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10

So vergeht der Herbst.

Holmengraa hat seine Leute nicht faulenzen lassen und hat sein Haus unter Dach gebracht. Nur noch Tischler und Maler arbeiten in dem großen Gebäude. Ebenso ist die Kaimauer unten an der See fertig geworden, man ist dabei, einen großen Platz für ein Lagerhaus herzurichten, man miniert und schießt noch immer, jeder Tag kostet einem Granitblock das Leben.

Aber es fiel schwer, für die große Zahl der Arbeiterschaft immer genügend Proviant zu beschaffen, und eines Tages, nachdem der Leutnant wieder von England zurück war, ging Holmengraa zu ihm hin und fragte ihn höflich und liebenswürdig, ob er etwas dagegen hätte, wenn ein Handelsmann unten an der See einen Kramladen aufschlüge. Es wäre ihm sehr viel daran gelegen, daß ein solcher Kramladen herkäme, seine fünfzig Arbeiter hätten jede Woche eine lange Reise nach Eßwaren, Tabak, Kaffee und Kleidern zu machen, das nähme Zeit weg, und einige von ihnen kämen von solch einer Fahrt meist betrunken zurück.

Der Leutnant würde wohl am liebsten gesehen haben, daß all diese fremden Menschen das Gut Segelfoß endlich verließen, aber Holmengraa hatte eine eigene, unwiderstehliche Art, etwas durchzusetzen, und der Leutnant hatte es sich beinahe zur Regel gemacht, zu seinen Wünschen stets Ja zu sagen.

Wenn nun, antwortete er, Ihre Maurerei und Bauerei zu Ende ist und Ihre Arbeiter abgereist sind, wovon soll dann der Handelsmann leben?

Es ist schon wahr, sagte Holmengraa, daß alsdann weniger Waren gekauft werden. Ich habe auch daran gedacht, aber vorerst werde ich mit der gleichen Zahl Arbeiter noch eine lange Zeit mauern und bauen.

Was werden Sie dann zunächst bauen?

Die Mühlenanlage, von der ich dem Herrn Leutnant erzählt habe.

Und dann?

Dann muß ich einen Weg nach der Mühle anlegen.

Das ist also das nächste. Und was danach?

Danach werde ich die ganze Zeit viele Leute für meinen Betrieb nötig haben. Vielleicht werden es Arbeiter mit ihren Familien sein, es können schließlich mehr Menschen werden, als wir jetzt wissen.

Sie legen hier wohl schließlich eine ganze Stadt an, sagt der Leutnant.

Ganz gewiß habe ich Ihr Gut sehr viel unruhiger gemacht, als es war, aber eine ganze Stadt werde ich Ihnen nun doch nicht aufhalsen. Ist es Ihnen übrigens nicht aufgefallen, Herr Leutnant, wie sehr dieser Ort sich zu großem Verkehr und großer Wirksamkeit eignet? Hier ist eine reine Küste, ein abfallender Strand, Stämme in den Wäldern, Fluß, Wasserfall, eine dichtbevölkerte Umgegend, Äcker und Wiesen, ungeheure Viehweiden –

Alles, was Sie da sagen, hätte mein Großvater hören sollen, er war so unternehmend. Was den Kramladen betrifft, wo sollte denn der stehen?

An der See, auf meinem eignen kleinen Grundstückchen da unten.

Der Leutnant sieht auf.

Sie fragen mich, ob Sie auf Ihrem eignen Grund bauen dürfen?

Holmengraa verbeugt sich höflich und antwortet:

Ich muß gestehen, es sagte mir nicht zu, das ohne weiteres zu tun. Und zudem wußte ich: hätten Sie irgendeinen Einwand gegen den Plan, so würde Ihr Einwand so gute Gründe haben, daß ich meinen Plan aufgeben würde.

Ich habe keinen Einwand zu machen.

Ich danke Ihnen.

Und – es fällt mir ein – Sie haben ja selbst vor, ein großes Lagerhaus da unten zu bauen, und können den Platz selbst brauchen, der Kramladen kann also daneben errichtet werden, auf meinem Grund. Da unten gibt es sowieso nichts als Steine.

Ich bin Ihnen großen Dank schuldig für diese Erledigung der Sache, Herr Leutnant. Es wird natürlich eine jährliche Abgabe für den Grund bezahlt werden. Übrigens bezweifle ich nicht, daß Ihr Entschluß, ein Bauen an den Grenzen Ihres Besitzes zuzulassen, sehr weitschauend ist.

Gefällt es Ihnen hier? Hat sich Ihre Gesundheit gebessert?

Tausend Dank, dieser Sommer ist ein Segen für mich gewesen.

Das freut mich sehr, sagt der Leutnant …

Holmengraa brachte alles zuwege, er ging behäbig und zahlungsfähig und verständig umher und führte Gebäude von Stein und Holz auf. Jawohl, er brauchte nicht mehr einen Pelz zu tragen oder einen dicken Bauch umzubinden, um Achtung einzuflößen, und selbst der Goldkette schien er sich zu schämen, wenn er bei Holmsens zu Tisch geladen war, er knöpfte oft seinen Rock darüber zu. Nein, womit er jetzt Achtung einflößte, das war sein voller Geldschrank an den Samstagabenden, wenn er die Löhnung ausbezahlte. Einige von seinen Leuten erkannten wohl auch seine große Tüchtigkeit und bekamen davor Achtung.

