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Eine Woche später kommt Coldevin mit Frau und Sohn. Feine Leute, und sie werden gut auf Segelfoß empfangen. Der junge Coldevin, Fredrik, war zu dieser Zeit ein Mann hoch in den Vierzigern, verheiratet und wohnte in einer der Westlandstädte, er war Kaufmann und französischer Vizekonsul. Man erzählte sich alles mögliche Gute von Fredrik Coldevin, er war liebenswürdig und elegant, er scheitelte sein Haar bis tief in den Nacken und trug Ringe an den Fingern. Im vorigen Jahr war das Glück ihm besonders günstig gewesen – ein havariertes französisches Schiff wurde in den Hafen seiner Stadt geschleppt, und abgesehen davon, daß er die Ladung kaufte und viel Geld damit verdiente, machte er sich auch noch einen Namen durch die Gesellschaften, die er für die Franzosen veranstaltete. Es gab Maskeraden, eine ›Blaue Grotte‹ und auch Feuerwerk; die Serviermädchen trugen kurze Kleider, und das Stadtorchester machte Musik vor den Fenstern. Nachdem die Offiziere ihr Fest gehabt hatten, hatte die Mannschaft ihr Fest, der Konsul machte keinen Unterschied, ja es gab unter den Matrosen sogar einen Neger aus Algier, und der machte auch mit.
Fredrik Coldevin gab gerne die Geschichte vom vorigen Jahr zum besten, jawohl, das war eine goldene Zeit gewesen, und die Fremden waren lustige Leute. Seine Schuljahre in Saint-Cyr hatten sich bezahlt gemacht.
Sonderbar eigentlich, sagte Fredrik Coldevin, eines von den Serviermädchen verheiratete sich einige Tage später mit einem Tischlergesellen. Es fällt mir gerade ein.
War das so sonderbar?
Nein. Aber in diesem Jahr hat sie ihrem Mann einen Jungen geboren, und der ist Mulatte.
Pause.
Das verstehe ich nicht, sagt Holmsen.
Nein, das versteht keiner, antwortet Fredrik Coldevin, auch unser Doktor versteht es nicht.
Übrigens haben auch wir Besuch gehabt, lenkt der Leutnant ab. Wollen Sie nicht davon erzählen, Adelheid? Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.
Damit geht der Leutnant aus der Stube. Er geht auf den Hof, das Mädchen Daverdana steht draußen, und er sagt zu ihr:
Du bist gestern abend nicht gekommen, hast du es vergessen?
Nein, die gnädige Frau schickte mich, etwas zu besorgen, antwortet Daverdana.
Wo warst du?
Beim Schuster.
Richtig, jetzt denke ich daran. Ich selbst wollte ja eigentlich zum Schuster gehen, die Schuhe waren zerrissen.
Nein, sie sollten nur geputzt werden, sagte die gnädige Frau.
Und geputzt werden, ja. Auch geputzt werden.
Damit ging der Leutnant weiter. Eigentlich hatte er wohl gar keinen Grund gehabt, aus der Stube zu gehen, aber er war trotzdem gegangen, es gab für ihn so viel zu grübeln. Der Leutnant trägt heute zu Ehren seiner Gäste seine feinste Uniform, deshalb sieht er weder nach den Kühen noch nach den Pferden, aber er macht sich etwas in der Scheune zu schaffen, er stellt sich in eine dunkle Ecke und bleibt eine Weile stehen. Er ist durchaus nicht vergrämt, im Gegenteil, in diesem Augenblick nickt er sogar zufrieden. Auch putzen! wiederholt er und reibt seine mageren Hände. Bevor er wieder hineingeht, steckt er seinen Ring an die linke Hand, um sich etwas zu merken. Das Mädchen Daverdana steht noch immer auf dem Hof, und der Leutnant sagt im Vorübergehen zu ihr:
Bekamst du die Schuhe gleich wieder mit?
Nein, antwortete Daverdana, ich lieferte sie nur ab.
Und der Leutnant nickt aufs neue und scheint noch zufriedener zu sein.
Als er wieder zurückkommt, sitzt jeder in seine eigenen Gedanken vertieft da; der Konsul hatte zuletzt gesprochen, er spricht auch jetzt wieder:
Ich höre, du hast König Tobias in Audienz empfangen, und er will Baugründe von dir kaufen. Das ist recht, verkauf nur!
Der Leutnant antwortet nicht weiter darauf und sagt nur ein paar Worte:
Wir meinten – Adelheid und ich –, er ist übrigens ein kranker Mann. Ja, ihr habt wohl auch von ihm gehört?
