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Mangold auf den Spieß gestützt und von zwei Hunden begleitet schritt aus dem Tor des Brandensteins. Der Vogt Peter ging ihm zur Seite. Bei den verfallenen Vorwerken in der Sattelung des Bergrückens, wo der Weg in die Talrinne nach Elm hinunterbiegt, blieben sie stehen.
»Herr,« sprach der Vogt, »das Zeug aufbauen, mit Verlaub, kost viel Geld und hat keinen Nutz.« Ein Hustenanfall unterbrach ihn. Der Ritter sah dem Mann ins Gesicht, das sehr gealtert war. Die Augen glommen fiebrig in tief eingefallenen Höhlen, die Backenknochen standen aus abgezehrten, vom ergrauten Bart umstarrten Wangen hervor.
»Freilich,« versetzte der Junker, »die Mäuerlein allein machens nit. Ich möcht da ein festes Tor mit zwei starken, kurzen Türmen und eine Mauer rund um den halben Berg haben, die mir den Brunnen einfaßt. Es ist des Teufels, daß wir keinen Quell oder Brunnen im Schloß haben. Mit dem Wasser in der Zisterne halten wirs nit drei Tag, so es belägert wird.«
»Besorgt der Herr dann eine Belägerung?« fragte der Vogt mit einem seltsamen Aufblick halb zur Seite.
Der Ritter schwieg und sah in den sonnenschweren 317 Juniabend hinaus. »Man kanns nit wissen,« sagt er dann, »und muß sich fürsehen.«
Der Vogt räusperte sich, hustete und spuckte aus. »Herr,« sprach er heiser, »solch eine große und weite Mauer, wie ihr meint, die braucht viel Leut zum Halten und ist doch leicht eingerannt und überstiegen. Gar jetzt mit dem Geschütz – da hält die ganze Burg nit lang.«
»Du magst recht haben,« erwiderte Mangold mit einem Seufzer. »Der ganze Brandenstein taugt nit gar viel, wann sie mit schwerem Stuck anruckten. Trotzdem, es muß geschehn, was möglich. Hol mir die Tag den Maurer von Schlüchtern, aber renn nit selber hinab, schick einen Knecht. Du mußt dich ruhiger halten, Peter,« fügte er mit besorgtem Blick hinzu. »Wie gehts dir? Besser?«
Der Vogt zuckte die Achseln. »Die Nacht,« sagte er. »die Nacht ist allemal schlimm. Immer gen Mitternacht, da fällts mich an, und muß bellen zwo, drei Stund, daß ich vermein, es tät mich zerreißen. Und dann bin ich bei Tag so matt als eine Stubenflieg im Oktober. Die Nacht damals, als der Tucher gefangen ward, die hat mirs angetan. Da bin ich aufgewesen in der grimmen Kalt bis an Morgen und immer um Tor und Mauern gestrichen, und vielmalen geschaut, ob die Wächter auf sind, und konnt drauf nimmer recht warm werden. Dann hat mich das böse Fieber niedergeworfen.«
Der Junker drauf: »Du machst dir auch immer zu viel zu schaffen. Ruh aus, es sind junge Füß genug da, die laufen mögen.«
Der Peter: »Was ein rechter Vogt ist, der muß die Augen überall haben vom Morgen bis zum Abend und soll auch in der Nacht oft auf sein. Mit Verlaub, ich mein, der Herr müßt sich um einen neuen Vogt schauen, ich tus nimmer lang, ich schaffs nimmer.«
Mangold ihm auf die Schulter klopfend: »Du wirst bald wieder gesund sein, Peter, laß dir nur Zeit dazu. Und deine alte Treue ist mir hundertmal mehr wert, als die besten neuen Augen und Füß.«
Der Vogt mit einem tiefen Seufzer. »Das ists, Herr. Die Sorg, daß Euch einer untreu sein könnt, die hält mich noch 318 auf den Beinen allein. Ihr nehmt die Leut, wie sie daher kommen von der Straßen, und immer Gefangene dazu im Haus und fremd Reutervolk – ich sag Euch, die Sorg laßt mich oft weniger schlafen als der Husten.«
Mangold lachend: »Zu viel Sorg machst du dir, Alter, und bist ein gar zu guter Vogt. Mein Gott, so einer untreu ist oder sein will, wer kann ihm ins Herz sehn? Auch solche Gefahr gehört zum Krieg – und zum Leben überhaupt. Was einem unter die Augen tritt, des kann man sich erwehren. Im Rucken, da muß der Herrgott Augen machen.«
»So lang ich schauen kann,« sagte der Vogt, »will ich Euch Augen im Rücken machen. Aber, wann einmal die meinen zu sind . . .«
»Der Himmel halt sie dir noch lang offen, guter Peter,« sprach Mangold ernst. »Schick um den Maurer und auch um den Brunnengraber. Ich geh in Wald hinauf und will sehn, wo noch ein gut Bauholz steht.«
Der Vogt ging langsam zum Schloß zurück; der Ritter schlug den Weg ein, der nordwärts in den Wald des Escheberges hinaufführt.
