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18

Dem Leutnant war nichts Ungewöhnliches anzusehen, aber jetzt gab es sicher böse Tage für ihn. Er wurde so fleißig, er begann wieder mit dem Graben nach Erde für die Blumentöpfe im Treibhaus; es machte den Eindruck, als wolle er recht viel für seine Blumen tun, konnte aber nicht genügend gute Erde finden, wo er auch grub. Es vergingen mehrere Tage, bis er es aufgab.

Er hatte an seinen Sohn telegraphiert, daß er selbstredend richtig gehandelt habe und daß er das Geld schicken werde. Und selbstredend mußte das Geld beschafft werden, sollte er auch genötigt sein, mit dem Silberzeug nach Drontheim zu reisen. Das Verzweifelte und Lächerliche war nur, daß er nicht einmal mehr das Geld für die Reise hatte.

Jeder andere wäre jetzt zusammengebrochen, wäre hinfällig geworden, der Leutnant wurde nur gestählt. Er begann einen Stock zu benutzen, weil er überhaupt begonnen hatte, zu Fuß zu gehen, das war alles. Diesen Stock hatte er von seinem Vater geerbt, diesem vornehmen Herrn, und der Stock hatte einen goldenen Knopf und hatte eine seidene Schnur, damit man ihn an das Handgelenk hängen konnte. Der kleidete den Leutnant und machte ihn ganz und gar nicht geringer.

Eines Tages nun trifft er den Distriktsarzt und den Rechtsanwalt auf der Landstraße, sie zogen beide den Hut vor diesem schwer heimgesuchten Mann, Doktor Muus grüßte auch, weil er gebildet war. Siehe, da ging nun dieser vormalige Gutsherr, und er hatte ja nach sicherem Vernehmen kein gelbes Gebäude und keinen Knecht Martin mehr; aber gleichwohl grüßt ihn der Doktor. Oh, aber der Leutnant erwiderte den Gruß so gleichgültig, so abwesend, daß er sich die Zuneigung der Herren verscherzte, ja auch die Zuneigung des Rechtsanwalts. Freilich hatte Rechtsanwalt Rasch es gerade erreicht, ein Stück Wiesenland zu kaufen – jawohl, gerade das hatte er erreicht, er hatte erreicht, was er wollte, er war deshalb nicht verpflichtet, ewig dankbar zu sein. Und Jungfer Salvesen würde er nun in der nächsten Woche vom Hof wegholen und sich mit ihr verheiraten; wie der Leutnant ohne Hausjungfer fertig werden sollte, war ja eigentlich dessen Sache.

Es sah also schlimm aus für den Leutnant. Unter diesen Umständen gab er wohl das Graben für die Grundmauer auf? Natürlich nicht. Es war schon wieder Herbst, und es mußte doch für den nächsten Winter eine Grundmauer unter seinen Stuben sein. Der Leutnant grub, und sein Knecht fuhr Steine heran. Es war ein goldener, gottgesegneter Wille in ihm, nicht nachzugeben.

Aber an den Abenden saß er unten in der Ziegelei; das war seine Erholungszeit, da legte er Patience mit Karten, die er geleimt und geflickt hatte. Und jedesmal versteckte er sie sorgsam wieder, damit Pauline sie nicht zu sehen bekäme. Es ist nun seinen Händen in den letzten Monaten gar mancherlei zugestoßen, sie sind wund und voller Risse, es ekelt ihn, sie mit den Karten hantieren zu sehen, sie sind unschön und grob. Also versteckt er die Karten bis zum nächsten Abend und grübelt statt dessen eine oder zwei Stunden lang.

Und jetzt sitzt er wohl da im Stuhl, klein und zerzaust, und schwätzt mit sich selbst vor lauter Kraftlosigkeit? Jetzt sitzt er wohl da, den Kopf fast zwischen den Schultern versteckt und die Beine heraufgezogen, und gleicht alles in allem einem armseligen fadenscheinigen Knäuel mit einem kleinen Stimmchen darin? – Selbstverständlich tat er das nicht.

