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Allgemeine theoretische Bedeutung des Species-Begriffs. Unterschied in der theoretischen und practischen Bestimmung des Artbegriffs. Cuviers Definition der Species. Cuviers Verdienste als Begründer der vergleichenden Anatomie. Unterscheidung der vier Hauptformen (Typen oder Zweige) des Thierreichs durch Cuvier und Baer. Cuviers Verdienste um die Paläontologie. Seine Hypothese von den Revolutionen des Erdballs und den durch dieselben getrennten Schöpfungs-Perioden. Unbekannte, übernatürliche Ursachen dieser Revolutionen und der darauf folgenden Neuschöpfungen. Teleologisches Natursystem von Agassiz. Seine Vorstellungen vom Schöpfungs-Plane und dessen sechs Kategorien (Gruppenstufen des Systems). Agassiz' Ansichten von der Erschaffung der Species. Grobe Vermenschlichung (Anthropomorphismus) des Schöpfers in der Schöpfungs-Hypothese von Agassiz. Innere Unhaltbarkeit derselben und Widersprüche mit den von Agassiz entdeckten wichtigen paläontologischen Gesetzen.
Meine Herren! Der entscheidende Schwerpunkt in dem Meinungskampfe, der von den Naturforschern über die Entstehung der Organismen, über ihre Schöpfung oder Entwickelung geführt wird, liegt in den Vorstellungen, welche man sich von dem Wesen der Art oder Species macht. Entweder hält man mit Linné die verschiedenen Arten für selbstständige, von einander unabhängige Schöpfungsformen, oder man nimmt mit Darwin deren Blutsverwandtschaft an. Wenn man Linné's Ansicht theilt und die verschiedenen organischen Species unabhängig von einander entstehen lässt, so kann man sich diese Entstehung nur als eine übernatürliche Schöpfung denken; man muss entweder für jedes einzelne organische Individuum einen besonderen Schöpfungsast annehmen (wozu sich wohl kein Naturforscher entschliessen wird), oder man muss alle Individuen einer jeden Art von einem einzigen Individuum oder von einem einzigen Stammpaare ableiten, welches nicht auf natürlichem Wege entstanden, sondern durch den Machtspruch eines Schöpfers in das Dasein gerufen ist. Damit verlässt man aber das sichere Gebiet vernunftgemässer Natur-Erkenntniss und flüchtet sich in das mythologische Reich des Wunderglaubens.
Wenn man dagegen mit Darwin die Formen-Aehnlichkeit der verschiedenen Arten auf wirkliche Blutsverwandtschaft bezieht, so muss man alle verschiedenen Species der Thier- und Pflanzenwelt als veränderte Nachkommen einer einzigen oder einiger wenigen, höchst einfachen, ursprünglichen Stammformen betrachten. Durch diese Anschauung gewinnt das natürliche System der Organismen (die baumartig verzweigte Anordnung und Eintheilung derselben in Classen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten) die Bedeutung eines wirklichen Stammbaums, dessen Wurzel durch jene uralten längst verschwundenen Stammformen gebildet wird. Eine wirklich naturgemässe und folgerichtige Betrachtung der Organismen kann aber auch für diese einfachsten ursprünglichen Stammformen keinen übernatürlichen Schöpfungsact annehmen, sondern nur eine Entstehung durch Urzeugung (Archigonie oder Generatio spontanea). Durch Darwins Ansicht von dem Wesen der Species gelangen wir daher zu einer natürlichen Entwickelungs-Theorie, durch Linné's Auffassung des Artbegriffs dagegen zu einem übernatürlichen Schöpfungs-Dogma.
Die meisten Naturforscher nach Linné, dessen grosse Verdienste um die unterscheidende und beschreibende Naturwissenschaft ihm das höchste Ansehen gewannen, traten in seine Fusstapfen; ohne weiter über die Entstehung der Organismen nachzudenken, nahmen sie in dem Sinne Linné's eine selbstständige Schöpfung der einzelnen Arten an, in Uebereinstimmung mit dem mosaischen Schöpfungs-Bericht. Die Grundlage ihrer Species-Auffassung bildete Linné's Ausspruch: »Es giebt so viele Arten, als ursprünglich verschiedene Formen erschaffen worden sind.« Jedoch müssen wir hier, ohne näher auf die Begriffsbestimmung der Species einzugehen, sogleich bemerken, dass alle Zoologen und Botaniker in der systematischen Praxis, bei der practischen Unterscheidung und Benennung der Thier- und Pflanzen-Arten, sich nicht im Geringsten um jene angenommene Schöpfung ihrer elterlichen Stammformen kümmerten, und auch wirklich nicht kümmern konnten. In dieser Beziehung macht einer unserer ersten Zoologen, der geistvolle Fritz Müller, folgende treffende Bemerkung: »Wie es in christlichen Landen eine Katechismus-Moral giebt, die Jeder im Munde führt, Niemand zu befolgen sich verpflichtet hält, oder von anderen befolgt zu sehen erwartet, so hat auch die Zoologie ihre Dogmen, die man eben so allgemein bekennt, als in der Praxis verläugnet.« (»Für Darwin«, S. 71) 16). Ein solches vernunftwidriges, aber gerade darum mächtiges Dogma, und zwar das mächtigste von allen, war bis vor Kurzem das Linné'sche Species-Dogma. Obwohl die allermeisten Naturforscher demselben blindlings sich unterwarfen, waren sie doch natürlich niemals in der Lage, die Abstammung aller zu einer Art gehörigen Individuen von jener gemeinsamen, ursprünglich erschaffenen Stammform der Art nachweisen zu können. Vielmehr bedienten sich sowohl die Zoologen als die Botaniker in ihrer systematischen Praxis ausschliesslich der Formähnlichkeit, um die verschiedenen Arten zu unterscheiden und zu benennen. Sie stellten in eine Art oder Species alle organischen Einzelwesen, die einander in der Formbildung sehr ähnlich oder fast gleich waren, und die sich nur durch sehr unbedeutende Formenunterschiede von einander trennen liessen. Dagegen betrachteten sie als verschiedene Arten diejenigen Individuen, welche wesentlichere oder auffallendere Unterschiede in ihrer Körpergestaltung darboten. Natürlich war aber damit der grössten Willkür in der systematischen Artunterscheidung Thür und Thor geöffnet. Denn da niemals alle Individuen einer Species in allen Stücken völlig gleich sind, vielmehr jede Art mehr oder weniger abändert (variirt), so vermochte Niemand zu sagen, welcher Grad der Abänderung eine wirklich »gute Art«, welcher Grad bloss eine Spielart oder Rasse (Varietät) bezeichne.
