Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Bauernfrühling

Die Bauern tanzten. Mailiche Kirmes in einem mittelfränkischen Dörflein hatte zahlreiche Nachbarschaft angezogen. Aus dem Gewimmel auf der Festwiese starrte mit Kränzen und buntwehenden Bändern der Maibaum empor. Krambuden und Schaubuden umher, luftige Birkenlauben, Tische und Bänke für die Tafelnden, Kegelbahn, Rennbahn und Schießstätte mit dem Gerüst für farbige Holzvögel, nach denen die Pfeile schwirrten. Hinten aus Lattenzaun und Blütenwipfeln lugend die steilen Strohgiebel des Dorfes, und schwalbenumschossen der spitze Kirchturm, er allein mit neuen, brennroten Ziegeln gedeckt.

Es war ziemlich schwül. Der Himmel, die Sonne leicht verschleiernd, spannte sich kreidig über die sanften Laubhänge des Steigerwaldes, die roten Äcker in der Talsohle, die Wiesmatten mit den Erlen und Kopfweiden am gewundenen Bach, und verlief in die beschränkte Ferne, die in flachen Wellen hintereinander zartgrün, zartblau das Tal westwärts beschloß.

Die Pfeifen johlten, die Dudelsäcke quiekten, der Baß grunzte dumpfen Takt hinein. Die Musikanten saßen auf einer hölzernen Galerie im breiten Wipfel der alten Linde. Unten herum auf dem Bretterboden, der zur Glättung mit Leinsamen bestreut war, kreiste langsam schwankend der Tanzstrom, bald in gleichem Zug fließend, bald Wirbel an Wirbel hüpfend, je nachdem Ridewanz, Firlefey, Adelswank, Schwingenfurz, Hoppeldey, Firley oder sonst ein ländlicher Tanz vorgesprungen und gespielt wurde.

Außerhalb der reisigumwundenen Schranken des Tanzbodens aber war Fressen und Saufen die Losung des Tages. Auf langen Tischen im Grünen reihten da Kapaune mit Spanferkeln, Würste mit Kuchen, Käse mit Konfekt und 8 Trinkgefäße aller Art wie Humpen, Engster, Spechter und Masern. Und wer vom Prassen schwitzte, hob sich mit der Liebsten, strebte der kreisenden Bewegung um den tönenden Lindenbaum zu und ward von ihr im bunten Gedränge langsam verschwindend hingezogen, und wer vom Springen, Treten und Schleifen troff, löste sich und seine Dirne aus dem Reigen und führte sie, die breite Hand mit liebevoller Wucht an die Wölbung des Mieders gelegt, zu den Genüssen der Tafel zurück. Da saßen sie dann wieder, taten vor allem aus gemeinsamem Krug einen tüchtigen Schluck, wischten die Mäuler, küßten sich wohl auch und blieben die Witze nicht schuldig, mit denen sie von den Sitzengebliebenen empfangen wurden. Und abermals hob die Mahlzeit an mit unentkräftbarem Appetit, wie es so schön im Lied vom dicken Tag heißt:

»Gute Gänsestiefeln, Schweinefleisch mit Zwiefeln,
ist der Anfang zu dem andern Gang.
Darnach Wurst und Gallert, daß der Magen knallert
und wird wie ein seidner Strumpf so lang.
Dann kommt ein großer, brauner Schweinebraten
mit dicken, steifen Krautsalaten,
Sauerkraut mit Krapfen, daß die Zähne schnarzen,
und dabei wird auch recht wohl gezünkt.«

Allgemach stieg die bäuerliche Kirmesfreude zu festlichem Ingrimm. Sie vergnügten sich mit Pflichtgefühl an allem Guten, das heute offen stand. Sie taten wie freigekommene Tiere, die sich im Rudel belustigen, schwer und eckig in ihrem Übermut, unwirsch in ihrer Zärtlichkeit. Der Tanz zog auch Würde und Alter, zog den Schüchternen und den Lahmen in seine Wirbel. Die vergilbte Jungfer, die verblaßte Wittib wurde herangeholt. Der Schulze, von Mädchen mit argem Gekicher aufgefordert, mußte sich herbeilassen und eine Runde mitspringen.

Der Dudelsack orgelte, die Pfeifen tirilierten. Der Bretterboden erdröhnte. Es trat, es stampfte, es schliff im Takt. Arme hoben sich wie Bogentore, Dirnen wie bunte Puppen drehten sich darunter her. Sie traten und stampften gleich den Bären, stießen wilde Juchzer aus, Hüte flogen, Mädchen flogen, von starken Armen gestemmt, empor. Sie traten an 9 die Tische, soffen, wischten die Mäuler, ruckten die Hosen auf und gingen es wieder an wie das Pflockrammen oder Baumfällen, plumphändig zugreifend, breitschultrig den Weg sich bahnend, schwerfüßig hüpfend in erhitztem Eifer.

Abseits aber, von kranzgeschmücktem Reisigdach überschattet, saßen die Großen des Dorfes, der Schulze, die Schöffen, der Pfarrer und ehrenhalber bei ihnen eine kleine Hochzeitsgesellschaft mit dem heute getrauten jungen Paar, einem bescheidenen Viertelhufer und einer Kleinbauerntochter, die ein bildhübsches Frankenkind mit nußbraunen Augen, nußbrauner Zopfkrone, Farben wie Milch und Blut, einem lieblichen Stumpfnäschen und reizend schwellenden Formen war. Recht sittsam-glücklich, nachdem sie vom ganzen Dorf gefeiert den Brauttanz eröffnet und getreten hatten, saßen die neuen Eheleute still und flüsternd beieinander, aßen nur eben wie die Piepmätzchen und nippten ab und zu vom umkränzten Becher, während die anderen desto baß der unaufhörlich erneuerten Gerichte und des gewürzten Brautweines froh wurden. Außer dem Paar herrschte, da sich die jüngere Sippschaft ins Tanzmeer verloren hatte, an der Tafel das Alter vor, und dementsprechend wie auch vom Bannkreis der Dorfwürden beeinflußt hielt sich das Gespräch an ernsthaften Gegenständen.

Nun war da noch nicht gar lange, und der Teufel weiß woher, ins Dorf geschneit ein krummer Schuster, und der Teufel weiß, wie er dazukam, hier wenn auch am untersten Ende des Ehrentisches zu hocken, mit hämischem Querkopf in hohen Schultern kaum über die Kante zu ragen, mit überlangen Armen und unsauberen Spinnenfingern in alles zu greifen, was gut und teuer war, und dazu, wenn er nicht eben kaute, mit spottendem Schiefmaul und krächzender Stimme zweifelsaure Bemerkungen in jegliche Unterhaltung zu streuen.