Es steht schlecht mit ihm, ja er ist jetzt neunundsechzig Jahre alt und von Geldsorgen schwer bedrückt, aber er schwätzt trotzdem ebensowenig mit sich selbst wie mit andern, er schweigt, schweigt hartnäckig, zu allem; er schweigt. Aber zu Pauline sagt er – denn der Leutnant spricht mit ihr mitunter ein paar Worte, wenn sie nach der Ziegelei kommt und die Stuben rein macht … und zu ihr sagte er: Du findest wohl, daß ich schlecht aussehe, Pauline, aber da irrst du dich, ich habe niemals besser geschlafen als hier unten! Und dann kann Pauline ihm erzählen, daß Jungfer Salvesen sich am Donnerstag der nächsten Woche verheiraten wird, und der Leutnant antwortet: Daran tut sie recht! Ich will wirklich daran denken! Und er steckt der Sicherheit wegen wieder seinen Ring auf die linke Hand hinüber.

Er hatte eine eigentümliche Sparsamkeit in seinem kleinen Haushalt hier unten in der Ziegelei eingeführt; er vergnügte sich damit, an den Streichhölzern zu sparen. Als ob das ihm hätte helfen können! Er zündete kein Feuer neu an, wenn er die Glut zur Flamme anblasen konnte, er lag auf den Knien und blies. Diese Eigenheit bewahrte er bis zuletzt. Aber er machte sich nicht aufdringlich originell. Eines Tages, als es sich herausstellte, daß seine Uniformjoppe am Ellbogen ein Loch bekommen hatte, ging er schleunigst hinauf nach dem Hof und zog eine andere Joppe an.

Er machte ja zwar Erdarbeiten, und das Loch wäre ja ein gutes, philosophisches Loch gewesen, auf das er sich selbst etwas hätte zugute tun können – ich bin für solche Kunststücke zu alt, dachte er wohl; es ist auch Philosophie an einer heilen Joppe, dachte er wohl. Er ging zeitig zu Bett und war zeitig auf, vielleicht, um Petroleum zu sparen, vielleicht aus einem richtigen Instinkt, am frühen Morgen auf zu sein. Dann ging er aus.

Es war bereits Schnee gefallen, aber die Erde war noch weich, es fror nachts nur eine dünne Kruste darüber. Der Leutnant und der Stock mit dem goldenen Knauf gehen spazieren. Es ist ein kühler Morgen, einige Sterne leuchten hier und da am Himmel wie Libellen auf blauem Grunde; ab und zu schmettert ein heller Hahnenschrei von Segelfoß, seinem Gut, zu ihm herüber. Er faßt auf der Flußbrücke Posten und schaut hinauf nach Holmengraas Haus; nein, dort ist alles dunkel. Und der Fluß strömt und strömt hernieder, ihm entgegen, und rauscht in alle Ewigkeit. Der Wind ist erwacht, wie er selbst erwacht ist, er ist blind und unsichtbar, ohne Körper, aber er ist da. Weil es zu kalt auf der Brücke wird, schlendert er nach dem Landungsplatz hinunter, stellt sich an einen geschützten Platz und schaut über die See.

Jetzt hörte er menschliche Laute; es steht wohl jemand auf. Er hörte die Laute wieder; nein, das ist keiner, der aufsteht, das ist einer, der schon auf ist. Es ist blind und unsichtbar, ohne Körper, nur ein Laut, aber es ist da. Etwas später kommt Lars Manuelsen aus einer Tür und hinter ihm drein der Gehilfe des Lagermeisters. Sieh da, Schwiegervater und Schwiegersohn, sie reden nicht, sie mühen sich taumelnd mit einem Sack, und Lars Manuelsen bekommt ihn auf den Rücken gelegt. Und jetzt ist es zu spät; als er den Leutnant entdeckt, kann er nicht mehr umwenden, aber er grüßt so flehentlich tief, indes er mit dem Sack vorbeigeht. Und der Gehilfe verschwindet wieder in seiner Hütte. Die sind wohl auf Nachtarbeit gewesen, denkt der Leutnant, jeder hat sein Teil, mit dem er sich zu plagen hat; dort ging nun ein Mann tiefgebückt unter einem Sack –

Er beschließt, das Silberzeug heute zusammenzupacken und ohne weiteres an Bord des Postschiffes zu gehen, er war ja bekannt und konnte sein Billett bezahlen, wenn er nach Drontheim kam. Er beschließt, einige Kostbarkeiten zu verkaufen, ja, er will sich einsperren und einigen Tafelschmuck in Watte einpacken, weil die Not ihn zwingt, sich davon zu trennen. Er steht da und nickt, sein Antlitz ist unergründlich. Als er wieder heimwärts geht nach der Ziegelei, dämmert der Morgen, das Land liegt in Halbnacht, er geht dahin wie eine Gestalt in einer geheimnisvoll verschleierten Landschaft, hoch, aufrecht, wie eine Behauptung.

