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2

Einhart war jetzt ein Mann von einigen vierzig Jahren. Er stand ganz allein, mehr wie je. Ein feiner Herr ging er einher, bekannt unter Freund und Feind wegen der Fremdheit und Eigensinnigkeit seiner Bildwerke und wegen seines vereinsamten, eigensinnigen Lebens.

Eines Winters kam es ihm inmitten seiner Farbenträume, inmitten auch der Regsamkeit in den Klubs und Koterien der Stadt, in denen er sich manchmal beobachtend und herumprüfend blicken ließ, plötzlich an wie einem Wandervogel, alles Bekannte zurückzulassen und fortzuziehen. Es waren neu allerhand Zerrissenheiten in ihm aufgebrochen und vieles von seinen Erfüllungen zum Zweifel geworden. Die Menschen um ihn deuchten ihm zu bekannt in ihren Stimmen und Bewegungen. Und er selber dünkte sich durch sein eigenes, langes Herkommen eingeschnürt und ermüdet. Er verlangte den freien Horizont des Lebens zu sehen, wie es den Wandervogel fortreißt in den Höhenwind. Er wollte weit ausblicken und aus der Höhe hinab, einmal zu sehen, wo er eine Erfüllung fände, eine Feier, einen Festtag in die Reihe der eintönigen, einsamen Wandertage, die sein Leben jetzt lange hingegangen.

So war Einhart nach Antwerpen gekommen, und wohnte dort am Platz der Grüne.

Hinter den Häusern des Platzes ragt der Dom. Er überwächst mit seinem breiten Steinleib alle die kleinen Häuser rings.

Der Regen fiel an dem Morgen, als Einhart vor die Tür seines kleinen Hotels hinaustrat. Der Turm ragte dunkelgrau in die graue Märzluft.

Als Einbart eintrat, war es drinnen still, wie im Grabe. Die Düsternisse der Nischen breiteten sich in Schattendunkel. Die Bilder um den Hochaltar hatten kaum Farben. Eine kaum merkbare Erhellung ging aus den Fenstern, die gen Morgen lagen, und schwebte streifig über den grauen Steinfliesen des Mittelschiffs.

Einhart war lange dem einsamen Dämmerklang seines Schrittes unter den Wölbungen hingegeben. Die graue Schattenweite der kalten Raumtiefen umspann ihn, wie wenn die Stille darin eine Schönheit wäre für alle Sinne. Die marmornen Altargestalten schienen ihm lebendige Leiber, ragend, um zu antworten, was seine Seele zu fragen begann.

Ein Dom! Ein grauer Steinleib mit Zacken und Dach, Zinken und Türmen. In dessen Höhle sich Menschen drängen mit Gebeten, mit Gesängen, mit Wehklagen, mit Hymnen zum Lobe. Und den jetzt die ewige Ruhe ausfüllte wie mit dem Schlafe aller erhabenen Herrlichkeiten.

Hoch oben begannen sich die bunten Lunetten der Fenster am Hochaltar zu belichten mit blauen und goldenen Scheinen. Die Säulen sprangen aus dem Dämmer lebendiger fühlbar in die Runde. Die Stimmen vereinsamter Beter gaben ein fernes Raunen, ohne daß Einhart seinen Blick aus der Höhe zurücknahm.

Ein Dom! Und wahrhaftig in Stein getürmt von Menschenhand! Und wahrhaftig erst einmal im Traum gesehen von Menschenaugen! Das da steht, wölbt sich wie Berge, und gibt ewige, stumme Kunde.

Und es kam Einhart so vor, als ob er aus den Wölbungen und Säulen und ragenden Gestalten in Stein, und hinaus in Dach und Zinnen und Türme einen Ruf, eine Anbetung, eine gewaltige Sturmwelle aus Menschenstimmen, eine unerhörte Macht der Seele lautlos vernähme. Hier schien ihm ein Leib gebaut, dessen Seele mehr deuchte, als seine Seele, dessen Stimme bandenloser aufklang, als seine Stimme. Dessen Gewalt ewig stumm und manchmal mit ehernem Munde rufend, sich belebte, in Stürme und Wolken zu hallen, und sich in das große Rufen der Gebirge und der Wüsten einzumischen.

