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2.

Die ersten Jugendjahre aller Kinder gleichen sich mehr oder minder; es ist das in vieler Beziehung eine glückliche Zeit, kommen doch hier noch keine Standesunterschiede zum Vorschein, und ob der Vater Minister ist oder Tambour, das hat da nicht viel zu bedeuten. Gleiche Leiden und Freuden umschlingen die ganze junge Generation, und dem Armen schmeckt sein Apfel und sein Schwarzbrod eben so gut wie dem Reichen das Stück Biscuittorte, welches nur den Vorzug hat, daß es dem Betreffenden vielleicht seinen kleinen Magen verdirbt. Die Spiele dieser Zeit sind fast überall die gleichen, und wenn man sich als Räuber und Gensdarmen in einem Sandhaufen herumwälzt, so ist es gleichgültig, ob die Höschen von feinem Tuch sind, oder fadenscheinig und hie und da mit kleinen Offenherzigkeiten geschmückt.

Wer die Neigung aller kleinen Knaben ruhig beobachtet, der sieht bei fast allen die große Vorliebe für Trommel und Gewehr, überhaupt für alles Militärische, und wird zugestehen müssen, daß, was diesen Punkt anbelangt, ein Kind, welches in der Kaserne geboren und dort seine Kinderjahre verspielen darf, ein glückliches genannt werden kann. Daß ich stets eine große Schaar kleiner Freunde um mich hatte, welche mit unendlichem Glück an allen den geheiligten Orten spielten, die ich als Sohn meines Vaters betreten durfte, wird mir Jeder glauben.

Da war der Geschützschuppen im Hofe, dessen Thor freilich fast beständig verschlossen war, doch krochen wir zu einem kleinen Fenster der Hinterseite hinein, und waren glücklich und selig, wenn wir hier, ohne beunruhigt zu werden, ganz im Geheimen spielen konnten. Da standen die 6- und 12pfündigen Kanonen und Haubitzen so ruhig bei einander, die metallenen Rohre glänzten und waren tief herabgesenkt, so daß es aussah, als dächten sie an Vergangenheit und Zukunft. Wir halfen ihren Träumereien nach, indem wir wie eine Schaar kleiner Kobolde um eines der Stücke schwärmten, es auf allen Seiten erkletterten, uns rittlings auf das Rohr setzten, es mit unsern kleinen Fersen spornten, und ihm die Kommando-Worte zuriefen, die wir tagtäglich vor unsern Fenstern hörten – Batterie Marsch! – Batterie Galopp! – Batterie Halt! – mit 6löthigen Kartätschen geladen! – Feuer-r-r-r-r! Am liebsten übrigens erkletterten wir eine der kolossalen Deichseln, um sie durch das Gewicht unseres Körpers nach und nach in Bewegung zu setzen; das gelang uns dann auch nach den angestrengtesten Bemühungen, und unsere Freude war nicht gering, wenn die Deichsel sich langsam auf und ab wiegte, wenn das ganze Gestell krachte, und die Ketten der Protze anfingen leise zu rasseln und zu klingeln. Doch war es ein Moment der höchsten Aufregung, wenn Einer von uns selbst schaudernd zu sagen wagte: »paßt auf – paßt auf – jetzt wird die Kanone lebendig und fährt davon,« so purzelten wir Alle vor Angst von der Deichsel herab, und suchten eilig das Freie zu gewinnen, was uns aber nicht abhielt, schon am andern Tage das gleiche Spiel wieder auf's Neue zu beginnen. Dabei hatte Jeder sein Lieblingsgeschütz, das er sein eigen nannte. Meine Freundin war eine 7zöllige Haubitze, die Miranda, zu der ich schon als kleines Kind, ich weiß nicht aus welchem Grunde, eine besondere Zuneigung gefaßt hatte; da sie ein Manövrir-Geschütz war, wurde sie selten zum Exerciren herausgezogen, und blieb meistens im hintersten Winkel des Schuppens stehen. Schon als vierjähriges Kind gelang es mir vollkommen, sie vermittelst der Räder zu erklettern, den Mundpfropfen loszuschnallen, worauf ich alsdann die Höhlung des Rohrs zu einer kleinen Vorrathskammer benützte, wo ich meine kleinen Reichthümer, wie Bindfaden, Papierschnitzel, Aepfel und sonstiges Obst, zu verwahren pflegte. Ich erinnere mich noch sehr genau meines grenzenlosen Jammers, als ich eines Morgens in den Geschützschuppen trat und sah, daß die Miranda fehlte. Lange tröstete mich die Mutter und Babett vergeblich, indem sie sagten, die Haubitze würde ja in ein paar Stunden zurückkommen, weinend setzte ich mich an's Kasernenthor und wartete mehrere Stunden, bis ich die Batterie schon von Weitem auf dem Pflaster einherrasseln hörte. Ich lief ihr entgegen, und wäre in der Freude meines Herzens fast unter die Pferde gerathen. Doch gewann ich durch den Beweis den Anhänglichkeit die Gunst des Kapitäns, welcher bis dahin dem kleinen Major nicht recht gewogen war; er gab lachend zu, daß mich die Bedienungsmannschaft der Miranda innerhalb des Kasernenthors auf das Rohr setzte, und ich somit triumphirend einziehen durfte, zum nicht geringen Schrecken meiner Mutter, die am Fenster saß und ihre Hände über dem Kopf zusammenschlug; die Miranda nämlich war stark im Feuer gewesen, mit schwarzem Pulverschleim und Staub bedeckt, das sich nun begreiflicherweise meinen weißgewaschenen Hosen mittheilte. Der Kapitän aber lachte, als er vom Pferde stieg, und meinte, es sei gut, wenn ein Soldatenkind schon in der frühesten Jugend Pulver zu riechen bekäme.

