Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12

Ob wohl die Coldevins heuer kommen? konnte Frau Adelheid fragen. Und man konnte es ihr nicht ansehen, ob sie auf eine Antwort gespannt war.

Nein, antwortete der Leutnant, die Alten sind durch die Veränderungen hier so verletzt, daß sie wohl nicht mehr kommen.

Konsul Frederik wurde nicht erwähnt.

In den Sommerwochen geschah nun nicht viel, nur das Alte, daß Segelfoß sich nach und nach veränderte und mehr und mehr ein bewohnter Ort wurde. Deshalb hatte Per im Laden auch nicht bis Neujahr mit dem kleinen Weinrecht, das er bekommen sollte, warten können, er hatte jetzt schon damit angefangen, heimlich Wein zu verkaufen, denn es gab so viele, die danach fragten. Und dieses Geschäft brachte allerhand Leben und Lustigkeit in die langweiligen Sonntagabende.

Das Volk baute Häuser da und dort am Dampfschiffskai, alles sammelte sich dort an, so daß der untere Teil von Segelfoß schon anfing, eine kleine Stadt von Hütten zu werden. Und vor gar nicht langer Zeit waren hier nichts weiter als Strand und ein paar Bootsschuppen gewesen! Zweifellos hatte das Leben für die Menschen hier eine andere Farbe bekommen, seit Tobias, der König, sich niedergelassen hatte. Da war nun Lars Manuelsens Hütte; hatte man dort nicht schon Vorhänge an den Fenstern? Sein Sohn, der Seminarist, hatte es wohl nicht ertragen können, sein Heim ohne Vorhänge zu sehen, wie es nicht anders zu erwarten war. Aber waren nicht nach diesem Tage mehr und immer mehr Leute zu Per im Laden gekommen, um sich nach dem Preis für Vorhänge zu erkundigen!

Und wie war das eigentlich? Lohnte es sich noch für eine Christenseele, auf einem Häuslerplatz zu sitzen? Ganz und gar unmöglich. Diese Ackerfetzen, die dazugehörten, das Recht, draußen außerhalb der Äcker und Wiesen Gras mähen zu dürfen, die Schererei, das Winterholz aus dem wilden Wald heimzuschleppen – das ganze Häuslerleben war nicht mehr wert, gelebt zu werden, ihr Lieben, man konnte ja das Mehl fertig zum Kochen auf der Brücke kaufen. Und dazu ein Mehl, das gesiebt und schneeweiß war. Wären nicht die Kartoffeln gewesen, so hätte das Land gut und gern unbestellt liegen bleiben können; und wäre es nicht wegen des Tropfens Milch zum Kaffee gewesen, so hätte, weiß Gott, keiner mehr Ziegenfutter im Walde zusammengekratzt. So war es. Oh, die Tagelöhner hatten es jetzt gut, sie gingen zu Holmengraa in die Arbeit und standen in Holmengraas Brot. Samstag abends bekamen sie einen Zettel vom Vorarbeiter, lieferten ihn beim Lagermeister ab und erhielten dafür Mehl oder Geld, was sie wünschten. Das war ein menschenwürdiges Leben! Es gab Tagelöhner, die sich in Schulden brachten wegen Pferd und Wagen und dann für die Mühle fuhren – was tat's? In kurzer Zeit würden sie Pferd und Wagen bezahlen können, wenn sie Lust hätten, denn Geld verdienten sie, und mit Geld klimperten sie in den Taschen, wenn sie bei Per im Laden vor dem Tisch standen. Überhaupt: Geld, Schillinge waren keine Seltenheit mehr. Man sah es auch den Ackerbauern in der ganzen Gegend an, ihr Lieben, sie wurden ja reich an diesen Fuhren, es war das reinste Wunder, sie konnten sich sogar eine Extratasse Kaffee nach dem Abendessen gönnen, und sie konnten in hohen, stattlichen Pelzstiefeln mitten im Sommer einhergehen. Es kam so weit, daß der Distriktsarzt Ole Riis es schon bereute, eine neue Stellung im südlichen Norwegen angenommen zu haben; die letzten Wochen hier oben hatte er so unglaublich verdient. Was zum Teufel! sagte Ole Riis. Früher hatte das Volk kein Geld übrig, den Doktor wegen Nervenfieber aufzusuchen, jetzt holen sie mich zwei Meilen Wegs wegen eines geschwollenen Fingers.

Auch der neue Distriktsarzt konnte nicht klagen. Er hatte gleich alle Hände voll zu tun, er wurde früh und spät geholt, es war Mode geworden, ihn auszuprobieren; und das mußte schon eine komische Familie sein, wo es nicht einmal eine solche Krankheit gab, bei der man den Doktor brauchte. Den klugen Männern und Weibern, die sich vorher auf alle möglichen Krankheiten verstanden hatten, ging es sehr schlecht, oh, sie hatten jetzt magere Zeiten, es war traurig, sie anzusehen.

Der neue Distriktsarzt hatte sich schon lange vorgenommen, einen Besuch bei Leutnants auf Segelfoß zu machen, aber seine Zeit war zu knapp gewesen. Nicht aus Unhöflichkeit sei sein Besuch bis jetzt unterblieben, sagte er, als er dann endlich eines Tages kam, oh, wirklich nicht aus Unhöflichkeit.

