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Allgemeinheit der Erblichkeit und der Vererbung. Auffallende besondere Aeusserungen derselben. Menschen mit vier, sechs oder sieben Fingern und Zehen. Stachelschwein-Menschen. Vererbung von Krankheiten, namentlich von Geistes-Krankheiten. Erbsünde. Erbliche Monarchie. Erbadel. Erbliche Talente und Seelen-Eigenschaften. Materielle Ursachen der Vererbung. Zusammenhang der Vererbung mit der Fortpflanzung. Urzeugung und Fortpflanzung. Ungeschlechtliche oder monogone Fortpflanzung. Fortpflanzung durch Selbsttheilung. Moneren und Amoeben. Fortpflanzung durch Knospenbildung, durch Keim-Knospenbildung und durch Keim-Zellenbildung. Geschlechtliche oder amphigone Fortpflanzung. Zwitterbildung oder Hermaphroditismus. Geschlechtstrennung oder Gonochorismus. Jungfräuliche Zeugung oder Parthenogenesis. Materielle Uebertragung der Eigenschaften beider Eltern auf das Kind bei der geschlechtlichen Fortpflanzung.
Meine Herren! Als die formbildende Naturkraft, welche die verschiedenen Gestalten der Thier- und Pflanzen-Arten erzeugt, haben Sie in dem letzten Vortrage nach Darwin's Theorie die natürliche Züchtung kennen gelernt. Wir verstanden unter diesem Ausdruck die allgemeine Wechsel-Wirkung, welche im Kampfe um das Dasein zwischen der Erblichkeit und der Veränderlichkeit der Organismen stattfindet; zwischen zwei physiologischen Functionen, welche allen Thieren und Pflanzen eigenthümlich sind, und welche sich auf andere Lebens-Thätigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und Ernährung zurückführen lassen. Alle die verschiedenen Formen der Organismen, welche man gewöhnlich geneigt ist als Producte einer zweckmässig thätigen Schöpferkraft anzusehen, konnten wir nach jener Züchtungs-Theorie auffassen als die nothwendigen Producte der zwecklos wirkenden natürlichen Züchtung, entstanden durch die unbewusste Wechsel-Wirkung zwischen jenen beiden Eigenschaften der Veränderlichkeit und der Erblichkeit. Bei der ausserordentlichen Wichtigkeit, welche diesen Lebens-Eigenschaften der Organismen demgemäss zukommt, müssen wir zunächst dieselben etwas näher in das Auge fassen, und wir wollen uns heute mit der Vererbung beschäftigen.
Genau genommen müssen wir unterscheiden zwischen der Erblichkeit und der Vererbung. Die Erblichkeit ist die Vererbungskraft, die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen durch die Fortpflanzung zu übertragen. Die Vererbung oder Heredität dagegen bezeichnet die wirkliche Ausübung dieser Fähigkeit, die thatsächlich stattfindende Uebertragung.
Erblichkeit und Vererbung sind so allgemeine, alltägliche Erscheinungen, dass die meisten Menschen dieselben überhaupt nicht beachten, und dass die wenigsten geneigt sind, besondere Reflexionen über den Werth und die Bedeutung dieser Lebens-Erscheinungen anzustellen. Man findet es allgemein ganz natürlich und selbstverständlich, dass jeder Organismus seines Gleichen erzeugt, und dass die Kinder den Eltern im Ganzen wie im Einzelnen ähnlich sind. Gewöhnlich pflegt man die Erblichkeit nur in jenen Fällen hervorzuheben und zu besprechen, wo sie eine besondere Eigenthümlichkeit betrifft, die an einem menschlichen Individuum, ohne ererbt zu sein, zum ersten Male auftrat und von diesem auf seine Nachkommen übertragen wurde. In besonders auffallendem Grade zeigt sich so die Vererbung bei bestimmten Krankheiten und bei ganz ungewöhnlichen, monströsen Abweichungen von der gewöhnlichen Körperbildung.
Unter diesen Fällen von Vererbung monströser Abänderungen sind besonders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung oder Verminderung der Fünfzahl der menschlichen Finger und Zehen betreffen. Nicht selten kommen menschliche Familien vor, in denen mehrere Generationen hindurch sechs Finger an jeder Hand oder sechs Zehen an jedem Fusse beobachtet werden. Seltener sind Beispiele von Siebenzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen. Die ungewöhnliche Bildung geht immer zuerst von einem einzigen Individuum aus, welches aus unbekannten Ursachen mit einem Ueberschuss über die gewöhnliche Fünfzahl der Finger und Zehen geboren wird und diesen durch Vererbung auf einen Theil seiner Nachkommen überträgt. In einer und derselben Familie kann man die Sechszahl der Finger und Zehen nun drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen. In einer spanischen Familie waren nicht weniger als vierzig Individuen durch diese Ueberzahl ausgezeichnet. In allen Fällen ist die Vererbung der sechsten überzähligen Zehe oder des sechsten Fingers nicht bleibend und durchgreifend, weil die sechsfingerigen Menschen sich immer wieder mit fünffingerigen vermischen. Würde eine sechsfingerige Familie sich in reiner Inzucht fortpflanzen, würden sechsfingerige Männer immer nur sechsfingerige Frauen heirathen, so könnte durch Fixirung dieses Charakters eine besondere sechsfingerige Menschenart entstehen. Da aber die sechsfingerigen Männer immer fünffingerige Frauen heirathen, und umgekehrt, so zeigt ihre Nachkommenschaft meistens sehr gemischte Zahlen-Verhältnisse und schlägt schliesslich nach Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fünfzahl zurück. So können z. B. von 8 Kindern eines sechsfingerigen Vaters und einer fünffingerigen Mutter 2 Kinder an allen Händen und Füssen 6 Finger und 6 Zehen haben, 4 Kinder gemischte Zahlen-Verhältnisse und 2 Kinder überall die gewöhnliche Fünfzahl. In einer spanischen Familie hatten sämmtliche Kinder bis auf das jüngste an Händen und Füssen die Sechszahl; nur das jüngste hatte überall fünf Finger und Zehen, und der sechsfingerige Vater des Kindes wollte dieses letzte daher nicht als das seinige anerkennen.
