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Fünfzehntes Kapitel

Donnerstag, den 8. August 1912 herrschte in den Geschäftsräumen der Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt eine ausgesprochene Gewitterstimmung. Der Prinzipal war, angeblich wegen Unpäßlichkeit, zu Hause geblieben. Das kam von Zeit zu Zeit einmal vor und wäre nicht weiter auffallend gewesen. Aber Herr Hunger, der es in solchen Fällen mit seiner Pflicht, das Personal zu überwachen, doppelt ernst nahm und dann in der unleidlichsten Weise überall umherschnauzte, blieb heute stumm wie ein Fisch, stand viertelstundenlang untätig an seinem Pult, schaute sorgenvoll durchs Fenster und rannte endlich, asthmatisch schnaufend, ins Privatkontor, wo er den Geldschrank öffnete, die Geschäftsbücher herauskramte und sie dann, nachdem er in dieses und jenes einen flüchtigen Blick geworfen hatte, seufzend wieder einschloß. Das wiederholte sich in den ersten Geschäftsstunden vier- oder fünfmal.

Der adlige Lehrling, der dem alten Gehilfen sonst ein Dorn im Auge war und beim geringfügigsten Anlaß von ihm mit Vorwürfen überhäuft wurde, liefe, als er, vom Lager kommend, über die Türschwelle stolperte, einen hohen Stoß gebundener Exemplare von »Rehwald, Auf karger Scholle« fallen. Hunger schien es kaum zu bemerken und verlor kein Wort darüber. Das war verdächtig.

Die Empireuhr drinnen im Privatkontor schlug zehn, ohne daß Hunger, wie er's seit Menschengedenken zu tun pflegte, seine Käsebemme aus dem Pult geholt und mit behaglichem Schmatzen gefrühstückt hätte. Das war mehr als verdächtig, das war geradezu beängstigend. Die Angestellten bemerkten es mit einem Gefühl von seelischer Beklemmung, verloren ebenfalls den Appetit und verschwanden einer nach dem andern aufs Lager. Nur Fräulein Scholz und Drillhose hielten an ihren Plätzen aus, verharrten jedoch in geschäftiger Untätigkeit und beobachteten, während sie zum Schein in Briefschaften und Fakturen wühlten, den dicken Herrn mit gespannter Aufmerksamkeit.

»Ist Ihnen auch aufgefallen, daß der Alte und Hunger gestern da drinnen eine Anzahl Briefe mit der Hand geschrieben haben?« fragte die Tippdame, als sich der Erste Gehilfe wieder einmal im Nebenzimmer zu schaffen machte.

»Und ob mir das aufgefallen ist!« erwiderte Drillhose. »Und wissen Sie auch, was das bedeutet, Fräulein Meta?«

»Daß etwas in der Luft liegt, wovon das Personal nichts wissen soll.«

»Jawohl. Und was kann das nur sein? Die Pleite der Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt! Ich habe schon längst so was gewittert. Etwas ist faul im Staate Dänemark. Geben Sie einmal acht, ob ich nicht recht habe.«

Fräulein Scholz warf dem jungen Propheten einen entsetzten Blick zu. »Oho! Gleich die Pleite? Machen Sie doch keine schlechten Witze!« sagte sie.

»Tu' ich ja gar nicht. Die Sache ist verdammt ernst. Viel ernster, als Sie ahnen.«

»Woraus wollen Sie das schließen?«

»Haben Sie denn nicht bemerkt, daß Krapinski letzte Woche fortwährend wegen seines Geldes anklingelte?«

»Krapinski? Wer ist das?«

»Der Seilermeister in der Sternwartenstraße, von dem wir den Bindfaden und die Ballenstricke beziehen.«

»Mein Gott, für die paar Mark, die der von uns zu kriegen hat, werden wir ihm doch wohl noch gut sein!«

»Es handelt sich um hundertachtzig Mark. Der Mann muß Wind davon bekommen haben, daß bei uns etwas nicht in Ordnung ist.«

»Ich verstehe aber auch nicht, weshalb er sein Geld nicht erhalten hat.«

»Sind Sie aber naiv! Weil das Geld nicht da ist! Das ist doch furchtbar einfach.«

»Nun hören Sie aber auf, Herr Drillhose! Wozu hätten wir denn ein Bankguthaben?«

»Und wenn es nun schon bis auf den letzten Pfennig abgehoben wäre?«

»Glauben Sie wirklich?«

»Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß vorigen Monat Möller und Söhne plötzlich auf Bezahlung der letzten Papierrechnung bestanden und mit Einstellung der Lieferung drohten, und daß der Alte dann selbst zur Bank rannte?«

»Das stimmt allerdings. Ich dachte, die Rechnung wäre nur wegen eines Rechenfehlers oder einer Preisdifferenz beanstandet worden.«

»Keine Ahnung! Die Bezahlung sollte nur eine Weile hingezogen werden, bis der Graupenbachsche Wechsel fällig war, aber das dauerte Möllers zu lange, und da hat denn der Alte das ganze Bankguthaben abheben müssen.«

