Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Gespenster

Narro! Narro!«

Der rote Festkanzler sprang mit weiten Sätzen in den Saal herein. Er warf die langen, dünnen Scharlachbeine, er schwang den rasselnden Schellenbaum überm verkappten Haupt mit den fliegenden Schellenzipfeln, er schlug drei Räder über Hände und Sohlen – »Narro!«

Paarweise springend folgte ihm ein langer Zug Vermummter, die über ihre Gewänder lange Hemden in dunklen Farben geworfen und Larven vor den Gesichtern hatten. 276

Mitternacht mochte vorüber sein. Viele hatten das Fest verlassen, aber das Gemündener Rathaus war noch nicht leer geworden. Immer wieder tauchten neue Mummereien, neue Gestalten und Gesichter auf. Die Musikanten, auf einer mit Reisig, Bändern und Kränzen geschmückten Holzbühne spielend, lösten einander ab. Derselbe Trupp in einem hin hätte es nicht ausgehalten, was an Musik verlangt wurde. Immer, wenn eine Pause heranflauen wollte, stieg ein grelles »Narro!« und ließ die Lust neu aufflammen. Wer rasten wollte, pilgerte ins zweite Stockwerk empor und sah von einer Galerie in das Farbengewoge des Saales hinab. In allen Nebenstuben, auf den Gängen, den Treppen war ein Gedräng und Geflute von vermummten und freien Gesichtern, bunten Gestalten, Erhitzten, Lachenden, plaudernd Spazierenden, Essenden, Trinkenden. In tiefen Fensternischen, von Reisig und Fähnchen halb verhängt, kosten vereinzelte Paare. Immerzu liefen Stadtknechte umher, um Fackeln, Kienspäne. Wachskerzen und das Öl in Lampen zu erneuern. Aber manche Narren ließen gern das Licht ausgehn nach dem Sprichwort: Selig, wer im Dunkeln bleibt.

»Narro!« gellte es vor Mangold von Eberstein. Der Rote sprang vorbei und schlug ihm den Schellenbaum auf den Kopf. Tanzende Masken drängten ihn zurück. Er stand mit Nebukadnezar in einem Winkel des Saales und schaute zu. Der lange Voit war heut seltsam. Er stand mit verschränkten Armen, seine Augen funkelten über die alte Geiernase hin, in seinem verfallenen Antlitz leuchtete es wie Abendschein auf einem wüsten gebrochenen Bergschloß.

»Nur zu, nur zu!« lachte er grimmig. »So seh ich die Menschen gern. In ihrer verlogenen Ehrbarkeit und eitlen Weltwürde sind sie widerlich. Aber wann sie sich in Mummerei stecken und uns Narren vorzumachen vermeinen, da sind sie plötzlich die Wahren und sie selber.«

Mangold nickte lächelnd. »Alter, warum hast du heut noch keinen Rausch?« sagte er.

Der Voit drauf: »Sind alle trunken, so brauch ichs nit. Es rauscht genug in mir, ich seh hell auch ohne Wein. He! – Denkst dus noch? Da wir jung waren, da sprangen wir auch 277 so zu Heidelberg am pfalzgräfischen Hof, zu Onolzbach beim Markgrafen, auf manchem Rittertag, auf vielen, vielen Burgen und in manch reichem, fröhlichem Bürgerhaus. He, Alter! Wir sprangen gut, nit wahr? Ich acht, wir konntens besser, als irgend einer von den jungen Hengsten da.«

Mangold: »So pack eine und fahr los! Das wär der größt Narrenspaß, wann der Nebukadnezar tanzte.«

Der Voit schüttelte das Haupt. »Das ist vorbei. Aber ich seh gern zurück.«

Mangold: »Weiß der Teufel, ich dacht auch, es wär vorbei. Aber so ich Musik hör und tanzen seh, da reißts mich in den Beinen, und möcht gleich selber springen. Habs doch gern getan, so gern fast wie Reiten, und auch schlechter nit.«

Und sie gedachten alter Zeiten, redeten von schönen Festen da und dort und von mancher Blonden und Braunen, die ihnen übern Weg gekommen. Darüber wurden sie dann wieder schweigsam und starrten düster in die bunte Jugendlust hinein.

»Sieh!« begann Mangold von neuem, »was ist das für ein langer, schwarzer Kerl, der als ein Zwillingsbruder dem roten Narren gleicht? Er schreitet umher und sieht sich die Leut an.«

Nebukadnezar: »Wo? Ich sehe keinen.«

Mangold: »Dort – dort! Jetzt ist er hinaus.«

Nebukadnezar: »Wo steckt der Rote?«

Mangold: »Den seh ich jetzt auch nimmer.«

Nebukadnezar: »Schau den langen Hellhaarigen dort, das muß ein junger Thüngen sein, ist ein weidlicher Gesell und springt gut. Schaut drein als ein Sperber, hat sich ein blaues Vöglein geschlagen und zieht mit ihm dahin.«

Mangold: »Und das Schwälblein, scheints, hängt recht gern in seinen Fängen.«

Über der Tanzflut wie eine Insel stand auf der Bühne neben den Musikanten eine lange Tafel. Zwischen Fritz von Thüngen und Graf Eberhard von Rieneck saß da die Odheimerin wahrlich als eine Königin des Festes. Wie sie erblüht war in der Lust und Heiterkeit und den Huldigungen, die sie umwarben! Es hob den sanften Liebreiz ihrer Erscheinung, 278 daß ihre Freudigkeit stiller und wie von leiser Wehmut überschattet schien, und daß sie nicht, den meisten andern Damen gleich, in bunten Faßnachtsflitter gekleidet war. Aus grünem Samt, aus Seide, die wechselnd rot und grün schillerte, und reichem Zobelbesatz schimmerten ihre Arme und Schultern hervor. Da man sie zur Königin gekrönt hatte, war ihr ein Kranz aus Stechpalmenblättern mit roten Beeren, von goldenem Band durchschlungen, aufs volle, braune Haar gesetzt worden. Unter dem blickte sie jetzt, während sie lächelnd ihren Kavalieren zuhörte, wie suchend im Saal umher.

Mangold stieß den Voit an und deutete in die Tanzenden. Frowin von Hutten mit dem Elslein im Arm zog eben vorüber. Er führte sie zart und sacht durchs Gedränge, blickte umher, um den wilder springenden Paaren auszuweichen, und raunte ihr dabei ins Ohr. Sie hatte die Augen niedergeschlagen und lächelte. Aber manchmal blickte sie auf und sah ihn an. Dann brach ein heimliches Leuchten aus den beiden glücklichen jungen Gesichtern.

Mangold leise: »Du – hüt deines Mühmleins! Heut bist du selber da und kannst aufpassen.«

Der Voit: »Laß sie! Das geht alles in rechter Ordnung, wie es sein muß. Der Frowin wird sie besser hüten, als einer von uns zweien es könnt.«

Nebukadnezar sah ihnen ernsthaft nach: »Mai! Mai!« sprach er vor sich hin. »Die Brautblüten gehn ihnen auf. Schöne Zeit, schöne Zeit! Alles weiß und licht und hellgrün und der Himmel ganz blau und voller Sonntagsglocken. Das Herz will ihnen springen vor frommer Lust.«

Mangold: »Nun, mir solls auch recht sein. Der Frowin ist ein braver Bursch, hab ihn auf manchem Ritt erprobt und klar und treu befunden wie seine Mutter.«

Nebukadnezars Antlitz verfinsterte sich. Er hob die Faust. »Gott schütze sie vor den Weibern – auch die zwei!« sprach er bös. »Vor Weibern, die dreinpfuschen, kuppeln, machen wollen, vor den Sudelhänden und Schwatzzungen. Wann zwei sich lieb haben, das geht keinen was an. Und so einer ein rechter Kerl ist, der schützt besser als Vater und Mutter, 279 und was sonst geschieht, das ist Recht und Natur. Aber das Pfuschen, das Reden macht die Schweinerei. Laß sie, rühr nit dran! Das ist Gottes Sache. Gott schütz ihren Mai.«

»Und wann es weiße Blüten geschneit hat, dann brechen die roten Rosen auf,« raunte hinter ihnen eine seltsame Stimme. Sie wandten sich. Der rote Narr stand da. »Die Rosen brechen auf, brennen und tropfen Blut,« fuhr er fort. »Dann ist Nacht so dunkel und lind wie Samt, und auf den Bergen brennen die Sonnwendfeuer, und hinten steigt und leuchtet als ein Wetter das Verhängnis.«

Die zwei sahen ihn scharf an. Er hatte das ganze Gesicht von der roten Maske verhüllt. Nicht einmal die Farbe der Augen war in den Schlitzen zu erkennen.