Er ahnte nicht, was seiner wartete.

Jetzt, da er nach Drontheim reisen sollte, gab er wohl das Graben für die Mauer auf? Nein, er wollte es im Gegenteil heute fertig machen und erledigen und alles in Ordnung haben. Maurer würde er alsdann von Süden her mitbringen. Als er oben auf dem Hof gefrühstückt hatte, ging er wieder hinunter nach der Ziegelei und begann die Arbeit.

Er hatte ein paar Stunden an der letzten Ecke für die Mauer gegraben, als seine Hacke in Holz schlug. In Holz. Er gräbt um das Holz herum, nimmt den Spaten und wirft Erde auf, gräbt wieder, es kommt ein Kasten zum Vorschein, eine Truhe – wie ein Blitz durchzuckt es ihn: Der Schatz! Hatte der erste Willatz Holmsen je eine Truhe vergraben, so war sie hier! Der Leutnant glaubte nicht an Märchen, aber vielleicht hatte er etwas, woran er sich halten konnte, eine Familiensage, eine Niederschrift, es war, als kennte er die Kiste. Er mühte sich lange, ob sie nicht aus dem Loch herauszubekommen sei, aber er mußte es aufgeben, da schlug er den Deckel an Ort und Stelle ein, und sah in die dunkle Tiefe der Truhe.

Kästchen und kleine Kisten waren da in der Truhe, schwer, voll von Münzen, Goldgeld. Der Leutnant machte sich daran, alles in sein Haus zu tragen, aber er war schwächer als je zuvor in seinem Leben, seine Knie zitterten mehr und mehr bei jedem neuen Weg, und es war ein Glück, daß er allein war.

Der Knecht Martin kam mit einem neuen, guten Stein für die Mauer, er kam wieder mit einem neuen guten Stein, aber der Leutnant war nicht zu sehen. Es wurde Mittag, und der Knecht Martin fuhr heim.

Aber der Leutnant war nicht zu sehen, und schließlich geht Pauline nach der Ziegelei hinunter, um ihn zu suchen. Ja, da sitzt der Leutnant in seiner Stube, sein Antlitz ist grau von Leiden. Eine große Sorge würde ihn sicherlich nicht gebrochen haben, aber daß er jetzt so mitgenommen ist, das kommt von der großen Freude. Er mußte nach dem Knecht Martin schicken, damit der ihn nach Hause führe.

Er fährt im Laufe des Tages mehrmals hin und her zwischen Hof und Ziegelei, er hat vieles zu ordnen, und es eilt, morgen reist er. Er packt seine Koffer in der Ziegelei, stopft sie voll mit seltsamen Packen, mit Rollen, schwer wie Blei, das ist altes Gold, spanische Dublonen, englische Guineen, das ist der Schatz. Jawohl, es gibt Rücklagen auf einem großen Hof, ob auch ein Krieg darüber hingeht!

Tags darauf reiste der Leutnant nach Drontheim.

Sein Antlitz war grau von Leiden, es sah aus, als habe alles Blut ihn verlassen, aber er stand aufrecht auf dem Schiff, stand da und stützte sich auf seinen Stock mit dem goldenen Knopf.

 

Der Lagermeister hat viel zu tun, er übt mit seinem gemischten Chor, und sein eigener Gehilfe ist sein erster Baß. Zur Zeit übt der Chor Choräle ein, Hochzeitspsalmen, für die Trauung von Jungfer Salvesen und Rechtsanwalt Rasch. Es war in Wahrheit ein schöner Zug von dem Lagermeister, daß er bei dieser Gelegenheit seine Stimme erheben wollte, ja, daß er die ganze Hochzeit überhaupt beachtete. Aber ja, er beachtete sie wohl, er legte sich ins Zeug. Wir singen ja wie Tiere, sagte er und war unzufrieden und verzweifelt. Ist das ein Chor? Das ist schlimmer als das Nebelgetute auf den Postdampfern. Wir werden nie im Leben rechtzeitig mit Üben fertig.

Aber eines Abends kam der Lagermeister zur Chorprobe und machte bekannt, daß die Hochzeit Gott sei Dank um eine Woche hinausgeschoben sei – sie würden also noch Zeit haben, wie Menschen singen zu lernen! Und dann ging es wieder mit den Chorälen los.