»Er hätte doch sicher leicht wo anders Geld bekommen können. Die Firma Blumhardt sollte doch überall Kredit haben.«

»Man sollte es annehmen. Aber man muß eben den Alten kennen. Der ist viel zu stolz und bockbeinig, als daß er sich dazu entschlösse, in der Stadt herumzulaufen und seine Freunde anzupumpen. Ich habe übrigens das Unglück schon längst kommen sehen. Ein Verlag, der immer noch nach der alten Leier draufloswurstelt, nicht das geringste Verständnis für den Geist einer neuen Zeit hat und einen Roman wie meinen ›Titanensturz‹ glatt ablehnt, bloß weil ein paar starke neue Gedanken darin sind, hat keine innere Daseinsberechtigung mehr. Er muß ein Ende mit Schrecken nehmen.«

»Denken Sie denn, daß wir zum Ersten unser Gehalt ausgezahlt bekommen?«

»Selbstverständlich, Fräulein Meta. Darüber brauchen Sie sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. So viel bringt doch schon die Barauslieferung ein. Übrigens sind die Forderungen von Angestellten bevorzugt. Wir kommen unter allen Umständen zu unsern paar Kröten.«

Jetzt trat Hilde ein und fragte nach Herrn Hunger. Drillhose wies sie ins Privatkontor. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, warf der junge Mann der Tippdame einen bedeutsamen Blick zu. »Die hatte auch einen tragischen Zug,« bemerkte er. »Das steht ihr aber brillant zu Gesicht. Kassandra oder Iphigenie! Man sagt gewöhnlich, die Sorge drücke die Menschen nieder. Bei den meisten mag das auch zutreffen, aber nicht bei allen. Edle Naturen werden dadurch über sich selbst hinausgehoben. In meinem ›Titanensturz‹ lasse ich den Ingenieur Wilkens einmal sagen: ›Wahre Größe sitzt nicht auf gepolstertem Stuhle, sie thront auf granitenem Felsen, über dem die heiße Luft des Mittags flimmert, und den der Frost der Winternacht durchkältet. Und wie sie des Sonnenbrandes und des Frostes nicht achtet, so spottet sie auch der Rosen des Glücks und der Dornen der Not, denn ihr Haupt krönt der Strahlenkranz der Menschenwürde‹.«

»So halten Sie doch endlich einmal den Mund, Herr Drillhose! Man versteht ja kein Wort von dem, was die da drinnen verhandeln«, sagte Fräulein Scholz, der der rechte Sinn für Glanzstellen aus ungedruckten Meisterwerken der Literatur abzugehen schien.

Der junge Dichter schwieg, und beide lauschten, als gölte es, den Urteilsspruch zu erkunden, der über ihr zeitliches und ewiges Heil entscheiden sollte. Aber sie strengten ihre Ohren vergebens an: die Unterhaltung im Privatkontor wurde im Flüstertone geführt.

»Hat Ihnen Ihr Herr Vater denn noch nichts gesagt, Fräulein Hilde?« erkundigte sich Hunger, dem es offenbar schwer wurde, der Tochter seines Prinzipals über die Geschäftslage reinen Wein einzuschenken.

»Nichts Bestimmtes, Herr Hunger. Das ist es ja eben: er beschränkt sich auf allerlei Andeutungen über eine augenblickliche kleine Geldverlegenheit, die an sich gar nicht viel zu bedeuten hätte, und gleich darauf spricht er wieder davon, daß auch im geschäftlichen Leben kleine Ursachen große Wirkungen hervorbringen könnten, und daß wir unter Umständen gezwungen sein würden, allerlei Unbequemlichkeiten auf uns zu nehmen. Vater rückt nicht so recht mit der Sprache heraus, wie das ja schon immer seine Art war, er weicht auch jeder direkten Frage aus und behauptet, zu ernstlicher Besorgnis läge gar kein Anlaß vor, und alles Unangenehme erweise sich, wenn man ihm erst Auge in Auge gegenüberstünde, nie als so schlimm, wie man vorher befürchtet habe. Wie gesagt, ich werde aus seinen Reden nicht klug und möchte doch wissen, woran wir sind, und was es mit den von Vater erwähnten schwierigen Verhältnissen auf sich hat. Ich persönlich habe, offen gestanden, seinen Optimismus nie geteilt und bin schon lange zu der Überzeugung gekommen, daß bei uns im Geschäft vieles anders sein müßte. Nun sagen Sie mir einmal ehrlich und gerade heraus: stehen wir vor dem Konkurs?«

Sie hatte sich in Blumhardts Sessel gesetzt und schaute den alten Gehilfen, der mit rotem Kopfe vor ihr stand und sich mit beiden Händen auf die blanke Platte des Mahagonitisches stützte, mit dem Ausdruck banger Erwartung an.

