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Hat der Reisende in Colombo einen der nach Ostasien bestimmten Dampfer bestiegen, so gelangt er, an der Südseite des Golfes von Bengalen in genau östlicher Richtung fahrend, nach fünf Tagen in Penang an der Malakkaküste an. Penang gehört zu den für Südostasiens Handel so wichtigen Straits Settlements, den englischen Ansiedlungen auf der Halbinsel Malakka, die sich als südlichster Ausläufer des asiatischen Festlandes bis fast zum Äquator erstreckt und an deren äußerster Spitze Singapore liegt, die Hauptstadt der Straits Settlements und der größte Verkehrs- und Stapelplatz des ganzen Südostens.
Penang, eigentlich Georgetown, liegt am Nordeingang der Malakkastraße sehr schön auf einer kleinen, ganz mit Palmen bewachsenen Insel dicht vor der Küste. Reizend ist das Europäerviertel mit seinen Villen und wohlgepflegten Gärten; der nahe Botanische Garten, der alle Charakterpflanzen Malakkas und Sumatras enthält, gehört zu den besten Anlagen seiner Art und erfreut sich nicht nur in der Gelehrtenwelt seines Ansehens, sondern ist auch ein beliebtes Besuchsziel des Laienpublikums. Penang ist ein lebhafter Handelsplatz, besonders für Zinn- und Sagoausfuhr und die anderen Haupterzeugnisse der fruchtbaren Malakkaküste: Kaffee, Tee, Zucker, Pfeffer, Rohgummi und Chinin.
In Penang haben wir die Welt Vorderindiens, des arischen Indertums sowie der Drawida und Singhalesen, bereits weit hinter uns gelassen und befinden uns setzt in der Welt der Malaien. Allerdings kommt uns das in den Straits Settlements noch nicht so stark zu Bewußtsein, weil diese Küstenplätze derartig von Chinesen und Mischlingen überfüllt sind, daß der eigentliche Malaie daneben in den Hintergrund tritt. Immer mehr und mehr erobert sich der Chinese mit seiner Bedürfnislosigkeit, seinem Fleiß, seinem klug berechnenden Handelsgeist ganz Malakka und die benachbarten Küsten. Der chinesische Kuli verdrängt als Industrie- und Landarbeiter den minder betrieb- und fügsamen Malaien, und dem chinesischen Kaufmann vollends in allen seinen Abstufungen, vom kleinen Krämer an bis hinauf zum großen Geldmann und Unternehmer, der sich Auto und Dienerschaft hält, ist der Malaie überhaupt nicht gewachsen, er spielt da neben dem Chinamann gar keine Rolle. So kommt es, daß der ursprünglich rein malaiische Südteil Malakkas, ein Land von ungeheuren Naturschätzen, mit ausgedehntem Plantagenbau und großem Mineralreichtum, wirtschaftlich immer mehr in chinesische Hände gerät, ein Verdrängungsprozeß, der noch durch die auffallend große Sterblichkeit der Malaien beschleunigt wird.
Es gehört zu den seltsamsten Erscheinungen der Rassengeschichte, wie sehr das Malaientum seinen einstigen Geist der Aktivität und Ausdehnungslust eingebüßt hat. Gerade was Ausdehnungslust betrifft, hatten die Malaien unter den Völkern des Ostens nicht ihresgleichen. Schon ihr Name bringt das zum Ausdruck, denn das Wort Malaie ist aus Malaju entstanden; Orang Malaju, d. h. »Herumschweifende Menschen«, nannten sie sich. Es ist ein Mischvolk aus nicht sicher festgestellten Bestandteilen, aber von so ausgeprägter Eigenart, daß man die heutigen eigentlichen Malaien, d. h. die Bewohner Malakkas und Sumatras, ebenso als durchaus selbständige Rasse zu bezeichnen hat, wie ihre vielen Abzweigungen und Nebenlinien, von denen die Javanen die zahlreichsten und kulturell tüchtigsten sind. Der mongolische Einschlag, bei den verschiedenen malaiischen Rassen bald stärker, bald schwächer angedeutet und selbst bei den Polynesiern, wie den Kanaken von Hawaii und den Samoanern, noch erkennbar, verrät sich auf den ersten Blick. Ursprünglich im äußersten Südosten des asiatischen Festlandes beheimatet, haben sich die Malaien im Laufe der Jahrtausende über den ganzen indischen Archipel ausgebreitet, weiter nach den Philippinen, über die Südsee bis Hawaii, Samoa und Tonga und schließlich über den Indischen Ozean bis zur Ostküste Madagaskars. Das ist ein ungeheures Verbreitungsgebiet, zu so ausgedehnten Wanderungen über die Meere war nur ein kühnes und sehr unternehmungslustiges Seefahrervolk befähigt. Da der Unterschied zwischen Seefahrern und Seeräubern in früheren Zeiten nicht gerade bedeutend war, wie auch das Beispiel der Normannen zeigt, haben sich die eigentlichen Malaien bis in die Gegenwart hinein in der Tat als richtiges Seeräubervolk betätigt, das mit seinen vortrefflich gebauten, mit langen Kanonen armierten Segelschiffen, den sumatranischen Prauen, den ostasiatischen Archipel in ganzen Flotten durchzog, alle Küsten plünderte und, um sich Sklaven zu verschaffen, auch Menschenraub in größtem Umfang betrieb, bis es den Holländern nach langen Kämpfen endlich gelang, ihnen das Handwerk zu legen.
Zwar ist der Küsten-Malaie auch heute noch ein tüchtiger Matrose, aber als Seefahrervolk haben die Malaien längst ausgespielt. Nachdem man ihnen die Piraterie ausgetrieben hat, sind sie seßhaft geworden und haben sich in Malakka und Sumatra dem Ackerbau zugewandt, für den sie von Hause aus wenig Neigung hatten und den sie früher meist von den eingefangenen Sklaven besorgen ließen. Auch im Handwerk leisten sie, seitdem sie friedliche Landbewohner geworden sind, recht Gutes, sowohl in Weberei und Färberei, wie auch als Tischler, Drechsler, Waffenschmiede und Goldarbeiter.
Von der gebirgigen Westküste Sumatras und ihrem Glanzpunkt, dem Padangschen Oberland, wurde in »Kreuz und quer durch die indische Welt« erzählt, jetzt soll von der nicht weniger interessanten, wirtschaftlich höchst wichtigen und besonders durch ihre Tabakproduktion berühmten Ostküste die Rede sein.
Zunächst ein paar Worte zur allgemeinen Orientierung über das Land.
Von Malakka durch die Malakkastraße getrennt, zieht sich Sumatra in 1700 km Länge genau in der Richtung von Nordwesten nach Südosten hin. Ungefähr in der Mitte wird die Insel vom Äquator in zwei Teile zerlegt, dergestalt, daß die schmalere, kleinere Hälfte nördlich, die breitere und größere Insel südlich vom Äquator zu liegen kommt. Sumatra (wer übrigens das Wort ganz richtig aussprechen will, muß die zweite Silbe betonen) ist die größte Insel Holländisch-Indiens und dem Flächeninhalt nach – 434 000 qkm – annähernd so groß wie das Deutsche Reich in seiner jetzigen verkleinerten Gestalt. Im schroffen Gegensatz zu dieser bedeutenden Größe steht die niedrige Einwohnerzahl, die sich auf höchstens vier Millionen beläuft, eine Ziffer, deren Geringfügigkeit um so auffallender ist, als Sumatras Nachbarinsel, das sehr viel kleinere Java, bei nur 132 000 qkm Größe ungefähr fünfunddreißig Millionen Menschen zählt und zu den am dichtesten bevölkerten Ländern der Erde gehört (fast doppelt so dicht wie Deutschland). Aber in Sumatra liegen auch ungeheure Gebiete völlig brach, zum Teil aus Gründen der Bodenbeschaffenheit, die sich nicht zur Kultur eignet, während in dem durchweg sehr fruchtbaren Java von einer arbeitsamen Bevölkerung jedes nur kultivierbare Fleckchen Erde angebaut ist. Das Gebirge, das Sumatra in seiner ganzen Ausdehnung durchzieht, läuft dicht an der Westküste entlang, so daß seine höchsten Erhebungen steil zum Meer abfallen, während der breite Streifen der Ostküste aus meistens flachem, wasserreichem, zum großen Teil auch sumpfigem Alluvialboden besteht. Das heiße Klima ist in den sumpfigen Niederungen ungesund, aber in den Höhenlagen von 1000 m und mehr angenehm und gut zu vertragen. Die Bevölkerung zerfällt in eine Anzahl sehr verschiedener Stämme. Die Nordspitze der Insel wird von den kriegerischen Atschinesen eingenommen, die den Holländern Menschenalter hindurch in blutigen Fehden aufs schwerste zu schaffen machten und erst in neuester Zeit zur Ruhe gebracht worden sind.
Unter den Bezirken Sumatras, die für die Plantagenwirtschaft und den Export am wichtigsten sind, nimmt die im Nordosten der Insel gelegene Küstenlandschaft Deli, die klassische Heimat des Sumatratabaks, eine der ersten Stellen ein. Diese Gegend der Ostküste nebst dem gebirgigen Hinterland um den Toba-See herum war mein Reiseziel, als mich eines Tages ein kleiner Küstendampfer von Penang über die Malakkastraße nach Sumatra führte.
