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Der Tag, an dem das fünfundzwanzigjährige Jubiläum des Hauses Wernicke und Kompanie festlich begangen werden sollte, rückte näher. Hennig wunderte sich deshalb auch nicht, als ihn der Konsul am ersten Sonnabend im August bat, sich tags darauf so zeitig wie möglich zu einer Besprechung der Vorbereitungen in seiner Wohnung einzufinden.
Über das, was unter »so zeitig wie möglich« zu verstehen sei, schienen die Ansichten des Chefs und seines Prokuristen aber doch wohl wie über so vieles andere geteilt zu sein, denn als Hennig gegen zehn Uhr in der Villa vorsprach, hieß es, der Herr Konsul sei von seinem Spazierritt noch nicht zurückgekehrt. Frau Lina mochte es für ihre Pflicht halten, der »rechten Hand« ihres Gatten über die Zeit des Wartens hinwegzuhelfen. Sie erschien in einem recht unscheinbaren Morgenkleide, das offenbar nicht für fremde Augen bestimmt war, begrüßte Hennig mit der ihr eigenen geräuschvollen Liebenswürdigkeit und konnte sich gar nicht darin genug tun, ihren Mann zu entschuldigen. »Er reitet ja nur aus Gesundheitsrücksichten,« beteuerte sie. »Der Arzt hat ihm geraten, für schnellere Blutzirkulation zu sorgen, denn seit er mit dem Auto ins Geschäft fährt und sich nicht mehr viel bewegt, neigt er zum Starkwerden und zur Kurzatmigkeit. So ein Reitpferd kostet ja eine Menge Geld, aber schließlich ist die Gesundheit doch das wichtigste. Ein paar Wochen lang ist er jeden Morgen in so ein Institut gegangen, wo man sich auf einen Apparat setzt und durchschütteln läßt, aber das wurde ihm bald zu langweilig. Da hat ihm unser Otto gesagt, er solle sich doch lieber auf ein richtiges Pferd setzen und zunächst einmal im Tattersall Reitstunde nehmen. Das hat er denn auch getan, und da machte ihm die Sache so viel Spaß, daß er sich ein Pferd angeschafft hat. Es war ein Glück, daß wir in der Garage noch Platz hatten.«
»So eine kleine Ablenkung wird dem Herrn Konsul jedenfalls sehr wohl tun,« bemerkte Hennig. »Er denkt ja Tag und Nacht nur ans Geschäft und sollte mindestens eine Stunde haben, wo er sich geistig ein wenig erholt.«
»Das ist wahr. Mein Mann hat ja sonst gar nichts. Ins Theater geht er nicht, weil er da gewöhnlich gleich einschläft, und Verkehr haben wir auch nicht. Manchmal denke ich, es war doch eigentlich viel schöner, als das Geschäft noch nicht so groß war. Da hatte man doch noch was vom Leben, man brauchte auch nicht fortwährend auf die Leute Rücksicht zu nehmen. Wir hatten eine gemütliche Wohnung in der Ranftschen Gasse, zahlten siebenhundertfünfzig Mark dafür und sieben Mark fünfzig für den Hausmann und standen mit unsern Hausgenossen auf gutem Fuße. Abends gingen wir manchmal zu den Flurnachbarn hinüber, oder die kamen zu uns – der Mann war Lehrer und stammte aus dem Erzgebirge –, da wurde gesungen, und die Herren spielten mit noch einem andern Lehrer Skat, und wir Frauen unterhielten uns über die Kinder, die damals noch ganz klein waren, und Sonntags gingen wir für den ganzen Tag in unsern Schrebergarten und waren bei Kaffee und Pellkartoffeln viel vergnügter als jetzt, wo wir in der großen Villa wohnen und allerhand feine Sachen essen müssen, die schweres Geld kosten und doch nicht einmal besonders gut schmecken. Aber diese schönen Zeiten sind eben längst vorüber.«
»Vielleicht kehren sie wieder, wenn sich der Herr Konsul einmal zur Ruhe setzt«, sagte der Prokurist ohne die rechte innere Überzeugung.