»Leider, Fräulein Hilde. Wir haben gestern den Konkurs angemeldet,« erwiderte er mit bekümmerter Miene. »Es ließ sich nicht länger mehr vermeiden.«

Sie war auf die Bestätigung ihrer Vermutung gefaßt gewesen und blieb deshalb vollkommen ruhig. »Also so schlecht steht es mit uns?« sagte sie. »Daß bei uns vieles nicht in Ordnung war, wußte ich schon seit Kantate, aber daß es so weit mit uns kommen mußte, hätte ich doch nicht erwartet. Wie ist das nur möglich, Herr Hunger?«

»Ja, Fräulein Hilde, das frage ich mich selbst schon zum hundertstenmal. So sehr schlecht stehen wir nämlich gar nicht. Die ganze Geschichte hat uns der verfluchte Krapinski wegen der lumpigen hundertundachtzig Mark eingebrockt. Er wollte nicht bis zum 1. Oktober warten, wo die Quartalsabonnements der ›Aurora‹ hereingekommen wären, und hat die übrigen Gläubiger rebellisch gemacht. Die hätten sonst sicherlich alle mit sich reden lassen. Die Schulden sind gar nicht so bedeutend, und wenn man uns Zeit gelassen hätte, wäre alles bei Heller und Pfennig bezahlt worden. Aber ich kann mir schon denken, wer hinter Krapinski steckt. Das ist niemand anders als der entlassene Richter, der Lump. Ein ganz gemeiner Racheakt, verstehen Sie?«

»Was wird denn nun geschehen, Herr Hunger? Wird das Geschäft verkauft werden?«

»Jedenfalls, Fräulein Hilde.«

»Und was wird dann aus Vater?«

»Nun, er wird gar nicht so schlecht dabei fahren. Soweit sich's vorläufig übersehen läßt, steht der Passivmasse von 40 460 Mark eine Aktivmasse von 311 200 Mark gegenüber. Dabei ist die alte angesehene Firma einschließlich der Verlagsrechte nur mit 250 000 Mark eingestellt. Das ist gewiß nicht zu hoch gerechnet. Unter Umständen kann viel mehr dabei herauskommen. Auf alle Fälle dürfte nach Abzug der Passiva und der Masseschulden so viel übrigbleiben, daß Ihre Eltern ihre ja ohnehin bescheidene Lebensführung ohne große Einschränkung fortsetzen können.«

»Nicht wahr, Herr Hunger, über unsere Verhältnisse haben wir doch eigentlich nie gelebt?« fragte Hilde besorgt, als fürchte sie, daß auch sie einen Teil der Schuld an dem über die Familie hereingebrochenen Unglück trage.

»Durchaus nicht. Nein, davon kann keine Rede sein. Man hat sich vielmehr allgemein darüber gewundert, daß sich Ihre Eltern so gar nichts leisteten. Ihr Herr Vater hat doch immer nur gearbeitet. Nicht einmal eine Sommerfrische hat er sich gegönnt, und ins Theater ist er seit mehr als zwanzig Jahren nicht gegangen«, beeilte sich der alte Gehilfe zu versichern.

»Was soll Vater nun anfangen, wenn er im Geschäft nichts mehr zu sagen hat?«

»Es wird sich schon eine Tätigkeit für ihn finden, Fräulein Hilde. Er hat wenigstens immer davon gesprochen, daß er literarische Pläne habe, die er gern verwirklichen möchte.«

»Vielleicht findet sich auch im Geschäft irgendeine redaktionelle Arbeit für ihn.«

»Das wäre möglich, obwohl es mir nicht gerade wahrscheinlich vorkommt. Angestellter einer Firma sein zu müssen, deren Chef er bis dahin war, wäre für Herrn Blumhardt doch recht mißlich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das zu einer ersprießlichen Wirksamkeit führen würde.«

Hilde sah nachdenklich vor sich hin. »Jedenfalls darf ich den Eltern nicht länger zur Last fallen,« sagte sie mit dem Ausdruck der Entschlossenheit. »Ich werde Malunterricht geben und fleißiger als bisher für den Verkauf malen. Vielleicht suche ich mir auch eine Stelle als Gehilfin im Buchhandel oder als Sekretärin bei einer Redaktion. Aber die Einrichtung zu Hause? Werden uns unsere alten lieben Möbel auch abgenommen werden?«

»Das ist kaum anzunehmen. Das meiste davon hat ja doch wohl Ihre Frau Mutter mit in die Ehe gebracht.«

»Wenn sich Vater nur schon eher über die Geschäftslage geäußert hätte!« bemerkte das junge Mädchen mit einem tiefen Seufzer. »Dann hätten wir vielleicht doch noch sparsamer wirtschaften können. Aber er hat Mutter und mich vollständig im unklaren gelassen.«

