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Es geht Einem mit dem Militärleben in mancherlei Beziehungen wie mit dem Reisen in südlichen Ländern, namentlich im Orient: von außen Pracht und Herrlichkeit, Glanz und Schimmer. Wie dort eine Stadt, so staunt man hier das schöne Schauspiel eines manövrirenden Regiments, einer feuernden Batterie, ja eines einzelnen Reiters bewundernd an, und meint, mit jedem Schritte, mit dem man näher hinkommt, würden sich immer reichere und herrlichere Details entfalten, und wenn man erst selbst ein Bestandtheil jener strahlenden Maschine geworden, so wäre des Glücks kein Ende. Um aber einen andern nicht minder passenden Vergleich anzuführen, so geht es im Militärleben im Frieden wie auf den Brettern, welche die Welt bedeuten: wer hinter die Coulissen schaut, der zieht die Augenbrauen hoch empor, zuckt mit den Schultern und fragt sich: wie konnte ich mich so täuschen lassen?
Die offene Scene beim Militärleben ist für den Zuschauer das an einem schönen Tage marschirende Regiment, der friedliche Feldzug, Manövertage genannt; hinter den Coulissen aber ist das Kasernenleben, Exerciren, Waffen- und Knöpfeputzen, Wachen aller Art, kurz, der sogenannte Gamaschendienst, nicht zu vergessen die unruhige Nacht auf einem harten Strohsacke zu sechzehn in einem dumpfen Kasernenzimmer. Aber für Jeden, der später in die Welt hinaus will, ist es ersprießlich, all' diese kleinen Leiden und Täuschungen in früher Jugend kennen zu lernen, und eine prächtige Vorschule für jeden späteren Wirkungskreis; lernt man doch Subordination gegen den Vorgesetzten und gegen das Schicksal, und bekommt eine dicke Haut, so daß wir die tausend Nadelstiche, denen wir später ausgesetzt sind, leichter ertragen können, sie uns kaum mehr wehe thun. – –
Als ich unser kleines Grenzstädtchen und das elterliche Haus verließ, that ich das mit schwerem Herzen, denn alle die zurückbleibenden lieben Freunde beeiferten sich, mir ihren Schmerz über unsere Trennung darzuthun. Hatte ich beim Abgang aus der Kaserne viel unnütze Sachen geschenkt erhalten und mitgeschleppt, so ging es mir bei der jetzigen Trennung fast ebenso: nur hätte ich einen eigenen Wagen gebraucht, um mit mir zu nehmen all' die Freundschaftsbezeugungen, bestehend in geräucherten Würsten, Aepfeln, Nüssen, Backwerk der verschiedensten Art, dann Bücher, Schreibpapier, kurz alle möglichen Artikel, nicht zu vergessen eine ganze Schachtel Sämereien meines Freundes, des weisen Vogel, die er mir mitgeben wollte, und dabei die Hoffnung aussprach: »Siehst du, lieber Freund, die Garnison, wo du hinkommst, soll eine große Festung sein mit Gräben und Wällen; vielleicht findest du einmal auf letzteren irgend ein Plätzchen, wo es dir erlaubt ist, einen kleinen Blumengarten für dich anzulegen.« Mein Vater lächelte eigenthümlich, als der gute Vogel so sprach, und meinte, er mache sich einen ganz sonderbaren Begriff von einer königlichen Umwallung; »da wird kein Blumengarten gut gethan,« sagte er; »das Einzige, was da geduldet wird, ist sehr kurz geschorenes Gras, schön geordnete Kugelhaufen und alte mürrische Wallgeschütze.« Die Sämereien mußten also, wie so vieles Andere, zurückbleiben, Vater Wortmann hatte nur höchst eigenhändig einen Tornister angefertigt, in welchen das nothwendige Weißzeug verpackt wurde. Was ich an Civilanzügen mitnehmen sollte, trug ich auf dem Leibe. Wozu auch mehr? bei der Kompagnie fanden sich ja genug alte Kommißwöllchen vierter und fünfter Garnitur; dagegen aber erhielt ich eine Artilleriedienstmütze, sowie einen Säbel meines Vaters, der quer auf meinen Tornister geschnallt wurde, damit man schon von weitem sehe, weß Geistes Kind ich sei.