Die alte Frau Coldevin wiegt überwältigt den Kopf und antwortet:
Ja, das will ich meinen!
Wir haben uns in zwei Lager geteilt, sagt der Konsul; Vater und Mutter auf der einen Seite, und Frau Adelheid und ich auf der anderen; Klein-Willatz hält gewiß auch zu uns, nicht wahr, Willatz? Ja, das versteht sich. Also verkaufen wir den Bauplatz.
Der alte Coldevin saß sehr nachdenklich da, er war ein vorsichtiger alter Herr und liebte keine Veränderungen, keinen Verkauf. Nachdem Frau Holmsen von dem König erzählt hatte, von diesem Tobias Holmengraa, der sich hier ansiedeln wollte, Wand an Wand mit dem Großgrundbesitzer, sah er steif vor sich hin und warnte, warnte vor dem Verkauf: Nein, tut das nicht! sagte er. Tut das nicht! Er wiederholte seine Warnung: Wenn man verkauft und verkauft, was bleibt da schließlich von Segelfoß übrig? Natürlich bleibt da viel übrig, ungeheuer viel von Segelfoß übrig, beeilte er sich hinzuzufügen; aber schließlich – der letzte Willatz Holmsen ist wohl noch nicht geboren.
Das ist die moderne Zeit, Vater, sagte der Konsul. Diese großen Güter bezahlen sich heute nicht mehr, sie reiben nur die Kräfte des Besitzers auf. Das können wohl die sich leisten, die von alters her große Kapitalien zurückgelegt haben, von denen sie zehren können. Ich habe keine größeren zurückgelegten Kapitalien gehabt, antwortete der Vater. Das, was mir hätte bleiben sollen, ging in den schlechten Jahren und während der Kriege in Rauch auf. Aber deshalb –
O ja, Vater, du hast viel gehabt. Und hinterher hast du ja auch noch geerbt –
Die alte Frau Coldevin wirft ihrem Sohn einen Blick zu, und er hält inne.
Aber trotzdem will ich nichts von meinem kleinen Ackergut veräußern, nein, das will ich nicht.
Aber Vater, es bringt ja nichts ein.
Nein, vielleicht nicht. Ach nein, es bringt mir nichts ein. Muß denn alles etwas einbringen? fragt der alte Herr. Aber wenn wir nun verkaufen würden, deine Mutter und ich, und bekämen Geld und noch einmal Geld dafür, so hätten wir ja weiter nichts als Geld, das wir ansehen könnten, und keinen großen Landbesitz mehr. Und zu wem sollten die Leute dann gehen, wenn sie in Not wären und sie deine Mutter und mich nicht mehr hätten? Jetzt im Frühjahr verlor Henrik, du weißt, seine Kuh. Eine gute Kuh, sie sollte kalben. Henrik, den du umgetauft hast, du weißt doch.
Ich weiß. Und was weiter?
Nein – da ist nicht mehr zu erzählen, sagt der alte Coldevin.
Er kam zu deiner Mutter –
Pause. Als nicht weiter gesprochen wird, sagt Frau Coldevin: Ja, und ich ging zu deinem Vater.
Pause.
Aber, wendet der Konsul lachend ein, das würde ja auf eins herausgekommen sein, ob du ihm nun Geld oder eine neue Kuh gegeben hättest?
Nein, nein, antworten die beiden Alten kopfschüttelnd, Geld würde er verplempert haben.
Um alle zu beruhigen, sagt der Leutnant:
Hier handelt es sich jedenfalls nicht um einen größeren Verkauf. Wir versprachen ihm, über einen Bauplatz nachzudenken für eine Hütte, vielleicht wird aus dem Ganzen nichts. Adelheid und ich sprachen mit dem Mann darüber, er war ein sehr verständiger und biederer Mensch.
Ich muß sagen, ich kann ihn gut leiden, sagt auch Frau Adelheid. Außerdem war er krank und wollte es mit Tannenwaldluft versuchen.
Damit schloß die Unterhaltung, jeder saß jetzt da und dachte. Aber Klein-Willatz, der nichts in der Welt so vergnüglich fand wie Veränderungen, war bereits in der großen Stube und klimperte auf dem altmodischen Instrument.
Bom bombom bombo, trällerte der Konsul mit und erhob sich. – Ebenderselbe Henrik hatte übrigens keinen Vater, aber seine Mutter hieß Lisbet, und der Sohn wurde Lisbet Henrik genannt. So taufte ich ihn denn um zu Henri l'Isbet.