»Er ist wohl selbst bis zur letzten Stunde über die Verhältnisse im unklaren gewesen,« meinte Hunger mit einem schwachen Versuch, zu lächeln. »Von geschäftlichen Dingen wollte er so wenig wie möglich hören; die Redaktion nahm ihn vollständig in Anspruch. Ich glaube, er hatte von Haus aus mehr das Zeug zum Gelehrten als zum Geschäftsmann.«

»Das ist ja eben sein Unglück,« pflichtete Hilde mit großem Eifer dem alten Gehilfen bei. »Wenn ein Buchhändler bloß Kaufmann ist, wie zum Beispiel Konsul Wernicke, so ist das nicht das richtige, aber wenn er, wie Vater, gar nicht Kaufmann ist, so ist das noch schlimmer. Ich möchte nur wissen, wozu der Architekt unten an der Einfahrt die Figuren von Minerva und Merkur angebracht hat. Die sollen doch wohl andeuten, daß ein Buchhändler beide Gottheiten als Patrone zu verehren hat und nicht bloß eine davon. Aber nun sagen Sie mir mal, Herr Hunger, wie wird sich nun die Sache mit dem Konkurs weiterentwickeln? So etwas dauert wohl lange?«

»Ehe alles vorbei ist, können Monate hingehen. Zunächst wird das Amtsgericht einen Konkursverwalter bestellen und einen Termin zur Beschlußfassung der Gläubiger anberaumen. Dabei wird dann ein offener Arrest, mit andern Worten: eine Beschlagnahme des Vermögens Ihres Herrn Vaters verfügt und eine Frist zur Anmeldung der Forderungen und ein Termin zu deren Prüfung festgesetzt. Die Gläubiger müssen natürlich einen Ausschuß wählen, der ihre Interessen dem Konkursverwalter gegenüber zu vertreten hat. Nach dem Prüfungstermin findet dann die Verteilung der Masse an die Gläubiger statt, und zwar, soviel ich weiß, an drei verschiedenen Zeitpunkten, je nachdem bares Geld vorhanden ist. Findet sich für die Firma nicht gleich ein Käufer, so kann sich die Geschichte unter Umständen recht in die Länge ziehen.«

»Das ist eben das Qualvolle dabei, Herr Hunger. Wäre alles nach ein paar Tagen vorüber, dann könnte man doch wieder aufatmen. Aber so muß man sich wochen- und monatelang mit dem Jammer herumschleppen und kommt sich wie gelähmt vor. Vater wird es ja nicht so besonders schwer empfinden, er ist in solchen Dingen ja leichtsinnig wie ein Kind. Aber die arme Mutter! Sie stammt aus einer alten Kaufmannsfamilie und hat in allem, was mit Geld und Kredit zusammenhängt, ein ungemein stark entwickeltes Ehrgefühl. Und bei ihrer körperlichen Hinfälligkeit neigt sie ohnehin dazu, alles im trübsten Lichte zu sehen.« So vollständig auch das Unglück des Hauses Blumhardt Hildens Denken und Sinnen in Anspruch zu nehmen schien: es war ihr, während sie mit dem alten Gehilfen sprach, doch nicht entgangen, daß die Erde in den auf dem Altan stehenden Kakteentöpfen, die man in den letzten Tagen mit Wasser zu versehen versäumt hatte, trocken geworden war. Und so erhob sie sich, holte die Gießkanne aus dem Winkel hervor und trat auf das flache Dach hinaus, um die Gewächse der heißen Zone, die hier, wo ihnen der starke Taufall ihrer heimatlichen Nächte fehlte, auf die Fürsorge der Menschen angewiesen waren, zu begießen. Sie liebte die schrulligen Kinder Florens nicht sonderlich, und wenn sie sich ihrer in dieser sorgenvollen Stunde annahm, so tat sie's wohl nur aus Pflichtgefühl. Und als ihr Blick dabei die Kastanie streifte, die ihr Urgroßvater bei der Geschäftsgründung gepflanzt hatte, da verstand sie, weshalb der alte Baum gerade in diesem Jahre hatte verdorren müssen.

