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Bevor Oskars Brief nach Island gelangte, waren dort große Veränderungen eingetreten. Die Entfremdung zwischen dem Gouverneur und dem Faktor hatte sich zu offener Gegnerschaft entwickelt. Alle Welt wußte davon, und die gegenseitigen Feinde hatten sich diesen Haß zunutze gemacht.
Der Faktor hatte zuerst darunter zu leiden gehabt. Der Niedergang des Tauschhandels, den Magnus vorhergesagt hatte, war schon eingetreten, und das Geschäft des Faktors wie ein loses Reisigbündel in Stücke gegangen. Es findet sich immer ein guter Grund, um einen fetten Ochsen zu schlachten, und während die Leute gesagt hatten »der Faktor gibt dem Pächter was er Lust hat für seine Wolle, und läßt ihn für ausländische Produkte ebenfalls bezahlen, was er Lust hat,« lag der wahre Grund für die Angriffe gegen sein Geschäft doch in der Furcht, die er der Stadt zur Zeit von Oskars Wahl eingejagt hatte.
Oddsson, der damals geschlagene Kandidat, hatte nicht eher geruht, bis er eine Handelsgesellschaft auf Barzahlungsprinzip gegründet hatte. Auch diese Gegnerschaft würde der Faktor unterdrückt haben, denn er war reich, während die Pächter arm waren; aber Oddsson hatte sich einen mächtigen Bundesgenossen in der angesehensten Persönlichkeit gesichert. Wie der Schmied seine Zangen braucht, um seine Finger zu schonen, so hatte Oddsson den Gouverneur benutzt, um seine Gesellschaft zu sichern.
Der Gouverneur hatte sehr wohl gewußt, daß Oddsson sein Feind war, und daß seine Partei, wenn sie die Oberhand gewänne, die alte Ordnung der Dinge umkehren würde, aber er vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen, sich mit ihm bei der Zugrunderichtung des Faktors zu beteiligen. Durch seine Beihilfe wurde der Prioritätszolltarif mit Dänemark rückgängig gemacht, die isländischen Märkte für englische Produkte geöffnet, und damit dem Tauschhandel der Todesstoß versetzt.
Drei Monate lang hatte der Faktor seine Türen offen gehalten, indem er unter dem Einkaufspreise verkaufte und über den Marktwert bezahlte, aber er sah das Ende vor Augen. An der Bank raunte man sich zu, daß er seine Aktien und Staatspapiere, sowie seinen Landbesitz und sein bewegliches Eigentum zu Geld mache, und daß früher oder später ein großer Krach bevorstände. Niemand bedauerte ihn, und einen Mann gab es, der sich im Grunde seines gequälten Herzens darüber freute.
Aber der Schläger hat oft nur eine kurze Freude über seinen Streich, und als Oddsson und seine Partei, nach Erledigung des Handels ihre Aufmerksamkeit auf konstitutionelle Angelegenheiten richteten, da beteiligte sich der Faktor, trotzdem er sie haßte, an ihrer Agitation. Der Winter war sehr streng gewesen, mehrere von den alten Parlamentsmitgliedern waren gestorben, und bei jeder Nachwahl hatte der Faktor das Gewicht seines noch vorhandenen Einflusses und die Macht seines schwindenden Vermögens in die Wagschale geworfen. Als der Frühling zu Ende ging, hatte man die Gewißheit vor Augen, daß bei der nächsten Session im Althing ein Gesetz über die Neuordnung der Verfassung und die Aufhebung der Statthalterschaft durchgehen würde.
So hatten beide Männer, die fünfzig Jahre lang Schulter an Schulter gestanden hatten, sich zugrunde gerichtet, indem einer den andern vernichtete, und die alte Prophezeiung war eingetroffen, daß wenn der Gouverneur und der Faktor aufhören würden Freunde zu sein, bitterste Feindschaft zwischen ihnen entstehen würde.
Anna hatte vergeblich Frieden zu stiften versucht. Als der Hader erst im Entstehen war und sich hauptsächlich um die Kinder drehte, hatte sie mit freundlichem Tone zu widersprechen versucht. »Laß doch, Stephen, Verzeihung ist die beste Strafe – du mußt dich mit dem Faktor aussöhnen.«
»Er hätte meinen Sohn retten können, wenn er nur den kleinen Finger hob, aber er wollte es nicht. Ich versöhne mich niemals mit ihm,« sagte der Gouverneur.