Immer war er dort, wo er nichts zu suchen hatte, stets ungebetener Gast und eben darum nicht loszuwerden. Viel gereist, verstand er es zu erzählen, wußte alles besser, ließ nichts gelten. Taten sich wo ein paar Köpfe zusammen, war er mitten drin als raunende Zeitung des Heimlichen und Erregenden. Seiner Mundart war nicht anzumerken, woher 10 sie stammte, denn er wußte jeden Ton nachzuäffen und trug sozusagen kein eigenes Sprachkleid, sondern bewegte sich fortwährend im Wechsel von angeeigneten. Er konnte sprechen wie die großen Herren oder die Gelahrten, mischte fremde Brocken in die Rede, kannte allerlei bedeutende Persönlichkeiten und die Geheimnisse ihrer Hinterstuben, als wäre er ihr Kammerdiener gewesen. So war er auch in den Geheimnissen der Kunst des Regierens recht zu Hause und hatte es bei den Unzufriedenen und Neuerern schnell zu Ansehen und Unentbehrlichkeit gebracht.

Jetzt eben war es ihm wieder einmal gelungen, das Gespräch auf Dinge zu bringen, die jeder Obrigkeit peinlich waren, auf den Bundschuh und den unterirdisch rollenden Strom der Empörung, der dort und da in erschütternden Stößen Ausbruch suchte. An der Tafel trat eine Stille ein; die Männer sahen schweigend in die Teller und Kannen; die Frauen, in ihrem Feststaat recht ungeschickt und gebläht dasitzend, wußten kaum mehr, wo sie ihre Blicke lassen sollten. Es war notwendig, dem Schuster das Wort wegzunehmen, daß er nicht mit noch Schlimmerem aufrücken könne; aber keinem wollte das Rechte einfallen. Man sah auf den Pfarrer, und der suchte endlich herauszuhelfen, indem er den Tag lobte und von ihm eine begründete Hoffnung auf besseres Wetter ableitete, woran es das laufende Jahr empfindlich hatte fehlen lassen. Aber der krumme Zacharias wußte sogleich wieder, an Peinliches zu erinnern.

»Was denkt Ihr, Hochwirdiger,« krächzte er herauf, »da seht nur einmal nauf, wie die Sonn Wasser zieht, und die gähe Hitz dabei, wo bis gestern, den zehnten Mai, ja bis heut in der Früh eingeheizet, wer noch irgend ein Stämmlein Holz daheim hatt! Ich sag Euch, es wollen wieder Kieseln fallen, als es am 18. Aprilis getan, und seind draußer dem Wald über Kitzingen und Kastell am achten dieses erst abermals Kieseln gefallen, größer dann ein Erbes, und der Schäfer zu Ullstadt, der sich aufs Wetter versteht, wie kein anderer weit und breit, sagt, es wurd eine große Kalt bleiben, und wurden einheizen müssen schier bis Urbani. Da seht doch den Nußbaum an, wie er schwarz ist und verbrannt, 11 weder Laub noch Nüss' drauf, alls erfroren, und drauß am Wald gen Würzburg hin und hin ist der Wein so gar erfroren, daß dem Thumpropst zu Würzburg heuer im Herbst keine 10 Fuder Wein zu Zehent werden mögen, wo er dann voriges Jahr deren 160 eingenommen. Was aber folgt? Daß der Wein wird gelten 7 und 8 Pfennig. Und wer hat den Schaden? Etwan der Herr Thumpropst oder die andern großen Hansen mit oder ohne Federn, weltlich oder geistlich – he? Nein, sag ich, der gemeine Mann hat Schaden und Unlust beide. Dann er muß saufen den schlechten Wein und zahlen ihn teuer, dann die großen Herren haben bessern im Keller und halten ihn darinne; aber vom schlechten Jahrgang 1520 wird ihnen soviel Geldes von wegen der Teuerung, als vom guten im Jahr 19 nit worden, dieweil der viel und wohlfeil gewesen. Und gehts nit immer so? Der Reiche füllt den Sack, dem Armen bleibt der Magen leer, und je leerer des Armen Magen, desto völler des Reichen Beutel wird.«

»Nun, nun,« lächelte der Pfarrherr, »wann Euch der Wein zu schlecht, so trinkt ihn halter nit, ist Euch Unlust und Geld erspart.«

»Das, Herr Pfarr,« knarrte der Schuster, »das macht sich gut von der Kanzel herunter, dergleichen Sprüch, aber in camera caritatis tut ihr selber gern einen guten Schluck, vom Wirtshaus nit zu reden, und bei der Meß wollt Ihr auch nit just das Gesicht verziehn müssen. Und Euch vergunn ich ihn auch, seid Ihr doch unsereiner und müßt selber schaffen als ein Bauer. Aber der Herr Thumpropst, der Herr Bischof und die andern Hochwirdigen und Hochwirdigsten, tun die ackern, tun die heugnen und mähen und säen, ja tun die auch nur Meß lesen und predigen und beten überhaupt? Ja, die Herren Thumherrn von Adel, Zehent und Pfründen, die haben sie und mästen den Wanst davon und die ganz Sippschaft dazu und hausen als die Fürsten in Palästen und bauen alle paar Jahr einen neuen nach der neuesten Mod; aber vors Meß lesen, Beicht hören, Versehgang laufen, Predigen, da ist des Bauern und Bürgers Sohn gut, die geistlich Arbeit tut der Weihbischof und der Scholaster, vor die geistlich Würden und Pfründen braucht einer acht Ahnen oder mehr.« 12

»Ei, ei,« versetzte der Pfarrer, »ich kenn doch gar manchen adeligen Herrn, der auch ein guter Priester ist und seine Arbeit tut, die ihm zukömmt.«