Die Hochzeit war aufgeschoben? Ja, aus Rücksicht auf Herrn Holmengraa. Das Schicksal hatte es so gewollt, daß Herr Holmengraa gerade in diesen Wochen sehr niedergedrückt war wegen seiner mißglückten Geldspekulationen, und als er zur Hochzeit geladen wurde, hatte er glatt abgeschlagen. Er war ein reicher Mann und konnte sich eine Absage leisten. War er denn nicht gutmütig? Natürlich war er gutmütig, aber er war auch ein großer Geschäftsmann, und jetzt hatte sein Geschäft gelitten. Ich danke, sagte Herr Holmengraa, aber in diesen Tagen müssen Sie mich entschuldigen.

Weshalb sollte er sich in Ausgaben stürzen? Er war ein Emporkömmling, sein Herrenwesen war wohl größtenteils erkünstelt; er konnte sich jedoch auch natürlich zeigen, das durfte er sich leisten.

Nun konnte doch aber die Hochzeit nicht ohne Herrn Holmengraa abgehalten werden; Rechtsanwalt Rasch sprach mit seiner Braut darüber und einigte sich mit ihr dahin, daß Herr Holmengraa unentbehrlich sei. Sie hatten den Distriktsarzt, das war gut, sie hatten einen Pastor mit einem wohlbekannten Namen, L.+Lassen, sie hatten den Lensmann auf Ura mit seiner Frau, ein paar Handelsleute mit ihren Frauen, den Lagermeister, Frau Irgens – das war alles. Niemand von der Familie des Brautpaares würde kommen, die Braut, die Arme, hatte wohl keine Familie, und die des Bräutigams saß in Staatsstellen im Süden des Landes, und die konnte man nicht hierher nach Norden bemühen – das waren Leute, die vom Nordland genug bekommen hatten. Telegraphist Baardsen war nicht geladen, weil niemand ihn kannte, er hatte bei keinem Besuch gemacht. Das war nun auch eine Art, was, nicht einmal Besuch zu machen! Und wen hatte man sonst noch? Der Leutnant war verreist, sonst würde er sicherlich Gast auf Jungfer Salvesens Hochzeit gewesen sein, o sicher, obwohl er in den letzten Tagen so niedergedrückt gewesen war; Herr Holmengraa war auch niedergerückt und bat, man möge ihn entschuldigen. Und wer war denn da sonst noch?

Aber Herr Holmengraa war unentbehrlich.

Und wirklich, als der große Mann hörte, die Hochzeit sei einzig und allein seinetwegen um eine Woche verschoben worden, damit er Zeit habe, sich zu erholen, da war er doch wieder ein natürlicher Mensch, dem diese Aufmerksamkeit schmeichelte, und er nahm die Einladung an. Vor soviel Liebenswürdigkeit muß ich mich ja ergeben, sagte er freundlich.

Und die Hochzeit fand statt, in aller Einfachheit zwar, aber wirklich fein und gebildet, mit Wein und Reden und Telegrammen und einem Ständchen des Chors vom Lagermeister draußen vor den Fenstern. Und Pastor Lassen war so leutselig gewesen. Nun verhielt es sich ganz gewiß wohl so, daß er nur wenig sauber war, und es war im Grunde genommen ein Mißbrauch des Schmutzes, ihn so dick um den Hals herum liegen zu haben, wie das bei Pastor Lassen der Fall war. Deshalb tat Herr Muus auch anfangs etwas zurückhaltend ihm gegenüber; aber wer konnte überhaupt vor Doktor Muus' Augen bestehen, vor diesem Mann, fein bis in die Fingerspitzen! Nach dem Mittagessen jedoch änderte er wahrhaftig seine Ansicht, und er führte mit diesem ausgezeichneten Pastor ein angeregtes Gespräch über Bücher und Examina. Sie hatten eine so gleiche Grundanschauung, das Wunderliche war nur, daß nicht auch der Pastor aus einer gebildeten Familie stammte, genauso wie Doktor Muus.

Wie gefällt es dem Herrn Doktor hier in meiner alten Kinderheimat? fragte Herr Lassen.

Oh, Sie wissen, es ist nicht so wie im Süden des Landes. Aber ich habe ja eine Beschäftigung. Ich muß mich eine Zeitlang dreinfinden.

Ja, so ist es nun mal mit uns Staatsbeamten. Ich kann mir auch nicht denken, wie ich es hier für längere Zeit hätte aushalten sollen; Gott sei Dank, ich habe Ablösung bekommen und bin hier fertig.

Der Doktor sagte:

Ich dachte mir: Sie, der Sie von hier sind und nur einige Jahre fort waren – aber Ihre Gesundheit leidet hier im Norden, habe ich gehört?