Frau Holmsen empfing ihn, sie war es immer, die empfing, denn ihr war dies am wenigsten zuwider, ja, es bereitete ihr vielleicht sogar ein bißchen Vergnügen in ihrer Einsamkeit. Muus hieß der Mann, und wenn man ihn sah, hielt man diese Unglaublichkeit sofort für möglich. Ein kleiner, putziger Doktor, sicherlich gelehrt in seinem Fach, und sicherlich gelbblaß genug, um einen verdorbenen Magen zu behandeln – ein überstudiertes Gesicht mit großer Nase, großen, schlecht geformten Ohren und spärlichem Bartwuchs. Man nötigte ihn, zu bleiben, heute gab es hier eine kleine Feier, ein Essen zu Ehren von Master Willatz, der wieder nach England zurück sollte.

Vater und Sohn treten ein, sie sind beide im Gesellschaftsanzug, einander zu Ehren. Der Leutnant begrüßt den Doktor und spricht das Notwendigste mit ihm. Herr Holmengraa kommt, er hat seine beiden Kinder mit, die beiden Indianer, wie er sie nennt.

Die Armen, müssen Sie sie Indianer nennen? sagt Frau Holmsen.

Meine kleinen Indianer, antwortet Holmengraa. Oh, die haben nichts dagegen, glauben Sie mir nur, denn auf diese Weise sind sie Nachkommen von Kuohtemoc, was sie in Wirklichkeit bis zu einem gewissen Grade auch sind.

Wie ist das zu verstehen?

Sie haben etwas indianisches Blut in den Adern, ihre Mutter war Viertelblut.

So sind sie also Quinteronen, sagt der Doktor. Sehr interessant.

Ja, ihr seid prachtvolle Kinder! sagt Frau Holmsen und nimmt sie beide auf einmal in ihre Arme.

Das Essen dauerte nicht lange, Willatz mußte noch Zeit haben, sich für die Reise umzuziehen, das Postschiff konnte jeden Augenblick eintreffen. Man hatte eine Wache auf einem hohen Punkt ausgestellt, damit sie das Nahen des Dampfers melde.

Der Leutnant erhebt sein Glas und wünscht Willatz glückliche Reise und dankt ihm für seinen Besuch.

Ja, Gott segne dich, sagt die Mutter, und bleib nun auch weiter ein tüchtiger Junge! Hat Papa dich auch richtig mit Geld versehen?

Ja, danke.

So geh und zieh dich um.

Doktor Muus sagte nichts. Er war vielleicht von Hause aus ein Weinkenner, denn, wenn er getrunken hatte, schmatzte er prüfend. Überhaupt machte er nicht den Eindruck, als ließe er sich imponieren; solch einen Hof konnte sich jeder leisten, er war in Gesellschaften gewesen, wo man sogar Champagner getrunken hatte. Vielleicht war auch der Doktor von seinem Amtsvorgänger in die Verhältnisse eingeweiht worden, von diesem Tolpatsch Ole Riis; vielleicht war das Verschieben des Besuchs auch eine absichtliche Nachlässigkeit gewesen.

Beim Kaffee ist es wieder die gnädige Frau, die das Sprechen besorgen muß, ihr Mann war wohl niedergedrückt und dachte an Willatz. Er hörte höflich zu und machte auch mitunter einen Anlauf, zu antworten, aber er ließ es jedesmal wieder sein. Und da saß er. Man kann hartnäckig reden, aber der Leutnant schwieg hartnäckig, schwieg zu allem, schwieg. Er war nicht immer so unaufmerksam, – ihm fehlte wohl etwas, was es nun auch sein mochte.

Seine Frau muß versuchen, das Gespräch in Gang zu halten:

Sie kommen aus dem Norden, Herr Doktor?

Aus Finnmarken, ja; wir Beamten fangen ja alle da oben an.

Sie haben viel zu tun gehabt, seit Sie hier sind, wie ich höre?

Ja viel, hauptsächlich hier um Segelfoß herum.

Das kommt von Herrn Holmengraas Tätigkeit. Nicht wahr, Herr Holmengraa?

Aber Doktor Muus ist Logiker und antwortet darauf:

Hehe, ich will doch nicht hoffen, daß Herrn Holmengraas Tätigkeit die Zahl der Erkrankungen vermehrt.

Alle sehen einander an. Herr Holmengraa lächelt und antwortet:

Der Doktor gönnt mir das Kompliment der gnädigen Frau nicht. Übrigens bedingen Betriebe wie der meinige zweifelsohne mehr ärztliche Hilfe, außerdem verschaffen sie den Leuten durch höheren Verdienst auch leichter die Möglichkeit, den Arzt in Anspruch zu nehmen. So ist es überall. Mehr Menschen kommen in einen Ort, und es gibt infolgedessen mehr Unglücksfälle. Man ist Gefahren ausgesetzt, von denen man beim ruhigen Landleben nichts ahnt, so daß man also auch keine Erfahrung hat, wie man sich davor schützt, ein Gewicht klemmt einem die Hand, ein Kran wirft einen zu Boden, eine Kurbel schlägt einen. Ole Johan wurde erst gestern von einer Kurbel getroffen.

Ich war jetzt gerade bei ihm, sagt der Doktor. Es ist nicht schlimm, keine Blutung, weiter nichts, als was wir eine Kontusion nennen.

Frau Holmsen hofft, daß die beiden Herren jetzt gut ins Gespräch gekommen sind. Sie springt flink einmal zu Willatz hinauf. Die Arme, es war ja auch nicht sehr erfreulich, den Sohn und das Singen und das Musizieren und das Geplauder jetzt wieder entbehren zu müssen. Als sie herunterkam, war wieder alles stumm. Sie brachte einige illustrierte Bücher mit.

Seht mal her, Kinder, Willatz leiht uns diese Bücher. Und jetzt müßt ihr auch Kuchen essen, bitte schön, Mariane. Jawohl, den. Und du den, Felix. So.

Ist er bald fertig? fragt der Leutnant.