Sehr auffallend zeigt sich ferner die Vererbungskraft in der Bildung und Färbung der menschlichen Haut und Haare. Es ist allbekannt, wie genau in vielen menschlichen Familien eine eigenthümliche Beschaffenheit des Hautsystems, z. B. eine besonders weiche oder spröde Haut, eine auffallende Ueppigkeit des Haarwuchses, eine besondere Farbe und Grösse der Augen u. s. w. viele Generationen hindurch forterbt. Ebenso werden besondere locale Auswüchse und Flecke der Haut, sogenannte Muttermale, Leberflecke und andere Pigment-Anhäufungen, die an bestimmten Stellen vorkommen, gar nicht selten mehrere Generationen hindurch so genau vererbt, dass sie bei den Nachkommen an denselben Stellen sich zeigen, an denen sie bei den Eltern vorhanden waren. Besonders berühmt geworden sind die Stachelschwein-Menschen aus der Familie Lambert, welche im vorigen Jahrhundert in London lebte. Edward Lambert, der 1717 geboren wurde, zeichnete sich durch eine ganz ungewöhnliche und monströse Bildung der Haut aus. Der ganze Körper war mit einer zolldicken hornartigen Kruste bedeckt, welche sich in Form zahlreicher stachelförmiger und schuppenförmiger Fortsätze (bis über einen Zoll lang) erhob. Diese monströse Bildung der Oberhaut oder Epidermis vererbte Lambert auf seine Söhne und Enkel, aber nicht auf die Enkelinnen. Die Uebertragung blieb also hier in der männlichen Linie, wie es auch sonst oft der Fall ist. Ebenso vererbt sich übermässige Fett-Entwickelung an gewissen Körperstellen oft nur innerhalb der weiblichen Linie. Wie genau sich die charakteristische Gesichts-Bildung erblich überträgt, braucht wohl kaum erinnert zu werden; bald bleibt dieselbe in der männlichen, bald innerhalb der weiblichen Linie; bald vermischt sie sich in beiden Linien.
Sehr lehrreich und allbekannt sind ferner die Vererbungs-Erscheinungen pathologischer Zustände, besonders gewisser menschlicher Krankheits-Formen. Bekanntlich werden insbesondere Krankheiten der Athmungs-Organe, der Drüsen und des Nerven-Systems leicht erblich übertragen. Sehr häufig tritt plötzlich in einer sonst gesunden Familie eine derselben bisher unbekannte Erkrankung auf; sie wird erworben durch äussere Ursachen, durch krankmachende Lebens-Bedingungen. Diese Krankheit, welche bei einem einzelnen Individuum durch äussere Ursachen hervorgerufen wurde, pflanzt sich von letzterem auf seine Nachkommen fort, und diese haben nun alle oder zum Theil an derselben Krankheit zu leiden. Bei Lungen-Krankheiten ist dieses traurige Verhältniss der Erblichkeit allbekannt, ebenso bei Leber-Krankheiten, bei Syphilis, bei Geistes-Krankheiten. Diese letzteren sind von ganz besonderem Interesse. Ebenso wie gewisse Charakterzüge des Menschen, Stolz, Ehrgeiz, Leichtsinn u. s. w. streng durch die Vererbung auf die Nachkommenschaft übertragen werden, so gilt das auch von den besonderen, abnormen Aeusserungen der Seelenthätigkeit, welche man als fixe Ideen, Schwermuth, Blödsinn und überhaupt als Geistes-Krankheiten bezeichnet. Es zeigt sich hier deutlich und unwiderleglich, dass die Seele des Menschen, ebenso wie die Seele der Thiere, eine rein mechanische Thätigkeit, eine Summe von molekularen Bewegungs-Erscheinungen der Gehirntheilchen ist, und dass sie mit ihrem Substrate, ebenso wie jede andere Körper-Eigenschaft, durch die Fortpflanzung materiell übertragen, d. h. vererbt wird.
Diese äusserst wichtige und unleugbare Thatsache erregt, wenn man sie ausspricht, gewöhnlich grosses Aergerniss, und doch wird sie eigentlich stillschweigend allgemein anerkannt. Denn worauf beruhen die Vorstellungen von der »Erb-Sünde«, der »Erb-Weisheit«, dem »Erb-Adel« u. s. w. anders, als auf der Ueberzeugung, dass die menschliche Geistes-Beschaffenheit durch die Fortpflanzung – also durch einen rein materiellen Vorgang! – körperlich von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird? – Die Anerkennung dieser grossen Bedeutung der Erblichkeit äussert sich in einer Menge von menschlichen Einrichtungen, wie z. B. in der Kasten-Eintheilung vieler Völker in Krieger-Kasten, Priester-Kasten, Arbeiter-Kasten u. s. w. Offenbar beruht ursprünglich die Einrichtung solcher Kasten auf der Vorstellung von der hohen Wichtigkeit erblicher Vorzüge, welche gewissen Familien beiwohnten, und von denen man voraussetzte, dass sie immer wieder von den Eltern auf die Nachkommen übertragen werden würden. Die Einrichtung des erblichen Adels und der erblichen Monarchie ist auf die Vorstellung einer solchen Vererbung besonderer Tugenden zurückzuführen. Allerdings sind es leider nicht nur die Tugenden, sondern auch die Laster, welche durch Vererbung übertragen und gehäuft werden; und wenn Sie in der Welt-Geschichte die verschiedenen Individuen der einzelnen Dynastien vergleichen, so werden Sie zwar überall eine grosse Anzahl von Beweisen für die Erblichkeit auffinden können, aber oft weniger für die Erblichkeit der Tugenden, als der entgegengesetzten Eigenschaften. Denken Sie z. B. nur an die römischen Kaiser, an die Julier und die Claudier, oder an die Bourbonen in Frankreich, Spanien und Italien!
