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Dreizehntes Kapitel

Gestern, am letzten Julisonntag, war Hennig von einer längeren Urlaubsreise heimgekehrt, und heute, am Montag, hatte er zum erstenmal wieder an der Konferenz im Privatkontor des Chefs teilgenommen. Als sich die Abteilungsleiter mit den für sie bestimmten Posteingängen zurückzogen, rief ihn Wernicke, der bereits wieder seinen Platz am Schreibtisch eingenommen hatte, noch einmal zu sich. »Es ist gut, daß Sie wieder da sind, Herr Hennig. Sie haben mir in den vier Wochen doch manchmal recht gefehlt.«

»Ist denn alles glatt gegangen?« fragte der Prokurist, der sich über die letzte Bemerkung des Konsuls ein wenig wunderte, dessen Art es sonst nicht war, seinen Angestellten das Zeugnis ihrer Unentbehrlichkeit auszustellen.

»Selbstverständlich! Es wäre auch schlimm, wenn in einem wohleingerichteten Betriebe nicht alles wie am Schnürchen ginge, auch wenn einmal jemand fehlt,« beeilte sich der Chef zu versichern, den es offenbar schon reute, daß er sich durch das ihm entschlüpfte Eingeständnis eine Blöße gegeben hatte. »Es liegen allerdings ein paar Kleinigkeiten vor, über die wir bei Gelegenheit einmal reden müssen,« setzte er hinzu. »Oder haben Sie jetzt einen Augenblick Zeit? Dann, bitte, holen Sie sich einen Sessel her und nehmen Sie Platz! Es ist vielleicht besser, daß wir diese Angelegenheiten gleich erledigen.« Und während Hennig einen der Klubsessel an den Schreibtisch schob, begann der Konsul: »Während Ihrer Abwesenheit ist die Inventuraufnahme des Lagers beendet worden. Dabei hat sich leider herausgestellt, daß manche unserer Bände doch nicht so gehen, wie sie sollten. Das war ja vorauszusehen, denn wir müssen ja erst Erfahrungen sammeln, und es läßt sich auch bis zu einem gewissen Grade ertragen. Aber eben doch nur bis zu einem gewissen Grade. Wird die Zahl der Nummern, die liegenbleiben, oder deren Absatz hinter dem der anderen wesentlich zurückbleibt, zu groß, so fällt unsere ganze Kalkulation über den Haufen. Wir dürfen uns dieser Erkenntnis nicht verschließen, und ich muß gestehen, daß sie mich in der letzten Zeit schon einige schlaflose Nächte gekostet hat. Sie kennen ja meinen Grundsatz, daß kein Band besser oder schlechter als die anderen sein sollte. Man darf die Bücher nicht kaufen, weil sie besonders gut sind, sondern weil die Marke ›Phöbus‹ und die Verlagsfirma Wernicke und Kompanie die Garantie dafür bieten, daß man in ihnen das gewünschte Lesefutter findet. Jeder hervorragende Band beeinträchtigt den Absatz der anderen, weil er die Ansprüche der Abnehmer erhöht. Das müssen wir unter allen Umständen zu vermeiden suchen. Sie wissen ja, wie ich über das Publikum denke, und daß ich der letzte bin, der ihm literarischen Geschmack und ein selbständiges Urteil zutraut. Aber es scheint, als hätten wir doch einen Rechenfehler gemacht. Manche Bände werden tatsächlich sehr stark verlangt, und andere dafür fast gar nicht. Das darf nicht sein; sie müssen alle gleichmäßig stark gekauft werden.