Ein anderer Spielplatz meiner Jugendzeit, der eben so große Freuden bot als der Geschützschuppen, war die Montirungskammer, ein großer, halbdunkler Saal, wo Uniformen, Säbel, Helme, kurz alle Bestandtheile des militärischen Anzuges in unabsehbarer Reihe durch einander hingen; uns hier herumzutreiben, war uns übrigens nicht häufig vergönnt, denn der Verwalter aller dieser Herrlichkeiten, der Kapitän d'Armes, ein alter, grämlicher Unteroffizier, hatte neben dem Tische, wo er seine Bücher eintrug, einen tüchtigen Fahrer-Kantschuh hängen, den er grimmig schwang, wenn wir uns zu ungeeigneter Zeit der Kammer näherten. Doch gab es auch Momente, wo wir von ihm geduldet wurden, und wo er uns sogar erlaubte, mit alten Säbeln und Pistolen zu spielen, die rostig, ihre Säuberung erwartend, in einem Winkel bei einander lagen. Ungerufen durften wir nie erscheinen; wenn aber der Kapitän d'Armes gut gelaunt war, und uns so mit sehnsüchtigem Blicke an der Thüre lehnen sah, so sagte er zuweilen: »na, ihr dürft kommen, ihr Grobzeug,« und dieser freundlichen Einladung folgten wir auf's Bereitwilligste.

Der Verwalter der Kammer hieß Leopold; ob das sein bloßer Vorname oder auch der Name seiner Familie war, habe ich nie erfahren können, denn er liebte es nicht, von seinen Angelegenheiten zu sprechen. Seinen Kameraden aber mochte der Name Leopold zu lang oder zu vornehm klingen, weßhalb sie ihn in Poltes umgewandelt hatten, eine Abkürzung, die er sich auch gefallen ließ, und die auch später auf den Zettel an seiner Stubenthür, sowie in sein Löhnungsbuch übergegangen war.

Unteroffizier Poltes mochte ein starker Vierziger sein, hatte in seinem Leben viel durchgemacht, und in seiner Jugend ziemlich stark getrunken, und die Folge hievon war, daß er, wie er selbst zu sagen pflegte, jetzt, obgleich im besten Mannesalter, doch schon komplet fertig sei. Er war groß und hager, hatte eingefallene Wangen, die meistens stark und unheimlich geröthet erschienen: dabei hustete er beständig leicht und trocken, und seine Stimme klang meistens heiser und unverständlich. Wenn er in der Kammer beschäftigt war, so hatte er meistens ein rothseidenes Taschentuch um den Kopf gebunden, und schritt abwechselnd vor sich hin pfeifend und hustend an den langen Reihen der Uniformen, bald dies bald das nachzählend, auf und nieder.