An diese Fahrt denke ich immer mit besonderem Vergnügen zurück, obwohl sie damals eigentlich alles andere, nur kein Vergnügen war. Aber wenn man seine Erlebnisse aus zeitlicher Entfernung betrachtet, pflegen die Unannehmlichkeiten, die im Augenblick des Erlebens so peinlich empfunden wurden, immer mehr zurückzutreten, während die angenehmen und heiteren Eindrücke die Oberhand gewinnen. Wenigstens ist das bei Optimisten meines Schlages der Fall. Mich hatte damals das Pech auf einen der verlottertsten, schmierigsten Küstenbummler gebracht, die jemals die Meere unsicher machten, auf einen halbwracken Invaliden von Dampfermethusalem, der wie ein Betrunkener keinen Kurs halten konnte, im Hafen überall anbullerte und, wenn er wirklich einmal richtig ins Laufen kam, schon nach fünf Minuten wieder asthmatisch fauchend stehen blieb und darüber nachzudenken schien, wohin er eigentlich fahren wollte. Dieses Juwel von Dampfer schien ganz und gar nach dem Geschmack chinesischer Kulis zu sein, denn sie hatten ihn von vorn bis hinten mit Beschlag belegt, so daß man buchstäblich keinen Schritt machen konnte, ohne über einen der malerisch hingegossenen Söhne des himmlischen Reiches der Mitte zu stolpern. Und da die Herren Kulis einen reichlichen Vorrat junger Schweine mitführten, die sich in dem ihnen angepaßten Milieu des Dampfers sehr behaglich fühlten, so bedarf es keiner näheren Schilderung, in welchem Zustand sich alsbald das ganze Deck befand. Völlig unmöglich aber war der Aufenthalt im Innern, denn sowohl der »Salon« wie die Kabine starrte vor Schmutz und wimmelte von Ungeziefer, ganz zu schweigen von dem lieblichen Duft, der diese niemals gelüfteten Räume erfüllte.
Wir hätten schon längst abfahren sollen, aber eine Viertelstunde nach der anderen verrann, und wir warteten und warteten – nämlich auf den Kapitän! Endlich erschien er an Bord, mit einem Gesicht, das jedem Kundigen sogleich verriet, daß dieser Mann soeben in ausgiebigster Weise »gefrühstückt« hatte. Und diese Tätigkeit setzte er bis Belawan mit Ausnahme der Stunden, wo er schlief, mit bewundernswürdiger Ausdauer fort. Niemals zuvor in meinem Leben hatte ich einen Mann gesehen, der soviel Whisky in sich verstauen konnte, wie dieser famose Beherrscher der Meere. Er titulierte mich gleich von Anfang an » my dear old friend« und suchte mir lallend klar zu machen, durch welche Schicksalsschläge er, der früher das Patent für große Fahrt besessen hätte, verurteilt wäre, auf diesem lumpigen Kasten über die Malakkastraße hin und her zu pendeln. Zum Glück kümmerte sich der anscheinend ewig beschwipste old sailor nicht im geringsten um die Führung des Schiffes, sondern überließ das dem Steuermann, einem ganz vernünftigen Malaien, während er sich mit seiner geliebten Whiskybuddel auf den Liegestuhl konzentrierte.
Nach sechzehnstündiger Überfahrt kamen wir glücklich in Belawan an, dem Hafen von Deli. Sumatras Küste präsentiert sich hier nicht so malerisch, wie an der gebirgigen Westseite der Insel, sondern als endlos langgestreckter, niedriger, dunkelgrüner Streifen. Nur in früher Morgenstunde, wie bei unserer Ankunft, so lange die Luft noch einigermaßen frisch und klar ist, erblickt man dahinter die tief im Innern des Landes gelegenen Berge, eine zartblaue Kette, hier und dort von den schön gezeichneten Linien vulkanischer Kegel überragt. Drückende, feuchte Hitze, selbst für einen alten Tropenbewohner recht spürbar, das ist der erste Eindruck von der Ostküste Sumatras. Der Strand ist dicht mit Mangroven bewachsen, den Rhizophora-Arten, die mit ihren langen Stützwurzeln wie auf Stelzen im Wasser stehen, tief im unergründlichen Schlamm verankert, während die aufwärts strebenden Atemwurzeln sich zu undurchdringlichem Gitterwerk durcheinanderschlingen. In dem seichten, sumpfigen Wasser des Mangrovedickichts brütet die Sonne Fiebermiasmen aus, Siechtum und Tod lauern hier auf den Menschen, aber es ist ein ideales Revier für jene Kreaturen, denen das Fieber nichts anhaben kann und die sich nirgends so wohl fühlen, wie in diesem Höllenpfuhl, allen voran das Krokodil, das hier in Üppigkeit gedeiht. Längs der Küste, vor dem Mangrovedickicht, liegen die langen schmalen Sampans malaiischer Fischer, untersetzter, aber kräftiger, sehniger Gestalten, zum Teil fast nackt, zum Teil in Kattunstoffe gehüllt, deren grelle Farben lustig im Sonnenbrand leuchten. Auf dem Kopf tragen sie große tellerförmige Hüte aus Strohgeflecht.
Beim Ausbooten in Belawan erhält der Ankömmling gleich den rechten Begriff von dem bunten Völkergemisch, das für die Hafenplätze des indischen Archipels so bezeichnend ist. Malaien der verschiedenen Stämme, Javanen, Chinesen, Siamesen, Südinder von der Madrasküste und Mischlinge aller Art drängen sich dienstbeflissen an ihn heran. Im übrigen hat Belawan dem Fremden kaum etwas zu bieten, das ihn fesseln könnte, und deshalb besteigt er alsbald einen Zug der Deli-Eisenbahn, um nach Delis Hauptstadt Medan zu fahren.
Vorher findet die ziemlich milde Zollrevision statt, bei der u. a. auch nach Opium gefahndet wird. Der Kampf gegen das Opium, der im fernen Osten neuerdings wieder in schärfster Weise geführt wird, hat im Laufe der Zeiten die verschiedensten Wandlungen durchgemacht. Bald wurde der Opiumhandel stillschweigend geduldet, bald monopolisiert, bald wieder energisch bekämpft. Die holländische Regierung verpachtete den Verkauf des Opiums an Chinesen, die dadurch oft ungeheure Reichtümer erwarben. Natürlich blühte im geheimen der Schmuggel. Wurden auch hin und wieder ein paar Dschunken aufgegriffen und ihre Opiumladungen konfisziert, so machte das nicht viel aus, denn jedes Schmugglerschiff, das glücklich durchkam, verschaffte den Unternehmern enormen Profit. Früher wurde von den Chinesen, auch den in Sumatra ansässigen, stark Opium geraucht, und es gab kaum einen, der dieser Gewohnheit nicht frönte. Seitdem aber die chinesische Regierung gegen den Opiumgenuß mit drakonischen Maßregeln vorgeht, scheint der Gebrauch des »süßen Giftes« sehr abgenommen zu haben. Seine Wirkungen werden in Europa gewöhnlich stark übertrieben, auch scheint es nicht angebracht, immer vom »Laster« des Opiumrauchens zu reden. Das ist gerade so, als ob man jeden gewohnheitsmäßigen Spirituosengenuß als Laster bezeichnen wollte, wie es die strengen Temperenzler ja auch tun. Der mäßige Opiumgenuß, besonders bei Verwendung von reinem, unverfälschtem Opium, hat gar nicht so schlimme Folgen und ist nicht schädlicher als mäßiger Alkoholgenuß. Es gibt zahllose alte Chinesen, denen ihr gewohntes Pfeifchen Opium ebenso gut bekommt, wie zahllosen Deutschen ihr gewohntes Glas Bier oder Wein, und die sich vortrefflicher Gesundheit und geistiger Frische erfreuen. Übertriebener Opiumgebrauch wird freilich zum Laster und wirkt dann ebenso zerrüttend wie übermäßiger Alkoholgenuß. Die Meinungen über die Zweckmäßigkeit der Opiumverbote gehen weit auseinander. Tatsache aber ist, daß der Opiumraucher vorgerückten Grades, dem man sein Narkotikum entzieht, sich unter allen Umständen andere, und dann meistens sehr viel gefährlichere Reiz- und Rauschmittel zu verschaffen sucht, und daß aus diesem Grunde heute im fernen Osten der Geheimhandel mit Kokain in Blüte steht.
Übrigens gelangt der Neuling, der das Opium probiert, schwerlich zu der so gepriesenen Nirwana-Stimmung. Es wird ihm gewöhnlich nur sterbensübel dabei, und er bekommt den faden Opiumgeschmack tagelang nicht aus dem Mund. Man muß sich eben daran gewöhnen, genau wie an den Alkohol- und Tabakgenuß.
Medan, die Hauptstadt von Deli, Sitz des Residenten der Ostküste und eines eingeborenen Sultans – der aber, wie alle Fürsten Holländisch-Indiens, trotz eines ellenlangen Titels nicht den geringsten politischen Einfluß besitzt – ist mit seinen 20 000 Einwohnern (davon zwei Drittel Chinesen) der wichtigste Handelsplatz Delis, besonders für die Tabakausfuhr, und darf bei der weiteren wirtschaftlichen Erschließung der Ostküste noch eines bedeutenden Aufschwunges sicher sein. Der eigentümliche Stil der holländisch-indischen Lebensführung, wie er sich in Batavia und den anderen Städten Javas zeigt, tritt hier weniger stark hervor, dafür ist Medan zu international. Denn neben den Holländern betätigen sich in Deli auch deutsche, englische, schweizerische, skandinavische usw. Erwerbsgesellschaften, und wenn das holländische Element natürlich auch vorherrscht, so macht sich der Einschlag der anderen Nationalitäten doch sehr bemerkbar. Im Kleinhandel dominiert der Chinese, der aber vielfach auch als Großunternehmer und Finanzmann auftritt. Was den Deutschen in Sumatra betrifft, so läßt es sich nicht verschweigen, daß der Holländer uns im allgemeinen, wie auch in Europa, nicht besonders liebt, aber im persönlichen Verkehr hat in den holländischen Kolonien zwischen den Herren des Landes und den Deutschen immer ein ganz befriedigendes Verhältnis bestanden. Die meisten großen Tabakmaatschappijen (Handelsgesellschaften) in Sumatra hatten immer einen beträchtlichen Prozentsatz Deutsche in ihren Diensten, die, wenn sie tüchtig waren, ebensogut vorwärts kamen wie ihre holländischen Kollegen. Der Holländer ist nicht sehr unternehmungslustig und geht gerne sicher; hat er aber einmal Vertrauen zu einem Projekt, so wagt er sich mit großem Kapital heran und macht seine Sache gut. Es gab eine Zeit, da gingen von besseren holländischen Familien nur die verlorenen Söhne nach Indien – genau so, wie damals die deutschen Tunichtgute gern nach Amerika »expediert« wurden – und die Qualität der dortigen europäischen Bevölkerung war denn auch dem entsprechend. Das hat sich längst geändert, längst gilt auch für den jungen Holländer die Tätigkeit in der Kolonie als ein erstrebenswertes Ziel.