»Ach, daran glaube ich gar nicht. Zur Ruhe setzen wird er sich wohl nie,« meinte Frau Wernicke mit bekümmerter Miene. »Ja, wenn unser Otto Buchhändler geworden wäre und später einmal das Geschäft übernehmen könnte! Leider, leider hat der Junge aber durchaus Offizier werden wollen. Er hatte für nichts anderes Sinn; da haben wir ihm seinen Willen lassen müssen. Verdienen wird er ja nie so viel, daß er ohne einen Zuschuß von uns leben kann. Aber das wäre ja gar nicht so schlimm, und auf die paar tausend Mark brauchte es uns auch nicht anzukommen, viel schlimmer ist, daß sich mein Mann nun einbildet, er müßte sich bis zu seinem Tode abrackern. Wenn er wenigstens noch eine nette Liebhaberei hätte! Wenn er wie der Kommerzienrat Haustein Orchideen züchtete – es könnten ja auch billigere Blumen sein –, oder wenn er Briefmarken sammelte! So was ist doch nicht bloß ein hübscher Zeitvertreib, es bildet doch auch! Nicht einmal zum Reisen ist er zu bewegen. Wie lange habe ich ihm nicht schon zugeredet, einmal mit mir nach Italien zu fahren, nach Venedig, oder wenn ihm das zu weit ist, wenigstens nach Neapel, aber dann heißt's immer: ›Später, Lina, später! Jetzt bin ich im Geschäft noch nicht zu entbehren.‹ Ich weiß ganz genau: es wird nie was draus. Im Geschäft wird er nie zu entbehren sein. Ich habe ihm gesagt, wenn Sie im Sommer vier Wochen weg könnten, dann könnte er's doch erst recht, aber da hat er gemeint, das wäre ganz was andres. Erstens verlören Angestellte ihre Arbeitsfreudigkeit, wenn sie nie aus der Tretmühle herauskämen, und dann wäre es auch sehr gut, wenn mal jemand anders ihren Platz einnähme, denn dann merkte man doch, wenn sie im Laufe des Jahres Dummheiten gemacht hätten.«
Der Prokurist konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
Frau Wernicke merkte, daß sie ein wenig zu offenherzig gewesen war, und versuchte einzulenken. »Sie dürfen natürlich nicht denken, daß mein Mann gerade Sie damit gemeint hat, Herr Hennig,« sagte sie. »Ich bin fest überzeugt, er hat dabei mehr die andern Herren im Auge, die nicht so wichtige Posten haben.«
»Er wird mich wohl auch gemeint haben, gnädige Frau,« erwiderte Hennig, jetzt fröhlich lachend. »Chefs sind nun einmal ihren Angestellten gegenüber ein bißchen mißtrauisch, und das darf man ihnen nicht verübeln, denn sie haben leider häufig genug Veranlassung dazu.«
Zu dieser Frage schien Frau Wernicke jedoch keine Stellung nehmen zu wollen. Sie brach das Gespräch etwas gewaltsam ab oder lenkte es vielmehr auf einen Gegenstand, der dem Prokuristen zum Bewußtsein brachte, daß ihn der Konsul keineswegs nur zu einer Besprechung der Jubiläumsfeier um seinen Besuch gebeten habe. »Sehen Sie, das kommt davon, wenn man ins Schwatzen gerät!« sagte sie. »Beinahe hätte ich vergessen, daß mein Mann gesagt hat, wenn Sie kommen sollten, ehe er wieder da wäre, sollte ich Ihnen doch einmal unsere Irmgard hereinschicken. Wissen Sie, wegen dem schwedischen Grafen. Sie müssen dem Mädchen einmal reinen Wein einschenken und ihr den Kopf ein bißchen zurechtsetzen, denn was wir ihr sagen, das macht lange nicht den Eindruck auf sie, als was sie von andern hört.«
Das war nun freilich ein Auftrag, von dem der damit Beehrte nicht sonderlich erbaut war. »Ich bedauere selbst am lebhaftesten, daß ich genötigt war, gewisse Illusionen zu zerstören«, erklärte er.
