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Begreiflicher Weise war mein erster Gang zu Poltes. Ich hoffte ihn auf seinem Bureau zu finden, doch erhielt ich hier die traurige Nachricht, daß er schon seit vierzehn Tage nicht mehr zur Arbeit komme und auch wahrscheinlich nie mehr erscheinen würde. Das Frühjahr, den meisten Brustleidenden gefährlich, hatte auch ihn stark mitgenommen. Nach einigem Nachfragen fand ich seine Wohnung, an der Thüre auf einem kleinen Täfelchen stand der Name Poltes, dem er treu geblieben war. Ich klopfte an, drinnen hustete es, dann rief eine matte Stimme: »Herein!«
Mit klopfendem Herzen trat ich in die kleine Stube. Da saß Poltes aufrecht in seinem Bette, und hatte er schon früher eingefallene Wangen gehabt, so war jetzt sein Gesicht kaum mehr zu kennen. Nur die Augen blitzten noch wie damals, und um den Kopf hatte er noch dasselbe rothseidene-Tuch geschlungen, das er in früheren Jahren in der Montirungskammer zu tragen pflegte. Seine Stirne war wachsbleich, seine Lippen fahl, und nur die Haut über seinen hervorstehenden Backenknochen war mit einer tiefen unheimlichen Röthe bedeckt. Er schien mich nicht zu kennen, denn als ich auf ihn zutrat, sah er mich mit einem befremdeten Blicke an. Erst als ich eine meiner Hände auf seine Rechte legte und ihm sagte: »Kennen Sie mich denn gar nicht mehr? haben Sie Ihren kleinen Gehülfen auf der Montirungskammer vergessen?« da blitzte es in seinen Augen auf und zuckte fast wehmüthig über sein bleiches Gesicht.
»Das ist der Major,« sprach er mit zitternder Summe. »Hol' mich Dieser und Jener, es ist der Major. Was bist du groß und stark geworden! Na, euch ist es recht gut gegangen. Der Alte soll ja nächstens Kontroleur werden, und unsere Freundin, Madame Wortmann, hat sich zur großen Dame gemacht. Ja siehst du, mein Junge, das Leben ist ein tiefer Brunnen mit auf- und absteigenden Eimern. Wenn der Eine hinaufkommt, muß der Andere hinunter.« Bei diesen Worten überfiel ihn ein starker Hustenanfall. – »Möchte dir gerne etwas Näheres darüber sagen,« fuhr er nach einer langen Pause fort.
Ich bat ihn, sich seines Hustens wegen zu schonen. Er entgegnete kopfschüttelnd: »Das hat nicht viel zu sagen; findest du wirklich, daß ich stark huste? – – Ueberhaupt hast du noch gar nicht gesagt, wie du mich eigentlich findest, mein Junge,« fuhr er eifriger fort; »jetzt haben wir uns doch in fast zehn Jahren nicht wieder gesehen. Findest du mich sehr verändert? Sag' es gerade heraus.«
Was sollte ich darauf antworten? Glücklicherweise fiel mir ein, ihm zu sagen: »Lieber Unteroffizier Poltes, ich finde Sie gerade nicht auffallend verändert, Sie sehen nur ein Bischen blaß aus, wie Jeder, der starken Schnupfen und Husten hat.«
– – – – »Du, bist ein gescheiter Junge,« erwiederte er mit matter Stimme. »Ja, die verfluchte Erkältung! Habe sie jetzt schon den ganzen Winter; geht mir aber weit besser, fühle mich so leicht, daß ich fast versuchen möchte aufzustehen und dich zu deinem Batteriechef hinzubringen. – – Thut sich aber doch nicht,« fuhr er nach einer Weile fort, »will mich lieber wieder gerade hinlegen, meine Brust scheint doch ein wenig angegriffen zu sein. Komm, setz' dich hier oben an mein Bett; ist mir doch, wenn ich dich sehe, als kehre die alte Zeit wieder, da wir Säbel und Knöpfe zählten.