Er wanderte mit starken Schritten. Die Wipfel der hohen Buchen wölbten sich ihm entgegen üppig in der Fülle des jungen Sommers und noch in jener hellen, strebenden Frische des Laubes, das nach der Sonnenwende zu dunkeln beginnt. Die goldenen Lichter des Abends funkelten schräg im grünen Grund. Blumen in tiefen Farben glühend neigten die Häupter vom Wegrand herab. An einem Steinbruch, der in den Abhang buchtet, wendet sich da der Weg. Die Hunde knurrten und schlugen an, sprangen aber sogleich freundlich wedelnd voraus. Mangold sah einige Schritte vor sich die Odheimerin stehen, die eben daran war, von einem blühenden Wildrosenstrauch ein Zweiglein zu brechen. Einen Augenblick verhielt er im Schreiten, dann ging er auf sie zu. Sie hatte den herabgebogenen Zweig des Strauches fahren lassen und betrachtete ihren Finger, an dem ein dunkler Blutstropfen hing.
»Ihr kommt eben recht,« sprach sie ein wenig verwirrt den Ritter an. »Ihr habt gewiß ein Messer, schneidet mir, bitte, das Zweiglein da ab, es läßt sich nit brechen.« 319
Mangold lehnte den Speer an die Böschung und zog das Weidblatt, das er am Gürtel hängen hatte.
»Hats Euch schon gestochen?« sagte er lächelnd. Er griff in die Zweige und hieb zu.
»Nit so grob!« fiel die Odheimerin ein, »da fallen alle Blüten ab.«
Der Junker, ihr den Zweig reichend: »Morgen sind sie doch hin.«
Frau Agatha: »Nun diesen noch da oben, der hat viele Knospen, aber sänftlicher!«
Er zog behutsam den Ast nieder und schnitt ihn durch. Sie legte die Zweige zu einem Strauß von Rittersporn, Akeley, Glocken- und anderen Sommerblumen, den sie in der Hand hielt. Dann sog sie das erneut hervordringende Blut vom Finger.
»Ei,« sagte Mangold, »solche Blumen standen gestern auf dem Tisch in der Stube. Ihr habt sie hingestellt?«
Die Odheimerin: »Und Frau Margareta hat sie zum Fenster hinausgeworfen. Sie machen Mist, sagt sie.«
Mangold: »Mein Weib mag keine Blumen.«
Die Odheimerin: »Und sie machen ein Haus doch so freundlich.«
Mangold nickend: »Wie schöne Frauen.«
Die Odheimerin errötete leicht und machte sich an dem Strauß zu schaffen.
»Geht Ihr jagen?« fragte sie nach einem kleinen Schweigen.
Er den Kopf schüttelnd: »Ich schau um Holz zum Bauen.«
Sie: »Bleibt Ihr nun eine Weile daheim? Ihr fahrt mehr um denn je.«
Er: »Es tut not.«
Sie mit einem Seufzer: »Hat dann das Reiten noch immer kein End?«
Er mit einem seltsamen Blick: »Wollt Ihr das?«
»Die Nürnberger müssen doch einmal nachgeben.«
»Fallt ihnen nit ein und mir auch nit. Es wird bald hitzig hergehn.«
»Mir ists hitzig genug. Hätt ich gewußt, daß es so wird, nie hätt ich den Streit Euch heben lassen.« 320
»Reut es Euch?«
»Wie sollt es mich nit reuen, wo so viel Pein geschieht und Blut fließt? Lieber blieb ich arm und im Elend.«
»Und in der Schmach, die sie Euch getan?«
Ihre Augen begannen zu schimmern. Er nahm langsam den Spieß auf.
»Wie solls enden?« seufzte sie.