Nothwendig musste diese dogmatische Auffassung des Species-Begriffes und die damit verbundene Willkür zu den unlösbarsten Widersprüchen und zu den unhaltbarsten Annahmen führen. Dies zeigt sich deutlich schon bei demjenigen Naturforscher, welcher nächst Linné den grössten Einfluss auf die Ausbildung der Thierkunde gewann, bei dem berühmten George Cuvier (geb. 1769). Er schloss sich in seiner Auffassung und Bestimmung des Species-Begriffs im Ganzen an Linné an, und theilte seine Vorstellung von einer unabhängigen Erschaffung der einzelnen Arten. Die Unveränderlichkeit derselben hielt Cuvier für so wichtig, dass er sich bis zu dem thörichten Ausspruche verstieg: »die Beständigkeit der Species ist eine nothwendige Bedingung für die Existenz der wissenschaftlichen Naturgeschichte.« Da Linné's Definition der Species ihm nicht genügte, machte er den Versuch, eine genauere und für die systematische Praxis mehr verwerthbare Begriffs-Bestimmung derselben zu geben, und zwar in folgender Definition: »Zu einer Art gehören alle diejenigen Individuen der Thiere und der Pflanzen, welche entweder von einander oder von gemeinsamen Stammeltern bewiesenermassen abstammen, oder welche diesen so ähnlich sind, als die letzteren unter sich.«
Cuvier dachte sich in dieser Beziehung ungefähr Folgendes: »Bei denjenigen organischen Individuen, von denen wir wissen, sie stammen von einer und derselben Elternform ab, bei denen also ihre gemeinsame Abstammung empirisch erwiesen ist, leidet es keinen Zweifel, dass sie zu einer Art gehören, mögen dieselben nun wenig oder viel von einander abweichen, mögen sie fast gleich oder sehr ungleich sein. Ebenso gehören dann aber zu dieser Art auch alle diejenigen Individuen, welche von den letzteren (den aus gemeinsamem Stamm empirisch abgeleiteten) nicht mehr verschieden sind, als diese unter sich von einander abweichen.« Bei näherer Betrachtung dieser Species-Definition Cuviers zeigt sich sofort, dass dieselbe weder theoretisch befriedigend, noch practisch anwendbar ist. Cuvier fing mit dieser Definition bereits an, sich in dem Kreise herum zu drehen, in welchem fast alle folgenden Definitionen der Species im Sinne ihrer Unveränderlichkeit sich bewegt haben.
Bei der ausserordentlichen Bedeutung, welche George Cuvier für die organische Naturwissenschaft gewonnen hat, angesichts der fast unbeschränkten Alleinherrschaft, welche seine Ansichten während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in der Thierkunde ausübten, erscheint es an dieser Stelle angemessen, seinen Einfluss noch etwas näher zu beleuchten. Es ist dies um so nöthiger, als wir in Cuvier den bedeutendsten Gegner der Abstammungs-Lehre und der monistischen Natur-Auffassung zu bekämpfen haben.
Unter den vielen und grossen Verdiensten Cuviers stehen obenan diejenigen, welche er sich als Gründer der vergleichenden Anatomie erwarb. Während Linné die Unterscheidung der Arten, Gattungen, Ordnungen und Classen meistens auf äussere Charaktere, auf einzelne, leicht auffindbare Merkmale in der Zahl, Grösse, Lage und Gestalt einzelner Körpertheile gründete, drang Cuvier viel tiefer in das Wesen der Organisation ein. Er wies grosse und durchgreifende Verschiedenheiten in dem inneren Bau der Thiere als die wesentliche Grundlage einer wissenschaftlichen Erkenntniss und Classification derselben nach. Er unterschied natürliche Familien in den Thierclassen und er gründete auf deren vergleichende Anatomie sein natürliches System des Thierreichs.
Der Fortschritt von dem künstlichen System Linné's zu dem natürlichen System Cuviers war ausserordentlich bedeutend. Linné hatte sämmtliche Thiere in eine einzige Reihe geordnet, welche er in sechs Classen eintheilte, zwei wirbellose und vier Wirbelthierclassen. Er unterschied dieselben künstlich nach der Beschaffenheit des Blutes und des Herzens. Cuvier dagegen zeigte, dass man im Thierreich vier grosse natürliche Hauptabtheilungen unterscheiden müsse, welche er Hauptformen, Generalpläne oder Zweige des Thierreichs nannte. Diese Embranchements sind: 1) die Wirbelthiere (Vertebrata), 2) die Gliederthiere (Articulata), 3) die Weichthiere (Mollusca) und 4) die Strahlthiere (Radiata). Cuvier wies ferner nach, dass in jedem dieser vier Zweige ein eigenthümlicher Bauplan oder Typus erkennbar sei, welcher denselben von jedem der drei andern Zweige unterscheidet. Bei den Wirbelthieren ist derselbe durch die Beschaffenheit des inneren Skelets oder Knochen-Gerüstes, sowie durch den Bau und die Lage des Rückenmarks, abgesehen von vielen anderen Eigenthümlichkeiten, bestimmt ausgedrückt. Die Gliederthiere werden durch ihr Bauchmark und ihr Rückenherz charakterisirt. Für die Weichthiere ist die sackartige, ungegliederte Körperform bezeichnend. Die Strahlthiere endlich unterscheiden sich von den drei anderen Hauptformen durch die Zusammensetzung ihres Körpers aus vier oder mehreren, strahlenförmig vereinigten Hauptabschnitten (Parameren).
