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Zehntes Kapitel

Es war ein trüber Novembermorgen. In Wernickes Privatkontor hatten sich die Abteilungsleiter zur gewöhnlichen Konferenz versammelt. Der Konsul überflog mit einem Feldherrnblick die Schar seiner Getreuen und wies auf die Klubsessel. »Wer fehlt denn noch? Wir müssen doch zu neun sein«, sagte er, den leergebliebenen Platz bemerkend.

»Herr Schlick«, erwiderten mehrere der Herren zugleich.

»Gekommen ist er aber,« erklärte der Prokurist. »Ich werde gleich einmal nachsehen, wo er bleibt.« Er ging. Die andern warfen einander verständnisvolle Blicke zu. Herr Schlick, der Redakteur, der sich im Laufe von zehn Monaten aus einem sehr bescheidenen jungen Manne zu einem etwas anmaßenden und nicht gerade bequemen Mitarbeiter entwickelt hatte und, weil er sich nichts gefallen ließ und dadurch dem an die strikteste Unterordnung seiner Angestellten gewöhnten Chef gewaltig imponierte, von diesem jederzeit wie ein rohes Ei behandelt und in jeder Weise verhätschelt wurde, war im Geschäft nicht beliebt. Man verdachte es ihm, daß er sich nie an die vorgeschriebenen Arbeitsstunden band, man ärgerte sich über den gleichgültigen oder auch schnoddrigen Ton, den er dem Konsul gegenüber anzuschlagen liebte, man neidete ihm das Redaktionszimmer, das nach seinen eigenen Angaben mit beinahe fürstlicher Pracht hatte ausgestattet werden müssen. Man übersah eben, daß Kurt Arnold Schlick von Haus aus Künstler war und deshalb nicht mit dem Maßstabe gemessen werden durfte, den man an Durchschnittsmenschen zu legen gewohnt war.

Hennig kam zurück. »Herr Schlick liegt auf der Chaiselongue und schläft«, berichtete er ganz sachlich.

»So. Sie haben ihn doch hoffentlich nicht geweckt?«

»Nein, Herr Konsul.«

»Das ist auch gut. Der Mann ist hochgradig nervös und muß vor jeder Störung bewahrt werden. Es kommt alles darauf an, daß er sein seelisches Gleichgewicht behält. Sein Idealismus ist für die ›Phöbus-Bücherei‹ ja schließlich ebenso wichtig wie die Qualität des Papiers. Das ist der Grund, daß ich ihm so manches durch die Finger sehe, was mit den Prinzipien eines geordneten Geschäftslebens sonst kaum vereinbar wäre«, erklärte der Chef.

»Brauchen wir ihn zu der heutigen Besprechung überhaupt?« fragte der Prokurist.

»Selbstverständlich!«

»Dann müßten wir also die Konferenz verschieben.«

»Geht unmöglich. Es liegt heute besonders viel vor. Weiß einer der Herren, ob Herr Schlick schon sein Frühstück serviert bekommen hat?«

»Ich werde einmal den Redaktionssekretär fragen«, sagte Hennig, indem er ans Telephon trat, wo er den Bescheid erhielt, daß Schlick noch nicht gefrühstückt habe.

Wernicke sah nach der Uhr. »Kunze soll sofort den Sachsenhof anrufen und das Frühstück reklamieren,« bestimmte er. Und mit einem sarkastischen Lächeln setzte er hinzu: »Auf diese Weise geweckt zu werden, beeinträchtigt Herrn Schlicks Stimmung nicht im geringsten.« Da es selten geschah, daß der Konsul einen kleinen Scherz machte, nahmen alle die Randbemerkung mit um so größerer Heiterkeit auf, und sogar Hennig lachte, als er die Weisung des Chefs telephonisch weitergab.

»Wir können inzwischen ja Dinge besprechen, die außerhalb seines Wirkungsbereiches liegen,« fuhr Wernicke fort. »Da wäre zunächst die Papierfrage. Wieviel haben wir denn noch auf Lager, Herr Kretschmar?«

Kretschmar, der Oberfaktor der Druckerei, zu dessen Obliegenheiten auch die Verwaltung des Papierlagers gehörte, richtete sich in seinem Sessel stramm auf und erwiderte: »Nicht mehr sehr viel, Herr Konsul. Allerhöchstens noch hundertachtzigtausend Kilo.«

»Das spielt allerdings keine Rolle,« bemerkte der Chef. »Dann haben wohl Hittorf und Söhne den Juliauftrag noch gar nicht effektuiert?«

»Nein, Herr Konsul. Die Sendung ist aber avisiert und wird wohl Ende der Woche eintreffen.«

»Wieviel wird das sein?«

»Zweihundertsiebzigtausend Kilo.«

»Das würde also für zehn Bände reichen.«

»Wieviel Bände soll die neue Serie umfassen? Doch nicht wieder hundert?« fragte der Prokurist.