Er stieß den Speer auf die Erde. »Gut!« sprach er. »Drum fechten wir.«
Wieder war ein Schweigen. Sie halb abgewendet ordnete immerzu an den Blumen. Er sah ihr auf Haar und Nacken. Die Hunde spürten am Waldsaum umher. Er pfiff sie zurück. Nun standen sie ungeduldig winselnd und lechzend bei ihnen, und der eine drückte sich an das Kleid der Frau.
»Jedesmal, wann Ihr ausreitet,« begann sie stockend, »denk ich, ob Ihr wohl wiederkehrt.«
Er kurz auflachend: »Das darf kein Reiter denken.«
»Zu Anfang seid Ihr weniger geritten, wart mehr daheim.«
»Da gings auch nit vorwärts. Man muß selber dahinter sein.«
»Nun habt Ihr doch am Tucher so guten Fang getan. Seit dem Winter liegt Ihr aber gar immer an den Straßen.«
»Ja . . . seit Faßnacht.«
Sie wurde dunkelrot. Der Strauß in ihren Händen zitterte. Dann plötzlich entschlossen blickte sie auf, die Augen voll Tränen. »Ich weiß es, ich muß fort von hier,« sprach sie leise und wie zum Gehen gewendet.
Er breit auf den Speer gestützt vor ihr stehend: »Wohin?«
Sie ihr Kleid aufraffend: »Ich weiß nicht, aber fort. Ich spürs, ich vertreib Euch, ich bring Euch ins Unglück – wie alle, die sich meiner annehmen.«
Die hellen Tropfen liefen ihr über die Wangen und den zuckenden Mund.
Er faßte mit starkem Griff ihr Handgelenk und zog sie näher an sich.
»Bleibt!« sagte er leise und sah ihr groß in die Augen. »Ihr müßt bleiben – auf dem Brandenstein – in meinem Haus. Da seid Ihr am sichersten – vor – dem Mangold von Eberstein . . .« 321
Rasch ließ er ihren Arm fahren, als wär's glühendes Eisen, und ging mit großen Schritten von ihr weg die Straße hinauf. Erst bei der zweiten Biegung wandte er sich um und sah sie unten langsam dem Ausgang des Waldes zuschreiten. Die tiefe Sonne, eben hinter Turm und Giebel des Schlosses stehend, das über die Wipfel heraussah, umfaßte ihre Gestalt mit goldrotem Schein. Er schlug die Hand vor die Augen, stand eine Weile wie versteinert, kehrte sich mit einem Ruck und eilte gleich einem Fliehenden bergan.
Statt, wie er vorhatte, im Forst nach dem Holz zu sehen, wanderte er auf der Straße hastig fort.
Oberhalb des Waldes gegen Aufgang und Mitternacht dehnt sich da ein rauhes Hochland, das kahle, von Basaltblöcken überstreute, von Hohlwegen durchrissene Wellen treibt. Man nennt es die Huttischen Höhen. Hutweiden und Heideböden wechseln mit kümmerlichen Feldstreifen, die von Dornhecken umsäumt, von zusammengeschleppten Steintrümmern ummauert sind. Auf der Hügelwelle, die nordwärts den Blick hemmt, dunkeln einzelne Wacholderstauden. Das Dorf Hutten duckt sich einsam in eine Mulde. Von Osten sieht, vor Waldhängen steil aufragend, der Steckelberg herüber.
Am Waldsaum unter einer Gruppe kurzer, verknorrter Hainbuchen ließ sich der Ritter auf einen der umherliegenden schwarzen Steinblöcke nieder und blieb eine Zeit in Gedanken verloren sitzen. Dann sprang er wieder auf und ging mit langen Schritten auf das Dorf zu. Im Abend hatte es eine Bank von Dünsten aufgezogen, hinter der die Sonne trüb versank. Es begann zu dämmern, als er vor das Dorf kam. Er ging nicht hinein, sondern folgte dem Weg, der vor den Häusern abzweigend zur nördlichen Höhe führt.