Man pflegt gewöhnlich die Unterscheidung dieser vier thierischen Hauptformen, welche ungemein fruchtbar für die weitere Entwickelung der Zoologie wurde, Cuvier allein zuzuschreiben. Indessen wurde derselbe Gedanke fast gleichzeitig, und unabhängig von Cuvier, von einem der grössten deutschen Naturforscher ausgesprochen, von Baer, welcher um die Entwickelungs-Geschichte der Thiere sich die hervorragendsten Verdienste erwarb. Baer zeigte, dass man auch in der Entwickelungsweise der Thiere vier verschiedene Hauptformen oder Typen unterscheiden müsse 20). Diese entsprechen den vier thierischen Bauplänen, welche Cuvier auf Grund der vergleichenden Anatomie unterschieden hatte. So z. B. stimmt die individuelle Entwickelung aller Wirbelthiere aus dem Ei in ihren Grundzügen von Anfang an so sehr überein, dass man die Keimanlagen oder Embryonen der verschiedenen Wirbelthiere (z. B. der Reptilien, Vögel und Säugethiere) in der frühesten Zeit gar nicht unterscheiden kann. Erst im weiteren Verlaufe der Entwickelung treten allmählich die tieferen Formunterschiede auf, welche jene verschiedenen Classen und deren Ordnungen von einander trennen. Ebenso ist die Körperanlage, welche sich bei der individuellen Entwickelung der Gliederthiere (Insekten, Spinnen, Krebse) ausbildet, von Anfang an bei allen Gliederthieren im Wesentlichen gleich, dagegen verschieden von derjenigen aller Wirbelthiere. Dasselbe gilt mit gewissen Einschränkungen von den Weichthieren und von den Strahlthieren.
Weder Baer, welcher auf dem Wege der individuellen Entwickelungs-Geschichte (oder Ontogenie), noch Cuvier, welcher auf dem Wege der vergleichenden Anatomie zur Unterscheidung der vier thierischen Typen oder Hauptformen gelangte, erkannte die wahre Ursache dieses typischen Unterschiedes. Diese wird uns nur durch die Abstammungs-Lehre enthüllt. Die wunderbare und wirklich überraschende Aehnlichkeit in der inneren Organisation, in den anatomischen Structur-Verhältnissen, und die noch merkwürdigere Uebereinstimmung in der individuellen Entwickelung bei allen Thieren, welche zu einem und demselben Typus, z. B. zu dem Zweige der Wirbelthiere gehören, erklärt sich in der einfachsten Weise durch die Annahme einer gemeinsamen Abstammung derselben von einer einzigen Stammform. Entschliesst man sich nicht zu dieser Annahme, so bleibt jene durchgreifende Uebereinstimmung der verschiedensten Wirbelthiere im inneren Bau und in der Entwickelungsweise vollkommen unerklärlich. Sie kann nur durch die Vererbung erklärt werden.
Nächst der vergleichenden Anatomie der Thiere und der durch diese neu begründeten systematischen Zoologie, war es besonders die Versteinerungskunde oder Paläontologie, um welche sich Cuvier die grössten Verdienste erwarb. Wir müssen dieser um so mehr gedenken, als gerade die paläontologischen und die damit verbundenen geologischen Ansichten Cuviers in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sich fast allgemein im höchsten Ansehen erhielten, und der Entwickelung der natürlichen Schöpfungs-Geschichte die grössten Hindernisse entgegenstellten.
Die Versteinerungen oder Petrefacten, deren wissenschaftliche Kenntniss Cuvier im Anfange unseres Jahrhunderts in umfassendstem Masse förderte und für die Wirbelthiere ganz neu begründete, spielen in der »natürlichen Schöpfungs-Geschichte« eine hervorragende Rolle. Denn diese in versteinertem Zustande uns erhaltenen Reste und Abdrücke von ausgestorbenen Thieren und Pflanzen sind die wahren »Denkmünzen der Schöpfung«, die untrüglichen und unanfechtbaren Urkunden, welche für eine wahrhaftige Geschichte der Organismen die unerschütterliche Grundlage bilden. Alle versteinerten oder fossilen Reste und Abdrücke berichten uns von der Gestalt und dem Bau solcher Thiere und Pflanzen, welche entweder die Urahnen und die Voreltern der jetzt lebenden Organismen sind, oder aber ausgestorbene Seiten-Linien, die sich von einem gemeinsamen Stamme mit den jetzt lebenden Organismen früher oder später abgezweigt haben.
Diese unschätzbar werthvollen Urkunden der Schöpfungs-Geschichte haben sehr lange Zeit hindurch eine höchst untergeordnete Rolle in der Wissenschaft gespielt. Allerdings wurde die wahre Natur derselben schon mehr als ein halbes Jahrtausend vor Christus ganz richtig erkannt, und zwar von dem grossen griechischen Philosophen Xenophanes von Kolophon, demselben, welcher die sogenannte eleatische Philosophie begründete und zum ersten Male mit überzeugender Schärfe den Beweis führte, dass alle Vorstellungen von persönlichen Göttern nur auf mehr oder weniger grobe Anthropomorphismen (Vermenschlichungen) hinauslaufen. Xenophanes stellte zum ersten Male die Behauptung auf, dass die fossilen Abdrücke von Thieren und Pflanzen wirkliche Reste von vormals lebenden Geschöpfen seien, und dass die Berge, in deren Gestein man sie findet, früher unter Wasser gestanden haben müssten. Aber obschon auch andere grosse Philosophen des Alterthums, und unter diesen namentlich Aristoteles, jene richtige Erkenntniss theilten, blieb dennoch während des rohen Mittelalters allgemein, und bei vielen Naturforschern selbst noch im vorigen Jahrhundert, die Ansicht herrschend, dass die Versteinerungen sogenannte Naturspiele seien (Lusus naturae), oder Producte einer unbekannten Bildungskraft der Natur, eines Gestaltungstriebes (Nisus formativus, Vis plastica). Ueber das Wesen und die Thätigkeit dieser räthselhaften und mystischen Bildungskraft machte man sich die abenteuerlichsten Vorstellungen. Einige glaubten, dass diese bildende Schöpfungskraft, dieselbe, der sie auch die Entstehung der lebenden Thier- und Pflanzenarten zuschrieben, zahlreiche Versuche gemacht habe, Organismen verschiedener Form zu schaffen; diese Versuche seien aber nur theilweise gelungen, häufig fehlgeschlagen, und solche missglückte Versuche seien die Versteinerungen. Nach Anderen sollten die Petrefacten durch den Einfluss der Sterne im Innern der Erde entstehen. Andere machten sich eine noch gröbere Vorstellung, dass nämlich der Schöpfer zunächst aus mineralischen Substanzen, z. B. aus Kalk oder Thon, vorläufige Modelle von denjenigen Pflanzen- und Thierformen gemacht habe, die er später in organischer Substanz ausführte, und denen er seinen lebendigen Odem einhauchte; die Petrefacten seien solche rohe, anorgische Modelle. Selbst noch im vorigen Jahrhundert waren solche rohe Ansichten verbreitet, und es wurde z. B. eine besondere »Samenluft« (Aura seminalis) angenommen, welche mit dem Wasser in die Erde dringe und durch Befruchtung der Gesteine die Petrefacten, das »Steinfleisch« (Caro fossilis) bilde.