»Deine Stimm ist heut so fremd,« sagte Mangold, »aber du bist doch der Pfeifer.«

Der Narr drauf: »Ja, der Rattenfänger, aber nicht dein Knecht, es sei dann, du dientest mir.«

Mangold wollte ihn packen. Er wich ins Gedränge zurück. »Trink, trink, trink!« rief er ihm zu. »Es hat zwölf geschlagen!« Er verlor sich im Tanzgeflute und schnellte mitten drinnen in die Höh wie ein roter Fisch. »Narro!« – »Narro!« brauste es umher. Übermütiges Stampfen dröhnte. Lebhafter wogte der Tanz. Die Lust stieg und schäumte. Edler Wuchs und ritterliche Art gaben ihr schönen Ausdruck, denn es war fast lauter Adel im Saal; doch wild und herrisch war das Blut, das sie trieb.

Mangold spähte zur Tafel hinauf. Die Odheimerin war verschwunden. Er glaubte, ihren Stechpalmenkranz im kreisenden Reigen zu sehen.

»Was steht ihr da als wie dürre Bäum in dürrer Heide?« Philipp von Rüdickheim und Heinz Kottwitz tauchten vor ihnen auf. Sie hatten rote Stirnen und weinheiße Augen. »Kommt hinein in die Ratsstub,« sagte der eine, »da fließt ein gut Fäßlein vom Würzburger Stein.« Sie folgten den beiden. In der Ratsstube, einem dunkel vertäfelten Gemach, das unmittelbar an den Saal stieß, ging es laut her. Vorwiegend ältere Junker und einige Ratsherren der Stadt saßen da hinter lieblich duftenden Römern und redeten schon recht lärmend durcheinander. Die Eintretenden wurden 280 stürmisch mit allseitigem Zutrunk begrüßt. Ein mächtiger, schön in Figuren geschliffener Pokal ging um, der wie eine Glocke geformt war und statt des Fußes eine silberne Schelle hatte, so daß er nicht niedergestellt werden konnte. Der Bürgermeister füllte dieses Gefäß vom Fasse und brachte es Mangold zu. Der mußte es leeren und neu füllen lassen. Dann leerte er es neuerdings auf das Wohl eines Nächsten und reichte es dem mit der Schelle klingelnd. So kreiste die Ratsglocke weiter ohne Rast, und das Wohlbefinden der Runde stieg auch sprunghaft von Trunk zu Trunk, wie dem launigen Geschwätz und Gelächter abzunehmen war. Aber Mangold hielt es nicht lange. Er nahm bald eine Gelegenheit wahr und entwich in den Gang. Große Fackeln in eisernen Armen steckend erleuchteten den Treppenflur. Die auf- und niederflutende Menge war wie von Brandschein übergossen. An einem Pfeiler lehnte der lange Kerl, der genau wie der rote Narrenkanzler in ein enganliegendes Schellengewand gekleidet war, aber schwarz vom Kopf bis zur Zehe und mit schwarzer Larve vor dem Gesicht. Mangold ging an ihm vorbei und sah ihm unter die Augen. Der Schwarze beugte sich vor und raunte ihm zu: »Tanz, tanz, es hat zwölf geschlagen.« Mangold ergriff ihn am Arm. »Jetzt hab ich dich,« sprach er, »du bist der Pfeifer.« Jener drauf: »Ja, der Rattenfänger, aber nicht dein Knecht, sondern dein Herr.« Damit hatte er sich losgerissen und verschwand mit einem weiten Sprung im Gedränge treppab. Unter den Fackeln hinhuschend schien er düsterrot.

Mangold sah ihm verwundert nach. Dann wandte er sich und durchschritt, so schnell es im Gedränge möglich war, alle Räume, die um den Saal lagen. Der Rote war nirgends zu erblicken. In den Tanzsaal zurückgekehrt sah er ihn aber wieder mitten im Reigen springen. Er wollte auf ihn zueilen. Die Odheimerin trat ihm in den Weg.

»Wo steckt Ihr alleweil, Schwager?« sagte sie. »Ich such Euch schon lang. Was streicht Ihr so viel umher? Kommt herauf zur Tafel, mir ist bang allein.«

Mangold ihr den Arm reichend: »Euch ist bang? Ihr lacht und tanzet und habt viel Höflinge um Euch.« 281

Frau Agatha drauf: »Dennoch ist mir so fremd. Alle Brandensteiner haben sich verloren. Der Frowin und das Elslein, die haben nur mehr Augen füreinander, meine Tochter haben der Schüler und der Miltitz entführt, Ihr zieht mit dem Weiberfeind dem Weine nach.«

Mangold, während sie eng aneinander gedrückt zwischen Wand und Reigen hingingen: »Dennoch seh ich Euch immer lustig, immer plaudernd und umgeben. Heut seid Ihr so recht in Eurem Spiel.«

Sie sah ihn schnell an und blickte wieder zu Boden. »Ja, lustig,« sagte sie, »lustig wie in einem lustigen Boot überm schaukelnden Grund. Es ist so schön und doch etwas schaurig. Bleibt ein Weilchen bei mir.«

Eben war der Tanz zu Ende, und ein neuer mit neuen Spielern begann.

»Kommt, wir wollen in diesen Reigen treten,« sagte Mangold. Die Odheimerin nickte lächelnd. »Ihr habt so erst einmal mit mir getanzt,« sprach sie. Der anhebende Wellenschlag des Tanzes zog sie in den Kreis. »Das ist ein Nürnbergischer,« sagte Frau Agatha. »Könnt Ihr den? Gebt mir die Hände, so muß man tun.« Sie hob seinen Arm, schlüpfte mit einer raschen Drehung darunter durch, so daß sie mit dem Rücken gegen ihn stand, und blickte ihn, halb umgewendet, lächelnd an. Sie drehten sich wechselnd in der Tanzweise, um immer wieder in diese Stellung zurückzukommen. Er sah über ihre schöne Schulter hinab und hörte die Seide ihres Gewandes knistern. Plötzlich sah ihm selbst ein rotes Gesicht mit einer Schellenkappe über die Schulter. »Die Rosen blühn!« raunte der Narr. »Tanz, Tanz! Es hat zwölf geschlagen.« Mangold kehrte sich unwirsch. Der Rote schlüpfte behend unter den Paaren durch und war verschwunden.

Frowin führte das Elslein in den Gang hinaus. Es war ihnen heiß geworden. Sie suchten ein stilles Eckchen und standen, wo die Treppe zum zweiten Stockwerk emporbog. Von dort hinauf brannten keine Fackeln mehr. Oben schien ein Fenster offen zu stehen. Die Luft strich kühlend hernieder.

