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Christian Christiansson verließ des Faktors Haus in glühender Erregung. O, wann würde die Stunde kommen, wo er den Mantel der Verkleidung ablegen, wo er zu seinen Angehörigen sagen durfte: »Ich bin Oskar Stephenson. Laßt die Welt mich für Christian Christiansson halten, ihr aber müßt zum wenigsten mich als den kennen, der ich bin!«
Es war notwendig, es war unumgänglich notwendig, daß er sich seiner eigenen Familie zu erkennen gab! Wie sonst könnte er seinen ersonnenen Plan, morgen auf der Versteigerung das Gehöft zu kaufen und es seinem Bruder zurückzugeben, ausführen? Und wie anders als durch Bluts- und Vaterrechte konnte er Anspruch auf das Kind erheben und es bei seiner Rückkehr mit nach England nehmen?
In dieser Stimmung ging er nach dem Regierungsgebäude zurück und tat dem Minister seine Absicht, nach Thingvellir hinüber zu reiten, kund.
»Thingvellir!« sagte der Minister. »Es ist nur natürlich, mein Herr, daß Sie unsern großen historischen Versammlungsplatz, den Schauplatz unserer Sagas, sehen möchten. Weshalb aber heute dorthin gehen? Unsere alte Stadt ist nicht alle Tage so lebendig, dies aber ist der letzte Tag im Jahre, und es werden sich viele interessante Gebräuche vor Mitternacht abspielen. Weshalb warten Sie nicht bis morgen, und dann wird es mir eine Freude sein, Sie zu begleiten.«
»Ich habe einen besonderen Grund, weshalb ich heute gehen möchte,« sagte Christian Christiansson.
»Wie schade, unsere Einwohner werden arg enttäuscht sein. Die Wahrheit zu gestehen, muß ich sagen, daß ich den ganzen Morgen nichts anderes getan als Deputationen empfangen habe, die mich aufforderten, Ihnen ein öffentliches Festmahl zu veranstalten. Jede Gesellschaftsklasse ist in Aufregung, und die Studenten sprechen von einem Fackelzug.«
»Das gibt den Ausschlag, Herr Finsen. Ich muß unter allen Umständen gehen.«
»Sie sind zu bescheiden, Herr Christiansson. Vielleicht ist Ihnen jedoch der Weg nicht bekannt. Und dann sehen Sie nur, welche Wolken – ein Schneesturm ist im Anzuge.«
»Ich kenne jeden Tritt des Weges, und der Schneesturm, wenn er nicht zu arg ist, wird nur mein Vergnügen erhöhen.«
»Wenn er nicht zu arg ist! Glauben Sie mir, es gibt nichts Entsetzlicheres auf der Welt, als auf der Moosfelder Heide von einem erblindenden Schneesturm überfallen zu werden. Wenn es jedoch sein muß, muß es sein, mein Herr, und wenn Sie einen besonderen Grund zum Gehen haben, kommt es mir nicht zu, Sie zurückhalten zu wollen.«
»Es ist spät, Herr Finsen, und die Tage sind kurz – ich muß sofort aufbrechen.«
»Ich werde ohne Verzug Ponys für Sie holen lassen. Sie werden zwei gebrauchen – eines für Sie selbst, das andere für Ihren Pony-Jungen. Ich hoffe, Sie werden in ein paar Tagen zurück sein und Ihr Gepäck hier lassen.«
Der Pony-Junge kam um die Mittagsstunde mit den Ponys, und inzwischen hatte sich, da die Kunde seiner Abreise in die Stadt gedrungen war, eine Anzahl Einwohner am Tore versammelt, um ihn abreiten zu sehen. Unter ihnen waren Palsson, der Bankier, Oddsson, der Kaufmann, Zimsen, der Kapitän, Jonsson, der Vorsitzende der Stadtbehörde und (am merkwürdigsten von allen) der Faktor.
Die kleine Versammlung befand sich in der prickelnden Atmosphäre unbefriedigter Neugierde, denn das Gerücht von den zweihunderttausend Kronen war von Mund zu Mund gegangen, und die Leute fragten, wer der Fremdling sei, von wem er abstamme und was er mit einer solchen Summe Geldes wolle. Als Christian Christiansson in seinem langen blauen Überzieher und seiner enganschließenden Pelzmütze aus dem Hause heraustrat und sich an der Hallentüre von seinem Wirt und seiner Wirtin verabschiedete, schien er heiterster Stimmung, denn er grüßte jeden einzelnen am Tore und nannte die meisten der Versammelten bei Namen.
Dies erhöhte die Neugierde, und unter einem ununterbrochenen Feuer von Neckerei und Gelächter begannen die Kühneren ihn mit Fragen zu sondieren.