Sie sehen, es dauerte gewaltig lange, ehe die einfache und naturgemässe Vorstellung zur Geltung gelangte, dass die Versteinerungen wirklich nichts Anderes seien, als das, was schon der einfache Augenschein lehrt: die unverweslichen Ueberbleibsel von gestorbenen Organismen. Zwar wagte der berühmte Maler Leonardo da Vinci schon im fünfzehnten Jahrhundert zu behaupten, dass der aus dem Wasser beständig sich absetzende Schlamm die Ursache der Versteinerungen sei, indem er die auf dem Boden der Gewässer liegenden unverweslichen Kalkschalen der Muscheln und Schnecken umschliesse, und allmählich zu festem Gestein erhärte. Das Gleiche behauptete auch im sechzehnten Jahrhundert ein Pariser Töpfer, Palissy, welcher sich durch seine Porzellanerfindung berühmt machte. Allein die sogenannten »Gelehrten von Fach« waren weit entfernt, diese richtigen Aussprüche des einfachen gesunden Menschenverstandes zu würdigen, und erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, während der Begründung der neptunistischen Geologie durch Werner, gewannen dieselben allgemeine Geltung.
Die Begründung der strengeren wissenschaftlichen Paläontologie fällt jedoch erst in den Anfang unseres Jahrhunderts, als Cuvier seine classischen Untersuchungen über die versteinerten Wirbelthiere, und sein grosser Gegner Lamarck seine bahnbrechenden Forschungen über die fossilen wirbellosen Thiere, namentlich die versteinerten Schnecken und Muscheln, veröffentlichte. In seinem berühmten Werke »über die fossilen Knochen« der Wirbelthiere, insbesondere der Säugethiere und Reptilien, gelangte Cuvier bereits zur Erkenntniss einiger sehr wichtigen, allgemeinen, paläontologischen Gesetze, welche für die Schöpfungs-Geschichte grosse Bedeutung gewannen. Dahin gehört vor Allen der Satz, dass die ausgestorbenen Thierarten, deren Ueberbleibsel wir in den verschiedenen, über einander liegenden Schichten der Erdrinde versteinert vorfinden, sich um so auffallender von den jetzt noch lebenden verwandten Thierarten unterscheiden, je tiefer jene Erdschichten liegen, d. h. je früher die Thiere in der Vorzeit lebten. In der That finden wir bei jedem senkrechten Durchschnitt der geschichteten Erdrinde, dass die verschiedenen, aus dem Wasser in bestimmter historischer Reihenfolge abgesetzten Erdschichten durch verschiedene Petrefacten charakterisirt sind; und wir finden ferner, dass diese ausgestorbenen Organismen denjenigen der Gegenwart um so ähnlicher werden, je weiter wir in der Schichtenfolge aufwärts steigen, d. h. je jünger die Periode der Erdgeschichte war, in der sie lebten, starben, und von den abgelagerten und erhärtenden Schlammschichten umschlossen wurden.
So wichtig diese allgemeine Wahrnehmung Cuviers einerseits war, so wurde sie doch andrerseits für ihn die Quelle eines folgenschweren Irrthums. Denn indem er die charakteristischen Versteinerungen jeder einzelnen grösseren Schichtengruppe, welche während eines Hauptabschnittes der Erdgeschichte abgelagert wurde, für gänzlich verschieden von denen der darüber und der darunter liegenden Schichtengruppe hielt, glaubte er irrthümlich, dass niemals eine und dieselbe Thierart in zwei auf einander folgenden Schichtengruppen sich vorfinde. So gelangte er zu der falschen, für die meisten nachfolgenden Naturforscher maassgebenden Vorstellung, dass eine Reihe von ganz verschiedenen Schöpfungs-Perioden auf einander gefolgt sei. Jede Periode sollte ihre ganz besondere Thier- und Pflanzenwelt, eine ihr eigenthümliche, specifische Fauna und Flora besessen haben. Cuvier stellte sich vor, dass die ganze Geschichte der Erde seit der Zeit, seit welcher überhaupt lebende Wesen auf der Erdrinde auftraten, in eine Anzahl vollkommen getrennter Perioden oder Hauptabschnitte zerfalle, und dass die einzelnen Perioden durch eigenthümliche Umwälzungen unbekannter Natur, sogenannte Revolutionen (Kataklysmen oder Katastrophen) von einander geschieden seien. Jede Revolution hatte zunächst die gänzliche Vernichtung der damals lebenden Thier- und Pflanzenwelt zur Folge, und nach ihrer Beendigung fand eine vollständig neue Schöpfung der organischen Formen statt. Eine neue Welt von Thieren und Pflanzen, durchweg specifisch verschieden von denen der vorhergehenden Geschichts-Periode, wurde mit einem Male in das Leben gerufen. Diese bevölkerte nun wieder eine Reihe von Jahrtausenden hindurch den Erdball, bis sie plötzlich durch den Eintritt einer neuen Revolution zu Grunde ging.
Von dem Wesen und den Ursachen dieser Revolutionen sagte Cuvier ausdrücklich, dass man sich keine Vorstellung darüber machen könne, und dass die jetzt wirksamen Kräfte der Natur zu einer Erklärung derselben nicht ausreichten. Als natürliche Kräfte oder mechanische Agentien, welche in der Gegenwart beständig, obwohl langsam, an einer Umgestaltung der Erdoberfläche arbeiten, führt Cuvier vier wirkende Ursachen auf: erstens den Regen, welcher die steilen Gebirgsabhänge abspült und Schutt an deren Fuss anhäuft.; zweitens die fliessenden Gewässer, welche diesen Schutt fortführen und als Schlamm im stehenden Wasser absetzen; drittens das Meer, dessen Brandung die steilen Küstenränder abnagt, und an flachen Küstensäumen Dünen aufwirft; und endlich viertens die Vulkane, welche die Schichten der erhärteten Erdrinde durchbrechen und in die Höhe heben, und welche ihre Auswurfsproducte aufhäufen und umherstreuen. Während Cuvier die beständige langsame Umbildung der gegenwärtigen Erdoberfläche durch diese vier mächtigen Ursachen anerkennt, behauptet er gleichzeitig, dass dieselben nicht ausgereicht haben könnten, um die Erdrevolutionen der Vorzeit auszuführen, und dass man den anatomischen Bau der ganzen Erdrinde nicht durch die nothwendige Wirkung jener mechanischen Agentien erklären könne: vielmehr müssten jene wunderbaren, grosse Umwälzungen der ganzen Erdoberfläche durch eigenthümliche, uns gänzlich unbekannte Ursachen bewirkt worden sein; der gewöhnliche Entwickelungsfaden sei durch diese Revolutionen völlig zerrissen, der Gang der Natur verändert.
