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Er warf sich mit dem Gesicht flach aufs Bett, und die Gewässer des Marah ergossen sich über ihn. Der Anblick des Glückes, an dem teilzunehmen er alle Ansprüche verloren hatte, war die schmerzlichste Erfahrung, die er bis jetzt durchkostet hatte, und er weinte bitterlich. »Mein Kind! Mein liebes, liebes Kind!« wollte er schluchzen, diesen stolzen Zärtlichkeitsausdruck jedoch durfte er, außer in der schweigsamen Kammer seines leeren Herzens, nicht gebrauchen.
Diese Stimmung jedoch dauerte nur einige Augenblicke, und dann bemächtigte sich seiner eine heftige, fast wilde Eifersucht, und er trocknete seine Augen und verachtete sich seiner eignen Schwachheit wegen. Welches Recht hatte irgend jemand ihn seines Kindes zu berauben? Elin war Fleisch seines Fleisches, und kein Mensch sollte sie ihm nehmen. Selbst das Gesetz würde sein Recht an seinem Nachkömmling anerkennen. Er brauchte nur zu dem Kreisrichter zu sagen: »Sie ist mein,« und demselben würde nichts übrig bleiben als sie ihm auszuliefern.
Dann folgten ruhigere Augenblicke, während der er einsah, daß er seine rechtmäßigen Ansprüche an seine Tochter nur dann behaupten könne, wenn er seine Persönlichkeit enthülle, und das war außer Frage. Und selbst wenn es möglich wäre, seine Tochter mit Gewalt zu entführen, würde es ein armseliger Triumph sein ihren äußeren Menschen mit fortzunehmen, wenn ihre Seele zurückbliebe. Jeder Mensch hat das natürliche Verlangen sich von seinen Kindern geliebt zu sehen, was aber war es nütze seine Rechte an Elin geltend zu machen, wenn dieselbe ihren Vater nicht lieben konnte.
Er öffnete die Augen, um den Aufruhr seiner widerstreitenden Gefühle zu beruhigen, und sein Blick fiel auf eine verblaßte kleine Photographie in einem Rahmen auf dem neben dem Bette stehenden Tisch. Es war eine alte Photographie Thoras, und er erinnerte sich ihrer sofort; es war dieselbe, die in glücklicheren Tagen Tante Margret gehört und auf ihrer Kommode neben der Tür gestanden hatte. Er nahm sie in seine zitternde Hand und hielt sie gegen das Licht, und dann fühlte er sich in einem Augenblick, wie durch eine nur dem Allmächtigen bekannte Zauberkraft in das Regierungsgebäude und in das Geburtszimmer Elins zu Thora zurückversetzt und hörte sie in der zitternden Freude ihrer jungen Mutterschaft ihm zuflüstern: »Küsse mich, Oskar! Lege deine Arme um uns beide, Geliebter! So – so!«
Zugleich mit diesem Bilde erwachte die Erinnerung an Thoras süße Weichherzigkeit in ihm und brachte einen neuen, beseligenden Gedanken mit sich. Wenn Elin durch das Recht der Natur ihm gehörte, würde auch die Natur selbst für ihn sprechen. Er würde nur zu sagen brauchen, »ich bin dein Vater; du bist meine Tochter,« und sie würde zu ihm eilen – sie würde nicht anders können – weil die Natur etwas Gewaltiges ist, und niemand von uns der geheimnisvollen Stimme, die von dem Blute des, der uns gebar, zu unserm Blute spricht, widerstehen kann.
Er wollte es tun. Er wollte das Mädchen allein zu treffen versuchen und mit ihm sprechen. Er wollte das Geheimnis seines Lebens in das Ohr des eignen Kindes flüstern, und die wunderbare Mutter unser Aller würde dann schon das Übrige tun.
Als er in die Halle zurückkehrte, schüttelte Elin das Tischtuch aus und räumte die letzten Abendbrotsachen fort, ausgenommen die Flasche mit den Gläsern, die sie auf dem Tische stehen ließ. »Jetzt muß es sein,« dachte er, und trotzdem sein Herz in dem Gedanken, daß es so weit hatte kommen müssen, und er genötigt war in dem Kampf um Leben und Liebe seine letzte Karte aufs Spiel zu setzen, sich krampfhaft zusammenzog, wagte er doch sein Glück noch einmal.