Natürlich liegt's hauptsächlich am Titel. Da lockt eben der eine mehr als der andere. Das Ideale wäre ja, wenn man die Bände ohne Titel, nur mit der laufenden Nummer und vielleicht noch mit dem Autornamen herausbringen könnte. Aber das läßt sich natürlich nicht machen. Ob ein Titel zieht, merkt man immer erst aus dem Absatz des betreffenden Bandes. Zieht er nicht, so muß man ihm mit einem desto wirksameren Untertitel zu Hilfe kommen. Da haben wir zum Beispiel Nummer 88, ›Die Dame in Weiß‹. Davon sind keine zwanzigtausend Exemplare verkauft worden, und es sieht auch nicht danach aus, als ob wir die übrigen achtzigtausend ohne besondere Anstrengungen noch unterbrächten. Noch weitere kostspielige Propaganda verträgt der Band natürlich nicht, weil die in der Kalkulation nicht vorgesehen worden ist. Wir müssen uns also auf anderm Wege zu helfen suchen. Ich habe mir deshalb Nummer 88 einmal vorgenommen und glaube, wenn man den Band mit einem neuen Titelblatt versähe, worauf stünde: ›Die Dame in Weiß, die Geschichte eines unaufgeklärten Verbrechens‹, so könnte man dadurch den Absatz wesentlich steigern. Wir müßten natürlich fünftausend Bogen Papier und die Kosten für Druck und Buchbinder daranwenden, aber dabei würden wir uns immer noch weit besser stehen, als wenn wir jahrelang Zinsen und Lagerspesen draufzuschlagen gezwungen wären und schließlich für den größten Teil der Auflage doch nur den Makulaturpreis herausbekämen. Was meinen Sie dazu, Herr Hennig?«

»Das würde also, wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Konsul, die Rückkehr zu den berüchtigten alten Schauerromanen bedeuten, von denen ja immer noch einige in gewissen Kleinstadtleihbibliotheken ihr Dasein fristen,« erwiderte der Prokurist, den bei Wernickes Vorschlag eine Gänsehaut überlaufen hatte, mit bitterm Lachen. »›Das einsame Haus oder der Mord in der Andreasnacht‹, ›Emiliens Schicksale oder die Folgen eines unbesonnenen Schrittes‹ und wie die schönen, vielversprechenden Doppeltitel damals alle lauteten.«

»Im Prinzip läuft meine Idee allerdings auf etwas Ähnliches hinaus«, bemerkte der Konsul, »und Sie werden mir wohl zugeben, daß der Riesenerfolg jener Machwerke auf der richtigen Einschätzung der Instinkte des lieben Publikums beruhte. Natürlich kann man den Leuten heutzutage nicht mehr so grob kommen. Es darf uns niemand vorwerfen können, wir wollten den alten Ritter- und Räuberroman wieder zum Leben erwecken. Wer unsere Bände kauft, der muß nach wie vor unter dem Eindruck stehen, daß er's mit gediegenen und ernst zu nehmenden Literaturerzeugnissen zu tun habe. Um Gottes willen, nur nichts, was nach Hintertreppe riecht! Vornehm müssen wir bleiben, wenn's manchmal auch nicht ganz leicht ist. Aber davon dürfen Sie überzeugt sein: die Bemühungen, der breiten Masse das Verständnis für wirklich gute Bücher anzuerziehen, werden immer ohne Aussicht auf einen nennenswerten Erfolg bleiben, weil bei den meisten Menschen die Voraussetzungen dazu fehlen. Das Volk lechzt nach Romantik, ganz gleich, ob sie gut oder schlecht ist, es will sich wenigstens mit seiner Phantasie in höheren Sphären bewegen und verlangt vor allem starke Gemütserschütterungen. Und warum soll man sich als Geschäftsmann diese Erkenntnis nicht zunutze machen? Ich drucke die ›Phöbus‹-Bände doch nicht, um sie auf dem Lager aufzustapeln. Selbstverständlich würde ich als Idealist tausendmal lieber gute als schlechte Bücher verlegen, aber ich muß doch Geld verdienen, weil ich Verpflichtungen gegen meine Familie und vor allem gegen meine Angestellten und Arbeiter habe, denen ich eine gesicherte Existenz erhalten will. Was bleibt mir da andres übrig, als dem Publikum das zu bieten, wonach es verlangt?«