In der That dürfte kaum irgendwo eine solche Fülle von schlagenden Beispielen für die merkwürdige Vererbung der feinsten körperlichen und geistigen Züge gefunden werden, als in der Geschichte der regierenden Häuser in den erblichen Monarchien. Ganz besonders gilt dies mit Bezug auf die vorher erwähnten, in ungewöhnlichem Maasse erblichen Geistes-Krankheiten. Schon der berühmte Irrenarzt Esquirol wies nach, dass die Zahl der Geisteskranken in den regierenden Häusern zu ihrer Anzahl in der gewöhnlichen Bevölkerung sich verhält, wie 60 zu 1, d. h. dass Geistes-Krankheit in den bevorzugten Familien der regierenden Häuser sechzig mal so häufig vorkommt, als in der gewöhnlichen Menschheit. Würde eine gleiche genaue Statistik auch für den erblichen Adel durchgeführt, so dürfte sich leicht herausstellen, dass auch dieser ein ungleich grösseres Contingent von Geisteskranken stellt, als die nichtadelige Menschheit. Diese Erscheinung wird uns kaum mehr wundern, wenn wir bedenken, welchen Nachtheil sich meistens diese privilegirten Kasten durch ihre unnatürliche einseitige Erziehung und durch ihre künstliche Absperrung von der übrigen Menschheit selbst zufügen. Manche dunkle Schattenseiten der menschlichen Natur werden dadurch besonders entwickelt, gleichsam künstlich gezüchtet, und pflanzen sich nun nach den Vererbungs-Gesetzen mit immer verstärkter Kraft und Einseitigkeit durch die Reihe der Generationen fort.
Wie sich in der Generations-Folge mancher Dynastien die edle Vorliebe für Wissenschaft und Kunst, in anderen das Pflichtgefühl des tugendhaften Herrschers, als des ersten Staatsdieners, durch viele Generationen erblich überträgt und erhält, wie dagegen in anderen Dynastien Jahrhunderte hindurch eine besondere Neigung für sinnlichen Lebensgenuss, oder für das Kriegshandwerk, oder für rohe Gewaltthätigkeiten vererbt wird, ist aus der Völker-Geschichte Ihnen hinreichend bekannt. Ebenso vererben sich in manchen Familien viele Generationen hindurch ganz bestimmte Anlagen für einzelne Geistes-Thätigkeiten, z. B. Dichtkunst, Tonkunst, bildende Kunst, Mathematik, Naturforschung, Philosophie u. s. w. In der Familie Bach hat es nicht weniger als zweiundzwanzig hervorragende musikalische Talente gegeben. Natürlich beruht die Vererbung solcher Seelen-Eigenthümlichkeiten, wie die Vererbung der Geistes-Eigenschaften überhaupt, auf dem materiellen Vorgang der Zeugung. Auch hier ist die Lebens-Erscheinung, die Kraft-Aeusserung, unmittelbar (wie überall in der Natur) verbunden mit verschiedenen Mischungs-Verhältnissen des Stoffes. Die Mischung und Molekular-Bewegung des Stoffes ist es, welche bei der Zeugung übertragen wird.
Bevor wir nun die verschiedenen, zum Theil sehr interessanten und bedeutenden Gesetze der Vererbung näher untersuchen, wollen wir über die eigentliche Natur dieses Vorganges uns verständigen. Man pflegt vielfach die Erblichkeits-Erscheinungen als etwas ganz Räthselhaftes anzusehen, als eigenthümliche Vorgänge, welche durch die Natur-Wissenschaft nicht ergründet, in ihren Ursachen und eigentlichem Wesen nicht erfasst werden könnten. Man pflegt gerade hier sehr allgemein übernatürliche Einwirkungen anzunehmen. Es lässt sich aber schon jetzt, bei dem heutigen Zustande der Physiologie, mit vollkommener Sicherheit nachweisen, dass alle Erblichkeits-Erscheinungen durchaus natürliche Vorgänge sind, dass sie durch mechanische Ursachen bewirkt werden, und dass sie auf materiellen Bewegungs-Erscheinungen im Körper der Organismen beruhen, welche wir als Theilerscheinungen der Fortpflanzung betrachten können. Alle Erblichkeits-Erscheinungen und Vererbungs-Gesetze lassen sich auf die materiellen Vorgänge der Fortpflanzung zurückführen.
Jeder einzelne Organismus, jedes lebendige Individuum verdankt sein Dasein entweder einem Acte der elternlosen Zeugung oder Urzeugung (Generatio spontanea, Archigonia), oder einem Acte der elterlichen Zeugung oder Fortpflanzung (Generatio parentalis, Tocogonia). Auf die Urzeugung oder Archigonie, durch welche bloss Organismen der allereinfachsten Art, Moneren, entstehen können, werden wir in einem späteren Vortrage zurückkommen. Jetzt haben wir uns nur mit der Fortpflanzung oder Tocogonie zu beschäftigen, deren nähere Betrachtung für das Verständniss der Vererbung von der grössten Wichtigkeit ist. Die Meisten von Ihnen werden von den Fortpflanzungs-Erscheinungen wahrscheinlich nur diejenigen kennen, welche Sie allgemein bei den höheren Pflanzen und Thieren beobachten, die Vorgänge der geschlechtlichen Fortpflanzung oder der Amphigonie. Viel weniger allgemein bekannt sind die Vorgänge der ungeschlechtlichen Fortpflanzung oder der Monogonie. Gerade diese sind aber bei weitem mehr als die vorhergehenden geeignet, ein erklärendes Licht auf die Natur der mit der Fortpflanzung zusammenhängenden Vererbung zu werfen.