Ich bin hier keinen Tag gesund, die Luft ist nichts für mich. Nein, so ist das wohl immer mit einem, der längere Zeit im Süden war, während aller Studienjahre. Und dazu kommt nun noch das rein Psychische oder Seelische, daß man von den großen Verhältnissen angezogen wird. Meiner Meinung nach können es im Nordland nur überlegene Persönlichkeiten aushalten; das sagt mein Bischof auch.

Aber hier mußte der Doktor sich in aller Freundlichkeit nun doch etwas räuspern und sich einer so großen Treuherzigkeit gegenüber zurückziehen: Bis zu einem gewissen Grad, sagte er; aber das gilt nicht für alle. Sie reisen schon bald?

In einigen Tagen. Ich bin schon am Packen …

Die Hochzeitsgeschenke bestanden in Hausgerät und Silbersachen; dank der einen Woche Aufschub waren sie alle pünktlich angelangt. Selbst der Leutnant hatte der Braut eine goldene Uhr mit Kette gesandt, es war wie eine Prämie für lange und gute Dienste, und Jungfer Salvesen weinte vor Dankbarkeit. Wirklich, da war der Leutnant in Drontheim herumgegangen und hatte an sie gedacht! Es war doch keiner so wie der Leutnant.

Aber Rechtsanwalt Rasch, der sich ja, wenn man's vom gesellschaftlichen Standpunkt aus ansah, bei der ganzen Heirat etwas engbrüstig fühlte, mußte wahrhaftig diese Freudentränen auf eine feine Art verstopfen, er sagte: Es ist unter anderm das Gute an dir, daß du leicht zu erfreuen bist, meine liebe Kristine!

Haben Herr Pastor die Uhr gesehen, die der Leutnant geschickt hat? fragt der Doktor. Also muß der Mann ja bei Kasse sein?

Ja, der Leutnant – keiner weiß, was der Mann ist. Ich sah, er hatte einen Stock mit einem goldenen Knopf, teurer als irgendein Bischofsstab.

Doktor Muus zuckt die Achseln. Und übrigens, er wollte dem Leutnant wie dem Pastor Lassen eine Lehre geben:

Die Uhr ist gewiß recht teuer, sagte er. Aber ich habe noch niemals gehört, daß jemand einem Brautpaar als Hochzeitsgeschenk eine Taschenuhr gesandt hat.

Nein, das ist wohl wahr – wenn Sie das sagen, Herr Doktor. Ich dachte nicht daran.

Und Herr Holmengraa? Ja, er war zugegen. Er kam spät und saß jetzt da und war freundlich und wurde hochgeachtet von allen. Vielleicht fand er es nicht besonders unterhaltend, vielleicht entbehrte er jemand, aus dem er sich etwas hätte machen können, jemand, dem er hätte zuhören können; hier sprach man ja nicht mit einem einzigen Wort von großen Dingen, das Wort Million wurde ja nicht erwähnt. Der Bräutigam brachte ein Hoch auf ihn aus – na, weshalb sollte er das denn auch nicht tun; der Bräutigam dankte ihm, weil er zwei Menschen zu einem Stück Wiesenland vom Gute Segelfoß verholfen hatte: Einen Dank von meiner Gattin und von mir!

Und Holmengraa tat Bescheid, aber er lehnte nachher jede unverdiente Ehre ab, mit dem Gute Segelfoß habe er nichts zu tun.

Um das gleich zu sagen, sagt der Bräutigam hartnäckig, jetzt ist es der Bäcker, der Land kaufen will, und ebenso Per im Laden. Sehen Sie, der arme P. Jensen, er liegt da marode, wie er es in seiner Sprache nennt, aber er verwaltet sein ganzes Geschäft mit seiner halben Seite. Denken Sie jetzt an ihn, Herr Holmengraa! Selbstverständlich fällt für einen armen Rechtsanwalt bei solch einem Grundstücksverkauf auch etwas ab, wenn es auch nur wenig ist.

Herr Holmengraa antwortete nicht mehr, nein, er hatte dazu wohl keine Lust mehr. Er hatte mit keiner Miene verraten, daß er den Bräutigam und Doktor Muus von einem Trinkgelage her kannte, oder die Braut von den zwei Wochen im vorigen Jahr her, wo er offenkundig auf Mädchenjagd gegangen war. Und nun diese Stube, die voll ist von kleinen Dingen und kleinem Geschwätz, und darin er, der Märchenmann selbst, der König, der sich klein macht und am größten dasitzt –

Frau Irgens, die ihren Herrn im Auge behält, sieht sehr gut, daß er es für an der Zeit hält, zu gehen. Als er durch die Tür verschwindet, denkt sie wohl: Jaja, das Mädchen Marcilie sitzt daheim und wartet!