»O bitte, das macht gar nichts!« versicherte Frau Wernicke, die, wie es schien, den Fall Cederholm jetzt mit recht nüchternen Augen ansah, und die mit keiner Miene verriet, daß sie ihrer mütterlichen Eitelkeit ein schweres Opfer gebracht hatte. »Es ist viel besser, man erfährt so etwas rechtzeitig als hinterher, wenn's zu spät ist. Für das Kind ist es ja natürlich hart. Eine Freundin von ihr, die kleine Langrock, hat sich letzten Winter mit 'nem Baron verlobt, da wäre es Irmgard allerdings lieb gewesen, sie hätte mit noch was Feinerem antreten können. Sie wissen ja, wie die jungen Mädchen sind. Da will die eine immer noch höher hinaus als die andere. Mein Mann war ja eigentlich von vornherein dagegen. Ich glaube, er hat die Geschichte auch nicht so recht ernst genommen, schon deshalb nicht, weil er sich einen tüchtigen Buchhändler als Schwiegersohn wünscht. Er denkt dabei natürlich an sein Geschäft, und daß er dann jemand hätte, der ihn entlasten könnte. Aber danach fragt doch so ein junges Ding wie unsre Irmgard nicht. Ich will sie Ihnen gleich mal hereinschicken.« Damit erhob sie sich und verließ das Zimmer.
Es war eine recht unangenehme Aufgabe, vor die sich Hennig da gestellt sah. Er sollte der Tochter seines Chefs einen Verehrer verleiden, für den sie offenbar schon wärmere Gefühle hegte, wenn auch die gesellschaftliche Stellung des jungen Schweden dabei für sie ausschlaggebend gewesen sein mochte. Der Hinweis der Mutter auf den Wunsch ihres Gatten, daß Irmgard einen Buchhändler wählen möchte, erleichterte ihm seine etwas ungewöhnliche Mission ganz und gar nicht, und das einzige, was ihn einigermaßen zu beruhigen vermochte, war Frau Wernickes tröstliche Versicherung, daß das Mädchen in diesem Punkte nach den Absichten des Vaters nicht frage. Immerhin war es nicht ganz leicht, bei der Unterredung mit Irmgard den naheliegenden Verdacht zu entkräften, als sei seine Einmischung in die ganze Angelegenheit aus eigennützigen Beweggründen erfolgt.
Ein paar Minuten später stand Fräulein Wernicke vor ihm. Sie schien im Begriff, zum Tennis zu gehen, trug ein weißes Frottékostüm und hatte einen roten Kopf. »Mutter behauptet, Sie hätten mir was zu erzählen, schießen Sie also los«, sagte sie nach einer sehr kurzen Begrüßung, indem sie sich auf die Armlehne eines Sessels setzte und, als müsse sie die größte Gleichgültigkeit an den Tag legen, mit dem Rakett allerlei gymnastische Übungen machte.
»Die Sache bedarf einer kleinen Richtigstellung, gnädiges Fräulein. Es lag gar nicht in meiner Absicht, Sie mit Mitteilungen zu behelligen, die Ihnen kaum angenehm sein können; Ihre Frau Mutter war es vielmehr, die mich darum ersuchte,« erklärte er ruhig. »Nun weiß ich freilich nicht, ob Sie gerade in der Stimmung sind, mich anzuhören«, setzte er hinzu, als sie auf eine beinahe ungezogene Art ihre Ungeduld verriet.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß Sie getrost losschießen können«, bemerkte sie mit einer gewissen Heftigkeit.