»Es war sehr edel von dir, mein Kind,« sagte er, »daß du dich für Armut entschiedest, wo du zwischen ihr und Reichtum die Wahl hattest. Du hast ganz recht getan, denn Reichtum ist nur von dieser Welt, und der Engel, der unser Glück in Händen trägt, fragt nicht, ob wir arm oder reich sind.«
Seine Stimme stockte einen Moment, als er zu dem gelangte, was er zunächst zu sagen gedachte; er raffte sich jedoch auf und fuhr fort:
»Es war sehr lieb von dir, bei deinem Onkel und deiner Großmutter bleiben zu wollen, anstatt mit einem Fremden zu gehen, denn als dein eignes Fleisch und Blut haben sie natürlich die ersten Anrechte auf dich. Wenn aber – wenn ich statt Christian Christiansson dein eigner Vater gewesen wäre – würdest du dann mit mir gegangen sein?«
Elin antwortete nicht sofort, und er blickte ihr in dem Bewußtsein, daß seine ganze Hoffnung, sein ganzes ferneres Lebensglück von ihrer Antwort abhinge, mit äußerster Spannung in das Gesicht.
»Würdest du es?«
Das liebliche, junge Gesicht blickte einen Augenblick verstört drein, und dann schüttelte Elin langsam, sehr langsam und traurig das Haupt.
Ihm war zumute, als ob er sein Todesurteil hörte; während seine Gesichtszüge sich aber bewölkten und trübten, klärten diejenigen des Mädchens sich zu einer schönen Ruhe auf.
»Ich sehe nicht ein, welch einen Unterschied das machen könnte,« sagte sie. »Wie könnte ich für Sie die Empfindung wie für einen Vater hegen, wenn ich Sie nicht, solange wie ich mich erinnern könnte und länger schon, gekannt hätte. Ich nenne den einen Vater, der mich als kleines Ding auf den Knien geschaukelt und geküßt, in Krankheit gehätschelt und stets an mich gedacht und für mich gesorgt hat, und nicht jemand, der mein ganzes Leben von mir fort war und sich nie um mich gekümmert hat, und den ich, wenn ich ihm auf der Straße begegnete, nicht kennen würde.«
»Aber fühlst du denn nicht, meine Liebe, daß in dem Verhältnis eines Kindes zu ihrem Vater, wie sehr er es auch vernachlässigt haben mag – etwas Vertrautes, Heiliges liegt – etwas, das du in deinem Verhältnis zu jemand anderem, wieviel er auch immer für dich getan haben mag, nie empfinden kannst – fühlst du das nicht, Elin?«
Wieder dachte das Mädchen einen Augenblick nach, und wieder schüttelte es den Kopf.
»Aber wenn ich nun zu dir sagen würde: »Mein Kind, mein liebes, liebes Kind, ich mag nichts für dich getan haben, aber ich bin dennoch dein Vater, und du bist das Einzige, was mir jetzt geblieben ist, und du mußt nun mit mir kommen, damit du mir eine Tochter sein kannst und wir uns nie wieder trennen mögen« – wenn ich das zu dir sagte, würdest du doch noch an deinem Onkel festhalten?«
Die bebende Leidenschaftlichkeit, mit der er diese flehenden Worte gesprochen hatte, brachten Tränen in Elins Augen, ihr Herz aber blieb fest und stark.
»Ja,« sagte sie, »ich könnte nicht anders, denn Onkel Magnus wäre ja schließlich doch mein wirklicher Vater gewesen.«
Es war alles vorüber. Er hatte seinen letzten Halt über das Mädchen verloren. Wieder fühlte er, als ob die Welt ihn ausgestoßen, als ob die dunkle Hoffnungssäule, die für einen Moment ihm ihre Lichtseite gezeigt hatte, sich wieder gewandt und alles in hoffnungslose Finsternis gehüllt hätte.
Er hatte gehofft, die Natur würde zu dem Mädchen sprechen, sie hatte es aber nicht getan. Die Natur war ein großes, unerbittliches Werkzeug in der Hand Gottes, und die Hand Gottes lag schwer auf ihm. Wie er gesät hatte, so erntete er – wie er Magnus die Liebe Thoras genommen hatte, so nahm nach vielen Jahren Magnus ihm die Liebe Elins. Es war gerecht, es war unvermeidlich, und er mußte in stummer Ergebung sein Haupt vor der Gerechtigkeit und Strafe Gottes beugen!