Die beiden letztgenannten Stücke übergab mir mein Vater mit großer Feierlichkeit, und kam ich mir im selbigen Augenblicke vor wie jener junge Ritter, zu welchem sein Erzeuger bei einer ähnlichen Veranlassung sagte:
Sohn, hier hast du meinen Speer;
Meinem Arm ist er zu schwer.
Dabei kann ich nicht vergessen, wie dieses an sich so rührende Lied in der Kaserne parodirt wurde.
Sohn, hier hast du meinen Sabel;
Mir wird mit der Zeit ganz miserabel.
Daß der Abschied von den Meinigen sehr rührend war, brauche ich eigentlich nicht zu erwähnen. Meine Mutter weinte heftig, meine Schwestern schluchzten so laut, als sei dies ein Abschied auf Nimmerwiedersehen, und selbst mein Vater konnte kaum seine Thränen zurückhalten und zog seine beiden Hände zu wiederholten Malen tief in die Rockärmel zurück, wie er bei großen Veranlassungen zu thun pflegte. Endlich entlief ich den Thränen, den Umarmungen, den Segenswünschen, ließ das kleine Haus, wo meine Eltern wohnten, hinter mir, dann die schmale Gasse, wo ein paar Dutzend Bekannte mir aus den Fenstern alles mögliche Gute nachriefen, dann das alterthümliche Stadtthor und zuletzt meine Schulkameraden, die mich eine Stunde Weges weit begleitet hatten. Der weise Vogel trennte sich zuletzt von mir, nachdem er mir noch einen Strauß Feldblumen an der Mütze befestigt, und mich dringend ersucht hatte, die schönen lateinischen Namen derselben nicht zu vergessen.
Nach einer halben Stunde schob sich ein Hügel zwischen mich und das kleine Grenzstädtchen, dann war ich allein in der weiten, freien Natur, vor mir die lange Chaussee, über mir den klarsten blauen Himmel, rings um mich her aber das erste frische Grün des Frühjahrs.
Da ich ziemlich kräftig herangewachsen war – für meine sechzehn Jahre war ich freilich nicht lang aufgeschossen, vielmehr ziemlich untersetzt, – so wurde mir das Marschiren leicht, und ich erreichte am Abend bei guter Zeit das kleine Städtchen, welches mir mein Vater zum ersten Nachtquartier vorgeschrieben. Unterwegs war mir nichts Besonderes passirt; nur einmal begegnete mir ein sehr wohlwollender und freundlicher Gensdarm, der sich mit großer Theilnahme nach dem Ziel meiner Reise erkundigte. Ich zeigte ihm meinen Paß, und als er gelesen: »Vorzeiger dieses etc. begibt sich nach M., um bei dem dortigen Artillerie-Brigade-Kommandeur die Erlaubniß nachzusuchen, der und der Batterie zugetheilt zu werden,« entließ er mich freundlich mit einem militärischen Gruße. Ich muß gestehen, der Gruß von dem stattlichen Gensdarmen that mir sehr wohl. Sollte doch auch ich bald eine glänzende Uniform tragen. Und wie freute ich mich darauf! Ueberhaupt war meine Lust zum Soldatenleben in der kurzen Zeit, seit ich das Vaterhaus verlassen, wieder bedeutend in mir rege geworden. Alte, halb vergessene Bilder tauchten wieder auf, das lebendige Treiben im Kasernenhof, die rauschende Musik der Infanterie, die täglich an unserem Fenster vorüberzog, die staubbedeckte Batterie, die so geheimnißvoll auf dem Pflaster dröhnte, und dann die Erzählungen der Unteroffiziere und Gemeinen, wenn sie bei meiner Mutter ihren Schnaps tranken und von Manöver, Marsch und Einquartirung sprachen.
