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Rosa war die dritte der vier Geheimratstöchter. Sie kam hinter Einhart, und war nur etwa ein knappes Jahr jünger als er. Ein seltsam frommes Mädchen schien sie, je mehr sie den Kinderjahren entwuchs und in den Kämpfen um Einhart in der Familie sich zu einer Art heimlichen Schutzpatrons von Einhart entwickelte.
Rosa war dunkel, wie alle. Auch einen Anflug brauner Hautfarbe, wenn auch am unscheinbarsten, hatte sie. Ihr Haar, das jetzt, wo sie eine Jungfrau wurde, in breiten Scheiteln über den Ohren hing, war glänzend schwarz, wie Jet, und ihre Brauen feinbogig, wie schmale Rabenfedern. Aber im Dunkelglanz der großen Sammetaugen lag kein zehrendes Feuer, nur eine ferne Mildigkeit, und die schmale, leicht spitze Nase zeigte auf einen immer ein wenig geöffneten Mund, der sanft wie ein Schnitt in frisches, dunkelglühendes Fruchtfleisch, weich und zärtlich schien, und nur zärtlichen, versöhnlichen, verhaltnen Worten sich schmiegte.
Herr Selle konnte Rosa in dieser Zeit nicht ansehen, ohne nicht heimlich beglückt zu sein. Die drei andern Mädchen, von denen Johanna und Katharina um die Zwanzig waren und also erwachsen und sehr resolut, und die kleine Emma noch ein rechter Backfisch kaum, nur gerade in den Flegeljahren, amüsierten sich spöttisch über den frommen Hauch, der über Rosas Wesen sich ausgebreitet, und Rosa stand also in dieser Zeit in gewissem Sinne allein.
Nicht etwa, daß sie mit Frau Selle und den Schwestern in der Vergötterung Einharts uneins gewesen. Ganz im Gegenteil. Was ihre Einsamkeit schuf, war der Umstand, daß Herr Geheimrat, ebenso wie Einhart, Rosa durchaus bevorzugten. Herr Selle sah in diesem Mädchen allmählich eine besondere Lebensfreude, daß er sie rühmte vor allen in ihrer Zucht und Scheuheit. Daß er die keusche Erscheinung auch offen mit einer, seinem sonstigen strengen Blicke ungewohnten Wärme ansah, und nur ihr es schließlich allein noch gelang, eine Last rechtzeitig zu lösen, wenn es Gewitter gegeben, oder wenn der Vater in sich erregt in die Familie getreten war.
Und was Einhart betraf: die großen Mädchen waren ihm zu rücksichtslos geworden. Sie konnten auch rein nichts von seinen Heimlichkeiten für sich behalten. Sie rühmten sich womöglich vor der Köchin. Sie glossierten alles behaglich laut und offen, wie es große Damen tun, und nahmen sich nicht in acht, selbst wenn Vater in der Nähe war.
Auch Freundinnen wurde es zugetragen. Es deuchte Einhart auch so etwas, wie wenn sie vor den andern Fräulein halb gezwungen mit einstimmten in eine Art sittlichen Bedenkens, wenn es die Situation zu fordern schien. Einhart lachte auch darüber. Aber er hatte einen Halt allmählich nur an Rosa, die eine Geheimnisträgerin war und für sich genug hatte, ohne eitel nach außen zu blicken. Sie besaß eine stolze, sanfte Verschlossenheit gegen jedermann. Auch gegen Mutter. Auch Frau Selle war das Mädchen, wie sie es manchmal mild und verträumt aussprach, ein bisse! entwachsen. »Das ist allzu früh begonnen,« meinte sie dann in sanfter Verzichtleistung.
Rosa hatte begonnen, Träume selbständiger Art zu gewinnen. Man sah es ihr an. Sie sah nicht nur Albernheilen in Einharts Drängen und Taten. Ernst galten sie ihr. Sie empfand, ein wenig heimlich verletzt, Abwehr gegen das zu laute Vergnügen, was selbst die geliebte Mutter manchmal bei Einharts seltsamen Unternehmungen zeigte. Sie hatte etwas von einer milden, überlegenen Weisheit, so dünkte es Einhart damals. Sie verstand seinen Lebenssinn vollkommen. Sie redete dagegen nie ein Wort. Nur gegen das, was im Äußeren man vermeiden konnte, mahnte sie:
»Du kannst nicht gehen, wie ein Stromer, geliebter frère!« sagte sie von oben lustig ohne zu lachen. »Das kann Vater natürlich nicht dulden. Aber das verstehe ich ja, daß man nicht lebt hinter den Schulbüchern und auf guten Polsterstühlen.« Rosa hatte auch einmal zufällig etwas von Charlotte Corday gelesen, und hatte ins Unbestimmte ein Ideal von einer alles fürs Vaterland opfernden Frau gewonnen. Schöne, weite, drängende Gefühle ging es in ihr hin, wie Melodien ohne Gegenstand. Das gab nun Einhart eine Grundlage. Er sah sich gewissermaßen erkannt. Das Mädchen gab seinen Schalkspielen einen Sinn erst, daß er vor ihr eine drolligfrohe, verlockende Gehobenheit empfand. Das alles verband ihn der zarten Rosa und machte, daß er jetzt mehr Gewichtigkeit selber in seinem Tun zu ersehnen angefangen.