Es war merkwürdig, daß der Konsul, der doch sonst ein sehr selbstherrlicher Mann war, seine Geschäftsgrundsätze dem Prokuristen gegenüber immer wieder rechtfertigen zu müssen glaubte. Und daß er's mit einer gewissen Weitschweifigkeit tat, war jedenfalls ein Beweis dafür, daß er zu der Sache, die er mit so großer Beredsamkeit vertrat, doch nicht das rechte Vertrauen hatte. Vielleicht war er im Grunde seiner Seele noch mehr Idealist, als er sich und allen, die mit ihm in Berührung kamen, einzureden suchte. Aber es erging ihm wohl wie so vielen anderen großen Unternehmern: er war in den Bann des Dämons Geld geraten und keuchte nun unter der Last eines Joches, von dem er sich nicht mehr zu befreien vermochte, auf seiner Lebensstraße weiter, ohne ein anderes Ziel vor Augen, als immer wieder Kapital auf Kapital zu häufen und Schätze zu sammeln, die weder ihn noch seine Angehörigen glücklich machten.

»Ja, und dann möchte ich einmal mit Ihnen über die Propaganda sprechen, Herr Hennig,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort. »Ich glaube, Eisold legt sich doch ein bißchen gar zu lebhaft ins Zeug. Bei der ersten Serie durfte natürlich nichts versäumt werden. Da sich die allerdings sehr beträchtlichen Kosten auf hundert Bände verteilten, war die Sache ja auch nicht so ängstlich. Überdies mußten wir ja zu Anfang auch ordentlich ins Horn stoßen. Aber die neuen Serien mit ihren fünfundzwanzig Bänden vertragen eine Reklame in diesem Stile nicht. Das läuft doch zu sehr ins Geld. Und wenn obendrein acht oder zehn Nummern dabei sind, die wie Blei liegenbleiben, dann ist die Belastung der übrigen so groß, daß von Reingewinn keine Rede mehr sein kann. Ohne großzügige Propaganda geht's natürlich nicht, darin stimme ich mit Eisold durchaus überein, und schließlich hat ja alle Reklame auch nur Zweck, wenn sie das Publikum dauernd bearbeitet. Deshalb wird sich, fürchte ich, hier nicht so viel ersparen lassen, wie eigentlich notwendig wäre. Auf alle Fälle müssen wir jedoch bei der Aufgabe von Anzeigen eine sorgfältigere Auswahl der Zeitungen treffen und genaue Absatzstatistiken einrichten, aus denen sich die Wirkung der Inserate erkennen läßt.«

»Wenn gespart werden muß, so könnte dies meines Erachtens nur bei der Herstellung geschehen,« warf Hennig ein, der noch mehr als der Konsul davon überzeugt war, daß ein Unternehmen wie die »Phöbus-Bücherei« nur durch nachhaltige Propaganda über Wasser zu halten sei.

»Ganz recht, aber noch höhere Auflagen zu drucken, dazu fehlt mir, offen gestanden, der Mut,« erwiderte Wernicke. »Dafür kämen auch nur Bände in Frage, die wirklich wie warme Semmel abgehen. Und deren sind leider nicht allzu viele. An den Kosten für Satz und Druck läßt sich nichts ersparen, denn wir sind ja an den Tarif gebunden, und die Einbände werden sich ebenfalls kaum billiger herstellen lassen. Es blieben also nur das Papier und das Autorenhonorar. Um zuerst über das Honorar zu reden, so glaube ich allerdings, daß man hier ganz erheblich sparen könnte. Die ›Phöbus-Bücherei‹ ist ja jetzt so bekannt, daß die Autoren ganz von selbst zu uns kommen. Schlick klagt, er könne die einlaufenden Manuskripte gar nicht mehr alle ansehen. Ich habe ihm eine zweite Schreibkraft für Ablehnungsbriefe zur Verfügung stellen müssen. Auch wieder eine Ausgabe, an die niemand von uns gedacht hat!«

»Wie benimmt sich Herr Schlick denn jetzt? Ist er immer noch so nervös?« fragte Hennig.