Graue, kanadische Schifferknechte traten durch eine Seitentür unter dem holzgetäfelten Chore, darüber die Silberflöten der gewaltigen Orgel, von Engeln umflogen, schwiegen, und trappten langsam und verschüchtert in die tiefe Stummheit. Das Angesicht dem lichtdurchstrahlten Dunkelraume des Hochaltare kindlich staunend entgegen gewandt, warfen sie sich auf die grauen Steine nieder, bald auch die Häupter tief dem Boden zugeneigt.

Kanadische Schifferknechte, die im Hafen gelandet waren, harte, rauhe Männer. Und doch scheu wie das Wild, auch vor dem Erhabenen nur heimlich geängstigt, weil immer und immer bedroht nicht von bestimmten Dingen. Sie beteten in sich eingesunken auf Knien die kleinen Gebete um ihr enges Leben. Umhergeworfen in harter Fron, wie Wellen im Meere, hörten sie nie das große Rauschen über den Wassern, darein ihr graues Leben verschäumte. Sie baten:

»Hilf uns! Rette uns! Bewahre uns! Bewahre uns ewig für uns! Laß uns nicht aufgehen!«

Der Glanz vom Hochaltar her fiel eine Weile auch auf sie. Es waren rauhe Seelen, die oft fluchten im Sturmstreit. Sie waren in Furcht niedergesunken.

Ein Dom! Wer hört die Symphonien seiner Einsamkeit? Wer hört die stumme Sprache der Steine, aus der weiten, ewigen Seele gespeist, die einig ist über unzähligen Menschenhäuptern und Menschenwünschen.

Ein Dom! Kein Kirchenlied! Der steingewordene Ruf des großen Christ. Auch wenn alle Erinnerung verginge, wird ihn der Steinleib beständig rufen. Es ist ein stummer Ruf durch die Zeiten, den die Kanadier noch nicht hören konnten in ihrer Enge.

»Sie werden die Religion der Furcht abstreifen, wie eine tote Haut. Dann wird die Religion der Liebe beginnen, die jetzt nur aus den Steinen redet,« dachte Einhart. Dann waren draußen Glocken verklungen, drinnen kaum wie ein dumpfes Klagen und Surren vernehmbar. Einhart war neu auf die Straße hinaus gekommen. Er stand in seiner dunklen Art mit geschärftem Schwarzauge um sich blickend. Aus den Häusern und in den Straßen begannen Maskeraden zu drängen. Der Regen fiel neu. Es dröhnten ferne Pauken. Es schmetterten Trompeten von einer Ecke des Platzes. Eine bunte Bande Musikanten stürmte trappend daher, hinter der sich ein unabsehbarer Schwärm in Narrenflittern und Ritterharnischen ergoß.

Einhart hatte die Stille des Domes noch im Ohre wie eine nie ausgesungene Feier. Seine blitzenden Augen sahen jetzt in die bunten Lumpen hinein, in das Getümmel, in Geschrei und Gelächter.

Der Tag hatte von nun an keine Ruhe mehr. Zu tollem Schwalle drängten sich allmählich die bunten Scharen. Die Menge wuchs und wuchs. Die Häupter schoben sich wie Wellen im Meer. Die Menge trieb um, wie um Pfeiler an Brücken, Kopf an Kopf, die Münder lachend geöffnet, in beständigem Johlen.

Der Dom ragte still. Die Musikbanden marschierten am Dom vorbei. Die Masken dahinter durchpatschten die Pfützen. Keiner achtete weiter.

»Sie feiern ein Fest,« dachte Einhart viele Male und empfand eine Frage.