Der Bräutigam trinkt mit den beiden Geschäftsleuten, für die er Gelder eingetrieben hat, überhaupt mußte er es ja sein, der Liebenswürdigkeit an den Tag legte, denn die Braut hatte keine Erfahrungen im gesellschaftlichen Leben. Er sagte zu seiner Braut: Diese Telegramme, Kristine, die haben nichts Festliches an sich! – Es verletzte nämlich den Bräutigam, daß sie nicht vom Telegraphisten Baardsen selbst geschrieben waren, sondern vom kleinen Gottfred, der gerade erst das Telegraphieren gelernt hatte und noch nicht fest angestellt war. Dessen Schulschrift verletzte den Bräutigam, die Telegramme sollten ja eingebunden und auf den Familientisch gelegt werden.

Dann gingen die Gäste. Als Pastor Lassen ging, sagte er: Friede mit Euch und Eurem Hause! Und das war passend gesagt, der Doktor bekam Achtung vor dem angeborenen Takt dieses Fischerjungen.

Schon wieder Bücher! Sie tragen immer Bücher mit sich herum, Herr Pastor!

Und Herr Lassen antwortet. Ja, das sei schon so. Sie hätten ihn soviel gelehrt. Er sei heute in einer Hütte gewesen, und dort habe er diese beiden Bücher für seine Bibliothek bekommen, das eine sei ein echter Berthe Canutte Aarflot, das andere eine christliche Erzählung von einer Pastorentochter, es hieß ›Das Ende der Pastorentochter und anderes‹.

 

Der Leutnant kehrte von seiner Reise vollständig gebrochen heim. Er mußte von der Landungsbrücke nach der Ziegelei gefahren und zu Bett gelegt werden. Ob er den Distriktsarzt haben wolle? Nein. Ob Jung-Willatz benachrichtigt werden solle? Nein. Nichts wollte der Leutnant, er wolle nur ruhig liegen und gesund werden, sagte er.

Aber es wurde nicht besser mit dem Leutnant, es wurde schlimmer; es war ein Glück, daß er keine Maurer mitgebracht hatte. Die konnten nicht vor März kommen. Wenn Pauline mit Essen vom Hof zu ihm kam, fand sich auch oft Mariane ein, um nach seinem Befinden zu fragen.

Sie blieb draußen vor der Ziegelei und wartete und erhielt jedesmal den gleichen Bescheid: es sei heute schlimmer geworden! Und eines Tages, als der Leutnant – nicht nach dem Doktor, auch nicht nach dem Pastor, sondern nach dem Telegraphisten Baardsen verlangte, da war es Mariane, die hinüber zur Station lief und ihn holte.

Ich beginne an meiner Wiedergenesung zu zweifeln, sagte der Leutnant, ich habe mich auf der Heimreise so stark erkältet.

Hierauf antwortete Telegraphist Baardsen nur ein paar Worte, daß des Leutnants Wille vielleicht manches vermöchte –

Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie ein Telegramm an meinen Sohn aufsetzen würden. Zwar – er kommt wahrscheinlich doch nicht mehr früh genug.

Baardsen antwortete:

Ich habe allen Grund zu glauben, daß Ihr Sohn unterwegs ist.

Der Leutnant verbirgt seine freudige Überraschung und fragt barsch:

Also hat ihn jemand benachrichtigt?

Ja. Das habe ich getan.

Pause.

Hm. Ich danke Ihnen – in diesem Falle danke ich Ihnen. – Mm. Zwar – er kommt wahrscheinlich nicht mehr früh genug, aber … wann kann er hier sein?

Mit dem nächsten Postschiff von Süden.

Der Leutnant zählt die Tage und sagt:

Dort auf dem Tisch liegt ein Brief, ich setzte ihn an Bord auf, auf der Rückreise von Drontheim hierher. Sie haben in Ihrer Station einen eisernen Schrank, dort würde der Brief sicher liegen.

Ja –

Und ich möchte Sie bitten, meinem Sohn den Brief gegebenenfalls einzuhändigen – gegebenenfalls also.

Wird geschehen! sagt Baardsen nur und nimmt den Brief.