Der holländische Kolonialbeamte höheren Ranges ist im allgemeinen ein vielseitig gebildeter, im Verkehr angenehmer Mensch mit Taktgefühl, wenn auch nicht ganz frei von dem kräftig fühlbaren Standesbewußtsein, das nun einmal so ziemlich auf der ganzen Welt dem Beamten anhaftet. Die holländischen Kolonien werden mit viel Verstand, Klugheit und Takt verwaltet, und das kleine Holland hat mit einer Handvoll Soldaten – die ganze Kolonialarmee besteht aus etwa 25 000 Mann, zum größten Teil Eingeborenen – in seinen so weit entlegenen überseeischen Besitzungen Großes geleistet. Die malaiischen Sultane, einst Piratenhäuptlinge und der Schrecken der Küsten, sind setzt im holländischen Dienst fest besoldete Beamte mit gutem Gehalt und schönen, goldstrotzenden Uniformen. Sie haben aber nicht viel zu sagen und führen mit geringen Ausnahmen ein ziemlich tatenloses, träges Leben.
Das Land um Medan herum ist flacher oder nur mäßig hügeliger Alluvialboden. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Klima hier sehr ungesund, das ganze Gebiet an der Ostküste ein Sumpf. Malaria, Dysenterie, Typhus waren an der Tagesordnung. In einigen Gegenden starben die Europäer wie die Fliegen. Beim Bau der großen Eisenbahnbrücke von Belawan nach Labuan Ende der achtziger Jahre sollen allein siebzehn europäische Ingenieure ihr Leben eingebüßt haben. Die Landstraßen waren Modderwege, in der Regenzeit kaum passierbar; unter einer verhältnismäßig dünnen Oberschicht lag der Urschlamm. Um das zu verstehen, muß man bedenken, daß die Ostküste, wenigstens die große Alluvialebene, neueren Ursprungs ist, angeschwemmtes Land. Es sind auf diesen unergründlichen Wegen Ochsenkarren mitsamt den Ochsen einfach versunken. Man brachte sie nicht mehr heraus und mußte sie ihrem Schicksal überlassen. In der trockenen Zeit wurden die Straßen dann mehr schlecht als recht repariert, indem man neue Erde darauf warf. Niemand weiß, wo alle die versunkenen Ochsen und Karren setzt liegen. Für spätere Zeiten ergibt das vielleicht einmal interessante Funde!
Die Ostküste Sumatras hat sich in den letzten Jahrzehnten durch ihre wirtschaftliche Entwicklung so sehr verändert, daß mancher alte, inzwischen in sein Vaterland zurückgekehrte Pflanzer sie kaum wiedererkennen würde, wenn er sie wieder zu sehen bekäme. Um so größeres Interesse werden die folgenden Erinnerungen erregen, deren Mitteilung wir der Freundlichkeit eines Bekannten, eines alten Sumatra-Pflanzers, zu verdanken haben. Herr E. W. erzählt:
»Ich bin Anfang der achtziger Jahre als junger Mann nach Sumatra gekommen, angelockt durch die Ferne und das Geheimnisvolle dieser damals noch so wenig bekannten Insel. Damals konnte ein Affe, wörtlich genommen, vom Norden nach dem Süden der Insel gelangen, ohne jemals genötigt zu sein, den Boden zu berühren, so dicht stand zu jener Zeit noch der majestätische Urwald, nur hier und da durch eine kleine Lichtung unterbrochen, wo die Malaien ihren Paddy (Reis) pflanzten. Wie hat sich das alles seitdem verändert! Die stolzen Urwälder an Sumatras Ostküste sind heute bis fast zum Gebirge hin verschwunden, durch ruchlose Ausnutzung zu Asche verbrannt, und jetzt muß jedes Stückchen Brennholz, wenigstens in der großen Alluvialebene, gekauft werden. Mit den dichten Wäldern verschwand auch das Wild. Wo früher Elefanten, Nashörner, Tapire und andere interessante Vertreter der exotischen Tierwelt sich aufhielten, findet man von großen Raubtieren eigentlich nur noch den Tiger. Der Tiger hat sich durch die Kultivierung des Bodens nicht vertreiben lassen, findet er doch seine Nahrung an den vielen Wildschweinen und Hirschen, die es immer noch in beträchtlicher Menge gibt. Ich habe anfangs der achtziger Jahre noch Elefantenherden von 70-80 Stück und mehr aus ziemlicher Nähe beobachten können. Die Elefanten sind an der Ostküste wohl nahezu gänzlich ausgerottet, und zwar durch die Schuld der Aasjäger, die von überall hierher kamen und wahllos und skrupellos Männchen und Weibchen zusammenschossen, um dann die Kadaver, nachdem sie die Stoßzähne herausgebrochen hatten, verrotten zu lassen. Und daß die Aasjäger sich so ungeniert breit machen konnten, daran war die Nachlässigkeit der holländischen Regierung schuld, die es nicht für nötig hielt, nach dem Vorbild der britisch-indischen Regierung den Bestand wertvoller Tiere durch entsprechende Wildschutzgesetze zu sichern.
Da ich gerade von Elefanten spreche, fällt mir ein kleines Erlebnis ein, das für jene entschwundene Zeit, als es noch reichlich Elefanten gab, bezeichnend ist.
Ich fuhr eines Abends gegen acht Uhr nach einer etwas entfernten Plantage, um einen Freund zu besuchen. Mein Fahrzeug war ein kleiner zweirädriger Wagen, eine sogenannte Kareta sewah (Mietskutsche), in den man von vorn einsteigen muß und aus dem man, so lange er in Bewegung ist, nur mit einigen Schwierigkeiten herauskommt. Außer mir befand sich nur noch der Sais (Kutscher) in der Kareta. Als wir nun durch den Wald fuhren, schlug ein dumpfes Trompeten an mein Ohr. Unser Pferdchen, ein Battapony, spitzte die Ohren – und heidi! ventre à terre brannte es durch. Rechts und links, vorn und hinten hören wir ein Gepatsche, ein zorniges Grunzen und wieder die trompetenartigen Töne. Die Situation wird mir plötzlich klar: wir befinden uns mitten in einer Elefantenherde! Der Wagen schlingert hin und her, dunkle Schatten huschen an uns vorbei, ich erwarte jeden Augenblick umgeworfen und zertrampelt zu werden. Nach und nach verlieren sich die Gestalten, es wird ruhiger um uns herum, und auch der Pony fällt aus seinem wahnsinnigen Galopp in Trab. Es war unser Glück, daß nichts an der Bespannung riß, unser kluges Pferdchen immer geradeaus rannte, und der Sais nicht seine Geistesgegenwart verlor, denn sonst wäre ich jetzt wohl kaum in der Lage, das Erlebnis zu erzählen. Ich hatte den Eindruck, daß die Elefanten durch die unerwartete Annäherung des Wagens und den Lichtschein der Laternen ebenso in Furcht und Schrecken geraten waren, wie wir, und in ihrer Verwirrung nicht wußten, wie sie ausweichen und sich verhalten sollten. Ich kam dann nach etwa fünfzehn Minuten bei meinem Freunde an, wo ich mich bei einem kräftigen Whisky und Soda von meinem Schrecken erholte. Es ist merkwürdig, wie schnell die sonst so plumpen Dickhäuter in der Angst laufen können, so daß sie mit einem durchbrennenden Pferd Schritt halten.
Noch eine andere, mehr drollige Elefantengeschichte kommt mir dabei in den Sinn.
Wenn der Tabak geerntet ist, werden die freigewordenen Felder, die noch verhältnismäßig wenig von Unkraut durchsetzt sind, den Malaien der Gegend, die Anspruch darauf haben, zum Paddypflanzen überlassen, wofür sie sich zu gewissen Naturalleistungen verpflichten. Dieser Paddy ist der sogenannte Bergreis, d. h. er wird nicht im Wasser gezogen wie der gemeine Reis, sondern wächst auf trockenem Boden. Obwohl er weniger geschätzt wird als der nasse Reis und sich in Europa nicht bewährt hat, ist er meines Erachtens schmackhafter, braucht auch viel weniger Pflege. Wenn nun der Bergreis der Reife entgegengeht, lockt er seine animalischen Liebhaber scharenweise herbei, Schweine, Hirsche und andere Vierfüßler, vor allem aber Vögel aus dem Geschlecht der Finken. Die Tiere tun sich gern an dem jungen Reis gütlich, und das paßt den Malaien begreiflicherweise schlecht. Zur Vertreibung der gefiederten und ungefiederten Räuber werden auf den Reisfeldern hier und dort kleine Wächterhäuschen mit spitzem Dach errichtet, die auf vier hohen Pfählen ruhen. Von dem Häuschen aus ziehen sich eine Anzahl Schnüre über das ganze Feld hin, an denen allerlei Lärminstrumente hängen, wie leere, mit Steinchen gefüllte Konservenbüchsen, zerbrochene Blechlöffel, kleine Glöckchen und ähnlicher Kram. Um die Reisliebhaber zu verscheuchen, zieht der im Häuschen befindliche Wächter von Zeit zu Zeit an den Schnüren, wodurch die Lärminstrumente in Tätigkeit gesetzt werden. Die Vögel kommen ja nur am Tage, aber da nachts die Wildschweine, Hirsche und andere Tiere in die Reisfelder einbrechen, müssen die Wächter auch nachts auf dem Posten sein.
