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12

Sonderbare Menschen, die in den jungen Tagen im eigenen, summenden Blute es aus tausend Seligkeiten erhören, aber sobald das Leben mit seinen Erfüllungen begonnen, Schritt um Schritt scheu zurückweichen. Und die dann ewig stehen, den Blick in die Ferne, gar nicht mehr bereit, das Leben und seine Erfüllungen hinzunehmen, anders, als mit bitterer Verachtung. Und die immer neu zum Leben in plötzlichem Lustflackern sich hinwenden, immer tiefer enttäuscht und immer herrischer erregt gegen den Trug aller Trüge.

Solche Menschen sind wie heiße Glutstätten, in denen innige Brände doch nur schwelen, solange keine leichte, frohe Hand ihre Feuer beschwört und ihre Asche lockert. Und aus denen es, wenn eine hohe, liebende, sanfte Frau zur Opferstätte solchen heimlichen Erharrens getreten, emporbrennt wie ein Blühen. Der Harm ist zerstoben, wie noch ein wenig Rauch unter Flammen und Funken. Eine neue Jugend, scheint es, blüht. Eine köstliche Fülle reiner, stolzer, lodernder Feuertriebe wähnt sich das kranke Herz dem weihenden Blicke offen.

In solcher Menschen Tiefgrund klingt ewig die Mythe von der Erlösung durch die Liebe. In jede neue Phase ihrer Weltverachtung nehmen sie diese einzige, sichere Verheißung mit, träumen immer neu den großen Traum, erharren und erhoffen neue Entfaltung. Denn jedes Menschengemüt auch, wie der Rosenstock und die Feuersglut entzückt sich im Entfalten und sich Darbieten. Und nie sind größere, letzte Erfüllungen, als sich weit und frei auftun und sich hingeben dürfen von Seele zu Seele.

»Aber vielleicht ist das im Truge ›Leben‹ der letzte, tiefste Trug!« sagte oft Poncet.

Mit solchem Zweifel in der Seele ist es nicht gut, einem andern Freund sein. Flüchtig sind die goldenen Fäden, in denen Baum und Früchte am Sommerende eingesponnen. Sie zerreißen leicht vom leisen Windhauch. Die goldenen Blätter, vom Lebenszweifel unversehens gelockert, wehen hin. Es gibt kahles Land und astkahle Bäume, vom Winde zerweht, und kahle Seelen von der Verachtung verarmt. Und immer ferner verklingt solchen Seelen das sanfte, heilende Wunder.

»Auch das Weib ist nur eine Verheißung, die sich selbst zum Truge geboren,« sagte Doktor Poncet. »Und unter jeder Herzflamme, von Himmelsbränden voll, lauert der leere, finstere Abgrund, lauert die Zeit, und lauert das Sich-selbst-entführt-werden, wie Blatt um Blatt der Baumkrone im Winde.«

Doktor Poncet war immer zernagt nach dem Weibe. Er war als Jüngling ein Menschensüchtiger gewesen. Er hatte überall hin mit Schwärmerblick neue Glückslehren gebracht. Er hatte auch, wie alle großen Schwärmer eine Zeit wähnen, es einmal ganz gefunden geglaubt. Er hatte das Leben nur zu sehr geliebt, wie er es noch träumte. Und Schritt um Schritt hatte das Wirkliche gegen ihn gestritten.

Wenn man ihn genauer hätte einsehen können, das heiße, heimliche Erlebnis seiner Seele seit Jugendbeginn, so hätte man einen weiten Traumgarten gesehen, worin der Wolf Wirklichkeit immer neu alle Blumen geknickt und alle Bäume umgebrochen.

Die Leidenschaft war immer heiß gewesen. Ein Weib berühren, galt schon dem Jüngling als verzehrendes Leiden. Allmählich hatte er die Liebe und alles Ding in der Welt käuflich und zur Gewohnheit und Notdurft erniedrigt gesehen. Er hatte sich immer wieder in unbegreiflichem Zwange hingeworfen. Die Gewohnheit Ehe, die Gewohnheit Kinderliebe, die allzu reiche Fülle Wiederkehr auf allen Wegen, daß auch die Leidenschaft, die sich ein höchstes Wunder wähnte, sich an Ecken und Enden profan gebärdete, daß das entzückteste Preisen der Seele nur Worte, nicht Wahrheit, nur Flucht, keine Dauer darstellte, das hatte er längst in sich genommen und trug mit solchem entweihenden Grundakkorde sein armes Leben.