Wernicke trommelte etwas nervös auf die Tischplatte. »Ich denke gar nicht daran,« versicherte er. »Wenn wir das Material rechtzeitig zusammenbekommen, fünfundzwanzig. Mehr keinesfalls. Viermal fünfundzwanzig im Jahr – das genügt vollkommen.«

Hennig hatte einen Notizblock zur Hand genommen und rechnete. »Wir brauchten also jedesmal sechshundertfünfundsiebzigtausend Kilo,« sagte er. »Ist der Zuschuß schon dabei?«

»Jawohl, Herr Hennig.«

»Haben Stricker und Stolze schon einen Auftrag?« erkundigte sich Wernicke.

»Bis jetzt noch nicht, Herr Konsul. Wir waren mit der letzten Lieferung nicht so recht zufrieden,« berichtete Kretschmar. »Das Papier schlug zum Teil durch. Es schienen auch Eisenteile darin zu sein. Einige Ballen zeigten kleine Rostflecken. Wir haben der Firma dreißigtausend Kilo zur Verfügung stellen müssen.«

»Hoffentlich ist den Leuten energisch geschrieben worden?«

»Sehr energisch, Herr Konsul.«

»Dann wird die nächste Lieferung wohl um so besser ausfallen. Lassen Sie bei Stricker und Stolze doch einmal anfragen, ob sie uns bis zum 15. Februar hunderttausend Kilo liefern können. Aber bemerken Sie gleich dabei, wenn wir wieder Veranlassung hätten, mit der Anfertigung unzufrieden zu sein, so wäre es unser letzter Auftrag gewesen.«

»Sehr wohl, Herr Konsul«, sagte der Oberfaktor, während er sich in einem dickleibigen Taschenbuch Notizen machte.

»Es blieben also noch hundertfünfundzwanzigtausend Kilo übrig,« fuhr Wernicke fort, »oder sagen wir lieber, um ganz sicher zu gehen, hundertdreißigtausend. Geben Sie deshalb Muldenhammer und Elsteraue je fünfundsechzigtausend in Auftrag. Aber dann noch eins, Herr Kretschmar! Als ich vorhin durch den Setzmaschinensaal ging, standen drei von den neuen Monolines. Woran liegt das?«

»Zwei werden heute gereinigt, Herr Konsul, und die dritte ist in Reparatur. Das Stoppstück war gesprungen und muß ausgewechselt werden.«

»Daß sie nur nicht länger stillstehen, als unbedingt nötig ist! Diese kostspieligen Maschinen verzinsen sich nur, wenn sie ohne Unterbrechung beschäftigt sind. Es wird doch wohl nicht an Manuskript fehlen?«

»Für diesen Monat reicht's noch. Aber im Dezember werden voraussichtlich acht Monolines frei.«

Der Konsul wandte sich an den Prokuristen. »Herr Hennig, Sie haben wohl die Güte, davon Notiz zu nehmen und Herrn Schlick daran zu erinnern, daß er die Autoren drängt.«

Während Hennig schrieb, mischte sich Herr Radefeld, der Buchbindereifaktor, ins Gespräch. »Ja, Herr Konsul, das mit dem Stillstehen der Maschinen, das ist 'ne verfluchte Sache,« meinte er. »Bei mir fehlt's jetzt auch manchmal an Rohmaterial. Gestern nachmittag haben meine Falzmaschinen über eine Stunde lang gestanden.«

Wernicke machte ein sehr ernstes Gesicht. »So etwas darf unter keinen Umständen vorkommen, sagte er. »Sie müssen eben mehr Hand in Hand arbeiten, meine Herren. Es kommt nur auf eine rechtzeitige Verständigung an. Lassen Sie wenigstens Decken herstellen, Herr Radefeld. Normaldecken für Bände von zwanzig Bogen. Das Einhängen ist dann ja schnell besorgt.«

Der Buchbindereifaktor lächelte mit der Überlegenheit des Fachmannes, dem ein Nichtfachmann Vorschriften machen will. »Ja, das ist alles gut und schön, Herr Konsul, aber solange die Titel nicht feststehen, kann ich ja mit den Decken doch nichts anfangen. Die müssen alle noch einmal durch die Farbdruckpresse«, behauptete er.

