denn bis dein Bauch so dünn nicht wie beim Einsteigen
geworden ist, wirst du nicht mehr herauskommen.«

 

10. Der Wolf und der Hund

Der Wolf sah einen Hund einst, der sehr feist war,
und frug ihn aus, wo er so reiche Mahlzeit
denn finde, daß so groß er und so fett sei.
»Der Mensch«, sprach jener, »gibt so gute Kost mir.«
»Doch woher kommt es, daß dein Hals so kahl schimmert?
»Der reibt sich ab an einem ehernen Halsring,
in dem des Abends mich mein Brotherr festlegt.«
Da sprach der Wolf mit Lachen: »Fahre wohl denn!
Genieß die Üppigkeit, für die ich niemals
ins Eisen lasse meinen freien Hals schließen.«

 

11. Der Wolf und das Weib

Dem Kind, das weinte, drohte einst die Landamme:
»Sei still, sonst werf ich dich dem Wolf zum Fraß vor!«
Der Wolf kam just vorbei und hielt's für Wahrheit
und wartete voll Freuden, bis die Nacht kam.
Doch als das Kind zur Ruhe nun gebracht wurde,
zog hungrig auch mit leerem Maul der Wolf ab,
der lang vergeblich falscher Hoffnung nachhing.
Doch als die Wölfin, seine Frau, ihn ausfrug:
»Wie kommt's, daß nicht wie sonst du etwas mitbringst?«
sprach er: »Wie sollt' ich, der ich einem Weib glaubte?«

 

12. Affenliebe

Einst setzte Zeus den Tieren einen Preis aus
für das schönste Kind und übte selbst das Richtamt.
Da kam die Äffin auch, und an der Brust trug
als Schönstes sie ein Äfflein, nackt und stülpnasig,
so daß die Götter alle laut herauslachten.
»Zeus«, sprach die Äffin, »weiß es, wen der Sieg krönt.
Doch mir scheint dies das schönste Kind der Tierwelt.«

 

13. Der Vater und die Söhne

Vor grauen Zeiten lebt' ein würdiger Greis einst
mit vielen Söhnen. Als der Tod nun nah kam,
befahl er jenen, daß sie einen Bund ihm
von dünnen Stäben irgendwie herbeischafften.
Der war auch bald zur Stelle, und der Greis sprach:
»Versucht nun, Kinder, ob mit aller Kraft ihr
die so vereinten Stäbe etwa durchbrecht.«
Sie konnten's nicht. »Dann«, sprach er, »nehmt sie einzeln.«
Wie nun die Stäbe einzeln leicht entzweibrachen,
da sprach der Alte: »Also wird auch niemand,
bleibt ihr vereint, und wär' er noch so stark auch,
euch je bezwingen. Doch wenn ihr im Zwist lebt,
so geht's euch, wie es jedem einzelnen Stab ging.«

 

14. Die beste Hilfe

Die Haubenlerche nistete im Kornfeld,
ums Morgenrot wettsingend mit der Frühschwalbe,
und zog die Jungen groß mit zarten Saatspitzen,
so daß sie flügge schon mit stolzem Busch prangten.
Da kam der Herr des Felds einmal sein Korn mustern
und sprach, da falb die Ähren glänzten: »Zeit wird's,
daß alle meine Freunde ich zur Mahd rufe.«
Doch von den jungen Lerchen mit dem Kopfbusche
vernahm es eine, die's dem Vater mitteilte.
»Schau zu,« so sprach sie, »wo du jetzt uns ansiedelst.«
Der aber sprach: »Noch ist zur Flucht kein Anlaß.
Dem eilt's nicht sehr, der auf der Freunde Arm baut.«
Bald kam der Bauer wieder. Von der Glutsonne
sah er die Körner aus den Ähren ausfallen.
»Zu morgen will ich Schnitter mir um Lohn mieten,
zu morgen«, sprach er, »Garbenbinder anwerben.«
Da rief die Lerche ihren Jungen: »Jetzund
ist's Zeit, daß eilig wir von hier hinwegflüchten,
da er nicht auf die Freunde baut und selbst schneidet.«

 

15. Der Rinderhirt

Ein Rinderhirt drang tief einst ins Gebirg vor,
weil aus der Herde ihm der schönste Stier fehlte,
und er versprach dem Pan, den hehren Bergnymphen,
dem Herdenschützer Hermes, allen Ortsgöttern,
ein Kalb zu schlachten, wenn sie ihm den Dieb zeigten.
Doch wie er den Gebirgskamm jetzt erreicht hatte,
sah einen Löwen er den schönen Stier fressen.
Und nun versprach den Göttern er ein Stieropfer,
wenn ungeschädigt von dem Dieb er heimkäme.

 

16. Drei wahre Worte

Die feige Füchsin fiel in eines Wolfs Klauen
und fleht' ihn an: »O, laß mich altes Weib leben!
Zerreiß mich nicht!« Und er: »Ich will's, beim Pan! tun,
sagst du drei Worte mir, die wirklich wahr sind.«
»Nun wohl! O wärst du niemals in den Weg mir
getreten – oder, wenn es das Geschick wollte,
o wärest du als Blinder in den Weg mir
getreten – und zum dritten: mögest bald du
doch sterben und mir nimmer in den Weg treten!«

 

17. Der kranke Rabe

Der kranke Rabe, dessen Mutter laut schluchzte,
sprach: »Weine nicht, du mußt die Götter anflehen,
daß sie der Krankheit herbe Pein mir abwenden.«
»Und welche Gottheit«, sprach sie, »wird denn dich retten?
Wo ist ein Altar, wo du nicht das Fleisch stahlest?«

 