Der Schuster: »Keinen kenn ich, gar keinen, der ein geweihter Priester wär, ein rechter Pfaff, und höher geweiht, dann zum Leviten. Aber Bischof wird er und Propst und Kardinal und kurfürstliche Gnaden und Herzog in Franken und geht in Scharlach und Hermelin und praßt und hurt nit minder, dann seine Vettern drauß auf den Schlossern. Die liegen an den Straßen dazu, rauben und brennen, und soll einer gefangen sein und gehenkt – Pst! heißt's – still! still! – laßt ihn fahren! – ist des Bischofs zu Würzburg Bruder oder Schwager, ist der Thüngen, der Zobel, der Guttenberg oder wie sie alle heißen, die Schnapphähn, die Heckenreuter und Bauernschinder. Und darum kann nimmer kein Landfried werden im teutschen Land, weil sie alle leben von Unfried und kreuz und quer verschwägert sind, daß, wann der Kaiser einen greift, hat er den ganzen Klüngel am Hals, und haut er einen Edelmann in Franken, schreien drei Bischöf am Main und zween Kurfürsten am Rhein au weh! Ich sags: eh dann bevor der Adel nit hinausgejagt ist aus Pfründen, Kapitel und Tempel, eh ist keine Ordnung im Reich, und eh dann kein Pfaff mehr hat als ein beneficium und muß nit ein echter Meßpfaff sein, eh laßt der Adel nit von solcher Krippen.«

Der Pfarrer: »Hm – und was meint Ihr, soll mit den andern geistlichen Pfründen geschehn?«

Der Schuster: »Die sollen fallen zu gemeinem Nutzen.«

Der Pfarrer, nachdem er einen Schluck getan, schmunzelnd mit einem Seitenblick auf den Schulzen: »Mich däucht, ich hätt einmal was von vierzehn Freiburger Artikuln vernommen. Die kommen mir nun in den Sinn, wie ich Euch da reden hör. Es war einmal ein Quidam Joß Fritz, der wollt einen Bundschuh aufheben, anno zwölf oder so . . .«

Der Schuster bedeutend und geheimnisvoll nickend: »Und ich sag Euch, der lebet noch. Sie haben ihn weder erwischt noch gehenkt. Und geht annoch umb im Land mit seinen 13 vierzehn Artikuln, und so die Pauren nit so dumm wären und zaghaft – es kunnt bald anders sein.«

Der Pfarrer: »Es gehn freilich Aufrührer umb und Prädikanten, leider Gotts, und machen unzufriedene Seelen, auch wo keine sonst wären, und stören auf jegliche Unlust, daß sie zu wallen und zu kochen anhebt.«

Der Schuster, einen seiner Finger hebend, die lang und dünn waren und platte, verbreitete Enden hatten: »Nit die Prädikanten und Aufrührer schüren das Feuer, Euer Ehren, aber sondern die sind gleichsam nur der Rauch, den es macht, dann es brennt gar heimlich schon allerorten, und geht manchmal da und dort schon die Flamm auf, als anno zwei im Buchrain, anno zwölf zu Freiburg, anno dreizehn der arm Konrad in Schwaben. Und so sehr auch die großen Herren und Städt zusammentun, daß es wurd mit Gewalt, Schwert, Rad, Galgen und sonstiger Straf ersticket, es dauert kein Jahr nimmer, Ihr sollt sehn, dann brichts aus im ganzen teutschen Land. Sind auch schon Zeichen und Wunder erschienen, als der Kometenstern im Hornung dies Jahr, und sind die Seidenschwänz zu hellem Hauf eingefallen auf die gleiche Zeit im Wald bei Schwarzenberg und in die Scheinfelder Gärten, das bedeut Krieg ganz sicherlich . . .«

Der Schulze, ihn unwirsch unterbrechend: »Hol der Teufel die Zeichenguckerei und Deuterei, ich hab gar nichzid erblickt und keiner sonst daher, der gescheite Augen im Kopf hat. Bloß die alten Weiber und die aufs Faulenzen, Schwatzen und Unruhstiften aus sind, die sehn immer was.«

Wieder trat eine kleine Stille ein.

»Kometenstern und dergleichen schlimme Ding hab ich auch nit gesehn, noch davon vernommen,« meinte nun der Brautvater, ein anständig sich tragender Mann, »aber Unzufriedenheit ist gar viel im Land, wie leicht zu merken, und hat oftmalen gute Ursach.«

»Gute Ursach zuhauf,« rief der Zacharias. »Wo soll dann der Paur und kleine Mann hin vor Zins, Robott, Frohn, Zoll, Steuer, Spann, Bede, Besthaupt und was dergleichen Plackereien mehr, damit er zugeschütt bis an den Hals? Hat nit die Gräfin von Helfenberg ihre Pauren zur 14 Sommerszeit Schneckenhäuslein klauben lassen im Wald, und ist die Ernte ganz und gar darüber verkommen? Und in der Puechen ein Edelmann hat lassen einen Pauren entmannen ob Jagdfrevel, weil der sich der Wildsäu gewehrt, so ihm den Acker verwühlt, und eine dabei erlegt. Jedermanns Fußhader ist der Pauer und den Herren ein Faßnachtsspiel.«

Einige nickten dazu, und ein eckiger Mann, der bis dahin schweigsam gesessen, sprach: »Ja, es wird eine blutige Faßnacht werden.«

Vom Tanzboden klang durch die Tritte ein Liedchen herüber, das in schallendem Gelächter unterging. Ein anderes Verslein antwortete keck. Es hatte sich ein Reigen gebildet, bei dem die tanzenden Paare, die im Kreis hintereinander hertraten, und die Außenstehenden wechselweise sich Spottreime zusangen. Und immer, wenn eine Strophe hinüber oder herüber geflogen war, dröhnte kampflustiges Gestampf auf den Brettern. Mehrere von der Tafelrunde erhoben sich, um näher an die Tanzenden heran zu gehen.

»Mag heut noch ein Geräuft geben,« meinte der Brautvater. »Die Langenfelder und die Baudenbacher sind da, und die haben allemal was miteinander zu rupfen.«

Der Schulze machte eine besorgte Stirn, stand auf und ging langsam dem Tanzplatz zu. Der Pfarrer folgte ihm.

Da gab es Bewegung an den Tischen, die der Straße zunächst standen. Es war die Heerstraße von Nürnberg nach Frankfurt, die durch den Ort führte, und jetzt schien auf ihr von Osten her was Bemerkenswertes zu kommen, weil erst ein paar, dann mehrere gegen den Dorfeingang zusammenliefen und gafften.

Auch der Schulze sah hin und bemerkte einen Trupp von sieben oder acht Reitern, der sich dem Dorf nahte. Drei, die vorausritten, waren an großen Federhüten und sonstiger Buntheit im Gewand als Edelleute anzusprechen.

Des Schulzen Stirn verdüsterte sich noch mehr. Er sprach ein paar Worte zum Pfarrer und kehrte mit ihm zur Tafel unter der Laube zurück, nachdem er dem Büttel, der in der Nähe stand, geheißen hatte, das gaffende Volk von der Straße wegzuweisen. 15

Die Reiter kamen heran, hielten, besprachen sich lachend, ritten von der Straße in die Festwiese herein und warfen sich ab.