»Nervöser als je. Es wird die höchste Zeit, daß er einmal ausspannt. Sie glauben gar nicht, wie schwierig der Verkehr mit ihm geworden ist. Besonders das Abspringen von ›Phöbus‹-Abonnenten muß ihm in der schonendsten Weise beigebracht werden. Nümbrecht scheint jedoch für solche Mitteilungen endlich die rechte Form gefunden zu haben; er läßt Schlick sagen, daß wieder einmal soundsoviel Kamele eingesehen hätten, daß sie für unsere Zeitschrift noch nicht reif wären. Um aber auf die Honorarfrage zurückzukommen, so meine ich, fünfzehntausend Mark für einen Roman wären im allgemeinen viel zu viel. Ich bin ja sehr dafür, daß wir Leuten mit großen Namen nach wie vor diesen Betrag bewilligen, obwohl ihre abgelegten Schwarten gewöhnlich die schlechtesten sind, aber ich sehe nicht ein, weshalb wir von Hinz oder Kunz Manuskripte für fünfzehntausend Mark kaufen sollen, die sie uns fraglos auch für fünftausend überlassen würden. Sehen Sie? Ich glaube sogar, im Interesse des deutschen Schrifttums wäre eine Herabsetzung des Honorars sehr wünschenswert. Die Autoren dürfen nicht in das seichte Fahrwasser des Materialismus hineingeraten. Wenn sie Idealisten bleiben sollen – und ohne Idealismus können sie ihre hohe Mission nicht erfüllen! –, so muß für sie nicht das Honorar, sondern die Freude am Schaffen die Hauptsache sein. Und wenn sich auch wirklich der eine oder der andere durch eine Honorarverkürzung veranlaßt sehen sollte, zu einem andern Verlage zu gehen, so müssen wir eben auch dieses Opfer bringen.«

»Eine nachträgliche Herabsetzung des Honorars halte ich doch für sehr bedenklich,« meinte Hennig. »So etwas würde sich wahrscheinlich schnell herumsprechen und ein seltsames Licht auf die Firma Wernicke und Kompanie werfen.«

Der Konsul lächelte überlegen. »Glauben Sie doch das nicht, Herr Hennig!« sagte er. »Über die Honorare, die der Verlagsbuchhandel zahlt, herrscht bei den Schriftstellern eine merkwürdige Unklarheit. Jeder einzelne von ihnen behandelt diesen Punkt mehr oder weniger als ein Geheimnis, und wenn er mit einem Kollegen wirklich einmal über das Honorar spricht, das er von dieser oder jener Firma erhalten hat, so lügt er ein paar tausend Mark dazu, um sich dem andern gegenüber aufzuspielen und den Konkurrenten neidisch zu machen. Und weil das eben jeder tut, traut keiner dem andern, und so ist im Grunde kein einziger über die Höhe der von den Verlegern gezahlten Honorare genau unterrichtet. Für uns ist es übrigens ein Glück, daß sich die Autoren noch nicht zu einer einheitlichen Organisation zusammengeschlossen haben, aber dazu werden sie wohl nie kommen, weil jeder dieser Herren sich für etwas Besseres als die anderen hält und es deshalb vorzieht, den wirtschaftlichen Kampf auf eigene Faust zu führen. Ach nein, gegen eine Honorarverkürzung habe ich nicht die geringsten Bedenken, denn keiner der guten Leute wird es an die große Glocke hängen, daß wir gerade ihm zehntausend Mark weniger geboten haben. Anders liegt die Sache beim Papier. Hier ist das Sparen schon schwieriger, es sei denn, daß wir von unserm Grundsatz, durchaus holzfreies zu verwenden, abgingen. Dazu würde ich mich aber nur schwer entschließen können. Sie entsinnen sich wohl, daß die vorjährige Julilieferung von Stricker und Stolze einiges zu wünschen übrigließ, und daß wir der Firma dreißigtausend Kilo zur Verfügung stellen mußten. Auch die letzte Lieferung war nicht ganz einwandfrei, wenn man auch unter anderen Verhältnissen über die kleinen Mängel hätte hinwegsehen können. Ich habe der Firma deshalb auch diesmal wieder ein größeres Quantum zur Verfügung gestellt und zugleich schreiben lassen, wenn sie auf eine dauernde Geschäftsverbindung mit uns Wert lege, so müßten wir nicht nur auf einer gleichmäßigeren Anfertigung, sondern auch auf einer wesentlichen Preisermäßigung bestehen.«