Diese Ansichten legte Cuvier in einem besonderen, auch ins Deutsche übersetzten Buche nieder: »Ueber die Revolutionen der Erdoberfläche, und die Veränderungen, welche sie im Thierreich hervorgebracht haben«. Sie erhielten sich lange Zeit hindurch in allgemeiner Geltung und wurden das grösste Hinderniss für die Entwickelung einer natürlichen Schöpfungs-Geschichte. Denn wenn wirklich solche, Alles vernichtende Katastrophen existirt hatten, so war natürlich eine Continuität der Arten-Entwickelung, ein zusammenhängender Faden der organischen Erd-Geschichte gar nicht anzunehmen, und man musste dann seine Zuflucht zu der Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte, zum Eingriff von Wundern in den natürlichen Gang der Dinge nehmen. Nur durch Wunder konnten die Revolutionen der Erde herbeigeführt sein, und nur durch Wunder konnte nach deren Aufhören, am Anfange jeder neuen Periode, eine neue Thier- und Pflanzenwelt geschaffen sein. Für das Wunder hat aber die Naturwissenschaft nirgends einen Platz, sofern man unter Wunder einen Eingriff übernatürlicher Kräfte in den natürlichen Entwickelungsgang der Materie versteht.
Die grosse Autorität, welche sich Linné durch die systematische Unterscheidung und Benennung der organischen Arten gewonnen, hatte bei seinen Nachfolgern zu einer völligen Verknöcherung des dogmatischen Speciesbegriffs, und zu einem wahren Missbrauche der systematischen Artunterscheidung geführt; ebenso wurden die grossen Verdienste, welche sich Cuvier um Kenntniss und Unterscheidung der ausgestorbenen Arten erworben hatte, die Ursache einer allgemeinen Annahme seiner Revolutions- oder Katastrophen-Lehre, und der damit verbundenen grundfalschen Schöpfungs-Ansichten. In Folge dessen hielten während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die meisten Zoologen und Botaniker an der Ansicht fest, dass eine Reihe unabhängiger Perioden der organischen Erdgeschichte existirt habe; jede Periode sei durch eine bestimmte, ihr ganz eigenthümliche Bevölkerung von Thier- und Pflanzenarten ausgezeichnet gewesen; diese sei am Ende der Periode durch eine allgemeine Revolution vernichtet, und nach dem Aufhören der letzteren wiederum eine neue, specifisch verschiedene Thier- und Pflanzenwelt erschaffen worden. Zwar machten schon frühzeitig einzelne selbstständig denkende Köpfe, vor Allen der grosse Naturphilosoph Lamarck, eine Reihe von gewichtigen Gründen geltend, welche diese Katastrophen-Theorie Cuviers widerlegten, und welche vielmehr auf eine ganz zusammenhängende und ununterbrochene Entwickelungs-Geschichte der gesammten organischen Erdbevölkerung aller Zeiten hinwiesen. Sie behaupteten, dass die Thier- und Pflanzenarten der einzelnen Perioden von denen der nächst vorhergehenden Periode abstammen und nur die veränderten Nachkommen der letzteren seien. Indessen der grossen Autorität Cuviers gegenüber vermochte damals diese richtige Ansicht noch nicht durchzudringen. Ja selbst nachdem durch Lyells 1830 erschienene, classische »Principien der Geologie« die Katastrophen-Lehre Cuviers aus dem Gebiete der Geologie gänzlich verdrängt worden war, blieb seine Ansicht von der specifischen Verschiedenheit der verschiedenen organischen Schöpfungen trotzdem auf dem Gebiete der Paläontologie noch vielfach in Geltung.
Durch einen seltsamen Zufall geschah es vor dreissig Jahren, dass fast zu derselben Zeit, als Cuviers Schöpfungs-Geschichte durch Darwins Werk ihren Todesstoss erhielt, ein anderer berühmter Naturforscher den Versuch unternahm, dieselbe von Neuem zu begründen, und in schroffster Form als Theil eines teleologisch-theologischen Natursystems durchzuführen. Der Schweizer Geologe Louis Agassiz nämlich, welcher durch seine von Schimper und Charpentier entlehnten Gletscher- und Eiszeit-Theorien einen hohen Ruf erlangt hat, und welcher eine Reihe von Jahren in Nordamerika lebte (gestorben 1873), begann 1858 die Veröffentlichung eines grossartig angelegten Werkes, welches den Titel führt: »Beiträge zur Naturgeschichte der vereinigten Staaten von Nordamerika«. Der erste Band dieser Naturgeschichte, welche durch den Patriotismus der Nordamerikaner eine für ein so grosses und kostspieliges Werk unerhörte Verbreitung erhielt, führt den Titel: »Ein Versuch über Classification«. Agassiz erläutert in diesem Versuche nicht allein das natürliche System der Organismen und die verschiedenen darauf abzielenden Classifications-Versuche der Naturforscher, sondern auch alle allgemeinen biologischen Verhältnisse, welche darauf Bezug haben.
Die Entwickelung der Organismen, und zwar sowohl die embryologische als die paläontologische, die Thatsachen der vergleichenden Anatomie, sodann die allgemeine Oeconomie der Natur, die geographische und topographische Verbreitung der Thiere und Pflanzen, kurz fast alle allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur, kommen in dem Classifications-Versuche von Agassiz zur Besprechung; sie werden sämmtlich in einem Sinne und von einem Standpunkte aus erläutert, welcher demjenigen Darwins auf das Schroffste gegenübersteht.