Das tägliche Leben auf Segelfoß war einsam und einförmig. Fredrik Coldevin kannte es aus- und inwendig, es war nicht nach seinem Geschmack, aber er machte es sich so interessant wie möglich, und er verschmachtete nicht. Der Leutnant war sein Jugendfreund, und Frau Adelheid war im Laufe der Jahre seine Freundin geworden, er schwätzte und pfiff und sang in den Stuben, und an den Abenden trank er tüchtig mit dem Leutnant, ja; und wenn es auch nur die Hausjungfer war, Jungfrau Kristine Salvesen – ab und zu unterhielt er sich auch mit ihr durch das offene Speisekammerfenster.
Jungfer Salvesen, ich habe Sie gewiß wohl schon begrüßt, seitdem ich angekommen bin; aber ich habe nie ein ernstes Wort mit Ihnen gesprochen.
Dieses Jahr schon wieder ein ernstes Wort? fragt Jungfer Salvesen lachend. Der Konsul schüttelt den Kopf:
In diesem Jahr steht es besonders schlimm mit mir, und jetzt bin ich gekommen, um damit ein Ende zu machen.
Das machten Sie ja auch schon im vorigen Jahr, haha.
Ich habe Ihre Augenbrauen und Ihre Augen besungen. Ihre Augen sind mein Reichtum, sagte ich – nein, wie war das noch? Übrigens sollten Sie nur wissen, was ich von Ihren Augen sage! Jungfer Salvesen, es ist also wahr, daß Sie sich seit meinem letzten Besuch hier verlobt haben?
Ja, was sollte ich machen! heuchelt die Jungfer und bekommt einen schiefen Mund. Der Herr Konsul ließen mich ja sitzen.
Ich? Daß Sie das Herz haben, so treulos zu sein! Deshalb sage ich auch: ihre Augen sind ihre Münze, damit kauft sie alle.
Pfui, Herr Konsul!
Können Sie sich darüber wundern, daß auch der letzte Rest meines Verstandes weg ist? Drei Jahre am Marterpfahl, und dann komme ich und muß hören, daß Sie sich verlobt haben. Oh, hätte ich Sie niemals gesehen – oder wie heißt es sonst bei Shakespeare? Sie haben sich schwer gegen mich versündigt. Ja, Sie sehen sehr mager und mitgenommen aus!
Ja, aber so seid ihr Weiber. Jetzt traf ich einen Mann auf der Reise nach Norden, Gott weiß, ob er nicht irgendwo Pfarrer war, er habe am Sterbebett seiner Frau gesessen, sagte er, und habe seine drei Söhne bei sich gehabt. Zwei von ihnen erkannte er wohl an, die ähnelten ihm, meinte er selbst, aber den letzten, der klein und schwächlich war, den habe er nie ausstehen können. Und da sagt seine Frau: der ist dein Sohn! Der Mann brach zusammen, als hätte ihn jemand niedergeschlagen. Nach einer Weile ermannt er sich wieder und fragt: und die andern nicht? Seine Frau gibt keine Antwort. Und die andern nicht – die andern nicht, hörst du? wiederholt er. Aber da war seine Frau tot.
Der Konsul und Jungfer Salvesen sehen einander an.
Uff! sagte sie und schüttelte sich.
Versetzen Sie sich an des Mannes Stelle, Jungfer Salvesen: zeit seines Lebens geht er nun herum und fragt: die andern nicht? Er bekommt nie Antwort.
Pause.
Bringen Sie den Mann hierher, dann soll er Antwort bekommen! sagte plötzlich Jungfer Salvesen eifrig. Die Mutter fürchtete natürlich für den Jüngsten, und da sagte sie – jetzt mußte sie ja sterben, und so wollte sie dem Kleinsten helfen – ach, du lieber Gott, Sie dürfen doch nicht vergessen, daß er der Kleinste war, und außerdem zweifelte man an ihm – ich habe niemals so etwas Verrücktes gehört! Und da sagte sie – Der Konsul wartet.
Sie tat das ja nur, um dem Kleinsten zu helfen! ruft die Jungfer. Verstehen Sie denn das nicht?