Die hereinsinkende Nacht sah die Stadt in enger, fahler Lampenhelle. Der Regen rann. Aus Pflastersteinen und Häuserwänden nahe und fern schienen Laute und Lärm, Lachen und wirre Musik ewig zu dringen. Die halblichten Straßen und blendenden Plätze, die unter finsterer Graunacht lagen, die Cafés und die Wirtschaften waren durchstürmt von belustigten Lärmern. Reihen buntumflitterter Weiber gingen in tollen Sprüngen vorwärts, wie in Prozession. Daß ihre Schatten und Bilder in den Pfützen zuckten, und hinter jedem Weibe sein Schatten nachsprang wie der eigene Tod. Tumultuarische Gesänge quollen aus allen Mündern so hart und dumpf, als wenn auch die Schatten traurig hallten. Irgendwoher grollte fortwährend wie sinnloses Pochen dumpfer Paukenschlag durch die Nacht.

Einhart war mit dem Zuge rasender Weiber vorwärtsgegangen, die als grünweiße Bajazzi über die blinkenden Pfützen einhersprangen, dem tollsten Paare nach, das den Reigen führte.

Aber dann blieb er in einer Nebenstraße stehen, bis der Lärm sich vereinzelte und dann völlig verebbte.

Nur zwei junge Frauenzimmer, wie blaue Schwalben gekleidet, tanzten und rasten im einsamen Halblicht ruhelos umeinander, den matten laut ferner Musik noch erhaschend, der irgendwoher in dem grauen Straßenschlund sich verlor.

»Sie feiern ein Fest,« dachte Einhart viele Male und empfand eine Frage, als er in dem matten Laternenlicht weiterlief.

Aus einer kleinen Schenke dröhnte hart und schrill eine Orgel wie von Maschinen getrieben. Der Raum war eng, in den Einhart hineinsah. Die Köpfe drinnen standen wie Ähren im Felde. Matrosen, Schifferknechte und lachende, junge Weiber. Man konnte sich nicht umeinander drehen. Inmitten auf kleinstem Räume vor dem schmutzigen Schanktisch schwang sich ein schwitzendes Paar in Wut und Lust.

Einhart war in die Nähe des Domes zurückgegangen.

Er witterte empor, sah auf, erlöste seine Bedrückung inmitten des treibenden Getümmels durch einen Blick in die graue Nacht.

Die finstere Nacht hing tropfend über der Erde, engte die bleichlichten Menschenwege und gab jedem Dinge und jedem Menschen ihr Schattenzeichen. Der Dom lag dunkel aufragend. Die Fenster spiegelten mit blankem Schein wie von Feuer oder wie Silberplatten. Der graue Turm verlor sich in die Nacht. Und aus der grauen Finsternis nieder hallten über die bleichlichten Menschentaumel und das wirre Tosen dumpf und schwer die Stundenschläge. Einhart kam später auch nach Paris. Welche königlichen Plätze und Straßen! Daß die Menschheit in bekränztem Reigen durch Triumphbögen und Säulen hineinziehe in die Gärten des Lebens. Da sah er ein Idol hochaufgerichtet über der Stadt. Der Mann mit dem Dreistütz und mit untergeschlagenen Armen, in Bronze ragend, auf einsamer Säule hoch über die Dächer in einsamer Luft. Einhart wußte, daß das der Kaiser der Franzosen war. Der einzige Kaiser. Der heimliche Kaiser noch immer. Der jedem drunten in der hastenden Meng« heimlich diese Worte zuflüstert:

»Mensch! Du! Bist ein Kaiser! Sei kühn! Habe Mut! Befiehl! Blicke wie ein Tiger! Alle um dich sind Geängstigte! Sie liegen vor jedem Idole im Staube! Mach dich zum Idol! Vergiß es nie! So tat ich! Nun stehe ich über allen! Das ewige Gleichnis vom kühnen Menschenverächter, vor dem ein ganzes Volk in den Staub sank.«