Das Hauptverdienst Darwins besteht darin, natürliche Ursachen für die Entstehung der Thier- und Pflanzenarten nachzuweisen, und somit die mechanische oder monistische Weltanschauung auch auf diesem schwierigsten Gebiete der Schöpfungs-Geschichte geltend zu machen. Agassiz hingegen ist überall bestrebt, jeden mechanischen Vorgang aus diesem ganzen Gebiete völlig auszuschliessen und überall den übernatürlichen Eingriff eines persönlichen Schöpfers an die Stelle der natürlichen Kräfte der Materie zu setzen, mithin eine entschieden teleologische oder dualistische Weltanschauung zur Geltung zu bringen. Schon aus diesem Grunde ist es gewiss angemessen, wenn ich hier auf die biologischen Ansichten von Agassiz, und insbesondere auf seine Schöpfungs-Vorstellungen, etwas näher eingehe. Dies lohnt sich um so mehr, als kein anderes Werk unserer Gegner jene wichtigen allgemeinen Grundfragen mit gleicher Ausführlichkeit behandelt, und als zugleich die völlige Unhaltbarkeit ihrer dualistischen Weltanschauung sich daraus auf das Klarste ergiebt.
Die organische Art oder Species, deren verschiedenartige Auffassung wir oben als den eigentlichen Angelpunkt der entgegengesetzten Schöpfungs-Ansichten bezeichnet haben, wird von Agassiz, ebenso wie von Cuvier und Linné, als eine in allen wesentlichen Merkmalen unveränderliche Gestalt angesehen; zwar können die Arten innerhalb enger Grenzen abändern oder variiren, aber nur in unwesentlichen, niemals in wesentlichen Eigenthümlichkeiten. Niemals können aus den Abänderungen oder Varietäten einer Art wirklich neue Species hervorgehen. Keine von allen organischen Arten stammt also jemals von einer anderen ab, vielmehr ist jede einzelne für sich von Gott geschaffen worden. Jede einzelne Thierart ist, wie sich Agassiz ausdrückt, ein verkörperter Schöpfungs-Gedanke Gottes.
Durch die paläontologischen Erfahrungen wissen wir, dass die Zeitdauer der einzelnen organischen Arten eine höchst ungleiche ist, und dass viele Species unverändert durch mehrere aufeinander folgende Perioden der Erdgeschichte hindurchgehen, während Andere nur einen kleinen Bruchtheil einer solchen Periode durchlebten. In schroffem Gegensatze zu dieser Tatsache behauptet Agassiz, dass niemals eine und dieselbe Species in zwei verschiedenen Perioden vorkomme, dass vielmehr jede einzelne Periode durch eine ganz eigenthümliche, ihr ausschliesslich angehörige Bevölkerung von Thier- und Pflanzenarten charakterisirt sei. Er theilt ferner Cuviers Ansicht, dass durch die grossen und allgemeinen Revolutionen der Erdoberfläche, am Ende einer jeden Periode, deren ganze Bevölkerung vernichtet, und nach deren Untergang eine neue, davon specifisch verschiedene geschaffen wurde. Diese Neuschöpfung lässt Agassiz in der Weise geschehen, dass jedesmal die gesammte Erdbevölkerung in ihrer durchschnittlichen Individuenzahl und in den der Oeconomie der Natur entsprechenden Wechselbeziehungen der einzelnen Arten vom Schöpfer als Ganzes plötzlich in die Welt gesetzt worden sei. Hiermit tritt er einem der bestbegründeten und wichtigsten Gesetze der Thier- und Pflanzengeographie entgegen, dem Gesetze nämlich, dass jede Species einen einzigen ursprünglichen Entstehungsort oder einen sogenannten Schöpfungs-Mittelpunkt besitzt, von dem aus sie sich über ihren Bezirk allmählich verbreitet hat. Statt dessen lässt Agassiz jede Species an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche und sogleich in einer grösseren Anzahl von Individuen geschaffen werden.
Das natürliche System der Organismen, dessen verschiedene über einander geordnete Gruppenstufen oder Kategorien, die Zweige, Classen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten, wir der Abstammungs-Lehre gemäss als verschiedene Aeste und Zweige des gemeinschaftlichen organischen Stammbaumes betrachten, ist nach Agassiz der unmittelbare Ausdruck des göttlichen Schöpfungsplanes; indem der Naturforscher das natürliche System erforscht, denkt er die Schöpfungs-Gedanken Gottes nach. Hierin findet Agassiz den kräftigsten Beweis dafür, dass der Mensch das Ebenbild und Kind Gottes ist. Die verschiedenen Gruppenstufen oder Kategorien des natürlichen Systems entsprechen den verschiedenen Stufen der Ausbildung, welche der göttliche Schöpfungsplan erlangt hatte. Beim Entwurf und bei der Ausführung dieses Planes vertiefte sich der Schöpfer, von allgemeinsten Schöpfungsideen ausgehend, immer mehr in die besonderen Einzelheiten. Was also z. B. das Thierreich betrifft, so hatte Gott bei dessen Schöpfung zunächst vier grundverschiedene Ideen vom Thierkörper, welche er in dem verschiedenen Bauplane der vier grossen Hauptformen, Typen oder Zweige des Thierreichs verkörperte, in den Wirbelthieren, Gliederthieren, Weichthieren und Strahlthieren. Indem nun der Schöpfer darüber nachdachte, in welcher Art und Weise er diese vier verschiedenen Baupläne mannichfaltig ausführen könne, schuf er zunächst innerhalb jeder der vier Hauptformen mehrere verschiedene Classen, z. B. in der Wirbelthierform die Classen der Säugethiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische. Weiterhin vertiefte sich dann Gott in die einzelnen Classen und brachte durch verschiedene Abstufungen im Bau jeder Classe deren einzelne Ordnungen hervor. Durch weitere Variation der Ordnungsform erschuf er die natürlichen Familien. Indem der Schöpfer ferner in jeder Familie die letzten Structur-Eigenthümlichkeiten einzelner Theile variirte, entstanden die Gattungen oder Genera. Endlich zuletzt ging Gott im weiteren Ausdenken seines Schöpfungsplanes so sehr ins Einzelne, dass die einzelnen Arten oder Species ins Leben traten. Diese sind also die verkörperten Schöpfungs-Gedanken der speciellsten Art. Zu bedauern ist dabei nur, dass der Schöpfer diese seine speciellsten und am tiefsten durchgedachten »Schöpfungs-Gedanken« in so sehr unklarer und lockerer Form ausdrückte und ihnen einen so verschwommenen Stempel aufprägte, eine so freie Variations-Erlaubniss mitgab, dass kein einziger Naturforscher im Stande ist, die »guten« von den »schlechten Arten«, die echten »Species« von den Spielarten, Varietäten, Rassen u. s. w. scharf zu unterscheiden.
