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Im engen Kerker wacht der Graf,
Er will sich nicht durch Traum und Schlaf
Die letzten Stunden rauben lassen
Des heitern und geliebten Lebens,
Aus seines Daseins Kelch vergebens
Die karge Neige nicht verprassen.
Er hat's geliebt, wie man ein Weib,
Ein schönes, liebt, in dessen Arm
Man Alles kostet, Lust und Harm –
Wie man das Meer liebt, drein der Leib
Des Schwimmers taucht, sich süß zu kühlen,
Die Wellen mächtig aufzuwühlen,
Zu bänd'gen es und es zu theilen,
Hinaus ins ferne Blau zu eilen
Und Eins sich mit dem All zu fühlen.
Er hat's geliebt mit Lust und Schmerz,
Wie alle Jene, deren Herz
Ein offner ungetrübter Spiegel;
Drin alle Himmel wiederscheinen,
Wie Alle, deren Stirn das Siegel
Der Schönheit traget, gleich der seinen.
Er wandelt lächelnd auf und nieder.
Ob auch der Zelle Dämmerungen
Nur trüb vom Lichte sind durchdrungen,
Ob auch der Schergen fremde Lieder
Wie Hohn an seine Thüre schallen,
Ob auch im Gange wiederhallen
Die Waffen und der Knechte Tritte,
In deren fühllos stumpfer Mitte
Er mit dem nahen Morgenroth
Dahingeht in den kalten Tod: –
Er lächelt stets. Sein heitrer Geist
Ist auf der Wanderung und reist
Zugleich auf vielen hundert Pfaden,
Die nun die Zeit verweht, zurück
Zu jedem einst genoßnen Glück
Und kehret wieder, überladen
Von seligen Erinnerungen:
Wie Einen, der durch Rosenhecken
Im reichen Lenze ist gedrungen,
Viel Rosenblätter überdecken.
»Leb wohl, o Welt!« – so ruft er aus,
»Ich geh' betrübt aus deinem Haus,
Das ich so schön mir ausgeschmückt
Mit Allem, was ein Herz beglückt,
Mit Wissenschaft und holder Kunst,
Mit Freundschaft und mit Frauengunst,
Mit Bildern eines großen Lebens,
Mit Zielen eines edlen Strebens,
Mit Kampf und ringen nach dem Heil,
Daß Jedem werde Das zu Theil,
Was alle Herzen, ach, bedürfen –
Mit stolzen Plänen und Entwürfen,
Mit ausgesäten Zukunftssaaten
Und, Dank dem Schicksal! auch mit Thaten,
Mit Thaten, deren Spur nicht schwand,
Mit Thaten für mein Vaterland!«
Er lehnt sich an die Kerkerwand
Und decket zitternd mit der Hand
Das Auge zu, das thränbefeuchtet:
»O Vaterland, mein Vaterland,
Du Stern, der mir in Nächten leuchtet,
Wie traurig lass' ich dich zurück!
Zertreten ist dein mildes Glück,
Es neiget sich dein Haupt dem Leide,
Gleich einer Blume auf der Heide,
Die eines Rosses Huf zermalmt.
Da liegst du, von dem Rauch umqualmt
Des Blutes deiner besten Söhne;
Und dich umwiehern Jubeltöne
Des Siegerfeindes, wie ein Spott,
Wie ein Beweis: Es ist kein Gott!
»Dein Ruhm wird alle Zeit durchklingen,
Du rangest, wie nur Helden ringen.
Da Alles fiel, du standest noch
Zuletzt und trugst die Fahne hoch –
Bis dich Verrath und Uebermacht
Und Trug gefällt in Einer Nacht.
Da liegst du nun, dahingestreckt,
Die Brust vom guten Schild bedeckt.
Mit Krampf hält der gestreckte Arm,
Gebrochen, doch vom Blut noch warm,
Das alte Schwert, das schartenreiche.
Zum Himmel aufwärts blickt das bleiche
Gesicht, auf dessen Lippen schwebt
Ein ewiger Fluch – ums Auge bebt
Unsterblicher Rebellenzorn,
Und alle Wunden klaffen vorn.
»Entweiht ist deine Heimatstätte
Allüberall vom Klang der Kette.
Das sonst erscholl, das Freiheitslied,
Erschrickt vor solchem Ton und flieht –
Die freche Willkür herrscht, und frei
Ist hier nur noch die Tyrannei!«
Graf Ludwig Batthyanyi schweigt.