Das Elslein trat auf die erste Stufe und lehnte sich an die 282 Mauer. Sie war als ein Schneeglöckchen gekleidet in ein weißes Gewand mit schmalen, grünen Seidenzwickeln, und trug auf dem Haar eine Haube, die der Blüte gleich geschnitten war. Plötzlich ward die Tür nebenan aufgestoßen, mit Lachen und Rauschen brach eine wilde Jagd hervor, die Helena voran, hinter ihr Kunz von Rosenberg, der Miltitz, Jörg Dietz und einige Junker. Frowin und das Elslein waren ausweichend einige Stufen hinaufgetreten. Vor dem Saal wandte sich die Helena unversehens und floh zwischen ihren Verfolgern durchschlüpfend und kichernd wieder zurück, die andern durcheinander gebracht schossen ihr nach, und flugs war die Hetze wieder in der Stube verschwunden. Frowin hatte das Mädchen eilig noch höher empor gedrängt und unwillkürlich wie schützend die Arme vor sie gebreitet. Ihr Gesicht war nah dem seinen, ihr Atem berührte seine Lippen. Er horchte zurück. Die Tanzmusik tönte fern im flutenden Stimmengebraus. Es war fast dunkel, wo sie standen. Dem Elslein klopfte vor Schreck das Herz ganz vernehmlich. Frowins Arme schlossen sich um ihren Nacken, sein Mund legte sich fest auf den ihren. Sie sahen und hörten nichts mehr. Sie standen wie unter einem großen, schneeweißen Blütenbaum, der sie gleich einer duftenden Wolke umgab, der süße Ruf der Golddrossel im Wipfel und leis niederschwebende Flocken. Er gab sie los, küßte ihre kleinen, schmalen Hände und drückte sie an die Brust. »Komm!« flüsterte sie verwirrt und ein wenig zitternd, »mir wird kalt hier.« Er konnte nichts sprechen und führte sie, behutsam ihren Arm stützend, hinab. Im Bereich des Lichtes blickte er besorgt in ihre Augen. Sie lächelte wie ein Lenzmorgen strahlend, und klare Tautropfen hingen in ihren langen Seidenwimpern. Das Gewirr der Stimmen und Gestalten umgab sie wieder. Sie drückten sich scheu durch und wollten stillere Plätze suchen. Aber ein lautes, lachendes Strömen faßte sie und drängte sie in den Saal, wo die Wogen der Lust höher schlugen. Ein Springeltanz hatte sich erhoben. Die Paare reihten in wunderlichen Figuren, und welches am weitesten sprang und am zierlichsten dazu, dem wurde lauter Beifall geklatscht. Ein Kreis von Zuschauern stand wie ein Chor umher, stampfte den Takt und sang: 283

»Die Röslein ist zu brechen ZeitUhland, Volkslieder.
derhalben brechen sie heut!
Und wer sie nicht im Sommer bricht,
der brichts im Winter nicht.
Und brichst du sie im Sommer nicht,
das reuet dich, ja dich.
Es geht ein frischer Sommer herein,
dasselbig freuet mich.«

Manche sprangen gar zwischen zwei Tänzerinnen, an jeder Hand eine mitschwingend, und da ward Fritz von Thüngen der Preis, der die dunkle Waldfürstin zur Rechten, das helle Mädchen von der Saale zur Linken führte und in wilder Ausgelassenheit mit den zwei schlanken Kindern durch den Saal flog. Unten fing sie der rote Narr auf, fügte sich als vierter in den Kranz, und nun schwangen die zwei langen Gesellen einen Wirbel, daß die Füße der Mädchen kaum mehr mitkamen, und im Augenblick, als sie schon fast zu stürzen schienen, hoben sie gar die Tänzerinnen auf die verschränkten Arme und drehten die Lachenden hoch in der Luft umher.

Mit dem dicken Marsilius ward es umgekehrt gemacht. Ihn hielten rechts und links zwei lustige Frauen, und er mußte springen, ob er mochte oder nicht. In gehobener Laune tat er sein Bestes, das plump genug ausfiel, und es gab ein unmäßiges Gelächter. Aber Mangold, plötzlich munter geworden und sich erinnernd, daß er früher manchen Preistanz getan, sprang mit Frau Agatha einher, und das Paar bot einen so schönen Anblick, daß ihm tosender Beifall wurde.

Darnach belebten sich wieder die Tische mit erhöhter Heiterkeit und vermehrtem Trinken. Neue Gerichte wurden aufgetragen. Philipp von Rüdickheim und der Doktor Reichel hielten Mangold auf, als er die Odheimerin eben zur Bühne hinanführen wollte. Ein aus der Maßen herrliches Fäßlein sei in der Ratsstube angeschlagen worden, sagten sie, und er solle mit Frau Agatha hinein kommen. Wie ein langer Schatten strich der schwarze Narr vorbei und sagte: »Trink, trink, trink! Nicht lang mehr, und es graut der Tag.«

Mangold zögerte, die Männer drängten. Frau Agatha 284 sah ihn lächelnd an. »Hab ich nicht auch einen guten Trunk verdient?« scherzte sie. »Bleibt hier, wann Ihr wollt, ich laß mich von den Herren zum wundersamen Fäßlein führen. Seht nur, wie viele der Damen ins Stüblein hineinziehen.« Sie zog ihn mit fort. Die Ratsstube war gedrängt voll schwätzender und lachender Menschen. Susanna Truchseß auf einem Tisch sitzend ließ ihr silbernes Bein schimmern und war überlaut in greller Fröhlichkeit. Die Odheimerin wurde sogleich umdrängt und umworben. Die lustigen Ratsherren von Gemünden brachten der Nürnbergerin einen Ehrentrunk. Nebukadnezar, lang und düster, ging durch das Zimmer und sah sich um. Mangold wollte ihm folgen, wurde aber durch einige Junker verhindert, die ihm zutranken und Erwiderung forderten. Als er endlich loskam, war der Voit im Gang verschwunden. Dafür stieß er an den roten Pfeifer, der ihm zuraunte: »Eine Rose brennt, eine Rose blutet. Nimm sie wahr. Es hat Eins geschlagen. Das Wetter kommt doch über euch.« Zornig wollte er ihm nacheilen. Doch der Rote schob so schnell einen Haufen aneinander hindrängender Paare zwischen sich und ihn, daß er wieder nicht zu fassen war.

Die Musik warb zu neuem Tanz. Es zog und strömte wieder dem Saal zu. Frowin und Elslein drückten sich in einen Winkel und ließen die Menge vorüberwallen. Der Treppenflur hatte sich fast geleert. Sie gingen Arm in Arm der Stelle zu, wo sie früher gestanden. Frowin hielt und sah das Elslein lachend an. Sie lächelte errötend. Er nahm sie um die Hüfte und sprang mit ihr im Takt der beginnenden Musik die Stufen hinauf ins Dunkle. Da blieben sie ein Weilchen und küßten sich satt, und die Zeit ward ihnen nicht lang dabei. Unten gab es Lärm. Ein Haufen des Wasservolkes mit wilden Waldsassen und anderen Narren vermischt zog lachend und redend über den Gang der Ratsstube zu. Sie mußten eine sonderliche Mummerei im Sinne haben, denn sie trugen große Reisigwedel und bunte Laternen. Als es wieder still geworden, sagte Frowin: »Komm, wir müssen hinunter.« Aber das Elslein küßte ihn viel und bat, daß sie noch ein Weilchen da bleiben sollten. Frowin ließ sich gerne halten; endlich aber seufzte er und meinte, sie müßten 285 sich doch wieder im Saal zeigen, daß die Leute nichts zu reden hätten. Wie sie nun eben wieder auf den unteren Stufen standen und noch einmal geschwind die Lippen aufeinander legten, brach aus der Ratsstube ein Schwall von Vermummten mit großem Gelächter und Geschrei hervor. Die beiden flüchteten hastig die Treppe hinauf. »Seht, seht, da hat es zwei, die bräuchten ein still Stüblein!« rief eine Stimme aus dem Schwarm. Und eine andere: »Wer sind die?« Sie hörten das gellende Lachen der Susanne und erkannten auch die Odheimerin in dem Haufen. Jetzt die Stimme des Miltitz: »Hoscha, hoscha! Mich däucht, das seien des Junker Frowin Beine!« Und einige von den Burschen stoben, von der lachenden Horde angehetzt, wie Jagdhunde die Treppe empor. Frowin riß das Elslein am Arm und rannte mit ihr höher, immer höher hinauf, die lärmende Meute mit Rufen und Lachen hinter ihnen her, ein finsterer Gang, eine Tür, ein weiter Raum. Sie stolperten über allerlei Gerümpel, hinter dem sie sich erst verbergen wollten; aber Frowin ersah im schweifenden Schein, den eine Fackel der Verfolger heraufbrachte, eine schmale Pforte in der Mauer, und husch! waren sie drinnen. Er tappte am Schloß, fand einen Riegel und stieß ihn zu. Schon tobte die Jagd heran. »Da sind die hinein!« rief es. Derbe Hände rüttelten an der Pforte. Eine Weile schrieen und lachten die draußen durcheinander und rissen arge Scherze. Dann ließen sie ab, und der ganze Hauf stürmte wieder hinunter.