Und die Zeit vergeht, eine Landungsbrücke mit einem Kramladen ist fertig geworden, und der Handelsmann ist mit Waren gekommen. Es war ein Bauer von der Küste, er hieß Per und schrieb sich P. Jensen, wenn er jemand hatte, der es für ihn schrieb – selbst konnte er es nicht. Er war ein unwissender und geringer Mensch, aber in einer Hinsicht war er hervorragend: in der Genauigkeit, mit der er einen Kupferschilling nach dem andern zusammenkratzte und festhielt. Er erfüllte hier alle Bedürfnisse, er handelte vorsichtig, und er führte nur die Waren, die die Arbeiter brauchten, er sprang nicht höher, als daß er immer wieder auf die Füße fiel. Per im Laden, nannten die Leute ihn; er war ein dicker roter Kerl mit einem gewöhnlichen Bauerngesicht und einem blitzschnellen Blick. Er trug Kleider aus hausgewebtem Zeug, sah einfach aus, aber hielt sich gleichwohl alle vom Leibe, sogar sein Weib, sogar seine Kinder, er interessierte sich nur für eines im Leben, für Kupferschillinge, für Verdienen. Das war seine Lebensanschauung und seine Religion, das beherrschte alle seine Gedanken, und selbst wenn er die Elle oder die Waage benutzte, konnte man ihn dabei ertappen, daß er sich mit den Fingern manchen kleinen Vorteil verschaffte. Man schickte nicht gern Kinder in seinen Kramladen, aber konnte dies einmal nicht umgangen werden, so ermahnte man die Kleinen, die Augen offen zu halten.

Holmengraa hatte sich diesen Mann mit von Ytterleia hergenommen, weil er mit dessen Frau entfernt verwandt war. Holmengraa hatte ihm übrigens nur den Platz hier angewiesen und hatte sonst nichts mit dem Kramladen und dem Handel zu tun, Krämergeschäfte waren nicht seine Sache.

Ich höre, sagte Holmengraa, daß die Leute zu dir nicht das beste Vertrauen haben, Per.

Haben sie das nicht? sagte Per.

Nein. Sie müssen dir auf die Finger sehen, daß sie auch genug für ihr Geld bekommen, und sie klagen über dein Ellenmaß.

Hier ist das Ellenmaß! sagte Per.

Holmengraa untersuchte es, legte es wieder hin und sagte: Die Leute beklagen sich bei meinen Aufsehern. Bertel in Sagvika hat einen kleinen Jungen, der heißt Gottfred.

Der rekelt sich hier jeden Tag herum.

Bertel schickte ihn zu dir wegen Kaffee. Er bekam den Kaffee in sein Taschentuch und ging heim. Stimmt das?

Ja, ein Viertelpfund Kaffee.

Aber Bertel mußte selber wieder herkommen, um den Kaffee nachwiegen zu lassen.

Es ist so, wie ich gesagt habe, sagte Per, weshalb kaufen sie auch nicht ein halbes Pfund Kaffee statt eines Viertels?

Aber selbst ein Viertel darf nicht weniger sein als ein Viertel.

Aber wieviel kann denn ein Viertelpfund Kaffee enthalten, könnt Ihr mir das sagen? fragt Per. Ein Viertelpfund Kaffee ist ja nicht die Rede wert; wenn es in ein Taschentuch kommt, so ist es nicht viel größer als mein Auge.

Er hatte zu wenig Kaffee bekommen, du hattest knapp gewogen.

Es kann ebensogut sein, daß sein Taschentuch ein Loch bekommen hatte. Was weiß ich?

Aber jedenfalls mußtest du es noch einmal für den Bertel nachwiegen?

Ich gab ihm noch ein ganz klein wenig drauf. Das tat ich aus Gutmütigkeit.

Holmengraa sagte:

Gib den Leuten keine Ursache zur Klage über dich, Per.

Es wiederholte sich später noch oftmals, daß Holmengraa sich den Krämer vornehmen mußte, aber das nützte wenig, dem guten Per im Laden machte es allzu große Schwierigkeiten, sich zu ändern, und das Volk gewann niemals Zutrauen zu ihm. Davon abgesehen, war er der einzige, zu dem man gehen konnte, und paßte man auf und hatte die Augen offen, so konnte man trotzdem gut bei ihm kaufen. Oh, dieser komische, einfältige Per im Laden, er glaubte wohl, er würde tausend Jahre und Tage leben, deshalb war er so gierig und konnte niemals genug bekommen.

Ich habe eine Anfrage von einem P. Jensen erhalten, der hier unten an der See einen Kramladen betreiben soll, sagte der Leutnant zu Holmengraa.

Wie meilenfern ihm ein P. Jensen war, wie vortrefflich er es verstand, einen P. Jensen zu einem reinen Nichts zu machen! Das schadete nichts, das war im Gegenteil die einzig richtige Art, noch dazu, wo Adelheid dasaß und zuhörte.

Das ist Per im Laden, antwortete Holmengraa. Hat er sich an Sie gewandt? – Holmengraa war äußerst verwundert.

Schriftlich. Er wünscht einen Tanzsaal zu eröffnen, einen Tanzboden, oder was es nun sein mag.