Aus diesem Grunde ersuche ich Sie, jetzt zunächst bloss die Erscheinungen der ungeschlechtlichen oder monogonen Fortpflanzung (Monogonia) in das Auge zu fassen. Diese tritt in mannichfach verschiedener Form auf, als Selbsttheilung, Knospen-Bildung und Keimzellen- oder Sporen-Bildung. Am lehrreichsten ist es hier, zunächst die Fortpflanzung bei den einfachsten Organismen zu betrachten, welche wir kennen, und auf welche wir später bei der Frage von der Urzeugung zurückkommen müssen. Diese allereinfachsten uns bis jetzt bekannten, und zugleich die denkbar einfachsten Organismen sind die wasserbewohnenden Moneren: sehr kleine lebendige Körperchen, welche eigentlich streng genommen den Namen des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung »Organismus« für die lebenden Wesen beruht auf der Vorstellung, dass jeder belebte Naturkörper aus Organen zusammengesetzt ist, aus verschiedenartigen Theilen, die als Werkzeuge, ähnlich den verschiedenen Theilen einer künstlichen Maschine, in einander greifen und zusammenwirken, um die Thätigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber in den Moneren seit fünfundzwanzig Jahren kleine Organismen kennen gelernt, welche in der That nicht aus Organen zusammengesetzt sind, sondern ganz und gar aus einer structurlosen gleichartigen Materie bestehen, aus homogenem Plasma. Der ganze Körper dieser Moneren ist zeitlebens weiter Nichts, als ein bewegliches Schleimklümpchen ohne beständige Form, ein kleines lebendiges Stück einer eiweissartigen Kohlenstoff-Verbindung. Wir nehmen an, dass diese gleichartige Masse eine sehr verwickelte feine Molekular-Structur besitzt; allein anatomisch oder mikroskopisch nachweisbar ist dieselbe nicht. Einfachere, unvollkommnere Organismen sind gar nicht denkbar.15)
Die ersten vollständigen Beobachtungen über die Natur-Geschichte eines Moneres (Protogenes primordialis) habe ich 1864 bei Nizza angestellt. Andere sehr merkwürdige Moneren habe ich später (1866) auf der canarischen Insel Lanzarote und (1867) an der Meerenge von Gibraltar beobachtet. Die vollständige Lebens-Geschichte eines dieser canarischen Moneren, der orangerothen Protomyxa aurantica, ist auf Tafel I (S. 168) dargestellt und in deren Erklärung beschrieben (im Anhang).
Auch in der Nordsee, an der norwegischen Küste bei Bergen, habe ich (1869) einige eigenthümliche Moneren aufgefunden. Ein interessantes Moner des süssen Wassers hat Cienkowski unter dem Namen Vampyrella beschrieben, ein anderes Sorokin unter dem Namen Gloidium, ein drittes Leidy als Biomyxa, ein viertes Mereschkowski als Haeckelina u. s. w. Neuerdings sind solche echte, kernlose Moneren auch von zahlreichen anderen Naturforschern (Gruber, Trinchese, Maggi, Bütschli u. s. w.) beobachtet worden. Ich lege deshalb auf diese vielseitige Bestätigung meiner oft angezweifelten Entdeckung grossen Werth, weil der Nachweis kernloser Plastiden für mehrere Grundfragen unserer Entwickelungs-Lehre höchst bedeutungsvoll ist. In der That besteht ihr Körper einzig und allein aus structurlosem Plasma oder Protoplasma, d. h. aus derselben eiweissartigen Kohlenstoff-Verbindung, welche in unendlich vielen Modificationen als der wesentlichste und nie fehlende Träger der Lebens-Erscheinungen in allen Organismen sich findet. Eine ausführlichere Beschreibung und Abbildung jener Moneren habe ich 1870 in meiner »Monographie der Moneren« gegeben, aus der auch Tafel I copirt ist 15).
Im Ruhezustande erscheinen die meisten Moneren als kleine Schleimkügelchen, für das unbewaffnete Auge nicht sichtbar oder eben sichtbar, höchstens von der Grösse eines Stecknadelkopfes. Wenn das Moner sich bewegt, bilden sich an der Oberfläche der kleinen Schleimkugel formlose fingerartige Fortsätze oder sehr feine strahlende Fäden, sogenannte Scheinfüsse oder Pseudopodien. Diese Scheinfüsse sind einfache, unmittelbare Fortsetzungen der structurlosen eiweissartigen Masse, aus der der ganze Körper besteht. Wir sind nicht im Stande, verschiedenartige Theile in demselben wahrzunehmen, und wir können den directen Beweis für die absolute Einfachheit der festflüssigen Eiweissmasse dadurch führen, dass wir die Nahrungs-Aufnahme der Moneren unter dem Mikroskope verfolgen. Wenn kleine Körperchen, die zur Ernährung derselben tauglich sind, z. B. kleine Theilchen von zerstörten organischen Körpern oder mikroskopische Pflänzchen und Infusions-Thierchen, zufällig in Berührung mit den Moneren kommen, so bleiben sie an der klebrigen Oberfläche des festflüssigen Schleimklümpchens hängen, erzeugen hier einen Reiz, welcher stärkeren Zufluss der schleimigen Körpermasse zur Folge hat und werden endlich ganz von dieser umschlossen, oder sie werden durch Verschiebungen der einzelnen Eiweiss-Theilchen des Moneren-Körpers in diesen hineingezogen und dort verdaut, durch einfache Diffusion (Endosmose) ausgezogen.
