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10

Als der Frühling den vereinzelten Obstbaum im Hofe des Stadthauses, wo Einhart oben unter Dach sein Atelier besaß, blühen machte, drängte Johanna selber, aus der Stadt zu gehen. Es war wenige Wochen nach der Annäherung, die Doktor Poncet versucht hatte.

Johanna war eine Drollige. Der Gedanke daran machte sie jetzt heimlich lachen mit ihrem lieblichsten Lachen. Und so oft Doktor Poncet auch gekommen war, er hatte in dem sanften, fröhlichen Leben von Johanna nur eine Hingabe an Einhart, aus den funkelnden Augen und erheiterten Worten ganz nur ein Mit-ihm-sein und -leben-wollen spüren müssen.

Gar nichts hatte ihn an eigene Vertraulichkeiten auch nur von ferne erinnert. Wenn ihn nicht gar eine herbe und strenge Miene, sobald Johannas große, feuchte Dunkelaugen ihm begegnen mußten, heimlich geradezu wie ein Vorwurf manchmal getroffen hätte.

Johanna war nur innig zufrieden, daß Einhart arglos und voll frohen Arbeitssinnes ungestört vorwärts lebte. Um so mehr wünschte sie also jetzt ins Freie hinaus, ins Landleben. »Meinetwegen ins Gebirge, noch besser an die See!«

So waren Einhart und Johanna bald mit Packen und Malwerkzeugen nach dem Norden zu abgereist und hatten auch einsam und gut, nach dem Rate Poncets, eine friedsame Sommerherrlichkeit ausgefunden.

Das Häuschen, worin sie Wohnung nahmen, lag mit seinem breiten Strohdach nahe einem alten Eichenwalde, ein kleines, gemächliches Fischerhaus mit vier ungewöhnlich großen und hohen Fenstern nach vorn. Um die Haustür und um das hölzerne, hohe Gartentor hingen Rosenranken, die eben ergrünten. Ringsherum dehnten sich Wiesen, von Sauerampfer blühend und glühend, deren schlanke, zitternde Pracht sich reichlich zwischen roten Nelken, Glockenblumen und Kamillen in die flüsternden Lüfte aufhob. In der Ferne strich der Wind das junge, grüne Korn der weilen Felder, wenn Johanna am Morgen die Fenster frei auftat. Dorther blinkten hinter Hecken und maigrünem Buschlaub die Silberflecken der spiegelnden Scheiben eines vornehmen Landsitzes mit Gutsgebäuden zu beiden Seiten.

Dorther kam täglich nun den ganzen Sommer lang auch Johannas Freude.

Johanna war jetzt losgebunden wie ein Vogel, ohne Pflicht, so recht hineingestellt in die lichte, freie, blühende und reifende Welt. Wenn die Herde Mutterschafe und die Lämmchen sich aus dem Tor der entfernten Gehöfte ergoß und in einer Wolke Staub näher und näher herankam, stand sie, alles vergessend, und harrte mit einem wahren Jubellachen, das Einhart viele Male heimlich entzückte.

Johanna hielt dann schon ewig Büschel Blumen in ihren Händen, der Herde entgegen laufend, um sie den Lämmchen zum schrotenden Fraße anzubieten.

Der alte Hirte, der einen verschmutzten Pelzflausch trug, war gegen Johanna äußerst scharmant. Er hätte ihr den ganzen Tag Geschichten vom guten Lämmchen erzählen wollen. Er wußte Schmeicheleien von ihrer Lieblichkeit und von ihren großen Augen, die wie schwarze Stiefmutterblumen im Schloßgarten wären, wohl anzubringen.

Und Johanna stand ganze Morgen lang auf der weiten Blumenwiese unter den blökenden, grauen Mutterschafen und den wolligen Lämmern im Licht, hob sich die kleinen Schreihälse zärtlich auf den Schoß, oder vergnügte sich, ein zutunliches Lieblingslämmchen im Arme zu halten und an ihrer Brust zu wärmen. Wie eine frohe Heilige im Garten Gottes, verloren für sich in die Lüfte lachend.