« Er hatte den Kopf in die Kissen niedergedrückt, wandte mir sein bleiches Gesicht zu und schaute mich mit unaussprechlicher Zärtlichkeit an. Dabei fuhren seine mageren Hände auf der Bettdecke hin und her, als suchten sie dort etwas. »Vorhin sprach ich davon, daß es im Leben auf und ab gehe. Dein Vater und ich sind davon ein paar lebendige Exempel. Dazumal kamen wir zu gleicher Zeit zur Batterie: Wortmann in einem alten gestickten Bauernrock, zu Fuß, mit bestaubten Stiefeln, ich in der Equipage meines Onkels, angezogen wie ein junger Prinz, hab' das noch nie Jemanden erzählt, und dein Vater sprach mir zu Liebe auch nie darüber. Er wollte Unteroffizier werden, vielleicht einmal Feuerwerker, und später, wenn's hoch käme, Postkondukteur; – – nun, ich ärgerte mich darüber, daß es in der Armee keine Generale der Artillerie gäbe, und mochte nicht daran denken, später einmal einen rothen Kragen tragen zu müssen. Geld hatte ich damals genug, lernen mochte ich aber nichts; zum Fähndrichs-Examen ging ich mehrere Male, fiel aber jedesmal durch; beim drittenmal, als mir dies passirte, war ich nahe daran, mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Hätte ich es nur gethan! doch ich war schon zu sehr herunter, um einen anständigen Entschluß fassen zu können. Ha! dachte ich, das Leben ist schön, und man kann ebenso glücklich sein, trägt man nun Epauletten oder Achselklappe; wenn nur das Bier kalt, und der Branntwein stark ist. So blieb ich denn, wurde Unteroffizier und später Kapitän d'Armes. Und da war es, wo ich die Ehre hatte, deine Bekanntschaft zu machen, Herr Major. Apropos von wegen dem Spitznamen, lass' dir dadurch keine Mucken in den Kopf setzen, sei ein braver Soldat, propre und diensteifrig und habe keinen überflüssigen Ehrgeiz. Sind dir die Epauletten vom Schicksal bestimmt, so wirst du sie kriegen; vergiß mir aber nicht, daß ein tüchtiger Unteroffizier ein viel ehrenhafteres Mitglied der Armee ist, als ein schlechter Lieutenant – – Ah! – –«
Nach dieser langen Rede, die er mir gehalten, wandte er das Gesicht von mir ab und blieb eine geraume Zeit still und unbeweglich liegen. Ich hätte weinen mögen, konnte aber nicht sprechen, mochte ihn auch nicht zu neuem Reden anfeuern. Ich drückte ihm herzlich die Hand, worauf er mir das Gesicht abermals zuwandte, und mit ganz leiser Stimme sagte: »Ich bin überzeugt, daß du zuerst zu mir kamst; aber jetzt ist es Zeit, daß du nach der Kaserne gehst und deine Papiere abgibst. Du hast doch Papiere vom Brigade-Kommandeur?«
Auf diese Frage hin erzählte ich ihm, wie gut es mir in M. gegangen, daß ich den Wachtmeister Sternberg getroffen, daß ich auch das Bombardier-Examen bereits gemacht, und daß ich von dem vorsitzenden Offizier sogar an meinen neuen Kapitän empfohlen worden sei.
Poltes nickte nach meinen Worten zufrieden mit dem Kopfe und sagte: »Das kann gut gehen; aber jetzt geh', du bist am Thore gemeldet worden und mußt dich vor eilf Uhr bei der Batterie einfinden. Heut' Abend oder morgen früh kommst du mich zu besuchen und erzählst mir von deiner Aufnahme. Apropos, grüße mir auch den Lieutenant von Schwenkenberg; da mußt du mich aber nicht Poltes nennen, sondern sagst ihm, Leopold von Berger laß' ihn grüßen. So hieß ich früher einmal,« sprach er seltsam lächelnd; »er weiß das ganz genau.«
Darauf winkte er mit der Hand zum Abschied und ich verließ das Stübchen mit beklommenem Herzen und traurigem Gemüthe. Hatte ich doch gehofft, den Poltes von damals wieder zu finden, ihn, der so angenehm plaudern konnte und so voll Humor war. Waren es doch erst zehn Jahre, daß ich ihn nicht gesehen, zehn Jahre meiner ersten Jugend, in denen sich für mich eigentlich so gar wenig geändert, wenigstens fast gar nichts unangenehm; ich hatte nur Freunde erworben, keinen Verlust erlitten. Jetzt stand mir ein solcher bevor, denn daß der arme Poltes nicht mehr lange leben würde, das sah ich wohl ein und deßhalb verließ ich ihn so traurig und niedergedrückt.