Ebenso einfach wie die Ernährung ist die Fortpflanzung dieser Urwesen, die man eigentlich weder Thiere noch Pflanzen nennen kann. Alle Moneren pflanzen sich nur auf dem ungeschlechtlichen Wege fort, durch Monogonie; und zwar im einfachsten Falle durch diejenige Art der Spaltung, welche wir an die Spitze der verschiedenen Fortpflanzungs-Formen stellen, durch Selbsttheilung. Wenn ein solches Klümpchen, z. B. eine Protamoeba oder ein Protogenes, eine gewisse Grösse durch Aufnahme fremder Eiweissmaterie erhalten hat, so zerfällt es in zwei Stücke; es bildet sich eine Einschnürung, welche ringförmig herumgeht, und schliesslich zur Trennung der beiden Hälften führt. (Vergl. Fig. 1.) Jede Hälfte rundet sich alsbald ab und erscheint nun als ein selbstständiges Individuum, welches das einfache Spiel der Lebens-Erscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, von Neuem beginnt. Indem die abgetrennte Hälfte allmählich durch Wachsthum wieder ersetzt wird, erhebt diese Regeneration den Theil zum Werth des Ganzen. Bei anderen Moneren (Vampyrella und Gloidium) zerfällt der Körper bei der Fortpflanzung nicht in zwei, sondern in vier gleiche Stücke, und bei noch anderen (Protomonas, Protomyxa, Myxastrum) sogleich in eine grosse Anzahl von kleinen Schleimkügelchen, deren jedes durch einfaches Wachsthum dem elterlichen Körper wieder gleich wird (Tafel I). Es zeigt sich hier deutlich, dass der Vorgang der Fortpflanzung weiter Nichts ist als ein Wachsthum des Organismus über sein individuelles Maass hinaus.
Die einfache Fortpflanzungs-Weise der Moneren durch Selbsttheilung ist eigentlich die allgemeinste und weitest verbreitete von allen verschiedenen Fortpflanzungs-Arten; denn durch denselben einfachen Process der Theilung pflanzen sich auch die Zellen fort, diejenigen einfachen organischen Individuen, welche in sehr grosser Zahl den Körper der allermeisten Organismen, den menschlichen Körper nicht ausgenommen, zusammensetzen. Abgesehen von den Organismen niedersten Ranges, welche noch nicht einmal den Formwerth einer Zelle haben (Moneren), oder zeitlebens eine einfache Zelle darstellen (wie die meisten Protisten) ist der Körper jedes organischen Individuums aus einer grossen Anzahl von Zellen zusammengesetzt. Jede organische Zelle ist bis zu einem gewissen Grade ein selbstständiger Organismus, ein sogenannter »Elementar-Organismus« oder ein »Individuum erster Ordnung«. Jeder höhere Organismus ist gewissermaassen eine Gesellschaft oder ein Staat von solchen vielgestaltigen, durch Arbeitstheilung mannichfaltig ausgebildeten Elementar-Individuen 41). Ursprünglich ist jede organische Zelle auch nur ein einfaches Schleimklümpchen, gleich einem Moner, jedoch von diesem dadurch verschieden, dass die gleichartige Eiweiss-Masse in zwei verschiedene Bestandtheile sich gesondert hat: ein inneres, festeres Eiweiss-Körperchen, den Zellkern (Nucleus), und einen äusseren, weicheren Eiweiss-Körper, den Zellschleim (Protoplasma). Ausserdem bilden viele Zellen späterhin noch einen dritten (jedoch häufig fehlenden) Formbestandtheil, indem sie sich einkapseln, eine äussere Hülle oder Zellhaut (Membrana) ausschwitzen. Alle übrigen Formbestandtheile, die sonst noch in den Zellen vorkommen, sind von untergeordneter Bedeutung und interessiren uns hier nicht.
Ursprünglich ist auch jeder mehrzellige Organismus eine einfache Zelle; er wird dadurch mehrzellig, dass jene Zelle sich durch Theilung fortpflanzt, und dass die so entstehenden neuen Zellen-Individuen beisammen bleiben und durch Arbeitstheilung eine Gemeinde oder einen Staat bilden. Die Formen und Lebenserscheinungen aller mehrzelligen Organismen sind lediglich die Wirkung oder der Ausdruck der gesammten Formen und Lebenserscheinungen aller einzelnen sie zusammensetzenden Zellen. Das Ei, aus welchem sich die meisten Thiere und Pflanzen entwickeln, ist eine einfache Zelle.
Die einzelligen Organismen, d. h. diejenigen, welche zeitlebens den Formwerth einer einzigen Zelle beibehalten, z. B. die Amoeben (Fig. 2), pflanzen sich in der Regel auf die einfachste Weise durch Theilung fort. Dieser Process unterscheidet sich von der vorher bei den Moneren beschriebenen Selbsttheilung nur dadurch, dass zunächst aus dem festeren Zellkern (Nucleus) sich zwei neue Kerne bilden. Die beiden jungen Kerne entfernen sich von einander und wirken nun wie zwei verschiedene Anziehungs-Mittelpunkte auf die umgebende weichere Eiweiss-Masse, den Zellschleim (Protoplasma). Dadurch zerfällt schliesslich auch dieser in zwei Hälften, und es sind nun zwei neue Zellen vorhanden, welche der Mutter-Zelle gleich sind. War die Zelle von einer Membran umgeben, so theilt sich diese entweder nicht, wie bei der Eifurchung (Fig. 3, 4), oder sie folgt passiv der activen Einschnürung des Protoplasma, oder es wird von jeder jungen Zelle eine neue Haut ausgeschwitzt.
Ganz ebenso wie die selbstständigen einzelligen Organismen, z. B. Amoeba (Fig. 2) pflanzen sich nun auch die unselbstständigen Zellen fort, welche in Gemeinden oder Staaten vereinigt bleiben und so den Körper der höheren Organismen zusammensetzen. Ebenso vermehrt sich auch durch einfache Theilung die Zelle, mit welcher die meisten Thiere und Pflanzen ihre individuelle Existenz beginnen, nämlich das Ei. Wenn sich aus einem Ei ein Thier, z. B. ein Säugethier (Fig. 3, 4) entwickelt, so beginnt dieser Entwickelungs-Process stets damit, dass die einfache Ei-Zelle (Fig. 3) durch fortgesetzte Selbsttheilung einen Zellenhaufen bildet (Fig. 4). Die äussere Hülle oder Zellhaut des kugeligen Eies bleibt ungetheilt. Zuerst zerfällt nach Eintritt der Befruchtung der Zellenkern des Eies durch Selbsttheilung in zwei Kerne, dann folgt der Zellschleim (der Dotter des Eies) nach (Fig. 4A). In gleicher Weise zerfallen durch die fortgesetzte Selbsttheilung die zwei Zellen in vier (Fig. 4B), diese in acht (Fig. 4C), in sechzehn, zweiunddreissig u. s. w., und es entsteht schliesslich ein kugeliger Haufe von sehr zahlreichen kleinen Zellen (Fig. 4D). Diese bauen nun durch weitere Vermehrung und ungleichartige Ausbildung (Arbeitstheilung) allmählich den zusammengesetzten mehrzelligen Organismus auf. Jeder von uns hat im Beginne seiner individuellen Entwickelung denselben, in Fig. 4 dargestellten Process durchgemacht. Das in Fig. 3 abgebildete Säugethier-Ei und die in Fig. 4 dargestellte Entwickelung desselben könnte eben so gut vom Menschen, als vom Affen, vom Hunde, vom Pferde oder von irgend einem anderen placentalen Säugethier herrühren.