Wie er es betreten, so mußte er das Haus wieder verlassen, nicht nur, ohne sich seiner Mutter und seinem Bruder zu erkennen zu geben, sondern auch ohne sein Kind. Es würde der bitterste Augenblick seines Lebens sein, er mußte ihm aber ins Auge blicken und weiter gehen.
»Du hast ganz recht, meine Liebe – ganz recht,« sagte er. »Eines Kindes Liebe ist wie eine Blume am Fenster – ohne daß jemand sie begießt, kann sie nicht gedeihen. Dein Onkel hat alles dies für dich getan und ist zu deiner ganzen Liebe berechtigt. Es würde nicht billig sein, wenn dein Vater nach allen diesen Jahren zurückkehren und dich ihm fortnehmen sollte. Halte fest an ihm, Elin, liebe ihn, tröste ihn, und möge Gott dich für deine Treue und Zuversicht segnen!«
Er hatte mutig zu sprechen versucht, hier jedoch brach seine Stimme, und er war genötigt, einen Augenblick inne zu halten, dann sagte er gelassener:
»Kannst du mir Papier und Tinte und eine Feder geben, Elin?«
Sie brachte das Verlangte, und er setzte sich an den Tisch und schrieb ein paar Zeilen. Dann zog er sein Taschenbuch hervor, öffnete es, legte das Papier hinein und verschloß es wieder.
»Elin, willst du mir einen großen Gefallen tun?«
»Gewiß, gern, Herr,« sagte das Mädchen.
»Es ist spät, und ich habe einen langen Tag hinter mir und ich möchte morgen früh, wenn die Versteigerung beginnt, noch nicht auf sein. Willst du dieses Taschenbuch an dich nehmen und es dem Kreisrichter sofort nach seiner Ankunft einhändigen?«
»Mit Vergnügen, Herr.«
»Du wirst es weder öffnen noch irgend jemand zeigen, sondern es sofort auf dein Zimmer tragen und unter dein Kopfkissen legen, und morgen wirst du früh auf sein und es dem Kreisrichter, ehe er mit dem Verkauf beginnt, übergeben – willst du dies für mich tun, mein liebes Kind?«
»Gewiß, gern, mein Herr.«
»Danke! Und nun mußt du zu Bette gehen. Mein Kind! Lebewohl!«
»Aber ich werde Sie doch am Morgen noch sehen, Herr?«
»Wer weiß? Wir mögen beide um die Zeit an andere Dinge zu denken haben, so sagen wir einander lieber jetzt Lebewohl.«
»Aber werde ich Sie niemals wiedersehen, Herr?«
»Wer kann das sagen? Ich bin weit hergekommen und mag noch –« er zögerte und sagte dann, sich abwendend, »ich mag noch weiter zu gehen haben.«
»Sie sind sehr gütig zu mir gewesen, Herr – es tut mir leid, daß ich nicht mit Ihnen kommen kann.«
»O, Gott verhüte! ... Ich meine, du kannst es nicht – ich sehe ein, du kannst es nicht! Aber wenn du es gekonnt hättest, würde ich dich sehr lieb gehabt haben, und wir würden so gute Freunde miteinander gewesen sein.«
»Ich werde Sie nie vergessen, Herr.«
»Ich dich auch nicht. Ich werde immer an das tapfere kleine Mädchen denken, dem ich einmal – nur einmal – begegnet bin – und das ich dann nie wiedersehen konnte.«
»Sie sind mir nur ein Fremder, Herr, aber doch – doch –«
»Ja, ich bin dir nur ein Fremder, mein Kind, aber wir sind auf dem großen Ozean des Lebens zusammengetroffen, und nun – nun müssen wir Lebewohl sagen und uns trennen.«
»Leben Sie wohl, Herr!«
»Lebewohl, kleines Mädchen, und Gott segne dich!«
Elin schritt auf ihre Schlafkammertüre zu, dann stand sie still und wandte sich um und sah nach ihm zurück. Ihre Augen waren voll Tränen – sie wußte nicht weshalb. Die Natur flüsterte ihr endlich etwas ins Ohr – sie wußte nicht was.
Er blickte ihr mit dem ganzen Verlangen seiner durstenden Seele auf seinem zuckenden Antlitz nach, und als sie sich umwandte, streckte er die Arme nach ihr aus.