Als ich den Hof der Kaserne erreichte, in welcher die achte Fußkompagnie lag, war es eilf Uhr geworden und Alles schon zum Appell angetreten. Die Kanoniere standen, wie es gebräuchlich war, in zwei Reihen, davor die Avancirten mit Fronte gegen die Kompagnie, und im Zwischenraum bewegte sich der Feldwebel, eine kleine, dicke Gestalt, die geöffnete Brieftasche in der Hand, aus welcher er alles Bezügliche auf den Dienst vorlas.
Die Offiziere hielten sich am rechten Flügel auf, zwei junge Lieutenants und – ja, er war es! – mein Bekannter und Gönner aus der früheren Zeit, der jetzige Premier-Lieutenant von Schwenkenberg. Man mußte ihn wieder erkennen: es war noch dieselbe Gestalt. Der unendlich lange Hals, an dem der kurze Uniformskragen fast kindisch aussah, lang und hager, wie ehemals, die ganze Figur, an der Hüfte trug er das gewaltige Schlachtschwert, was bis an die Sporenräder streifte und mit diesen in beständiger Berührung war. Jetzt ging er ein paar Schritte dem Feldwebel entgegen – o; ich hätte ihn am Gange unter Tausenden wieder erkannt! etwas vornüber, aber bei jedem Schritte rechts oder links schwankend.
»Vergessen – Sie – nicht – Feldwebel Möller,« sagte Lieutenant von Schwenkenberg, »daß – wir – heute – Nach – mittag – die – Bastion – mit – den – Exercir – Wallgeschützen – haben. – Suchen Sie mir – die – schwächsten – Leute – aus; – so – eine kleine – Bewegung – kann – ihnen – nichts schaden. – Herr – Lieutenant – Schwarz – wird – die Güte – haben, – sich – mit ihnen – zu beschäftigen.« Der Lieutenant Schwarz war ein junger Secondelieutenant, den ich natürlich nicht kennen konnte; auch schien er eben erst frisch von der Artillerieschule gekommen zu sein; sein Gesicht hatte noch jenen erhabenen und unbeschreiblichen Ausdruck der Ueberraschung, mit der gewöhnlich die neuen Offiziere Alles beim Eintritt in's praktische Militärleben zu betrachten pflegen. Alles war neu an ihm: Uniform, Portepee, Epauletten, Haarfrisur und Bart, wogegen Lieutenant von Schwenkenberg aussah, als habe er eben einen sehr gefährlichen Winterfeldzug überstanden.
Schüchtern umschritt ich die Kompagnie in einem großen Bogen und erblickte endlich auch den Kapitän, der vor einem vollständig aufgezäumten und gesattelten Offizierspferde stand, das von einem Manne gehalten wurde. Der Hauptmann war eine kleine, aber wie mir schien sehr bewegliche Gestalt, denn er blieb nicht eine Sekunde lang auf demselben Platze stehen. Jetzt tänzelte er auf die rechte und jetzt auf die linke Seite des Pferdes; dann sprang er hinter dasselbe, um es so auf allen Seiten zu betrachten. »Bekommt ihm schlecht, die Parade!« rief er darauf; »sehr schlecht; muß aber so sein. Wo Vergehen, auch Strafe. Feldwebel Möller! wie oftmal war Cäsar nun da zur Parade? Wenn ich mich recht besinne, achtmal. Soll noch viermal kommen, noch viermal zum Appell, damit das Dutzend voll wird. Alle Wetter! will ihm vertreiben, unartige Männchen zu machen. Konnte ich es doch kaum mit aller Mühe vor einem Sturze bewahren. – Habe ich Ihnen die Geschichte ausführlich erzählt, Herr Lieutenant von Schwenkenberg?«
»Ich – hatte – das – Glück, sie – mit anzusehen,« sagte langsam Lieutenant von Schwenkenberg.