Wenn ich ihn allein in der Kammer sah, und ihm schüchtern guten Tag sagte, so gab er mir meistens die Erlaubniß, hereinzukommen. Unteroffizier Poltes war nämlich nicht gerne allein, und wenn er keine andere Gesellschaft haben konnte, so nahm er mit mir, dem kleinen Buben, vorlieb, an den er nun das für mich unverständlichste Zeug hinsprach. »Ja, ja, Major,« fing er gewöhnlich seine Reden an, »es sind schlechte Zeiten und die Hühner gehen barfuß; sieht Er, Major, mich sollte es gar nicht wundern, wenn Ihm noch einmal in Seinem künftigen Leben Dinge passirten, von denen Er sich jetzt gar nichts träumen läßt.«

»Was für Dinge, Unteroffizier Poltes?« – »Dinge, Herr Major, die ganz absonderlich sind; wenn auch keine Zeichen und Wunder mehr geschehen, so kommt doch Manches anders, als man denkt; als ich so alt war wie Er, na, da dachte ich mir: vier Pferde für dich später zum Fahren, das wäre verdammt wenig, und jetzt zähle ich alte Uniformen.« Darauf pfiff er und fuhr dann brummend fort: »Ja ja, es ist eine merkwürdige Zeit, man hat Beispiele von Exempeln, daß alte Schornsteine einstürzen, Ziegen krepiren, Kuhschwänze dagegen wackeln und doch nicht abfallen – Pfui Teufel!« –

Auf diese Offenbarungen horchte ich mit offenem Munde, während ich neben ihm hertrippelte, meine Hände beständig auf dem Rücken zusammengelegt.

Nebenbei war mir aber der Unteroffizier Poltes von großem Nutzen, denn er gab sich mehrere Stunden des Tags mit meiner Erziehung ab, und lehrte mich in kurzer Zeit ziemlich fertig lesen und schreiben, namentlich aber rechnen, und letzterer Unterricht wurde auf der Montirungskammer praktisch betrieben. Da mußte ich Säbel zählen, Knöpfe aussuchen und nach der Nummer, die auf ihnen stand, in Haufen von 10 und 100 zusammentragen.

Machte ich meine Sache einmal sehr gut, so schenkte mir Poltes einen Pfennig, war ich aber recht unaufmerksam, so pflegte er zu sagen: »Soldatenkinder und Erlenholz wächst auf keinem guten Grund – Du bist eigentlich nicht Schuld daran, daß bei der Geburt deines Vaters schon geschossen wurde – na, es wird schon kommen – Haselholz wächst immer frisch und lustig nach, und deine künftigen Lehrer werden auch hoffentlich Augenblicke haben, wo ihnen die Finger verdammt jucken.« –

Man muß übrigens nicht glauben, daß ich meinen Unterricht vernachlässigt hätte, im Gegentheil, sobald ich das fünfte Jahr erreicht hatte, wurde ich in eine Knabenschule geschickt, und mein Vater machte sich ein großes Vergnügen daraus, zu Hause meine Aufgaben mit mir durchzugehen.