Ja. Ach, wenn er nur nicht so weit weg müßte. Eigentlich hat das doch so wenig Sinn.

Im Grunde genommen ist es gar nicht so weit, gnädige Frau, tröstet Holmengraa. Mit einem der großen, guten Schiffe ist er schon bis Sonntag drüben.

Frau Holmsen lächelt wider Willen:

Ja, und der Sonntag ist gerade der richtige Tag, um nach England zu kommen.

Auch Herr Holmengraa lächelt:

Nein, der englische Sonntag ist nicht sehr unterhaltend.

Unterhaltend? Ich kenne nichts, was in diesem Lande unterhaltend wäre.

Gnädige Frau sind eine Deutsche, sagt Doktor Muus.

Gott sei Dank! antwortet sie und überhört seine nächsten Worte.

Überhaupt war dieser kleine Mann nicht so angenehm, wie kleine Männer oft sein können. Er saß da und betrachtete die Gemälde, gerade so, als stamme er aus einem Hause, wo es auch Bilder gab. Was sollte das eigentlich heißen?

Frau Holmsen wurde wieder ganz die Dame aus großem Hause und sagte:

Über einem englischen Heim liegt etwas Gasthofartiges. Ich bin an vielen Orten gewesen, und es war überall gleich. Die Diener sind wie Kellner angezogen, der Tisch ist wie im Hotel gedeckt, und kaum hat man gegessen, so eilen die Damen davon. Zwei Signale zum Essen. Zuerst klingelt eine Glocke, man soll sich umziehen, und dann klingelt eine Glocke, man soll zu Tisch kommen. Ich glaubte immer, ich hätte schon stets ein bißchen etwas davon gewußt, wie es in vornehmen Kreisen hergeht, aber – Mein Vater, sagte der Doktor, hat als jüngerer Jurist an einem Kongreß in England teilgenommen. Er hatte nicht genug Lobesworte für das Leben und die Menschen dort.

Und außerdem ist es ein unmusikalisches Volk, fuhr Frau Holmsen fort, sie stellen sich Leute an, die bei ihnen zu Hause spielen und singen, sie stellen sich Leute an, die in ihren Kirchen singen.

Der Doktor bemerkt:

Ein so hoch kultiviertes Volk geht wohl nicht so viel in die Kirche.

Was kostet eine Orgel? fragt die gnädige Frau plötzlich; das schien ja ein Kampf zu werden. Eine kleine Orgel, ganz klein, mit nur wenigen Pfeifen. Zu denken, daß wir solch eine kleine Orgel da unten in der Kirche hätten!

Das kann nicht so furchtbar teuer sein, antwortet Holmengraa. Und wenn einer der Lehrer spielen könnte, ließe das Ganze sich leicht ordnen.

Der Leutnant machte einen Abstecher zum Fenster hin, um nach dem Signal für das Schiff zu sehen. Als er zurückkam und sich wieder setzte, hatte er seinen Ring wieder an der linken Hand. Und jetzt fand er wohl, Adelheid habe sich genug geplagt, er wollte sie ablösen und bat sie, noch einmal nach Willatz zu sehen. Er begann mit Holmengraa von Geschäften zu sprechen:

Ich sagte Ihnen einmal im Sommer, daß ich nicht genug Holz für Neubauten hier am Platze hätte. Ich habe mir meine Wälder noch einmal angesehen, und ich glaube, ich schlage noch einen Teil. Aber jetzt ist es wohl für Sie zu spät?

Nein, durchaus nicht, das kommt mir sehr gelegen. Wir werden noch lange Zeit Bauholz benötigen. Wie sind die Maße?

Klein. Sieben Zoll, acht bis zehn Ellen.

Das nennt man woanders groß. Ausgezeichnetes Bauholz. Ich bin Käufer zu jeder Zeit.

Vom Ausguck kommt die Meldung: das Schiff!

Frau Holmsen kam mit ihrem Sohn herunter. Willatz war schon reisefertig, er verhielt sich schweigsam. Mutter und Sohn nahmen sich Zeit, noch einmal in die große Stube zu gehen, um etwas zu musizieren – zum Abschied. Oh, das war ein Gesang – die beiden –, ein Duett nach der Mode jener Zeit, einer Schwanenmutter und ihres Jungen Lied zum Himmel.

Die gnädige Frau singt? sagte Dr. Muus und lauschte. Ist das nicht Italienisch?

Als der Leutnant draußen auf der Diele stand und sich die Handschuhe anzog, hatte er wieder den Ring an der rechten Hand. Dieser wunderliche Ringwechsel konnte wohl keine Bedeutung haben, wenn er jeden Augenblick erfolgte – eine Angewohnheit, nichts als eine dumme Angewohnheit.

Sie gehen den Hang hinunter, die ganze Gesellschaft ist ausnahmsweise zu Fuß; Willatz geht mit den Kleinen, die zu laufen anfangen – oh, diese Mariane war doch die langbeinigste Hexe, die es gab. Der Doktor und der Leutnant sind die letzten.

Der Doktor fragt: Segelfoß ist etwas anders geworden, als es war, habe ich sagen hören. Sind Herr Leutnant nun in allen Teilen mit der Veränderung zufrieden?

Ach, Sie sind es, Herr Doktor! Ja, danke, ich bin zufrieden. Woher sind Sie eigentlich?

Aus Östland; warum?

Nein, ich denke nur an ein paar Rekruten von dort, die ich abexerziert habe.

Rekruten?

Verstehen Sie mich nicht falsch! – es waren große, feine Kerle; wenn Sie sprechen, so muß ich an die Leute denken. Wie war doch Ihr Name?

Ich heiße Muus.

Muus.

Der Doktor beißt etwas an seinem Bartstroh herum und sagt:

Und Sie heißen Holmsen?