»Contenance, Contenance! Ja, man muß Contenance haben. Der Teufel auch! das könnte in einem Feldzuge noch fehlen! ein Pferd, das strauchelt und hinschlägt. Machen Sie ruhig fort, Feldwebel Möller,« wandte er sich an diesen, der bei der Rede des Kapitäns mit dem Verlesen inne hielt und den Chef ehrerbietig anschaute. – »Machen Sie ruhig fort, achten Sie nicht auf mich. Der Appell ist meine Zeit, wo ich nicht nur die ganze Kompagnie in und auswendig betrachte, sondern auch die Kaserne. – Ja, die Kaserne.« Bei diesen Worten war er anderthalbmal um die Kompagnie herumgetänzelt, warf aber dabei sehr häufig einen Blick in eine nebenan befindliche offen stehende Thüre, wo herausdringender Rauch anzeigte, daß sich dort die Kompagnie-Küche befinde.
»Was ist das für eine Geschichte mit dem Pferde?« fragte der junge Lieutenant, der erst ein paar Tage bei der Kompagnie war, seinen unmittelbaren Vorgesetzten.
Dieser zuckte mit den Achseln, wiegte sich hin und her und entgegnete: »Der – Gaul – war – ein Bischen – unartig; – der – Herr – Hauptmann – wollte – ihn – strafen, – und – als – das – der Gaul – übel nahm, – da – – – – trennten – sie sich. – Zur – wohlverdienten – Strafe – muß nun – Cäsar – zwölf – Tage lang, – wie – Sie eben – gehört, – feldkriegsmäßig – bepackt – zur Parade – kommen.«
»Das ist aber eine größere Strafe für den Reitknecht, als für das Pferd.«
»Finden – Sie – das?« meinte Herr von Schwenkenberg mit unverwüstlicher Ruhe.
Jetzt wurde die Stimme des Kapitäns wieder laut: »Das Sprichwort, es ist nichts so fein gesponnen, es kommt an die Sonnen, ist auf den Appell sehr anwendbar. Aber es gehört ein geübtes Auge dazu. Herr Lieutenant Schwarz, wollen Sie sich gefälligst einmal den Mann Ihres Zuges hier betrachten.« Der Batteriechef hatte einen Mann auf dem linken Flügel Kehrt machen lassen und sich dicht vor ihn hingestellt. – »Ich habe gesagt,« fuhr er nach einer Pause fort, »es gehört ein geübtes Auge dazu; sehen Sie sich einmal den Mann genau an. – Nun? was? – was entdecken Sie an ihm?«
Der junge Offizier betrachtete ihn ringsum auf's Genaueste, mußte aber achselzuckend gestehen, er finde nichts Besonderes.
Der Kapitän lächelte sichtbar zufrieden. Dann sprach er mit großer Genugthuung: »Ja, ein geübtes Auge erwirbt man nicht in einigen Tagen. Schauen Sie auf die Knöpfe der Jacke.«
»Sie könnten etwas blanker geputzt sein,« meinte schüchtern der junge Offizier.
»Nicht das, Herr Lieutenant Schwarz; bei Gott im Himmel, nicht das,« versetzte der Kapitän, wobei er seine linke Hand hoch empor hielt, wie ein Maurer, der das Richtloth handhabt. »Denken Sie sich eine Linie vom Kragenhaken bis zur Hosenbauchnaht. Entdecken Sie nichts? wahrhaftig gar nichts? – – Nun, mein lieber Herr Lieutenant Schwarz, es wäre das in der That zu viel verlangt. Wird schon kommen, wird schon kommen. Man dient nicht umsonst fünfundzwanzig Jahre. – Nun, ich will's Ihnen sagen: der vierte Knopf von oben steht um eine halbe Linie zu viel nach links, Schuld des Schneiders, werden Sie denken. – Gott bewahre, ich richte meine Jackenknöpfe selbst. Er soll einmal aufknöpfen da, und wenn wir nicht am vierten Knopf ein manoeuvre de force finden, so – so will ich Unrecht haben.«
Der Kanonier knöpfte die Jacke auf, und es war richtig, wie der Kapitän gesehen. Statt angenäht zu sein, war der vierte Knopf mit einem Hölzchen befestigt, was ihn in eine schiefe Stellung und den betreffenden Mann auf eine Strafwache brachte.