In geringer Entfernung von meinem Haus befand sich auch solch ein Wächterhäuschen. Eines Nachts wurden wir durch furchtbares Hilfegeschrei aus dem Schlafe gerissen. Ich stürzte ans Fenster und sah im hellen Mondschein ein seltsames Bild, das etwas ganz Spukhaftes hatte und das ich mir anfangs gar nicht erklären konnte. Das Wächterhäuschen war in Bewegung und schwankte wie ein Schiff im Sturm hin und her! Ich rief meine eingeborenen Diener, und wir begaben uns ins Freie hinaus, um nach der Ursache der so seltsamen Erscheinung zu forschen. Als aber mein Leute das hin und her taumelnde Wächterhaus sahen und das klägliche Geschrei des Wächters hörten, fuhr ihnen der Schreck so sehr in die Glieder, daß sie sich weigerten, auch nur einen Fuß ins Reisfeld zu setzen. Denn daß es nicht mit richtigen Dingen zuging, und teuflische Mächte dort die Hand im Spiele hatten, das stand bei ihnen bombenfest.
Schließlich schämte sich aber doch wenigstens mein Oberaufseher seines Kleinmuts und folgte mir. Wir hatten zur Sicherheit Gewehre bei uns und eilten nun auf das schwankende Wächterhäuschen zu. In das Geschrei des Wächters klang jetzt auch ein trompetenartiges Geräusch hinein. Also, wie wir schon geahnt hatten, ein Elefant! Wir hatten jedoch die Unheilstelle noch nicht ganz erreicht, als das Häuschen sich vollends auf die Seite legte und umfiel. Wir sahen noch, wie der Elefant in beschleunigtem Trab nach dem Walde zu verschwand, und wandten uns flugs dem Wächter zu, der sich wimmernd und stöhnend aus den Trümmern seiner Behausung zu befreien suchte.
Als wir ihn hervorgezogen hatten, bebte der arme Kerl an allen Gliedern. Er war, von ein paar oberflächlichen Schrammen abgesehen, heil davongekommen, konnte sich aber jetzt und auch später noch gar keine richtige Vorstellung davon machen, was eigentlich mit ihm geschehen war. Uns wurde der Hergang der Katastrophe klar. Der Wächter war eingeschlafen, und inzwischen hatte sich der reisnaschende Elefant zwischen die Pfähle des Häuschens gedrängt, um sich an ihnen zu scheuern, wie das die Dickhäuter so gerne tun. Durch die Erschütterung des Bauwerks war der Wächter munter geworden, er hatte zu schreien begonnen, und der durch den Lärm erschreckte Elefant hatte bei dem Versuch, sich zurückzuziehen, die Pfähle mit dem Häuschen aus dem Boden gerissen, so daß nun das ganze Gerüst samt Wächter wie eine Howdah auf seinem breiten Rücken thronte. In dem Bestreben, sich von der unheimlichen Bürde zu befreien, taumelte der Dickhäuter hin und her, bis das Häuschen zur Seite herabfiel.
Wir führten den Unglückswächter ins Haus und setzten ihm dort eine Stärkung vor, so daß er sich allmählich von seinem Schrecken erholte. So fand dieser Nachtspuk einen erheiternden Abschluß.
Ja, mit Elefanten erlebt man in Sumatra mancherlei. Eine allgemein bekannte Tatsache ist es, daß der Elefant trotz seiner außerordentlichen Stärke ein sehr schreckhaftes Tier ist, das bei plötzlichen Überraschungen und in ungewöhnlichen Situationen leicht den Kopf verliert und dann nicht weiß, was es tun soll, oder wie blind davonrast. Hat der Elefant aber Zeit zum ruhigen Überlegen, so trifft er seine Maßnahmen in sehr zweckmäßiger und verständiger Weise. Hierfür ein Beispiel. Um Trinkwasser und Waschwasser zu gewinnen, wurden bei uns mehr oder weniger tiefe Gruben mit glatten Wänden, im Malaiischen »priggi« genannt, angelegt, eben so tief, bis man auf Grundwasser stieß. In der trockenen Zeit sinkt in den Gruben der Wasserspiegel, mitunter trocknen sie auch gänzlich aus. Die Gruben sind manchmal vier bis fünf Meter tief. In einen dieser nahezu ausgetrockneten priggi, der sich in der Nähe meines Hauses befand, war eines Nachts ein junger Elefant hineingeraten. Darauf hatten die Alten in durchaus zweckmäßiger Weise damit begonnen, von den Rändern der Grube aus Erde hineinzutreten, so daß die Grube allmählich ausgefüllt wurde und das junge Tier immer höher stieg. Leider war das Rettungswerk der klugen Elefanteneltern bis Tagesanbruch noch nicht vollendet, und meine Leute vertrieben dann ohne mein Wissen die Alten durch Schüsse und Lärm und zogen das Junge vollends aus der Grube heraus. Das Tier wurde später bei uns sehr zahm, ging aber leider durch einen Unfall zugrunde.
Es ist überhaupt auffällig, wie häufig gerade die großen Tiere den verschiedenen Gruben und Erdlöchern zum Opfer fallen. Das war schon in vorgeschichtlichen Zeiten der Fall, denn diesem Umstand verdanken wir ja so manchen Fund wohlerhaltener Mammute und anderer Urweltriesen, die in Erdlöcher geraten waren und elend zugrunde gingen, weil sie sich nicht daraus befreien konnten. Den Dickhäutern wird bei solchen Unfällen gerade ihr Schwergewicht und ihre geringe Beweglichkeit zum Verhängnis. Ich habe ein Beispiel davon auf meiner Pflanzung erlebt. Wir hatten zur Entwässerung einer Abteilung einen tiefen Graben gezogen, der sich nach unten verjüngte. Eines Nachts hörte ich von meinem Hause aus fortwährend ein merkwürdiges klägliches Gebrüll und konnte mir gar nicht vorstellen, von welchem Tier es herrührte. Des Morgens kam ein Malaie und meldete mir, ein Rhinozeros hätte sich im Abzugsgraben gefangen. Das Tier war im Finstern die steile Böschung des tiefen, trockenen Grabens hinabgeglitten und, da sich der Graben nach unten verjüngte, nicht ganz bis auf die Sohle geraten, sondern steckte halbwegs eingeklemmt zwischen den Grabwänden fest, so daß es sich nicht rühren konnte. Zu meinem Bedauern hatten Battaker und Malaien das arme hilflose Tier schon so zerfleischt, daß es verendet war. Freilich hätten wir den enorm schweren Dickhäuter wohl auch kaum zu befreien vermocht. Selbstverständlich war auch das Horn des Rhinozeros schon fort, denn es wird von den Eingeboren als Aphrodisiacum betrachtet und sehr geschätzt.
Durch die intensive Bewirtschaftung des Bodens ist dieses Großwild heute an Sumatras Ostküste selten geworden. Rhinozerosse und Tapire sind jetzt im kultivierten Gebiet gänzlich verschwunden und haben sich vor dem Europäer in die Urwälder zurückgezogen. Nur Tiger, Schweine und Hirsche kommen noch häufiger vor. Den berühmten schwarzen Panther, den es nur in Sumatra und Java gibt, habe ich zweimal auf der Affenjagd beobachten können, er war immer selten und deshalb eine heißbegehrte Jagdbeute. Übrigens gehen alle diese Tiere, die großen Dickhäuter so gut wie die großen Katzen, dem Menschen, besonders dem Europäer, gern aus dem Weg. Die Geschichten von ihrer Gefährlichkeit sind deshalb meistens stark übertrieben. Ich habe trotz meines 27jährigen Aufenthalts an Sumatras Ostküste nie einen Tiger in Freiheit gesehen, wohl aber gerochen. Der Sumatra-Tiger ist ungemein scheu und vorsichtig; auf dem Anstand kam er immer erst, das Locktier zu holen, wenn wir uns, von den Moskitos beinahe aufgefressen, bereits zurückgezogen hatten. Am häufigsten wird er in der Falle gefangen. Wenn er dann ohne Gefahr in der Falle erlegt worden ist, läßt sich der kühne Nimrod – an dieser Spezies fehlt es in Sumatra nicht, meistens sind es renommistische Globetrotter – gern in malerischer Pose mit dem so heroisch zur Strecke gebrachten Tier photographieren. »Von mir selbst geschossen« – ja, so eine Aufnahme muß zu Hause am Stammtisch doch gewaltig imponieren! Übrigens läßt sich das Fell des Inseltigers nicht im entfernten mit dem des indischen Festlandtigers vergleichen, es ist nicht besonders schön und wird selbst heute, in einer Zeit der hohen Pelzpreise, nur mäßig bewertet.
Was geht einem alten Pflanzer nicht alles durch den Kopf, wenn er an frühere Zeiten zurückdenkt! Da tauchen Gestalten und Ereignisse auf und ziehen vor dem geistigen Auge in langer bunter Kette vorbei. Und unter den Gestalten befindet sich auch so manche von höchst fragwürdiger Art, so mancher Desperado.
Als ich vor etwa vierzig Jahren nach Sumatra kam, war das Land die Zuflucht vieler verkrachter oder gar schon verkommener Existenzen. Auf der damals noch so wenig bekannten Insel konnte man in der Versenkung verschwinden, dort wurde man so leicht nicht erwischt. Durchgebrannte Kassierer, weggelaufene Matrosen und Schiffsköche, geschwenkte Offiziere aller Nationen, darunter viele Deutsche und unter ihnen viele von Adel und sogar von Hochadel, suchten sich hier eine neue Existenz, und viele fanden sie auch. Das wurde ihnen, wenn sie nur den festen Willen zur Arbeit und zum Wiederhochkommen hatten, durch die Verhältnisse ziemlich leicht gemacht. Denn so lange sich die neuen Ankömmlinge in ihrem Asyl nichts zu Schulden kommen ließen und sich anständig aufführten, war es wie eine stillschweigende Übereinkunft, sie nicht mit Fragen nach ihrer Vergangenheit zu behelligen, auch wenn man ziemlich genau wußte, daß sie irgend etwas auf dem Kerbholz hatten. In dieser stillen Duldung, in diesem großmütigen Ignorieren alter Geschichte« und alter Sünden bekundet sich eine weitherzige Auffassung, wie sie damals in den Kolonien noch üblich war, und es war nun Sache der zweifelhaften Ankömmlinge, sich dieses Entgegenkommens würdig zu erweisen oder nochmals Schiffbruch zu erleiden – dann aber definitiv.
