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Nach Rudolf G. Binding
Es war im Jahre 1789 das zugleich das Jahr 1 der französischen Revolution war. Das Mal des Schreckens, die Guillotine, hatte in der Hauptstadt des geprüften Landes oftmals in Tätigkeit treten müssen, » la guillotine ne va pas mal«, hieß es seinerzeit im aufgepeitschten Volk, und der Adel war vogelfrei.
In einem kleinen Ort unweit von Paris, an den Ufern der Seine, stand das Schloß Bonton-Oui, oder wir sagen wohl richtiger: es lag dort, doch während wir dieses aussprechen müssen wir uns abermals verbessern und endgültig schreiben: es lagerte sich. Ja so war es, es lagerte sich efeuumrankt und friedlich unweit vom Ufer, und obwohl seine Architektur weit davon entfernt war üppig oder auch nur erhaben zu sein strahlte das Schloß dennoch einen unbestimmten Hauch unantastbarer Ruhe aus, einen Hauch der ihm im Laufe der Jahrhunderte angeflogen sein mochte.
Dort wohnte die Gräfin Harriett, eine ebenso schöne wie stolze Frau, die nach einjähriger und kinderloser Ehe mit einem flandrischen Grafen Witwe geworden war. Sie hatte ihrem Gatten auf dem Sterbebette zugesagt, sie wolle ihr Leben lang auf Schloß Bonton-Oui verbleiben.
Auf jenes Schloß kamen nun eines Tages die Revolutionäre, ungestüm Einlaß gebietend. Die Gräfin öffnete der Horde selbst das Tor und brüllend stürmten die Männer hindurch, jedoch schon auf dem Schloßhof mäßigte sich ihr Zorn, um sich in Kürze ganz zu legen. Die Gräfin bewirtete alle aufs trefflichste, und – mannigfachste Entschuldigungen stammelnd – zogen sie wieder davon.
Einer unter ihnen, ein Revolutionsdichter, kam andern Tages wieder. Seltsam war es ihm ergangen. Er der sonst anklägerische Balladen und maßlose Pamphlete verfaßte, war nun zum zierlichen Lyriker und freundlichen Erzähler geworden, nicht mehr drohten Ausrufezeichen wild wider die Götter sondern anmutige Nebensätze priesen ihre Ehre und in der Verwendung der Satzzeichen insbesondere der Kommata hielt er sich vornehm zurück.
Nun drängte es ihn der schönen Frau Harriett jene Gedichte zu lesen die in der letzten Nacht aus ihm geströmt waren, und die er selbst, seine Verwandlung nicht verstehend, kaum als die eigenen erkannte. Stolz stand die Gräfin vor ihm, gehüllt in ein Gewand das prächtig an ihrem schönen Körper herabfloß. Der junge Dichter fiel aufs Knie und bedeckte den Saum ihres Rockes mit Küssen. Auch die Gräfin empfand die Anmut seiner Leidenschaft und ihre schlanken Finger verweilten kurze Zeit in dem weichen Haupthaar des Knieenden. Er sprang hoch, bedeckte ihre Hand mit Küssen, sie ließ es geschehen, da küßte er ihre Stirn und sie ließ es geschehen; sie ließ es auch geschehen daß er ihren Mund mit dem seinen bedeckte.
Als er sich, Stunden später, vom Lager der Geliebten erhob und fragte, ob er wiederkommen dürfe und wann – da sagte die Gräfin: »O, du mein schöner Dichter, vergiß nicht daß wir auf Schloß Bonton-Oui sind und daß du nun ein sanfter Erzähler bist. Einmal, nur ein einziges Mal darf auf Schloß Bonton-Oui und in deinen Erzählungen das geschehen was soeben geschehen ist, Wiederholungen wären wider alle Schicklichkeit. Wir müssen scheiden!«
Der Dichter war töricht genug sich nach den Worten der Gräfin zu richten – vielleicht war es wohl auch der Zauber von Bonton-Oui der ihn so handeln ließ. Er eilte heim und sandte fortan der Geliebten täglich zarte Verse – aber was hatten sie davon?