»Sie werden heute in der Pachtausspannung übernachten, Herr Christiansson?«
»Ohne Zweifel, Herr Jonsson, ohne Zweifel.«
»Es wird am Morgen jedoch eine Zwangsversteigerung dort stattfinden, wie Sie wohl wissen – ich sage eine Zwangsversteigerung am Morgen, und so werden Sie an die Luft gesetzt werden.«
»Wenn nicht,« sagte der Kapitän, mit seinem Wetterauge plinkend, »wenn nicht Herr Christiansson den alten Platz selbst kauft und sich in einen Landwirt und Gastwirt verwandelt.«
»Und weshalb nicht, Kapitän Zimsen, weshalb nicht?«
»Harte Arbeit von früh bis spät, mein Herr.«
»Nun, kein Mensch hat je den Tag durch Schnarchen gewonnen.«
Christian Christiansson hatte sich in den Sattel geschwungen, als der Faktor leuchtenden, feuchten Auges an ihn herantrat und sagte –
»Wundern Sie sich nicht, wenn ich Ihnen nach Thingvellir hin folge. Das Leben ist kurz, und ich habe, ehe ich sterbe, noch ein Wort mit Magnus zu reden.«
»Wir sprachen auf dem Schiff von ihm, mein Herr, erinnern Sie sich – von ihm und seinem liederlichen jungen Bruder?« sagte der Kaufmann.
»Jawohl,« erwiderte Christian Christiansson, und dann im letzten Augenblick, als der Ponyjunge auch aufgestiegen und alles fertig war, fügte er, wie von einem Geist der Tollkühnheit überkommen, hinzu: »Sie haben aber einen Irrtum gemacht, Herr Oddsson.«
»Und worin, Herr Christiansson?«
»Sie sagten, Oskar Stephenson habe nur das eine Vernünftige in seinem Leben getan, demselben ein Ende zu machen; ich erinnere mich aber einer anderen Sache, die er einmal getan hat. Er stand, als ich zu Hause war, für die Parlamentswahl und gab dem Tölpel, der ihm als Gegner gegenüberstand, eine tüchtige Lektion. Adieu!«
Nach seinem Fortritt schien es gerade als ob ein Zauber gebrochen sei. Irgend etwas in seinen letzten Worten, in seinem Lachen und in der Art und Weise, wie er, die Straße hinaufgaloppierend, die Mütze lüftete, hatte in den Schwätzern am Tor ein unbestimmtes Aufdämmern über seine Identität erweckt. Einen Augenblick starrten sie in sprachlosem Erstaunen einander ins Gesicht, und dann sagte der Kaufmann –
»Wer in Teufels Namen kann er sein?«
»Soll ich euch sagen, wer meine Schwester behauptet, daß er ist?« sagte der Faktor.
»Wer?«
»Oskar Stephenson selbst.«
Das Wort fiel wie ein Donnerschlag zwischen sie.
»Nun, das würde manches erklären – ich sage manches erklären,« sagte der Bankier, und er erzählte die Geschichte von Magnus Stephensons Zinsen.
Innerhalb einer halben Stunde hatte die Nachricht, daß Christian Christiansson Oskar Stephenson sei, wie auf Windesflügeln die Stadt durcheilt. Er hatte es fast in klaren Worten selbst eingestanden, es war kein Zweifel daran!
An dem Abend kreisten im Handwerkerverein hundert Geschichten über Oskar Stephenson. Einige derselben berichteten Gutes und wurden unter Tränen erzählt; andere berichteten Schlechtes und wurden mit schallendem Gelächter aufgenommen. Im Rauchzimmer des Gasthofes sangen die Studenten Oskars Lieder bis die Lampen ausgingen, und darauf brüllten sie sie in einem Dutzend verschiedener Tonarten durch die Dunkelheit bis die Fenster von den Schallwellen ihrer kräftigen Stimmen erzitterten.
Ein Häuflein sittsamerer Bürger hatte inzwischen dem Minister seine Vermutung mitgeteilt, und er hatte mit seinem schlauen Lächeln geantwortet –
»Wir können seine Blöße nicht aufdecken, aber wir können mit den Vorbereitungen für das Gastmahl fortfahren und ihn dadurch versuchen sich uns zu offenbaren.«
Sie fingen unverzüglich mit den Vorbereitungen an. Das Festmahl sollte am Abend nach des Fremdlings Rückkehr nach Reykjavik in der Templer-Halle stattfinden. Der Minister sollte den Toast auf »Christian Christiansson, Islands Lieblingssohn und Erbe« ausbringen. Darauf sollten die Studenten Oskar Stephensons patriotischen Lobgesang »Isafold! Mein Isafold! mächtiges Land des Frosts, des Feuers« singen. Und nachdem der Gast dann erwidert hatte, sollte der Domchor Christian Christianssons ergreifenden Lobgesang: »Wer wird auf des Herren Berg gehen? Wer wird stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Händ' hat und reines Herzens ist, der nicht Lust hat zu loser Lehre« vortragen.
Alles übrige war vergessen! Der schlechte Ruf, der Oskar Stephensons Namen zehn Jahre lang angehangen hatte, war verhallt! Die Schande, die selbst der Tod nicht zu tilgen vermocht hatte, von dem blendenden Glanze des Genies, dem strahlenden Schein des Erfolges ausgelöscht!