Er verneigte sich. »Ich danke für die gnädige Erlaubnis!«
Sie spürte die Ironie und lachte. »Ach, machen Sie keinen Quatsch!« rief sie. »Wir haben doch früher in ganz anderm Tone miteinander verkehrt.«
»Das war eben früher, gnädiges Fräulein.«
»Bitte, sagen Sie nicht ›gnädiges Fräulein‹ zu mir. Von Ihnen kann ich das nicht vertragen.«
»Ganz, wie Sie wünschen. Es handelt sich also um den Herrn Grafen Cederholm.«
»Weiß ich längst. Das soll also ein ganz gemeiner Hochstapler sein?«
»Wirklich, Fräulein Irmgard? Wer behauptet das?«
»Nun, Sie natürlich. Sie haben Vater ja schöne Geschichten erzählt.«
»Das Wort ›Hochstapler‹ ist dabei jedoch nicht gefallen. Einen so harten Ausdruck würde ich nie von einem Menschen gebrauchen, der höchstwahrscheinlich persönlich durchaus achtenswert ist. Daß seine Verhältnisse weniger glänzend sind, als er wohl wünschen möchte, wird schwerlich seine Schuld sein.«
»Nicht wahr? Ich habe es ja immer gesagt: Axel ist ein hochanständiger Kerl. Wie es mit seinen Verhältnissen steht, läßt sich aus der Ferne natürlich schwer beurteilen.«
»Darum hielt ich's eben für meine Pflicht, sie mir einmal in der Nähe anzusehen. Steenbacka lag nämlich gerade an meinem Wege.«
»Nun – und? Wohl nicht prima?«
»Nicht einmal sekunda, Fräulein Irmgard. Von der ganzen Herrlichkeit der Cederholms ist nur noch das eine Gut übrig.«
»Aber das wird doch wohl noch entsprechend großartig sein?«
»Es kommt auf die Auffassung an. Wer hundertsechzig Acker für einen Riesenbesitz hält, dem wird Steenbacka natürlich imponieren.«
»Sieht denn das Schloß wenigstens nach was aus?«
»Schloß? Sie meinen das Herrenhaus? Na ja, das war vor hundert oder hundertundfünfzig Jahren vielleicht einmal ein ganz wohnliches Gebäude, obgleich es nur einstöckig ist und ein paar Mansardenzimmer hat. Aber jetzt ist nicht mehr viel damit los. Es ist offenbar nie etwas daran getan worden. Zum mindesten müßte das Dach einmal gründlich erneuert werden. Dazu gehört freilich Geld, und daran scheint's den Cederholms zu fehlen.«
»Nicht einmal eine solche lumpige Reparatur können sie vornehmen? Was machen sie denn mit dem Geld, das sie mit ihren Sägemühlen verdienen?«
»Sägemühle, Fräulein Irmgard! Einzahl, nicht Mehrzahl! Und diese eine Sägemühle steht seit Jahr und Tag still. Daraus darf man der Familie jedoch keinen Vorwurf machen. Seit die Eisenbahn bis Rada geht, können die Sägewerke am oberen Klar-Elf nicht mehr konkurrieren.«
»Ja, mein Gott, wovon leben denn die Herrschaften in Steenbacka eigentlich?«
»Von der Hoffnung, Fräulein Irmgard.«
»Von der Hoffnung? Wie meinen Sie das?«
»Von der Hoffnung auf eine reiche Heirat.«
»Axel soll wohl eine reiche Frau nehmen?«
»Es sieht so aus. Man hat ihn zu diesem Zweck nach Deutschland geschickt. Ein Onkel von ihm, der als Kammerherr in Stockholm lebt, soll die Kosten für die Reise und den Aufenthalt zum größten Teil vorgeschossen haben.«
Irmgard war in den Sessel hinuntergeglitten und stützte ihre wohlgeformten Arme auf den über die Seitenlehnen gelegten Schläger. Dabei sah sie den Prokuristen mit beinahe feindseligen Blicken an. »Ich glaube, Sie erzählen mir das alles nur, um mich zu ärgern, Herr Hennig«, sagte sie.