Nein, dieser Per im Laden! bricht Herr Holmengraa aus und schüttelt den Kopf.

Damit könnte er einen kleinen Nebenverdienst gewinnen, so lange hier so viele Arbeiter seien, schreibt er.

Hm. Herr Leutnant haben selbstverständlich nicht –?

Nein, ich habe ihm wirklich nicht geantwortet, sagt der Leutnant und lächelt so gleichgültig, als ob ein P. Jensen noch weniger als eine Fliege sei.

Natürlich nicht. Ich werde, wenn Sie es erlauben, mir den guten Per im Laden einmal vornehmen. Oh, ich habe gewiß einen Fehlgriff getan, als ich diesen Mann hierher brachte. Die Sache ist die, daß der Mann mit einer Verwandten von mir verheiratet ist, einer entfernten Verwandten, einer Base im dritten Glied oder was es ist, sonst hätte ich ganz gewiß nicht an ihn gedacht. Jetzt muß ich wohl sehen, wie ich ihn wieder von hier fortkriege.

Der Leutnant hörte sich dies sehr gleichgültig an, er hörte es vielleicht nicht einmal, er saß nur beim Abendtisch und war fertig mit dem Essen, dachte nach und zwinkerte mit den Augen.

Frau Adelheid fragte aus Höflichkeit:

Hat er Familie?

Ja, und sogar eine ziemlich große Familie, Söhne und Töchter.

Und steht sich vielleicht nicht gut?

Doch, sehr gut, er ist wohlhabend.

Nach dem Essen ging der Leutnant in seine Stuben.

Oh, Klein-Willatz, dieser Wildfang, war jetzt fort, keiner kommt jetzt mehr zu ihm mit wunderlichen Kinderfragen, keiner singt. Das Klavier schweigt in der Stube.

Aber Willatz hat es gut in England, er lernt gute und feine Dinge, er schreibt, er hätte Schwimmen und Boxen gelernt, er spiele auch auf einem Flügel, außerdem besuche er die Schule. Diese Briefe von Willatz waren des Vaters Freude, und niemals vorher hatte er so gespannt die Post erwartet wie jetzt. Wie mit Willatz vor seiner Abreise verabredet worden war, waren die Briefe stets an die Mutter adressiert, damit diese sie zuerst lesen könne; sie war auch jedesmal so gut, die Briefe sofort zu öffnen und sie ihrem Manne vorzulesen, wofür er ihr sehr dankbar war.

Aber um ihr nicht stets diesen Zwang aufzuerlegen, bat er einmal die Hausjungfer, mit allen den vielen Briefen für die gnädige Frau zu ihr hineinzugehen; jedoch Adelheid schickte sofort nach ihm:

Sie haben übersehen, daß heute ein Brief von Willatz dabei ist.

Jawohl, von Willatz, danke.

Er schreibt darin, daß er schon ein wenig Sprachen lerne, er könne auch schon etwas lesen, obgleich es sowohl ausländische Wörter als auch lateinische Druckbuchstaben seien. Dann und wann sehne er sich nach der lieben Mama, denn es gebe vierzigtausend Wörter im Englischen und er fürchte sehr, er werde die wohl nie erlernen. Hier in England gebe es keinen Schnee, aber kalt und frostig sei es trotzdem, und sein Fenster stehe die ganze Nacht offen, damit er sich abhärte. Er habe einen neuen Tanzlehrer bekommen, denn der alte, sagte er, hätte sich den Fuß verstaucht, aber Mr. Xavier Moore sage, er sei nicht richtig proper. Schließlich solle Mama den Papa grüßen und ihn daran erinnern, wie vergnüglich die Reise gewesen sei.

Tausend Dank. Hm.

Als er gehen wollte, hielt sie ihn zurück, indem sie sagte:

Nun ist es das zweitemal, daß er Sie an die Reise nach England erinnert.

Ja. Er sah ja auch soviel Neues und Seltsames.

Eine Reise, die ich nicht machen wollte.

Tut es Ihnen leid? fragte er stutzend.

Ja, antwortete sie und trat ans Fenster.

Pause.

Sie fuhr fort:

Wenn ich Sie wiederum bitten würde, Sie jetzt bitten würde – ich halte es nicht aus, er ist bei fremden Menschen, allein, Mr. Moore, wer ist denn das? fragte sie und wandte sich um.

Was das betrifft, so können Sie beruhigt sein, aber –

Das Fenster offen bei der Nacht – sie verwirren ihn auch, es ist ja Unsinn, vierzigtausend Wörter lernen zu sollen; tausend sind genug.

Ich glaube, Sie haben recht.

Ich will ganz gewiß nicht nach Hannover reisen, aber zu ihm hin, ich habe es jeden Tag bereut, seit er fort ist. Ich will nicht nach Hause, ganz und gar nicht –

Wenn es nur nicht Winter wäre – begann er.

So würden Sie mich reisen lassen?

Mit dem größten Vergnügen. Das soll heißen, verstehen Sie mich nicht falsch, aber selbstverständlich, wenn Sie es wünschen –

Danke, Willatz. Also reise ich. Ich bin sehr froh.