»Elin!« flüsterte er, und sie kam zu ihm zurück, und er drückte sie ans Herz und küßte sie auf die Stirn und auf die Lippen. O süße, weiche, warme Lippen, er fühlte sie bis ans Ende!
Nebel umflorte seine Augen; er hörte sich entfernende Fußtritte; er hörte eine Türe sich öffnen und schließen, und dann – dann war sein Kind verschwunden.
Christian Christiansson war allein. Er fühlte, daß er den größten Verlust seines Lebens erlitten hatte, und daß nichts als eine weite Leere vor ihm lag, in die hinein er kriechen möchte und sterben. Konnte er nach Reykjavik zurückkehren? Das war unmöglich. Der Minister und seine Bürger wollten ihm zu Ehren ein Gastmahl bereiten, und eine derartige Lustbarkeit mitzumachen, würde ein glühendes Märtyrertum sein, worüber der Teufel selbst lachen würde. Konnte er nach England zurückkehren und sein altes Leben als berühmter Komponist und doch unbekannt wieder aufnehmen? Das war ebenfalls unmöglich, denn er konnte nie wieder komponieren wie er es getan, weil der alte Impuls fehlte, das Feuer ausgebrannt, das Leben, das ihn begeistert hatte, tot war, und weil die Grundlage seines Ruhmes durch die neue Erkenntnis, daß er kein Recht auf denselben habe, durch das Gefühl, daß seine Laufbahn und alles was sie mit sich brachte, auf der Schändung des Grabes seiner Frau beruhe, und durch die Gewißheit, daß er seinen Erfolg mit dem Schweiße seiner innersten Seele erkauft habe, erschüttert worden war.
Was lag also vor ihm? Alter? Was war das Alter ohne Freunde, ohne Kinder, ohne Liebe, ohne Achtung und mit Erinnerungen – diesen letzten Freuden des abnehmenden Menschenlebens – die einem vergifteten, durch ein wüstes Land laufenden Flusse glichen?
Lag also gar nichts mehr vor ihm? Ja, da war Eines – Eines nur – und als er mit über die Hände gebeugtem Kopf allein in dem Zimmer am Tische saß, durchdrang, durchzuckte und durchschauerte ihn eine Empfindung, als ob übernatürliche Schwingen sich über ihn ausbreiteten, und eine schauerliche Stimme ihm ins Ohr riefe: » Der Lohn der Sünde ist der Tod!«
Denselben Augenblick wurde er sich anderer Stimmen – menschlicherer, heimischerer, um ihn herum murmelnder Stimmen bewußt, und eine derselben sagte: »Er ist eingeschlafen, der arme Herr,« und eine andere: »Er hat vielleicht zu viel getrunken.« Dann berührte eine Hand seine Schulter, und jemand rief in sein Ohr:
»Sollten Sie nicht lieber zu Bett gehen, Herr?«
Es war seine Mutter mit Magnus hinter sich, und nach ihrem Aussehen zu urteilen, schienen sie ihn für betrunken zu halten. In der wilden Drangsal seines Herzens und Gehirnes paßte ihm dies, und wahrlich, die Nervenüberreizung war so groß gewesen, daß er beim Aufstehen wie ein Trunkener schwankte.