Wunderlich genug ging es ja in dieser Hinsicht manchmal zu. Ich entsinne mich einer Plantage, deren Besitzer, ein Deutscher, seinen Stolz darein setzte, nur adelige Angestellte zu haben, vom einfachen »von« bis zum Baron und Grafen. Alle waren von Adel, und nur wenn es absolut nicht anders ging, wurde einmal ein Bürgerlicher eingestellt. Die Adeligen waren zumeist frühere Offiziere, denen aus verschiedenen Gründen der Boden in Europa zu heiß geworden war. Hier wurde ihnen eine Chance geboten, sich wieder aufzurappeln, und ein Teil von ihnen hat es auch wirklich zu etwas gebracht.
Viele von den zweifelhaften Ankömmlingen jener Zeit sind aber auch untergegangen – untergegangen durch Weiber, Spiel und Trunk. Um das zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, welches arme eintönige Leben sie in ihrem Asyl umfing, und wie sehr dieses harte Dasein mit den lockenden Bildern kontrastierte, die man sich in Europa so gern vom tropischen Pflanzerleben macht. Ich muß dabei immer wieder an die Worte einer jungen Dame denken, die mich einmal, als ich in Deutschland meine Ferien verlebte, fragte: »Das Leben, das Sie dort draußen führen, ist wohl sehr angenehm? Ich stelle es mir himmlisch vor, so den ganzen Tag in der Hängematte zu liegen, sich von Sklavinnen fächeln zu lassen und Südfrüchte zu essen …« Heilige Einfalt! Solchen drolligen Illusionen kann man auch heute noch vielfach begegnen; sie werden durch gewisse belletristische Erzeugnisse von Verfassern hervorgerufen, die das Leben in der heißen Zone nur aus ihrer Einbildung kennen. Ein Plantagenangestellter, dem es einfallen wollte, den ganzen Tag in der »Hängematte« zu liegen, dürfte schon am zweiten Tage seinen Koffer packen und sich zur Heimfahrt rüsten. (Nebenbei bemerkt, kennt man draußen Hängematten nicht. Dieses romantische, aber unpraktische Requisit wird dort durch den stabilen »Lounging chair«, den aus Rohr geflochtenen, zum Sitzen und Liegen eingerichteten Ruhesessel, ersetzt.) Und was die »Sklavinnen« betrifft, so muß man die sehr selbstbewußten Malaienfrauen und -mädchen kennen, um den Humor einer solchen Vorstellung zu erfassen.
Nein, das Leben eines Ansiedlers so gut wie eines Angestellten auf den Pflanzungen Sumatras ist Arbeit, Arbeit von früh bis spät. Früher schon und jetzt, zur Zeit der verschärften Wirtschaftskrisen, erst recht. Immer heißt es da, auf dem Posten sein. Karg an Freuden ist dieses Leben. Schon der Mangel an Umgang mit seinesgleichen und an gesellschaftlichen Zerstreuungen wirkt höchst bedrückend auf das Gemüt. Wochenlang bekommt dort der Europäer, der fern von der Stadt auf seiner Pflanzung haust, keinen anderen Weißen zu sehen, als seine etwaigen weißen Angestellten oder Kollegen. Immer nur sieht er sich von Eingeborenen und Chinesen umgeben, zu denen er natürlich nicht das geringste innerliche Verhältnis hat. Und wer da nicht über die nötige Willenskraft verfügt, über gewisse Aktivposten des Geistes und des Gemüts, mit denen er die Öde ausgleichen kann, der wird leicht ein Opfer des Milieus. Wo es an Ablenkung fehlt, wo es weder Theater, noch Musik, noch Kunst, noch edlere Geselligkeit gibt, da greift der Mensch gern zur Flasche. Das fängt gewöhnlich in maßvoller Weise an, bis der gesteigerte Reizhunger beständig das Quantum vermehren läßt. Zur gewohnheitsmäßigen Trunksucht kommt dann das ebenso übertrieben gepflegte Kartenspiel sowie der ausschweifende Umgang mit farbigen Weibern. Ein Plantagenbeamter, der sich auf dieser abschüssigen Ebene befindet, ist meistens verloren. Er tut seine Arbeit nicht mehr ordentlich und wird entlassen. Nun wandert er von Stelle zu Stelle, kommt durch Laster und Krankheit immer mehr herunter und verschwindet schließlich, man weiß nicht wie und wohin. Denn lange werden solche Existenzen im Lande nicht geduldet, man schiebt sie ab.
Wer von den neuen Ankömmlingen sich dagegen ordentlich hielt und bewährte, der konnte es auch ziemlich rasch zu etwas bringen. Denn es war damals dringender Bedarf an brauchbaren europäischen Kräften. So wenig man, wie schon gesagt, nach der Vergangenheit fragte, so wenig fragte man auch nach Bildung. Es kam nur auf ernsten Arbeitswillen, körperliche Tüchtigkeit und den gewissen praktischen Instinkt an, der unter solchen Verhältnissen viel wertvoller ist als theoretische Gelehrsamkeit. Einige Leute in führender Stellung konnten damals nicht einmal schreiben! Ich kannte einen, der außer seinem Namen nicht schreiben und nur zur Not ein wenig lesen konnte. Aber er verstand sonst seine Sache ausgezeichnet, und deshalb nahm niemand Anstoß an seinem so ungewöhnlichen Bildungsmanko.
Neben den Fragwürdigen und Entgleisten fehlte es damals auch nicht an ausgesprochenen Abenteurern. Ein vollendeter Typ dieser Art, der viel von sich reden machte, war ein gewisser Baron H. Schon der Umstand, daß man über seine Herkunft die allerverschiedensten Angaben hören konnte, kennzeichnet das Problematische der Erscheinung. Denn während die einen ihn für den verstoßenen Sohn eines russischen Großfürsten erklärten und alle möglichen und unmöglichen Beweise für ihre Behauptung anzuführen wußten, verfochten die anderen, minder romantisch veranlagten Kolonisten ebenso eifrig die These, daß »Baron« H. früher in Schanghai als – Metzger am Fleischhackeklotz tätig gewesen wäre. Gleichviel ob Großfürstensohn oder Metzger, jedenfalls trat der Mann mit einer fabelhaften Sicherheit auf und wirkte schon dadurch allein, daß er russisch, englisch, französisch, deutsch, schwedisch, holländisch und ich weiß nicht was sonst noch für Sprachen beherrschte, geradezu verblüffend. Er war eines Tages wie ein Meteor an der Ostküste aufgetaucht und hatte die Witwe eines reichen Tabakpflanzers sofort dermaßen geblendet, daß sie ihm die Hand reichte; seitdem stand er der Tabaksplantage seiner Gattin vor. Baron H. trieb ungeheuren Aufwand mit Rennpferden, gab üppige Feste und warf das Geld nur so zum Fenster hinaus. Dieser Verschwendung hielt auch das fürstliche Vermögen nicht stand. Er geriet bald in Schulden, sank von Stufe zu Stufe und soll schließlich im Elend in Singapore gestorben sein. Aber vorher muß er doch noch einmal eine kurze Glanzperiode durchgemacht haben. Denn als ich ihn in Singapore zufällig sah, fuhr er mit zwei buddhistischen Priestern in gelber Seide an mir vorbei, in der Hand einen diamantenbesetzten Stock, im linken Ohr eine schwarze Perle, im rechten einen Rubin. Offenbar hatte er es verstanden, sich irgendwie an die Buddhisten heranzumachen. Näheres war darüber nicht zu erfahren, wie denn überhaupt ein geheimnisvoller Nimbus diesen Abenteurer umgab, so daß man nicht einmal seine Nationalität kannte. Er selbst hatte auf alle Fragen immer nur ausweichend oder mysteriös verschleierte Antworten erteilt.
Ich habe bisher fast ausschließlich von den auf Sumatra ansässigen Europäern und kaum von den Eingeborenen gesprochen. Aber das liegt, vom Standpunkt des Kolonisten aus betrachtet, sehr nahe. Denn wenn die dortigen Europäer sich zahlenmäßig auch nur in ganz verschwindender Minderheit gegenüber den Eingeborenen befinden, so sind sie doch nun einmal das treibende Element, ohne sie wäre ein Wirtschaftsleben und eine Kultur im modernen Sinn auf der Insel überhaupt nicht denkbar. Außerdem lebt der Kolonist, wenn man den Begriff »leben« in seiner höheren geistigen Bedeutung auffaßt, doch eigentlich nur mit seinesgleichen zusammen; nur im Verkehr mit anderen Europäern findet er, was er nach der Arbeit sucht: Erholung, Anregung, Kameradschaft. Man kann wohl mit einem Eingeborenen höheren Ranges und von einiger Bildung auf ganz gutem Fuße stehen, aber das geht schließlich nur bis zu einer gewissen Grenze – ein wirklich vertrautes, freundschaftliches Verhältnis zwischen Europäer und Eingeborenem scheint mir kaum denkbar zu sein, mir ist kein einziger Fall dieser Art bekannt geworden. Ein solches Verhältnis wird von seiten des Eingeborenen auch noch weniger gewünscht und gesucht, als von seiten des Europäers.