Und immer wieder war für ihn doch neu die Rätselblume des Hungers nach dem Weibe vor sein Auge emporgesproßt. Er mußte jetzt Johanna zu sich locken. Er mußte neu an die Erfüllungen glauben. Er fühlte es wieder wie eine Erlösung. Es deuchte ein ehernes Gesetz. Unentrinnbar. Er mußte.

Und Doktor Poncet war ein zersetzender Liebhaber. Als der Winter in der Stadt dahinfloß, fühlte sich Johanna ganz verstrickt.

Einhart liebte Johanna mit sanfter Güte. Er hing an allen ihren Handreichungen. Er liebte ihre junge, frohe Gestalt. Er hatte jeden Zug ihres Wesens in seinen Bildern licht gemacht. In ihm ruhte sozusagen und wuchs das Bild, das sie sich selber geworden war.

Der Mensch selber weiß so wenig, was er an sich darbietet. Und unversehens kommt einer herzu, der ein Lied zur Dauer aus ihm anspinnt. Da hört sich die Seele plötzlich klingen und will es kaum glauben, daß so das Lied des eigenen Lebens hallt.

Johanna ging wirklich ganz im Wundergewandt, das Einharts Reichtum ihr wie einen Zaubermantel umgewoben. Aber um so mehr lockte sie jetzt der verzehrte Glutblick des »armen Heinrich«.

So geschah es, daß Johanna das Blut glühen fühlte, wenn sie den arglosen Einhart mit Poncet zusammen sah. Poncet kam jetzt auch, wenn Einhart nicht daheim war. Man besprach sich heimlich und traf sich heimlich. Poncets Liebe war hart. Seine Illusionen waren flüchtig. Es griff das Gerippe des matten Unglaubens gar zu hart durch das weiche Fleisch seiner Begehrung. Er hatte es oft in den Fingern zucken wie herrische, böse Laune, sobald die Phantasmagorie, die sein Begehren geweckt, in der Erfüllung untergesunken. Aber je jäher die Härte seines Wesens und seiner Enttäuschung aufquoll, desto jäher und süchtiger wurde ihm Johannas Wesen Untertan.

Die Liebe Einharts war eine zärtliche, sanfte, frische Weise. Gerade in Einharts Wesen lag Liebe und Begehren wie Heiterkeit. Auch im Rausche der Sinne spielten die Genien um das Lager zweier Liebenden. Jetzt in den Wintermonaten in den heimlichen Beziehungen zu Poncet gewann Johanna einen Zug fremder Schicksalshärte in ihren Blick.

Einhart begann ihre Seele langsam durchzuschauen. Zuerst hatte er Johanna noch in arglosem Scherz mit einem Satan im Hintergrunde gemalt. Und auch, daß er sie als eine junge Hexe im Morgengrauen fortgeführt, hatte seine Seele noch ganz ohne Wissen, gleichsam im Traumspiel vorweg getan.

Johanna verwahrte sich gleich dagegen. Sie fand die Bilder abscheulich. Sie hing sich an ihn und weinte einmal, und mochte gar nicht sprechen. Sie war sich heimlich wie erraten vorgekommen. Obwohl Einhart ganz und gar nichts wissen konnte. Denn alles war noch immer völlig geheim gewesen, was Poncet betraf. Aber diese feinen, schauenden Wesen, die das Denken gar nicht brauchen, um die treibenden Mächte auszuspüren!

Einharts beginnende Wissenschaft scheute gleich vor allem offenen Ausdruck zurück. Wie er zu erkennen begann, bekam er auch nur seltsame Linien der Vernichtung in seine gelbgrauen, hageren Backen. Und der Blick seines Auges glomm in Erstaunen.