In dem Grenzstädtchen, wo ich bis jetzt gelebt, gab es außer meinem Vater und den andern Steuerbeamten nur wenige uniformirte Personen, die der Beachtung werth gewesen wären; die beiden alten Polizeidiener in ihren abgeschossenen Röcken zählten eigentlich gar nicht mit, und ebenso wenig die gestickten Fräcke des Postinspektors und Bürgermeisters, die am Geburtstage Seiner Majestät des Königs zum Vorschein kamen. – »Ich dagegen,« so sprach ich zu mir selber in jugendlichem Uebermuthe, »wenn ich in einem Jahre nach Haus komme, da werde ich ihnen zeigen, was eine Uniform und was ein Soldat ist. Hab' dann vielleicht schon ein paar goldene Tressen am Arm und werde angestaunt werden von Alt und Jung. – Ach ja, hoffentlich auch von den jungen Mädchen, vielleicht sogar, daß es Bürgermeisters Anna der Mühe werth findet, sich verstohlen nach mir umzuschauen!« Bei diesen Gedanken blickte ich selbst verstohlen um mich her, und obgleich weit und breit kein menschlich Wesen war, das mir hätte in die Augen schauen können, fühlte ich doch, wie ich über und über roth wurde. – –
Den andern Tag kam ich auch richtig nach M., begab mich in ein bescheidenes Gasthaus, putzte am folgenden Morgen meine Kleider, namentlich die Knöpfe, auf's Sorgfältigste, ebenso den messingenen Griff meines Säbels, stäubte meinen Tornister ab und ebenso meine Feldmütze, nachdem ich vorher den verwelkten Blumenstrauß des weisen Vogel in meine Brusttasche gesteckt. Dann begab ich mich mit einigem Herzklopfen nach der Kanzlei des Brigade-Kommandeurs. Mein Vater hatte mir ein Schreiben mitgegeben an einen alten Freund seiner ehemaligen Batterie, der als Schreiber zum Stab abgegangen war. Diesen sollte ich vor allen Dingen aufsuchen und ihn bitten, die einleitenden Schritte für mich zu thun, damit ich dem Herrn Brigade-Kommandeur baldigst vorgestellt würde.
Die Wohnung desselben hatte ich bald aufgefunden; es war das ein stattliches Gebäude, vorn mit einem großen Hofe, der von einem Gitter umschlossen war, an dessen Eingang ein Kanonier mit gezogenem Seitengewehre behaglich in der warmen Morgensonne umherschlenderte. Er betrachtete mich forschend von oben bis unten und sagte lächelnd: »Na, wo willst denn Du hin?« – »Zu dem Herrn Brigade-Kommandeur,« antwortete ich ihm. – »Direkt?« entgegnete die Schildwache; »da mußt Du früh aufgestanden sein. Wirst besser thun, wenn Du einen kleinen Umweg machst. So durch die Anmeldungskanzlei hindurch. – – Na, ich verstehe,« fuhr er fort, als er sah, daß ich meinen Brief aus der Tasche zog, »wirst schon was Schriftliches haben. Da, links im Hofe Nro. 4, wo die Schreiber im Feuer exerciren, da klopf' nur an, und wenn auch Keiner »herein!« ruft, so mach' nur die große Thüre auf; fressen werden sie Dich gerade nicht. Apropos,« sagte er, als ich mich zum Weggehen anschickte, »wie viel Uhr kann es wohl sein?« – »Halb Zehn.« – »Also noch eine halbe Stunde bis zur Ablösung, verdammt lange! Na! 's geht auch vorüber.« Damit warf er seinen Säbel in den Arm und schlenderte gähnend von mir weg.
An der bezeichneten Thüre Nro. 4 klopfte ich leise an, einmal, zweimal, dreimal, denn trotz dem Rathe der Schildwache war ich doch zu schüchtern, ohne Erlaubniß einzutreten. Als ich schon den Finger zum vierten Male gekrümmt hatte, vernahm ich drinnen eine laute, fast zornige Stimme, die »R-r-r-rein!« schrie, so daß es durch's ganze Haus dröhnte. Ehe ich ihr Folge leistete, nahm ich bescheiden meine Feldmütze ab, dann trat ich in ein ziemlich großes Gemach, in dem sich vier weiß angestrichene Schreibpulte befanden, die wie große Vogelbauer aussahen, denn bis an die Decke waren sie mit einem hölzernen Gitterwerk umgeben, hinter welchen vier Köpfe auftauchten, deren Augen mich neugierig anschauten. In der Mitte des Zimmers stand ein großer Mann in der Artillerieunteroffizier-Uniform, den Waffenrock unten aufgeknöpft, mit gespreizten Beinen, und schaute mich den Eintretenden mit finsterem Stirnrunzeln an. Von seinen Gesichtszügen war wenig zu sehen: unter buschigen Augenbrauen hatte er die Augen zusammengekniffen, und der Schnurr- und Backenbart nach dem neuen Reglement bedeckte die ganze untere Partie seines Gesichtes. Zum Ueberfluß hatte er noch eine Schreibfeder mit großer Fahne quer in den Mund genommen.