Die drei Edelleute waren Zeisolf und Kunz von Rosenberg und Fritz von Thüngen. Ihre Gefolgschaft bestand aus Lenhart Schupff, auch Hampas genannt, dem Pfeifer, zwei Rosenbergischen Knechten, Gebrüdern, die man die Göcker nannte, und einem Thüngenschen Knecht. Kunz von Rosenberg, landsknechtisch wild und bunt gewandet mit einem nagelneuen blitzblanken Harnisch über dem Wams und einem unmäßig mit Federn besteckten, zerhauenen Hut, unter dem ihm ohne Kappe das Haar, in schöne Locken geringelt, frei herabwallte, setzte sich sogleich gegen den Tanzplatz in Bewegung. Fritz von Thüngen, der Harnisch über dem gewohnten braunen, bis zu den Knien reichenden Reitrock trug und die aufgewickelte Hetzpeitsche in der Hand hielt, ging ihm mit Zeisolf nach. Der Pfeifer aber und Lenhart Schupff mengten sich unter die umherstehenden Bauern, während die zwei Göcker mit dem Thüngenschen Reiter bei den Pferden blieben. Der Hampas war inzwischen Vogt auf Gnotzberg geworden, welche Beförderung er durch modischen Aufzug, will heißen wüst aufgeploderte, zerschnittene, mit grellfarbigem Stoff unterlegte Ärmel und Hosen und einen rotweißgrünen Federbusch betonte, der hinten von seinem zerlappten Hut herunterhing wie ein Hahnensteiß. Dazu hatte er sich einen Bart wachsen lassen, der schwarz und steif, wie aus Holz geschnitzt, sein grobes Gesicht mit der unbeweglichen Miene und dem pfiffigen Blick umkränzte. Gar bald gab es Gelächter um die beiden, die von Tisch zu Tisch gingen, sich Bescheid tun ließen und erwiderten und ihre Späße dabei machten.

Die drei Junker sahen dem Reigen zu.

Der Schuster mit einem giftigen Seitenblick auf sie raunte zum Schulzen herauf: »Da sind sie, die Straßenrauber und Bauernplacker! Da stehn sie hoffärtig und kunterbunt mit ihren Büschen, Plodern und Sporen als wie die wälschen Hahnen! Sollt man doch gleich Dreschflegel und Knüttel nehmen und sie zu Tod schlagen.«

»Halts Maul!« fuhr ihn der Schulze halblaut an. »Mit 16 den Herren ist schlecht zu spaßen, die ziehn gleich vom Leder auch!«

»Sollen's nur!« höhnte der Krumme. »Sind der Pauren doch ein paar Hundert da, sollen die nit mit einer Handvoll Reuter fertig werden? – Und seh einer nur die Weiber an!« eiferte er fort. »Das ist mir ein Volk! Wie sie gaffen und kichern und sich herzudrucken, möcht nur eine jede recht nah hinkommen und sich wetzen an den Popanzen – das ist . . .! So einer nur buntes Zeug und Waffen hat, da juckt sie schon alles, die Metzen, da hat einer schon gewonnen bei ihnen, und täten ihm, was er nur gleich wollt!«

»Ist freilich zum Staunen,« meinte der Pfarrer. »Hinterm Kriegsvolk ist das Frauenzimmer her, als wie die Spatzen hinterm Säer. Der däucht ihm zwiefach ein Mann, der das Mordgewerb treibet, und hat ihm was sonderlich Anzüglichs.«

»Die Mädcher beim Soldaten, die Soldaten beim Braten,« ertönte hinter ihnen des Hampas hohe Stimme. Sie hatten sein und des Pfeifers Herzutreten nicht bemerkt, weil sie ganz herumgedreht das Treiben um die Junker auf dem Tanzplatz beobachteten.

Der krumme Zacharias erblaßte, so viel das bei seiner gelben Gesichtsfarbe, und schnellte in die Höh, so viel das bei seiner Statur möglich war.

»Einen schönen, guten Tag, Ihr Herren,« dienerte er, die Mütze schwingend. »Wollt Ihr uns die Ehr tun, Platz zu nehmen, ein Stücklein mit uns speisen, ein Schlücklein mit uns trinken?«

»Der denkt sich auch: auf anderer Leut Kirchweih ist gut Gäste laden,« sprach der Hampas. »Grüß Gott, Schulze Meier,« wandte er sich an diesen. »Grüß Gott, Lenhart!« versetzte der erstaunt. »Hätt dich schier nit kennen mögen in solch prächtiger Tracht.«

»Das Kleid ziert den Mann; wer es hat, der zieh es an,« sprach der Hampas, des Schulzen Rechte schüttelnd.

»Und was du dir für einen greulichen Bart hast wachsen lassen,« meinte der andere. »Schaust her, als wolltst du gar dem Leibhaftigen einen Büttel abgeben.« 17

»Wer den Bart läßt wachsen, der hat eine Schalkheit getan, oder hat eine im Sinn,« rief hämisch der Schuster herauf.

Der Hampas wandte sich herum und war für den Augenblick um eine Antwort verlegen.

»So sich ein Narr das Maul zerreißt, flicks ihm mit Schellen,« sagte er dann ruhevoll und »Gott zum Gruß, Euer Ehren,« wandte er sich dem Pfarrer zu.

Der Schulze wiederholte nun die unbefugte Aufforderung des Schusters in freundlicher Weise und lud die zwei Reiter auf Imbiß und Trunk ein, rief auch gleich dem Wirt, der just an einem Nebentisch auftrug, daß er neue Atzung bringen und die Krüge nachfüllen solle.

Der Pfeifer hatte sich schon auf die Bank gesetzt, die Laute vor die Brust gezogen und klimperte und pfiff die neue Tanzweise nach, die offenbar auf Wunsch der Junker begonnen ward, nachdem sich der frühere Reigen geendigt hatte. Man sah Kunz von Rosenberg mit einer der Dorfschönen zum Springen antreten, und auch Fritz von Thüngen, der ein gewandter Tänzer, aber seiner Art nach von rascher und heftiger Bewegung war, hatte ein Mädchen in den Arm genommen. Zeisolf hielt sich unter den Zuschauern und plauderte mit einigen der älteren Bauern.

»Ich muß Euern Junkern doch einen Willkomm tun,« sagte der Schulze, indem er aufstand und den höchsten der bekränzten Humpen mit Wein nachfüllte.

Indem gab es neues Pferdegetrappel auf der Straße, und von zweien Knechten gefolgt kam ein kurzer Mann geritten, dessen Bauchgewölbe einem Halbstück an Umfang nichts nachzugeben schien.