Der Leutnant dankt wieder und nickt, das sei alles, was er gewollt habe.

Erlauben Sie, daß ich wieder einmal hereinsehe? fragt der Telegraphist.

Ich fühle mich eigentlich nicht allein – aber haben Sie Zeit dazu?

Sehr gut. Gottfred ist auf der Station und paßt auf.

Dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie einmal bei mir hereinsehen wollten.

Baardsen ging hinaus, da stand Mariane und wartete draußen vor der Tür. Dies wunderlich treue und unerzogene Menschenkind; es war wohl kein Vergnügen für sie, hier jeden Tag zu stehen und zu warten, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß dem Kranken diese Nachfragen wohltäten, von denen, wie sie wußte, Pauline ihm erzählt hatte. Der Telegraphist nickt und sagt:

Marianemütterchen, Jung-Willatz ist auf dem Heimweg.

Marianes braunes Gesicht errötet und antwortet nur:

So – ist er das? –

Telegraphist Baardsen kam täglich in die Ziegelei, der Kranke hatte nichts dagegen, und Baardsen selbst ermüdete es nicht. Er nahm sein Cello mit und spielte ein wenig, er sprach selten und schwieg klug; ohne ihn hätte der Leutnant in seinen letzten Tagen die Gesellschaft eines treu besorgten Mannes entbehren müssen. Baardsen hielt den Kranken darüber auf dem laufenden, wo Jung-Willatz sich wahrscheinlich zur Zeit befinden mußte, und der Leutnant war dankbar dafür. Da lag er nun, grau und entkräftet, und wartete auf den Sohn, sein Auge hatte bereits etwas nach innen Gewandtes im Ausdruck bekommen, seine Schläfen waren eingefallen – so arbeitete der Tod.

Wart ein wenig, Mariane! sagte Baardsen eines Tages, als er in die Ziegelei eintrat. Auf diese Weise brachte er es dem Kranken bei, daß Mariane draußen stand.

Wie kann nur das Kind jeden Tag hierher kommen! sagte er. Rufen Sie sie herein!

Ich soll bald nach Kristiania fahren, erzählt Mariane ihm, und ich weiß doch nicht, ob Sie bis dahin wieder gesund sind.

So, und darum kommst du, um Lebewohl zu sagen. Das ist lieb von dir. Dein Vater hat wohl viel zu tun?

Ja. Er erwartet ein neues Roggenschiff.

Grüß ihn von mir!

Im selben Augenblick wird die Tür geöffnet, und Distriktsarzt Muus tritt ein. Er hatte nicht angeklopft, um keine Unruhe zu verursachen; aber als er hereingekommen war, legte er gleich den Mantel ab und räusperte sich laut im Bewußtsein seiner Wichtigkeit.

Ich höre, Sie sind krank, sagte der Doktor und wollte den Puls des Leutnants fassen. Da der Kranke sich wehrte, fuhr der Doktor fort, indem er sich zu großer Bestimmtheit rüstete: Machen Sie jetzt keinen Unsinn. Diesmal müssen Sie sich mir fügen.

Der Mann tat gewiß seine Pflicht, ja mehr als das, und das war wirklich sehr liebenswürdig von ihm; aber der Leutnant hatte sich ja niemals beugen können, und jetzt war er wohl zu alt, um es noch zu lernen. Er suchte mit seinen Augen Hilfe und rief Baardsen zu sich heran.

Lassen Sie ihn hinaus! sagte er.

Ich werde Sie hinauslassen, sagte Telegraphist Baardsen und half dem Doktor wieder in den Mantel hinein. Ja, Telegraphist Baardsen, der hatte solche gewichtigen Schultern, und er hob den Doktor fast vom Boden auf, als er ihm in den Überzieher half.

 

Und Jung-Willatz kam nicht, und die Tage gingen. Das Postschiff näherte sich, aber es näherte sich zu langsam, und der Leutnant besaß wohl nicht mehr seinen starken Willen, nein, an dem hatte der Tod am meisten gezehrt.

Für den Fall, sagte er, daß ich heute oder morgen sterbe – man kann ja nie wissen –, habe ich eine Bestellung an meinen Sohn. Es kommen ein paar Familienbilder aus Drontheim, von meiner Frau und mir, sie sind nicht gut, aber sie müssen aufgehängt werden neben den andern. Wollen Sie ihm das sagen!

Wird geschehen!