Der Prokurist horchte auf. »Und was haben Stricker und Stolze darauf geantwortet?« fragte er.

Der Konsul kraute sich mit dem kleinen Finger seiner Linken im spärlichen Haar. »Ja, das ist eben der wunde Punkt,« sagte er. »Sie schreiben ziemlich schmucklos, unsere Annahme, daß sie auf eine dauernde Verbindung mit Wernicke und Kompanie Wert legten, beruhe auf einem Irrtum. Da sie aus unseren geschäftlichen Gebarungen den Eindruck gewonnen hätten, daß es uns lediglich um eine Preisdrückerei zu tun sei, wären sie zu ihrem Bedauern nicht in der Lage, weitere Aufträge anzunehmen.«

»Was ihnen kein anständiger Mensch verdenken kann!« ließ sich vom zweiten Schreibtisch her die blecherne Stimme Albrechts des Beherzten vernehmen. »Es ist eine Affenschande, daß das sogenannte Welthaus Wernicke und Kompanie zu solchen Mitteln seine Zuflucht nimmt!«

»Würdest du es nicht für richtiger halten, dich in deinen Ausdrücken ein wenig zu mäßigen?« sagte der Bruder mit vollkommener Ruhe. »Ich habe dir doch auseinandergesetzt, daß unbedingt irgendwo gespart werden muß. Und das läßt sich, darüber sind wir uns wohl alle klar, nur beim Honorar und beim Papier ermöglichen. Wenn uns Stricker und Stolze keine billigeren Preise einräumen können, so lassen sie's eben. Im geschäftlichen Leben kenne ich keine Rücksichten; da ist sich jeder selbst der Nächste.«

»Fatal ist die Sache aber doch,« bemerkte Hennig. »Bei Stricker und Stolze konnten wir wenigstens auf pünktliche Lieferung rechnen. Es ist schade, daß wir die Angelegenheit nicht miteinander besprechen konnten, bevor der Brief abging. Ich bin mit den beiden Chefs der Firma persönlich genau bekannt und hätte Ihnen die Wirkung des Schreibens voraussagen können, Herr Konsul. War denn die Angelegenheit wirklich so dringlich? Ich habe in der letzten Zeit überhaupt öfters den Eindruck gehabt, als würde ich bei Entscheidungen von weittragender Bedeutung geflissentlich übergangen. Ich weiß nicht, was Sie dazu veranlaßt, aber es scheint mir System darin zu liegen. Daß meine Arbeitsfreudigkeit dadurch gehoben würde, will ich nicht gerade behaupten.«

Wernicke spielte den Überraschten. »Aber, mein bester Herr Hennig, was Sie nur denken! Als ob ich Sie geflissentlich überginge! Solange Sie verreist waren, konnte ich Sie doch nicht erreichen.«

»Ich muß jedoch annehmen, daß Sie gewußt haben, ich würde am 29. Juli wieder hier sein. Hätte der Brief an Stricker und Stolze nicht bis heute auch noch Zeit gehabt?«