Und Einhart stand auch an dem Sarkophage aus rotem Porphyr, darin die Gebeine des großen Triumphators modern. Er sah die zerschossenen Fahnen seiner menschenmordenden Siege, all die Blutzeichen um ihn aufgestellt. Und die zwölf großen, weißen Engel, die das modernde Gebein bewachen. Und er hörte den Heersoldaten in stumpfem Brüten dort die Reveille trommeln: »Rataplan! Mensch! Sei kühn! Habe Mut! Befiehl! Alle um dich sind Geängstigte! Rage auf! Du! Kaiser! Einziger! Du selber!«

Und Einhart sah dann auf Straßen und Plätzen in jedes Auge hinein und hörte in jeder Seele nur diese eine Stimme.

Und er stieg auch auf die Türme von Notre-Dame und war wirklich in tausend Zweifeln.

»Die Dome ragen,« dachte er, »aber die Chimären treiben ein wirres Spiel um ihre Türme. Und aus der Tiefe rufen uns starke Stimmen.«

 

In Paris war es, wo er zum Schluß seines Aufenthaltes in ein stilles, weißes Haus draußen über der Seine eingetreten war. Es liegt hoch über dem grünen Fluß an einem grünenden Hange. Ein Rundbau aus Glas. Licht quillt viel herein. Ein Garten voll Blumen umschließt seine Stille. Dort innen stehen in gläsernen Schränken oder auf hölzernen Postamenten tausenderlei Gestalten aus Ton und Stein. Auf Simsen, offen oder verhüllt, ragt dort der Mensch und sein ringendes, rätselgebundenes Leben als ewiges Gleichnis. Dort sah er Schicksal und letzte Begierden in Steinen stumme Sprache sprechen. Dort flüstert der Traum im übervollen Flügelmantel der Schlafenden sein nie erschautes Geheimnis. Und die versunkene, herrliche Athena wirft sich von der Sehnsucht nach einst erfaßt und mit Tränen aufgescheucht über die Trümmer. Dort ragt der stolze Bürger, von der Macht des Triumphators gebeugt. Und das lieblichste Frauenbildnis voll verborgenen Lebens klingt wie ein sanftes Lied zwischen den harten Schicksalsvisionen, die aus anderen Steinen sprechen. Dort schlafen Paolo und Franceska wie Lurche im Schlamme der Erde den sinngebundenen Schlaf, aus uraltem Bluttriebe wie mit Polypenarmen nacheinander begehrlich tastend in der Düsternis des Grundes. Dort – inmitten dieser Welt aus Steingestalten, darin im Stein über das einzelne Leben hinaus sich ewige, letzte Verschwisterungen der Schicksale offenbarten, also daß Blöcke und Steine rings um ihn Ideen duften wie Blumen ihre Arome, steht ein einzelner Mensch. Keine zerschossenen Fahnen, keine Blutzeichen um sich. Seine – einsame – Schau, seine – großen – Deutungen, dem Erdenkloße eingehaucht zum schauenden Erfüllen der Stunde, zum Erhören, zum Erkennen, zum Mitleben aus der Tiefe ins klare Licht, zur Erhöhung des Lebendigen um und um. Ein Einzelner. Kein Triumphator. Kein Bezwinger der Leiber. Ein Sinnenmächtiger. Auguste Rodin. Ein Sinngebärer. Ein Seelenbezwinger.

Auch den Dom hat erst einmal im Traum ein solches Menschenauge geboren.

Einhart hatte viel gesehen. Er reiste auch durch Italien. Er sah Rom und Florenz. Er sah vielerlei Einzigkeiten. Er sah Naturen in heißer Sonne, achtete auf die fremden Blumen und genoß die Schatten fremder Bäume. Er sah auch die Schneegebirge ragen. Und Menschen in allerlei Kostümen kreuzten seine Wege. Da war es, daß er sich heimzukehren entschloß, weil er nach der eigenen Welt sich noch brünstiger sehnte.

»Du erjagst es nicht. Du erjagst nur dich selbst!« sagte er.


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