Ueberhaupt war mein Vater, Unteroffizier Wortmann, ein. in jeder Hinsicht sehr respektabler und namentlich ein tüchtiger, ja vortrefflicher Soldat. Streng im Dienst war er bis zum Exceß, das Exerciren verstand er wie Keiner, und sein Lederzeug war immer so im Stande, daß es häufig nicht nur der ganzen Batterie, sondern der ganzen Abtheilung zum Muster vorgelegt wurde. Obgleich seine Korporalschaft die musterhafteste war, und er auch über die Faulen und Nachlässigen ein eisernes Scepter schwang, so daß die Burschen in Angst geriethen, wenn der Unteroffizier Wortmann nur in's Zimmer trat, so war es doch höchst eigenthümlich, daß er nicht im Stande war, bei uns zu Hause auch nur einen Schein von der Herrschaft auszuüben, die ihm als Familienvater und Chef des Hauses doch wohl gebührt hätte. Und wenn ihn meine Mutter an den häuslichen Tugenden, Fleiß, Sparsamkeit, Reinlichkeit, übertroffen, ja, auch nur erreicht hätte, so würde man die unbegrenzte Herrschaft, welche sie ausübte, einigermaßen erklärlich gefunden haben. Leider kann ich aber, was meine Mutter anbelangt, nur berichten, daß sie das Gegentheil von den eben angeführten häuslichen Tugenden besaß. Mama war, wie die Leute behaupteten, eine recht hübsche Frau, doch that sie gar nichts, um ihr Aeußeres in ein vortheilhaftes Licht zu setzen, und wenn sie einmal einen Versuch machte, z. B. ihr Haupt vermittelst einer Haube mit langen und bunten Bändern zu schmücken, so stach dagegen ihr sehr unscheinbares Kleid, sowie die niedergetretenen Schuhe, auf's Unangenehmste ab. Daß ihre Wirtschaft vortrefflich ging, war die Schuld eines Monopols, welches der Kapitän meiner Großmutter, der Frau des Feuerwerkers, einstens verliehen, das auf die Tochter übergegangen war, und von meinem Vater erheirathet wurde. Wenn man übrigens die Leute der Batterie in ihren ungenirten Gesprächen belauschte, so konnte man erfahren, daß der Kaffee in unserer Restauration ganz scheußlich sei, daß dem Brod und der Wurst meistens die jugendliche Frische mangelte, ja man hörte offen den schrecklichen Verdacht aussprechen, als seien Suppe und Kartoffeln statt mit Butter mit einem Stücke Talglicht geschmälzt. Zuweilen war es vorgekommen, daß irgend ein guter Freund des Vaters, Bombardier oder Unteroffizier oder ein sehr verwegener Geselle der Korporalschaft, sich unterstanden, bescheidene Vorstellungen wegen sehr mangelhafter Speisen und Getränke zu machen, doch war dies den Betreffenden meistens sehr schlecht bekommen, meine Mutter hatte denselben zuerst eine tüchtige Standrede gehalten, und dann ein- für allemal den Eintritt in die Restauration verboten. Der einzige Mensch, mit dem sie übrigens nicht fertig wurde, war der Unteroffizier Poltes, auch glaube ich, daß für diesen besonders gekocht wurde, soviel war sicher, daß er seinen Schnaps nicht aus der allgemeinen Flasche erhielt. Vor ihm allein scheute sich meine Mutter, und sein Eintritt in die Stube konnte den gewaltigsten Strom ihrer Rede hemmen, dann brach sie plötzlich ab. riß heftig an ihren Haubenbändern, und sagte: »schon gut, ein andermal mehr davon.«

Kam Poltes zu einer häuslichen Scene, welche Mama mit Papa hatte, so ermannte sich der Letztere anscheinlich, dann zog er beide Hände in die Aermel der Uniform hinein, wie er zu thun pflegte, wenn er bei der Korporalschaft in Zorn gerieth; Poltes setzte sich alsdann neben ihn auf die Bank, und während er seinen Schnaps trank, stieß er meinen Vater von Zeit zu Zeit mit den Ellbogen in die Seite, und munterte ihn dergestalt auf, das Gefecht fortzusetzen. Daß meine Mutter gegründete Ursache gehabt hätte, mit meinem Vater häufig dergleichen Scenen aufzuführen, glaube ich nicht, denn der Unteroffizier Wortmann war, wie ich schon früher bemerkt, ein Muster sowohl als Soldat, wie auch als Mensch; Mama aber schien sich in ruhiger Atmosphäre nie wohl zu fühlen, und stürmische Luft war zu ihrer Existenz nothwendig; dabei hatte sie ein merkwürdiges Gedächtniß für die Schwächen ihrer Nebenmenschen, und obgleich sie von Herzen gewiß nicht böse war, ja eigentlich ein gutes Gemüth hatte, so war es ihr unmöglich, irgend Jemand etwas Angenehmes zu sagen. Die Kanoniere kannten sie schon, und wußten, wenn sie Morgens zum Kaffee in die Restauration kamen, daß ihnen alsdann ihr ganzes Sündenregister in schauerlicher Wahrheit vor Augen geführt werde. Da saßen sie harmlos bei einander in ihren Stalljacken, und während Babett Kaffeebrod und Butter zutrug, stand meine Mutter an ihrem Kochherde, der sich in der Stube befand, und bereitete die Portionen zu.