»Oskar Neilsen,« sagte Anna, als sie den Faktor auf der Straße traf, »wann kommst du einmal, um Stephen zu besuchen? Wenn du noch lange fortbleibst, wird sich der Haushund auf dich stürzen.«
»Der Haushund stürzte sich auf mich, als ich das letztemal dort war, Anna. Ich traue ihm nie wieder,« sagte der Faktor.
Als der Hader zunahm und häßlich und persönlich wurde, dachte sich Anna andere Versöhnungsmittel aus. Das Kind war das letzte Bindeglied zwischen dem Gouverneur und dem Faktor – es sollte sie wieder zusammenbringen. »Gott weiß diese kleinen Engel immer zu benutzen,« sagte sie.
Tante Margret beteiligte sich bei diesem Komplott und die beiden alten Wesen brüteten allerlei Pläne aus – einfache und durchsichtige, aber gutgemeinte und echt weibliche, um die beiden Männer in dasselbe Zimmer zu bekommen. Es glückte ihnen nie, aber tausend Sonnenstrahlen gingen doch von der Wiege des Kindes aus, und nach und nach begann die Eiskruste, die sich um die Herzen der Männer gelegt hatte, zu schmelzen.
Als das Kind das erste kurze Kleidchen anhatte, wurde es in das Regierungshaus hinübergebracht und mit seinem Wagen in das Bureau des Gouverneurs gefahren.
»Ist sie nicht ein süßes kleines Geschöpf, Stephen?« fragte Anna, und Tante Margret sagte:
»Der süße Liebling könnte seinem Vater gar nicht ähnlicher sehen, wenn er nicht auch seiner Mutter so wunderbar gleich wäre.«
Der Gouverneur blickte stumm auf das kleine Gesichtchen nieder, und als das Kind mit Thoras Augen und Oskars Lächeln zu ihm aufsah, da ging er in sein Schlafzimmer hinauf, und Anna hörte, wie er die Tür verriegelte.
Als das Kind den ersten Zahn bekam, und jeder ihm, der Sitte nach, ein »Zahnhonorar« geben mußte, fand der Faktor, als er abends nach Hause kam, keine Geschenke auf dem Kinderstubentisch, aber die Kleine saß aufrecht in den Kissen ihrer mit blauen Spitzen verhangenen Wiege und erfüllte die Luft mit dem göttlichen Mißklang einer silbernen Kinderklapper.
»Das ist Stephens Geschenk, und es muß ihm ein kleines Vermögen gekostet haben,« sagte Tante Margret, worauf der Faktor, trotz seiner Müdigkeit, auf die Landstraße hinausging, wo er nichts weiter hörte als das kalte Wellenklatschen der See.
Die Liebe zu der Kleinen brachte die beiden Männer nicht zusammen – sie machte sie einander nur noch mehr abwendig. »Der Mann gibt sich Mühe, das Kind in die Hände zu bekommen,« dachte der Faktor. »Er und die Seinigen haben mir meine Töchter geraubt, nun versucht er es, mir auch meine Enkelin zu nehmen.«
»Sie ist das Kind meines Sohnes,« dachte der Gouverneur, »und das Kind meines Sohnes ist mein Kind – warum habe ich es jenem Manne überlassen?«
»Es nützt uns Frauen alles nichts,« sagte Tante Margret. »Man kann ein Schwert nicht mehr zurückziehen, wenn es das Herz getroffen hat.«
Aber nun kam Oskars Brief und Annas Hoffnungen belebten sich wie mit einem Schlage. Sie freute sich wie ein Kind darüber. Ihr Glück war so groß, daß sie nicht den geringsten Makel an dem geschilderten Bilde erblickte. Oskar war wohl, er kam glänzend vorwärts und ließ alle Welt grüßen.
Sie las den Brief zuerst dem Gouverneur vor, und als er ihn gehört hatte, ging er auf das Feld hinter dem Hause hinaus, wo die Eidergänse ihre neuen Nester am Rande des Fjords bauten und die Schaluppen der Fischer vor Anker gingen. Dann brachte sie ihn zum Faktor hinüber, steckte ihn dem Kinde aufgerollt in die Hand wie eine zweite Klapper und ließ ihn Tante Margret da, um ihn ihrem Bruder zu zeigen.