»Na, da bin ich begierig,« sagte der finster aussehende Mann, nachdem er mich eine Weile gemustert, »was aus dem Tornister herausspazieren wird. Bombardier Knöller,« wandte er sich an einen der Schreibenden, »haben Sie vielleicht wieder eine Ahnung über diese Sache?« – Der Gefragte antwortete durch ein blödsinniges Lächeln und schrieb dann ruhig weiter. Ich hatte unterdessen mein Schreiben hervorgeholt und es dargereicht. Der Unteroffizier nahm es, schlug mit der flachen Hand auf die Adresse, um den überflüssigen Sand zu entfernen, dann betrachtete er die Schriftzüge genau, und rief auf einmal laut: »Soll mich doch der-r-r-r – holen, wenn das nicht die Pfote des alten Wortmann ist. – Und du?« wandte er sich gegen mich, »ja das kann nicht fehlen, straf' mich Gott! Du bist Wortmann's Major oder ich will eine Schlagröhre sein. Bomben und Hagel! ist nicht der Kerl gewachsen! ist kaum zwei Käse hoch und trägt schon eine Artillerie-Dienstmütze, hat auch ein Brodmesser aufgeschnallt. Na, die Sache wird immer schöner. Hat man je so etwas erlebt? – Bombardier Knöller, das ist der Major, von dem ich Ihnen schon erzählt. – Herr Major, ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu erneuern.« Damit ergriff er meine Hand, lachte laut hinaus, und die vier Schreiber, die mich mit langgestreckten Hälsen durch das Gitterwerk anschauten, lächelten ebenfalls.
Nachdem in seinem Lachen einige Ruhe eingetreten war, öffnete er den Brief meines Vaters, las ihn durch, nickte zuweilen mit dem Kopfe und sagte am Ende: »Ganz gut! vortrefflich! Die Sache wollen wir gleich arrangiren. Ich werde den Herrn Hauptmann Schmelzer sogleich in Kenntniß setzen, und du sollst dem Herrn Obersten, noch ehe er zur Parade geht, vorgestellt werden. – Teufel! da habe ich eine vortreffliche Idee. Er macht soeben seinen Morgenspaziergang in den kleinen Gärten neben dem Hofe. Wenn er dich so mit dem Tornister sähe, aber ganz unverhofft, daß er fragen müßte, wer du seist, und was du wollest, das wäre am allerbesten. Fassen wir die Sache sogleich an vier Zipfeln. Man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist. Du Bursch, Kopf in die Höh', Brust heraus, blas' die Backen auf, gib deinem Gesicht ein Ansehen, und wenn du eine Figur erscheinen siehst, wie Schippenbauer – Gott verdamm' meine schlechten Späße!« unterbrach er sich selber, »ich kann mir das nicht abgewöhnen – wollte ich doch sagen, wenn du einen Offizier eintreten siehst mit schwarzem Haar, schwarzem Bart, schwarzen Augenbrauen, schwarzem Rock, kurz eine schwärzliche Erscheinung, so hat für dich die große Stunde der Entscheidung geschlagen.«
Nach diesen Worten schritt der Wachtmeister an das Fenster, öffnete es weit und sagte zu den Schreibern: »Nehmen Sie ein frisches Blatt, meine Herren!« Dann nahm er einen zusammengefalteten Bogen Papier von dem Tische, stellte sich an's offene Fenster und diktirte mit dröhnender Stimme – eigentlich schrie er mehr, als er sprach –: »Brigadebefehl. Durch mein Schreiben vom 16. dieses ist es zur Kenntniß der Herren Abtheilungskommandeure gekommen, daß Ende dieses Monats unser Allergnädigster König und Herr die Gnade haben wird, meine Brigade Höchstselbst zu inspiciren –«
»Herr Wachtmeister Sternberg,« sagte in diesem Augenblick eine dünne, sehr feine Stimme vor dem Fenster, »Sie können füglich meine Befehle den Schreibern diktiren, ohne dabei so unnöthig zu schreien.«