Wenn Sie nun zunächst nur diese einfachste Form der Fortpflanzung, die Selbsttheilung, betrachten, so werden Sie es gewiss nicht wunderbar finden, dass die Theilungs-Producte des ursprünglichen Organismus dieselben Eigenschaften besitzen, wie das elterliche Individuum. Sie sind ja Theilhälften des elterlichen Organismus, und da die Materie, der Plasma-Stoff, in beiden Hälften derselbe ist, da die beiden jungen Individuen gleich viel und gleich beschaffene Materie von dem elterlichen Individuum. überkommen haben, so müssen natürlich auch die Lebens-Erscheinungen, die physiologischen Eigenschaften, in den beiden Kindern dieselben sein. In der That sind in jeder Beziehung, sowohl hinsichtlich ihrer Form und ihres Stoffes, als hinsichtlich ihrer Lebens-Erscheinungen, die beiden Tochter-Zellen nicht von einander und von der Mutter-Zelle zu unterscheiden. Sie haben von ihr die gleiche Natur geerbt.
Nun findet sich aber dieselbe einfache Fortpflanzung durch Theilung nicht bloss bei den einfachen Zellen, sondern auch bei höher stehenden mehrzelligen Organismen, z. B. bei den Korallen-Thieren. Viele derselben, welche schon einen höheren Grad von Zusammensetzung und Organisation zeigen, pflanzen sich dennoch einfach durch Theilung fort. Hier zerfällt der ganze Organismus mit allen seinen Organen in zwei gleiche Hälften, sobald er durch Wachsthum ein gewisses Maass der Grösse erreicht hat. Jede Hälfte ergänzt sich alsbald wieder durch Wachsthum zu einem vollständigen Individuum. Auch hier finden Sie es gewiss selbstverständlich, dass die beiden Theilungs-Producte die Eigenschaften des elterlichen Organismus theilen, da sie ja selbst Substanzhälften desselben sind.
An die Fortpflanzung durch Theilung schliesst sich zunächst die Fortpflanzung durch Knospen-Bildung an. Diese Art der Monogonie ist ausserordentlich weit verbreitet. Sie findet sich sowohl bei den einfachen Zellen (obwohl seltener), als auch bei den aus vielen Zellen zusammengesetzten höheren Organismen. Ganz allgemein verbreitet ist die Knospen-Bildung im Pflanzen-Reich, seltener im Thier-Reich. Jedoch kommt sie auch hier in dem Stamme der Pflanzen-Thiere, insbesondere bei den Korallen und bei einem grossen Theile der Medusen sehr häufig vor, ferner auch bei einem Theil der Würmer (Platt-Würmern, Ringel-Würmern, Moosthieren) und bei den Mantelthieren. Die meisten verzweigten Thier-Stöcke, welche auch äusserlich den verzweigten Pflanzen-Stöcken so ähnlich sind, entstehen gleich diesen durch Knospen-Bildung. Die Fortpflanzung durch Knospen-Bildung (Gemmatio) ist von der Fortpflanzung durch Theilung wesentlich verschieden. Die beiden durch Knospung neu erzeugten Organismen sind nicht von gleichem Alter und daher anfänglich auch nicht von gleichem Werthe, wie es bei der Theilung der Fall ist. Bei der letzteren können wir offenbar keines der beiden neu erzeugten Individuen als das elterliche, als das erzeugende ansehen, weil beide ja gleichen Antheil an der Zusammensetzung des ursprünglichen, elterlichen Individuums haben. Wenn dagegen ein Organismus eine Knospe treibt, so ist die letztere das Kind des ersteren. Beide Individuen sind von ungleichem Alter und daher zunächst auch von ungleicher Grösse und ungleichem Formenwerth. Wenn z. B. eine Zelle durch Knospen-Bildung sich fortpflanzt, so sehen wir nicht, dass die Zelle in zwei gleiche Hälften zerfällt, sondern es bildet sich an einer Stelle eine Hervorragung, welche grösser und grösser wird, und welche sich mehr oder weniger von der elterlichen Zelle absondert und nun selbstständig wächst. Ebenso bemerken wir bei der Knospen-Bildung einer Pflanze oder eines Thieres, dass an einer Stelle des ausgebildeten Individuums eine kleine locale Wucherung entsteht, welche grösser und grösser wird, und ebenfalls durch selbstständiges Wachsthum sich mehr oder weniger von dem elterlichen Organismus absondert. Die Knospe kann später, nachdem sie eine gewisse Grösse erlangt hat, entweder vollkommen von dem Eltern-Individuum sich ablösen, oder sie kann mit diesem im Zusammenhang bleiben und einen Stock bilden, dabei aber doch ganz selbstständig weiter leben. Während das Wachsthum, welches die Fortpflanzung einleitet, bei der Theilung ein totales ist und den ganzen Körper betrifft, ist dasselbe dagegen bei der Knospen-Bildung ein partielles und betrifft nur einen Theil des elterlichen Organismus. Aber auch hier behält die Knospe, das neu erzeugte Individuum, welches mit dem elterlichen Organismus so lange im unmittelbarsten Zusammenhang steht und aus diesem hervorgeht, dessen wesentliche Eigenschaften und ursprüngliche Bildungsrichtung bei.
