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Nach Hans Friedrich Blunck
Auf einem jener vergnüglichen Raddampfer, die täglich, begleitet von den sinnfälligen Weisen einer Pankokenkapelle, von Hamburg-Stadtdeich abfahren, wohnte im Getriebe des Maschinenhauses der dicke Bornemann mit seiner Frau und mit siebzehn Kindern. Diese winzigen Wichtlein sorgten mit unermüdlichem Fleiß dafür, daß die Räder der Raddampfer in Ordnung blieben, daß das Öl sich richtig verteilte, daß keine Sonnenstäubchen die Ventile verstopften, kurzum, sie paßten auf, daß der freche Lümmel, der Zufall, kein Unheil anrichten konnte. Die Menschen bilden sich ja ein, sie verdankten es ihrer Tüchtigkeit, wenn alles klappt – aber in Wahrheit ist es nur das Verdienst solcher unsichtbaren Wichte, wie Bornemann einer war. Aber der Bornemann hatte – er war ja weder Maler noch Poet – keinerlei Ehrgeiz, er verrichtete sein Werk und lebte gottgefällig seine Tage hin.
Seine Kinder halfen ihm bei der Arbeit, sie kletterten und huschten über Speichen und Pleuelstangen, daß es eine Lust war, sie schwangen sich, hoppla di hopp, auf den Regulator, sie spielten Verstecken in der Ölkanne, die lockeren … aber sie halfen eben doch. Kein Wunder, daß Papa Bornemann immer dicker wurde.
Aber einmal hat es großen Kummer gegeben. Da war einer, der jüngste der siebzehn Nachkommen, in den Kohlenraum gefallen, was ja an sich nicht so schlimm war, denn die Bornemänner sind geschickt wie Eichkatzen, sie sind deswegen unter den anderen Wichten berühmt. Aber unser kleiner Bornemann hatte das Unglück, just auf die Schaufel zu fallen, die der Heizer des Raddampfers, mit Kohlen gefüllt, in den Kessel schob … Es gab einen wehmütigen Zisch, der der ganzen Familie fürchterlich durch den Astralleib ging – und dann war das Wesen hinüber. Die Trauer im Hause Bornemann war groß. Immerhin: wo ihrer siebzehn sind, da kann eines schon eher verwunden werden, obwohl die Liebe des alten Bornemann zu seinen Kindern unermeßlich und beispielhaft gewesen ist.
So wäre alles in Ordnung, hätte es auf dem Dampfer nicht noch einen zweiten Wicht gegeben, den Trimpff. Der lebte als Junggeselle im Schornstein, er hatte dort nicht sonderlich viel zu tun. Seine Aufgabe bestand darin aufzupassen, wenn der Schornstein umgelegt wurde, und das geschah nur ein einziges Mal auf der langen Fahrt, und zwar da, wo die niedrige Brücke über die Elbe führt. Die übrige Zeit saß der Trimpff im warmen Kesseldampf und ließ sich vom Ruß schwärzen. Ob nun die Frau Bornemann eine Vorliebe für schmutzige Gesellen hatte, oder was sonst immer vorlag – man weiß es nicht. Jedenfalls hatte man sie in der letzten Zeit auffällig oft im Schornstein gesehen, und der alte Bornemann hatte sie manches liebe Mal deswegen zur Rede gestellt. Und einmal, als der Schornstein heruntergezogen wurde, sah man die beiden, Frau Bornemann und den Trimpff, in ebenso enger wie unzweideutiger Umschlingung.
Da ging der alte Bornemann mit seinen sechzehn Kindern in den Keller, und jeder holte dort einen Millimeter Spinnenweb-Bindfaden, das ist zusammen, in menschliche Größenverhältnisse übertragen, ein Tau von dreißig Meter Länge. Diese Fäden knoteten sie kunstgerecht aneinander. Als der Trimpff schlief, banden sie sein linkes Bein an einem Haken fest.
Seiner Frau hat Bornemann dann verziehen, wie es sich für einen guten Ehemann gehört; sie versprach ihm, nie wieder in den Schornstein und zum Trimpff gehen zu wollen. Der Trimpff aber sitzt seit diesem Tage dort fest, er kann nicht weiter vom Haken weg, als das Tau lang ist. Aufknoten kann er das Tau nicht, denn was ein Bornemann zusammengefügt hat, das kann ein Trimpff nicht trennen. Jedesmal nun, wenn der Schornstein umgelegt wird, hört man ein leises Knirschen – das sind die Zähne des Trimpff, der sich vor Wut nicht lassen kann, denn er möchte gerne seine Freiheit wieder haben.
Wann er die bekommen wird? Das müssen wir dem schwer gekränkten Bornemann überlassen. Eines Tages, hat er gesagt, will er auch dem vorwitzigen Trimpff verzeihen.