Der Angeredete, der beständig mit einem Auge zum Fenster hinausgeblinzelt hatte, und wohl gesehen, wie sich der Sprecher über den Hof genähert, that auch, als sei er auf's Höchste überrascht, ja wie von einem Blitzstrahl getroffen, als er die Stimme seines Vorgesetzten hörte. Er knickte ordentlich zusammen, dann sagte er: »Tausendmal bitte ich um Verzeihung, Herr Oberst, daß ich so laut diktirte; aber wenn man von der Ankunft Seiner Majestät spricht, da redet man sich unwillkürlich in die Begeisterung hinein.«
»Ich habe nichts gegen Ihre Begeisterung, Wachtmeister Sternberg,« erwiederte der Oberst, indem er sein ohnehin glattes schwarzes Haar noch fester an den Kopf strich, »möchte mir aber alles unöthige Geschrei ganz ergebenst verbeten haben.«
Daß ich bei dieser Unterredung meine schönste Haltung annahm und der erhaltenen Vorschrift gemäß gelinde meine Backen aufblies, wird man mir auf's Wort glauben. In der nächsten Sekunde erblickte mich der Chef, kniff seine Augen zu und sagte: »Was ist denn das?«
Der Wachtmeister streckte sich ein paar Zoll höher, stand außerordentlich gerade und meldete, »Zu Befehlen des Herrn Obersten, der Sohn eines alten Kameraden, eines ehemaligen Unteroffiziers der Batterie, kommt mit den nöthigen Zeugnissen und allen möglichen Papieren und wünscht in der Brigade auf Avancement zu dienen; ist von seinem Vater so instruirt worden, daß er das Exercitium wie ein Alter versteht. War immer ein großer Freund von der Kanone, der Kleine da – Wortmann's Major.«
»Welcher Major, Herr – Wachtmeister Sternberg, wenn's beliebt?«
»Halten zu Gnaden, das ist nur so ein Kasernen-Ausdruck, ein Beiname.«
Der Oberst, der den Chef seiner Schreiber wohl zu kennen schien, zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Wachtmeister, Sie sind unverbesserlich. Dann sprach er, indem er auf mich wies: »Das da soll herauskommen in den Hof. Wir wollen es hier außen anschauen.« Als er darauf vom Fenster wegtrat, gab mir der Wachtmeister in der Freude über den gelungenen Streich einen Rippenstoß, daß ich fast umgefallen wäre, kniff sein rechtes Auge zu und verzog auf diese Art sein Gesicht zu einer wahrhaft scheußlichen Fratze. Dann folgten wir Beide dem Befehl des Vorgesetzten.
Der Oberst stand in der Mitte des Hofes in sehr aufrechter Haltung und hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt. Er war ein großer, wohlgewachsener Mann, aber, wie der Wachtmeister vorhin bemerkt, in der That eine schwärzliche Erscheinung. Schade, daß sein schwaches Organ nicht zu dieser großen Figur paßte. Hinter ihm bemerkte ich einen andern Offizier, den die laute Unterredung am Fenster wahrscheinlich ebenfalls hinausgelockt. Er trug die Hauptmanns-Uniform und stand, eine mächtige Brieftasche in der Hand, in sehr steifer Haltung hinter seinem Vorgesetzten. Die Schildwache am Thor schien außerordentlich befriedigt, daß die Langweiligkeit des Hofes durch ein unerwartetes Schauspiel belebt würde.
»Sehen Sie, Herr Hauptmann Schmelzer,« sagte der Oberst, nachdem er mich ein paar Augenblicke betrachtet, »das ist ein Soldatenkind, welches sich anschickt, den höchst ehrenvollen Stand seines Vaters zu ergreifen, – ein Entschluß, der zu loben ist, besonders weil er sehr selten vorkommt. Will doch Alles in der Welt einen scheinbar bessern Stand ergreifen, als der des Vaters. Der Sohn des Handwerkers schämt sich der väterlichen Werkstätte und will Kaufmann werden, der Sohn des Kaufmanns will um allen Preis studiren oder sich zum Künstler heranbilden. Ich versichere Sie, Herr Hauptmann Schmelzer, daß die Alten, mit ihrem strengen Kastengeiste, wohl wußten, was sie thaten. – Das aber in Parenthese. – Wie heißt du?« wandte er sich an mich.
»Friedrich Wilhelm Wortmann,« gab ich zur Antwort.