Der Ostküsten-Malaie ist ein nüchterner Mensch, auch kein sehr fanatischer Mohammedaner, er ist gegen Andersgläubige duldsam und nimmt es mit den religiösen Vorschriften nicht sehr genau. Mit der holländischen Herrschaft, die ihn auch keineswegs bedrückt, ihm im Gegenteil Schutz gegen Willkür und Ausbeutung gewährt, hat der Malaie sich längst abgefunden; trotzdem glaubt er und gibt dieser Überzeugung auch Ausdruck, daß das holländische Regiment nicht ewig dauern wird. Die Europäer sind im indischen Archipel die Gäste, die Malaien sind die Bleibenden und schließlich doch die Herren des Landes. Alles überläßt das Volk mit stoischem Fatalismus Gott. Er wird es schon recht machen und seinen Kindern einst wieder die Herrschaft geben. Wie die bei der Indolenz dann aussehen mag, kann man sich nicht recht vorstellen. Es braucht aber nur einmal ein Prophet aufzustehen, der das Volk zusammenzurufen, seine Kräfte zu sammeln, es zu führen weiß – dann wehe den Europäern! In einem Tage könnte es da mit der holländischen Herrschaft zu Ende sein. Wenn sich das holländische Regiment trotz der Geringfügigkeit seiner Machtmittel schon seit Jahrhunderten im indischen Archipel zu behaupten weiß, so liegt es, wie schon einmal bemerkt, daran, daß die dortige Kolonialwirtschaft mit sehr viel Verstand, Takt und Klugheit geleitet wird und auch dort das römische » Divide et impera« gilt. Man erreicht bei den Orientalen, die in allen weltlichen Angelegenheiten sehr nüchterne Rechner sind, mit den kleinen Mitteln der Überredungskunst mehr, als mit den großen Mitteln der Staatsgewalt. Fünfzig Jahre hat der Krieg mit den zähen Atjehern in Sumatras Norden gedauert, in dieser langen Zeit sind dort auf beiden Seiten Wunder der Tapferkeit geschehen und Ströme von Blut geflossen, ohne daß das endlose Ringen zum Abschluß kommen wollte. Erst als die Holländer anfingen, die Häupter von Atjeh an finanziellen Unternehmungen zu beteiligen, kam nach und nach Ruhe ins Land, so daß man endlich mit der wirtschaftlichen Durchdringung des so heiß umkämpften Gebietes beginnen konnte.
Ich habe mich in Sumatra bemüht, in den Geist des Volkes, besonders in den der Malaien einzudringen. Je länger ich aber im Lande lebte, desto verschlossener und rätselhafter erschien mir die asiatische Psyche. Wer Sumatra und die anderen Länder des Südostens nur für kürzere Zeit berührt, mag manches unbefangener sehen und schildern; bei ihm entscheidet der erste Eindruck, der manchmal der richtige ist oder wenigstens zu sein scheint. Aber wer sich lange Jahre dort aufhält, immer wieder neue und überraschende Züge im Charakter der Eingeborenen beobachtet, auf Grund immer neuer und selten erfreulicher Erfahrungen zur Revision seiner Ansichten genötigt ist, der wird mit der Zeit immer skeptischer und traut sich schließlich selber kein abschließendes Urteil zu. Er kann wohl die einzelnen Züge des Charakterbildes aufzeigen, aber wieviel von dieser Physiognomie unverstellte Wirklichkeit, wieviel erheuchelte Maske ist, das wagt er kaum noch mit Bestimmtheit zu sagen.
Mit den eingeborenen Malaien, die sich in keinem Dienstverhältnis befinden, kommt der Europäer, wie schon bemerkt, in Sumatra kaum in Berührung. Dieses Volk hält sich zurück und will vom weißen Kolonisten nichts wissen. Es ist nicht leicht, die Malaien, mit Ausnahme der Heruntergekommenen und Verarmten, für eine Dienstleistung zu gewinnen. Kaum daß sie sich einmal dazu hergeben, Wald zu schlagen oder Scheunen zu bauen. Sie führen ein idyllisches Leben in ihren Dörfern, pflanzen ihren Reis, die Männer jagen und fischen und lassen die Weiber das Feld bestellen. Es sind die geborenen Grandseigneurs. Sie lieben es, sich gut anzuziehen, wie sie denn überhaupt in allem, in der Architektur ihrer Häuser, in ihren Geräten, in ihrer Kleidung, einen fein kultivierten Geschmack bekunden; sie sind im Verkehr mit den Europäern höflich, aber sehr verschlossen und lassen ihn fühlen, daß er doch nur ein geduldeter Eindringling ist. Was sie einem nicht sagen wollen, sagen sie nicht, und ihre Weiber geben sie nie einem Europäer. Mir ist kein Fall bekannt, daß ein Kolonist jemals eine Ostküsten-Malaiin als Haushälterin gehabt hätte.
Was diese Haushälterinnen betrifft, so spielten sie zu meiner Zeit im Dasein des Kolonisten eine recht wichtige Rolle. War der Europäer erst so weit, daß er sein eigenes Haus besaß, so brauchte er als Unverheirateter – das waren damals die allermeisten Kolonisten – eine Haushälterin, die für die Wirtschaft und seine Kleidung sorgte und ihm ein geordnetes häusliches Leben ermöglichte. Diese Einrichtung war an der Ostküste Sumatras allgemein üblich und hatte aus den verschiedensten Gründen auch etwas für sich. Die Haushälterinnen waren früher meistens Javaninnen und mitunter, auch nach europäischen Begriffen, von hervorragender Schönheit. Auf ihre Treue hätte ich allerdings nie geschworen, obwohl mir Fälle bekannt sind, wo die Javaninnen in ihren Herrn und Gebieter leidenschaftlich verliebt waren – und ebenso umgekehrt. Aber das ist ein Kapitel für sich. Den Javaninnen entstand später starke Konkurrenz in den Japanerinnen. Als diese nach der Ostküste kamen, stachen sie mit ihrer gewinnenden Zierlichkeit und Heiterkeit, ihrer lebhaften Intelligenz die zwar sehr formenschönen, aber etwas apathischen und nicht sehr intelligenten Javaninnen gewaltig aus, man zog sie deshalb bald als Haushälterinnen vor und rühmte ihnen große Hausfrauentugenden, Ehrlichkeit und Sauberkeit nach.
Auch in diesem Punkt hat sich seit damals alles von Grund auf geändert. Zu jener Zeit waren die Vergnügungen, die sich der Europäer an Sumatras Ostküste leisten konnte, höchst bescheidener Art. Ein bißchen Jagd und gegenseitige Besuche, das war so ziemlich alles. Man ging zu seinem Nachbar, trank ein Glas Bier oder Whisky-Soda und ritt in dunkler Nacht, manchmal stundenlang, wieder heim, denn man mußte am nächsten Morgen in aller Frühe wieder auf dem Posten sein. Von Zeit zu Zeit gab es wohl auch einmal ein größeres Fest, aber fast immer ohne Damen, beim an diesen fehlte es sehr. Bei solchen Gelegenheiten wurde gewöhnlich furchtbar viel getrunken, und es war gut, wenn dann die Pferde den Heimweg kannten. Heutzutage ist alles zahmer und gesitteter geworden. Es wird nicht mehr so scharf der Flasche zugesprochen, und an geselligen Zerstreuungen fehlt es jetzt nicht. Englische und holländische Theatertruppen besuchen das Land, es finden Konzerte statt, bei denen sich hervorragende Musiker und Sänger hören lassen, und selbstverständlich ist das welterobernde Kino nun auch in Sumatra reichlich vertreten. Die Landstraßen, die bisher so ziemlich alles zu wünschen übrig ließen, befinden sich heute in gutem Zustand, die Autos rasen darüber hin, und wer selber kein Auto besitzt, kann eines für mäßiges Geld mieten. Die größte Veränderung in der Physiognomie des Kolonistenlebens hat aber doch das viel stärkere Auftreten von europäischer Weiblichkeit bewirkt. Wer es jetzt finanziell nur einigermaßen machen kann, ist verheiratet. Das hat die ganze Lebensweise natürlich auf eine weit solidere, sittlich gefestigtere Basis gestellt. Jetzt geben die vielen Damen dem ganzen Zusammenleben ein anderes Gesicht. Früher war es lediglich ein Land der Männer, rauh, aber interessant. Heutzutage geht alles nach Schema F, automatisch und fabrikmäßig wie in Europa. Man ist konventionell geworden, man hat das Dekorum zu wahren, man will Karriere machen. Sehr indisch, wie Java es jetzt noch ist, war Sumatras Ostküste übrigens nie. Das Europäische war immer die Grundnote, das machte wohl die nahe Nachbarschaft der englischen Städte Penang und Singapore. Der Engländer ist ja nie ins Indische gefallen, sondern in Indien immer Stockengländer geblieben, im Gegensatz zum anschmiegsamen Holländer, der sich in Java in so weitgehendem Maße den javanischen Sitten angepaßt hat.«
Da mich schon seit langem der Gedanke beschäftigt hatte, ob der in Ceylon verhältnismäßig nur schwach betriebene Anbau von Tabak nicht auf eine höhere Stufe gebracht werden könnte, interessierten mich in Sumatra hauptsächlich die Tabakplantagen. Wie in Kuba die Landschaft Vuelta Abajo die klassische Heimat der feinsten Havannazigarren ist, so darf hierzulande Deli Anspruch darauf erheben, den besten Sumatratabak zu liefern. Die Tabakkultur blickt hier auf noch kein hohes Alter zurück. Es ist größtenteils ausgerodeter Urwaldboden, den heute die Tabakfelder bedecken, und wo einmal die Kultur eine Zeitlang ausgesetzt wird, da schießt sehr bald wieder der Urwaldbusch hervor oder macht sich das zähe, schwer ausrottbare Alang-Alang-Gras breit. Das von den Maatschappijen bewirtschaftete Land gehört dem Sultan von Deli und ist für lange Zeit gepachtet. Gewöhnlich wird alljährlich nur immer etwa der zehnte Teil der ausgedehnten Flächen für den Tabakbau verwendet.
Der Europäer daheim pflegt sich von einer tropischen Plantage meistens recht unzutreffende Vorstellungen zu machen. In den Erzählungen gewisser phantasiebegabter »Reiseschriftsteller«, die schwerlich sehr weit gekommen sind, wird das Pflanzerleben der heißen Zone immer gern in den lockendsten Farben ausgemalt, gerade als ob jede Pflanzung ein Paradies, und das Dasein des Landwirts in den Tropen der Inbegriff aller irdischen Wonnen wäre. In Wirklichkeit verhält es sich etwas anders. Wohl gibt es auch landschaftlich sehr schön gelegene Plantagen, aber im allgemeinen ist eine tropische Pflanzung eine sehr nüchterne Anlage, ganz vom Geist der Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit erfüllt, und ebenso nüchtern sind die Wirtschaftsgebäude. Das trifft besonders auf die Tabakplantagen von Deli zu. Es ist längs der Küste ein flaches oder nur mäßig hügeliges Land, hier und dort von vereinzelten hohen Bäumen überragt, die man als kümmerliche Reste des ehemaligen Waldes stehen gelassen hat. Wenn zu Ende des Jahres die Felder abgeerntet sind, sehen sie öde und verlassen aus. Von starken malerischen oder sonstigen Reizen kaum eine Spur. Noch mehr würde den Neuling das »herrliche Pflanzerleben« enttäuschen. Es ist, wie Herr E. W. in seinen vorangegangenen Erinnerungen schon richtig bemerkt hat, ein hartes Dasein, reich an Arbeit und karg an Freuden, und die Arbeit stellt hier unter einem glühenden Himmel natürlich noch ganz andere Anforderungen n den Menschen, als daheim in unserem gemäßigten Klima.