»Das möchte ich doch nicht behaupten. Jetzt, wo wir mit den Vorbereitungen zur Januarserie begonnen haben, mußte die Papierangelegenheit schleunigst geordnet werden. Ich habe an Hittorf und Söhne sowie an Muldenhammer und Elsteraue schreiben und um bemusterte Offerte von billigeren Papieren ersuchen lassen. Muldenhammer hat Proben geschickt, die aber kaum für uns in Frage kommen, und von den beiden andern stehen die Antworten noch aus.« Wernicke scheute, wenn es über ein unerquickliches Thema hinwegzukommen galt, vor kühnen Gedankensprüngen nicht zurück. Und so sagte er denn auch jetzt, den Prokuristen mit beinahe liebevollen Blicken musternd: »Haben Sie sich denn auf Ihrer Reise recht erholt, Herr Hennig? Aussehen tun Sie ja brillant.«

»Danke, Herr Konsul. Ich kann zufrieden sein. In den ersten acht Tagen ließ das Wetter zu wünschen übrig, aber dann war es desto schöner.«

»Sie waren in Dänemark?«

»Nein, in Schweden.«

»So so, in Schweden! Wohl in Stockholm?«

»Dort bin ich früher schon gewesen. Diesmal war ich in Wermland, in Selma Lagerlöfs Heimat, um den Schauplatz ihres ›Gösta Berling‹ zu besuchen.«

»So? Interessiert Sie das so sehr?«

»Ich habe für die Lagerlöf eine besondere Vorliebe.«

»Sie ist wohl sehr literarisch?«

»Jedenfalls kommt sie für die ›Phöbus-Bücherei‹ schwerlich in Betracht.«

»Nicht? Schade! Einen Namen hat die Person ja, und bei Übersetzungen fahren wir immer noch am besten. Die kosten weniger als Originalarbeiten, und das liebe Publikum stürzt sich ja bei uns mit einer wahren Begeisterung auf alles Ausländische. Namen wie Maeterlinck, d'Annunzio, Oscar Wilde und Artzibaschew wirken auf unsere deutschen Durchschnittsleser wie der Baldrian auf die Katzen. Aber, um auf Ihre Reise zurückzukommen, Sie sagen, Sie hätten sich Wermland angesehen. Da stammt doch unser Freund, der Graf Cederholm, her. Haben Sie über die Familie zufällig etwas gehört?«

»Allerdings Herr Konsul.«

»Die Cederholms müssen wohl unheimlich reich sein?«

»Sie sind es vielleicht einmal gewesen.«

»Was Sie sagen! Haben Sie etwa Näheres darüber erfahren?«

»So einiges, und nicht viel Erfreuliches. Ich hielt es, da ich ja zufällig in der Gegend war, für meine Pflicht, mich in Ihrem Interesse nach den Familienverhältnissen des Herrn Grafen zu erkundigen.«

Wernicke bemühte sich vergebens, seine Neugier zu verbergen. »Nun – und? Wohl nicht so glänzend, wie er immer tut?« fragte er.

»Ganz und gar nicht. Von all den Gütern, die den Cederholms einmal gehört haben, ist nur noch eins in ihren Händen: Steenbacka, ein Grundbesitz von etwa hundertundsechzig Acker mit einem recht unscheinbaren und etwas baufälligen Herrenhaus und einer kleinen Sägemühle, die aber aus Mangel an Aufträgen schon geraume Zeit stillsteht. Das Gut soll noch dazu stark überschuldet sein. Wie mir der Pfarrer in Grässtad, zu dessen Kirchspiel Steenbacka gehört, sagte, haben Verwandte die Mittel zusammengeschossen, um Graf Axel einen längeren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen, aber zur Bedingung gemacht, daß er sich hier um eine reiche Frau bemüht, mit deren Geld sich die Familie wieder einigermaßen zu arrangieren gedenkt. Der Pfarrer, der übrigens in Leipzig studiert hat und sich, wie es schien, gern an die hier verlebten Jahre erinnert, meinte, bei der bekannten Vorliebe der deutschen Mädchen für Ausländer mit klingendem Namen würde es Cederholm wohl ein leichtes sein, den Wunsch seiner Angehörigen zu erfüllen.«

