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Einhart schaute die Seele der Dinge. Und er kannte keine Gebote und keine Verschuldungen. Er sagte es immer wieder, daß die Seele der Dinge alles Geheimnis einschlösse, unbegrenzt und frei. Und daß nichts weit und grenzenlos bliebe, auch im Menschen, wenn nicht seine Seele.
»Das ist ein großer Geist,« konnte er von dem oder jenem sagen, der sich in der Kunst ausgesprochen, »und eine kleine Seele.«
»Der Geist ist immer Sklave,« sagte er. »Die Seele ist das Ungebundene in uns und überall.«
Er sagte auch: »Dein Geist und deine Entschlüsse und dein Wille und was weiß ich? flattern wie Möwen ängstlich, und halb eigen, halb von irdischen Winden getrieben, über das große, freie, unbegrenzte, wogende Meer ›Seele‹«
Und er lächelte auch immer und sagte: »Wo wir Schauenden und Schaffenden es schöpfen sollen? Dort, wo die großen Ahnungen anwogen und unsere Ufer bedrängen. Und wer könnte wohl sagen, welche treibende Woge?«
»Seele« schaute er. »Die Welt ist Seele,« sagte Einhart. Er philosophierte aus seiner Herzschau.
»Die Welt ist Seele. Nicht, wie die Alten gesagt: die Welt ist Vernunft.«
»Gar nicht Vernunft ist sie,« sagte Einhart. »Nun gar das, was wir mit dem Gran Rechensinn, dem Verstande, können und erkennen. Diese Triebe sind die schlimmsten Flüchtigen, die begrenzter noch wie Möwen und kleine Seeschwalben flattern, nur hinschießen auf den Bissen und dann verjagt sind, morgen schon andere.«
»Nichts dergleichen!« sagte er, »nur Seele! das weite, tiefe, wogende Meer. Die große, grenzenlose Flut. Auch in uns ist Seele allein die Kraft und allein die Erneuerung. Wenn wir von unseren Erstarrungen uns wieder jung waschen wollen, wohin sollen wir tauchen? In unsere Seele.«
Einhart erschaute sich immer mehr das mächtige, reiche Unbekannte in sich und der Welt, aus dem alle Frühlinge wie eine flüchtige Phantasmagorie auftauchen, und alle Schönheit in Leib und Auge, und alle Liebe ins Blut.
Und Einhart schaute Seele und war Seele.
Das konnte man in der Zeit erleben, wo Johanna in dem Winter daheim sich ganz und gar nicht erholen konnte. Auch Poncet hätte es jetzt voll begriffen, wenn er es nicht schon gewußt hätte. Poncets Organ war gemeinhin immer das Wissen, womit er sich viele Menschen und Dinge scheinbar nahe brachte, und das Einhart tatsächlich nicht kannte. Aber Poncet liebte jetzt die Weise, wie Einhart mit der Seele der Dinge und der Menschen umging. Poncet hatte längst auch angefangen, sich zu sehnen, ins Meer der großen Ahnungen einzutauchen und aus aller engen, irdischen Notdurft heraus dem ursprünglichen Quelleben sich zu nahen.
Einharts Wesen war in diesen Wintertagen voller göttlichen Frohsinns. Er hätte können auch traurig sein, ergriffen von dem Anblick Johannas. Johanna war bleich wie ein zarter Engel. Sie hustete viel. Ihre Hände waren wie weiße Hände einer Heiligen. Ihr Lächeln war ein wundersames Aufflattern, körperlich schwach und gebunden, wie ein verschlafener Falter im Winter, der, vom Sonnenstrahl aufgeweckt, hastig flattert, nicht um zu fliegen. Aber Einhart war nicht traurig.
Johannas Bett stand im Atelier fast mitten. Sie saß in feinen Kissen, weiß in feine Spitzenleinen gehüllt. Ihre Eulenaugen waren im bleichen Gesicht noch tiefdunkler und sehr groß. Und man fühlte, daß ihre Seele viel ruhelos schweifte. Eine große, unbegrenzte Frage sprach aus ihrem Augenglanz. Die Wangen waren abgezehrt. Der Mund rosig und blank. Wie Perlen die kleinen, jungen Zähne. Und das Lachen oft nur abgerissen, jäh. Wenn auch die Seele aus den Augen noch für sich lange wie verlegen zu lächeln schien.
Einhart lachte zärtlich um das Bett herum. Er mußte seine Staffelei so stellen, daß Johanna alles sah, wenn sie neu aus ihrem Hindämmern die neugierigen Blicke auf der Leinwand ruhen ließ. Das war durchaus ihr Wunsch. Einhart malte jetzt allerlei Schalksgeschichten voll bunten Lebens.
Und wenn Poncet hinzukam, stand er oft lange neben Einhart stumm. Als wenn er es erhören könnte jetzt, so deuchte es ihm, wie in Johanna die Möwen und Seeschwalben der Wünsche und des Wollens immer noch hinflogen über eine weite Wogenwelt, nur jetzt rein geworden, wie aus der Göttin Händen aufgeflogen.
Einhart war immer arglos heiter auch vor Poncet. Nur wenn der Arzt kam, begannen sich in den fragenden Augen Einharts tiefe Ängste zu erheben. Aus seinem Dunkelblick konnte es auch wie Trotz manchmal aufspringen, wenn Johanna schlief, und er mit Poncet allein einen Augenblick die Zukunft ermaß. Da war Härte und Anklage in jähem Aufwallen und Verwünschung um eine hinschwindende Seligkeit in ihm flüchtig lebendig, mit ängstlichem Sorgenblick nach der Schlafenden hin.
Poncet war in solchen Zeiten der Tröstende. Er log dann sogar. Er meinte noch immer, daß der Frühling es bringen könnte, was der Winter versagte. Poncet erwies sich in der Zeit als Freund. Er, in dem immer noch nicht die Schuld ganz getilgt war, daß sie manchmal in ihm heimlich aufbrannte und sein Wesen in eine fremde Sanftheit in dem leise durchatmeten Raume wandelte.
Einhart sagte oft zu Poncet heimlich: »Ist Johanna nicht schon wie eine Vergessende? Rein und grenzenlos? Ihr Lachen klingt mir manchmal, als wenn es von jenseits des Meeres noch zu mir dränge. Ich könnte weinen und lachen zugleich, wenn ich es höre. Ich könnte beständig sitzen und harren auf diesen überwindenden Laut.«
So war es. Johanna zog schon hinaus. Sie zog schon mit hohen Masten auf dem weiten Meere und konnte ferne sehen und tief hinein ins eherne Klare. Sie war nicht zurückzuhalten. Es konnte wie ein Prunken hart aus ihren Worten die Wahrheit gehen. Und wie ein Festzug aus ihrem Gefühl ihre Losgebundenheit von allem. Obwohl sie immer leise und lieblich sprach, nicht laut. Solche seltsame Gehaltenheit drang aus ihr auf. Aus ihren Träumen manchmal, auch aus bloßen Träumereien oft, die Einhart und Poncet gleich unbarmherzig anrührten wie eisige Geschenke.