Eben trieb der Schäfer heimwärts den Hügel hinab. Die gelbwollige Herde quoll in den gelben Sandlehnen des Hohlweges ihm entgegen. Der Wolfshund umlief sie und stieß die Schafe zurück, die beiderseits an den Böschungen hinaufdrängten. Der Schäfer war ein alter, bartloser Mann. Er trug den Schnürenhut und einen schwarzen Mantel und hatte nur einen Arm. Mit dem schwang er gewandt die Schippe und schleuderte Erdschollen nach den Tieren, die abirren 322 wollten. Von der anderen Seite kam mit seiner Herde der Ziegenhirt, ein junger, blonder Bursche im offenen Hemd und kurzen Hosen. Die schwarzweißfleckigen Ziegen gingen lockerer, kletterten an den Hängen herum, verweilten und rupften von Gestrüpp und Grasschöpfen. Der große, schwarze Hund hatte viel zu tun und zu laufen. Ein junger, tölpischer Köter half ihm dabei ungeschickt mit aufgeregtem Gebell.
Mangold ließ die Herden vorüberziehn. Die Hirten grüßten ihn. Der Schäfer sah mehrmals nach ihm um. Der Junker schritt sinnend zur Höhe hinauf. Durch den Einschnitt des tiefen Weges oben sah der Himmel. Von der rissigen Lehne starrten ein paar Feldsteine und ein hängender Strauch in die Luft. Als Mangold auf die Höhe hinaustrat, stand er plötzlich mitten in einer unermeßlichen Rundschau auf blaue Berg-, Wald- und Landfernen: nordwärts die Höhen um Fulda, im Osten das lebhafte Gewoge aller Rhönkuppen, im ganzen Mittag die weiten Züge der Spessartforste, gegen Abend von Schlüchtern und dem tiefen Strich des Kinzigtales hinan der Büdinger Wald und in breitem Fuß auseinanderfließend der Vogelsberg, über dessen Gipfel das Feuer des Sonnenunterganges in den Dunstschichten nachglühte.
Er saß auf den Rain im dürren Gras nieder und blickte in den Abend hinein. Zwei bis drei Pfeilschüsse vor ihm auf dem Rücken standen einige alte Eichen um einen kleinen, trümmerbestreuten Hügel. Er sah unter den Bäumen Gestalten sich hin und her bewegen und wurde aufmerksam. Die Leute schienen Holz herbeizuschleppen und auf dem Hügel, der ein altes Hünengrab war, davon einen Stoß aufzuschichten. Er beobachtete sie eine Zeit lang. Der ferne Abendschein hinterm Vogelsberg glomm verbleichend. Die Dünste wuchsen in braunen, rauchigen Fahnen am Himmel empor. Die riesige Landrunde verschwamm in der Dämmerung. Mangold blickte einmal um und sah auf der Milseburg, dem weit ins Land vorgeschobenen Eck der Rhöngipfel, einen Feuerpunkt aufgehn. Jetzt funkte es auch in der Gruppe der Männer, die um den Hügel standen, und ein Flammenschein leuchtete über die dunklen Gestalten und Bäume hin. Mangold ließ 323 sich in den Hohlweg hinabgleiten, gab den Hunden einen Wink, daß sie still hinter seinen Fersen schlichen, und ging im Weg eine Strecke zurück. Dann kroch er an der Böschung hinauf und pürschte geduckt eine Hecke entlang, die an der halben Höhe des Rückens dem Hügel zulief. Unten sah er den Schäfer allein vom Dorf her kommen. An die Hecke gedrückt, kam er auf dreißig Schritte zur Baumgruppe heran. Er sah den Feuerschein steigen und über die Heidewellen, Steine und Mäuerchen hinschweifen. Eine erhobene Stimme wurde vernehmlich. Er lugte durch die Büsche und sah am Hügel über die umherstehenden Männer aufragend einen jungen Menschen in geistlichem Gewand stehen. Sein blasses Gesicht mit großen, flackernden Blicken leuchtete in der aufzuckenden Lohe. Es war der Leutpriester vom Dorf, der ihm als unruhiger Kopf und Neuerer bekannt war. Er sprach laut. Mangold verstand: »Merket auf! Es ist einer erschienen, von dem die Schrift sagt: er machte meinen Mund als ein scharfes Schwert, mit dem Schatten seiner Hand bedeckte er mich. Er machte mich wie einen auserlesenen Pfeil, in seinem Köcher verbarg er mich.«
Der Schäfer kam langsam heraufgegangen. Mangold trat hinter den Büschen vor und eilte mit großen Schritten auf das Feuer zu. Der Prediger sprach: »Der Herr streckte seine Hand aus und berührte seinen Mund, der Herr sprach zu ihm: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund, siehe, ich setze dich heute über Völker und Reiche, daß du ausreißest und niederwerfest, zerstörest und zerstreuest, aufbauest und pflanzest.«
Da alle gespannt lauschten, kam Mangold unbemerkt knapp hinter den Kreis der Leute, die um den Hügel standen. Er hörte, wie die Männer murmelten. Jetzt rief einer: »Der Pfaff soll schweigen. Es sprech einer den Spruch.«
Ein sehr alter Bauer stieg zum Feuer hinauf und drängte den Priester weg. Er zog einen brennenden Ast aus der Glut und hob ihn, daß sein Antlitz im Schein mit scharfen Schatten leuchtete wie aus Holz geschnitten. Dann schwang er den Zweig nach den vier Winden, daß Flammen und Funken wehten, und sprach dazu feierlich: »Im Stehen – 324 im Wenden – ins Blut. – Alle oben – alle unten. – Gutes greif ich – Böses blas ich. – Ich seh nichts – ich weiß nichts. – Also helf uns, der da ist. – Altes Recht ward uns genommen – altes Recht werd uns wieder. – Fri, fre, frid.«
»Fri – fre, – frid,« murmelten die Männer. Sie drängten zum Feuer hinan, warfen Kräuter und Blumenbündel hinein. Der Leutpriester wollte wieder sprechen.