Der Konsul lächelte überlegen. »Wenn sich der gute Mann da nur nicht irrt!« meinte er. »Jeder vernünftige Mensch wird doch erst Erkundigungen einziehen, ehe er seine Tochter einem Wildfremden gibt. Ich muß gestehen: Cederholm ist mir gar nicht unsympathisch gewesen, aber daß er etwa ernsthafte Absichten auf Irmgard gehabt haben könnte, ist mir nie in den Sinn gekommen. Ihr selber, soweit ich sie kenne, auch nicht. Sie hat sich mit ihm amüsiert, sie hat sich seine Huldigungen gefallen lassen, aber das war auch alles. Von tieferen Gefühlen für ihn hat bei ihr nie die Rede sein können; dazu ist Irmgard trotz ihrer Jugend ein viel zu besonnenes Mädchen. Sie weiß ganz genau, daß ihr ein tüchtiger deutscher Mann, auch wenn er nicht von Adel ist, ganz andere Garantien bietet als irgendein beliebiger Ausländer. Ich danke Ihnen übrigens aufrichtig für Ihre Bemühungen in dieser Angelegenheit.«

»Liegt sonst noch etwas vor, Herr Konsul?«

»Nicht daß ich wüßte. Sie haben wohl die Güte, sich das Problem der Herstellungsverbilligung einmal durch den Kopf gehen zu lassen? Es handelt sich dabei wirklich nicht um Knauserei meinerseits, sondern um eine geschäftliche Notwendigkeit, der ich mich wohl oder übel fügen muß. Je weiter sich ein Unternehmen ausdehnt, desto mehr gewinnt es an selbständiger Macht über den Unternehmer. Solange wir nur die Fachzeitschriften und den kleinen Buchverlag hatten, war ich jederzeit Herr der Situation, aber jetzt kommen immer häufiger Augenblicke, wo ich das dunkle Gefühl habe, als sei mir das Geschäft längst über den Kopf gewachsen, und wo ich mit Wallenstein fragen muß: ›Wär's möglich? Könnt' ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt?‹ Manchmal komme ich mir vor, als säße ich auf einem schwerbeladenen Lastwagen, der den Berg hinunterführe und dabei bedenklich ins Schleudern geriete. Das ist ein recht unerquickliches Gefühl, von dem ich mich nur dadurch befreien kann, daß ich mir vorhalte, Sie, Herr Hennig, wären ja jederzeit zur Stelle, um den Hemmschuh anzuziehen.« Wenn der Konsul gedacht hatte, der Prokurist würde diese Wendung als eine Schmeichelei auffassen, so befand er sich in einem Irrtum.

»Allerdings, ich bin hier allmählich in die Rolle des Bremsers hineingeraten. Das habe ich schon lange gemerkt«, erwiderte Hennig mit einer leisen Bitterkeit im Ton.

»Aber gerade deshalb passen wir so gut zusammen, mein lieber Herr Hennig,« versicherte Wernicke mit Wärme. »Bei einer treibenden und einer retardierenden Kraft muß ja schließlich das rechte Tempo herauskommen.«

Die »retardierende Kraft« schwieg. Was der Konsul da gesagt hatte, hätte seine Berechtigung haben können, wenn sich die beiden Männer über die Richtung einig gewesen wären, in der der Lastwagen, auf dem sie saßen, fahren sollte. Aber das waren sie nicht. Ihre Ansichten über Ziel und Wege gingen zu weit auseinander, und der Riß, der von jeher zwischen ihnen geklafft hatte, war in der letzten Zeit zu einem gähnenden Abgrund geworden, der sich, wie Hennig immer deutlicher erkannte, weder schließen noch überbrücken ließ.


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