Der Konsul nickt. Er kapituliert vor diesem guten Glauben:
Genau, was ich zu dem Manne gesagt habe, und halten Sie den Mund, sagte ich zu ihm –
Hahaha, ja, da hatten Sie recht. Das war ihm gesund! Ihr guter Glaube machte Jungfer Salvesen rot und gleichsam schön. Der Konsul kapituliert noch weiter, er hatte es anfangs vielleicht etwas zu bunt getrieben und wollte es jetzt wieder gutmachen:
Genau, was ich zu dem Manne also gesagt habe, und zum Teil mit Ihren eigenen Worten. Fast genau. Wort für Wort, und das bringt mich nun auf den Gedanken, wie einig wir beide im Grunde genommen hätten werden können, Jungfer Salvesen, wenn Sie nur nicht so treulos gewesen wären. Jetzt soll ich also hier allein herumgehen und fragen: Was ist also das Leben? Was zum Satan ist das Leben?
Nein, ich glaube bei Gott, Sie werden verrückt, ruft die Jungfer und heult vor Lachen. Uff, ich lache, daß mir das Haarnetz herunterfällt, sagt sie und rückt das Netz zurecht und ziert sich ein wenig. Sitzt es jetzt gut?
Ja doch, antwortet der Konsul. Oh, wenn Sie die Arme so hoch halten und mir eine gute Angriffsmöglichkeit bieten –
Nein, lieber Konsul, können Sie denn nicht ernst sein?
Was für eine Taille Sie haben! Eigentlich sollte ich hineinkommen und Sie hochheben.
Und Gott weiß, ob er nicht hineingegangen wäre, denn die Jungfer sagte nur:
Ja, das würde schön aussehen! Und wenn die gnädige Frau käme!
Aber er blieb trotzdem draußen stehen und rundete das Gespräch mit einigen guten Wendungen ab. Jungfer Salvesen erkundigte sich nach seiner Frau und den Kindern: ob sie denn niemals mehr nach Segelfoß kämen?
Am meisten aber unterhielt sich der Konsul mit Frau Adelheid. Er erzählte ihr lustige Geschichten und alles mögliche, was er seit seinem letzten Besuch hier erlebt hatte, er war höflich und unterhaltend. Frau Adelheid lebte ordentlich auf und zog sich hübscher an mit jedem Tag, ja, denn Fredrik Coldevin war selbst so fein und so munter. Aber er trieb durchaus nicht immer nur Unsinn und erzählte Dummheiten, ganz und gar nicht, er begründete seine Meinungen und legte seine Lebensanschauung klar. Seine Lebensanschauung war, daß man mit der Zeit Schritt halten müsse.
Frau Adelheid hörte ihm gern zu. Sie war durch und durch deutsch in dieser Zeit, und der Konsul Fredrik war französisch, aber gleichwohl –
Weshalb sagen Sie immer ›der französisch-deutsche Krieg‹? konnte sie fragen. Es sind ja die Deutschen, die siegen, also heißt es ›der deutsch-französische Krieg‹.
Ja, antwortet der Konsul, es sind die Preußen, die siegen.
Die Germanen. Sind wir nicht alle Germanen?
Ausgenommen die Franzosen, ja. Aber, liebe Frau Adelheid, davon wollen wir jetzt nicht sprechen. Gestern hörte ich weit draußen die Schwäne singen, zuweilen sangen sogar mehrere Schwäne auf einmal, ein ganzer Chor also. Das hörte sich so weich und mild an – ich mußte an Sie denken.
Mußten Sie das? sagt Frau Adelheid.
Ja, sie war nun wirklich keine kalte Dame, das bewies sie, wenn sie für jemand sang und spielte, der ihr zusagte, dann warf sie den Nacken zurück, und eine seltsame Wärme ging von ihr aus. Konsul Fredrik hatte ihr wohl etwas angemerkt und ging mit ihrem Gesang im Ohre herum; er bat sie, wieder zu singen.
Ja, später, sagte sie, heute abend, wenn Sie wollen.
Wenn ich will!
Aber Sie dürfen mir nicht so danken, wie Sie das früher taten. Ich habe Ihnen zu danken.
Frau Adelheid saß nach diesen Worten ruhig da und heuchelte nicht und ließ ihre Röte langsam und gelassen wieder verfliegen.
Stille. Als hätte sie das Ave Maria gesungen.
Der Konsul schwieg, dieser verrückte Kerl, dieser Witzbold – jetzt saß er da und sah zu Boden. Und hatte gar keine Siegermiene, kein Lächeln, nur tiefstes Mitleid.
Und Frau Adelheid erhebt sich und geht hinaus.
Jeder hat sein Schicksal, und Frau Adelheid hatte wohl ihres. Deshalb hatte sie einen Schlüssel in ihrer Tür, deshalb hatte sie einen in einem Irrtum befangenen Doktor aus ihrer Wohnung weisen lassen, deshalb schrieb sie Tagebücher.