Mangold drängte die vor ihm Stehenden auseinander und stand vor dem Feuer. Die Leute wichen zurück. Ein Flüstern ging durch die Runde. Einige schlugen sich abseits in die Baumschatten. Die Flamme fraß langsam knisternd im feuchten Holz. Schwerer weißlicher Qualm wälzte sich über den Hügel nieder und zog ostwärts.
»Was tut ihr da?« herrschte er die Männer mit scharfer Stimme an und spähte einem nach dem andern streng ins Gesicht.
Keinerseits wurde ihm Antwort. Der Ritter trat am Hügel zwischen den Steinen empor und wiederholte noch einmal schärfer: »Was tut ihr da?«
»Wir brennen das Sunewendfeuer,« erwiderte endlich der alte Bauer.
»Wie alle Jahr,« fügte ein anderer hinzu.
»Sankt Johannis Feuer,« begann lebhaft der Priester, »nach altem, heiligem Brauch . . .«
»Ist heut Johanni?« schrie der Junker. »Das ist ein anderes Feuer. Verschwörung treibt ihr und Aufruhr, ich weiß es. Der Joß Fritz geht wieder um im Land mit dem Bundschuh, ich weiß es. Wo ist der Joß Fritz?«
Er sah um und um. Seine Augen blitzten hell und zornig im Feuerschein. Die Bauern schwiegen. Der Junker stieß den Speer in den Holzstoß und warf die Brände auseinander.
»Löscht das Feuer aus!« befahl er unwirsch. »Geht heim!«
Der junge Priester wollte reden. Eine Bewegung entstand. Die Männer traten scheu zur Seite. Der alte Bauer, der neben dem Prediger stand, hob mit starrem Blick, in dem der Widerschein funkelte, die Hand und ließ sie wieder sinken. Der Geistliche sah erschrocken über den Ritter weg. Mangold 325 fühlte etwas in seinem Rücken, machte kehrt und sah eine hohe dunkle Gestalt hinter sich stehen. Erst glaubte er, es sei der Schäfer, denn der Mann trug einen weiten Mantel und breiten Hut, der ihm halb ins Gesicht herein hing. Doch er hatte einen langen, greisen Bart.
»Laßt die Feuer brennen auf den Hügeln der Toten.«
Seltsam wie ein wehender Windstoß ging die Stimme über ihn hin. Auch der Bart schien zu wehen und zu wallen wie ziehender Nebel, hier weiß, hier düster. Die Züge des hageren Gesichts traten blaß und unkenntlich unter den tiefen Schatten des Hutes zurück. Nur das linke Auge glomm unter der Krempe dunkel hervor, und jetzt, da eine Flamme Zug bekommen hatte und prasselnd aufbrach, fing sich der Glanz in dem Blick und er strahlte hell wie Eis.
»Du bist der Aufrührer!« fuhr ihn Mangold an.