»Weißbrod und Butter für Linsemann,« sagte Babett. Meine Mutter schüttelte mit dem Kopfe und entgegnete: »Linsemann braucht weder Weißbrod noch Butter, da ist Kaffee für ihn, er soll von seinem Kommisbrod dazu essen.« – »Aber ich bezahle es baar,« sagte Linsemann patzig, indem er die Jacke aufknöpfte und eine kleine lederne Tasche hervorzog, die sein Geld enthielt. Meine Mutter schüttelte abermals mit dem Kopfe, – »spar' Er seine Pfennige, Linsemann,« sagte sie, »Er weiß wohl, wo Er sie anbringen kann, – Gott im Himmel, würde ich mich doch schämen, in Stiefeln herumzugehen, die noch nicht bezahlt sind; meint Er, der Schuster brauche nicht auch sein Geld? Aber da heißt's nur machen lassen, Butterbrod essen, Schnaps trinken, überhaupt lustig gelebt und selig gestorben, ist dem Teufel die Rechnung verdorben; – aber ich will dazu nicht helfen, darauf könnt ihr euch verlassen.« Die Kanoniere lachten und schwiegen, was übrigens Madame Wortmann durchaus nicht besänftigte, wenn sie einmal ihren schlimmen Morgen hatte. »Ueberhaupt,« fuhr sie nach einer Pause fort, »geht es mit der ganzen Batterie rückwärts – ist doch bei euch von Zucht und Ordnung gar keine Rede mehr; schade, daß ich nicht Unteroffizier geworden bin, ich wollte euch schuhriegeln. Oder hätte ich etwa nicht das Recht dazu? he!« sagte sie, indem sie die Arme in die Seite stemmte, da Niemand eine Antwort gab.

»Meint ihr, ich höre es nicht mit meinen leiblichen Ohren, wie ihr es des Abends treibt, und ohne Schuhe die Treppe hinabschleicht, nachdem die Zimmervisitation vorbei ist. Wo treibt es euch hin? – draußen in's Bierhaus. – Was treibt ihr da? – die paar Groschen versaufen, die ihr so nothwendig brauchtet, um eure Hemden flicken zu lassen.«

Wenn Mama so in Eifer gerieth, so hielt sie immer eine Art Kapuzinerpredigt, und am Ende sagte sie meistens achselzuckend, natürlicherweise mit andern Worten:

»Aber wie kann man die Knechte loben,
Kommt doch das Aergerniß von oben.«

»Euch kann man es eigentlich nicht übel nehmen,« sprach sie dann, »wie sollte eine Ordnung in die Batterie kommen, wenn der Erste am liebsten mit der Flasche exercirt, der Zweite immer in stummem Zorne das Maul hält, als wenn er bersten wollte, der Dritte aus lauter Faulheit nie das sagt, was er sagen will, und der Vierte endlich gar Nichts ist, als ein überzogenes Stück Watte, mit wohlriechendem Wasser begossen.« Dabei muß ich übrigens sagen, daß Madame Wortmann die Offiziere nur also klassifizirte, wenn sie mit ihrem Mann und Poltes allein war. Den Kapitän, den wir bereits kennen lernten, haßte sie unbeschreiblich; daß er meinem Papa am ersten Geburtstag ihres Sohnes eine Strafwache dictirt und in Arrest geschickt, konnte sie ihm nie verzeihen; und auch sonst noch hatte es der Kapitän nie daran fehlen lassen, mit seiner ersten Marketenderin häufig Streit anzufangen. Hatte ein Soldat graues Lederzeug, oder dasselbe unsauber lackiert, so brüllte der Hauptmann vor unsern Fenstern so laut, daß es Mama nothwendig hören mußte: »Wo hat Er seine Thonkugeln und seinen Lack gekauft? – wahrscheinlich bei der Wortmann, und daß die nichts Gescheidtes hat, ist weltbekannt.«

Einmal hatte der Lieutenant v. Schwenkenberg, der uns überhaupt gewogen war, die Partie meiner Mutter genommen, und gesagt: »Na – Herr – Hauptmann – nehmen – Sie – es – mir – nicht – übel, – aber – das – Material – von – unserer – Marketenderin – muß – doch – gerade – nicht – so – schlecht – sein, – denn – deren – Mann – der – Unteroffizier – Wortmann, – hat – unstreitig – immer – das – beste – Lederzeug – und – die – sauberste – Lackirung.«

»Ei, Herr Lieutenant v. Schwenkenberg,« hatte darauf der Kapitän giftig erwiedert, »was Sie nicht Alles zu beurtheilen verstehen; der Unteroffizier Wortmann haben Sie gesagt? freilich das ist ein gescheidter Mann, der kauft Thonkugeln und Lack anderswo, ein braver Mann, ein gesunder Mann – behilft sich anderswo.«

Unglücklicherweise hatte meine Mutter, da sie am offenen Fenster saß, dieses Wort vernommen, sie setzte ihre beste Haube auf mit langen blutrothen Bändern, und da sie sich eben nicht die Zeit nahm, dieselbe zuzuknüpfen, so flatterten sie wie Schlangen um das Haupt der Medusa hinter ihr drein, als sie in höchster Entrüstung die Treppe hinabrauschte, um vor den Chef der Batterie zu treten.