Sie sehen, der Schöpfer verfährt nach Agassiz' Vorstellung beim Hervorbringen der organischen Formen genau ebenso wie ein menschlicher Baukünstler, der sich die Aufgabe gestellt hat, möglichst viel verschiedene Bauwerke, zu möglichst mannichfaltigen Zwecken, in möglichst abweichendem Style, in möglichst verschiedenen Graden der Einfachheit, Pracht, Grösse und Vollkommenheit auszudenken und auszuführen. Dieser Architekt würde zunächst vielleicht für alle diese Gebäude vier verschiedene Style anwenden, etwa den gothischen, byzantinischen, maurischen und chinesischen Styl. In jedem dieser Style würde er eine Anzahl von Kirchen, Palästen, Kasernen, Gefängnissen und Wohnhäusern bauen. Jede dieser verschiedenen Gebäudeformen würde er in roheren und vollkommneren, in grösseren und kleineren, in einfachen und prächtigen Arten ausführen u. s. w. Jedoch wäre der menschliche Architekt vielleicht noch besser als der göttliche Schöpfer gestellt, insofern ihm in der Anzahl der Gruppenstufen alle Freiheit gelassen wäre. Der Schöpfer dagegen darf sich nach Agassiz immer nur innerhalb der genannten sechs Gruppenstufen oder Kategorien bewegen, innerhalb der Art, Gattung, Familie, Ordnung, Classe und Typus. Mehr als diese sechs Kategorien giebt es für ihn nicht.
Wenn Sie in Agassiz' Werk über die Classification selbst die weitere Ausführung und Begründung dieser seltsamen Ansichten lesen, so werden Sie kaum begreifen, wie man mit allem Anschein wissenschaftlichen Ernstes die Vermenschlichung (den Anthropomorphismus) des göttlichen Schöpfers so weit treiben, und eben durch die Ausführung im Einzelnen bis zum verkehrtesten Unsinn ausmalen kann. In dieser ganzen Vorstellungsreihe ist der Schöpfer weiter nichts als ein allmächtiger Mensch, der, von Langeweile geplagt, sich mit dem Ausdenken und Aufbauen möglichst mannichfaltiger Spielzeuge, der organischen Arten, belustigt. Nachdem er sich mit denselben eine Reihe von Jahrtausenden hindurch unterhalten, wird er ihrer überdrüssig; er vernichtet sie durch eine allgemeine Revolution der Erdoberfläche, indem er das ganze unnütze Spielzeug in Haufen zusammenwirft; dann ruft er, um sich mit etwas Neuem und Besserem die Zeit zu vertreiben, eine neue und vollkommnere Thier- und Pflanzenwelt ins Leben. Um jedoch nicht die Mühe der ganzen Schöpfungs-Arbeit von vorn anzufangen, behält er immer den einmal ausgedachten Schöpfungsplan im Grossen und Ganzen bei, und schafft nur lauter neue Arten, oder höchstens neue Gattungen, viel seltener neue Familien, Ordnungen oder gar Classen. Zu einem neuen Typus oder Style bringt er es nie. Dabei bleibt er immer streng innerhalb jener sechs Kategorien oder Gruppenstufen.
Nachdem der Schöpfer so nach Agassiz' Ansicht Millionen von Jahrtausenden hindurch sich mit dem Aufbauen und Zerstören einer Reihe verschiedener Schöpfungen unterhalten hatte, kömmt er endlich zuletzt - obwohl sehr spät! – auf den guten Gedanken, sich seinesgleichen zu erschaffen, und er formt den Menschen nach seinem Ebenbilde! Hiermit ist das Endziel aller Schöpfungs-Geschichte erreicht und die Reihe der Erdrevolutionen abgeschlossen. Der Mensch, das Kind und Ebenbild Gottes, giebt demselben so viel zu thun, macht ihm so viel Vergnügen und Mühe, dass er nun niemals mehr Langeweile hat, und keine neue Schöpfung mehr eintreten zu lassen braucht. Wenn man einmal in der Weise, wie Agassiz, dem Schöpfer durchaus menschliche Attribute und Eigenschaften beilegt, und sein Schöpfungswerk durchaus analog einer menschlichen Schöpfungs-Thätigkeit betrachtet, so ist man nothwendig auch zur Annahme dieser ganz absurden Consequenzen gezwungen.
Die vielen inneren Widersprüche und die auffallenden Verkehrtheiten der Schöpfungs-Ansichten von Agassiz, welche ihn nothwendig zu dem entschiedensten Widerstand gegen die Abstammungs-Lehre führten, müssen um so mehr unser Erstaunen erregen, als derselbe durch seine früheren naturwissenschaftlichen Arbeiten in vieler Beziehung thatsächlich Darwin vorgearbeitet hat, insbesondere durch seine Thätigkeit auf dem paläontologischen Gebiete. Unter den zahlreichen Untersuchungen, welche der jungen Paläontologie schnell die allgemeine Theilnahme erwarben, schliessen sich diejenigen von Agassiz, namentlich das berühmte Werk »über die fossilen Fische«, zunächst ebenbürtig an die grundlegenden Arbeiten von Cuvier an. Nicht allein haben die versteinerten Fische, mit denen uns Agassiz bekannt machte, eine ausserordentlich hohe Bedeutung für das Verständniss der ganzen Wirbelthier-Gruppe und ihrer geschichtlichen Entwickelung gewonnen; sondern wir sind dadurch auch zur sicheren Erkenntniss wichtiger allgemeiner Entwickelungs-Gesetze gelangt. Insbesondere hat Agassiz mit besonderem Nachdruck auf den merkwürdigen Parallelismus zwischen der embryonalen und der paläontologischen Entwickelung, zwischen der Ontogenie und Phylogenie hingewiesen. Diese bedeutungsvolle Uebereinstimmung, welche bereits die ältere Naturphilosophie erkannte, habe ich schon vorhin (S. 10) als eine der stärksten Stützen für die Abstammungs-Lehre in Anspruch genommen. Niemand hatte vorher so bestimmt, wie es Agassiz that, hervorgehoben, dass von den Wirbelthieren zuerst nur Fische allein existirt haben, dass erst später Amphibien auftraten, und dass erst in noch viel späterer Zeit Vögel und Säugethiere erschienen; dass ferner von den Säugethieren, ebenso wie von den Fischen, anfangs unvollkommnere, niedere Ordnungen, später erst vollkommnere und höhere auftraten. Agassiz zeigte mithin, dass die paläontologische Entwickelung der ganzen Wirbelthier-Gruppe nicht allein der embryonalen parallel sei, sondern auch der systematischen Entwickelung, d. h. der Stufenleiter, welche wir überall im System von den niederen zu den höheren Classen, Ordnungen u. s. w. aufsteigend erblicken. Zuerst erschienen in der Erdgeschichte nur niedere, später erst höhere Formen. Diese wichtige Thatsache erklärt sich, ebenso wie die Uebereinstimmung der embryonalen und paläontologischen Entwickelung, ganz einfach und natürlich aus der Abstammungs-Lehre, während sie ohne diese ganz unerklärlich ist.
