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Je mehr das Schiff sich seinem Bestimmungsort näherte, desto zurückhaltender wurde Christian Christiansson. Jede Meile der Reise brachte neue Erinnerungen, von denen die süßesten die bittersten, die glücklichsten die am schwersten zu ertragenden waren. Er stand im Bug, als Island sich ihm zum ersten Male zeigte, wie es weiß und blau schimmernd, einem in ein Laken gehüllten Geiste gleich mit seinen Eisbergen in der Entfernung aus der See emporragte. Er würde in dem Gedanken an die bestrickenden Hoffnungen der Tage, als sein Auge es zum ersten Male also erblickt hatte, und an die vielen Hoffnungen, die nun unter toter Asche begraben lagen, elendig zusammengebrochen sein, wäre es nicht um des Kapitäns willen gewesen, der hinter ihn tretend in seinem heiteren Krächzen sagte:
»Dort ist es, mein Herr! Dort ist Ihr Heimatland! Das ist die Insel, die Sie der ganzen Welt bekannt gemacht haben!«
Christian Christiansson kehrte sofort in seine Kajüte zurück und ward bis zum folgenden Morgen, als die »Laura« in den Fjord hineindampfte, nicht wieder auf Deck gesehen. Und dann begann der Kaufmann in seinem Landungshut und Überrock ihm, als einem Fremdling, die Sehenswürdigkeiten zu erklären.
»Das dort, mein Herr, ist die alte Stadt. Größer, sollte ich meinen, als wie Sie sie zuletzt sahen. Das dort zur Rechten ist die neue Schiffswerft, und das dort zur Linken das Pest-Hospital. Dies ist Engey, die Insel der Eidergänse – ein von jungen, verliebten Paaren häufig besuchter Ort. Das dort in der Mitte ist der alte Dom, und links davon das Regierungsgebäude, fast ganz verdeckt jetzt durch die neuen Warenlager – ich selbst habe sie gebaut, mein Herr.«
Die »Laura« legte unterhalb der Stadt und inmitten einer Flut von Küstenfahrern und Kohlenholken vor Anker, und in der Erinnerung an das letztemal, wo er dort gestanden hatte, würde die Erregung Christian Christiansson wieder überwältigt haben, hätte das rund um ihn herum herrschende Getöse – die von der Schiffsbrücke herabschallenden Befehle des Kapitäns, die Zurufe der die Brücke herablassenden Matrosen, das Geschrei der in kleinen Booten herausgekommenen und nun das Deck erkletternden Männer –, ihn dazu kommen lassen.
Christian Christiansson kannte die meisten der Bootsleute, obgleich einige der damals in mittleren Jahren Stehenden nun alt geworden, und andere der damals jungen Leute nun mittelalterlich und einige der damaligen Knaben nun bärtig geworden waren. Keiner von ihnen jedoch erkannte, als sie ihre Mützen zum Gruß berührend an ihm vorüber und den Offizieren des Bootes zueilten, Christian Christiansson.
»Guten Morgen, Steuermann! Guten Morgen, Kapitän! Viele Reisende diesmal?«
»Nur einen außer Jon Oddsson, er wiegt an sich selbst aber ein ganzes Heer von Fremden auf – Christian Christiansson!«
»Was, der große Christian Christiansson?«
In weniger als drei Minuten segelte die Hälfte der kleinen Boote, um die große Neuigkeit auszusprengen, nach der Stadt zurück, während die Eigentümer der anderen Hälfte sich um Christianssons Gepäck und um die Ehre, ihn an Land zu bringen, rissen.
»Sachte, Jungen!« rief der Kapitän. »Herr Christiansson wird mit mir im Schiffsboot überfahren und daß ihr es nicht vergeßt.«
Es verging eine volle halbe Stunde, ehe dies geschehen konnte, denn Christian Christiansson mußte erst im Frachtraum auf des Kapitäns Gesundheit und dann auf des Schiffes Glück ein Glas leeren. Als sie dann endlich mit den im Bug des Schiffes hochgepackten Reisetaschen und dem im Stern des Schiffes sitzenden, schwatzenden Kapitän dem Lande zufuhren, wollte die Erinnerung an jenen dunklen Abend, als er, unter keiner andern Begleitung als der seiner ihm zur Seite sitzenden Mutter, die seine Hand nicht lassen zu wollen schien, die entgegengesetzte Reise antrat, ihn fast überwältigen.
