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Stimmungsbild nach Max Jungnickel
Manchmal, wenn der Sausewind meine Wange streichelt und die Buttersonne nicht allzu heftig um mein bares Haupt frohlockt, dann bin ich gar milde gesonnen. Da gehe ich meine Straßen fürbaß, und nicht immer wähle ich die Landstraßen, in denen die Lärmwagen und Stinkkutschen, die sie Autos nennen, verkehren, nein, in die Seitenpfade zieht es mich, in die verschlungenen, selten begangenen. Löcher sind an meinen Schuhen, Risse grinsen aus meinem Anzug und der Hunger zwickt mir den Magen. Doch was tut's: die Singvögel tirilieren und jeder Baum ist grün und ich liebe das Leben und lobe den Schöpfer und bin ganz furchtbar glücklich.
Heut freilich nicht. O, ihr kennt mich nicht, wenn ihr glaubt, ich sei immer ein umgänglicher Mensch. Heute bin ich ein zürnender Gesell. So wie das Gewitter auf zuviel Sonnenschein folgt, so folgt meine schlimme Laune dem Frohmut von gestern. Zornig gehen meine Füße über die harte Landstraße, bitterböse Flüche purzeln aus meinem großen Mund, abscheuliche Gedanken durcheilen jetzt mein Gehirn. O wie bin ich wütend! Ich könnte einen Granitblock zum Abhang wälzen und hinunterfallen lassen, damit er vielleicht in der Tiefe Lebendiges zerschlüge, ich könnte, o ihr Freunde – ich erschrecke vor der Bösartigkeit der eigenen Seele – ich bin ganz schrecklich böse.
Da aber kommt mir ein Mädchen entgegen. Ein harmloses Mädchen, armselig gekleidet, doch mit einem feinfeinen Lächeln zwischen den roten Lippen, und dies Mädchen bietet mir die Tageszeit. »Guten Morgen«, sagt sie und ich antworte: »Guten Tag, du liebes Menschenmädchen!« Und dann gehen wir aneinander vorüber und keins wagt sich umzublicken. Aber nun ist das Gewitter, das in mir so finster geschwelt hat, vorüber, und die Sonne lacht wieder und ich bin wieder freundlich. Ja, ich bin ganz furchtbar freundlich.