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Mit ihrer Behauptung, daß ihr Vater »in solchen Dingen leichtsinnig wie ein Kind« sei, hatte Hilde nicht ganz unrecht gehabt. Auch jetzt saß er, in seinen Schlafrock gehüllt, ganz behaglich am Fensterplatz von Frau Agathens Kemenate und korrigierte einen für die »Aurora« bestimmten Artikel über Humboldts Humanitätsidee, dessen Inhalt ihn so in Anspruch nahm, daß er alles andere darüber vergaß. Seine Gattin lag, die Stirn mit einer Kompresse bedeckt, auf ihrem Ruhebett und machte von Zeit zu Zeit behutsame Versuche, ihren Mann zu einer klaren Äußerung über die von ihm in den letzten Tagen öfters erwähnten »fatalen Vorkommnisse« zu veranlassen. Damit schien sie freilich nicht viel Glück zu haben. Er wich ihren Fragen geflissentlich aus und zog es vor, ihr Stellen aus dem Manuskript vorzulesen, die seinen besonderen Beifall gefunden hatten. »Uns, die wir viel zu sehr in den kleinen Sorgen des Alltags aufgehen, mutet Humboldt an wie ein Bürger aus einer glücklicheren Welt,« sagte er, mit liebevoller Sorgfalt seinen Bleistift spitzend. »Ich glaube, nichts kann ihn besser charakterisieren als ein Ausspruch wie dieser: ›Der Mensch schafft immer nur so viel Gutes, als er in sich gut wird. Was für die Masse des Guten in der Menschheit dadurch gewonnen ist, stand klar vor mir da, und wie die schöngestaltete Natur einen wohltätigern Segen über die Menschen verbreitet, die sich in ihrem Anschaun verlieren, als die fruchtbare für die, welche ihre Fülle genießen, so kam mir der Mensch vor, der still und ewig nach dem Großen strebend unter seinen Mitbrüdern einherwandelt, ungestört gedenkend des großen Zieles, und unbekümmert um die Gaben, die er ausspenden könnte, die ihn aber vom Wege wenden würden.‹ Ist das nicht fein gesagt? Kann der Gedanke, daß der vollkommene Mensch, der nur seinen Anlagen und Neigungen gemäß lebt, zugleich auch der Allgemeinheit am besten dient, klarer umschrieben werden?«

»Würdest du nicht so gut sein und den Bücherschrank schließen, Waldemar?« sagte Frau Agathe mit schwacher Stimme. »Wenn die Schranktür aufsteht, habe ich immer die Empfindung, als ob es zöge. Und Zugluft vertrage ich so sehr schlecht, besonders jetzt, wo ich mich auch seelisch so niedergedrückt fühle.«

»Wir kranken eben alle mehr oder weniger am Dualismus, Agathe,« fuhr Blumhardt, während er sich erhob, um dem Wunsche der Gattin zu entsprechen, unbeirrt fort, »und den können wir nur überwinden, wenn wir uns zu Anschauungen bekennen, wie sie Humboldt verkündet. Körper und Seele sind eins, sind ein ungeteiltes und unzerreißbares Ganze, das von der Idee beherrscht wird. Unter ›Idee‹ ist das zu verstehen, was dem Individuum seinen besondern Charakter verleiht und, ihm selber unbewußt, in ihm waltet. Sie betätigt sich im Kampfe gegen die ihr widerstrebenden Gewalten, und beim Menschen zeigt sich dieser Kampf ganz deutlich als das Streben des Geistes, den Körper zu überwinden und zu beherrschen. Wir müssen uns daran gewöhnen, die Idee unseres Ichs als etwas Metaphysisches zu betrachten, denn das ist der einzige Weg, über uns unangenehme Einwirkungen der realen Welt hinwegzukommen.«

»Wenn du meinst, wir müßten uns künftig mehr nach der Decke strecken, dann wäre es doch wohl gut, wir nähmen uns ein billigeres Dienstmädchen,« bemerkte Frau Blumhardt, ohne auf die metaphysischen Spekulationen ihres Gatten einzugehen. »Martha bekommt jetzt sechsundzwanzig Mark, und das Weihnachtsgeschenk ist dementsprechend auch immer reichlicher geworden. Ein ganz junges Ding kann man schon für fünfzehn oder sechzehn Mark haben. Hältst du es nicht auch für richtig, daß ich Martha kündige?«

»Die paar Mark, die du da sparen würdest, spielen keine Rolle,« erwiderte Blumhardt lächelnd. »Jedenfalls wollen wir nichts unternehmen, bevor wir nicht genau wissen, woran wir sind. Und das wird sich ja in der nächsten Zeit herausstellen.«

Frau Agathe seufzte. »Ich weiß nicht, Waldemar, du drückst dich immer so unklar aus. Was soll denn die nächste Zeit eigentlich bringen? Nimm mir's nicht übel, aber deine Andeutungen beunruhigen mich schrecklich. Daß du wegen des Geschäftes Sorgen hast, habe ich dir schon längst angemerkt. Steht es denn gar so schlimm damit? Müssen wir uns etwa auf den Konkurs gefaßt machen?«

»Ich fürchte, meine liebe Agathe, oder vielmehr, ich fürchte es schon nicht mehr, denn eine vollendete Tatsache ist weit weniger beunruhigend als die Ungewißheit. Ich für meine Person habe mich schon damit abgefunden; das ist ja auch das einzige, was man als denkender Mensch in einem solchen Falle tun kann. Wenn ich ganz offen sein soll, muß ich sogar bekennen, daß mir diese Lösung gar nicht so unwillkommen ist. Das Buchhändlerische ist ja nie meine Stärke gewesen, und da es sich doch wohl von selbst versteht, daß ich, wenn die Firma verkauft wird, Herausgeber der ›Aurora‹ bleibe, so kann ich die Entbindung von rein geschäftlichen Pflichten nur als eine Erleichterung betrachten. Es hat eben jedes Ding auch seine guten Seiten, man muß sie nur aufzufinden wissen.«

Frau Agathe erwiderte nichts, aber das leise Weinen, das sich vom Ruhebett her vernehmen ließ, verriet nur zu deutlich, daß sie sich zu der optimistischen Auffassung ihres Mannes nicht aufzuschwingen vermochte.