Frowin hielt das Mädchen umschlungen, dem Herz und Atem flog. Lange horchten sie, ob nicht doch heimlich etliche da geblieben wären und sich etwa versteckt hätten, um ihnen aufzulauern. Zwar wollte sich nichts mehr regen, aber sie zogen es vor, noch ein Weilchen zu verhalten.

»Wir sind im Turm,« sagte Frowin, an den engen Steinwänden tastend und im Dämmerschein, den eine schmale Lucke gab, den Schneckengang der kleinen Treppe erspähend. »Komm, es muß oben ein Gemach haben, wo wir rasten können.« Sie tappten die scharf sich drehende Stiege hinauf. Ab und zu kamen sie an einer Fensterscharte vorbei. Da sauste die Zugluft und sah man im schmalen Schlitz Sterne 286 blinken. Endlich traten sie aus der Schnecke in eine Stube hervor, die Bretterboden und mit Läden mangelhaft verschlossene Fenster hatte. Ein Laden aber, der bis zum Boden reichte, stand offen und ließ den blauen Schein der Nacht herein. Sie gingen umher. Irgendwo in der Wand ging langsam ein geisterhaftes, abgemessenes Pochen, und jetzt hob sich plötzlich ein Rasseln, Schnarren, Ziehen. Das Elslein stieß einen Schrei aus und drückte sich zitternd an Frowin. Der küßte sie lachend, denn aus dem Geräusch in der heimlichen Turmseele löste sich jetzt ein harter Schlag, der tönend nachhallte. Ein zweiter folgte, nachdem es schnaufend und rasselnd wie ein alter, mühsam atmender Mann ausgeholt hatte, und da war es offenbar, daß sie sich unter dem Gehäuse der Turmuhr befanden. Frowin ging der Öffnung zu, durch die der Lichtschein drang. Draußen hatte sich ein Wind erhoben, der sauste und schnob um den Turm und pfiff manchmal schrill an den Kanten. Frowin wollte in die Öffnung treten, die sich als eine Tür darstellte. Das Mädchen riß ihn zurück. »Um Gotteswillen! Stürz nicht hinab!« rief sie entsetzt. »Ei, du Närrchen, da gehts doch auf einen Söller hinaus,« beruhigte er sie. Vorsichtig trat er in den Bogen. Sie blieb innen stehn und ließ seine Hand nicht los. »Komm nur heraus,« sagte er, »es hat ein hohes Geländer, kann uns nichts geschehn.« Er zog die Furchtsame nach. Nun standen sie auf einem schmalen, vorhängenden Söller, der eine schön durchbrochene Steinbrüstung hatte. Der Wind faßte ihre Locken und Kleider, aber er wehte ganz mild und weich von Südwesten über die dunkeln Mainberge her. Gewölk zog eilig am Himmel hin, Sterne blinkten auf und verschwanden. Die Sicht in den jäh schwindelnden Abgrund der Nacht hinunter war grausig, als schwanke man hoch auf einem treibenden Boot, als zögen unten Dächer, Lichter, matt erhellte Gassenschlünde reißend hin, und die dunklen Berge umher schienen wie große Wogen zu wanken. Frowin klammerte sich an die Brüstung, das Mädchen an seine Schultern. Jetzt waren sies gewohnt und sahen in die weite, ruhevolle Nachtrunde umher. Nach und nach traten dem Auge unterscheidbar Türme, Giebel, Höhen hervor. Steil oben 287 der Umriß der Scheerenburg mit dem schlanken Bergfried, tief unten hinter den Mauertürmen der Stadt die Flußläufe mit einzelnen Lichtschimmern im dunkelglatten Spiegel. Der Söller blickte gen Mittag, so sah man die Mündung der Gewässer und den finstern Leib der Brücke über die zwei Arme der Saale hingestreckt. Die Tanzmusik mit den dumpf grunzenden Bässen drang herauf. Im Städtlein war es stellenweise noch lebhaft. Jauchzer, Schreie und Gelächter sprangen hin und her in den Gassen; über den Platz im Fackelschein sah man etliche der bunten Narren ziehen, und einmal brach irgendwo durch eine sich öffnende Tür mit verworrenem Schall eine andere Tanzmusik hervor.

Jetzt vernahmen sie Schritte über sich, wo ein hölzerner Umgang den Turm kränzte. Ein Mann räusperte sich umständlich. Dann stieß er zweimal in ein Horn. Und als die Klänge weithin über die Stadt verhallt waren, sang er in lang gedehnter Weise mit tiefer, wohltönender Stimme, die wundersam und wie aus Träumen klang. Sie konnten jedes Wort verstehn:

»Der Morgenstern, den seh ich hell aufdringenNach niederdeutschen Volksliedern der Uhlandschen Sammlung.,
wie laut, wie laut uns bald die Vöglein singen
wohl über Berg und tiefe, tiefe Tal,
hab Dank, hab Dank, du liebste Fraue Nachtigall.

Wohl vor dem Tag, als uns die Hahnen krähen,
darnach, darnach die kühlen Wind her wehen,
so ruft der Wächter von der hohen Zinn:
Weck auf, weck auf, du Frau, dein Hausgesind.

Frau Nachtigall ist müd, sie läßt von ihrem Singen.
Das Mädglein, das ist jung, sieht hell den Tag herdringen.
Und wer in Herzenliebes Armen leit,
der mach sich auf, denn es ist an der Zeit.

Der Knab ist jung, der Schlaf däucht ihm so süße,
die junge Magd, die weckt ihn auf mit Grüßen.
Wach auf, Feinslieb, wir sind in großer Not,
erführ das mein Vater und Mutter, viel lieber wär ich tot. 288

Sie küssen sich mit ihren roten Munden
in kurzer Weil viel mehr dann tausend Stunden.
Der Morgenschein bringt manchem Herzeleid,
Gott schütz der Jungfraun Ehr und junger Reuter edlen Leib.

Nun fahr dahin und daß dich Gott behüte,
mein schönes Lieb, du machst mir Scheidens Mühe,
du hast mir Herz, Mut, Sinne ganz benommen,
wolls Gott, wolls Gott, daß wir bald wieder zusammen kommen.«

Nun hörten sie des Wächters Schritte noch einmal den Turm umkreisen. Dann ging oben eine Tür, und es war wieder ganz still. Auch unten im Städtlein war es still geworden. Der Wind zog und sauste in Stößen, und wenn er aussetzte, hörte man das leise, leise Rauschen der Flüsse im Dunkel um die Stadtmauern. Frowin hatte die Hand des Mädchens auf seine Brust gelegt. Nun küßte er sie auf den Mund und flüsterte: »So wahr die Sterne da oben stehn, so wahr will ich dein getreuer Mann und Ritter sein für alle Zeit. Nun bist du meine liebe Braut, und weh dem, der dich anrühren will.« Sie hielten sich lang und fest umschlungen. Dann schlichen sie durch die Turmstube zurück, die enge Treppe hinab, horchten am Pförtlein, öffneten es und huschten hinaus. Alles war still. Sie tappten sich durch das Gerümpel und kamen unbemerkt wieder in den Saal hinab, wo die grelle Buntheit in erhöhtem Tollen zur Musik lärmvoll kreiste.