»Gehört der auch noch zu euch?« fragte der Schulze.

»Nit so eigentlich,« erwiderte der Hampas. »Wir haben ihn zu Neustadt im Hirschen aufgelesen, wo er frühmahlte noch vom Nachtmahl her. Aber er ist uns gar wohl befreundet.«

Der Pfarrer: »Und warum blieb er dahinten?«

Der Schupff: »Er ist nur ein wenig hinterm Busch gewesen.«

Der Schuster: »Und hat wohl einem Kaufmann fürgepaßt.«

Der Schupff: »Nit so sehr. Doch hat er eine gar feine Witterung fürs Gebratene, und da ihm der Wind den 18 Kirmesduft in die Nas führte, saß er ab und sprach zu dem Frühstück: entweiche! auf daß Platz wurd für ein neues Mahl.«

Der Schulze lachend: »Ich dächt, in solchem Wanst wär Platz für sechs rechtschaffene Mahlzeiten zugleich.«

Der Hampas: »Was glaubst du, was der gefrühstückt hat! Zwo Schweinsstelzen und drei Kapaunen verspeist er, wie unsereiner ein Butterbrot und ein Würstlein etwa!«

Der Schuster: »Ei, da kommt nun schier ein ganz Fähnlein Reuter zusamm.«

Der Hampas: »Von dem dort muß einer nichts besorgen, der lebet nach dem Spruch: besser totgefressen als totgestochen.«

Der Dicke hatte sich unterdessen vom Gaul heben lassen und steuerte mit eiligen Tritten seinen Bauch auf die Ehrentafel zu. Es war Marsilius Voit, des Nebukadnezar höchst ungleicher Bruder.

»Schönen Tag, ihr guten Leute,« schnob er heran. »Ein schönes, langes Fest wünsch ich euch und einen langen Appetit dazu.«

Mit beiden Händen sich an der Tischkante stützend, hob er überraschend flink das feiste Bein und schwang sich in die Bank.

»Doch,« fuhr er fort, indem er die kleinen Augen mit prüfender Begehrlichkeit über die Tafel wandern ließ, »daß Appetit und Durst nit länger seien, dann das Fest. Solches wär gefehlt, und umgekehrt ist immerhin besser.«

Er legte den Hut neben sich und wischte die schwitzende Stirn mit dem fetten Handrücken ab. »Nun habt ihr doch noch was zu essen vor einen armen hungrigen Reutersmann?«

»Das wird sich finden,« sagte der Schulze, »erst aber, edler Herr, will ich Euch mit diesem Trunk recht freundwillig und untertäniglich willkommen heißen. Mög es Euch wohl behagen und gut anschlagen an unserm bescheidentlichen Bauerntisch.« Damit kredenzte er ihm den Becher.

Marsilius ergriff und hob ihn.

»Auf wohlgedeckte Tische allerwegen, so dem Pfaffen wie dem Laienstand,« rief er. »Zum Essen ward der Mensch geboren. Dann also steht geschrieben: Am dritten Tag schuf Gott die Gemüser, am vierten die Fische, am fünften die 19 Tierlein, am sechsten aber den Menschen, auf daß er von allem esse. – He, Wirt! – He! – Wo rennt der Mann mit dem lüstlichen Ferkel hin? – He! – Hieher! – Hampas, Pfeifer – fangt mir das Schweinchen ein!«

Auf des Schulzen Wink hatte der Wirt schon seinen Lauf gewendet und bot nun dem Ritter das bräunlich gebratene Spansäulein im zierlichen Kranz von gekräuseltem Meerrettich dar. Zugleich aber von der andern Seite kam die Wirtstochter herbei und brachte einen Kapaun.

»Nun habt Ihr Wahl und Qual,« meinte der Hampas.

Aber Marsilius sprach ruhevoll: »Setzet nur beides daher. Ein starkes Gemüte und ein guter Magen, die kennen nit Wahl noch Qual. Eines nach dem andern mag mir wohl bekommen.«

Er zog ein Waidmesser aus dem Gurt und begann, die Spansau zu zerlegen.

»Komm, Hans,« sagte der Schupff, »indes wollen wir ihm das Huhn warm stellen.« Und er langte nach der Schüssel.

Mit nassem Knurren hielt ihm der kauende Junker das Messer entgegen.

»Eure Bäuche, das wären mir die rechten Wärmpfannen!« blies er.

Der Hampas: »Aber was macht Ihr mit einem kalten Braten? Der ist als eine abgehauste Jungfer.«

Der Pfeifer: »Nur daß die nit einmal mehr das Aufheben wert ist.«

Marsilius: »Schulze, habt Ihr noch mehr solcher Hühnlein im Dorf und, versteht sich, so wohl in gelbes Fett gewickelt?«

Der Schulze: »Sogar in der Pfanne, gnädiger Herr. Es ist wahrlich besser, Ihr gönnt den beiden dieses hier. Ich bürg Euch für ein ebenso gutes.«

Marsilius: »Dann belehn ich Euch also mit dem Vogel gegen dem, daß Ihr mir nachher einen gleichen aus der Küche holt. – Ich bin doch ein guter Herr. Wann ich Kaiser wär, ich setzt ein Gesetz, das hieße: Esset, esset, esset, dann ich will keine Hungrigen sehen im ganzen Reich.«

Der Schuster krähend: »Da hättet Ihr wahrlich mit einem 20 Gesetz alle andern überflüssig gemacht. Aber wie machtet Ihrs, so viele hungrige Mägen zu stopfen?«

Marsilius: »Hier seh ich keinen, den hungert, wohl aber manchen, der sich überfressen wird. Seht nur, dort erbrichts schon einen, und des freut sich und genießet sein Hund.«

Der Schuster: »So müßtet Ihr das ganze Reich in eine große Kirmes verwandeln.«

Marsilius: »Das wär meine Absicht.«

Der Schuster: »Und dürft nur mehr Pauren geben, keinen Edelmann.«

Marsilius: »Warum nit gar? Der frißt doch am meisten.«

Der Schuster: »Eben deshalb, er frißt . . .«

Der Pfeifer: »Kusch! Wann ich der Papst wär – und nur meiner Bescheidenheit ist es zuzuschreiben, daß ichs nit längst worden – ich setzt ein Gesetz, das hieße: Liebet, liebet, liebet. Liebet einander durcheinander ohne Wahl und Qual, dann wer liebet, hat keine Zeit für andern Unfug und isset wenig. So käm die geistliche Gewalt der weltlichen zur Hilf . . .«

Der Hampas: »Und wär ein große Kirmes auf Erden.«

Marsilius: »Aber die Musik, die schafft ich ab. Das verdammte Dudeln und Pfeifen stört mich im Essen.«

Der Pfarrer: »Ei, Herr Ritter, eine Kirmes ohne Pfeifen und Flöten, das wär doch als ein Krieg ohne Spieß und Schwerter.«

Marsilius, ein Rippchen benagend: »Hi! hi! Was meint Ihr! So im Krieg nit gestochen und geschossen wurd, zög ich in viele Schlachten und wär ein weit berühmter Held.«

Die Tafelrunde lachte. Der Schulze, der einen neuen Becher gefüllt hatte, ging nun, um den Junkern auf dem Tanzboden Willkommen zu bieten. Wirt und Wirtin trugen frische Speisen auf.