»Halloh! Was ist das?« lachte er. »Ihr Branntwein muß etwas berauschend sein, Frau Wirtin. Aber es macht nichts! Er wird als guter Nachttrunk dienen und mich desto fester schlafen machen. Ich bin müde, sehr müde, aber ich werde endlich einen langen Schlaf halten – endlich einen langen, langen Schlaf.«
»Aber morgen ist Neujahrstag,« sagte Anna. »Bei Tagesanbruch schon läuten die Glocken, und der Kreisrichter wird bald darauf hier sein, also müssen Sie, wenn Sie für die Versteigerung bereit sein wollen, früh aufstehen.«
»Ja, wahrhaftig, das muß ich – ich hatte alles das vergessen – und da wir über das Mädchen uns doch nicht verständigen können, muß ich das Pachtgut unter allen Umständen kaufen. Ich sagte Ihnen, ich hätte einen besonderen Zweck für dasselbe, ohne ihn Ihnen mitzuteilen. Es ist ein Geheimnis, Frau Wirtin, Ihnen kann ich es aber anvertrauen. Ich möchte das Gut für meine Mutter haben.«
»Ihre Mutter?«
»Gewiß! Sie ist in dieser Gegend geboren, und das arme alte Wesen möchte ihre Tage hier beenden.«
»So bat sie Sie unser Gut zu erstehen?«
»Sie nicht! Sie weiß nichts davon. Das soll meine Überraschung sein. Ich bin kein guter Sohn gewesen, aber wenn ich, um nie wiederzukehren, fortgehe, möchte ich es mit dem Bewußtsein tun, daß die liebe alte Seele sich glücklich und behaglich fühlt und ein Dach über ihrem Kopfe hat.«
Er lachte in demselben Gefühl hysterischer Herzensbeklemmung wie vorher, und wandte sich dann mit den Worten an Magnus:
»Es tut mir leid, Ihnen das Haus überm Kopf wegnehmen zu müssen, aber Geschäft ist Geschäft, und einem jeden, der das Geld dafür hat, steht es frei, für dasselbe zu bieten, wie Sie wissen.«
Magnus wandte sich mit verächtlichem Ausdruck ab.
»Schauen Sie nicht so mürrisch drein, lieber Mann. Sie denken, es ist Ihnen unrecht geschehen, und vielleicht ist es das auch, aber doch, wenn ich es Ihnen sagen soll, sind Sie der glücklichste Mensch Islands. Sie meinen, weil Sie stets recht gehandelt haben, müßten Sie belohnt werden, aber welch ein Recht haben wir armen Tröpfe, Belohnung in dieser Welt zu erwarten? Sie meinen, weil ein Mann reich ist, ist er zu beneiden, was aber nützen ihm volle Taschen, wenn das Herz leer ist? Und Sie meinen, weil der Tod die Unschuldigen und die Glücklichen sich wählt, sei er ein grausames Ungeheuer. Es gibt aber schlimmere Dinge als den Tod, und das Leben derer, die niemanden haben, dem daran liegt, ob sie leben oder sterben, gehört zu ihnen. Also erheitern Sie sich, alter Bursche! Sie haben Ihre Gesundheit und Ihren guten Namen, und Ihre Mutter und das süße Mädchen zum Lieben und zum Sichliebenlassen, worüber also in des Teufels Namen haben Sie sich zu beklagen? Über nichts, über gar nichts!«
Wie er alles dies mit einem Gemisch von wahrer Bewegung und spottender Hänselei heraussagte, überkam ihn für einen Augenblick eine Anwandlung wie aus seiner Knabenzeit, und er legte seinen Arm um seines Bruders Schultern, wie er es in früheren Zeiten zu tun pflegte. Magnus aber schauderte und bebte vor ihm zurück.
»Das Licht brennt in Ihrem Schlafzimmer, Herr,« sagte Anna kalt.
Und dann bemerkte er, daß seine Mutter ihn ebenfalls mit finsteren Blicken betrachtete, wie jemanden, der, um sie von Haus und Hof zu jagen, um ihnen das Mädchen zu entlocken, sich über ihre Verhältnisse lustig mache und nur aus Eigensucht gekommen sei. Und in dem Gedanken, daß er sie jetzt zum letzten Male sähe, daß er sich den Abschied so ganz anders ausgemalt hatte, daß alle Hoffnung auf Vergebung und Versöhnung dahin sei und seine Mutter nie erfahren würde, daß ihr beharrlicher Glaube an ihren verlorenen Sohn gerechtfertigt und er da gewesen und wieder gegangen sei, bedurfte es seiner ganzen Kraft, um nicht zusammenzubrechen und sich zuguterletzt nicht noch zu verraten.
Seine Kleider, die zum Trocknen am Ofen gehangen hatten, zusammenraffend, kehrte er sich dem Schlafzimmer zu und sagte unter abermaligem Lachen – unter einem Lachen, das Annas Herz wie mit einem Schwert durchbohrte:
»Machen Sie kein so betrübtes Gesicht, Wirtin. Wenn die Sachen am schlimmsten stehen, dann können sie sich nicht anders als zum Guten wenden. Sie haben Sorgen in Hülle und Fülle gehabt, morgen früh aber werden Sie unter meiner Mutter Dach auf meine Gesundheit trinken. Gute Nacht!«
Und dann taumelte er in das Fremdenzimmer.