Triumphirend setzte der Kapitän noch einen Augenblick seine Inspektion fort, dann schoß er mit einem Male mit vermehrter Geschwindigkeit in die geöffnete Küchenthüre, nach welcher er schon lange geblickt, und kehrte nach einigen Augenblicken mit einem Kanonier zurück, den er am Kragen gefaßt hatte und förmlich hinter sich drein zog. Ich muß schon gestehen, daß dieser Mann nichts weniger als das Bild eines properen Soldaten war; er trug eine höchst schmierige Jacke, an der fast alle Knöpfe fehlten; graue leinene Beinkleider, die von Fett starrten, und eine Schürze deren ehemals blaue Farbe kaum noch zu erkennen war. Gewöhnlich nahm man in damaliger Zeit zu den Küchengehülfen Leute, denen das Exerciren schwer in den Kopf ging, die im Gliede keine gute Figur machten und sich die Benennung »Schmierfinke« erworben hatten.
Der vom Kapitän Herbeigeführte hatte in der einen Hand ein großes Stück Kommisbrod, in der andern eine Gabel, und obgleich er mit größter Anstrengung kaute und schluckte, wollte es ihm doch nicht schnell genug gelingen, seine vollgestopften Backen in den Magen zu entleeren. »Feldwebel Müller!« rief der Kapitän entrüstet, »sehen Sie diesen alten Schmierfinken an. Habe ihn schon während des ganzen Appells im Auge gehabt, faulenzt in der Küche und frißt in Einem fort. Und was frißt er? Sein trockenes Brod, wie es Einem rechtschaffenen Kanonier zukommt? – Gott bewahre, nein. Sondern er steht neben dem Kessel, und mit der Gabel, die er da in der Hand hat, fischt er einen Speckbrocken um den andern heraus. Tausend Element! das ist eine unerhörte Geschichte. Und sehen Sie einmal diesen verwahrlosten Anzug an, Herr Lieutenant von Schwenkenberg. – Ich will, daß dieser Mann,« wandte er sich nach einer Pause, während welcher er ihn wahrhaft erstaunt betrachtet, an den Feldwebel, »vom Küchendienst abkommandirt werde. Ist er doch vollständig aus Rand und Band, Schmierfinke Numero Eins. Wenn er abkommandirt ist, soll er acht Tage lang feldkriegsmäßig verpackt zum Appell kommen. Jetzt magst du in deine Küche zurückgehen. Hat man je so was erlebt? – Und was das Fressen der Speckbrocken anbelangt,« rief er ihm noch nach, »so ist das eine Sache, welche deine Kameraden angeht; zu meiner Zeit wärst du dafür über die Bank gelegt worden, und dort wo der Rücken seinen ehrlichen Namen verliert, hätte man dich unter einem nassen Betttuch gehörig verarbeitet. – Sind wir zu Ende, Feldwebel?«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann.«
»Lassen Sie uns auseinandertreten.«
Dies geschah, und die lachenden Gesichter einiger Kanoniere und die Eile, mit der sich mehrere in die Küche begaben, ließen mich vermuthen, daß das Strafverfahren, von welchem der Kapitän gesprochen, gegen den Küchengehilfen nächstens und nachdrücklichst in Anwendung kommen werde.