Und es kommt zum Frühjahr eine Orgel, eine kleine Orgel für die Kirche. Sie kommt verspätet – es war nämlich seine Mutter, die darum gebeten hatte. Er kann den unteren Teil der Kirche erweitern – dreißig Fuß sind genug – und eine Galerie für die Orgel bauen. Es kommt Bauholz aus Namsen. So wird da also endlich eine Orgel hinkommen.

Redlicher Wille bis zuletzt, goldener Wille.

Tags darauf sollte es nicht anders sein: auch Pastor Lassen kam, um seine Pflicht zu tun. Es war ein Herbsttag, und eine feine Wintersonne fiel in die Stube des Leutnants, als der Pastor hereintrat.

Aber bei diesem Anblick lächelte der Kranke. Dieser Mann, der schon in den Klauen des Todes war, verzog seinen Mund zu einem schiefen Lächeln; dann schloß er die Augen. Er öffnete sie nicht mehr.

Telegraphist Baardsen schloß die Ziegelei ab.

 

Als Jung-Willatz zwei Tage später mit dem Dampfer nach Segelfoß kam, hatten der Hof, Holmengraas Haus und die Landungsbrücke halbmast geflaggt; er verstand sofort, was geschehen war.

Es war so wunderlich – noch unverständlicher als damals, da seine Mutter gestorben war. Nichts schien gegen früher verändert zu sein, aber alles war so sonderbar fremd: er fuhr gerade an dem Bootshaus hinter der Landzunge vorbei, das Per im Laden in einen Tanzsaal verwandelt hatte, das Bootshaus stand jetzt auch noch da und war angemalt und aufgeputzt; als der Dampfer in die Bucht einlief, konnte man das Brausen der Mühle hören. Bei dem Kran auf der Landungsbrücke lag ein großer Dampfer aus dem Schwarzen Meer und löschte Roggen, Matrosen gingen auf dem Deck hin und her und taten ihre Arbeit. Alles war Leben und Menschen und Welt, aber die Flaggen hingen halbmast, und sein Vater war tot. Da stand Jung-Willatz nun und sah nach dem Land hin, er hatte gehofft, frühzeitig genug zu kommen; er war groß und erwachsen, und an seiner Weste hatte er goldene Knöpfe. Er wurde nach und nach ganz zerstreut, er sah alles, aber er konnte nichts festhalten. Er erinnerte sich, daß er einen Gruß an seinen Vater zu überbringen hatte von Fredrik Coldevin, der keine Zeit gehabt hatte, jetzt nach Segelfoß zu kommen, sondern im Sommer kommen wollte.

Auf dem Landungsplatz erwartete ihn der Knecht Martin und Pauline, Herr Holmengraa kam und reichte ihm die Hand, Frau Rasch, die einmal Jungfer Salvesen gewesen war, stand da und hatte rote Ränder um die Augen. Und da drüben, weit weg, stand Mariane und hielt sich selbst bei der Hand und schaute ihn an.

Als er nach der Ziegelei ging, war Telegraphist Baardsen dort und wartete auf ihn. Sie gingen in die erste Stube hinein – ein großer heller Raum mit Möbeln und Bildern; sie gingen hinein in die nächste große Stube, da lag der Vater, geschmückt und ordentlich hergerichtet, mager, arabisch, tot. Ein Militärmantel lag über der Leiche, Baardsen hatte ihn dort hingelegt, denn der gehörte dazu. Na, also bekam der Leutnant zum letztenmal für den teuren Mantel Verwendung.

Telegraphist Baardsen ging hinaus, und Jung-Willatz war allein. Er hatte sich über die letzten Tage seines Vaters berichten lassen, hatte den Brief ausgeliefert bekommen und ihn gelesen. Ja, gewiß, er würde den verpfändeten Hof auslösen, das Geld stand da und da, Gott sei Dank, sein Vater war ja die ganze Zeit reich gewesen! Hätte er ihn nur noch einmal begrüßen und ein Wort von ihm hören können! Sieh, jetzt saß Jung-Willatz da und hatte sogar goldene Knöpfe an seiner Weste. Diese goldenen Knöpfe hatte sein Vater selbst auf seiner Reise nach England für ihn gekauft und ihm geschenkt, und heute trug er sie nun, um seinem Vater Freude zu bereiten.

Er ging hinaus. Vom Fluß her rauschte es zu ihm nieder. Auf dem großen Schwarzmeerdampfer wurde Roggen gelöscht. Man sah Mariane den Hang hinauf allein nach Hause gehen.

 


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