Sein edles Haupt hängt tief geneigt
Zur Brust herab, und mild und hell
Springt aus dem Aug der Thränenquell,
Indeß mit einer Hand er preßt
Das Herz, das ihn nicht athmen läßt,
Und er die andre ballt im Krampf
Und drohend hebt als wie zum Kampf.
Sie sinket wieder schlaff herab.
Schnell wischt er seine Thränen ab:
»Fließ hin, mein Blut, ich bin bereit,
Die Freiheit kommt auf blut'ger Welle,
Und jedes Grab ist eine Schwelle
Der Zukunft und der bessern Zeit!
»Warum doch trifft mich das Gericht,
Das mörderische Willkür spricht?
Nach Worten des Gesetzes bin
Ich schuldlos selbst in ihrem Sinn,
Im Sinne selbst des Formelknechtes,
Des heuchelnden Despotenrechtes.«
Er lächelt sanft: »Die Freunde sagen,
Weil ich der Liebe mich entschlagen,
Der Gnade eines stolzen, hohen
Und mächt'gen Weibes, deren Lohen
Und Rachegluth mich jetzt verzehrt,
Und die von ihrem Kind begehrt
Den sie im Leben nicht besaß,
Den Todten, wie Herodias.
Ich rechte nicht! Kein Weib vergibt,
Wenn es verschmäht wird, wo es liebt.
»Ach, andre Lieb' hab' ich gekannt,
Die schöner, wärmender gebrannt,
Die nicht geloht wie die, die heiß
Wie Hölle und doch kalt wie Eis.
Die Liebe meines Volkes war
Der Frühling, der mich immerdar
Umweht mit frischer Maienluft
Und Rosenduft.
Sie kannten meiner Stimme Schall
Und sahen nach dem Wiederhall
Sich um, ob er sich in den Gassen,
Ob er im Rath sich hören lassen.
Sie kannten meinen Schritt:
Der Tritt
Von meinem Rosse, wenn ich ritt,
Rief sie ans Fenster, mir zu winken.
Der Werkmann ließ die Arbeit sinken
Und sah mit Freundesblick mir nach;
Er drückte mir die Hand und sprach
Von Arbeit, Leben, Lust und Leide,
Indeß an meines Schwertes Scheide
Der Gasse Kind vertraulich spielt',
Ein anderes die Zügel hielt,
Ein drittes meinem Rosse schmeichelt,
Ein viertes seine Mähne streichelt
Und holde Mädchen, schöne Frauen
Mit mildem Auge niederschauen.
Sie sagten nur: Das ist sein Haus!
Und Keiner sprach den Namen aus;
Es kannt' ihn jedes Kind im Land,
Wenn es gelallt; der Stumme fand
Ein Zeichen, das ihn wiedergab,
Der Taube las vom Mund ihn ab.
Wenn ich mit Gold und Diamant
Behangen ging und im Gewand
Des edlen Manns, im dunkeln Sammt –
Dann feurig hat ihr Aug geflammt
Und hing am Saume meines Kleides;
Doch war es nicht der Blick des Neides.
Sie sahen nur in meinem Glanz
Den Glanz des stolzen Vaterlands
Und freuten sich, der Mißgunst baar,
Daß ich sein stolzer Träger war.
Und solches Leben so zu enden!
Soll ich ein Werk der Schönheit schänden,
Entweihen lassen von den Händen
Der stumpfen, dumpfen Henkerschaar
Ein Werk der Schönheit, wie es war
Mein Leben, heiter, wahr und klar?
O, stürb' es doch wie ein Gesang,
Der in der Schlacht, im Wald verklang
Und in den Wipfeln widerschallt,
Nachdem er lange schon verhallt –
Den dann des Waldes Sänger lernen
Und freudig auf dem güt'gen Flügel
Fort tragen über Thal und Hügel
Und in der Zeiten blaue Fernen!
O, könnt' ich sterben wie der Tag,
Der sterbend noch auf Busch und Hag,
Auf Berg und Thäler Rosen streut
Und sterbend seinen Glanz erneut.
Und könnt' ich sterben, wie das Schwert,
Das in des Feindes Herzen bricht –
Und wie der Blitz, der flammend fährt
Aus Wolken und sich selbst verzehrt –
Geschick, ich wollte hadern nicht! –
»Was blitzest du aus deinem Dunkel,
O Dolch, was lächelt dein Gefunkel,
Der theuern Gattin letzte Gabe?
O, daß ich dich verstanden habe!
Es wird nicht schmerzen, theures Herz.