Oh, jetzt hätte er sie um den Finger wickeln können, er hätte sie in die Arme nehmen können, er hätte sie aus der Stube hinaustragen können, hinein, und sie würde sich nur festgehalten haben, und es wäre ihr ganz gleich gewesen, wenn er sie an die Tür angestoßen hätte. Er erwartete vielleicht einen Ausbruch von ihr und war auf dem Posten.

Nein, ich stehe nur da und hindere Sie daran, Ihre anderen Briefe zu lesen, sagte er und machte eine Verbeugung, um zu gehen.

Willatz!

Ich will nur hinausgehen, um wegen Ihrer Abreise Anordnungen zu treffen. Sie reisen doch sofort?

Ja, danke. Aber Willatz –, sagte sie und trat dicht vor ihn hin; sie war jetzt so demütig und senkte ihr Haupt. Als sie die Augen aufschlug und ihm ins Gesicht sah, verstand sie, daß es nutzlos sei, daß es zu spät sei. In diesem eigensinnigen Araberkopfe stand der Beschluß unerschütterlich fest.

Sonst gibt es nichts mehr! sagte sie.

Und so holte er aus. Jetzt endlich besaß er alle die Macht, die sie bisher jahrelang gehabt hatte, jetzt holte er aus:

Nein, sonst gibt es nichts mehr – von der Sorte.

Machte er nicht trotzdem etwas zu früh von seinem Triumph Gebrauch? Er hätte Adelheid besser kennen müssen, sie fiel nicht vor ihm nieder und schlug nicht ihr Haupt auf den Boden, sie richtete sich im Gegenteil sofort auf und sagte mit großer Selbstbeherrschung:

Von der Sorte? Ich wollte weiter nichts, als wegen eines Pelzes fragen – eines kleinen Pelzes für Willatz. Ob ich ihm einen kaufen darf?

Pause.

Natürlich, antwortete er. Danke, daß Sie mich daran erinnert haben. Wenn es Mode und Sitte ist, daß Kinder in England im Pelz gehen?

Nein, vielleicht nicht. Ich weiß nicht. Es ist auch gleichgültig.

Ich habe nichts dagegen. Untersuchen Sie es. Jedenfalls macht es Ihrem Mutterherzen alle Ehre.

Es sah so aus, als wenn ihr die ganze Reise jetzt gleichgültiger würde, die Ausrüstung, die Fahrt und alles, vielleicht war sie nur deshalb daraufgekommen, um ihren Mann milde zu stimmen, um ihm eine Gelegenheit zu geben, damit er wegen ihres Wankelmutes etwas Nachsicht mit ihr hätte. Es ist nicht unmöglich, daß sie im letzten Augenblick noch die ganze Englandreise, die so gefährlich schnell zustande gekommen war, aufgegeben hätte, wäre es nicht schließlich Holmengraa gewesen, der ihr Mut und Lust dazu gemacht hätte.

Holmengraa sagte bei Tisch:

Ich muß auch reisen. Meine Kinder erwarten mich schon.

Aber Sie haben doch eine viel längere Reise?

Nach Mexiko. Hinauf nach den mexikanischen Bergen.

Ach, wenn ich bis England Ihre Begleitung hätte!

Das würde mir eine große Ehre sein.

Frau Adelheid und der Leutnant, beide sehen ihn an.

Verstehe ich Sie recht? Wann können Sie reisen, fragt sie.

Wann Sie befehlen, gnädige Frau, antwortet Holmengraa und verbeugt sich.

Nein, nun habe ich doch in meinem ganzen Leben –! ruft Frau Holmsen überrascht. Können Sie sofort reisen?

In ein paar Stunden gern.

Nein, wie sich das gut trifft.

Ich will mein Allerbestes tun, um Ihnen zu dienen, gnädige Frau.

Der Leutnant fragt: Können Sie von allen Ihren Leuten fortreisen?

Das muß ich früher oder später sowieso. Und ich habe ja einige Aufseher, die zurückbleiben.

Aber wie ich Sie verstanden habe, können Ihre Kinder nicht vor dem Frühling kommen?

Ich will sie vor dem Frühling nicht herbringen. Ich habe aber in Mexiko vieles abzuwickeln und zu ordnen. Na, nicht viel natürlich, aber ein wenig, etwas, ich habe all die Zeit, die ich übrig bekomme, nötig, ich muß einige Betriebe verkaufen, ein paar Betriebe und ein wenig Grundbesitz. Das ist alles in allem nicht viel, aber es nimmt Zeit weg, alles in Ordnung zu bringen.

Ja, könnte ich ohne allzu große Opfer Ihrerseits in Ihrer Begleitung nach England reisen, so würde ich Ihnen wirklich sehr dankbar sein, sagt Frau Adelheid aufrichtig.

Der Leutnant nickt und ist einverstanden:

Wenn Sie nur nicht meiner Frau wegen Ihre Reise beschleunigen?

Keineswegs.

Sie würden sonst vielleicht erst in ein paar Monaten gereist sein?

Das war ursprünglich auch meine Absicht. Aber jetzt schreiben meine Kinder, daß sie mich bereits erwarten.

Es sieht so aus, Adelheid, sagte der Leutnant, als könnten Sie wirklich manches Gute von Herrn Holmengraas Gesellschaft und überlegener Reisegewandtheit auf der Fahrt erwarten. So hat es ja keine Not.