Er war zunächst ein wenig betroffen, faßte sich aber bald wieder und behauptete mit der Entschiedenheit, die auf die schwache Frau sonst immer mit überzeugender Beweiskraft wirkte: »So ein Konkurs ist ja, im Grunde genommen, nur eine Formalität. Das Wort ist schlimmer als die Sache selbst. Es gibt im deutschen Sprachgebrauch eben eine ganze Anzahl solcher Wörter, die einen peinlichen Beigeschmack haben und dabei doch Dinge bezeichnen, die an sich gar nicht so schrecklich sind. Bei den alten Griechen war es umgekehrt: die benutzten, wenn sie von unangenehmen Dingen sprachen, mit Vorliebe euphemistische Ausdrücke, um durch das mildernde oder beschönigende Wort dem damit bezeichneten Gegenstand das Odium zu nehmen. Sprächen wir anstatt vom Konkurs einfach von einer gerichtlichen Zahlungsregelung, so würde sich kein Mensch mehr über ein solches Verfahren sonderlich aufregen. Denn mit dem Gericht hat man im bürgerlichen und besonders im geschäftlichen Leben doch tagtäglich zu tun, und das Wort ›Zahlungsregelung‹ hat für meine Empfindung kaum einen peinlicheren Beigeschmack als ›Zahlung‹.«

Vielleicht lag es an der Unvollkommenheit der deutschen Sprache, daß Frau Agathe die über sie und die Ihrigen hereingebrochene Katastrophe doch nicht mit der beinahe heitern Unbefangenheit hinzunehmen vermochte, die ihrem Gatten über diese trüben Tage und Wochen hinweghalf.

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Am andern Tage las man unter den gerichtlichen Bekanntmachungen im »Börsenblatt«, daß über das Vermögen des Verlagsbuchhändlers Waldemar Blumhardt in Leipzig am 8. August 1912, nachmittags 1½ Uhr das Konkursverfahren eröffnet und der offene Arrest erlassen worden sei. Zum Konkursverwalter sei der Rechtsanwalt Justizrat Dr. Moritz Nürnberger bestellt; die Anzeige- und Anmeldefrist laufe bis zum 6. September 1912, die erste Gläubigerversammlung finde am 6. September 1912, vormittags 10½ Uhr statt, und als Prüfungstermin sei der 20. September 1912, vormittags 10 Uhr, bestimmt worden.

Um 3 Uhr nachmittags, gerade als Waldemar Blumhardt am Mahagonitisch im Privatkontor Platz nehmen wollte, erschien ein untersetzter, ziemlich beleibter Herr mit einer umfangreichen Ledermappe unter dem Arm, stellte sich als Doktor Nürnberger vor, erklärte, daß er im Auftrage des Königlichen Amtsgerichts komme und um die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Reihe von Fragen zu ersuchen habe. Zugleich verlangte er die Auslieferung der Schlüssel zum Kassenschrank und zu sämtlichen Schränken und Schiebläden.

Blumhardt, dem jetzt erst der ganze Ernst seiner Lage zum Bewußtsein kam, war ein paar Augenblicke lang wie vor den Kopf geschlagen. Daß sich das Gericht in seine Angelegenheiten mischte, daß er über seine Verhältnisse genaue Auskunft erteilen sollte, darüber wäre er als loyaler Staatsbürger leicht hinweggekommen, aber daß dieser fremde Mensch, der da mit unerbittlich strenger Miene vor ihm stand, von ihm forderte, er solle sich der Schlüssel zum Geldschrank entäußern, worin zum mindesten sechzig bis siebzig sorgfältig durchkorrigierte »Aurora«-Manuskripte schlummerten, das war beinahe zu viel für ihn.

Er hatte in der ersten Erregung versäumt, dem Konkursverwalter einen Stuhl anzubieten, aber der Justizrat, dessen ganzes Auftreten von großer Sicherheit zeugte, schien gar nicht erst darauf zu warten, sondern ließ sich, als verstünde sich das von selbst, mit der größten Gemütsruhe auf Blumhardts Sessel nieder und überließ es dem alten Herrn, sich einen andern Platz zu suchen. Das war ein zweiter Schlag auf das in Ehren weiß gewordene Haupt des Verlegers, kaum minder wuchtig als der erste.