Ja.

Wohl von Holmsen?

Nein, einfach Holmsen.

Jetzt waren die beiden Herren wohl so ungefähr einander ebenbürtig; aber der Doktor fing leider zu lachen an, belustigte sich, und der Leutnant mußte ihn verwundert ansehen. Eine gleichgültige Abwesenheit lag in seinem Blick, etwas vom Himmel Gefallenes lag über dem Mann; aber ihm erschien dieses Lachen doch zu gering, um nach seinem Grunde zu fragen.

Willatz kam zu seinem Vater und sagte:

Sei so lieb und paß gut auf Bella auf.

Ja, gewiß mein Freund.

Bella – wer ist das? fragte der Doktor unverzagt.

Das ist mein Pferd.

Jesses!

Willatz sah den Doktor an, und etwas von dem Erstaunen seines Vaters kam in seine Augen.

Mein Reitpferd, erklärte er.

Als ich in deinem Alter war, sagte der Doktor, konnte ich schon recht gut Lateinisch. Vater und Mutter sollen Freude an so großen Jungen wie du haben, weißt du.

Und dabei nickte der Doktor Willatz väterlich zu.

Willatz hatte noch nie eine so seltsame Rede gehört, es war eine unverständliche, aber keine fremde Sprache, nur wie aus einer andern Welt.

Der Vater lächelte ihm zu:

Du hast gewiß nicht verstanden, was der Doktor sagte. Du verstehst ja auch nicht alles, was Martin sagt, weißt du.

Martin, wer ist das? fragt der Doktor.

Das ist einer von meinen Knechten.

Sie standen am Kai, das Schiff legte an. Der Leutnant und seine Frau gingen mit ihrem Sohn an Bord. Und Dr. Muus ging hinterdrein.

Einen Augenblick! sagte er zum Leutnant. Es war nur … Ich möchte gern Ihren Knecht Martin kennenlernen. Er ist sicher ein gebildeter Mensch.

Der Leutnant wandte langsam den Kopf und antwortete: Wenn Sie das nächstemal nach Segelfoß kommen, zum Beispiel, um sich zu verabschieden, so ist der Eingang in dem gelben Gebäude, auf dem Hof. Da treffen Sie den Knecht Martin.

Danke. Wenn Sie dann noch ein gelbes Gebäude und einen Knecht Martin haben sollten …

 

Herr Holmengraa lebt sehr einsam, er hat niemand bei sich im Hause, mit dem er verkehren könnte; seine Wirtschafterin, Frau Irgens, ist nichts als ein ausgezeichneter Mensch, tüchtig in der Küche, in der Speisekammer, bei Wäsche und Kleidern, außerdem geschickt im Umgang mit den Kindern und mit der Stärkwäsche des Herrn. Aber sie spielte weder Klavier, noch sang sie, nein, das tat Frau Irgens nicht; wollte Herr Holmengraa es etwas gemütlich haben, so mußte er zu Leutnants nach dem Hof hinübergehen, das war eine andere Welt. Er war nicht immer sicher, ob der Leutnant sich über seine Besuche freute; nein, wie hätte er das auch wissen können? Der Leutnant war ja so unveränderlich höflich und zuvorkommend, dabei aber kühl und verschlossen, wie es sich für den vornehmen Herrn, der er war, gehörte. Seine hohe Frau dagegen konnte manches Mal, wenn er kam, Freude zeigen, und es sah so aus, als hätte das einige Bedeutung für Herrn Holmengraa. Er erlaubte sich sogar dann und wann die Freiheit, zufällig auf dem Wege zu sein, wenn Frau Adelheid ihre Spazierritte machte. Er tat es nicht oft, er übertrieb es nicht, aber er brachte es dahin, dann und wann eine Begrüßung aus der Ferne herbeizuführen, wohl auch ein kurzes Gespräch unten auf der Landstraße. Ein paarmal waren auch der Leutnant und seine Frau in seinem Hause gewesen, aber ohne sich aufzuhalten, nur in Geschäften und um seine schön eingerichteten Zimmer zu loben; das letztemal war Frau Holmsen allein erschienen und hatte dabei Herrn Holmengraa gebeten, doch bald einmal wieder nach dem Hof hinüberzukommen, er wäre ein so seltener Gast geworden.

Wann habe ich die Ehre, die gnädige Frau und den Herrn Leutnant einen Abend bei mir zu sehen? hatte darauf Herr Holmengraa gefragt.

Und sie hatte gedankt und hatte versprochen, zu kommen, wann es ihm recht sei. Am liebsten recht bald! hatte sie sogar lächelnd hinzugefügt. Sie war so liebenswürdig.

Jetzt steht Holmengraa am Kai und ist gerüstet, Leutnants zu empfangen.

Er wollte sie gerade heute einladen, gerade heute, um diese Eltern etwas zu zerstreuen, die da standen und weit über die See hinsahen und ihrem Sohne nachwinkten. Er hatte vielleicht daran gedacht, auch den neuen Distriktsarzt, Herrn Muus, einzuladen, aber der Distriktsarzt hatte sicher keine Zeit mehr, das mußte also für ein andermal bleiben. Oh, Holmengraa besaß die Gabe, schnell das Richtige herauszufühlen, herauszuahnen, er mußte also annehmen, daß Leutnants am liebsten heute abend nach dem Abschied von dem Sohn allein bei ihm wären.

Und Leutnants gingen mit.

Frau Irgens hatte wohl gewünscht, es sollte ein feines Abendessen geben, aber der Wirt war dagegen gewesen; nein, es gab weiter nichts als einen köstlichen Bacalao mit spanischem Landwein. Holmengraa hatte es so gewollt, er hatte eine bescheidene Sicherheit und wollte nicht versuchen, die Herrschaften vom Gut drüben zu überbieten.