Nein, so hat es keine Not.

In all der Zeit, die Frau Adelheid fort war, schien der Leutnant sie nicht zu entbehren, im Gegenteil, er schien innerlich und äußerlich frischer zu werden und wurde auch tätiger als früher. Das ist ein Anblick! sagte die Hausjungfer, Jungfrau Salvesen. Jetzt sah man ihn zu Pferde oder zu Fuß auf allen Wegen, er hatte bei den Häuslern und bei den Nachbarn zu tun, er gab persönlich Anweisung, welches Winterholz im Walde heuer gefällt werden sollte; das hatte er seit vielen Jahren nicht mehr getan, auch ließ er alle Ackergerätschaften auf dem Hof für das Frühjahr instand setzen. Was meinte er denn nun damit, daß er in aufgeknöpfter Uniform ging, den Daumen in der Westentasche, und vor sich hin summte? Er wunderte sich vielleicht selbst etwas über seine Unternehmungslust, und um seine Munterkeit gegen früher nicht allzu merkbar zu zeigen, gab er seine Befehle mit leiser Stimme, was ja nicht hinderte, daß man ihm sofort gehorchte. War ein Druck von ihm genommen? Sein bedrücktes Wesen, wo war es geblieben? Selbst wenn man von seiner äußeren zahlungsfähigen Haltung absah, seit er Geld in die Taschen bekommen hatte, war der Leutnant ein freierer Mann geworden, er ging weniger gebeugt und grübelte nicht über dem Staub des Weges.

Und abends lag er auch nicht mehr als Pascha auf einem Sofa und ließ Daverdana kleine Erhitzungen in sein Herz hineinmogeln, von der andern Wand her, nein – kein Meer, keine Wellen. Es war ein Versehen, daß er eines Abends das rothaarige Mädchen im Gang traf. Und sie stand an der Wand, und sein Mantel hing dort, und er glaubte, sie sei der Mantel: Was – bist du das, Kind? Hier ist es so dunkel … Dann ging er wieder in sein Zimmer und trank mit zitternder Hand ein zahmes Glas Wasser. Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, begann er seine ewige Patience.

Aber lange nach Neujahr, nach der Heimkehr seiner Frau, fiel er da etwa in seine alte grüblerische Niedergedrücktheit zurück? Keine Rede davon, er hatte mit dem Vorsichhinsummen einmal angefangen und konnte damit nicht sofort wieder aufhören. So summte er noch einige Monate weiter, als wenn es ihn keineswegs plagte, ja, er summte nach der Rückkehr seiner Frau genauso wie vorher; dieser Mann machte alles ganz. Wollte er damit alle Leute auf dem Hof hinters Licht führen?

Ich höre, Sie summen? sagte Frau Adelheid.

Bedaure, daß Sie es gehört haben, antwortete er. Eine Unart. Ich werde dagegen ankämpfen.

Nein, weshalb denn?

Weil es richtiger ist, daß Sie summen, da Sie es können, und daß ich schweige.

Sie summen nicht schlecht.

Ich summe so ausschließlich zum Privatgebrauch – ich bin ganz erschrocken darüber, daß Sie es gehört haben.

Es ist gut, daß jemand hier auf dem Hofe summt, sagte sie.

Seit Willatz gereist ist, antwortete er, waren Sie die einzige, Adelheid. Aber Sie schwiegen.

Ja, was soll man sagen!

Nach kurzer Pause begann sie wieder:

Ich habe auf meiner Reise wunderliche Eheleute gesehen.

So.

Ja. Das war seltsam.

Sie machen mich neugierig.

So? Es waren verheiratete Leute. Den einen Tag lächelten sie einander zu und nickten, sie waren so einig, sie küßten sich, sie sprachen miteinander, sie wünschten einander gute Nacht.

Und am nächsten Tag?

Taten sie dasselbe.

Merkwürdig. Was waren das für Eheleute?

Alle waren so.

Pause.

Der Leutnant war überrumpelt, er meinte wieder auf der einen Seite eines Pferdes zu hängen.

Frau Adelheid fuhr fort:

Mir fiel das während meiner Reise auf, ich danke Ihnen vielmals, Willatz, daß Sie mir Gelegenheit gaben, das zu sehen.

Der Leutnant verbeugte sich und sagte:

Was noch?

Nichts, antwortete sie. Es waren verheiratete Leute, sie liebten sich, sie waren glücklich.

Hm. Verstehe ich Sie recht, Adelheid, so bin ich es, der von diesen Eheleuten etwas zu lernen hat?

Sie und ich, glaube ich; also wir beide sollten von ihnen etwas lernen. Ich weiß nicht.

Sie entschuldigen, daß ich mir für einen Augenblick diesen kleinen Stuhl nehme, sagte der Leutnant und setzte sich. Nicht um eine Abrechnung zu halten, aber meinen Sie wirklich, es könnte wünschenswert sein, daß es zwischen uns ein wenig anders würde?

Das habe ich nicht erst heute gewünscht, entsinnen Sie sich denn nicht? Aber man wies mich zurück.

Das war nicht gut.

Ja, trauriger konnte es fast nicht sein, sagte Frau Adelheid mit Tränen in den Augen. Und das mußte mich ja kränken. Aber das ist nun geschehen.