18. Aphrodite und die Magd

Ein Mann verliebte einst in seine Magd sich,
obgleich sie wüst und schmutzig war. Er gab ihr,
was sie verlangte, willig. Drum im Goldschmuck
und um die Kniee feinsten Purpur nachschleifend
bot jene frechen Trotz und Hohn der Hausherrin.
Doch Aphroditen, die ihr solches Glück sandte,
verehrte sie mit Lampen und am Altar
lag betend, opfernd, flehend jeden Tag sie.
Bis einst, als nachts der Herr in ihrem Arm schlief,
die Göttin ihr im Traum erschien und so sprach:
»Bedank dich nicht bei mir, daß ich dich schön machte –
ich grolle diesem hier, der dich für schön hält!«

 

19. Hermes und der Bildhauer

Ein Steinmetz bot ein Hermesbild zum Kauf aus.
Zwei Käufer bieten: Einer will als Grabmal
es an des jüngst verstorbnen Sohnes Grab setzen,
der andre will zum Schutzgott ihn als Handwerker.
Doch ist es spät – man kommt zu keinem Abschluß,
und an dem nächsten Morgen soll der Steinmetz
das Bild von neuem zeigen. In der Nacht nun
sieht in des Traums Gefilden er den Hermes,
der spricht: »Sieh' an, du darfst nun mein Geschick wägen!
Du kannst zum Toten, du kannst mich zum Gott machen!« Es war Sitte, den Toten Statuen zu errichten, die einen bekannten Göttertypus mit den Porträtzügen des Verstorbenen wiedergaben. Vgl. unten Apuleius S. 281.

 

20. Menschenwitz

Da einst ein Schiff mit Mann und Maus zugrund ging,
schalt einer ungerecht der Götter Wahrspruch,
die, weil ein einziger Frevler auf dem Schiff war,
so viele andre schuldlos in den Tod sandten.
Noch sprach er so, da kroch, wie oft es vorkommt,
an ihm vorbei ein dichter Schwarm von Ameisen,
die in ein Weizenstoppelfeld zum Schmaus eilten,
und eine biß ihn. Voller Wut umherstampfend
zertrat er alle. Plötzlich fühlt' er leis sich
von einem Stab berührt und sah den Hermes
in Götterschönheit vor sich stehn, der so sprach:
»Willst du der Götter Urteil über euch schelten,
der so den Richter spielte an den Ameisen?«

 

21. Zeus' Strafgericht

Dem Hermes gab der Vater Zeus den Auftrag,
auf Tafeln sollt er ihm der ganzen Menschheit
Vergehn und Übeltaten sorgsam aufzeichnen.
Dann hieß die Tafeln ihn in eine Holztruhe
er werfen, die bei seinem Götterthron stand,
damit er über jeden das Gericht spreche.
Doch weil dabei die Tafeln in der Holztruhe
bunt durcheinander fielen, kommt zum Urteil
die früher, jene später in des Zeus Hände.
So darf darüber man sich auch nicht aufhalten,
wenn oft ein Frevler spät erst sein Gericht findet.

 

22. Neuer Gottesdienst

Ein hölzern Hermesbild besaß ein Handwerker,
dem goß er Tag für Tag die schönsten Trankopfer,
und dennoch ging's ihm schlecht. Da ward er wild einst,
ergriff das Bild beim Fuß und schlug's zum Erdboden.
Doch wie der Kopf entzweibrach, floß ein Goldregen
hervor von Münzen, die in ihm versteckt waren.
Die las er freudig auf und rief: »O Hermes!
Du bist verdreht und handelst wirklich merkwürdig.
Solang ich zu dir flehte, halfst du gar nicht,
doch für die Prügel dankst du mir mit Wohltaten.
Das ist ein Gottesdienst, der mir ganz neu ist.«

 

23. Der schlechte Arzt

Es kam ein Arzt, der von der Heilkunst nichts wußte,
zu einem Manne, der nur leicht erkrankt war.
»Sei ohne Furcht,« sprach jeder, »du wirst durchkommen!
Es dauert noch ein Weilchen, doch es wird besser!«
Der Medikaster aber sprach hinzutretend:
»Mach nur dein Testament, du wirst bald abfahren.
Ich will dir nicht wie die mit Lug und Trug kommen:
Zwei Tage hast du noch zu leben – mehr nicht.«
Dann ging er weg und kam nicht in sein Haus mehr.
Als jener später etwas sich erholt hatte
und ausging, bleich, mit Mühe nur sich fortschleppend,
begegnet' ihm der Arzt und fragt' ihn hohnvoll:
»Sieh an! Nun wohl, wie sieht's im Totenreich aus?«
Und jener sprach: »Die Toten quält kein Schmerz mehr,
da sie vom Lethe tranken. Aber Pluto
und Kore Kore (Persephone), die Gemahlin des Totengottes. drohten jüngst die Ärzte furchtbar
zu strafen, weil sie allen Kranken aufhelfen.
Sie schrieben alle Ärzte auf, und dich wollten
zuerst sie holen lassen. Doch voll Ehrfurcht
trat ich hinzu, und ihre Zepter anrührend
schwor ich, daß du in Wahrheit gar kein Arzt seist
und daß man dich nur fälschlich dafür ausgebe.«

 

24. Größenwahn

Vom Öle trunken rühmte eine Nachtlampe
sich vor den Gästen, daß der Morgenstern nicht
so strahlend helles Licht wie sie der Welt schenke.
Da blies ein Wind – und es erlosch das Nachtlämpchen
vom Hauch getroffen. Wiederum es anzündend
sprach einer zu ihm: »Leuchte, aber schweig still!
Das Licht der Sterne sah noch keiner auslöschen.«


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