Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der Narr von Brandenstein

Dem Grafen Jörg von Wertheim wollte schon fast bange werden, als die Ebersteinischen mit immer stärkeren Kräften im Sinntal heranrückten und Miene machten, die Schaippacher Brücke im Rücken seiner Stellung bei Rieneck wieder zu stürmen. Besorgt schickte er einen Boten nach dem andern über Gemünden zurück und ins Saaletal hinauf, um zu erkunden, warum die Nürnbergischen und Fuldischen Truppen so lange verzögen. Von der geglückten Ermordung des Absbergers und der Gefangennahme des größten Teiles seines Haufens hatte er zwar schon früh am Morgen Nachricht erhalten. Nun aber sollten sie, den Absbergischen Anschlag verkehrend, über Wolfsmünster eilig vordringen und durch den Wald des Sinnbergs den Ebersteinischen in die Flanke fallen. Da sie sich noch immer nicht zeigen wollten, ließ er stärkere Teile der schon gegen Rieneck vorgezogenen Truppen und des Geschützes wieder nach Schaippach hinabziehen, um die Brücke unter allen Umständen zu halten und den Feind sich gleichzeitig dort in einen hartnäckigen Kampf verbeißen zu lassen. So mußte er umso gewisser und vollständiger in die Falle gehen, die er selbst gestellt hatte. Doch die Ebersteinischen begannen heftiger anzugreifen, als ihm lieb war, und zeigten sich bald auch mit Kräften, die weiter oben über den Fluß gegangen waren, auf dem rechten Ufer, so daß der Graf befürchten mußte, sie könnten seine Truppen bei Rieneck werfen, ehe noch die von der Saale Kommenden in den Kampf eingegriffen hatten. Da brach der Feind in den ersten Vormittagstunden plötzlich den Angriff ab und ging eilig zurück. Er räumte auch den Hügel gegenüber Rieneck, und es war zu bemerken, daß sein Rückzug stellenweise in Flucht 462 ausarten wollte und nur das Eingreifen der Reiterei die Auflösung einzelner Haufen verhinderte. Kaum eine Stunde darauf erschienen fuldische Reiter vor dem Waldsaum des Sinnberges. Als die Verbindung mit ihnen hergestellt war, ließ der Graf seine Truppen ungesäumt zur Verfolgung des Feindes talaufwärts an beiden Ufern aufbrechen und gab gleichzeitig Befehl, daß der Hauptteil der bei Wolfsmünster über die Saale gehenden Nürnberger geradenwegs durch die Wälder gegen Roßbach und Zeitlofs vorgehen sollte. Auf diese Art hoffte er, die Ebersteinischen im Tal zwischen Zeitlofs und Jossa noch einmal von zwei Seiten fassen zu können.

Die Verfolgung gestaltete sich über Erwarten leicht. Die Ebersteinischen leisteten nirgends mehr ernstlichen Widerstand und waren in ihrem Rückzug durch das vorgebrachte schwere Geschütz auf den schmalen und aufgeweichten Wegen arg behindert. Schon vor Burgsinn fiel den Wertheimischen ein Teil der Stücke in die Hände. Der Graf ließ die Reiterei angreifen. Die schlechten Söldnerhaufen warfen die Waffen weg und flüchteten zerstreut in die Wälder hinauf. In Burgsinn, wo man stärkeren, auf das Schloß gestützten Widerstand erwartete, fand sich eine fürchterliche Verwirrung, da der feindliche Troß in zielloser Flucht die Wege versperrte. Nur durch einen tollkühnen Angriff der Ebersteinischen Reiterei, bei dem Reinhard von Nisika fiel, vermochte es der Feind, die Wertheimischen aufzuhalten und sich so viel Luft zu schaffen, daß er mit der Reiterei und dem besseren Teil des Fußvolkes wieder talaufwärts entkam. Aber das meiste Geschütz und der größte Teil des heillos verknäuelten Trosses wurde dem Sieger zur Beute.