Natürlich wäre er wohl am allerliebsten wieder aufgebraust, dieser eigensinnige Mann, denn er lächelte schief, und sein Schädel schien Eisen zu schwitzen. Er bat sie nur, zurückzudenken:

Man hat Sie abgewiesen?

Na, das ist doch –! Hat man das nicht getan? Bin ich nicht zweimal abgewiesen worden? Sagten Sie nicht, es sollte nicht mehr sein?

Pause.

Hm. Nicht um Sie zu verhören – aber war ich es. der jahrelang seine Tür verschloß?

Herrgott, nein, ich habe das getan. Bat ich Sie nicht jedesmal, mich zu entschuldigen? Sie sagten auch jedesmal ja, aber Sie haben mich also nicht entschuldigt. Ich weiß jetzt nicht, woran ich mich halten soll.

Der Leutnant schien plötzlich sich ernsthaft in einer Verwirrung zu befinden, er beugte sich vor und starrte sie groß an, er schien kein Wort zu verstehen. Sprach sie aus Dummheit oder aus Schlauheit, wollte sie ihn um seinen Verstand bringen?

Ich verstehe sehr wohl, daß ich damals übertrieb, fuhr sie fort, ich hätte Sie nicht so lange strafen sollen. Oh, ich begreife es jetzt und habe es bereut.

Erstens: mißverstehen Sie nicht die ganze Lage, wenn Sie mich strafen wollen? Wofür hätten Sie mich strafen wollen?

Ja, sehen Sie … So, ich hätte Sie nicht strafen dürfen? In meinem eigenen Bereich?

Haben Sie einen eigenen Bereich?

Wortklauberei …

Und jetzt leiert sie wahrhaftig eine lange Rede ab, die sie sich vielleicht jahrelang wieder und immer wieder ausgedacht hatte, die aber jetzt, da sie sich erhitzt hatte, so grob ausfiel. Oh, es wurden so starke und unverblümte Worte, ihr so wenig ähnlich:

Wie kamen Sie – wie kamen Sie zu mir? Das sei Ihr Recht, das könnte Ihnen nicht verweigert werden. So begann es. War nicht das Zimmer bereit, war nicht ich selbst bereit, saß ich etwa da und sah aufs Meer hinaus, lauschte ich auf etwas in mir, hatte ich keinen Stuhl für Sie, weil etwas auf den Stühlen lag? – es war doch wirklich nur ein paar mal, daß ich etwas auf die Stühle gelegt hatte, damit Sie sich nicht setzen konnten. Und räumte ich nicht sofort alles von den Stühlen wieder weg, tat ich das nicht? Sprang ich nicht auf und machte die Stühle frei? Aber da waren Sie schon verstimmt. Sie sahen auf die Uhr und verbeugten sich, um zu gehen. Dann bekam auch ich eine kalte Dusche und hielt Sie nicht zurück; Sie werden wohl nicht verlangen, daß ich hätte betteln sollen? Dann gingen Sie. Dann kam das nächste Mal. Sie hatten gewiß erwartet, daß ich in der ganzen Zwischenzeit an nichts anderes denken würde als daran, Ihnen das nächste Mal zu Wünschen zu sein – entschuldigen Sie, das hätten Sie sich in einem solchen Fall verdienen müssen. Aber Sie kamen genau wie früher, kamen jedesmal genau wie früher. Komme ich wieder ungelegen? sagten Sie; aber das hielten Sie für ganz ausgeschlossen. Sie wurden ärgerlich, wenn es sich herausstellte, daß Sie wirklich zu ungelegener Zeit gekommen waren. Ich konnte mit irgend etwas beschäftigt sein, ich konnte etwas in ein kleines Buch schreiben, das ich habe, ich konnte in einer Sommernacht dasitzen und malen – so sollte ich also an nichts anderes in der Welt denken als daran, alles für Sie in Ordnung zu haben? Weshalb das? Ich war ein derartiges Benehmen wirklich nicht gewohnt, ich kam aus einem großen Hause und war nicht dazu erzogen, mich immer für jemand bereitzuhalten. Und was würden Sie übrigens gesagt haben, wenn ich gekommen wäre und Sie bei Ihren ewigen Büchern früh und spät gestört hätte? So war es. Ich sehe, Sie sitzen da und lächeln, also, was ich gesagt habe, ist natürlich für Sie der vollendetste Unsinn. Aber so war es.

Ich werde nicht lächeln.

Werden Sie nicht lächeln? Dann tun Sie eben irgend etwas anderes, um mich zu beschämen, das kommt auf eins heraus. Oh, Gott, wir sollten nicht – ich meine, es war gewiß falsch, daß ich herkam!

Pause.

Sie schweigen? Das bedeutet wohl auch etwas?

Wünschen Sie, daß ich spreche?

Nein, nicht sprechen. Das würde ja nur wieder ein Wortstreit werden. Nein, aber ich dachte, daß Sie mir etwas sagen könnten, ein paar Worte, die mich beruhigen würden. Gibt es denn gar keinen Trost in Ihrem Kopf? Ich weiß nicht, weshalb wir die ganze Zeit immer so uneinig sein müssen. Ich habe auf meiner Reise nur zufriedene Eheleute getroffen. Und jetzt habe ich ja einen Vergleich angeboten und Ihnen meine Hand hingestreckt, können Sie denn das nicht anerkennen? Ich möchte so gern, daß es zwischen uns etwas natürlicher würde, zweimal habe ich Sie gebeten, geweint –

Entweder er hatte nun irgend etwas Vernünftiges in ihrer Erklärung gefunden, oder aber er war des Streites müde, und so antwortete der Leutnant nur:

Es ist zu spät, Adelheid.