Mangold begegnete ihnen. Er winkte ihnen lachend zu, aber er hatte ein rotes Gesicht und grimme Augen. Eilig strich er vorbei, als wolle er wen suchen. Hin und her schob er sich durch die heißen Menschen in Saal und Nebenräumen. Endlich sah er den schwarzen Narren, der langsam und hoch über die Menge wegblickend vor ihm ging. Er schlich ihn hinterrücks an und packte ihn rasch bei beiden Ellenbogen. »Hab ich dich, du Lump!« Der schwarzglänzende Taffet seines straffen Gewandes fühlte sich kalt an, und man griff wie auf Knochen. Der Narr wandte sich ruhig. Durch die Augenschlitze schimmerte es wie ein Licht im Hintergrund einer tiefen Höhle. »Du mußt mich nicht fangen,« sagte er, »ich komm schon selber zu dir.« 289

Mangold: »Sag, wer bist du, oder ich reiß dir die Larve vom Gesicht.«

Der Schwarze: »Das tät manchem Schreck.«

Mit einer Bewegung hatte er sich frei gemacht und wich schattenhaft ungreifbar zurück.

Mangold, ihm nachdringend: »Wärst du Tod oder Teufel . . .«

Der Schwarze: »Nimm der Stunden wahr, es sind ihrer nicht mehr viele. Das Fest verrauscht, die Herzen verblühn. Bald kräht der schwarze Hahn.«

Er zog sich immer dünner ins Gedränge hinein. Mangold mochte ihn so wenig ereilen, wie eine Schlange, die ins Gestrüpp verschlüpft. Ein Frauenleib wurde an ihn geschoben. Er sah das Antlitz der Odheimerin, das ängstlich und verstört zu ihm aufblickte. Sie hing sich an seinen Arm. »Da drin bei dem Rosenbergischen Wasservolk geht es wüst her,« flüsterte sie. »Ich hab die Helena gesucht, aber sie ist nicht zu finden oder hat sich vermummt. Das Mannsvolk ist schon ganz toll und zudringlich.« Sie schauderte und faßte Mangolds Arm fester. Er drängte sich mit ihr durch den wogenden Saal. Aber die Tafel oben auf der Bühne war leer. Es sprang, tanzte, reihte um sie, es stampfte und sang. Arme hoben sich, Tänzer und Tänzerinnen bogen sich darunter her und schnellten wieder schlank in die Höh. Gesichter lachten, rote Lippen lachten unter Masken, Augen leuchteten seltsam heiß durch schmale Schlitze in der Vermummung. Sie wurden angestoßen, hin und her und unversehens in den Reigen gezogen. Schalke, die wild umhersprangen, bewarfen sie mit Blumen und langen Bändern, die sie bunt und rauschend umringelten. So war kein Durchkommen möglich. Mangold nahm Frau Agatha um die Hüfte und tanzte mit ihr im Drang des Reigens hin. Unten bei der Tür zog er sie schnell hinaus. Beide waren ganz von den farbigen Schleifen umwunden, daß sie Mühe hatten, sich davon zu befreien. Sie suchten einen Platz, um zu ruhen, und blickten in die Ratsstube. Da wars wie in des Teufels Keller, ein Schallen, Lachen und Toben, daß keiner mehr sich selber hörte. Mitten auf einem Tisch stand Heinz Kottwitz, bemüht, einen Reiterstiefel zu leeren, den man mit Wein gefüllt hatte. Als die 290 Trunkenen Mangolds und seiner Dame ansichtig wurden, hob sich ein Sturm von Rufen und becherschwingenden Händen ihnen zu. Schnell wichen sie zurück und drückten sich durch die Leute hin. Endlich fanden sie in einer leeren Nebenstube eine umkränzte Fensternische, wo Tisch und Bank verlassen waren. Sie ließen sich aufatmend nieder.

»Seid Ihr müd?« fragte Mangold. Die Odheimerin verneinte lächelnd. Ihre Wangen glühten, ihr Busen hob und senkte sich schnell atmend. Um Haupt, Hals, Schultern hing ihr noch immer ein Gewirr bunter Bänder.

»Ein tolles Fest,« sagte Mangold.

»Aber schön, schön,« versetzte sie heiter. »Einmal im Jahr muß Faßnacht sein. Was schaut Ihr mich so grimm an? Schier muß ich mich fürchten. Was hab ich getan?«

Mangold lachte hart auf. Er sah ihr ins Gesicht. »Ihr habt eine Schuld,« sprach er dann, »aber für die könnt Ihr nichts.«

Agatha erschrocken: »Welche Schuld? Das müßt Ihr mir sagen, das schafft mir Unruh.«

Sie wandte sich her. Ihr Seidenärmel streifte ihn.

Mangold sinnend: »Die Unruh, die laßt nur andern. Ich kanns nit sagen.«

Sie lehnte sich zurück. Trauer sank über ihre Stirn, ihre Augen schimmerten feucht.

»Immer sagen die Männer zu mir, ich sei schuldig,« seufzte sie, »woran aber und warum, das will keiner nennen.«

Mangold abermals lachend schlug ihr leicht auf die Hand. »Ist nur ein Scherz und soll Euch nit betrüben.«

»Ein Scherz, ein Scherz, aber es sticht und nagt wie ein Wurm.«

Er blickte ihr ernst in die Augen.

»Scherz und Spiel, ja, das ist es. Und was soll draus werden?«

Plötzlich stand der rote Narr mit einem Krug vor ihnen. »Euch such ich,« sprach er. »Trinkt, trinkt, der rote Hahn hat sich schon geschüttelt. Euer Wohl, Euer Leben, Eure Lust!« Er trank und stellte den Krug vor sie hin.

Mangold: »Wo ist dein schwarzer Bruder?«

Der Narr: »Hier wie überall und ich selber. Aber ich seh 291 ihn so wenig, als der Tag die Nacht sieht. Geht er auf, geh ich unter.«

Mangold hatte ihn flugs beim Arm erwischt und wollte ihn herein reißen.

»Weg!« rief der Narr, »es brennt!« Und schnell war er unter ihm durchgeschlüpft und hatte ihm die Hand so verbogen, daß der Ritter auslassen mußte.

»Fang andere Arme, es sind schönere da!« lachte er zurückweichend.

Frau Agatha: »Ists der Pfeifer oder ist ers nit?«

Der Narr: »Ei, so zupft ein Maßliebchen um mich, schöne Frau.«

Mangold: »Komm her, dich selber will ich zupfen, dir die Schellenzipfel und Narrenzungen ausraufen, dann wüßten wir bald, wer du bist.«

Der Narr: »Da könntest du lang zupfen, es bliebe immer beim Narren, wüßtest am End so viel wie vordem und wärst der Genarrte. Schöne Frau, er ist wahrlich ein Narr, denn er will nit wissen, was er weiß.«

Agatha: »Was weiß er?«

Der Narr: »Was Ihr nicht wisset.«

Sie blickte verwundert von einem zum andern.

Der Narr: »Ja, ja, schöne Frau, was könnt Ihr dafür, daß Ihr so schön seid!«

Er schlug eine Lache auf, schüttelte den Schellenbaum und wirbelte über Kopf und Beine in drei Rädern hinaus.

Mangold sprang ihm nach, um ihn zu fangen. Aber schon war er dahin ins Gewühl des Tanzsaales.

Mangold kehrte an den Tisch zurück. »Der Schelm!« sagte er, »ich hätt ihn geprügelt.«

Die Odheimerin: »Für das, was er sagte?«

»Ja.«

»Nun, wenns ein Narr sagt, muß es doch wahr sein.«

»Das dürft auch ein Weiser sagen.«

»Warum wollt Ihr ihn dann schlagen? Ihr seid wahrlich ein grober Ritter.«

Er hatte sich mit beiden Fäusten auf den Tisch gestützt und blickte sie an. 292

»Ja, jetzt wißt Ihr, wes Ihr schuldig seid,« sagte er.