»Um Sie zu ärgern? Welchen Anlaß sollte ich dazu haben?«
»Sie haben Cederholm nie recht leiden können.«
»Erlauben Sie, Fräulein Irmgard, ich kenne den Herrn Grafen doch gar nicht näher. Bei dem Presseessen habe ich ihn zum ersten- und einzigenmal gesehen.«
»Wenn auch! Ich habe in solchen Dingen ein sehr feines Gefühl und hatte immer den Eindruck, als wenn es Ihnen nicht paßte, daß ich zum Tennisspielen ging.«
»Im Gegenteil, ich halte Tennisspielen für sehr zuträglich. Für viel zuträglicher jedenfalls, als wenn Sie den ganzen Tag zu Hause säßen und die Bände der ›Phöbus-Bücherei‹ läsen.«
»Nicht wahr, unsere ›Phöbus‹-Bände sind besserer Kitsch? Das hat mir Assessor Osthoff auch schon angedeutet. Von Kitsch hat er natürlich nicht direkt gesprochen, aber er meinte, die Bücher wären sehr harmloses Zeug und alle über einen Leisten geschustert. Seinen Kopf brauchte man dabei nicht anzustrengen. Und Assessor Osthoff ist ein fabelhaft gescheiter Mensch. Er hat sämtliche Examina mit einer glatten Eins gemacht.«
»Über den Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten,« meinte Hennig lachend. »Meiner sind die ›Phöbus‹-Bände ja auch nicht. Aber es muß doch wohl sehr viele Leute geben, die so etwas gern lesen.«
»Gott sei Dank! Sie glauben gar nicht, was so ein Haushalt wie der unsrige kostet. Da muß schon gehörig Geld einkommen. Denken Sie nur, unser neuer Chauffeur bekommt im Monat dreihundert Mark bei vollständig freier Station. Das ist doch enorm, nicht wahr? Aber wir sind von Cederholm abgekommen. Hat Sie's wirklich nicht so 'n bißchen verschnupft, daß ich mit ihm Tennis spielte? Seien Sie mal ganz offen!«
Der Prokurist konnte diese Gewissensfrage aus voller Überzeugung verneinen. »Nicht im geringsten, Fräulein Irmgard. Das sind doch Dinge, die mich gar nichts angehen. Meinethalben können Sie spielen, mit wem Sie wollen.«
Irmgard, die gewohnt war, daß alle jungen Männer ihres Kreises ihr den Hof machten, schien die Verpflichtung, ihren Verkehr mit eifersüchtigen Augen zu überwachen, auch von dem Prokuristen ihres Vaters zu fordern. Seine Antwort mußte sie also nicht wenig enttäuschen. »Ach, Sie sind garstig!« rief sie, mit dem Rakett zu einem Lufthieb ausholend. »Wenn Ihnen gar nichts an mir liegt, weshalb wollen Sie mir denn durchaus Cederholm verekeln?«
»Das will ich ja gar nicht. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich ihn persönlich für einen durch und durch anständigen Menschen halte. Daß er von seiner Familie genötigt wird, sich im Ausland nach einer reichen Frau umzusehen, mit deren Mitgift das auf den Sand geratene Cederholmsche Glücksschiff wieder flott gemacht werden soll, kann meine Sympathie für den jungen Herrn nur erhöhen. Der arme Graf ist wirklich zu bedauern.«
»Zu bedauern? Weshalb? Halten Sie es für ein so großes Unglück, eine vermögende Ausländerin zu heiraten?«
»An und für sich keineswegs. Aber gesetzt den Fall, Cederholm stünde schon mit einem liebenswürdigen aber armen Mädchen in seiner Heimat in engerer Verbindung und müßte nun seine eigenen Wünsche hinter die seiner Angehörigen zurückstellen. Das wäre doch sehr traurig.«
»Glauben Sie, daß es der Fall ist?«
»Ich weiß natürlich nichts, aber es wäre doch leicht möglich.«
Irmgard geriet plötzlich in eine weiche Stimmung. »Der arme, arme Mensch!« sagte sie mit einem tiefen Seufzer. »Er kann einem leid tun. Aber ich verstehe immer noch nicht, weshalb Sie sich da oben in Wermland so genau nach seinen Verhältnissen erkundigt haben. Wenn Ihnen, wie Sie sagen, gar nichts daran lag, daß ich mit ihm verkehrte, dann brauchten Sie sich doch auch nicht um seine Angelegenheiten zu bekümmern.«
»Sie sehen die Sache doch wohl nicht von der richtigen Seite an, Fräulein Irmgard. Da ich ja einmal in der Gegend von Steenbacka war, hielt ich's für meine Pflicht, Erkundigungen einzuziehen. Im Interesse Ihres Herrn Vaters.«
»Nur in seinem?«
»Natürlich auch in Ihrem.«
»So. Hören Sie mal, ich glaube, Sie haben Anlage zum Detektiv.«
»Weshalb meinen Sie?« fragte er belustigt.