An die Knospen-Bildung schliesst sich unmittelbar eine dritte Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung an, diejenige durch Keimknospen-Bildung (Polysporogonia). Bei niederen unvollkommenen Organismen, so bei sehr vielen Cryptogamen, unter den Thieren insbesondere bei den Pflanzenthieren und Würmern, sondert sich in einem aus vielen Zellen zusammengesetzten Individuum eine kleine Zellen-Gruppe von den umgebenden Zellen ab, und nun wächst diese kleine isolirte Zellen-Gruppe allmählich zu einem Individuum heran, welches dem elterlichen ähnlich wird und früher oder später aus diesem heraustritt. So entstehen z. B. im Körper der Saug-Würmer (Trematoden) oft zahlreiche, aus vielen Zellen zusammengesetzte Körperchen, Keim-Knospen oder Polysporen, welche sich schon frühzeitig ganz von dem Eltern-Körper absondern und diesen verlassen, nachdem sie einen gewissen Grad selbstständiger Ausbildung erreicht haben.
Offenbar ist die Keimknospen-Bildung von der echten Knospen-Bildung nur wenig verschieden. Andrerseits aber berührt sie sich mit einer vierten Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, welche beinahe schon zur geschlechtlichen Zeugung hinüberführt, nämlich mit der Keimzellen-Bildung (Monosporogonia), oft auch schlechtweg Sporen-Bildung (Sporogonia) genannt. Hier ist es nicht mehr eine Zellen-Gruppe, sondern eine einzelne Zelle, welche sich im Innern des zeugenden Organismus von den umgebenden Zellen absondert, und sich erst weiter entwickelt, nachdem sie aus jenem ausgetreten ist. Nachdem diese Keimzelle oder Monospore (gewöhnlich kurzweg Spore genannt) das Eltern-Individuum verlassen hat, vermehrt sie sich durch Theilung und bildet so einen vielzelligen Organismus, welcher durch Wachsthum und allmähliche Ausbildung die erblichen Eigenschaften des elterlichen Organismus wieder erlangt. So geschieht es sehr häufig bei den niederen Pflanzen.
Obwohl die Keimzellen-Bildung der Keimknospen-Bildung sehr nahe steht, entfernt sie sich doch offenbar von dieser, wie von den vorher angeführten anderen Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung sehr wesentlich dadurch, dass nur ein ganz kleiner Theil des zeugenden Organismus die Fortpflanzung und somit auch die Vererbung vermittelt. Bei der Selbsttheilung, wo der ganze Organismus in zwei Hälften zerfällt, bei der Knospen-Bildung, wo ein ansehnlicher und bereits mehr oder minder entwickelter Körpertheil von dem zeugenden Individuum sich absondert, finden wir es sehr begreiflich, dass Formen und Lebens-Erscheinungen in dem zeugenden und erzeugten Organismus dieselben sind. Viel schwieriger ist schon bei der Keimknospen-Bildung, und noch schwerer bei der Keimzellen-Bildung zu begreifen, wie dieser ganz kleine, ganz unentwickelte Körper-Theil, diese Zellen-Gruppe oder einzelne Zelle nicht bloss gewisse elterliche Eigenschaften unmittelbar mit in ihre selbstständige Existenz hinübernimmt, sondern auch nach ihrer Trennung vom elterlichen Individuum sich zu einem vielzelligen Körper entwickelt, und in diesem die Formen und die Lebens-Erscheinungen des ursprünglichen, zeugenden Organismus wieder zu Tage treten lässt. Diese letzte Form der monogonen Fortpflanzung, die Keimzellen- oder Sporen-Bildung, führt uns hierdurch bereits unmittelbar zu der am schwierigsten zu erklärenden Form der Fortpflanzung, zur geschlechtlichen Zeugung, hinüber.
Die geschlechtliche (amphigone oder sexuelle) Zeugung (Amphigonia) ist die gewöhnliche Fortpflanzungs-Art bei allen höheren Thieren und Pflanzen. Offenbar hat sich dieselbe im Verlaufe der Erd-Geschichte erst später aus der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, und zwar zunächst aus der Keimzellen-Bildung entwickelt. In den frühesten Perioden der organischen Erd-Geschichte pflanzten sich alle Organismen nur auf ungeschlechtlichem Wege fort, wie es gegenwärtig noch zahlreiche niedere Organismen thun, insbesondere viele von jenen einzelligen Wesen, welche auf der niedrigsten Stufe der Organisation stehen, welche man weder als Thiere noch als Pflanzen mit vollem Rechte betrachten kann, und welche man daher am besten als Urwesen oder Protisten aus dem Thier- und Pflanzen-Reich ausscheidet. Indessen erfolgt bei vielen Protisten die Vermehrung durch Theilung oder Sporen-Bildung erst dann, wenn die Verschmelzung von zwei individuellen Zellen vorausgegangen ist. Diese Conjugation oder Copulation ist der Anfang der geschlechtlichen Fortpflanzung, welche bei den höheren Thieren und Pflanzen gegenwärtig die Vermehrung der Individuen in der Regel allein vermittelt.
Während bei allen vorhin erwähnten Haupt-Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, bei der Theilung, Knospen-Bildung, Keimknospen-Bildung und Keimzellen-Bildung, die abgesonderte Zelle oder Zellen-Gruppe für sich allein im Stande ist, sich zu einem neuen Individuum auszubilden, so muss dieselbe bei der geschlechtlichen Fortpflanzung erst durch einen anderen Zeugungs-Stoff befruchtet werden. Zwei verschiedene Zellen, die männliche Samen-Zelle (Sperma) und die weibliche Ei-Zelle müssen mit einander verschmelzen; und aus der neuen durch diese Copulation entstandenen Zelle (der Stamm-Zelle, Cytula) entwickelt sich der vielzellige Organismus. Diese beiden verschiedenen Zeugungs-Elemente, der männliche Samen und das weibliche Ei, werden entweder von einem und demselben Individuum erzeugt (Zwitter-Bildung, Hermaphroditismus) oder von zwei verschiedenen Individuen (Geschlechts-Trennung, Gonochorismus).