Frau Adelheid war überrascht, einen Flügel im Haus zu finden, einen neuen, himmlischen Steinweg. Ja, gerade sei er angekommen, sagte Holmengraa, und nun handle es sich darum, ob die gnädige Frau die große Güte haben wollte, ihn zuerst zu prüfen – die große Liebenswürdigkeit, ihn zuerst zu prüfen? Sie stürzte sich auf ihn und ließ, wie ein Schwan, Fluten von Wohllaut in den Abend hinaus quellen. Konnte jemand diesen Menschen verstehen, diese Frau? Ihre Stimme war ungewöhnlich, so tief und voll Liebreiz, so violett; hatte ihr Mann mit dem Araberkopf jemals geglaubt, sie sei kalt jetzt glaubte er es gewiß nicht. Was sie sang? Feuer und Asche, Sehnsucht und Liebe, Sonaten, Wirbel, Choräle, sie sang lange, eine halbe Stunde, sie hatte keine Noten und mußte aufhören, als sie nichts mehr wußte. War hieran nicht etwas Auffallendes? Daß sie ein Stück schloß und ohne Nachdenken in ein neues hinüber glitt, die ganze Zeit, die halbe Stunde, ohne zu suchen; – gab es Kälte in der Seele eines solchen Menschen? Das hatte der Araber auch nie geglaubt, sonst wäre sie ihm gewiß gleichgültig gewesen.

Frau Irgens kommt durch die Stube und dankt, sie tut das so aufrichtig: Darf ich Ihnen danken, gnädige Frau!

Spielen Sie nicht selbst?

Nein, ich habe nur ein bißchen gelernt, wie alle anderen. Ich habe kein Talent, aber ich sollte doch etwas lernen. Oh, das war nichts.

Ein wundervoller Flügel, Herr Holmengraa.

Mehr sagte Frau Holmsen nicht über den Flügel. Nein, sonst würde sie wieder ihrem Mann Raupen in den Kopf gesetzt haben, sie kannte das: genauso wie es mit der Orgel gegangen war. Der Mann hatte wirklich im Sinn, diese unselige Orgel für die Kirche anzuschaffen, er hatte es angedeutet, und das hatte sie betrübt, denn sie konnten ihr Geld besser anwenden. Hatte sie sich jemals über ihr altes Klavier daheim beklagt? Keine Spur. Aber würde sie sich nicht einen solchen Flügel wünschen? Ohne Zweifel, lieber als alles andere in der Welt. Doch sie schwieg. Vielleicht wollte sie auch dem vorbeugen, daß Herr Holmengraa ihr so etwas anböte? Er war reich und amerikanisch, er hatte vielleicht dieses ihm selbst überflüssige Instrument gerade ihr zugedacht, genau wie er Willatz das Reitpferd geschenkt hatte. Oh, dieser Mann war aber leicht zu leiten: wenn sie ihm einen Wink gab, würde er schon einsehen, daß ein Flügel ein unpassendes, allzu wertvolles Geschenk wäre. Sie mußte ihn übrigens bewundern. Wie alt war er eigentlich? Ungefähr gleichaltrig mit dem Leutnant; etwas älter, schon grau wie er, aber mit einem viel gewöhnlicheren Gesicht. Er hatte in einem wechselvollen Leben draußen in der Welt sich ein gefälliges Auftreten angeeignet, er besaß so viel Zartgefühl und feine Zurückhaltung. Sie erinnerte sich jenes Abendessens, das der englische Kapitän einmal gegeben hatte – jetzt, heute abend hatte sie auf dem Tisch einiges von dem Silbergeschirr von jenem Abendessen wiedererkannt. Also hatte wohl auch damals Herr Holmengraa in aller Stille alles bewerkstelligt. Täuschte sie sich? Umgab Holmengraa sie mit dieser und all der anderen tagtäglichen Vornehmheit nur, damit sie darauf aufmerksam werden sollten? Davon wußte Frau Adelheid nichts, seine Aufmerksamkeiten hätten jedenfalls nicht taktvoller sein können, wenn er verliebt gewesen wäre in sie. Dieser Mensch war merkwürdig und rätselhaft; was wußte sie von Cordilleren-Königen!

Aber dann und wann öffnete dieser Mann Luken in sich und zeigte eine von seinen Schattenseiten. Keiner konnte sich wohl weniger Blößen geben als er, obwohl er weder durch seine Herkunft noch durch seine Erziehung Bildung als Gabe mitbekommen hatte. Frau Holmsen dachte an ihre Reise nach England in seiner Gesellschaft. Seine Ruhe und Freundlichkeit waren so groß gewesen, vom Morgen bis zum Abend war er ein unentbehrlicher Begleiter, wechselnd nach Bedarf, immer interessant, immer rücksichtsvoll; es gab andere Damen an Bord, aber keiner von ihnen zeigte er Aufmerksamkeit. Ja, es war sogar eine junge Schönheit an Bord, eine Nichte des Kapitäns, die an Bewunderung gewöhnt war, Fräulein Ottesen hieß sie wohl – die sah Herr Holmengraa überhaupt nicht. Aber eines Abends kam er und meldete, daß der dänische Legationssekretär in London an Bord sei, ein vornehmer Mann mit Gefolge, ob die gnädige Frau nicht Lust hätte, mit ihm bekannt zu werden? Nein, wozu? hatte sie geantwortet und Herrn Holmengraa dabei angesehen. Und darauf hatte er gar nichts antworten können. Sie mußte lächeln, wenn sie jetzt daran dachte; sie hatte es übrigens wieder gutgemacht, als sie zu ihm sagte: Nein, danke, ich befinde mich bei Ihnen in der besten Gesellschaft!