Sie stemmte sich vom Tisch weg und lachte: »Ei, mich däucht, solche Schuld trägt sich leicht.«

Mangold sehr langsam: »Und was davon kommen mag?«

Sie lustig: »Nun – muß das gleich was Schlimmes sein? Ihr tut ja, als gings den Henker an.«

Er drohend: »Wahrlich, Ihr spielt als ein Kind.«

Sie warf sich zurück: »Ha! Heut ist Faßnacht – einmal im Jahr – und Narrenfreiheit!«

»Einmal? Nehmt Euch in acht! Ich sag Euch, es ist ein bös Spiel – mit mir.«

Sie lachte abermals und straffte sich, daß es knisterte.

»Nun? – So werft!«

Er bog sich vor. Seine Stirn war Gewitter, seine Augen leuchteten und dunkelten. »Ihr wollt spielen, Frau Agatha?« raunte er. »Gut. – Setzet – aber alles. Da kenn ich nur rot oder schwarz – Herz oder Tod . . .«

Purpur schoß ihr über Antlitz und Nacken. Sie sah verwirrt zu Boden. Ihre Arme zitterten.

Stimmen brachen herein. Mangold wandte sich. Fritz von Thüngen und Graf Eberhard von Rieneck mit mehreren Damen und Junkern kamen eilig aus dem Tanzsaal.

Fritz rief: »Wo ist meine Königin? Hat das eine Art, daß ich immerzu allein regieren muß?«

Die Odheimerin verwirrt lachend: »Was treibt Ihr Euch immer unter trunkenem Volk umher? Ist das eine Art für einen König?«

Graf Eberhard hielt sein braunes Waldmädchen umschlungen.

»Kommt herein,« rief er, »wir wollen alle miteinander tanzen.« Er küßte das Mädchen und lachte.

Fritz hob den Krug, den der Narr hingestellt hatte, und trank ihn aus.

»Hui!« sprach er, »wir wollen springen! Der Tanzteufel hat mich an den Beinen. Kommt, wir wollen einen Ringelreihen drehn. Eine jede von den Schönen muß mit verbundenen Augen einmal im Kreis stehn und einen Ball werfen. Und wens trifft, den muß sie küssen.« 293

Das ward mit großem Beifall aufgenommen. Die ganze Gesellschaft zog in den Saal zurück. Die Spieler wurden angewiesen. Man stellte sich Hand in Hand in weitem Kranze auf. Als erste mußte Frau Agatha in den Kreis treten. Die Augen wurden ihr verbunden. Der rote Narr sprang herbei und gab ihr den Ball in die Hand. Jetzt rief er: »Los!« Die Musik fiel ein. Der Reigen kreiste und sang dazu:

»Wohlauf, ihr Narren all mit mir,
wer Kopf und Herz verloren.
Ich dacht, ich wär ein Narr allein,
der sind noch mehr geboren.
Und hätt ich aller Wünsche Gewalt,
ich wüßt wohl, was ich wünschen sollt
nach eines Narren Sinne.«

»Halt!« rief der Narr. Der Reigen stockte, Frau Agatha warf und traf Mangold mitten ins Gesicht. »Herz!« rief der Rote. Und er schnellte hinter dem Ritter in die Höh wie ein Hanswurst aus der Scheibe, wenn das Schwarze getroffen ist. Mangold wurde in die Mitte geführt. Die Odheimerin gab ihm einen flüchtigen Kuß. Sie schauerte zusammen, als ihre Lippen die seinen berührten. Man nahm ihr die Binde ab. Sie schien zu taumeln und lief rasch in den Kreis zurück. Die Tanzenden klatschten, die Spieler pfiffen und trommelten Tusch. Der Reigen schwang weiter.

»Ich wollt, ich wär ein Kätzlein klein
und lief in ihrem Hause,
so wollt ich gar verschwiegen sein,
so wollt ich heimlich mausen.
Der Schönsten hüpft ich auf die Decke
und schlief sie dann, ich wollt sie wecken,
gar freundlich wollt ich scherzen.«

Der Ball traf hin und her. Es gab viel Gelächter und Geklatsche. Mangold entwich, als sich der Reigen aufgelöst hatte. Er wollte den Voit suchen und eilte durch alle Räume. In einer der rückwärtigen Stuben erklang andere Musik. Dort schien sich ein besonderes und noch wilderes Fest entwickelt zu haben. Er öffnete die Tür. Ein ungeheurer Jubel empfing ihn. Das ganze Gemach war mit gemalten Felsen 294 und Tannenzweigen in eine Waldhöhle umgewandelt worden. Farbige Laternen hingen von der Wölbung und gaben ein weichdämmerndes Licht, in welchem Elfen, Nixen und Feyen mit Wald- und Wassermännern reihten oder auch in lauschigen Winkeln auf ihren Knien saßen und kosten. Susanna Truchseß stand mitten unter einem grünen Schein. Sie hatte das grüne Gewand abgeworfen und zeigte, nur vom langen Haar umringelt, ihren Wuchs in schmiegender Silberhülle. Und wie zum Hohn hatte sie vor dem Gesicht eine schwarze Halbmaske, unter der ihre blanken Zähne lachten.

Mangold wollte zurück. Aber flugs umringte ihn ein Wirbel schlanker, flimmernder Mädchengestalten. Viele hatten Larven vor. Sie umsangen, umlachten, umschwebten ihn, stießen ihn an und zogen ihn hin und her. Die Männer klatschten, stampften und vollführten gewaltigen Lärm. Mangold fing ein halbnacktes Mädchen und zerriß den Kreis. Das Elschen sprang an ihm empor, umschlang ihn und übergoß sein Antlitz mit einem fliegenden Feuer von Küssen. Er schüttelte sie ab, stürmte hinaus und warf die Tür zu. Endlich traf er den Voit auf dem Gang. Er zog ihn in einen Winkel. »Bist du trunken?« fragte er hastig. Nebukadnezar schüttelte das Haupt. »Du weißt,« sprach er ruhig, »wann alle Kopf stehn, steh ich auf den Beinen.«

»Gut,« versetzte Mangold. »Dann hab die Lieb und nimm meine Frauenzimmer unter deine Flügel, die Odheimerin, das Elslein, die Helena. Weiß nit, wo die Mädels stecken, mußt sie suchen, ich hab genug, ich reit heim.«

Nebukadnezar nickte. »Weiß schon, wo sie stecken. Das Elslein, das hütet einer, ist mir nit bang. Die Helena, die hat fünfe oder sechse an der Nasen, so hüt sie einer vor dem andern und kommt keiner zu, wie sie wohl weiß, das Aas.«

Mangold: »Wann Morgen wird, bring sie nach Rieneck und dann, wann sie munter sind, heim zu mir. Sag, ich wär – ich hätt müssen – sag, was dir daucht!«

Der Voit: »Laß mich nur machen; es wird alles, wie dus willst.«

Mangold schüttelte ihm die Hand. Nebukadnezar sah ihm bedeutsam in die Augen und nickte. 295

Mangold eilte die Treppe hinab. Der schwarze Narr stand unten mit verschränkten Armen im Tor. »Lauf nur,« rief er ihm nach. »Du entrinnst dir so wenig wie mir.«