»Krieg ist Fressen und Saufen,« ließ sich der Hampas wieder hören. »So heißt ein alter Spruch, und weiß der Teufel, ich hab schon gar manchen Kriegszug erlebt, wo's fetter hergangen ist, dann auf einer Kirchweih, und manche Kirchweih, die mehr blutige Schädel gemacht, dann ein Krieg. 21 Ist überhaupt ein schlimm Fest, so eine Kirchweih, fallen die Hahnenköpf und die Jungfern, nit wahr, Hochwürdiger?«

Der Pfarrer räusperte sich.

Der Hampas tat einen Zug und fuhr fort: »Faßnacht und Kirmes, die gehn ins Geschirr, Tanz macht die Köpfe wirr, die Mädcher kirr – und unter uns Mädchern gesagt – was liegt daran? Bei Mädchen von achtzehn Jahren mit schwarzen Augen und gelben Haaren, mit weißen Händen und schmalen Lenden mag einer wohl sein Leben enden, aber Rüben nach Christtag, Äpfel nach Ostern und Mädels nach dreißig, die haben den besten Schmack verloren. Drum heißts: vor dreißig spring fleißig, auf welke Blumen geht kein Schmetterling, und mit einem alten Besen kehrt man keinen Tanzboden.«

»Demnach,« rief der Pfeifer, »wölln wir aus der ganzen Welt eine Kirmes machen, allwo frei ist Essen, Trinken und Lieben, und heut und hier sei angehoben mit solcher Reformation.«

Der Pfarrer mit verlegenem Hüsteln brummend: »Dahier gehts allemal ehrbar zu.«

Drauf der lang Hans: »Ehrbar? Sonder Zweifel, Euer Ehren! In Absicht auf das Frauenzimmer versteh ich die Ehr just so und nit anders, als beim Braten und beim Wein. Denen muß man Ehr antun, indem man ihnen tüchtig zuspricht und ihrer genießet. Also wann ich ein Weibsbild ehren will, tu ich, was ihr und mir wohl bekömmt.«

Der Pfarrer: »Ihr mit Eurer Kirmes, Ihr stelltet die ganze Welt auf den Kopf.«

Der Pfeifer: »Umgekehrt, Hochwürdiger, umgekehrt! Sie steht auf dem Kopf, wir wölln sie wieder auf die Füß stellen. Dann sagt, steht sie nit gar jämmerlich verkehrt, so es einem Mägdlein eine Schand soll sein, was ihr doch eine Ehr ist?«

Der Pfarrer, erregt herumrückend: »Da möchten wir weit kommen mit Eurer Reformation! Und das sag ich Euch, dahier in meinem Kirchspiel, da werdet Ihr kein Glück haben.«

Der Hampas: »Mit Verlaub, Herr Pfarr, Ihr predigt gewiß fürtrefflich. Jedennoch mit Verlaub, so die Mädcher spröde sind, das kommt sicherlich weniger von der Predigt 22 als davon, daß die Burschen dahier das Handwerk nit verstehn. Dann: Versagen ist der Weiber Sitte, doch wollen sie, daß man sie bitte. Und – wann ich dir zu Willen wär, wie wollten wir die Sau anbinden? sprach die Magd, als der Knecht im Wald seinen Antrag nicht mehr wiederholte.«

Der Pfarrer erhob sich prustend und stieg über die Bank.

»Ihr wollt doch nit schon fort, Euer Ehren?« rief der Pfeifer. »Jetzt wären wir doch erst so recht im Disputieren.«

Der Pfarrer, sein Brevier vom Tisch nehmend und eilig abgehend: »Ich muß noch die Vesper beten.«

Der Hampas ihm nachrufend: »Aber aufs Vesperbrot kommt Ihr doch wieder.« Dann kehrte er sich herum und schlug den Pfeifer auf den Rücken. »Potz Rem! Der wär angebracht. Lustig, lustig! Morgen haben wir wieder nichts.«

Den erschöpften Musikanten wurde jetzt eine Pause gegönnt. Der Tanzplatz leerte sich. Es strömte mit Geräusch und Gelächter zu den Tischen zurück und drängte sich dichter und dichter an ihnen. Es strömte vor die Schaubuden und gegen einen entfernten Teil der Wiese, wo das Vogelschießen und Stangenklettern nach Maikränzen und Bändern begann.

Der Schulze brachte die drei Edelleute an die Tafel, die wieder eng mit alten und jungen Gästen beiderlei Geschlechts besetzt wurde. Die Junker waren aufgeräumt und tranken einander und den Bauern zu. Der Schmaus hob sich mit erneuten Gängen. Ein paar Burschen pfiffen und stampften die Takte des letzten Reigens nach, umschlangen ihre Mädchen und wiegten sie hin und her. Einer sang dazu:

»Es geht ein frischer Summer daherUhland, Volkslieder.
und ein viel lichter Schein.
Ich hätt einen Buhlen erworben,
da schlug das Ungelück drein.

Ich hätt einen Buhlen erworben,
den mußt ich fahren lan;
das haben die falschen Zungen,
die bösen Zungen getan.«

Da rief Zeisolf von Rosenberg: »Was ein unfroh Lied auf solch fröhlichen Tag! Nichts vom Fahren lan, vom Kriegen 23 und Haben wollen wir hören. Hans, gib dein Jammergitter her, ich will einen lustigen Ton anschlagen.«

Der Pfeifer reichte ihm die Laute über den Tisch. Zeisolf begann eine Tanzweise, die in die Beine fuhr, und mehrere sangen dazu:

»Wo zwei Herzenliebe
an einem Tanze gan,
die lassent ihr Äugelein schließen,
die sehent einander an.