Ja, das haben Sie beschlossen, an dem und dem Tage. Ich wußte nichts davon, daß Sie damals zum letztenmal kamen, Sie hätten mir sagen können, daß es das letztemal war. Sie hätten mich warnen können. Weshalb warnten Sie mich nicht? Dann hätte ich mich gebessert, ich würde es mir sofort überlegt haben und hätte Sie um Verzeihung gebeten. Aber nein, Sie schwiegen bloß, Sie sagten zu sich selbst, daß es das letztemal sei, aber zu mir sagten Sie es nicht. Oh, das war nicht richtig von Ihnen, nein, nein, das war nicht richtig!

Sie haben so oft gesagt, daß Sie mich kennten?

Ja. Ja. Aber ich glaubte nicht, daß es das letztemal sei. Das war eine Überraschung.

Der Leutnant überlegte ruhig und lange und sagte – redete mit einfachen und beherrschten Worten und sagte:

Um es nicht zu einer noch peinlicheren Abrechnung kommen zu lassen, als diese ist: wollen wir Schluß machen. Es wird nicht anders, als es ist. Deshalb können wir uns jede Abrechnung sparen. Wenn wir uns jetzt auch einigen würden, Adelheid, in einer Woche würde sich dasselbe Spiel wiederholen, ich spreche aus Erfahrung, Sie würden wieder beginnen, mich zu strafen. Wir haben viele von unseren besten Jahren damit vergeudet, gegeneinander auf dem Posten zu sein, Sie haben Ihre Kunststücke getrieben, und ich habe mich dadurch ärgern lassen. Jetzt habe ich Schluß gemacht. Wir sind ja mittlerweile aus den Jahren herausgekommen, beide, unsere beste Zeit ist vorbei, wir können nicht länger nur Verliebte spielen. Das ist es, was ich um Ihret- und meinetwillen denke.

Jaja, dann gibt es nichts mehr. Dann – gibt es nichts mehr.

Frau Adelheid denkt und nickt.

Plötzlich sagt sie:

Aus den Jahren heraus? Sie sind der erste, der das von mir sagt, auf meiner ganzen Reise im Winter hörte ich nur das Gegenteil. Aber bitte schön, Sie brauchen sich nicht zu scheuen, grob zu sein, wenn Ihnen das gut tut.

Der Leutnant hat sich erhoben.

Wissen Sie, was ich erlebt habe? fragte sie immer noch erregt. Ich habe erlebt, wenn mein Sohn und ich zusammengingen, daß die Leute uns für Geschwister hielten.

Aber da fuhr wohl ein Teufel in ihn hinein, und er antwortete spitz:

Was, ist der Willatz schon so groß? Und so reif?

Worauf der Leutnant wieder zu sich selbst hinüberwanderte.

Und dieser Auftritt war ebensowenig der letzte, wie er der erste war. In den kommenden Jahren fochten der Leutnant und seine Frau noch manchen guten Streit miteinander aus. Aber seine Unerschütterlichkeit siegte jedesmal, nie wieder gab er nach.

Trotzdem hatte er sicher nicht das geringste Vergnügen davon, sich so hart zu machen, es kostete ihn gewiß Selbstzucht, diese steifnackige und launenhafte Adelheid von Hannover hatte nun einmal sein Herz und seine Sinne alleinherrschend in Besitz. Weshalb war er denn sonst jahrelang vor ihre Tür geschlichen? Und weshalb zum Teufel hatte er sich denn sonst ihretwegen zur Tugendhaftigkeit verurteilt und jedes weibliche Wesen im ganzen Umkreis verschont? Manch liebes Mal war er auf dem Sprunge, seiner Qual ein Ende zu machen, seine Frau zu packen und sie festzuhalten, sie zu tragen sie mit Wahnsinnskräften in ihr Zimmer zu tragen, ja, er sah sich dies vollführen, er hörte seinen eigenen Mund gewalttätige Worte stöhnen: Ich will Sie lehren – ich will Sie lehren, Launen zu haben, meine Liebe! Er konnte auf seinem Sofa sitzen und dies alles erleben, er kam zu dem Punkt, daß er sich in sich selbst zurückzog, um den Sprung zu tun, um sie sich zu nehmen – hier machte seine Träumerei halt. Es war schief mit ihm gegangen, jawohl; aber er war noch nicht mürbe geworden. Der Mensch mußte wohl doch imstande sein, etwas größer zu sein als sein Schicksal. Er dachte an die Folgen einer ersten solchen Vergewaltigung, das würde zu ewigen Wiederholungen führen, denn Adelheid würde auch gewiß nie nachgeben. Sollte er ihr also ein derartig zerrüttetes Leben bereiten? Es gab einen anderen Weg, und der war ohne ungebührliche Wildheit. Eine Ehe muß mit Phantasie betrieben werden.