Dasselbe gilt ferner von dem grossen Gesetze der fortschreitenden Entwickelung, von dem historischen Fortschritt der Organisation, welcher sowohl im Grossen und Ganzen in der geschichtlichen Aufeinanderfolge aller Organismen sichtbar ist, als in der besonderen Vervollkommnung einzelner Theile des Thierkörpers. So z. B. erhielt das Skelet der Wirbelthiere, ihr Knochengerüst, erst langsam, allmählich und stufenweis den hohen Grad von Vollkommenheit, welchen es jetzt beim Menschen und den anderen höheren Wirbelthieren besitzt. Dieser von Agassiz thatsächlich anerkannte Fortschritt folgt aber mit Nothwendigkeit aus der von Darwin begründeten Züchtungs-Lehre, welche die wirkenden Ursachen desselben nachweist. Wenn diese Lehre richtig ist, so muss nothwendig die Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit der Thier- und Pflanzenarten im Laufe der organischen Erdgeschichte stufenweise zunehmen, und konnte erst in neuester Zeit ihre höchste Ausbildung erlangen.
Alle so eben angeführten, und noch einige andere allgemeine Entwickelungs-Gesetze, welche von Agassiz ausdrücklich anerkannt und mit Recht stark betont werden, sogar von ihm selbst zum Theil erst aufgestellt wurden, sind, wie Sie später sehen werden, nur durch die Abstammungs-Lehre erklärbar; sie bleiben ohne dieselbe völlig unbegreiflich. Nur die von Darwin entwickelte Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung kann die wahre Ursache derselben sein. Dagegen stehen sie alle in schroffem und unvereinbarem Gegensatz mit der vorher besprochenen Schöpfungs-Hypothese von Agassiz, und mit allen Vorstellungen von der zweckmässigen Werkthätigkeit eines persönlichen Schöpfers. Will man im Ernst durch die letztere jene merkwürdigen Erscheinungen und ihren inneren Zusammenhang erklären, so verirrt man sich nothwendig zu der Annahme, dass auch der Schöpfer selbst sich mit der organischen Natur, die er schuf und umbildete, entwickelt habe. Man kann sich dann nicht mehr von der Vorstellung los machen, dass der Schöpfer selbst nach Art des menschlichen Organismus seine Pläne entworfen, verbessert und endlich unter vielen Abänderungen ausgeführt habe. »Es wächst der Mensch mit seinen höher'n Zwecken.« Wenn es nach der Ehrfurcht, mit der Agassiz auf jeder Seite vom Schöpfer spricht, scheinen könnte, dass wir dadurch zur erhabensten Vorstellung von seinem Wirken in der Natur gelangen, so findet in Wahrheit das Gegentheil statt. Der göttliche Schöpfer wird dadurch zu einem idealisirten Menschen erniedrigt, zu einem in der Entwickelung fortschreitenden Organismus. Gott ist im Grunde nach dieser niedrigen Vorstellung weiter Nichts, als ein »gasförmiges Wirbelthier«.
Bei der weiten Verbreitung und dem hohen Ansehen, welches sich Agassiz' Werk erworben hat, und welches in Anbetracht der früheren wissenschaftlichen Verdienste des Verfassers wohl gerechtfertigt ist, glaubte ich es Ihnen schuldig zu sein, die gänzliche Unhaltbarkeit seiner allgemeinen Ansichten hier kurz hervorzuheben. Sofern dies Werk eine naturwissenschaftliche Schöpfungs-Geschichte sein will, ist dasselbe unzweifelhaft gänzlich verfehlt. Es hat aber hohen Werth, als der einzige ausführliche und mit wissenschaftlichen Beweisgründen geschmückte Versuch, den in neuerer Zeit ein hervorragender Naturforscher zur Begründung einer teleologischen oder dualistischen Schöpfungs-Geschichte unternommen hat. Die innere Unmöglichkeit einer solchen wird dadurch klar vor Jedermanns Augen gelegt. Kein Gegner von Agassiz hätte vermocht, die von ihm entwickelte dualistische Anschauung von der organischen Natur und ihrer Entstehung so schlagend zu widerlegen, als dies ihm selbst durch die überall hervortretenden inneren Widersprüche gelungen ist.
Die Gegner der monistischen oder mechanischen Weltanschauung haben das Werk von Agassiz mit Freuden begrüsst und erblicken darin eine vollendete Beweisführung für die unmittelbare Schöpfungs-Thätigkeit eines persönlichen Gottes. Allein sie übersehen dabei, dass dieser persönliche Schöpfer bloss ein mit menschlichen Attributen ausgerüsteter, idealisirter Organismus ist. Diese niedere dualistische Gottesvorstellung entspricht einer niederen thierischen Entwickelungs-Stufe des menschlichen Organismus. Der höher entwickelte Mensch der Gegenwart ist befähigt und berechtigt zu jener unendlich edleren und erhabeneren Gottesvorstellung, welche allein mit der monistischen Weltanschauung verträglich ist, und welche Gottes Geist und Kraft in allen Erscheinungen ohne Ausnahme erblickt. Diese monistische Gottesidee, welcher die Zukunft gehört, hat schon Giordano Bruno einst mit den Worten ausgesprochen: »Ein Geist findet sich in allen Dingen, und es ist kein Körper so klein, dass er nicht einen Theil der göttlichen Substanz in sich enthielte, wodurch er beseelt wird.« Diese veredelte Gottesidee liegt derjenigen Religion zu Grunde, in deren Sinne die edelsten Geister des Alterthums wie der Neuzeit gedacht und gelebt haben, dem Pantheismus; und sie ist es, von welcher Goethe sagt: »Gewiss es giebt keine schönere Gottes-Verehrung, als diejenige, welche kein Bild bedarf, welche aus dem Wechselgespräch mit der Natur in unserem Busen entspringt.« Durch sie gelangen wir zu der erhabenen pantheistischen Vorstellung von der Einheit Gottes und der Natur.