Der also Gedemütigte brachte seinen Schlüsselbund zum Vorschein und löste mit zitternden Fingern alle Schlüssel ab, die zu den in den Geschäftsräumen stehenden Schränken gehörten. Nürnberger nahm sie an sich, steckte sie in ein Beutelchen von Waschleder, das er in seiner Hosentasche verschwinden ließ, öffnete seine Aktenmappe und breitete auf Blumhardts Schreibunterlage einen Kanzleibogen vor sich aus. Dann begann er damit, seine Fragen zu stellen und die Antworten zu Papier zu bringen. Dabei merkte er bald, wie wenig der Gemeinschuldner – denn für ihn war der bedauernswerte alte Herr weiter nichts als das – über die eigenen Verhältnisse unterrichtet war. Immer und immer wieder mußte Hunger zugezogen werden, der dann behutsam und mit gepreßter Stimme Auskunft gab.

Blumhardt dagegen kam bald dahinter, daß die Einrichtungen und Gepflogenheiten des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes dem Justizrat böhmische Dörfer waren. Man mußte ihm umständlich auseinandersetzen, wie sich der Verkehr zwischen Verleger und Sortimenter abwickle, und was unter Kommissions- und Barauslieferung, unter Remittenden und Disponenden, unter Versendungslisten und Kontoauszügen zu verstehen sei, und es bedurfte immer neuer Fragen und Erklärungen, bevor er sich in dieser ihm fremden Welt zurechtfand. Dadurch bekam Blumhardt wieder Oberwasser, erlaubte sich hie und da eine scherzhafte Bemerkung und versuchte, das Gespräch aus dem schmalen amtlich-sachlichen Gleis in die breite Bahn einer gemütlichen Unterhaltung hinüberzuleiten. Aber seine Bemühungen waren vergeblich: Justizrat Nürnberger hatte offenbar weder Sinn für die witzige Kritik, die der »Gemeinschuldner« an den literarischen Richtungen der jüngsten Gegenwart übte, noch für dessen Betrachtungen über moderne Bücherfabriken und deren unheilvollen Einfluß auf den Geschmack des Publikums. Er blieb kalt wie Eis, schien alles zu überhören, was nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konkursangelegenheit stand, und öffnete, während sich der alte Herr gerade anschickte, ihm einen kleinen belehrenden Vortrag über die Schuld der Juristen an der Verlotterung der deutschen Sprache zu halten, die Tür zum Kontor, um dem Personal einzuschärfen, daß von heute an niemand im Hause Friedrich Ambrosius Blumhardt berechtigt sei, im Namen der Firma Zahlungen zu leisten oder zu empfangen, und daß einlaufende Postsachen uneröffnet für ihn zurückzulegen seien. Endlich setzte er mit Hungers Beihilfe eine Anzeige für das »Börsenblatt« auf, durch die sämtliche Disponenten zurückverlangt wurden, und ersuchte Blumhardt, die Redaktion der »Aurora« einstweilen fortzuführen, dabei jedoch nach Möglichkeit mit dem vorhandenen Manuskriptbestande zu wirtschaften und nur, wenn es sich um unumgänglich notwendige Beiträge von aktueller Bedeutung handele, neue Arbeiten, die aus der Teilungsmasse honoriert werden müßten, zu erwerben. Als er sich gegen fünf Uhr verabschiedete, kündigte er dem alten Herrn an, daß er ihn am nächsten Vormittag Punkt elf Uhr in seiner Privatwohnung aufsuchen werde, um mit ihm wegen des Mobiliars Rücksprache zu nehmen. Dann zündete er sich eine Zigarre an, warf einen flüchtigen Blick auf die an den Wänden hängenden Bilder und ging von dannen.

Von allen den vielen, meist wenig erfreulichen Dingen, die während dieser zwei Stunden zur Sprache gekommen waren, hatte auf Blumhardt nichts einen so starken Eindruck gemacht wie die an ihn gerichtete Aufforderung des Konkursverwalters, die Redaktion der »Aurora« in gewohnter Weise weiterzuführen. Er sah darin eine Bestätigung seiner Annahme, daß er doch eben unentbehrlich sei, und daß er trotz allem das Heft in der Hand behalten werde. Je länger er sich mit diesem Gedanken beschäftigte, in desto freundlicherem Licht erschien ihm die ganze Angelegenheit, und als er am Abend in seiner Wohnung anlangte, hatte sich sogar sein anfänglich keineswegs sehr günstiges Urteil über Nürnberger so gründlich gewandelt, daß er Frau Agathe den allerdings etwas kurz angebundenen, aber, im Grunde genommen, doch recht umgänglichen und liebenswürdigen Herrn nicht genug rühmen konnte und ihr mitteilte, der Justizrat werde sich die Freiheit nehmen, ihr am nächsten Morgen seine Aufwartung zu machen.