»Das weiß ich selbst,« erwiderte der Chef, der sich durch einen sachlichen Einwurf nicht so leicht verblüffen ließ, »aber die Titel von zehn bis zwölf neuen Bänden wird Ihnen Herr Schlick geben können. Setzen Sie sich nur mit ihm in Verbindung.«

»Ja, wenn man nur an Herrn Schlick herankommen könnte!« bemerkte Radefeld. »Der will ja nie gestört sein und hat für keinen Menschen Zeit.«

Ein Angestellter aus dem Kontor erschien und meldete, daß jemand den Chef in Konsulatsangelegenheiten zu sprechen wünsche.

Wernicke sah etwas unwillig auf. »Spricht er deutsch?«

»Kein Wort, Herr Konsul, bloß spanisch.«

»Um so besser! Da brauche ich mich nicht darum zu kümmern. Es ist nur ein Glück, daß Herr Blumhardt Spanisch versteht. Ist der Konsulatssekretär da?«

»Jawohl, Herr Konsul. Er arbeitet im Schreibmaschinenzimmer.«

»Veranlassen Sie ihn, mit dem Fremden zu Blumhardt hinüberzugehen und sich von diesem sagen zu lassen, was der Mann auf dem Herzen hat. Wozu hätte man denn einen Mieter, wenn man nicht einmal eine Gefälligkeit von ihm verlangen dürfte?« Der Gehilfe verschwand, und Wernicke wandte sich jetzt an den Leiter der Expeditionsabteilung: »Wie war denn die Auslieferung der letzten Woche, Herr Nümbrecht?«

»Zufriedenstellend, Herr Konsul,« sagte der alte Herr, behaglich eine Prise nehmend. »Die Barauslieferung allein betrug vierundsechzigtausendsechshundertdreiundsechzig Mark. Ohne die Warenhäuser. Was die bezogen haben, wird auch wohl für fünfunddreißigtausend Mark gewesen sein.«

»Sehr schön! Das Weihnachtsgeschäft scheint sich gut anzulassen. Welche Bände gehen denn am stärksten?«

»Nun, im großen und ganzen gehen sie alle egal. Ich glaube, die Nummern 22, 34 und 56 werden aber doch am stärksten verlangt.«

»Nummer 22 ist wohl ›Schöneck‹?«

»Ja, ›Schöneck, Das Strumpfband der Marquise‹.«

»So so! Da zieht natürlich der Titel. Ich sage es ja immer: auf den Titel kommt alles an. Schade, daß Herr Schlick nicht da ist! Das würde ihn interessieren. Und Nummer 34, was ist das?«

»›Gräfin Coudenhove, Im Vorzimmer der Exzellenz‹.«

»Da zieht der Autorname. Grafen und Gräfinnen könnten wir noch ein ganzes Schock gebrauchen. Für hochgestellte Autoren hat das Publikum ja eine kindische Vorliebe. Herr Hennig, vielleicht notieren Sie einmal: Herr Schlick soll den ›Kürschner‹ auf Mitglieder des hohen Adels hin durchsehen lassen. Ach, da kommt Herr Schlick ja gerade!«

Der so sehnlich Erwartete begrüßte die Korona mit einer gewissen Nachlässigkeit und ließ sich in den leeren Klubsessel fallen.

»Rauchen Sie eine Zigarre, Herr Schlick?« fragte der Konsul, indem er sich erhob und nach dem auf dem Schreibtisch stehenden Kistchen griff.

Der Herausgeber des »Phöbus« und der »Phöbus-Bücherei« schüttelte müde das Haupt. »Danke. Wenn Sie aber eine Zigarette hätten –« sagte er.

Wernicke beeilte sich, ihm sein silbernes Etui darzubieten, und setzte ihn, während Schlick mit großer Gemütsruhe eine Batschari anbrannte, von den mit den Nummern 22 und 34 gemachten Erfahrungen in Kenntnis. »Und was ist Nummer 56, Herr Nümbrecht?« wandte er sich wieder an diesen.

»›Herzog, Johannisnacht‹.«

»Das wird natürlich gekauft, weil das Publikum den Autor für Rudolf Herzog hält. Es war eine gute Idee, den Vornamen Robert auf dem Titel abzukürzen.«

» Meine Idee, Herr Konsul,« erklärte Schlick, sich in die Brust werfend. » Mundus vult decipi, ergo decipiatur.«

»Und welche Nummer wird denn am wenigsten verlangt, Herr Nümbrecht?« fragte Wernicke.