Der weiße, zottige Spitz räsonierte von Zeit zu Zeit und schoß um die lässigen Wolltiere. Unterdessen Schäfer und Lüfte und Düfte, die Wolken im blauen Himmel und die Augen der Lämmer und der Schafe, und auch Johannas Blicke arglos und wohlig und eintönig verwehend über die Weide tändelten. Das waren Johannas Feierstunden jetzt am Morgen.

Aber Einhart war in dieser Zeit leidenschaftliche Arbeit an Ecken und Enden. Einhart war dann gewöhnlich gleich nach dem Frühstück einsam gegen den Strand hin gegangen. Er besah sich jetzt die Erde neu von allen Seiten. Schon durch den Streifen Eichwald, der die Blumenwiesen vom Meere trennte, wanderte er mit wahrer Spannung. Er genoß entzückt den lautlosen Eintritt in die hohen, einsamen Wipfelwölbungen, um deren Tragesäulen Schmetterlinge taumelten, und Hummeln eilig vorüberbrummten. Er sah an jedem Stamme empor, wo eine Eichkatze die Rinde reißend hinaufhuschte, oder ein schmetzender Vogel unsichtbar seine Liebesmelodie tirilierte. Er horchte dem Spechtpochen und verfolgte den seltsamen Schwung seines Fluges, wenn er ihn absichtslos verscheucht hatte. Und sah ihn noch lange rüstig hintauchen zwischen den Schatten der Wölbung. Er begegnete Hirsch und Hinde. Der Hirsch, mit dem Blick eines Ernsten, Erstaunten, der plötzlich aus dem Dickicht herausbrechend, in gereckter Gestalt vor ihm stand, lange unerschüttert äugend, zwei Tiere und ein Junges scheu zur Seite hinter sich.

Daß auch Einhart gleich völlig erstarrte.

Daß die Blicke beider, Einharts und des reich gehörnten, mächtigen Waldkönigs sich fest ansahen und immer noch hielten. Bis das erstaunte Tier, seine Gabelung vehement in den Nacken werfend, um seine Flanken zu schützen, ebenso plötzlich mit königlichem Sprunge gegen die Waldwirrnis sprang und den Seinen mit dem Geweih wie mit einer Pflugschar durch Ast und Dorne den Weg fegend, unter erstaunlich flüchtigem Zerkrachen und Zerbrechen von Buschwerk verschwand.

Einharts Leben war jetzt ganz innerlich und froh erfüllt, wie das Leben des Vogels im Schattenwipfel oder das Leben der Woge im Meer. Der Strand breitete sich hellblendend, wenn Einhart die letzte Eiche des Waldgürtels zurückgelassen. Er stapfte tief im Sande auf den hellen Dünenhügel. Auf dessen leichter Höhe zitterten die Strandgräser. Dort lag vor ihm das weite, schäumende Meer ausgebreitet. Im Sande halbvergraben lag ein verfallenes Boot. Weit und breit war keine Menschenspur sichtbar. Hoch im Sonnenraum hing oder kreiste ein Seeadler einsame Runden, dann und wann einen kreischenden Wecklaut herniedergebend. Die glasigen Wogen hatten Schäume weit hinaus. Aus Nordosten flatterte der Meerwind. Und am Strande schlürften die Fluten breit heran, sich leise überstürzend immer und zurücksaugend, rieselnd und zerschäumend und neu zusammenrinnend. Immer wieder. Immer wieder. So weit der Blick Einharts an dem weiten Bogen des flachen Seestrandes sich verlor.