Leider mußte sie noch warten, bis der Appell vorüber war, und da während desselben noch ein Bombardier krank gemeldet wurde, so trug es nicht zu ihrer Besänftigung bei, daß der Kapitän sagte: »So – N. ist krank, – was fehlt dem N.? er wird sich wahrscheinlich in der Wortmann ihrem vergifteten Schnaps übernommen haben, die Sache muß geändert werden, oder mich soll der Teufel lothweise holen.«

Damit wurde die Batterie entlassen, der Kapitän schritt gegen das Kasernenthor, die Hände auf den Rücken gelegt. Neben ihm ging sein Premierlieutenant, finster und schweigend wie immer, und ihnen folgte Herr v. Schwenkenberg und der junge Secondelieutenant. Letzterer hatte zwei Finger der linken Hand zierlich in die schlanke Taille gedrückt, hielt im rechten Auge krampfhaft sein kleines Glas fest, und schwenzelte dazu wie ein junger Wachtelhund, der sich angenehm machen will.

Vergeblich versuchte mein Vater, die Mutter zurückzuhalten; wie eine Rakete schoß sie in den Hof hinein und beschrieb in ihrem Laufe einen weiten Bogen, so daß sie nach wenigen Augenblicken durch eine kleine Schwenkung gerade vor den Kapitän hinsauste, der überrascht stehen blieb.

»Herr Hauptmann,« begann meine Mutter mit vor Entrüstung zitternder Stimme, wobei sie die Hände krampfhaft auf- und zuschloß und dazu einen so gewaltigen Knix machte, daß ihre Haubenbänder hoch emporwallten, – »Herr Hauptmann,« wiederholte sie, »nehmen Sie es nicht ungnädig, aber ich wollte mir ganz gehorsamst die Frage erlauben, in wie fern und zu welchem Zweck sich mein Mann anderswo behilft, als bei mir – verzeihen der Herr Hauptmann, aber ich möchte das gar zu gerne wissen, und deßhalb bin ich hier.« Und damit knixte sie abermals und noch viel tiefer.

Der Hauptmann war bei dieser Anrede sichtlich roth geworden, er biß die Zähne über einander und sagte: »Matuschka! sehe mir einer diese verfluchte Wirtschaft an! Was fällt Ihr in's Henkersnamen ein? – Herr Lieutenant von Schwenkenberg, der Unteroffizier Wortmann gehört zu Ihrem Zuge, – rufen Sie mir den Mann her, daß er mir das Weib zur Ordnung bringt. Habe ich so was erlebt?«

»Nein, gewiß nicht,« entgegnete meine Mutter trotzig und keck, »aber mir hat man auch noch nicht so etwas gesagt. Und ich hätte vergifteten Schnaps, Herr Hauptmann? Sie haben auf der Haide oft von meinem Schnaps getrunken und der Herr Lieutenant v. Schwenkenberg; hat es Ihnen je etwas geschadet? – nein – nein – und tausendmal nein! Aber ich weiß schon, Herr Hauptmann – was das Alles heißen soll – ich bin hier zuviel in der Kaserne mit meinen drei armen Würmern, – man will eine andere Frau protegiren, das ist das Ganze!« – Und jetzt bei dem Gedanken an ihre armen Würmer, sowie an eine andere Frau, welcher man ihre Restauration zuwenden wollte, ging der Zorn meiner Mutter in Wehmuth über, und sie fuhr mit dem Schürzenzipfel an ihre Augen.