Sie lassent ihr Äugelein schießen,
recht als ihnen nit drum sei;
sie gedenken in ihren Sinnen:
Und läg ich nahe dir bei!«

Marsilius, den fetten Bart wischend: »Potz Gloria! Wann endlich die Musikanten essen statt blasen, da fangt das Volk zum singen und klimpern an. Die Weiber, die mißt ich so gern auf der Kirmeß als die Musik.«

Flugs nahm der Pfeifer dem von Rosenberg die Laute aus der Hand, entlockte ihr sehnliche Akkorde und begann mit lüstlichem Augenaufschlag zu singen:

»Ach, so mag ich nimmer leben,
wo nit schöne Mädcher sind.
Wolle Gott mir immer geben
solch ein liebes,
solch ein gutes,
solch ein liebes, gutes Kind.

Solch ein Kind mit hübschen Dingern
und mit einem Blütenmund,
daß ichs recht mit Maul und Fingern
fassen, fühlen,
fühlen, herzen,
fassen, fühlen, herzen kunnt.

Zwar es hat auch seine Schmerzen,
weil die Liebe gar so brennt,
und ein Paar verliebter Herzen
niemals keines,
niemals keines,
niemals kein Bescheiden kennt. 24

Ob der Mond, die Sonne scheinet,
ob es regnet, stürmt und schneit,
will die Liebe ganz vereinet,
stets beisammen,
ganz vereinet
sein und auf die Ewigkeit.

Schlägt dann doch die Scheidestunde,
wäre sie viel lieber tot,
küßt die Lippen gar zur Wunde.
ach, du liebe,
ach, du süße,
ach, du liebe, süße Not!«

»Potz Hagel!« schrie Kunz von Rosenberg, der schon einen roten Kopf und schwimmende Augen hatte, und schlug auf den Tisch. »Potz Hagel, so möcht ich dahier in dem Dörfel auf einen Tag oder dreie leben, dieweil da so schöne Mädcher sind. Und die schönste gar, die sitzet dahier, und die hat der Michel da heut erheirat. Auf schöne Tag und Nächt, du da Michel, oder wie du heißest, ich brings dir zu!«

Und er hob seinen Engster und leerte ihn auf das Wohl des jungen Ehemannes.

Der tat ihm ein wenig verlegen Bescheid, und die schöne Braut errötete bis unter die Stirnlocken.

»Trink aus, trink aus! Du mußt austrinken!« zischte ihm der Schuster zu, der sich im Gedränge, das am Tische war, mit einem Dreibein zwischen ihn und den Nachbar auf der Bank eingeschoben hatte.

»Freilich mußt du austrinken!« rief der Kunz, der die Einflüsterung vernommen hatte. »So viel ich dir vorgetrunken hab, so viel mußt du nachtrinken.« Und er kippte das Gemäß und ließ den letzten Tropfen auf den Daumennagel rinnen.

»Es möcht mir zu Kopf gehn, Herr,« sagte der junge Mann.

»Wart, Bauer,« sprach Kunz, »wann du schon mir die Ehr nit tust, so mußt du sie doch deiner Liebsten zollen. Schau her!« Er füllte aus einem Krug nach bis an den Rand und hob den Becher: »So viel Tropfen hier innen sind, so viel Jahr soll sie leben!« Setzte an und ließ es rinnen, daß man ihn nicht einmal schlucken sah.

Die Umsitzenden lachten. 25

»Nun mußt du's nachtun, so du dein Gemahl nit beleidigen willst,« rief der Schuster.

»Ei, ich dächt, mit so viel Jahren als Tropfen in dem Spechter gewesen, hätt Gott an uns beiden genug getan und nit gespart,« sprach schlau der junge Mann, indem er den Arm um seine Gattin legte.

Kunz: »Bescheid ohne Antwort gilt nicht.«

Der Hampas: »Zutrunk ohne Wiedertrunk ist ein Gebet ohne Amen – der Herrgott hörts nit.«

Der junge Mann: »So will ich trinken, als lang ein Amen zum Vaterunser steht.« Er tat ein Schlücklein und stellte die Kanne lächelnd wieder hin. Nun gab es Beifallklatschen und Gelächter. Die junge Frau flüsterte ihm was ins Ohr.

»Damit ihr aber seht,« begann der Bauer von neuem, »daß ichs mit meiner Liebsten gut mein, so wünsch ich ihr so viel Jahr mehr, dann mir selber, als dies Becherlein noch Tropfen hat.« Und nun trank er aus.

Der Schuster: »Traun! Das wird ein Ehmann, der krümmt sich beizeiten! Trinkt nur, was ihm sein Gespons verstattet.«

Kunz drauf, ihm übern Tisch nachgießend: »Das laß dir nit gefallen; jetzt mußt du zeigen, daß du heut und je trinken kannst, so viel du magst.«

Vom Tanzboden her bliesen die Pfeifer einen Aufruf zu neuem Reigen.

Kunz erhob sich und ging um den Tisch herum auf das Paar zu. »Nun leih mir dein Gemahl auf ein Ehrentänzlein,« sagte er. »Wir wölln diesen Reigen mit einander vorspringen und Birkenwipflein dazu tragen, als sich ziemt für einen Maitanz.«

Der junge Mann: »Das Ehrentänzlein, das hat schon der Schulze mit ihr getan, und mehr ist nit der Brauch dahier dann eines.«

Kunz aufbrausend: »Beim heiligen Kilian, ich wollt dich andern Brauch lehren, so ich dein Junker wär – he? Ich wollt ius primae noctis gebrauchen!«

Der Bauer: »Ich versteh kein Latein, da müßt ich den Pfarrer fragen.« 26

Der Schuster wiehernd: »Dazu brauchts keinen Pfarrer nit. Weißt, was das heißt, du Lapp? Das Recht auf die erst Nacht, heißt das, just so, als das Besthaupt dem Herrn zukömmt auf Todfall, so kömmt ihm die Brautnacht zu, wann sein Mann heirat.«

Der Bauer geärgert: »Von solchem Recht hab ich niemalen vernommen.«

Kunz: »Wem gehörst du zu?«

Der Bauer: »Dem Herrn von Seckendorff auf Sugenheim.«

Kunz: »Ei, das trifft sich fein. Der Herr von Seckendorff, das ist mein guter Freund und Schwager, und ist schon ein gar alter Herr. Drum hat er mich auf all seinen Dörfern mit dem ius primae noctis belehnet, so wie man sonst um einen Weinzehent oder ein Fischrecht zu Lehn geht, also bin ich des von Seckendorff Vasall um dies Recht worden. Nit wahr, Zeisolf und Fritz, Ihr habts bezeuget und das Brieflein gesiegelt?