In der Nacht vom Mittwoch auf den Gründonnerstag brannte es im Sinntal an mehreren Stellen. Die fliehenden und die Verfolgenden plünderten in Dörfern und Gehöften. Ein frühes Gewitter, das sich über dem Spessart zusammengeballt hatte, ging mit Sturzregen und Getöse nieder. Die Straße gegen Jossa war voll rennender und reitender Leute. Manche waren durch den Fluß geschwommen und liefen waffenlos und barfuß einher. Mit Geschrei und Peitschenknall 463 rasselten die Troßwagen und einzelne Geschütze, die entkommen waren, hinter abgehetzten Gäulen. Wenn ein Roß stürzte, ein Rad brach, fielen die flüchtenden Söldner über die Fuhre her, beluden sich mit allem, was ihnen in der Hast und Finsternis unter die Hände kam, und ließen die Wagen stehen. Die Wertheimische Reiterei drängte nach. Vor Jossa, wo das Tal der Sinn gegen Osten biegt und durch den einmündenden Joßgrund erweitert wird, warf sich ihr plötzlich ein gesammelter Reiterhaufe entgegen. Der Mond, aus den verziehenden Wolken aufsteigend, beleuchtete hell das Kampfgefilde. Ein gewaltiger Ritter in dunklem Helm und Harnisch auf einem schwarzen, ungerüsteten Pferd führte die Ebersteinischen. Ihr Anprall war so wuchtig, daß die Wertheimischen in Verwirrung gerieten und flohen. Eilig nachrückendes Fußvolk hielt sie auf. Die Ebersteinischen, in Einzelkämpfen zerstreut über den Grund hinjagend, kamen bald ins Gedränge. Graf Jörg von Wertheim selbst ordnete seine Reiter aufs neue und trieb sie an. Der dunkle Ritter, der am weitesten vorgestürmt war, sah sich allein in einem Haufen zu Roß und zu Fuß von allen Seiten andrängender Gegner. Er hieb wie rasend um sich. »Fangt ihn!« schrie der Graf an das Getümmel heranreitend. »Fangt ihn! Das ist der Hauptmann. Hundert Gulden dem, der ihn niederwirft!« Da warf der Ritter das Pferd herum und setzte mit mächtigem Sprung in den Fluß. Das aufspritzende Wasser schlug über ihm zusammen. Aber der Rapp hatte einen so weiten Satz getan, daß er Boden unter die Hufe bekam, und trug seinen Reiter ans jenseitige Ufer. Noch einmal schien er verloren, denn das Pferd, in angestrengten Sprüngen arbeitend, wollte in der sumpfigen Wiese stecken bleiben. Ein Hagel von Pfeilen und Bolzen stob ihm nach. Doch das starke Roß, durch Sporn und flachen Schwerthieb aufgepeitscht, machte sich mühsam heraus. Im Mondlicht sah man den Reiter den Abhang hinauf jagen und im Holz verschwinden.

Inzwischen waren am linken Ufer weitere Wertheimische und Fuldische Reitertrupps und Landsknechthaufen herangerückt. Die Ebersteinischen, soweit sie nicht gefangen wurden, 464 flohen sinnaufwärts gegen Zeitlofs. Graf Jörg, der Nachricht erhalten hatte, daß die Nürnbergischen Vortruppen schon von Roßbach herunterzögen, setzte sich nun selbst an die Spitze seiner Reiterei zu rastloser Verfolgung des Feindes. Erschöpfte Troßfuhren, Geschützbespannungen und Fußgänger, die ihnen in die Hände fielen, den nachfolgenden Landsknechten überlassend, ritten sie über die Brücke bei Jossa und im Tal fort gegen Altengronau. Die Beute mehrte sich; das feindliche Fußvolk, nun von zwei Seiten angegriffen, ergab sich widerstandslos. Der Sieg schien vollständig. Aber nochmals rannten die Ebersteinischen Reiter an. Ihr Führer, ein hoher Mann in blinkender Rüstung, warf den Grafen aus dem Sattel und hieb auf ihn ein. Die Wertheimischen, ihren Hauptmann umringend, drängten ihn zurück. »Wart, Bauerngraf!« schrie der Ritter »es kommt der zahlende Tag! Hüt dich vor Jörg von Eberstein!« Damit kehrte er sich, rief seinen Leuten zu, daß sie vom Kampf ablassen sollten, und sie entkamen nordwärts in die Gehölze am Lauf der schmalen Sinn.

Bis in die Morgenstunden wurde im brennenden Dorf Zeitlofs mit den hartnäckig sich haltenden thüngischen Haufen gekämpft. Die Vorgebäude des Schlosses wurden erstürmt und gingen in Flammen auf. Die Burg hinter dem breiten Wassergraben hielt sich. Musketen und Feldschlangen, aus Fenstern und Turmscharten feuernd, verhinderten jeden Versuch, dem Schloß auf eilig zusammengebundenen Flößen beizukommen. Da der Feind im ganzen Umkreis nunmehr teils vertrieben, teils gefangen war, ließ Graf Jörg von Wertheim die Burg von Abteilungen, die sich in den Trümmern der benachbarten Gebäude und am Berghang verschanzten, umlagern und ordnete für die übrigen Teile seiner erschöpften Truppen eine lange Rast an. Wo zwei Tage zuvor das kleine Heer Mangolds von Eberstein und seiner Fehdegenossen gelagert hatte, da hoben sich jetzt auf den Wiesen an der Sinn die Zelte der Wertheimischen, Nürnbergischen und Fuldischen Haufen. Und mitten darin an langer Stange wehte die Standarte des heiligen römischen Reiches.