Als das Boot der Langseite nach anlegte, war die Landungsbrücke dicht mit Leuten bepackt, und als Christian Christiansson mit der Miene eines Menschen, der versucht, der Aufmerksamkeit zu entgehen, aber nur zu gut weiß, daß er sich unter dem ganzen Feuer derselben befindet, ans Land stieg, verbeugte sich eine fette, geschäftige, kleine Persönlichkeit mit asthmatischem Atem – Christiansson erkannte sie sofort wieder – tief vor ihm und begann etwas von einem Bogen Geschäftspapier abzulesen.
Es war eine vom Vorsitzenden der Stadtverordnung, im Namen der Bürgerschaft, schnell aufgesetzte und mit »Berühmter Landsmann« beginnende, überschwengliche Ansprache, die in ihrem Verlauf Christian Christiansson als einen Mann begrüßte, der »den alten Geist und den alten Ruhm tausendjähriger Vergangenheit wieder neu belebt habe«.
Erregt und beschämt, und aus Furcht, daß seine Stimme ihn verraten möchte, kaum zu sprechen wagend, erwiderte Christian Christiansson mit einigen Redensarten und versuchte dann unter einem allgemein geflüsterten »Bescheiden!« »Die Bescheidenheit der Größe«, seinen Weg nach dem Gasthause sich zu bahnen.
Ehe er viele Schritte getan hatte, trat ihm ein junger Mann, in der Uniform eines Regierungssekretärs entgegen, der, die Menge teilend und vom Laufen außer Atem, sagte:
»Viele Empfehlungen vom Minister, mein Herr, und ob Sie ihm die Ehre erweisen wollten, sein Gast im Regierungshause zu sein?«
Christian Christiansson versuchte, sich zu entschuldigen, aller Augen waren jedoch auf ihn gerichtet, und da er sah, daß er ohne Verdacht zu erwecken nicht entschlüpfen konnte, gab er nach und ließ sich hinwegführen.
Der kleine Weg zum Regierungsgebäude erschien ihm wie ein Aufstieg nach Golgatha. Jeder Schritt war mit Erinnerungen übersät – Erinnerungen der Freude, der Leidenschaften, des höchsten Glückes, der Schmerzen und der tragischen Begebenheiten der Vergangenheit – während sie aber aus jedem Stein der Straße zu ihm sprachen, mußte er dem ihm zur Seite schreitenden Sekretär, wie er seine Erklärungen und Beschreibungen der Plätze abschnurrte, an denen sie auf ihrem Wege vorübergingen, zulächeln und zunicken.
»Dies ist unsere Hauptstraße, Herr Christiansson, das ist unser erstes Gasthaus und dies unsere Nationalbank. Das große Gebäude mit dem isländischen Falken auf der Fahne ist unsere Parlamentshalle. Das dort ist unser Dom, mein Herr, und dies – dies ist das Regierungsgebäude.«
Erstickt vor Scham, erwürgt von dem Gefühl der von ihm geübten Heuchelei und zitternd aus Furcht vor Entdeckung, antwortete Christian Christiansson, bis sie das Eingangstor seiner alten Heimat erreicht hatten, mit einem beständigen »Ja« oder »So?« Und dann, in dem Gedanken, wie und wann er dasselbe zum letzten Male – allein, in der Dunkelheit, entehrt und mit seines Vaters Türe für immer ihm verschlossen – verlassen hatte, kostete es ihn die größte Überwindung nicht umzukehren und zu entfliehen. Gerade im entscheidenden Augenblicke jedoch öffnete sich schnell seines Vaters Türe und auf der Schwelle derselben stand in der Uniform des Gouverneurs und mit ausgestreckter Hand ein anderer Mann, um ihn zu bewillkommnen.
Die wilden Schläge seines Herzens erstickten Christian Christiansson fast. Welch ein toller Mummenschanz wirklichen Lebens war dies, daß er, der beinahe aus Island Herausgestoßene derartig mit offenen Armen wieder zurückempfangen wurde? Welch ein tolles Blindekuhspiel trieben die Mächte des Verhängnisses mit ihm? Es war nicht umsonst gewesen, daß er den Namen Christian Christiansson angenommen hatte. Welche unsichtbaren Schicksalsschwingen hatten ihn beschirmt, als er dies getan hatte? Und würden sie ihn zur Ehre oder zur Schande, zur Belohnung oder zur Strafe, zur Freude oder zum Leid, zum Leben oder zum Tode leiten?