Aber es war ein böser Tag für den Faktor gewesen, und als Anna Oskars Brief zurückerhielt, war er mitten durchgerissen und stak in einem Kuvert. Anna war ganz verzweifelt, daß man so mit ihrem Schatz umgegangen war, denn kein sechzehnjähriges Mädchen hatte je seinen ersten Liebesbrief so geliebt, und sie hatte ihn jedermann zeigen wollen – dem Bischof, dem Rektor, dem Kreisrichter, und vor allem Magnus.
Magnus war im Laufe des Winters in längeren Pausen gekommen und wieder gegangen. Es war eine ebenso harte Zeit für ihn gewesen wie für andere, und er hatte angefangen, sich klar zu machen, wie schwer es sein würde, wenn sein Vater nicht mehr wäre und er allein die Last der riesigen Hypothek tragen müßte. Aber härter als alle Winternot war es für ihn gewesen, zu sehen, wie sehr seine Mutter unter Oskars Schweigen litt.
»Noch immer keine Nachrichten?« pflegte er zu fragen und Anna antwortete stets »Nein« und wieder »Nein«, mit zahllosen Erklärungen und Entschuldigungen.
So ging es während der dunklen Tage, und seine Gefühle für Oskar verhärteten sich wie der Boden, den er überschritt. Aber als der Schnee fort war und er mit der Frühlingskarawane nach der Stadt kam, trat ihm Anna mit einem Gesicht wie die aufgehende Sonne entgegen, und er wußte sogleich, daß endlich ein Brief gekommen sein mußte. Natürlich kam er auch in derselben Minute aus dem Brustlatz ihrer gestickten Treya zum Vorschein, noch ebenso durchgerissen, wie ihn der Faktor zurückgeschickt hatte, und sie bat ihn, eine Antwort darauf nach ihrem Diktat zu schreiben. Er schrieb folgendes:
»Mein lieber Sohn! – Dein Brief ist glücklich mit dem letzten Dampfer angelangt und hat uns durch seine guten Nachrichten für die lange Zeit entschädigt, die wir auf ihn warten mußten. Wir freuen uns so sehr zu hören, daß Du gesund bist und vorwärts kommst und das Leben in der großen englischen Stadt genießest. Lange Zeit fürchtete ich, es möchte anders sein, aber nun habe ich ja Deinen Brief und bin glücklich und zufrieden.
Ich bin stolz, daß mein Sohn in so gute und vornehme Gesellschaft gekommen ist, und obgleich Dein Vater wenig darüber sagt, so bin ich doch überzeugt, daß er ebenso denkt. Er sagte stets, Du würdest eines Tages selbst Großes leisten und es liegt nicht in Gottes Güte, solche Erwartungen zu täuschen, die auf so gutem Grunde beruhen.
Und nun habe ich Dir noch mitzuteilen, daß Dein Vater sich körperlich wohl befindet, obgleich er ein wenig von weltlichen Sorgen bedrückt ist, aber ich sage ihm, unsere Heimat in diesem Leben befindet sich immer auf einem steilen Felsen, und wenn wir auf Gott vertrauen, dann haben wir keinen Grund, uns zu fürchten. Was mich betrifft, so fühle ich mich so wohl, wie es in meinem Alter erwartet werden kann; aber mein linkes Ohr macht mir mitunter zu schaffen, und meine Augen sind auch nicht mehr die alten beim Stricken und Lesen von kleiner Schrift. Aber ich darf mich nicht beklagen, denn es ist wohl eine Gnade von Gott, daß er bei uns alten Leuten die Sinne langsam absterben läßt, so daß wir, wenn es wirklich zum Sterben kommt, nicht unvermutet dahingerafft werden.
Magnus schreibt diesen Brief; er ist kräftig und munter. Der Schnee lag dies Jahr sehr hoch auf dem Pachthof, und er hat sechs Stück seiner besten Schafe verloren; aber die Lämmer sind gut geraten, und nun sind sie auf den Bergen und die Mutterschafe geben gute Milch, und auf den Wiesen am Hause wird Heu gemacht.