Wenn die Mittagsonne warm schien, hockte Einhart gewöhnlich auf einem Waldfelsen über dem Strande, auf den er vom Meere aus zurückgegangen. Einhart liebte den Ausblick von oben, den frohhebenden Eindruck der Wogenwelt aus der Höhe. Von dort aus konnte er Johanna kommen sehen. Das galt Einhart eine Heiterkeit ohne Ende, wenn die verabredete Stunde heran war. Er hatte den Morgen lang beobachtet, skizziert, oder auch Malarbeit in Studien getan. Durch die silbernen Stämme von einigen Buchen dämmerte schon Johannas flatternde, lichte Gestalt. Sie ging in losen Battisten und hielt einen Schal um die Schultern, der im Lufthauch winkte und wehte. Sie lachte von ferne, wie ein Specht lacht zwischen den Stämmen. Hören hätte es Einhart kaum können. Meerrauschen füllte mit ewigem Überstürzen und Branden, mit genug Lärm die sonnenlichte Strandeinsamkeit.

Aber Einhart sah es klingen in Johannas Augen. Johannas Augen sahen groß aus Dunkel her. Ihre sanfte, schlanke Lieblichkeit, so eilfertig heranstrebend, schien nicht anders, als zuzugehören zu dieser blendenden Dünenwelt zwischen Meerflutschäumen und Waldeswehen. Auch Einharts Blutwelle pulsierte dann singend, als wäre er die Seele dieser einsamen Welt von Dünen, von Wald, Felsen und Wogen.

Dann waren die Flatterwinde still. Die leichten Kleider warfen sie in den weißen Meersand. Johannas lieblicher, rosiger Leib enthob sich den letzten Hüllen. Sie sprang mit anmutigem Gezeter alsogleich in die heranstürzenden Wogenschäume. Sie kreischte lieblich. Sie fiel von der Kraft der Wasserstürze gestoßen und tauchte nieder unter die Flut. Da konnte auch Einhart aufjauchzen derart, als hätte er plötzlich die Stimme eines alten Tritonen, so voll. Da konnte er in die hohlen Hände trompeten, als ob er in eine Muschel dumpf tutend hineinblies. Da konnte er hinter der ängstlich kreischenden Johanna drein in den flachen Wellen schaumsprühend springen, mit vollen Händen Diamanten in Sonne und Lüfte und über Johanna unbarmherzig schöpfend und sprühend. Daß der Seeadler neu aus der Ferne heranstrich, fühlbar erregt hoch über ihnen seine Kreise ziehend, und dann und wann wie im Zorn niederstoßend. Als wenn er jetzt dächte, daß weiße, große Meerwesen aus ihren Wasserpalästen in der Tiefe aufgetaucht, die sich dreimal selig vergnügten im strahlenden Licht.

Dann lagen die beiden lange noch im heißen Sande. Einhart war auf die Idee gekommen, Johanna tiefer und tiefer einzugraben. Sie sah allmählich aus wie eine neckische Sphinx. Kopf und Schultern und Brust hatte er freigelassen. Es waren lauter törichte Spiele, die ihnen wohl Appetit machten, daß sie dann endlich durch den Wald eilig zurückgingen, Hand in Hand und lachend wie Kinder.

Und auch beim Mittagsmahle konnten sie nicht genug immer wieder alles sich erzählen, was ein jeder doch wußte, weil er es eben erst erlebt hatte.

Aber so ist ein Schatz auch das Erzählen von glücklichen Dingen. Es gibt einen Hauch wieder, wenn das Glück verloren ist, und das Glück hier erneuerte sich jeden Tag und jeden Tag den ganzen Sommer lang.

Nie war Johanna freier gewesen im ganzen Leben. Ihre Seele war wie eine Blumenwiese so reich bestellt und wie eine Meereswelle eilig. An Poncet dachte sie nie. Oder geradezu mit Ärger jetzt, wo sie Einhart so in Übermut um sich hatte und in wahrer, freier Sommerfreude.

Und Einhart hing leidenschaftlich an der wachsenden Ernte seiner Sommerarbeit, aber jetzt auch voll an dem Taumel, Johannas Schönheit allenthalben in Wald oder Wellen anzustaunen und fein zu fühlen.


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