Die einfachere und niedere Form der geschlechtlichen Fortpflanzung ist die Zwitter-Bildung (Hermaphroditismus). Sie findet sich bei der grossen Mehrzahl der Pflanzen, aber nur bei einer grossen Minderzahl der Thiere, z. B. bei den Garten-Schnecken, Blut-Egeln, Regen-Würmern und vielen anderen Würmern. Jedes einzelne Individuum erzeugt als Zwitter (Hermaphroditus) in sich beiderlei Geschlechts-Stoffe, Eier und Samen. Bei den meisten höheren Pflanzen enthält jede Blüthe sowohl die männlichen Organe (Staubfäden und Staubbeutel) als die weiblichen Organe (Griffel und Fruchtknoten). Die Garten-Schnecke erzeugt an einer Stelle ihrer Geschlechts-Drüse Eier, an einer anderen Sperma. Der Blut-Egel hat ein Paar Eier-Stöcke und neun Paar Samen-Drüsen. Viele Zwitter können sich selbst befruchten; bei anderen ist eine Copulation und gegenseitige Befruchtung zweier Individuen nothwendig, um die Eier zur Entwickelung zu veranlassen. Durch diese Wechsel-Kreuzung werden die Nachtheile der Inzucht vermieden. Das ist schon der Uebergang zur Geschlechts-Trennung.
Die Geschlechts-Trennung (Gonorchorismus) ist die höhere und verwickeltere von beiden Arten der geschlechtlichen Zeugung. Sie ist gegenwärtig die allgemeine Fortpflanzungs-Art der höheren Thiere, findet sich dagegen nur bei einer geringeren Anzahl von Pflanzen (z. B. manchen Wasser-Pflanzen: Hydrocharis, Vallisneria; und Bäumen: Weiden, Pappeln). Jedes organische Individuum als Nicht-Zwitter (Gonochoristus) erzeugt in sich nur einen von beiden Zeugungs-Stoffen, entweder männlichen oder weiblichen. Die weiblichen Individuen bilden sowohl bei den Thieren, als bei den Pflanzen Eier oder Ei-Zellen. Die Eier der Pflanzen werden gewöhnlich bei den Blüthen-Pflanzen (Phanerogamen) »Embryo-Bläschen«, bei den Blüthenlosen (Cryptogamen) »Befruchtungs-Kugeln« genannt. Die männlichen Individuen sondern bei den Thieren den befruchtenden Samen (Sperma) ab, bei den Pflanzen dem Sperma entsprechende Körperchen (Pollen-Körner oder Blüthen-Staub bei den Phanerogamen; bei den Cryptogamen ein Sperma, welches gleich demjenigen der meisten Thiere aus lebhaft beweglichen, in einer Flüssigkeit schwimmenden Geissel-Zellen besteht, den Zoospermien, Spermatozoen oder Sperma-Zellen).
Eine interessante Uebergangs-Form von der geschlechtlichen Zeugung zu der (nächststehenden) ungeschlechtlichen Keimzellen-Bildung bietet die sogenannte jungfräuliche Zeugung dar (Parthenogenesis). Diese ist in neuerer Zeit bei den Insecten, besonders durch Siebold's verdienstvolle Untersuchungen, vielfach nachgewiesen worden; Keimzellen, die sonst den gewöhnlichen Ei-Zellen ganz ähnlich erscheinen und ebenso entstehen, können sich zu neuen Individuen entwickeln, ohne des befruchtenden Samens zu bedürfen. Die merkwürdigsten und lehrreichsten von den verschiedenen parthenogenetischen Erscheinungen bieten uns diejenigen Fälle, in denen dieselben Keimzellen, je nachdem sie befruchtet werden oder nicht, verschiedene Individuen erzeugen. Bei unseren gewöhnlichen Honig-Bienen entsteht aus den Eiern der Königin ein männliches Individuum (eine Drohne), wenn das Ei nicht befruchtet wird; ein weibliches (eine Königin oder Arbeiterin), wenn das Ei befruchtet wird. Es zeigt sich hier deutlich, dass in der That eine tiefe Kluft zwischen geschlechtlicher und geschlechtsloser Zeugung nicht existirt, dass beide Formen vielmehr unmittelbar zusammenhängen. Uebrigens ist die Parthenogenesis der Insecten keine ursprüngliche, primäre Erscheinung, vielmehr erst secundär durch Ausfall des männlichen Geschlechts entstanden; aus irgend einem Grunde sind die Männchen überflüssig geworden!
Jedenfalls ist sowohl bei Pflanzen als bei Thieren die geschlechtliche Zeugung, die als ein so wunderbarer Vorgang erscheint, erst in späterer Zeit aus der älteren ungeschlechtlichen Zeugung hervorgegangen. In beiden Fällen ist die Vererbung eine nothwendige Theilerscheinung der Fortpflanzung. Die Verschmelzung von zwei gleichartigen Zellen, welche bei zahlreichen Protisten die ungeschlechtliche Vermehrung durch Theilung oder Sporen-Bildung einleitet (– bald als vorübergehende Conjugation, bald als bleibende Copulation –) ist der erste Schritt zur Amphigonie. Der zweite Schritt ist die ungleichartige Ausbildung oder Divergenz der beiden Zellen, ihre Arbeits-Theilung und Form-Spaltung. Die kleinere und beweglichere Zelle gestaltet sich zur männlichen Sperma-Zelle, die grössere und trägere Zelle hingegen zur weiblichen Ei-Zelle. Beide übertragen bei ihrer Verschmelzung ihre besonderen Eigenschaften erblich auf das gemeinsame Product. Diese Vererbung wird uns begreiflich, wenn wir die ganze Kette der angeführten Fortpflanzungs-Erscheinungen vergleichend im Zusammenhang überblicken.