Der Leutnant trat auf, wie es sich für ihn geziemte, er war der Überlegene, er hatte es in seiner Macht, Selbsthilfe zu üben, aber er tat es nicht. Oh, ein außergewöhnlicher Herr! Es hatte für ihn die größte Bedeutung, daß man ihn weder darum gebeten noch dazu gezwungen hatte – denn dann würde er sich wohl aufgelehnt haben, ho. Er hatte selbst bestimmt, in welchem Umfange er überlegen sein wollte: er wollte es im weitesten Umfange sein, sein Weib mochte in Frieden leben. Das war etwas im Stile der Humanisten.

Die Zeit ging, der Leutnant ergraute mehr und mehr, er munterte sich mit seinen geliebten Büchern auf und mit dem Patiencelegen an den Abenden. Eine recht unwürdige Ablenkung für einen Willatz Holmsen! Dazu konnte er sich plötzlich erheben, um ganz unbegründet an der Zimmerklingel zu ziehen. Daverdana, sein junges Mädchen, kam herein und verbeugte sich. Aber sie kam nicht sofort, nicht augenblicklich, er hatte sie selbst abgerichtet, sich erst die Hände zu waschen, bevor sie käme. Weshalb das? Wollte er Zeit gewinnen, um sich zu beruhigen?

Wenn Daverdana kam, stand der Leutnant da, mit beiden Händen auf dem Tisch und starrte sie dumm an. Er hatte einen verrückten Blick.

Na, sagte er endlich, du hast hier drinnen nichts angerührt?

Nein, antwortete sie erschrocken.

O nein, seit der alten Geschichte mit dem Alphabet, das sie verkehrt aufgestellt hatte, rührte ja Daverdana nichts von den verbotenen Dingen in dieser Stube an.

Siehst du, alle diese Sachen stammen von Willatz, ich bewahre sie auf. Erinnerst du dich an Willatz?

Ja, wie sollte ich nicht!

Gut, er ist in England, er wächst mächtig, er ist so groß wie seine Mutter. Wie war doch dein Name?

Daverdana.

Ich kann ihn niemals behalten. Aber du bist ein tüchtiges Mädchen. – Das war alles.

Aber Daverdana bleibt stehen, sie hält etwas in der Hand und getraut sich nicht, es hinzureichen.

Willst du mich etwas fragen?

Nein – ja, danke, sagt Daverdana. Das hier ist ein Bild von unserem Lars, ob Ihr so gut sein wollt, es anzusehen. Lars auf dem Seminar.

Der Leutnant nimmt das Bild nicht, aber er legt seine Hand um die des Mädchens und wendet sie etwas um, so steht sie da und sieht das Bild an, mit seiner Wange dicht an ihrer Wange. Will er dabei untersuchen, ob sie reine Hände hat? Oder wandelt ihn eine kleine Lust an, eine Mädchenhand in seiner Hand zu halten?

Wozu soll ich das sehen? fragt er.

Ja, das sagte ich auch, antwortete Daverdana; aber Vater bat mich darum, es mitzunehmen, und dabei sagte er, ich sollte Euch fleißig in Lars' Namen danken.

Sieh, da stand nun der Knabe Lars in großartigen Stadtkleidern, mit einer gediegenen Uhrkette, ein verkleideter Fischerjunge mit einem groben, gewöhnlichen Gesicht.

Der Leutnant nickt, er hat genug gesehen.

Er ist großartig fein! sagt das Mädchen. Jaja, er hat sich die Kleider geliehen, um sich darin abphotographieren zu lassen.

Hat er sich die Kleider geliehen?

Ja, und die Taschenuhr. Und den Ring, den er am Finger hat, hat er auch von einem Kameraden geliehen bekommen, schreibt er. Nun kommt der Lars bald wieder heim.

Der Leutnant nickt abermals, jetzt habe er jedenfalls genug gesehen. Zögernd gibt er Daverdanas Hand frei und läßt sie gehen. Ein Schützling von ihm durfte sich keine Kleider leihen, um darin zum Photographen zu gehen, da mußte ein Riegel vorgeschoben werden. Oh, aber der Leutnant hatte an so vielen Stellen einen Riegel vorzuschieben, hier in seinem Haus, bei Willatz in England, bei der Dienerschaft, beim Seminaristen, beim Kaufmann in Bergen, das Geld verpuffte leider nur so, der Leutnant hatte schon wieder den Ring an die linke Hand hinübergesteckt. Niemals schienen seine Widerwärtigkeiten ein Ende zu nehmen. Und dann würde Willatz wohl einmal während der Ferien heimkommen, er war jetzt gewiß schon ein ganzer Herr, Master von vielen Jahren, er hatte reiten gelernt, aber er hatte kein Pferd im Stall, wenn er nach Hause kam, seht, da galt es also, ein Pferd für ihn zu beschaffen –

Seltsam genug: der Leutnant begann ein ganz klein wenig auf Holmengraa zu warten, – wie konnte das zugehen? Das kam wohl daher, weil er mit ihm eine Vorstellung von Geld und Rettung und Rat gegen alle Ratlosigkeit verband. Und an dem Sommerabend, an dem Herr Holmengraa unten am Kai mit seinen beiden Kindern und seiner Dienerschaft landete, lebte der Leutnant ordentlich auf, und er ritt selbst hinunter und führte sie in sein Haus.


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