Ich muß Dir noch sagen, daß diejenige, nach der Du frägst, zu ihrer Mutter nach Kopenhagen zurückgegangen ist und es gibt manche hier, die es nicht bedauern. Um die bösen Zungen zum Schweigen zu bringen, die hier schlecht von Dir sprechen, bin ich manchmal versucht ihr die Schuld an allem was geschehen ist, zuzuschieben; aber wie darf ich mir herausnehmen, irgend jemand zu verdammen? – Ich wünsche ihr auch nichts Schlimmeres, als daß sie bald ein gottesfürchtiges Mädchen werden möge.
Margret Neilsen ist ganz die Alte, ein gekrümmter Zweig, mit viel Lebenssaft darin, und der Faktor würde ganz munter sein, wenn er nicht die böse Hüfte hätte. Er ist ebenso wie Dein Vater von allerlei weltlichen Sorgen schwer bedrückt, und nimmt es sehr übel auf, daß der Abend seines Lebens so reich daran ist.
Und nun muß ich Dir von Deiner kleinen Elin erzählen, daß sie so wohl und vergnügt ist wie nur möglich; sie hat zwei Vorderzähne bekommen und ihr Haar lockt sich über der Stirn. Sie ist das süßeste Kind, das je geboren wurde, und wenn sie lacht, dann sieht sie jemand so ähnlich, daß mir beinahe das Herz bricht, wenn ich sie ansehe. Margret ist so gut zu unserm Liebling, als ob sie seine eigene Mutter wäre, und für Deinen Vater und den Faktor gibt es nichts Lieberes unter der Sonne als das Kind. Und was mich betrifft, so geht mir das Herz beinahe über, wenn ich daran denke, daß Gott in seiner Güte uns alten Leuten diesen kleinen Engel geschickt hat, als Trost nach all unserm Kummer, denn sie ist wie der Frühling nach einem harten Winter, wenn Schnee und Eis solange angehalten haben, daß wir denken, wir können nie wieder Gras sehen oder die Flüsse rauschen hören, und dann sind plötzlich die grünen Felder wieder da und die glitzernden Flüsse und die ganze fröhliche Blumenpracht.
Und nun mußt Du Deiner Mutter nicht böse sein, wenn sie Dir, trotzdem es Dir so gut geht, ein kleines Geschenk schickt. Maria ist den ganzen Tag in der Küche gewesen und hat Deine Schulkiste gepackt und Gott weiß was sie alles hinein getan haben mag. Aber ich stricke Dir ein paar Strümpfe aus der braunen Wolle von der alten Maggie und ich hoffe, Du wirst es nicht verschmähen sie zu tragen, denn sie halten Dir bei kaltem Wetter die Füße warm, während die englischen Socken so baumwollen und dünn sein müssen. Dann fiel mir auch ein, wie gern Du immer unser geräuchertes Hammelfleisch mochtest, und so sagte ich Maria, sie möchte etwas davon einpacken und auch ein paar Rollen Rullapilsa.
Der Gouverneur darf es nicht erfahren, daß ich Dir Hammelfleisch schicke – er würde es so töricht und unnütz finden – und natürlich kann ich nicht erwarten, daß Du es, wo es soviel Gutes zu essen und zu trinken gibt, Deinen englischen Freunden anbieten wirst; aber vielleicht kannst Du es irgendwo in einem Schrank aufbewahren und eine Scheibe davon essen, wenn Du ganz allein bist.
Und nun muß ich schließen, denn Magnus ist mit seinem Papier zu Ende. Es freut mich so sehr, daß Du ein behagliches Schlafzimmer hast, und ich wollte, ich könnte Deiner Wirtin danken, daß sie so mütterlich und freundlich zu Dir ist. Ich werde sie in dieser Welt wohl nie zu sehen bekommen, aber wir treffen uns eines Tages im Himmel und dann will ich ihr danken.
Und nun, mein lieber Sohn, vergiß inmitten Deines großen Wohlstandes nicht, daß alle gute Gabe von Gott kommt und denke daran, stets auf Ihn zu vertrauen. Seinem Schutze empfehle ich Dich, denn Er kennt alle unsere Nöte und alle unsere Sorgen und alle unsere Geheimnisse, und Sein Auge wacht stets über uns und Sein Herz schläft nie.
Deine Dich liebende Mutter
Anna.«