»Nun, es fiel mir schon damals auf, als Sie sich so für Blumhardts ins Zeug legten. Wissen Sie, als die Geschichte mit dem Markthelfer passiert war.«
»Ach so. Sehen Sie, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Wenn man Unheil verhüten kann, hat man als anständiger Mensch die Pflicht, es zu tun.«
»Unheil! Ist denn das wirklich ein so großes Unheil, wenn mir Cederholm ein bißchen den Hof macht? Wir waren doch nie allein, und von Liebe oder gar von Verloben und Heiraten ist auch mit keinem Worte die Rede gewesen.«
»Es hätte aber eines Tages die Rede darauf kommen können.«
»Nun, dann wäre immer noch Zeit gewesen, Erkundigungen über Cederholm einzuziehen. Jetzt haben Sie mir den Spaß gründlich verdorben. Aber ich glaub' auch gar nicht alles, was Sie mir da erzählt haben. Sie werden die ganze Angelegenheit wahrscheinlich bloß von Ihrem ledernen Geschäftsstandpunkt aus betrachtet haben. Genau wie Papa. Für den ist das Geld auch bei allem und jedem die Hauptsache. Und dabei spricht er den ganzen Tag von seinem Idealismus! An den glaub' ich schon längst nicht mehr.«
Hennig lächelte. Das war endlich einmal ein Punkt, worin sie übereinstimmten. »Ich kann nur wiederholen, was ich Ihrer Frau Mutter gesagt habe: ich bedauere ungemein, daß ich in die mir selbst sehr peinliche Lage gekommen bin, Ihre Illusionen zu zerstören. Wenn Sie jedoch Veranlassung zu haben glauben, die Zuverlässigkeit meiner Mitteilungen in Zweifel zu ziehen, so kann ich mich auf einen Kronzeugen berufen. Es ist Pfarrer Holtrup in Grässtad, der von seiner Studienzeit her noch mit Professor Lüdecke von der hiesigen theologischen Fakultät befreundet ist. Wenn Ihr Herr Vater also zu Lüdecke Beziehungen anbahnen könnte, so wäre es gewiß ein leichtes, von Holtrup eine schriftliche Bestätigung meiner Angaben zu erhalten.«
Das junge Mädchen war aufgesprungen, tänzelte im Zimmer umher und ließ die fest zusammengewickelten Handschuhe wie einen Ball auf dem Schläger emporhüpfen. »Das fehlte gerade noch! Wir wissen schon mehr als genug,« rief sie. »Für mich ist Cederholm erledigt. Wenn ich bedenke, daß die ganze Tuerei von ihm, das Tennisspielen und die feinen Witze, die er immer machte, bloß darauf abgelegt waren, eine fette Mitgift zu ergattern, dann könnte ich aus der Haut fahren. So was ist einfach eine Gemeinheit. Ach, Herr Hennig, wir Mädchen sind doch übel daran! Manchmal möchte ich wünschen, ich wäre so arm wie 'ne Kirchenmaus. Dann wüßte ich doch, daß mir die Männer nicht meines Geldes wegen nachliefen.«
Jetzt trat der Konsul ein, gestiefelt und gespornt, wie er von seinem Morgenritt heimgekehrt war, begrüßte den Prokuristen mit ungewöhnlicher Herzlichkeit und entschuldigte sich, daß er ihn so lange habe warten lassen. »Nun, Maus, hast du dich mit Herrn Hennig ein wenig über seine Reise nach Schweden unterhalten?« wandte er sich an die Tochter, die durchaus nicht so trostlos aussah, wie er wohl erwartet hatte.