Diese »Aufwartung« sah nun freilich, bei Lichte betrachtet, ein wenig anders aus, als die kränkliche Frau nach der Darstellung ihres optimistischen Waldemar hatte erwarten müssen. Nürnberger wünschte allerdings auch sie zu sprechen, drückte ihr jedoch mit einem Ernst, der nicht viel Gutes versprach, sein Bedauern darüber aus, daß er ihr seinen Besuch nicht ersparen könne, und machte sie dann gleich darauf aufmerksam, daß sie nach Paragraph 45 der Konkursordnung Gegenstände, die sie während der Ehe erworben habe, nur dann für sich in Anspruch zu nehmen berechtigt sei, wenn sie deren nicht aus den Mitteln des Gemeinschuldners erfolgte Erwerbung zu beweisen vermöge. Über diesen Punkt vermochte Frau Blumhardt den Justizrat mit der Erklärung zu beruhigen, daß sie, abgesehen von einigen Neuanschaffungen an Küchengerät und Wäsche, während ihrer Ehe überhaupt keine Gegenstände von höherem Wert erworben habe. Die Möbel entstammten mit Ausnahme der ihrem Manne gehörenden Wohnzimmereinrichtung ihrem elterlichen Hause und seien ihr ausschließliches Eigentum. Damit schien sich der Konkursverwalter zufrieden zu geben, aber sein Besuch hinterließ, so kurz er auch gewesen war, bei Frau Agathe doch die bittere Empfindung, daß sie vor dem, was ihr Gatte immer eine ziemlich belanglose Formalität nannte, nicht einmal in ihrer stillen Häuslichkeit sicher sei.

Die Dinge gingen nun ihren Gang. Die erste Gläubigerversammlung trat am 6. September zusammen, und unter den Herren, die in den Gläubigerausschuß gewählt wurden, befand sich außer zwei Buchdruckereibesitzern und einem Großbuchbinder auch der Papierfabrikant Stolze in Firma Stricker und Stolze.

Abgesehen davon, daß jeden Vormittag Justizrat Nürnberger im Geschäft erschien, die Post verteilte und einen prüfenden Blick in die Bücher warf, war im Hause Blumhardt vorläufig alles beim alten geblieben. Wenn jedoch etwas geeignet war, dem alten Herrn immer aufs neue zum Bewußtsein zu bringen, daß das Schicksal mit rauher Hand in sein Leben eingegriffen habe, so waren es die Mittwochnachmittage. Sonst hatten sich mit dem Glockenschlage sechs die »Aurorafalter« mehr oder minder vollzählig um den großen Mahagonitisch zusammengefunden; jetzt ließ sich außer Schröter, der ja für seine Tätigkeit bezahlt wurde, höchstens einmal Gevatter Korte auf ein Viertelstündchen sehen, war aber nicht recht bei der Sache und äußerte zu Blumhardts Verdruß sogar ohne Zartgefühl die Vermutung, daß die Tage der »Aurora« nach menschlichem Ermessen wohl gezählt seien. Die übrigen Redaktionsmitglieder hielten sich fern; für sie hatte, seit in der Hauptsache nur noch altes Material zur Verfügung stand, die Zusammenstellung der Hefte keinen Reiz mehr, und es bedurfte wiederholter Mahnungen, bevor sich der sonst so arbeitsfreudige Oberstudienrat Sintrop entschloß, einen zeitgemäßen Beitrag über den böhmischen Ausgleich zu liefern.

So machte also Blumhardt seine Hefte allein, schimpfte dabei aber weidlich auf das ihm zur Pflicht gemachte Sparsystem und behauptete, wenn man ihm freie Hand ließe, würde er brillante Nummern herausbringen, womit den Gläubigern entschieden mehr gedient sei, als wenn man die gute alte Zeitschrift nun durch falsch angewandte Sparsamkeit entwerte. Im geheimen rechnete er freilich damit, daß sich für das Geschäft recht bald ein Käufer finde, der seiner Überzeugung nach nichts Eiligeres zu tun haben konnte, als ihm, dem langbewährten Herausgeber, die Vollmacht zu einem durch keinerlei rechnerische Bedenken eingeschränkten fröhlichen Draufloswirtschaften zu erteilen. Und weil ihm deshalb alles daran lag, daß dieser längst herbeigesehnte Zustand so bald als möglich eintrete, verzichtete er Leuten gegenüber, von denen er glaubte, daß sie aus ihrem Bekanntenkreise einen Kauflustigen nachweisen könnten, auf die bisher immer geübte Zurückhaltung und gab sogar Hennig, der eines Tages kam, um ihm ein Wort des Anteils und des Trostes zu sagen, ungefragt eine genaue Darstellung seiner gesamten geschäftlichen Verhältnisse. Bei dieser Unterredung kamen die beiden Männer übrigens einander merklich näher, vielleicht hauptsächlich deshalb, weil jeder von ihnen diesmal mit der größten Sachlichkeit über seine Lage sprach. Blumhardt meinte, er brauche aus seinen Ansichten über den so viele Jahre von ihm geleiteten Verlag kein Hehl zu machen, da ihn die Sache ja eigentlich nichts mehr angehe, und Hennig erklärte, er fühle sich in dem Wernickeschen Fabrikbetriebe schon längst nicht mehr wohl und würde, wenn sich eine andere Tätigkeit für ihn finde, lieber heute als morgen seine Stellung aufgeben.


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