»Friedrich Wilhelm Wortmann. Und kann also exerciren?« »Zu Befehl, Herr Oberst.«
»Hat auch vielleicht den Artillerie-Leitfaden schon angeschaut?«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
»Kennt die Verpackung eines zehnpfündigen Granatwagens?«
»Und die Anfertigung einer Leucht- und Stückkugel?«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
»Wir wollen das untersuchen, Herr Hauptmann von Schmelzer. Sorgen Sie dafür, daß die Papiere des jungen Menschen bestens untersucht werden, auch er selbst, ob er körperlich tüchtig ist, und wenn sich Alles das zu seinen Gunsten herausstellt, so soll man ihn prüfen, ob er wirklich das Exercitium inne hat, und in dem Falle an dem übermorgenden Bombardier-Examen Theil nehmen lassen. Nicht, als ob ich daran dächte, ihn schon im Voraus zu avanciren, – Gott soll mich bewahren! – sondern nur, um ihm einen Sporn zu geben, der ihn veranlaßt, durch gute Aufführung eifrigst nach den Tressen zu streben. Auch als Empfehlung an seinen künftigen Batterie-Chef. Hat er einen Wunsch in dieser Richtung?«
»Mit der gnädigsten Erlaubniß des Herrn Obersten,« erwiderte der Wachtmeister, »wünscht er der achten Fußkompagnie zugetheilt zu werden.«
»Hauptmann von Bitter in D.,« entgegnete nachdenkend der Oberst, wobei er den Kopf schüttelte und die Augenbrauen hoch emporzog. »Warum gerade dahin?«
»Der Vater des jungen Menschen hat in D. einen guten Freund, ebenfalls früher Unteroffizier, jetzt bei der Steuer-Partie, der ihm mit Rath und That an die Hand gehen wird,« meldete der Wachtmeister. »Auch sind bei der achten Fußkompagnie nur zwei Freiwillige, die auf Avancement dienen.«
»Meinetwegen,« sagte der Oberst; »der Premier-Lieutenant dorten ist der von Schwenkenberg, ein braver Mann. – Also Gott befohlen!« Damit neigte er seinen Kopf leicht gegen mich hin und ging mit dem Hauptmann Schmelzer nach dem Garten zurück, wo er hergekommen war. Der Wachtmeister faßte mich am Kragen und zog mich in die Stube Nro. 4 zurück. »Siehst du, Major,« sprach er dort, wobei er sich die Hände vor Vergnügen rieb, »du hast mehr Glück als Verstand. Wirst da ohne Anstand angenommen und darfst ohne Weiteres das Bombardier-Examen machen. So gut ist's Unsereinem nicht geworden. Ja, Major, es wird doch am Ende noch wahr, was man dir bei deiner Geburt prophezeit. Weßhalb übrigens dein Vater auf die achte Fußbatterie versessen ist, kann ich mir auch nicht erklären. Freilich lebt der alte Poltes in D., aber der kann dir nicht mehr viel helfen. Habe ich doch vor ein paar Tagen einen Brief von ihm erhalten, worin er mir schreibt, er habe seine letzte Vollkugel geladen, und wenn die hinausgepufft sei, so rufe er für ewige Zeiten: Batterie halt! Sonst hast du bei der achten Fußbatterie verdammt wenig zu hoffen. Der Kapitän Bitter, na, der ist nicht bitter! Eigentlich böse kann man ihn nicht nennen, aber er hat in seinen Ideen ganz konfuse Streifen. Des Premierlieutenants von Schwenkenberg wirst du dich vielleicht noch erinnern; er ist nicht fetter am Leibe und nicht geschwinder im Reden geworden. Na! im Grunde ist es einerlei, einen Haken gibt's überall und ohne Kampf kommt man nicht durch die Welt. – Jetzt wollen wir aber frühstücken gehen.«
Das thaten wir denn, und der Wachtmeister Sternberg, der sich meiner überhaupt freundlich annahm, zeigte mir die Merkwürdigkeiten von M.; führte mich bei einigen seiner Kameraden ein und erhielt am andern Morgen die Erlaubniß, das Exercitium leiten zu dürfen, das ich durchmachen mußte, und worin ich, ich kann es wohl sagen, mit Ehren bestand. Ebensogut ging es mir mit dem Bombardier-Examen, und ich hatte das Glück, daß der vorsitzende Offizier zu mir sagte: »Hätten Sie nur sechs Wochen gedient, so würde ich speziell darauf antragen, daß man Ihnen die Tressen gebe. Aber Sie sind ja noch jung und werden sie frühzeitig genug erhalten.«
Ein paar Tage nachher verließ ich M. mit frohem Muthe und gelangte nach mehrtägigem Marsche glücklich in D. an.