Der Junker ging in ein Wirtshaus, wo er sein Pferd wußte, fand es im Stall und sattelte es selbst. Als er den Fuß in den Bügel stellte, überkam ihn ein Zögern. Er tat, als wolle er was abschütteln, schwang sich in den Sattel und ritt in der hallenden Gasse hinaus. Hinter ihm ging die Musik aus dem Rathaus dumpf tanzend her. Der Hengst schnob und sprang scheuend zurück, daß die Eisen auf dem Pflaster knirschten. Mangold glaubte, die lange Gestalt des Schwarzen unter einer Fackel zu sehen. Aber es war ein Liebespärchen, das jetzt mit Kichern ins Dunkel trat. Im offenen Stadttor standen Wachleute. Sie grüßten und ließen ihn unbehindert reiten. Der Wind fuhr warm und weich mainaufwärts und über die Brücke her. Mangold schöpfte einigemal tief Atem. Ihm wurde taumlig. Zog der Fluß? Zog die Brücke? Er gab dem Schecken die Sporen und trabte hinüber. Wie sich die Straße kehrte, sah er drüben die hellen Fenster des Rathauses. Und noch immer drang verworren und zerrissen die Musik herüber. Narr! – Wer hatte das gerufen? Das war die Stimme des roten Narren. Er warf sich im Sattel herum. Nichts. Finsternis. Aber ein Tanzen und Quirlen farbiger Lichter auf dem schwarzen Grund. Das war wohl der Wein in seinen Augen. Er schloß die Augen. Nun war das Leuchten, Quirlen und Wirbeln innen. Gesichter, Gestalten, Musik, Farben, Gestalten, Gesichter in melodischen Wellen herangetragen, überschäumend, überstürzend. Und immer ein Antlitz, ein Antlitz. Die Lippen brannten ihm. Er schwankte, riß die Augen auf. Nacht. Schwarze Bergumrisse. Wolkengetrieb mit seltsam leuchtenden Säumen. Fliegende Sterne aufblinkend, verlöschend. Dort über Stadt und Höhen ein ganz großer mit grünem Gestrahl feucht funkelnd. Unten Wasserschein mit Lichtpunkten. Jetzt ging es den Zollberg hinauf. Vierzehn Stunden zuvor sind wir da hinab geritten, der Stadt, dem bunten Fest zu. Es war schön, heiter, lustvoll. Vorbei, vorbei. Kommt nicht wieder. Noch einmal ein Blick zurück. Noch einmal die versinkenden 296 Lichter, die fernen Spiegelflimmer im Fluß. Die Musik – so weit? Wind schwellt sie heran. Wie es orgelt, klingt, seufzt! Nein, das ist die streichende, weiche Luft oben in den kahlen Baumkronen. Halt! Noch einmal ein Blick! Narr! Narr!– Verfluchter Kerl, wo bist du? Ich hau dir das verlarvte rote Gesicht entzwei! – Nichts. – Trab. – Wie der Schnee auf den Höhen leuchtet, als hätt er Licht eingesogen. Ist das schon Morgendämmern? Bergab. Stadt und Lichter hinten versunken. Hu – die Schwüle! Die schwüle, müde Luft! Tal und Wassergeräusch näher, näher heran. Das ist das Wehr und die Mühle bei Schaippach. Dumpfes Brausen nah zur Rechten. Ungewisses Flimmern in glatter Flut und das Blinken der stürzenden Wassermähne am Wehr. Ein paar dunkle Giebel. Ein Hahn kräht verschlafen. Ein Schaudern überläuft den Ritter. Es steigt kühl hier aus dem Wasser. Vorbei. Trab die steinige Straße am Berg entlang. Lichter eines Dorfes, Hundegebell. Rieneck. Zur Linken in eine Talmulde zurückgetreten das Dorf, die dunklen Türme der Burg breit und massig darüber, kaum abgehoben von Berg und Wolken. Stärker fährt der Wind herein. Da sind wir ausgeritten vor Nacht und Tag voll Freudigkeit alle. Wie schön sie war. Narr – noch magst du umkehren. – Vorbei. Trab über eine Brücke und immerzu im Tal an der Sinn hinauf. Der Scheck weiß den Weg im Schlaf. O Schlaf! Schlaf! Die Augen fallen einem zu. Immer das dumpfe Rauschen der Wasser, das Harfen des Windes in hohen Bäumen. Wo bin ich? Eine Höhe, ein Wald vorne – Halt! Scheck, hast du den Weg verfehlt? Ich hab wohl geschlafen und dich zur Seite gezogen? Es tut nichts. Da geht ein Pfad wieder zum Fluß hinab durchs Holz. Es wird schon heller. Immer, immer die Musik. Nein – das Windgetön in den nackten Wipfeln. Abwärts. Ja, das ist der rechte Weg. Eine Lichtung. Wie wunderlich! Scheint der Mond so grün? Ist doch kein Mond. Was flüstert da, was singt, was seufzt? Narr, ich hau dir den Schädel entzwei! Weg, Schwarzer, ich stoß dich durch und durch! Laßt doch, ihr Elfchen, laßt mich aus dem Ringelreihen. Ja, ja, ihr singt schön, ihr seid schön, ihr tanzt so zierlich. Laßt das Schwingen und Schweben, 297 das Blinken und Lachen. Weg, Helena – ich mag dich nicht küssen. Weg – und springst du auch dutzendgestaltig um mich. Lach nicht so, du bist schamlos, du bist halbnackt. Truchsessin, daß Ihr so unter den Mädchen, vor den Männern steht! Weg, du bist eine Hur! Wie? – Frau – Frau Agatha! – Ihr tanzet – so? Wie kommt ihr wieder in die Waldhöhle unter das wilde Volk? Der Kunz lacht, der Rote lacht. Fort – ich hab euch doch hinausgeführt. Nein – nicht den Ball werfen, ihr trefft mich – der Rote hält mich – weg! – Wenns die Leute sehn! Weg! – Nicht küssen! – Wahrlich, du bist schön. Still, still! Die andern sind fort. Da ists dunkel im Wald und der Mond so grün! Wasser blinkt silbern, rauscht, Wind flötet, harft in Wipfeln. Die Tür zu. Der Schlüssel sperrt nicht. Sie kommen schon wieder, sie toben, lachen heran. Fort – flieh! – Voit – dein Mantel! Wer schlägt mich? – –

Mangold fuhr auf. Ein Zweig hatte ihm das Antlitz gestreift. Der Scheck stand. Schwach dämmernd das Band der Straße vorn, das Flüstern des Wassers nebenan. Ja, es ist das Sinntal. Hügel, Wolken, Sterne. Ein grüner Streif im Osten. Er schüttelte sich. Verruchter Traum! Das Blut brauste in seinem Hirn. Immer das Flimmern vor den Augen, die Musik im Ohr, die brennenden Lippen. Müde, müde! So wohlig müd. Könnt man nur in dem weichen, klingenden Wind hinfahren, hinfluten! – Auf! Auf! Und weg! – Er rieb sich die Augen und trieb das Pferd an.

Er ritt weiter, halb träumend, halb wachend, halb denkend, halb träumend. Die Gedanken liefen von selbst, rollten, entliefen, jagten, zerflossen wie Gewölk. Kein Halten, kein Gebieten mehr. Träume quollen auf und fluteten über, nahmen Gesicht, Gestalt. Das Blut voll Rausch und so schwerheiß überm Hirn wie ein glühender Helm. Und wild und brausend in allen Adern. Dreinschlagen, ja, einen anrennen und erschlagen, da würd ihm wohler. Oder tanzen, rasen, trinken – ein Weib umfangen.

Was steht dort lang und schwarz? Es rückt heran groß, größer. Es lauert einer am Waldrand. Schwertgriff! – Hasenfuß! – Es ist nur die Finsternis hinter einem alten 298 Baum. Wie das Herz pocht! Hab doch sonst keine Furcht. Das Blut wie aufgestört und schäumend. – Jetzt schleicht einer nach – zur Linken am Wald her, – zur Rechten am Fluß. Es beugt sich über wie ein langer, dünner Schatten. Es flüstert. Wovor fliehst du? Vor einem Weib? Weil es schön ist? Ha, ha! Bist du ein Ritter? Ein Mann? Ja, ein Mann, stark, schön. Du hast ein Recht wie alle, mehr als viele. Wardst du nicht am Weibe betrogen in deinen besten Jahren? Du hast genug gelebt, geliebt? Du gehst ins Alter? Ei, fühl es doch selbst! Sieh die Jungen neben dir – was sind sie neben dir? Ja, in deinem Blut ist ungeheure Kraft, die nie verrauscht, in deinem Herzen ungeheure Glut, die nie ausbrannte. Wie selig könnt ein Weib sein von dir! Liebe – was ist Liebe? sagtest du und hülltest dich in Eisen, stürmtest in Kämpfen umher. Aber Liebe läßt sich nicht spotten. Sie wohnt innen, wächst still, bricht plötzlich hervor, eine riesige, fressende Flamme. Du liebst sie, belüg dich nicht selbst, du liebst sie. Und sie dich. Weiß sie es? Nein. Ja. Was könnt ihr dafür? Was ist dran!