Also hatte auch dieser Mensch eine und die andere komische Eigenschaft: Er ging da herum und übersah alle an Bord, aber plötzlich imponierte ihm einer – ein alter Legationssekretär. Später sah sie ihn an der Treppe zum Promenadedeck stehen, er grüßte tief, jedesmal, wenn der Diplomat hinauf- oder hinuntergehen wollte.

Dieser unergründliche König Tobias.

Der Doktor ist wohl nach irgendeiner Hütte unterwegs gewesen, sagt Herr Holmengraa und schaut aus dem Fenster; jetzt erst stößt sein Boot ab.

Oh, der Doktor! sagt Frau Holmsen. Ich bin froh, wenn niemand bei uns krank wird und den Arzt nötig hat. Ich weiß nicht – nein, das würde nicht behaglich sein.

Ihr Mann sieht sie an.

Ich meine, Krankheit im Hause zu haben – und so weit zum Arzt, fügte sie hastig hinzu.

Herrn Holmengraas Ahnungsvermögen tastet sich vor, er sagt:

Ich habe mir überlegt, ob ich mir nicht einen eigenen Arzt für meinen Betrieb und die Umgegend anstellen soll.

Wozu das? fragt der Leutnant.

Doktor Muus wohnt zu weit weg, ist vielleicht auch zu beschäftigt. Er kommt nicht schnell genug zu den Kranken, meine Leute haben davon schon lange gesprochen.

So war Frau Holmsen denn wieder beruhigt, und es verblieb ihr eine neue Vorstellung von Herrn Holmengraas Macht: er konnte einen eigenen Arzt anstellen. Aber daran wollte sie keine Schuld tragen.

Das sollten Sie nicht tun, sagte sie. Doktor – wie heißt er doch gleich? – Muus ist ja tüchtig und gewissenhaft. Nicht wahr, Willatz, das darf Herr Holmengraa nicht tun?

Nein, sagte der Leutnant.

Und Herr Holmengraa ließ die Sache fallen:

Doktor Muus ist gewiß tüchtig genug, das habe ich den Leuten auch oft geantwortet. Ich hoffe, es renkt sich wieder ein. Aber beklagt haben sie sich.

Der Leutnant unterhält sich mit den Kindern. Er brachte sie dazu, ihm Photographien von ihrer Mutter zu zeigen, viele Bilder von ihr standen auf dem Flügel; sie waren prachtvoll. Auf dem einen war die Dame in Indianertracht. Ob sie sich ihrer erinnerten? Ja. Ob nicht Mariane auch solch eine feine Tracht wie die Mutter hätte? Ja, und Felix hätte auch eine. – Da müßten sie aber in den nächsten Tagen einmal in dem Staat nach dem Hof hinüber kommen.

Frau Adelheid sah auf, sie merkte zum erstenmal, daß Holmengraas Augen sie heimlich betrachteten. Das war wohl nur ein Zufall, und er sagte sofort:

Ich sitze hier und denke darüber nach, daß ich wohl wünschte, meine Frau hätte Ihren Gesang heute abend hören können. Sie war sehr musikalisch.

 

Im Laufe des Winters schlägt der Leutnant nicht allein Bauholz und verkauft es an Holmengraa, sondern auch Jungholz, das er nach Süden sendet, Hölzer, wie man sie in englischen und belgischen Gruben verwendet. Doch dabei blieb es nicht, die Zeit verging, und er schien Geschmack daran zu finden, sich selbst zugrunde zu richten; zwei Jahre hintereinander schlug er Grubenhölzer in seinem Jungwald. Wo wollte der Mann hinaus! Aber der Leutnant hatte wohl seine guten Gründe, die ihm so zu handeln geboten, sein großes Haus, seines Vaters Bankschuld, die immer noch nicht bezahlt war, seine vornehme Lebensweise, seine teuren Gewohnheiten, der teure Sohn in England – alles hielt ja den Herrn auf Segelfoß in ewiger Klemme. Er begriff nicht, wo eigentlich das Geld hinkam, ein unbarmherziges Schicksal sog es aus seinen Händen. Wäre er nicht schrittweise ein größerer und immer größerer Philosoph geworden, so würde er es wohl nicht ausgehalten haben. Da war nun die Orgel für die Kirche – durfte er deren Anschaffung wohl noch länger hinausschieben? Es war eine Schande, daß sie noch nicht da war. Herr Holmengraa könnte ja auf den Einfall geraten, ihm zuvorzukommen, und das würde sich gut ausnehmen! Diese Kirche war nun einmal von oben bis unten eine Holmsensche Kirche – durfte ihr da ein Wildfremder eine Orgel schenken?

Aber nie konnte er eigentlich die Mittel für dieses kleine Instrument auftreiben. Was kostete es? Einige Hunderter, was wußte er, dreihundert, vielleicht mehr. Er sprach darüber abermals mit Adelheid.

Was die Orgel betrifft, die Sie sich einmal gewünscht haben, so habe ich jetzt Schritte in der Angelegenheit getan, sagte er, und das war die Wahrheit. Man verlangt die Maße dafür, ich habe keine Maße, es müßte eine Galerie gebaut werden, aber für eine Galerie ist in der ganzen Kirche kein Platz aufzutreiben. Sie muß also erweitert werden.

Nein, auf keinen Fall! antwortete Adelheid. Ich bitte Sie, geben Sie die Orgel auf, es gibt wichtigere Dinge.

Denken Sie an etwas Bestimmtes?

Nein. Ich denke an Willatz und noch einmal an Willatz.

