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Einhart hatte graue Haare, die allmählich weiß wurden.
In seinem Hause vor der Stadt, das in einem alten Garten lag, war die Vorhalle weiß getüncht, und es standen wenige Marmorbildungen in Nischen. Und seine Räume waren hoch und still, darin nur einige Bedienstete umgingen und eine alte Schaffnerin.
Einhart war ein Meister geworden, der in hohem Werte stand. Toren, die Glossen machten über manche seiner Weisen, gab es wie immer mehr wie Kenner. Aber sehr viele spürten auch jetzt längst das Glück heraus, dem Einharts Seele sehnsüchtig nachgetrachtet, je mehr er die eigenen Brunnen ergraben.
Einhart war in späteren Jahren noch vollends ein Einsiedler geworden, ein Eremit ohne Kutte, und ein rechter Sinnierer. Nicht etwa, wie einer, der mit Begriffen sinnt, also, daß in der Seele nur Namen schwirren, daß das innere Auge nichts sieht als Grau in Grau, und das Ohr hört Worte hallen. Er hatte immer heitere Gesichte seines inneren Auges und hörte die Dinge aus sich tönen.
So konnte Einhart in seiner vereinsamten Schau sitzen, wie ein Derwisch vor einem Blumenkeim, bis aus der schwarzen Erde die Blume selber aufstieg, die er heiler erwartete.
Einhart war selten mit Menschen zusammen.
Außer mit Poncet.
Viele waren auch gestorben.
Aber die Kinder seiner Nachbarschaft kannten ihn alle. Er lächelte jedes an und spaßte mit ihm. Erzählte lustige Sperlingsschwänke und deutete ihnen in gütigem Geplauder Sträucher und Sterne. Das Auge jedes, auch des kleinsten Jungen leuchtete und erwartete eine Freude, wenn Meister Einhart noch immer mit dem heiteren Funkelblick die Straße kam, noch immer schlank und gehalten und von einem Paar gelber, zottiger, schlanker Schäferhunde begleitet, die ihm die Gräfin Schleh noch geschenkt hatte.
Und Poncet war immer noch sein Freund.
Der war auch grau geworden und auch weise. Wenn die beiden am Winterabend im Atelier Einharts vor einem hohen Kaminfeuer saßen und nur dann und wann der eine oder andere in die Stille hinein plauderte, erinnerten sie sich an viel vergangenes Leben. Auch an manche Zerwürfnisse, als wäre es jetzt ein Gut.
»Man muß doch sagen, daß das Leben Weisheit hat, mindestens wie ein guter Tonsetzer,« sagte Einhart. »Wenn man es nur aufzuspüren versteht.«
»Mir scheinen jetzt auch viele Schmerzen in der Rückschau sonnenklar aufgelöst,« sagte dann Poncet.
Später, als Einhart schon auf die Siebenzig zuging, begann er eine leidenschaftliche Erinnerung neu zu fühlen. So daß er wochenlang nicht ans Licht kam. Er saß und radierte allerhand Szenen aus dem Steppenleben, einen ganzen Reigen phantastischer Blätter, darin allenthalben ein gespenstiger Reiter und eine heilige Frau mit Verenas Zügen umging.
In solcher Vertiefung in die eigene Schau einer weiten Welt, die an ihm vorübergegangen, also daß er gebeugt dasaß, wie ein lächelnder Hieronymus im Gehäuse, schwanden ihm seine Jahre hin. Indes ihn die Welt von ferne als Meister pries.
Kein Uneingeweihter fand Zutritt in Einharts Werkstatt. Nur daß noch lange Jahre daraus reiche, satte Schöpfungen gingen, die vor seinem Auge zum eigenen Staunen aufgewachsen, wie auf einem gepflügten Acker einsame, seltene Blumenkelche.
»Ich war einer, der aus der grau in grauen Welt Helligkeit auffing, Licht, Sonne, weil ich einmal als Kind die Sonne gesehen in blonde Mädchenhaare fallen und sie beglänzen. Seitdem liebte ich das Fest der Mühsal, den Glanz der irdischen Dinge,« sagte er oft.
Oder er sagte auch: »Ich hatte manche Enttäuschung. Die Dinge und wir selber narren uns oft. Es ist viel Torheit in unseren Geschäften. Und manchmal ist das Blut herrschsüchtig, wie ein Tyrann. Aber es gibt auch viel Trost.«
Einmal sagte er: »Zwanzig Jahre und mehr hatte ich als Künstler gelebt und nicht begriffen, daß unser tiefstes Leben nur leben will ohne Rest und ohne Spiegel.
Johanna starb und hinterließ mir diese Wahrheit.
Aber ich begriff sie noch lange nicht.
Das Leben will nicht Belehrung sein, nicht Zwecke haben, nicht Gabe werden, nicht bestimmt sein von tausend Blicken hier hin und dort hin. Adam und Eva noch immer in der weiten, einsamen Steppe, hungrig nacheinander, sehnsüchtig nach Mitfreude, sehnsüchtig nach Mitleiden, hungrig nach Hoffnung, hungrig nach Zukunft. Weil über alle Dränge der Seele auf Erden der Tod sein Zeichen schrieb. Das ist es.«
Und er sagte dann auch: »Verena heißt diese Weisheit. Verena, die vor mir vorüberging ohne Acht, daß sie mir für immer die alte Ursehnsucht zurückließ.«
Als Einhart Selle im Sarge lag, nachdem er an einem Morgen nicht mehr aus tiefem Schlafe die Augen aufgetan, sah er aus wie einer, der das Leben lächelnd ansieht von hoch auf der Kommandobrücke. Wie ein Kapitän sicheren Blickes. Oder ein Lotse, der durch tiefe Gewässer fährt. Er war wie jung geworden. Er sah schön aus. Die abgrundtiefe Ruhe lag in seinen bleichgrauen Zügen. Weil ja die Augen fest geschlossen waren.
Und doch lag in seinen Augen auch das ganze, freie, sieghafte Lächeln, womit er über den Häuptern in die fernsten Fernen sah, dahin er fortzog.
So ist er allen erschienen, ehe man den Sarg über ihm schloß.
Man begrub ihn. Viel neugieriges Volk und viele Freunde seiner Kunst standen dabei. Einige redeten trauernde Worte in die Luft über seinem Grabe und rühmten einen Einsamen.
Einhart wollte nicht verbrannt, er wollte begraben sein. Er hatte oft gelacht:
»Nachdem meine Feuer Flammen geworden, die sich auf die Lippen des unbekannten Gottes setzten, mag meine Erde wieder zu Erde werden.«
Und er hatte auch oft in den letzten Jahren das Volkslied schalkisch lächelnd im Munde gehabt:
»Wohl unter den Röslein, wohl unter dem Klee,
darunter verderb ich nimmermeh'!«
Man warf ihm Kränze und Erde nach, die auf seinem Sarge polterten. Und aller Augen starrten wie klare Steine vor sich hin. Alle wußten, daß seine Grabschrift also lauten sollte:
»Denn jede Träne, die dem Auge entquillt,
macht, daß mein Sarg mit Blute sich füllt.
Doch jedesmal, wenn du fröhlich bist,
mein Sarg voll duftender Rosen ist.«