Wer bist du, klagender Schatten zur Rechten? Was soll das Seufzen im Wind? Margareta? Was weinst du? Nie sah ich dich weinen. Hättest du früher geweint. Hättest du mehr geweint. Du bist es nicht. Doch? Du hast geweint? Einmal? Wann? Als das Kind nicht wurde? Da weintest du – ja. Da schalt ich dich – ja. Du warst selbst schuld daran. Da wußtest du, daß deine Hoffnung dahin sei für immer? Darum weintest du? Um dein Weibtum? Da hätt ich mehr weinen sollen als du selbst. Freilich, dann bist du schier ein Mann worden. Geh. Sprich nicht von solchen Dingen, es widert mich. Ich war hart mit dir? – Und du? – Hättest du mich milder gemacht. Aber du triebst mich in Eisen und Kampf, du selbst. Nie sah ich dich weinen, nie bangen um mich. Du bist nicht schön. – Die ist schön, ja. Die ist Weib, Frau. Wie wohl ists bei dir! Nur nah sein, dein Wesen sehn, deine Stimme hören, das Flüstern deines Trittes! Der Blick wie tief und warm! Die Lippen – wie sie heranblühn – weich – voll Süße – die Gestalt – im grünen Schein –. 299

Er fuhr auf und schüttelte sich. Wahnsinn! Wahnsinn! Gespenster! Weder die eine, noch die andere ist so. Margareta, was schert die sich darum? Du konntest dir ein Frauenzimmer halten wie der Markgraf von Brandenburg – ein halbes Dutzend Weiber oder ein ganzes – sie hätt gelacht dazu, wie die Markgräfin. Wer tuts nicht? Fürsten, Herren, Ritter, reiche Leute, Pfaffen. Aber das war mir widerlich von jung auf. Nein, ich bin aus anderem Holz, schwer, zäh. Und es brennt nicht leicht. Und brennt es, dann ists ein wildes Feuer – loh im Sturm – verheerend – auf Leben und Tod. Auf Leben und Tod. Ja, eine hast du zerstört, und aber eine. Und da – wer ists? Ein Antlitz blaß, halbvergessen taucht auf. Was ist aus der geworden? Was wollt ihr klagende Schatten neben mir? Was konnt ich dafür, daß ich brannte, daß ihr Feuer fingt, wie die Falter hereinzogt ins Licht? Hielt ich nicht die Hände um die Flamme? War ich nicht furchtsam euretwegen? Ihr habts gewollt.

Voit, laß dein trunkenes Reden. Mich schauderts. Ja, ja, das Weib. Eins wächst aus dem andern. Die ists nicht und die nicht. Eine wächst aus der andern, sie versinken, sie steigen, es wogt, es flutet heran, Gestalten, Gesichter, Musik. Ein Antlitz, ein Antlitz – die ists! Eine Gestalt und Arme gebreitet. Es wogt auf und rauscht, umfängt, es zieht nieder in grünen, rotschillernden Schlund.

Gespenster – fort! Wie die Stirne brennt! Wie Augen und Lippen glühn! Es ist keine Kühlung im Morgen, kein Heil in der Flucht. Musik stürzt nach, Wind wogt sie her. Das Singen, das Seufzen in den Wipfeln! Roter, was willst du? Du bist nicht der Pfeifer. Rattenfänger – mich fängst du nicht. Es hat drei geschlagen. Der Hahn kräht. Ja, ja. Es geht zu Ende. Schad – schad um das schöne, bunte, tolle Fest. Es wird grau und kühl. Die Herzen verblühn. Der Schwarze steht schon im Tor unter der tropfenden Fackel. Schnell, schnell noch! Ein Tanz, ein Trunk, ein Kuß! Da ist eine kleine Tür, da ist sie drin und blüht. Die Rose blüht, brennt um dich. Wer sie bricht, der hat sie. – Narr! – Du kämpfst für ein Weib. Alle Welt weiß es – was weiß die Welt? Sie lügt! – Ja, freilich lügt sie – du Narr, du 300 doppelter Narr! Tu, was sie lügt. Lüg die Welt an! Laß den Kampf – nimm das Weib. Vertrag den Handel, alles ist zufrieden. Sie kehrt zurück – nach Farrnbach ins schöne Haus. Wer weiß deine Wege? Wer weiß dein Glück – wer schert sich darum? Wen gehts was an? Alle sind zufrieden. Jetzt ist die Stunde. Du hast den Tucher, Nürnberg muß nachgeben – du hast Ruhm und Glück, hast Nürnberg erobert und – sie. Nürnberg, die Stadt, – sie, das Weib. Sie ist die Stadt, schön, üppig, fraulich, mild, reich. Wie Seide, – wie Samt – ein Rosengarten. Weib, Weib – nicht Landsknecht, nicht Holzbild, – Blume – Weib!

Ein Licht auf der Straße, ein strahlendes Licht. Es kam heran, groß, größer, schweifend, flackernd. Heller Schein wegsuchend, den Wald hinauschweifend, übers Wasser spiegelnd. Eine Gestalt dahinter, ein Reiter, weißer Mantel, riesengroß. Grell und greller der Schein, die weiße Gestalt zu Roß. Nein – es ist wahr – kein Gespenst. Schwert heraus. Der Scheck schnaubt schreckvoll und scheut zur Seite. Sporen hineingepreßt – vorwärts! – Was ist das? Ein Glöcklein. Ein Mann zu Fuß vorn. Er hebt das Windlicht hoch. Der Reiter dahinter ein Priester im Chorrock. Er trägt den Leib des Herrn. Der Küster schwingt das Glöcklein, hebt das Licht, sieht forschend mit ernstem Gesicht den Ritter an.

Mangold riß das Pferd zur Seite, senkte das Schwert, beugte sich tief. Der Priester mit erstaunten Blicken hob das Heiligtum und segnete ihn – einmal, zweimal. Das blanke Schwert funkelte gesenkt im Lichtschein. Der Priester ritt vorüber. Das Glöcklein klang. Er wandte sich und segnete den Ritter noch einmal.

Mangold rief: »Hochwürdiger – wollt Ihr geleitet sein?«

Der Priester mit sanfter Stimme zurück: »Habt Dank, Junker. Es geht nur zur Mühle da hinunter – dreihundert Gäng noch. Und bis ich heimreite, ist Tag.«

Die Erscheinung zog die Straße hinab. Das Licht schweifte über Wald, Fluß, Büsche und schwand kleiner und kleiner.

Mangold steckte dem Schecken die Sporen, klopfte ihm auf den gebogenen Hals und schlug einen frischen Trab am Ganz aufgestört und überwach blickte er umher. 301

Es graute immer heller im Osten herauf. Das laue Wolkengewühl erglomm in bräunlichen und violetten Schimmern. Der Morgenstern strahlte groß und klar.

Immer noch schnob und sang der Wind über die Wälder her. Wipfel bogen sich fliehend. Das sanft umbüschte Wiesental mit dem vielgekrümmten Lauf der Sinn trat dämmernd hervor. Eine verfallene Mühle lag am Weg. Blankes Wasser brauste frisch übers stockende Rad nieder.

Die treibenden Wolken begannen rosig zu erglühen. Ein paar Krähen zogen mit harten, reißenden Schreien waldüber. Das Tal tagte immer lichter. Ein Schloß tauchte mitten im Wiesengrund auf, ein schwerer, wuchtiger Bau mit breitem, vierkantigem Turm aus rohen Bruchsteinen und einfachem, hochgiebligem Haus, von Wällen und verschilftem Wassergraben umgeben. Burgsinn. Der Morgenschein rötete das uralte, düstere Gemäuer. Westlich davon in der Ausmündung des Auratales ein Flecken.

Mangold ritt ohne Aufenthalt zwischen Burg und Flecken hindurch am Fluß hinauf dem Norden zu.

 


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