»Ja, Pappi,« antwortete sie, seinem prüfenden Blicke standhaltend. »Weißt du, du könntest mir wohl einen Gefallen tun.«
»Nun, was gibt's denn? Du verlangst wohl ein Schmerzensgeld für die Enthüllungen, die dir Herr Hennig gemacht hat?«
Sie sah den Vater groß an. »Du meinst, das wäre mir so nahegegangen? Gott bewahre, Pappi! Da kennst du mich schlecht. Ich pflege mich schnell zu trösten. Was ex ist, ist ex, wie Assessor Osthoff immer sagt.«
»Osthoff? Wer ist denn das nun wieder?« fragte Wernicke erstaunt.
Sie bemühte sich, so gleichgültig wie möglich auszusehen. »Gott, auch so einer von der Tennisclique. Kein Hochstapler wie Cederholm. Auch todschick, aber dabei streng solid.«
»Und welchen Gefallen soll ich dir tun?«
»Du könntest wohl so gut sein und mich enterben. Willst du? Ja?«
Der Konsul war im allgemeinen nicht leicht zum Lachen zu bewegen, aber bei diesem Ansinnen seiner Tochter vermochte er doch nicht ernst zu bleiben. »Ja, aber weshalb denn, Kind? Kommst du dir plötzlich so minderwertig vor, weil du mit dem Grafen Habenichts verkehrt hast?«
»Gott bewahre, Pappi! Im Gegenteil, mir sind erst jetzt die Augen darüber aufgegangen, daß ich schließlich doch auch noch was andres bin als bloß deine Tochter.«
»Was andres als bloß meine Tochter? Ja, Maus, wie soll ich das verstehen? Da mußt du dich schon ein wenig deutlicher ausdrücken.«
Irmgard seufzte. »Bist du aber schwer von Begriff!« meinte sie. »Herr Hennig hat mich gleich verstanden. Siehst du, wenn ich ein armes Mädchen wäre, dann würde ich vor Leuten wie Cederholm sicher sein. Wahrscheinlich bliebe ich dann ja auch elend sitzen, aber wenn ich wirklich einen Mann bekäme, so wüßte ich doch, daß er mich nicht des ekelhaften Geldes wegen genommen hätte.«
Wernicke lächelte nachsichtig. »Ich glaube, du machst dir ziemlich überflüssige Sorgen, Maus,« sagte er im schönsten väterlichen Tone, über den er gebot. »Du bist da in eine pessimistische Stimmung hineingeraten, die sich durch nichts rechtfertigen läßt. Als meine Tochter darfst du getrost Optimistin sein. Geld ist nämlich gar nicht so ekelhaft. Geld verleiht Macht, und Macht setzt uns in die Lage, unsere Ideale zu verwirklichen. Siehst du? Aber nun laß uns allein, Irmgard. Wir haben wichtige Dinge zu besprechen.«
»Na ja, was man so ›wichtige Dinge‹ nennt! Es wird sich wohl wieder um den Jubiläumsrummel handeln,« meinte sie, zur Tür tänzelnd. Plötzlich aber machte sie kehrt, eilte auf den Prokuristen zu und blieb dicht vor ihm stehen. »Nett waren Sie zwar gar nicht, Herr Hennig,« sagte sie, »aber ich glaube, es gehört sich doch wohl, daß ich Ihnen danke.« Sie ergriff seine Hand, schüttelte sie kräftig und verließ dann lachend das Zimmer.