Einige kurze Angaben über die Tabakkultur werden vielleicht von Interesse sein, gibt es doch auch in Deutschland zahllose Liebhaber des würzigen Sumatrakrauts.
Nachdem der Boden gepflügt und gehackt worden ist, werden im März die in Saatbeeten sorgfältig gezogenen jungen Tabakpflanzen ausgesetzt. Während sich die Pflanzen rasch zu voller Reife entwickeln, was drei Monate dauert, errichtet man in unmittelbarer Nähe der Felder die riesigen Trockenscheunen, langgestreckte Gebäude mit hohem Satteldach. Im Juni sind die Tabakpflanzen zu mannshohen Krautstämmen herangewachsen, und es beginnt nun die Ernte. Die Blätter werden abgeschnitten, in Bündel gebunden und in den Scheunen zum Trocknen aufgehängt. Haben sie die nötige Trockenheit erlangt, so wandern sie in die Fermentierscheune, einen luftigen Bau, der deshalb sehr umfangreich ist, weil er aus Zweckmäßigkeitsgründen immer von mehreren Plantagen gemeinschaftlich benützt wird. Hier schichtet man die Tabakblätter auf Schilfmatten sorgfältig auf, bedeckt sie oben mit Matten und überläßt sie dem Gärungsprozeß, der durch gewisse Bakterien hervorgerufen wird. Die im Innern der Haufen sich dabei entwickelnde Wärme wird durch beständige Messungen mit dem Thermometer kontrolliert, denn sie darf einen bestimmten Höhepunkt nicht überschreiten; ist dieser erreicht, so wird der Haufen auseinander genommen und neu aufgeschichtet, damit nun die Blätter, die vorher außen lagen, nach innen kommen. Der Gärungs- oder Fermentierungsprozeß läßt sich in der verschiedensten Weise beeinflussen, so daß man eine Menge von Variationen der Qualität und des Geschmacks erzielen kann; darin eine glückliche Hand zu haben, das ist eben die Kunst der überwachenden Fachmänner.
Ist die Gärung beendigt, so werden die Tabakblätter von Hunderten von chinesischen Arbeitern in der Fermentierscheune nach Größe, Festigkeit und Farbe sortiert und gebündelt, dann preßt man die Bündel unter starkem Druck zu Ballen zusammen und näht sie in Schilfmatten ein. Die Ballen werden nun zur Küste gebracht und zunächst nach Penang oder Singapore überführt, um von dort die Ozeanreise nach den europäischen Hauptmarktplätzen anzutreten. In Sumatra selbst findet der Tabak keine weitere Verarbeitung, es gibt hier keine Zigarrenmanufakturen.
Die in den Tabakplantagen beschäftigten Kulis, meistens Chinesen, arbeiten im Akkord. Die Lohnberechnung, die sich nach dem Quantum des abgelieferten Tabaks richtet, ist schwierig und verlangt von seiten der europäischen Beamten einen sichern Blick und volle Gerechtigkeit. Denn auch der fügsamste Kuli ist gegen jedes ihm angetane Unrecht ungemein empfindlich, deshalb haben Differenzen bei der Lohnberechnung nicht selten bereits zu schweren Unruhen und Gewalttaten geführt. Bis zur endgültigen Lohnabrechnung werden zweimal im Monat Vorschüsse ausgezahlt. Ein erfreuliches Menschenmaterial sind diese chinesischen Kulis wahrhaftig nicht, es befinden sich viele üble Elemente darunter; man darf ihnen nichts durchgehen lassen und muß sie streng, aber auch mit Wohlwollen und Gerechtigkeit in Ordnung halten. Die hohen chinesischen Feiertage, besonders das Neujahrsfest, das drei bis vier Tage dauert, werden von den sonst so genügsamen, stillen Kulis mit wüstem Lärm, Schmausereien und Trinkgelagen gefeiert. Dabei geht dann oft der so sauer verdiente Jahreslohn beim Glücksspiel auf, dem die Kulis, wie die meisten Chinesen, in leidenschaftlicher Weise frönen, und dem Ausgeplünderten, der eigentlich in die Heimat zurückkehren wollte, um dort einmal ein bis zwei Jahre sorglos zu leben, bleibt dann nichts weiter übrig, als sich sogleich wiederum für ein neues Arbeitsjahr zu verdingen. Er erhält dann einen namhaften Vorschuß, der ihn nicht selten dazu verführt, die Flucht zu ergreifen. Aber weit kommt er nicht, denn die Malaien auf dem Lande nehmen jeden verdächtigen Chinesen, der nicht im Besitz eines Urlaubsscheines ist, fest und bringen ihn nach der Plantage zurück, um sich die dafür ausgesetzte Prämie zu verdienen. Mitunter kommt es auch vor, daß Kulis durch unmäßigen Opiumgenuß oder durch Verzweiflung über Spielverluste in jenen Zustand der Raserei verfallen, den man bei den malaiischen Völkern unter »Amoklaufen« versteht. Mit einem Dolchmesser oder irgendeiner Hiebwaffe in der Hand stürmt der Amokläufer ins Blaue hinein und sticht oder schlägt blindlings jeden nieder, der ihm zufällig in den Weg kommt und nicht rechtzeitig ausweichen kann. Da Amokläufer vogelfrei sind, sucht man sie so rasch wie möglich durch Erschießen oder Erschlagen unschädlich zu machen.
Sind die Tabakfelder abgeerntet, so werden sie nach altem Rechtsbrauch den auf der Pflanzung tätig gewesenen Malaien sowie den malaiischen Landbewohnern der Umgegend zum Anbau von Reis überlassen. Die Leute siedeln sich dann mit ihren Familien auf den Feldern an, errichten dort ihre leichten Hütten und widmen sich neben dem Ackerbau, der hauptsächlich von den Frauen und Kindern besorgt wird, der Fischerei, der Jagd und anderen Passionen. Es ist im Gegensatz zu den kläglichen chinesischen Kulis – die der freie Malaie denn auch gründlich verachtet – ein glückliches Volk. Getreu nach dem Grundsatz: »Wer die Arbeit kennt, der reißt sich nicht darum,« schaffen sie nur gerade soviel, wie zur Lebensführung unbedingt nötig ist. Und dazu gehört nicht viel, denn auf dem gut vorbereiteten Boden gedeiht der Reis nebst anderweitigen Feldfrüchten sozusagen ganz von selbst, und für die Beschaffung von Wildbret sorgen die Fallen, die der Malaie in den mannigfachsten Formen mit wunderbarer Geschicklichkeit anzulegen versteht. Dieselbe Gewandtheit, das Ergebnis jahrhundertelanger Überlieferungen, bekundet er beim Fischfang, sowohl an der Küste wie an den zahlreichen kleinen Binnengewässern. Gleichviel, ob er dabei mit Reusen und Bungen, mit Wurf- und Schleppnetzen, oder mit Angel und Harpune arbeitet, immer ist er seiner Beute sicher und niemals kehrt er mit leerem Korbe heim. So fehlt dem Malaien, mag er auch noch so arm an Geldmitteln sein, eigentlich nichts zu einer glücklichen Existenz. Ohne sich im geringsten zu überanstrengen, findet er seine reichliche Nahrung. Was er durch Verkauf von Feldfrüchten, Fischen und Wildbret oder durch Handwerksarbeiten so nebenbei an Geld erwirbt, das wird in der Beschaffung möglichst schöner bunter Sarongs (das den Unterkörper umhüllende Gewand), Jacken und Schmucksachen angelegt.
Als Mohammedaner hat der Malaie, auch der geringste Bauer, meistens mehrere Frauen, schon aus Gründen der Zweckmäßigkeit, denn jede Frau bedeutet für ihn eine schätzbare Arbeitskraft. Und da er mit Sentimentalität nicht übermäßig beschwert ist, läßt er als praktisch veranlagter Mensch die älteren Weiber und heranwachsenden Kinder tüchtig Hand anlegen, während er sich der jungen Lieblingsfrau widmet, die, wenn sie hübsch ist – und die meisten jungen Malaienfrauen sind anmutig und hübsch – sich seiner ganzen Zärtlichkeit zu erfreuen hat. Auch die kleinen Kinder werden sehr liebevoll behandelt, man läßt sie bis zum sechsten Jahr in paradiesischem Zustand und glücklicher Freiheit herumlaufen.
Es wird viel geraucht und Betel gekaut. In ästhetischer Hinsicht muß das Betelkauen als eine recht widerwärtige Sitte bezeichnet werden. Überall sieht man die großen roten Flecke, die der Betelkauer als Andenken hinterläßt. Der Betelpriem besteht aus einem Stückchen der Betelnuß (Frucht der Arekapalme), gemischt mit etwas ungelöschtem Kalk, gelbem Gambir (dem bittersüßen Extrakt aus einer Rubiazee) und Zigarettentabak, alles in ein Blatt der Siripflanze gewickelt. Durch das Kauen des Priems wird der Speichel anfangs blutrot gefärbt, und er muß nun so lange ausgeworfen werden, bis er die rote Farbe verliert. Der Umstand, daß anhaltendes Betelkauen die Zähne schwarz macht, trägt nach unserem Geschmack auch nicht zur Verschönerung der Menschen bei, aber der Malaie ist darin anderer Ansicht. Immerhin soll das Betelkauen einen wohltätigen Einfluß auf den Organismus ausüben, manche Forscher betrachten es als ein ausgezeichnetes Vorbeugungsmittel gegen Malaria und Ruhr. Die Eingeborenen schreiben dem Betel jedenfalls eine ganze Reihe guter Eigenschaften zu und wollen auf ihren gewohnten Priem ebensowenig verzichten, wie der europäische Raucher auf seinen Tabak.