Johanna kam immer zu ihm mit Demut wie Liebe. Sie schien ihm manchmal, wie etwas abzubitten. Aber er hätte zuerst und noch lange seinem Mißtrauen keinen Raum in sich, nun gar Worte geben mögen. Auch zu Poncet blieb er immer gleich freundlich. Daß der ganze Winter ungestört hinging.

Erst einmal gegen den Frühling kam es zu einem wirklichen Erschrecken. Daß die Gewißheit Einhart gleich wie eine Kralle anfaßte. Johanna war schon in sonderlicher, verschleiernder, erregter Demut und in nicht weniger flatternder Frühlingspracht mit irgend einer sehr plausiblen Absicht, Einkäufe oder dergleichen zu tun, ausgegangen. Sie war, den Hut frischer Syringen von goldenen Stäbchen gehalten über breiten Dunkelscheiteln, zu Einhart getreten mit zärtlichem Auge, das nur ein wenig noch unsicher nebenher sich zu schaffen gemacht, und hatte dann in einer innigen Anwandlung Einhart plötzlich leidenschaftlich auf den Mund geküßt, was sie aus freien Stücken noch nie getan.

Einhart durchfuhr es gleich sonderbar. Aber er hatte, versunken in die Pinselstriche für die große Tafel, die er für das Speisezimmer der Gräfin Schleh eben vollendete, die Sache doch noch einmal vergessen.

Da war der Abend herangekommen, wo sich Johanna noch immer nicht einfand. Und auch Poncet, der um diese Zeit gewöhnlich kam, war ausgeblieben.

Einhart lebte es plötzlich sicher und mit dem ganzen Wesen, was sich jetzt im Grunde der Seelen zugetragen. Jetzt zum ersten Male schoß auch Entschluß und Wille auf.

Er hatte sich im Dämmer in seinen Gesellschaftsrock geworfen und hatte die klare Absicht, in eine fremde Gesellschaft zu gehen. Da kam Poncet, bleich, offensichtlich verlegen, erregt die Treppe empor und trat ein. Einhart war stumm und scheu. Poncet redete zuerst auch nicht. Er wagte auch nicht, nach Johanna zu fragen. Wie er es doch tat, nachdem er sich das große Bild Einharts lange stumm angesehen, gab Einhart eine harte Antwort.

»Du wirst es besser wissen, als ich!« sagte er nur, während er sich im dem einsamen Lichte seine Zigarette anglomm, ehe er das Licht rücksichtslos löschte. Es war eine sehr peinliche Pause, die Einhart und Poncet, beiden gleich, einen heißen Schmerz im Blute zum Aufbrennen brachte.

Sie waren dann schweigend die Treppe hinuntergegangen, weil Einhart gewissermaßen sich ganz ohne Anwesenheit Poncets zu fühlen schien und seinem Vorhaben wie allein nachging.

Einhart wollte um keinen Preis, daß jetzt noch gar Johanna dazu sich fände.

So schritten sie stumm nebeneinander einige Straßen lang, bis Einhart mit flüchtigem Gruß in das Treppenhaus der Gräfin Schleh verschwand. Er wünschte jetzt durchaus nur mit dem Rauch einer feinen Zigarette und dem sanften Geplauder der alten, feinsinnigen, gütigen Frau am Kaminfeuer eine Stunde lang sich aus den Trümmern seiner zerbrochenen Zutraulichkeit zu sich zu finden.

Wie er dann heimkam um Mitternacht, lag Johanna schon im Bett. Sie wagte nicht, ihre Augen aufzutun. Tat nur, als wenn sie fest eingeschlafen und sah scheu und zärtlich durch die blinzelnden Lider zu Einhart hin, der, die kleine Kerze in der Hand haltend, im Zimmer sich noch eine Weile zu tun machte.

Einhart schien ein wenig eingesunken fast. Demütig ging dann und wann ein Lächeln aus seinen beglänzten Blicken.

Einhart konnte noch immer lächeln, wenn er nagende Schmerzen hatte. Und auch wenn er sich recht aus der Tiefe selber sonderbar dünkte.


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