Willatz ist groß und tüchtig, er verdient Ihre Fürsorge. Augenblicklich geht es ihm gut, er ist in der besten Schule, er bereitet sich für eine würdige Zukunft vor.

Gott weiß! sagte Adelheid.

Was meinen Sie?

Ich weiß nicht, ob seine Schule nicht allzu teuer ist.

Sie ist sehr teuer. Aber er ist nun einmal unser Einziger.

Oh, Frau Holmsen war durchaus nicht in jeder Hinsicht unverständig, sie hatte auch keine fixen Ideen, denen sie opfern mußte, sie hatte wohl verstanden, daß ihr Mann in der Klemme war. Der liebe Willatz hätte doch wohl besser nach Deutschland gehen sollen. Nun gab es bald das eine, bald das andere, wodurch seine Kameraden sich auszeichneten; ho, die Söhne anderer Lords hätten sogar oft ein ganzes Haus, einen Hofmeister, Dienerschaft! Während der letzten Ferien hatte Willatz an einer kostspieligen Schulreise nach Frankreich teilgenommen, der Sprache wegen; in diesem Jahre sollte die Reise noch einmal gemacht werden.

Er schreibt, er müsse neue Anzüge haben – ich weiß nicht; glauben Sie, es ist notwendig? Ich glaube nicht. Und jedenfalls soll er sich nicht den Terrier kaufen, von dem er schrieb.

Der Leutnant antwortete:

Sie haben sicher auch diesmal wieder recht, Adelheid. Und hätte ich Ihren Wunsch vorher gekannt, so würde ich anders gehandelt haben. Aber es ist zu spät. Ich habe ihm das Geld bereits gesandt.

So läßt sich nichts mehr ändern.

Das ist ja auch keine große Sache. – Da fällt mir gerade ein: schrieb Willatz nicht wegen eines Messers? Daß ein Messer, das er dem Gottfred geschenkt habe, möglicherweise von einem andern Jungen weggenommen worden sei?

Von Julius, ja; er bat mich, es zu untersuchen, und ich dachte dies morgen zu tun. Sie sollen wirklich nicht –

Ich reite sowieso den Weg und kenne außerdem die Hütten, ich werde das sofort ordnen. Heute ist Sonntag, da sind die Jungen zu Hause.

Der Leutnant reitet nach der Hütte des kleinen Gottfred, klopft mit seiner Reitpeitsche an die Scheiben und läßt den Jungen herauskommen.

Mein Sohn hat dir ein Messer geschenkt, ein Federmesser, hast du das noch gut in Verwahrung?

Ja, antwortet Gottfred verwirrt, nein, verbessert er sich dann; er kann kaum auf den Füßen stehen und schaut hilfesuchend zurück nach der Hütte.

Hat es dir jemand weggenommen?

Ja, antwortet Gottfred.

Seine Mutter hat sich schnell etwas in Ordnung gebracht und kommt heraus.

Das ging so zu, erklärte sie, Vater – der hatte das Messer nämlich die ganze Zeit für Gottfred aufbewahrt; aber dann, im Herbst einmal – das war nämlich ein Unglückstag, eines Nachmittags –

Hat Julius es weggenommen? fragt der Leutnant kurz und bündig.

Ja, antwortet Gottfred.

Der Leutnant wendet sein Pferd und nickt:

Du bekommst dein Messer wieder!

Damit reitet der Leutnant nach Lars Manuelsens Hütte.

Es ist Sonntag heute, der Sohn Lars, der Seminarist, ist auch zu Hause, er steht in der Tür und grüßt.

Ruf Julius heraus.

Lars gehorcht und bringt den Bruder. Der ist bleich und schmal im Gesicht.

Du hast ein Messer von Gottfred, geh und hol's.

Julius leugnet nichts, doch er will etwas sagen, sich verteidigen, der Leutnant aber macht eine ungeduldige Bewegung, als ob er absteigen wolle, und Julius ist wie der Blitz in der Stube.

Lars steht in einer jämmerlichen Haltung da, bis der Bruder wieder herauskommt und das Messer abliefert.

Du hast eine Klinge abgebrochen, sagt der Leutnant.

Nein, das war schon vorher, antwortet Julius, das könnt Ihr glauben.

Wenn du noch einmal etwas anrührst, was mein Sohn einem anderen geschenkt hat, bekommst du das hier zu schmecken! sagt der Leutnant und läßt seine Peitsche durch die Luft pfeifen. Julius jagt davon, hinein, oh, das ging wie der Blitz; die Tür blieb hinter ihm offenstehen.

Da hört der Leutnant vom Pferde aus, daß Lars Manuelsen, der Vater, drinnen aufmuckt. Seht, Lars Manuelsen fing an, ein Kerl zu werden, er war in der Mühle angestellt und verdiente Geld, an seinen Fenstern waren Vorhänge, er hatte einen Sohn, der das Seminar durchgemacht hatte, die Tochter Daverdana war auch kein gewöhnliches Mädchen mehr, sie war im Begriff, die Liebste vom Gehilfen des Lagermeisters auf der Brücke zu werden. Lars Manuelsen brummt und fragt:

Was war da los, hat er dich geschlagen, Julius?

Der Leutnant wollte schon wegreiten, aber er hält wieder an und sagt zu Lars: Ruf deinen Vater raus.

Und Lars gehorcht wieder.

Der Alte kommt in roten Hemdärmeln heraus, die waren aus Stoff vom Per im Laden, ja, Lars war ein Kerl geworden.

Was hast du zu maulen? fragt der Leutnant.

Ich? Nichts, ich fragte nur den Jungen –

Ich dachte, du wolltest aufmucken.