Noch ein Wort über die Behausungen der Malaien und Europäer an Sumatras Ostküste.
Wie der Malaie überhaupt ein sehr geschickter Handwerker ist und in allerlei Künsten Hervorragendes leisten könnte, wenn er nicht so träge wäre, so versteht er sich auch auf den Hausbau vortrefflich. Sind es auch nur mehr oder minder große, sehr luftige Hütten aus leichtestem Material, die er in seinen Dörfern und auf den Tabakfeldern errichtet, so zeichnen sie sich doch durch Zweckmäßigkeit, Festigkeit und – besonders in der schönen Linienführung der hohen Satteldächer und spitzen Giebel – durch feinen Geschmack aus. Das Baumaterial besteht fast ausschließlich aus zwei hierzulande unentbehrlichen Dingen, dem Rottang und dem Attapp. Das Rottang oder spanische Rohr ist das harte, ungemein feste Holz des Calamus Rottang, einer Palmenart, und Attapp ist das Blatt der gleichnamigen Palme. Rottang wird im malaiischen Archipel ebenso zu allen möglichen Zwecken verwendet, wie in vielen anderen Gegenden der warmen Zonen der Bambus, er dient zur Herstellung von Stühlen, Tischen und sonstigen Möbeln, und vor allem als Baumaterial; das Attapp aber spielt hierzulande die Rolle des Schiefers, man bekleidet Wände und Dächer damit.
Alle Malaienhäuser stehen auf einem Rost von Pfählen, so daß sich der Fußboden des Hauses in annähernd zwei Meter Höhe über dem Erdboden befindet. Dafür sind Gründe der Gesundheit und Sicherheit bestimmend: die Luft streicht unter den Häusern hindurch und weht die schädlichen Ausdünstungen der Erde weg, und den gefährlichen und lästigen Tieren, wie Schlangen und allerlei Ungeziefer, wird der Zutritt zum Innern des Hauses mindestens sehr erschwert. Da die Pfähle so hoch sind, daß man sich unter dem Hause ohne Bücken frei bewegen kann, benützt der Malaie den schattigen Platz zwischen den Pfählen zu seinen Handwerksarbeiten. Der Fußboden des Hauses wird aus nebeneinander gereihten, mit Baumrinde und Bast verstopften Rottangstangen hergestellt, ebenso wie die Wände und das Dach, die man außerdem noch mit Attapp bedeckt. Damit der Regen rasch abläuft, sind alle Dächer als Sattel- und Spitzdächer gebaut.
Eine ähnlich leichte, luftige Bauweise haben sich auch die Europäer außerhalb der größeren Ortschaften zu eigen gemacht. Zwar werden die Herrenhäuser jetzt größtenteils massiv gebaut, aber daneben findet man noch die kleinen hölzernen Bungalows. Rings um das Haus läuft eine möglichst geräumige, überdachte Veranda, die sich durch verstellbare Mattenwände in verschiedene Abteilungen einteilen läßt. Das häusliche Leben der Bewohner spielt sich hauptsächlich auf der Veranda ab, hier nimmt man die Mahlzeiten ein, gibt sich, auf den bequemen Rottangliegesesseln ruhend, der Erholung hin, hier empfängt und bewirtet man seine Besucher. Im Innern des Hauses befinden sich die Schlafzimmer und einige andere Räume, die meistens nur dann benutzt werden, wenn an stürmischen Regentagen der Aufenthalt auf der Veranda zu ungemütlich wird. Die Wirtschaftsräume befinden sich in einem besonderen, etwas abgelegenen Hause, damit das Geräusch des Dienstpersonals und die Küchengerüche nicht stören; durch einen etwa zwanzig Meter langen gedeckten Gang sind Wohnhaus und Wirtschaftshaus miteinander verbunden. Im Wirtschaftshause befindet sich auch der sehr wichtige Baderaum, in dem sich der Europäer täglich zweimal zu erfrischen pflegt. Wannenbäder kennt man in Holländisch-Indien freilich nicht. Man übergießt sich nur stehend oder sitzend mit Wasser, das aus einem großen Bottich geschöpft wird, also Lufttemperatur besitzt.
Der Hauptbestandteil der Mahlzeiten bildet die auch in Britisch-Indien sehr beliebte »Reistafel«, jenes kompakte Mischgericht aus Reis, Hühnerfleisch und anderem Fleisch, Fischen, Eiern, Gemüse, Gewürzen usw., das schon in »Kreuz und quer durch die indische Welt« näher beschrieben wurde. Da sich die Reistafel durch immer neue Zutaten und immer neue Variationen der Mischung (es gibt darin wahre Künstler) beständig anders bereiten läßt, wird man ihrer auch niemals überdrüssig.
Das Klima ist jetzt auch im niedrigen Alluvialland von Deli, wie schon früher bemerkt, im allgemeinen ganz gesund. Freilich muß der Europäer vernünftig leben, vor übermäßigen Erhitzungen ebenso auf der Hut sein wie vor Erkältungen und ganz besonders den Magen und die Verdauung in Ordnung halten. Eine Tropenkrankheit, die den Ansiedlern der Ostküste vor Jahren am meisten zu schaffen machte, war die Anchylostomiasis oder tropische Anämie, die anfangs nicht als solche erkannt, sondern fälschlich als Beriberikrankheit behandelt wurde. Das Leiden befiel hauptsächlich die Kulis, machte sie anämisch (blutarm) und raffte sie in kürzester Zeit dahin. Der Verursacher der Anchylostomiasis ist ein 10-18 Millimeter langer Rundwurm, der sich oft zu Tausenden im oberen Dünndarm befindet und das schwere Siechtum hervorruft. Die vorhin erwähnte Beriberikrankheit tritt in Indien, besonders in Ceylon und an der Malabarküste endemisch auf, befällt außer Eingeborenen auch Europäer, verursacht Mattigkeit, Lähmung und Atmungsbeschwerden und führt oft schon nach wenigen Stunden, mitunter aber auch erst nach Jahren den Tod herbei. Über die Ursache der Krankheit ist nichts Sicheres bekannt.
Unter den Tieren, die den Eingeborenen und Europäer an der Ostküste am meisten belästigen und ihm gefährlich werden können, stehen Schlangen und verschiedenes Ungeziefer obenan. Die größte Kobra ist die Schweinsschlange, malaiisch »ular babi«, so genannt, weil sie ein grunzendes Geräusch von sich gibt, das einige Ähnlichkeit mit dem Grunzen eines Schweines hat. Sie wird reichlich 5 Meter lang und ist hierzulande die einzige Schlange, die, ohne angegriffen zu sein, den Menschen angreift. Ihr Biß gilt als unbedingt tödlich und führt schon nach kürzester Zeit, nach 2-3 Minuten, das Ende herbei. Zum Glück ist sie ziemlich selten. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Kobra, die höchstens 2 Meter Länge erreicht, kann sich die Schweinsschlange mit außerordentlicher Schnelligkeit fortbewegen. Als Herr E. W. einmal mit seinem Wagen durch einen Hohlweg fuhr und wegen des schlechten Bodens nur langsam vorwärts kam, wurde er von einer lebhaft grunzenden Schweinsschlange, die offenbar Appetit nach seinem Pferd hatte, etwa 50 Meter weit verfolgt, so daß er froh war, als der enge Hohlweg, aus dem es kein Entrinnen gab, endlich hinter ihm lag. Die Kolonisten nennen die Schweinsschlange fälschlicherweise Cobra di Capello (Hutschlange), obwohl sie mit dieser nichts zu tun hat.
Zum unangenehmsten Ungeziefer gehört der Skolopender (Bandassel, Zangenassel), aus der Gruppe der Lippenfüßer, die zur Klasse der Myriopoden oder Tausendfüßer gehört. Der in Deutschland bekannte harmlose kleine Tausendfüßer ist ein winziger Zwerg gegen den Skolopender von Sumatra. Tausend Füße hat er allerdings ebensowenig wie der deutsche Tausendfüßer, sondern nur 42, von denen je zwei an jedem seiner 21 Leibesringe sitzen; das erste, ganz dicht am Mund sitzende Beinpaar ist zu Kieferfüßen umgewandelt, deren klauenartige Spitzen aus einer feinen Öffnung Gift in die damit geschlagene Wunde fließen lassen. Der Skolopender erreicht eine Länge von mehr als 20 Zentimeter. Zweifellos ist dieses rote oder schwarze, plattgedrückte lange Tier mit seinen wimmelnden Beinen und schlängelnden Bewegungen eines der greulichsten Ungeziefer der Welt, schon der bloße Anblick kann einem Übelkeiten erregen. Es ist aber auch ein gefährlicher, heimtückischer Räuber, der mit seinem giftigen Biß kleine Vögel und Saugetiere tötet; sogar bei Menschen soll sein äußerst schmerzhafter Biß bedenkliche Entzündungen hervorrufen und in besonders ungünstigen Fällen zum Tode führen.
Eines Tages brachte ein Kuli Herrn W. in einem Blatt einen riesigen Skolopender mit etwa 30 Jungen, die sich an seiner Brust festgeklammert hielten. Während der Skolopender sich ruhig betrachten ließ und gar keine Anstalten zur Flucht machte, schob er mit den Kieferfüßen ein Junges nach dem andern in den Mund und verschluckte sie, bis auch das letzte in seinem langgestreckten Innern verschwunden war. Herr W. ließ das Tier nach Hausbringen und steckte es zur weiteren Beobachtung in ein großes Einmachglas. Nach einiger Zeit, als er sich in Sicherheit wähnte, spie der Skolopender sämtliche Jungen wohlbehalten wieder aus, und diese hefteten sich wiederum an seiner Brustseite fest. Jedenfalls ist das ein radikales Mittel, die Nachkommenschaft zu beschützen; dasselbe Verfahren kommt auch bei einigen Schlangen vor.