Zeisolf: »I freilich, zu Sugenheim liegts auf dem Amt und die Copey zu Gnotzberg.«

Einige lachten. Andere, die nicht recht wußten, ob es Ernst oder Scherz sei, sahen verlegen umher.

Kunz lehnte sich vor die junge Frau hin über den Tisch und sah ihr ins Gesicht. »Aber ich bin ein guter Herr,« sprach er. »Um ein Tänzlein und ein Küßlein darnach sollst du dich lösen von meinem verbrieften Recht – he?« Und er nahm sie zärtlich beim Kinn.

Da fuhr der Bauer auf, das Blut schoß ihm in die Schläfen. »Treibt Euern Schimpf an Euern eigenen Leuten,« brauste er und stieß den Junker hart vor die Brust, daß er zurücktaumelte.

»Gotts Marter!« schnob Kunz, »ich will dir geben, einen Edelmann anrühren!« und schlug ihn hinter die Ohren.

Jetzt gab es einen wilden Aufstand. Becher und Kannen stürzten um. Die Braut brach in Tränen aus, die Weiber schrieen. »Mordioh!« schrie der krumme Schuster und sprang in die Wiese hinaus. »Mordioh! Er hat einen Pauren geschlagen!«

Die männlichen Hochzeiter alle fielen über den Kunz her, 27 der Brautvater zog die junge Frau auf die Seite. Die aber hing weinend an ihrem Mann und suchte, ihn mitzuziehen. Der Schulze eilte zu vermitteln, Zeisolf und Fritz bemühten sich, ihm zu helfen.

Der kleine Schuster hüpfte wie ein Irrlicht unter der Menge umher und schrie, es gehe den Bauern an Ehre, Leib und Leben. Es geschah ein Zusammenrennen von allen Seiten. Rauflustige Burschen, rasch zuhauf, stürmten unter Führung eines stiernackigen Schmiedegesellen auf die Junker los. Fritz von Thüngen, der zunächst außen an der Gruppe der Streitenden stand, bekam einen Stoß in den Rücken, daß er fast vornüber schlug. Wie er sich kehrte und in die wilden Gesichter sah, flog auch schon wie der Blitz sein Schwert aus der Scheide und klatschte mit flacher Klinge dem Schmied auf den Kopf, daß er zusammenbrach. Ein wütendes Gebrüll erhob sich. Vor der blanken Waffe wich die Rotte vorerst zurück; aber das Funkeln des Stahls entzündete den Kampf in der ganzen Menge. Die Bauern, die Schwerter und Messer führten, zogen blank, andere liefen um ihre Wehren in die Häuser, andere zerrissen Tische, Bänke und Lauben und bewaffneten sich mit den Trümmern. Lenhart Schupff war, noch ehe der Thüngen den einen niederschlug, um die Pferde gesprungen. Jetzt kam er mit den Knechten herangesprengt. Die Handpferde an den Zügeln ritten sie rücksichtslos in die Masse hinein, die auseinanderstob. Mehrere Bauern kamen zu Fall. Die Junker und der Pfeifer schlugen in die Andringenden hinein und sprangen in die Sättel. Der dicke Marsilius hatte sich um den Handel gar nicht gekümmert und war schmausend sitzen geblieben. Jetzt hagelte es Püffe und Schläge auf ihn herab. »Daß euch der Teufel schänd!« schrie er, »daß euch der Teufel . . . Was schert mich die Keilerei! Laßt mich essen – laßt mich zufrieden – ich hab nichts zu schaffen mit denen da . . .« Seine Knechte, dazwischenfahrend und mit dem Kolben vom Pferd herunter blindlings auf die Bauern losschlagend, schafften ihm Luft. Es gelang ihm, von der Bank aus den ledigen Gaul zu besteigen und sich im Sattel zu erhalten, trotzdem ein Krug mit Macht geworfen im Augenblick des Aufsitzens zu schallendem 28 Gelächter seinen Hintern traf. Fritz von Thüngen hatte das Schwert versorgt und statt dessen die Hetzpeitsche in ganzer Klafterlänge entrollt. Nun steckte er dem Roß die Sporen, daß es ausfetzte, sprengte mitten in die Haufen hinein und ließ es hin und wieder knallen, daß die Mützen flogen. »Halt Euch zusamm, wart auf mich!« schrie er den Reitern zu und sprengte durch die Flüchtenden gegen die Straße. Im Kirchturm wurde Sturm geschlagen. Ein Trupp mit Spießen, Gabeln, Dreschflegeln und anderen Waffen hatte sich geordnet und rückte den Reitern entgegen, um ihnen den Weg zu verlegen. An der Straße stand ein strohgedeckter Stadel, an dem sie vorbei mußten, wenn sie es nicht wagen wollten, über eine hohe Weißdornhecke, die den Festplatz feldwärts grenzte, oder den versumpften Bach zu springen. Kunz ging die Hecke an, sprang und stürzte mit dem Pferd auf der anderen Seite, was unmäßigen Jubel unter den Bauern löste. Nur mit Mühe kam er wieder in die Höh. Die Bewaffneten hatten den Stadel schon erreicht und mühten sich, den Durchlaß zur Straße mit Stangen und Budenbrettern zu erschweren. Hinten wälzte sich mit Geheul die Menge heran. Da jagte der Pfeifer mit einem schußfertigen Handrohr, auf dessen Pfanne er eilends Pulver gegossen hatte, zum Stadel hin und feuerte ab, indem er das Rohr hart an den Rand des Strohdaches hielt. Die Kugel fuhr über die Köpfe der Bestürzten weg, der Pulverblitz aber zündete sogleich, und knisternd sprang die Flamme, dicken Qualm entwickelnd, am Dach empor. Die Luft strich von Westen und trieb Rauch und Funken gegen das Dorf. »Feuerjoh!« gröhlte und kreischte es tausendstimmig rundum auf. Die meisten rannten dem Wasser oder den Häusern zu, jeder besorgt, sein Hab und Gut vor dem Feuer zu schützen. Etliche Burschen, die mit ihren Werkzeugen noch den Reitern entgegenstanden, wurden über den Haufen geritten, und einem wickelte sich Fritzens Peitsche im Schmiß ums Gesicht, daß er unversehens geangelt eine Strecke weit mitgeschleift wurde. Die Reiter gewannen das Freie und rasten auf der Straße fort. Hinter ihnen stieg die schwarze Rauchsäule wirbelnd aus den Blütenwipfeln in den sanften Maihimmel hinein. 29

 


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