Übrigens, wenn der Junge das Messer nicht abgebrochen hat, braucht er deshalb auch nicht gescholten zu werden.

Hör, Lars, du hast mir im Herbst wieder ein Schaf von der Weide gestohlen. Damit machst du nun aber Schluß, ich warne dich noch dies eine Mal.

Was hab' ich? – Ein Schaf gestohlen?

Das ist noch nicht das Schlimmste. Aber du verkaufst Felle mit meiner Brandmarke hier im Kramladen, so daß mein Knecht Martin sie wieder zurückkaufen muß. Ich will nicht Felle und Häute von Segelfoß in deinen Tauschhandel hineingemengt haben.

Ich soll ein Schaf gestohlen haben! – Das habe ich nicht; das ist nicht wahr.

Der Leutnant hebt die Peitsche:

Noch ein einziges Wort – und du wanderst ins Gefängnis!

Lieber Herr! sagt Lars, und sein Mund bebt. Wenn ich wirklich dazu gekommen bin, ein Schaf wegzunehmen, so müßt Ihr meine große Familie bedenken. Das wäre was anderes gewesen, wenn ich einen armen Mann ärmer gemacht hätte, aber den Herrn, der so reich ist –. Aber das ist nicht mehr als die Wahrheit, der Lars da und die Daverdana, die beiden können Euch nicht genug danken –

Nein, schaff deinen Vater wieder hinein! ruft der Leutnant wütend. Und dann wendet er sich an den Sohn:

Wozu hast du die ganze Zeit hier herumgestanden? Nichts von allem, was ich gesagt habe, galt dir; beträgst du dich gut, so soll es dein Schaden nicht sein. Was wolltest du sagen?

Lars getraut sich wohl nicht, mit der Sprache herauszukommen. Demütig, aufdringlich, ein starker und grober Kerl, den Kopf vorgestreckt – so hatte er während des ganzen Auftrittes dagestanden.

Ich kann nichts dazu sagen, sagt er. Ich habe ja nichts getan.

Der Leutnant will wegreiten.

Lars geht ein paar Schritte mit und sagt:

Ich habe ein Jahr beim Pfarrer studiert, denn ich will versuchen, mehr zu werden, ich will weiter studieren.

Der Typus, denkt wohl der Leutnant, der Bauer, der sich hinunterarbeitet zum Pfarrer. Ja, wie der Kerl weiterstudiert! Na, das war wohl nur – philosophisch gesprochen – der ewige Kreislauf, das war kein Verlust, Lars war körperlich zu faul für die Fischerei.

Es ist eine Schande, darum zu bitten, aber wenn Ihr so gütig sein wolltet, mir noch eine hilfreiche Hand zu reichen – so lange, bis ich auf eigene Faust studieren kann –, noch ein Jahr. Vielleicht war es nicht der richtige Augenblick, ein solches Begehren vorzubringen, vielleicht war es aber gerade der richtige Augenblick: nach dem Auftritt mit den beiden Sündern konnte es sich der Leutnant erlauben, Edelmut zu zeigen. Fügte sich das Ganze nicht danach? Der Bursche Lars stand in Holmengraas Brot, aber an den wandte er sich nicht, er ging wie früher zum Gutsbesitzer, zum Herrn auf Segelfoß, der alle in seiner Hand hatte. Dieser Bursche war außerdem Daverdanas Bruder, und Daverdana war ein geschicktes Mädchen.

Ich möchte nämlich Privatunterricht nehmen, schloß Lars.

Der Leutnant nickt und antwortet: Ich werde dich unterstützen.

Kurz und bündig, Punktum. Der Leutnant ritt zurück zu Gottfred. Welch eine Anstrengung, welch eine lächerliche Mühe wegen eines Federmessers, aber der Leutnant machte nichts halb. Mutter und Sohn stehen neben der Tür, Pauline mit den großen Augen steht in der Tür.

War das Messer ganz, als du es verlorst?

Ganz? Ja.

Bist du dessen sicher?

Ganz? sagt Gottfred und sieht auf seine Mutter. Er versteht das nicht, war das Messer nicht ganz gewesen? Hatte jemand es entzwei gemacht?

Ja, das Messer war ganz und blank, antwortet die Mutter, wir hatten es in der Truhe aufbewahrt. Aber so war das an dem Tag –

Der Leutnant zieht seine Handschuhe aus, öffnet den Mantel und nimmt sein eigenes Messer aus der Tasche. Oh, das hatte eine silberne Schale und einen Tierkopf an jedem Ende und hatte zwei blitzende Klingen und einen Haken zum Handschuhknöpfen. Der Leutnant hatte es selbst auf seiner Reise nach England gekauft.

Willatz schickt dir dieses Messer statt des alten, sagt der Leutnant.

Gottfred weiß sich nicht zu helfen: er wagt nicht, das Messer anzunehmen, er steht da, puterrot, streckt die Hand ein paarmal hin, zieht sie aber jedesmal wieder zurück. Er hört, daß die Mutter einen Schrei ausstößt: Nein, das ist zu viel! – Als Gottfred das Kleinod in der Hand hält, dankt er nicht, erst als die Mutter ihn daran erinnert, reckt er die Hand zum Sattel empor.

Der Leutnant nimmt die Hand und nickt, der Leutnant tut mehr, er hält diese Hand eine Weile fest, sie war so klein, etwas Lebendiges, sie rührte sich, eine dankende Kinderhand.

Was ging in dem Leutnant vor!

Du heißt Gottfred?

Ja.

Komm morgen um diese Zeit zu mir.

Er soll zu Euch kommen? fragt die Mutter. Morgen?

Morgen, um zwölf Uhr.

Der Leutnant reitet weg.


 << zurück weiter >>