Glücklicherweise kam in diesem Augenblicke auch mein Vater eilig daher geschritten, und neben ihm der Unteroffizier Poltes, den er sich zu Hülfe mitgenommen. »Geh' Sie nach Hause,« sagte der Letztere mit leiser aber ernster Stimme; »wenn es nicht wider den Respect wäre, würde ich sagen, der Klügste gibt nach, doch so –«

»Aber das ist wider den Respect,« rief erbost der Hauptmann, »Unteroffizier Leopold, nehmen Sie sich in Acht, oder ich schicke Sie drei Tage in's Loch. – Matuschka! Ist je so etwas vorgekommen, mein Herr? Aber ich bin zu gut aufgelegt, um mich zu ärgern – kehrt – marsch in die Kaserne! – oder es soll ein siebenzölliges Donnerwetter dreinschlagen! – Mich, den Kapitän, in meinem eigenen Kasernenhof zu hankariren!«

»Haranguiren,« sprach leise für sich der Lieutenant v. Schwenkenberg.

»Haben Sie etwas gesagt?« fragte erzürnt der Vorgesetzte.

»Na, Herr Hauptmann,« entgegnete kopfschüttelnd der Gefragte, »gesagt habe ich so eigentlich nichts – nur laut gedacht, wenn es Ihnen gefällig ist.« Doch wartete der Batteriechef diese Antwort nicht ab, sondern schritt erbost mit seinem Premierlieutenant von dannen, und mein Vater, Poltes und die Mutter hörten ihn noch mehrmals die sehr verletzenden Worte wiederholen: »Ich sage Ihnen, meine Herren, diese Wortmann hat zehntausend Teufel im Leibe.«

Ich habe dieses Vorfalles nur deßhalb so ausführlich erwähnt, weil er von großem Einflusse auf das künftige Schicksal meiner Familie war. Aehnliche andere folgten in kurzer Zeit und brachten meinen Vater zu dem festen Entschlusse, Dienst und Kaserne sobald als möglich zu verlassen. Da er nun fast fünfzehn Jahre diente, so hatte er längst das Recht, eine Civilversorgung zu beanspruchen. Er meldete sich deßhalb zur Steuerpartie, und da man ihm die besten Zeugnisse ertheilen mußte, auch der Kapitän seiner los sein wollte, so ging die Sache schneller als gewöhnlich, und schon ein halbes Jahr nach der obenerwähnten Geschichte erhielt mein Vater, zugleich mit seinem Abschiede, die Ernennung zum Steueraufseher in einem kleinen Grenzstädtchen. Zum fernern Betrieb der Restauration fand sich bald eine Unternehmerin, welche die Vorräthe, Flaschen, Gläser und Teller übernahm. Mir wurde es am schmerzlichsten, das Zimmer zu verlassen, wo ich geboren, sowie die Kaserne mit ihren Höfen, wo ich so gerne gespielt. Der Abschied von Poltes preßte mir bittere Thränen aus. Auch ihm ging es recht nahe und er fuhr sich mit der Hand über die Augen und seinen langen Schnurrbart, als er mir sagte: »Na, mein Junge, jetzt halte dich brav, lerne fleißig zeichnen, vor allen Dingen aber rechnen und was daran hängt, die Mathematik, dann werden dir später die Epauletten nicht fehlen. – Soldat willst und mußt du doch einmal werden; ich hoffe, du hast deines Vaters ordentlichen Sinn geerbt, und das gute Maulwerk deiner Mutter kann dir auch noch zu statten kommen. Was mich anbetrifft, so bleibe ich auch nicht mehr zu lange im Dienste, hab' mich ebenfalls zur Steuerpartie gemeldet, und wenn ich einmal fort bin, werde ich schon für dich eine Batterie ausfinden, wo du einen angenehmen Chef hast. – Nun, heule nur nicht wie ein Schloßhund.«

Es ist mir sehr angenehm, versichern zu können, daß der ganzen Batterie unser Scheiden recht nahe ging. Die Kanoniere meinten, es sei recht traurig, daß sie nun den kleinen Major nicht mehr sehen sollten, und viele schenkten mir, als ich in sämmtlichen Stuben den letzten Besuch machte, allerlei für mich gänzlich unbrauchbare Sachen, als Nadeln und Zwirn, alte Knöpfe, Sporenräder, abgenutzte Säbelquasten und dergleichen Kostbarkeiten mehr. So kam der Morgen, an dem wir abzogen; ehe wir aber die Kaserne verließen, schlich ich mich noch einmal in den Geschützschuppen, streichelte meine liebe Freundin und Gespielin, die blanke Haubitze, und nahm einen wahrhaft zärtlichen Abschied von ihr, meiner guten Miranda.


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