Der Alte gab keine Antwort. Immer war ein Wehen und ein Gesaus um ihn, als stünd er auf hohem Gipfel, wo der Bergwind um Felskanten und letzte Sträucher zieht. Der Ritter blickte in die Baumkronen. Die rührten kein Blatt. Ihn wollte schaudern. Er stieß den Speerschaft auf einen Stein und sprach: »Gib dich gefangen. Du mußt mit mir kommen.«
Aber wie er vortrat und eine Bewegung machte, um den Greis zu fassen, schien alles umher zu versinken und sich in reißendem Wirbel zu drehen. Er taumelte und stemmte sich schwindelnd an den Speer. Ihm war, die Gestalt wolle ihn überwachsen. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück und stellte den Spieß vor sich. Nun stand die Runde wie früher, nur dunkler, und schwärzer die Wipfel gegen den nachtenden Himmel, in dem einzelne Sterne flimmerten. Die Scheine des verlöschenden Feuers zuckten über Felstrümmer, Gras und Baumstämme. Er sah unten die Männer still auseinander gehn und in der dämmernden Heide verschwinden. Aber der vor ihm schien zu wandern, zu wachsen, heran zu brausen. Abermals erfaßte ihn das Ziehen und Kreisen. Der Hügel hob sich und wankte, der nachtblaue Kreis der Ferne schwankte und wogte wie ein Meer. Mangold kämpfte um Halt. Er sprang über ein paar glimmende Äste 326 zurück. »Zauberer! Gaukler!« schnob er. »Packan!« rief er den Hunden zu. Die heulten kurz auf hinter ihm. Er schwang den Speer zum Stoß. Der alte Mann wuchs riesenhaft gleich einer Wolke. Der dunkle Mantel flog dem Ritter ums Haupt wie Sturm. Die Sinne verließen ihn. Er stieß die Speerspitze nach vorn zwischen die Steine und stützte sich mit beiden Fäusten am Schaft. »Gott!« stöhnte er hin und hergerissen. »Faß den Stab,« sauste die Stimme. Er wollte nicht. Es schleuderte ihn in die Felsen. »Faß den Stab!« Der Boden wich unter ihm wie Wolken. Er stürzte vornüber, griff mit der Rechten aus und fing sich am Stab des Alten. Da war es ruhig. Er stand fest, sah Bäume und Berge. Das blasse Gesicht im Nebelbart war nah vor ihm und schien doch meilenfern. Das Auge strahlte wie ein Stern weit hinten im Dämmerhimmel. Er atmete auf und war todmüde. Die Knie zitterten ihm. Er saß auf einen Felsen hin. Es strömte wie Kraft in seine Glieder. Der Mantel überwölbte ihn dunkelblau wie Himmel, Bart und Haupt im Hut wie Gewölk, der Stern blinkend darin. »Wer bist du?« »Der Wanderer,« umsauste es ihn. Die Runde zog, oder der Hügel zog wie ein Schiff. Die Runde wogte, brauste wie Meer. Die Stimme sauste, rauschte über ihm wie Wind in Wipfeln und Wogen. Eine dunkle Sprache. Ihm dämmerte ein Verstehen. Er hörte die Worte, und wie sie ihm ins Ohr wehten, tat sich sein Blick auf, und er sah in Bildern, was der Alte sprach. Er sah von hohem Berg auf riesiges Waldland herab, das lag finster vor Tag. Zwielicht wuchs herein. Sümpfe rauchten. Ein Urochs hob sich aus dem Sumpf, zottig, triefend, feuchtes Geschling um die Hörner, wilde Wucht. Dunkle Männer in Fellen sprangen ihn an. Er schüttelte das Haupt, stampfte im Moor, sprang in großen Sätzen. Der Berg hob sich. Der Wald sank zurück. Unendlicher Weitblick. Nordwärts ein graues Meer, dahinter hohes Gebirg, zackig, eisblank und ein Licht dahinter wie Sonnenaufgang, riesige Garben steil aufschießend rot und grün, dann blau und gelb, dann heller, hell, weiß, scharf wie Speere, zackig wie Eisstrahlen. Eisströme drangen vom Gebirg nieder, schoben sich ins Meer wie Brücken, brachen, schwankten als Inseln, wurden 327 vorgestoßen von nachdrängenden, wuchsen in Land und Wald herein. Das ganze Gebirg wanderte, rückte, wuchs zackig stürzend und steigend heran. Die Eisströme funkelnd brachen in die Wälder, quollen, flossen, zerschlugen und teilten sich. Sie nahten. Er sah, daß es Heere