Einige Reiter, von einem Edelmann geführt, begaben sich 465 auf Befehl des Grafen vor das Burghaus in Altengronau, zu fragen, wes Sinnes der Besitzer sei und wem er diene. Die junge Hausfrau, vor dem Tor erscheinend, sagte, daß ihr Gemahl Frowin von Hutten krank und übrigens gut würzburgisch sei. In Wahrheit lag er mit einem schweren Hieb an der Schulter darnieder; denn als der nächtliche Kampf im Sinntal heraufrückte, hatte ihn weder des Oheims Verbot noch seiner Gattin Flehen halten können: er war mit zwei Reitern den bedrängten Ebersteinischen zur Hilfe geeilt. Die Wertheimischen jedoch argwöhnten, daß der eine oder andere der Geächteten etwa im Haus Zuflucht gefunden habe, und verlangten deshalb, den Junker selbst zu sprechen. Die junge Frau, schnell gefaßt, erbot sich, den Edelmann einzulassen und überall herumzuführen, damit er sich überzeugen könne, daß ihr Schloß nichts Feindliches berge. Damit gab sich der Ritter zufrieden und ließ dem von Hutten nebst seinem Gruß nur sagen, daß er sich bei harter Strafe jedes offenen oder heimlichen Gewerbes wider die Reichsexekution zu enthalten habe. Dann ritten sie ins Lager zurück.

Im Lauf des Tages kam das schwere Geschütz nach, und Graf Jörg forderte die Besatzung des Schlosses Zeitlofs bei Androhung schwerer Beschießung zur Übergabe auf. Nach längeren Verhandlungen ergab sie sich gegen Zusicherung freien Abzuges ohne Waffen, von dem nur Edelleute ausgenommen sein sollten, und Schonung der Baulichkeiten am Morgen des Charfreitages. Nur etwa ein Dutzend Knechte unter Führung des Vogtes zogen ab. Kein Edelmann befand sich im Schloß, und außer Kunz von Rosenberg war überhaupt keiner gefangen worden.

Der Graf von Wertheim ließ nun die ausgeruhten Truppen in zwei Zügen über Mottgers und Sterbfritz einerseits, über Jossa und Herolz andererseits gegen den Brandenstein vorrücken, den er stark befestigt und besetzt glaubte.

Es war nach erneuten Regengüssen ein wolkenloser, tiefblauer Frühlingstag geworden. Das Kinzigtal mit seinen grünenden Hügeln und Gehölzen, stillen Dörfern und Mühlen lag friedvoll in der jungen Sonne. Der Steckelberg hob sich steil vor den weiten Forsten in die klare Luft. Um den 466 Brandenstein schien alles ruhig. Vorausgeeilte Reiter sahen schon vom Grenzstein auf der Höhe aus das Tor des Schlosses weit offen stehen. Sie hielten und berieten untereinander, was zu tun sei, denn sie vermuteten eine Falle. Endlich entschlossen sie sich doch, behutsam vorzugehen, und ritten den Weg zur Brandensteiner Mühle hinab. Der Müller, den sie befragten, versicherte sie, daß die Burg verlassen sei. So ritten sie den Hügel empor, hielten bei den verfallenen Vorwerken noch einmal still und spähten den Weg an der Mauer entlang durchs offene Tor hinein. Nichts war zu vernehmen außer dem wütenden Bellen einiger Hunde, die jetzt in der Wehrgasse heranliefen, und einem seltsamen Geblase, das aus dem Vorhof zu kommen schien. Die Reiter wagten sich schließlich unter das Tor und, da nichts Bedenkliches wahrgenommen wurde, weiter gegen das offene Fallgatter und den Hof. Immer mehr Hunde liefen herbei und umringten und begleiteten sie mit hitzigem Kläffen. Im Vorhof auf der Mauer an der niedergelassenen Zugbrücke saß der Narr und blies vergnügt auf einem alten, geknickten Fanfarenrohr. Er trug eine zerbeulte Eisenhaube auf dem Kopf und hatte sich mit allerlei grellen Lappen einem Landsknecht ähnlich aufgeputzt. Die Hunde, einst seine erbittertsten Feinde, umstanden ihn jetzt als getreue Garde und bellten zornig auf die Reiter los. Wie er die nun erblickte, sprang er herab, ergriff eine Hallparte, die an der Mauer lehnte, stellte sich wie eine Schildwache hin und schrie im Befehlston, den er den Soldaten abgelauscht hatte, unverständliche, sinnlose Laute. Dann machte er mit dem Spieß einige stramme Handgriffe, legte ihn auf die Schulter, hob das Rohr wieder an den Mund und begann blasend im Marschtritt auf der Brücke hin und herzuschreiten. Und wieder blieb er vor den Reitern stehn, setzte ab, präsentierte und schrie: »Hu–aschasch–hu–hurrah!« Riß die Lanze wie ein Gewehr an die Backe und schrie: »Hu–aschasch! – Puff – puff!« Die Hunde bellten wie toll, die Reiter wollten sich zerlachen. Er schrie, nahm den Spieß bei Fuß und wieder auf, hob die Fanfare und schritt blasend über die Brücke und durch das gleichfalls offen stehende zweite Tor in den inneren Hof. Sie folgten 467 ihm, sahen sich nach allen Seiten um, ritten hin und her, spähten in den leeren Stall und in das Gewölbe vor der Kapelle. Endlich saßen drei ab und begannen, das verlassene Schloß zu durchsuchen.

 


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