Wie käme auch von ihr ein Schmerz,
Die mir nur Glück und Freuden gab
Und noch zum Grab
Die schönre Pforte auf mir thut
Durch diesen Schlüssel und der Wuth
Fühlloser Henker mich entreißt?
O Weib, ich küsse dich im Geist.
Ich werde wie der Abend sterben
Und mich in eignen Rosen färben –
Frei send' ich aufwärts meine Psyche
Durch freies Sterben, wie der Grieche!«
Durchs Gitter blickt er noch einmal:
Blaß schimmernd fällt der Mondenstrahl
Verklärend auf die Kerkermauern,
Und ferne heben sich mit Trauern
Hoch in die Nacht die Trümmerreste
Von Buda, der Magyarenfeste.
Die Winde tragen mit Geflüster
Das Murmeln her des blauen Ister,
Der rollt dahin mit gleicher Ruhe,
Jetzt, da das Land die Todtentruhe
Der Freiheit, wie er damals rollte,
Als Freiheitsschlacht sein Bett umgrollte.
Ach, Alles, Alles so, wie immer!
Der Thau, der Wind, des Mondes Schimmer,
Die Nacht, die Sterne und die Bäume
Und auch vielleicht der Menschen Träume!
»Leb wohl, leb wohl, mein Vaterland!«
Er lispelt's nur und hebt die Hand
Und faßt den Dolch: »Ich sterbe frei!«
Er stößt mit Macht – da stürzt herbei
Der Knecht' und Wächter Ueberzahl –
Sie fassen ihn – es sinkt der Stahl
Nur leis gefärbt herab, und schwach
Nur träuft das Blut der Wunde nach.
»Sie wollens nicht. – Es sei, wohlan!
Was ließ ich auch vom alten Wahn
Bethören mich, ob Henkershänden
Die Kraft gegeben sei, zu schänden,
Das schöne Leben eines Frei'n,
Das unnahbare, zu entweihn?
Sie mögen kommen denn! – Herbei!
Ob freier Tod, ob Strang, ob Blei –
Was einstens Schande, jetzt ist's Ruhm,
Und jeder Tod ein Heiligthum!«
Er wirft sich auf des Lagers Pfühl.
Schon haucht der Morgen lieblich kühl
Durchs Gitter ihm um Stirn und Lid
Und Wange, und sein Herz durchzieht
Ein längst entschwundenes Gefühl
Harmlosen ersten Jugendmuthes,
Und bei dem Träufeln seines Blutes,
Als läg' er an des Waldquells Ranft.
Einnickt er und entschläft er sanft.
Er träumt. Und schnell und immer schneller
Und hold und hell und immer heller
Entrollt sich strahlend Bild auf Bild.
Sein heitres Leben wächst und schwillt
Gleich einem Strom und eilt zurück
Zur Quelle und zu jedem Glück,
Das er genossen einst. Er küßt
Sie alle, die er einst geküßt,
Und eilet wieder fort und eilt,
Bis er am schönen Orte weilt,
Wo wieder ihn ein Glück begrüßt.
Bei Weib und Kindern weilt er lang,
Sie halten ihn mit süßem Zwang.
Er spricht zu ihr: O Weib, du weinst? –
Und zu dem Kind: Es kommt doch, einst! –
Dann, selbst ein Knab' auf wildem Roß,
Fortjagt er von des Vaters Schloß
Hinaus und auf die weite Heide,
Wo Freiheit ist und wilde Freude,
Wo singend der Zigeuner irrt,
Die Winde wehn, der Vogel schwirrt,
Am Feuer lagern Hund und Hirt,
Wo keine Straße, keine Bahn
Auf heidekrautbedecktem Plan,
Wegweiser nur die Brunnenstange
Zur Csarda mit dem Schlachtgesange,
Dem Liede von der Türkenschlacht.
Die alte Schlacht
Ist neu erwacht,
Sie ist unsterblich, und sie rollt
Den Berg hinab und brüllt und grollt
Die Heid' entlang, den Strom entlang.
Da sprengen an mit Sporenklang
Die Honveds, Csikos und Husaren,
Die treuen Söhne der Magyaren, –
Die Waffe klirrt – die Trommel schallt –
Der Graf erwacht. Was wiederhallt
Im Kerker, war das dumpfe Klirren
Der Waffen und der Tritt der Sbirren –
Und seines Traumes Wiederhall,
Es war der deutschen Trommel Schall.
Tag ist's – und wie er sich erhebt,
Fühlt er sein Herz noch freudig beben.
Er lispelt nur: Ich hab' gelebt,
Und du, mein Vaterland, wirst leben! |