waren, Scharen heller Menschen, Männer in Waffen, Frauen mit lichtem Haar. Die Wälder wurden lebendig. Wie Ameisen wimmelten dunkle Leute, flohen ins Dickicht und Moor, krochen in Hügel, rannten zuhauf, kehrten, strömten den Blinkenden entgegen. Kampf. Die Hellen vom Eis kamen in immer weiteren Scharen, überfluteten eilig die Dunklen. Er sah sie nahe vorüberlaufen und reiten, starke, schöne Männer, Knaben, Frauen, Fürsten zu Roß mit Adlergesichtern, hohen Wuchses mit blauem Blick, schlanken Gliedern und Händen. Der Berg stieg. Er sah die Heere wie blanke Ströme durchs dunkle Land fließen, dort und da stockend, sich breitend, Flächen seegleich füllend, wieder sich fortwälzend und rinnend in alle Fernen, weit, weit in dämmernde Gebirge, in Länder zwischen blauen Meeren hinab. Es war Morgen. Licht hob sich im Osten. Adler sangen kreisend um Felsgipfel im hohen Licht. Drachen in Berghöhlen schnoben Feuer von Helden bekämpft. Völker bekämpften einander. Totenfeuer glommen auf Hügeln. Sonne ging auf blutrot, kreuzförmige Strahlen schießend. Der Purpurschein flog über Länder und Meere hin. Gebirge steil entgegenstehend warfen tiefe, lange, zackige Schatten. Felshäupter erglommen, starke Bauwerke wie Steinklötze erwachsen starrten graurot ins Licht. Die Schatten verkürzten sich. Das Licht widerstrahlte in Gewässern. Er sah Menschen in die Fluten steigen, sich beugen. Andere in dunklen Gewändern gossen ihnen funkelndes Wasser über die Häupter. Die Tropfen auf ihren Stirnen, die Wellen umher blitzten und strahlten in Tausenden kleiner Kreuzsterne. Kreuze erschienen dort und da im Land, strahlten von Häusern, Türmen, Bergen. Immer war Kampf, immer wogten und flossen die Völker, lichte gegen Abend und Mittag, dunkle eilig reitend von Osten her, fluteten über die Hellen hin, überdunkelten sie strichweise ganz, fluteten, flohen zurück. Die Sonne stieg. Die Lichten breiteten sich aus in den Ländern, zogen auf 328 Schiffen über die Meere. Die dunklen aus Wald und Erde kamen wieder hervor, dienten ihnen. Sie brachten blinkendes Gold aus finsteren Schächten und aus den Tiefen der Flüsse. Eine Krone wurde geschmiedet. Ein gewaltiger Mann mit ihr gekrönt hob sich hoch über die Länder und saß zu Thron auf einem Berg. Tief im Süden erstrahlte eine andere Krone dreifach von einer runden Burg. Neuer Krieg entstand um die Kronen. Staub und Rauch stieg auf, bald eine, bald die andere verdunkelnd. Dann strahlten sie wieder beide hell von der steigenden Sonne beglänzt in die Länder hinaus, warfen weite Lichtscheine in Gebirge, Täler, Wälder und über die Meere hin. Bauwerke wuchsen, stiegen schlank und steil. Spitze Türme, weiße Pfeiler, bogige Fenster bunt glühend, hohe Giebel, Kirchen im Tal, Burgen auf Höhen. Hütten und Häuser wuchsen umher, rundum Mauern mit Türmen und Toren. Es ging auf Mittag. Frühling in sonnigen Ländern. Buchenwälder hellgrün, farbige Banner von schlanken Burgen flatternd, Schiffe auf Strömen, blinkende Heerzüge von Rittern mit bunt wehenden Fähnlein auf den Straßen ostwärts in ferne, heiße Wüsten, wo Kampf war. Immer lebhafteres Hin- und Wiederfließen auf den Straßen, Schiffen auf Strömen, Seen, Meeren. Heller Glanz ging von der hohen Krone inmitten des Landes weit über die Erde hin. In Städten quoll blinkendes Gold, stieg, floß in gleißendem Geriesel über die Mauern herab, durch Tore ins Land hinaus. Männer schöpften das Gold, Weiber badeten darin, Hände wurden rot und schwarz davon. Die Dunklen aus Wald und Höhlen traten wieder zahlreicher auf, wo das Gold floß. Sie leiteten es da und dorthin, mischten sich in die lichten Scharen. Streit hob sich um das Gold. Unfrieden war im Land. Heere, Scharen und einzelne kämpften miteinander. Rauch