Die Offiziere und der Feldwebel blieben noch einen Augenblick bei einander stehen, worauf ich meine Feldmütze abnahm und mich schüchtern der Gruppe näherte. Anfänglich wurde ich nicht bemerkt; nach kurzer Zeit aber wandte sich der Feldwebel halb auf die Seite, und da er sah, wie ich meine Papiere darreichte, nahm er sie und durchlas sie flüchtig. Dies bemerkte der Kapitän, und ich hörte, wie er halblaut zum Lieutenant von Schwenkenberg sagte: »Wenn uns nur da nicht wieder ein neuer Freiwilliger droht. Gott soll uns bewahren! Haben wir doch schon bei der Brigade so viele junge Leute, die auf Avancement zum Offizier dienen wollen, daß ein allgemeines Sterben von oben herunter nothwendig wäre, um nur ein Zehntheil zu placiren. 's ist freilich ein hübsches Wort: von der Picke auf dienen, aber im Frieden taugt's nicht. Zu Unteroffizieren ja; aber die Offiziersstellen soll man jungen Leuten von guter Familie aufhalten, die sich lange Jahre auf den Schulen abgeplagt und dort was Rechtes gelernt haben. – Ich versichere Sie, meine Herren, diese jungen Leute sind der Ruin der Batterie. Das bringt meistens etwas Geld mit, treibt nun alles Mögliche, schafft sich seine Uniform an, ist faul, nachläßig, lernt keine Subordination und verderbt den guten Geist. Aber ich will sie schuhriegeln, daß sie schwarz werden. – – Was gibt's, Feldwebel?«
»Ein junger Mann,« entgegnete dieser achselzuckend, »der vom Brigade-Kommando der achten Kompagnie als Freiwilliger zugewiesen wird.«
»Habe ich mir's doch gedacht!« sagte ärgerlich der Hauptmann. »Aber wir sind ja schon überzählig.«
»Ist gut empfohlen, Herr Hauptmann; weiß auch das Exercitium schon und hat bei der Brigade das Bombardier-Examen gemacht.«
»Das Bombardier-Examen!« rief erzürnt der Hauptmann. »Seh' mir Einer an. Sollten mir doch lieber gleich die fertigen Feuerwerker schicken. Wer wird zum Bombardier-Examen zugelassen? – wer sich durch gute Aufführung ein Recht dazu erwirbt! – Aber was ist da zu machen? Lassen Sie ihn einkleiden und geben ihn in die Korporalschaft zu Unteroffizier Wachenbach, der soll ihm im Exerciren einen soliden Grund beibringen, aber einen recht soliden. Verstehen Sie mich! Und wenn's auch Mühe und Schweiß kostet.« Damit griff er an seinen Helm und eilte zum Kasernenhofe hinaus, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Die beiden andern Offiziere folgten ihm und ich blieb mit recht traurigem Herzen zurück. Hatte ich doch einen andern, freundlicheren Empfang erwartet, hatte doch gehofft, der Herr Hauptmann würde wenigstens nach meinem Namen fragen und darauf der Herr Lieutenant von Schwenkenberg sagen: »Ah! das ist Wortmanns kleiner Major! Freue mich, dich wieder zu sehen.« Nichts von allem dem; der Feldwebel stopfte meine Papiere in seine Brieftasche, winkte mir mit dem Kopfe, ich solle ihm folgen, und übergab mich in der Kaserne dem Unteroffizier Wachenbach, einem finster aussehenden Manne mit rothem Haar und Bart, der mich in die Montirungskammer führte, die mir so gut bekannten lieben Raume, wo aber leider kein freundlicher Poltes war. Hier erhielt ich einen rostigen Säbel, abgeschundenes Lederzeug, eine alte Hose und eben solche Jacke, und durfte all' diese schönen Sachen mitnehmen auf das Kasernenzimmer Nro. 16, in dessen dunkelstem Winkel man mir eine Bettlade und einen Strohsack anwies. Die andern elf Mann, die hier einquartiert waren, empfingen mich höchst gleichgültig, boten mir kaum einen Stuhl zum Niedersitzen an, und wenn ich ihnen zufällig im Wege stand, so drückten sie mich auf die Seite. Gern wäre ich noch hinaus zu Voltes gegangen, aber der Unteroffizier Wachenbach befahl mir da zu bleiben, da er mich im Verlauf des Nachmittags sprechen wolle. Das mußte er aber vergessen haben, denn ich sah ihn am heutigen Tage nicht mehr, und als ich mich darauf Abends neun Uhr in mein Bett legte, war ich herzlich froh, allein sein zu dürfen, und schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich mein Strohkissen reichlich mit Thränen befeuchtete.