und Dünste zogen auf, die hohe Krone überm Land verdunkelnd. Neue Kronen tauchten auf da und dort. Das Gold floß stärker aus den Städten, strömte in einem Netz von Adern und Äderlein durchs Land. Burgen brannten und verfielen, Dörfer gingen in Flammen auf, neue Städte wuchsen aus der Erde. Die Dunklen geschäftig wühlten in Bergen und Gründen. Neue Quellen von Gold 329 und Silber brachen auf, rollten in die Länder, zündeten Brände überall. Dichter stiegen Qualm und Dünste, ballten sich wetterschwer über den Bergen, die Sonne umdüsternd, die sich neigte. Die hohe Krone schien ganz erloschen. Die andere im Mittag leuchtete trüb von blitzenden Wettern umwölkt. Die Wolken schwollen und reckten sich hoch von allen Seiten, stiegen in wunderlichen Gestalten, grausen Gesichtern, streckten, neigten sich gegeneinander in kämpfenden Gebärden. Sturm wühlte übers Land hin, das tief in Schatten und Düsternis lag. Nur die Goldströme glühten rot, rollten in Schlangen und Schlänglein ringelnd, züngelnd im Land, Brände stiegen auf immer mehr, immer näher heran. Der Ritter sah wieder Gegenden, die ihm bekannt waren, sah sie brennend in Empörung und Krieg. Die Lichten kämpften mit den Dunklen und widereinander, fremde Heere von allen Seiten wälzten sich heran, schwere Wetter zogen über ihnen mit, Wolkengestalten sturmgebläht wogten gegeneinander. Näher und näher die Brände. Burgen, Dörfer, Städte brannten. Ihn würgte die Angst. Er wollte aufspringen, kämpfen, retten. Die hohe Krone überm Land zuckte nur manchmal noch auf von Blitzen beschienen. Finstere Gestalten langten nach ihr. Der Berg wankte. Das Land wankte und wogte wie dunkles Meer, Gebirge hoben sich wie Wellen, neigten sich, stürzten vornüber. In Rauch, Flammen und Zerstörung schien sich alles aufzulösen und unterzugehn. Der Berg hatte sich gesenkt. Er sah wieder sein Land umher, nur weiter und wüster, nächtig und überleuchtet von vielen Bränden. Ein langer Zug von Reitern kam über die Heide, Männer in den Waffen versunkener Zeiten, dann solche in blinkenden Rüstungen mit dreieckigen Wappenschilden am Arm. Totenfeuer brannten über ihnen auf den Hügeln der kahlen Höhe. Die Reiter zogen vorbei in unendlicher Schar. Bekannte Gestalten kamen, befreundete Gesichter im Feuerschein. Sein Vater, der Kuchenmeister, viele die gestorben waren. Jetzt Franz von Sickingen, der alten Thüngen, Götz, Ulrich, der lange Voit. Alle ernst und bleich wie Tote im Widerschein der Feuer. Nebukadnezar hob das Schwert und winkte ihm. Er wollte auf. Der Mantel des Alten lag 330 über ihm schwer wie Traum. Er kämpfte und rang mit der dunklen Last, schrie auf im Traum.
Da war er wach, saß auf den Steinen des Hügels vor dem verglimmenden Feuer, sah trüben Himmel mit rauchigen Wolken und einzelnen kleinen Sternen über sich, Bäume dunkel und dämmernde Heide umher. Grauender Tag schlich von Morgen übers Land. Der Alte abgewendet schritt den Hügel hinab und westwärts dem Walde zu. Mangold fuhr sich über Stirn und Augen, sah ihn schreiten, sprang auf und ging ihm nach. Der Alte tat weite Schritte, wuchs mit langem Schatten gegen den Wald hin höher, höher, hoch wie die großen Buchen am Saum. Nein, das war er nicht mehr. Das war ein Baum, nicht mehr sein Hut, ein breiter Wipfel vor dem Himmel. Er sah die Umrisse dunkel im dämmernden Tag. Er wandte sich um nach den Hunden. Sie standen zitternd hinter ihm. Er hetzte sie auf die Fährte. Sie legten sich platt ins Gras und sträubten das Haar. Ihn fröstelte. Er wandte sich rasch und ging eilig über die Heide hinab. Noch einmal sah er nach dem Hügel zurück. Der hob sich zwischen den Bäumen dunkel vor blassem Morgenlicht. Der Rauch zog aus den Felstrümmern ostwärts. Es begann zu regnen. 331