»Das dürfte wohl ›Quenstedt, Die Geschichte eines alten Hauptmanns‹ sein.«

»Ist auch gar kein Wunder. Der Titel ist ganz verfehlt. Welches Weib hat etwas für einen alten Hauptmann übrig? Bei einem Neudruck muß das Wort ›alten‹ unbedingt wegfallen. Beachten Sie freundlichst immer das psychologische Moment, Herr Schlick! Versetzen Sie sich jederzeit in die Seele des lieben Publikums, besonders des weiblichen, das ja für uns ausschlaggebend ist! Sie als Dichter müssen doch die Fähigkeit dazu haben. Ich möchte Ihnen überhaupt empfehlen, den Titeln der Bände eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Es hängt ja nicht weniger als alles davon ab. Vielleicht erfinden Sie in Zukunft die Titel selbst und veranlassen dann die Autoren, die Romane dazu zu schreiben.«

»Nun ja, das müßte man sich einmal überlegen«, meinte Schlick ohne große Begeisterung.

Der Konsulatssekretär – er hieß Schmidt und war, wenn er nicht gerade seines hohen Amtes waltete, was alljährlich ein- oder zweimal geschah, Buchhalter im Wernickeschen Kommissionsgeschäft – kam und berichtete, der Fremde, mit dem sich Herr Blumhardt schnell verständigt habe, sei mit einem amerikanischen Zauberkünstler nach Europa gekommen, von seinem Prinzipal aber wegen einer kleinen Messerstecherei Knall und Fall entlassen worden und stehe nun völlig mittellos da, weshalb er das Konsulat ersuche, ihn nach Guayaquil heimzubefördern.

»Weiter verlangt der Mann also nichts? Sehr bescheiden, das muß ich sagen,« bemerkte der Konsul. »Geben Sie ihm das Geld zu einer Fahrkarte vierter Klasse nach Magdeburg. Ist er dort, so ist er schon auf dem halben Wege nach Hamburg, und von Hamburg nach Ecuador ist es dann nur noch ein Katzensprung.« Damit war der Fall für Wernicke abgetan, und er vertiefte sich wieder in seine geschäftlichen Angelegenheiten. »Wir kämen jetzt zur Propaganda. Ich glaube, Sie, meine Herren«, – er verneigte sich leicht gegen Kretschmar und Radefeld – »brauchen wir nun eigentlich nicht mehr. Ich danke Ihnen.«

Die beiden Faktoren zogen sich zurück.

Wernicke stand auf und holte einen Stoß Zeitungen vom Schreibtisch. »Da ist wieder ein ganzer Berg Besprechungen eingelaufen«, sagte er, die Blätter vor sich ausbreitend.

»Günstige?« fragte Hennig.

»Zum Teil sehr günstige. Andere sind allerdings weniger erfreulich. Da reißt zum Beispiel der ›Berliner Wächter‹ das Schmehlingsche Buch furchtbar herunter. Läßt kein gutes Haar daran.«

»›Berliner Wächter‹?« Ist das nicht Doktor Rosenfeld?«

»Wollen gleich einmal nachsehen. Natürlich! Das Ding ist N. R. gezeichnet. Und dabei hat der Mann bei unserm Pressesouper viermal Kaviar genommen! Ich achte ja sonst auf so etwas nicht, aber die Passion des guten Doktors für Malossol ist mir doch aufgefallen.«

»Er wird wohl gerade deshalb das Bedürfnis empfunden haben, die Unbestechlichkeit der Presse zu dokumentieren,« meinte Eisold. »Ich werde den ›Berliner Wächter‹ schleunigst für ein dreimaliges ganzseitiges Inserat vormerken. Dann dürfte der kleine Herr sein Urteil über unsere Bände wohl einer gründlichen Revision unterziehen müssen.«

»Ja, und dann redet da der Kritiker der ›Nationalzeitung‹ über die Tendenz von ›Kilp, In den Fesseln des Mammons‹. Hat denn das Buch wirklich eine Tendenz? Dann fiele es doch ganz aus dem Rahmen unseres Programms. Um Gottes willen keine Tendenz, meine Herren! Unsere Aufgabe kann nur sein, die Leser zu unterhalten. Eine eigene Meinung wollen wir gar nicht haben. Ich kenne das Buch selbstverständlich nicht, aber ich muß gestehen: schon der Titel hat etwas Aufreizendes. Das sieht aus wie ein Angriff auf den Kapitalismus. Jetzt bleibt uns natürlich nichts anderes übrig, als diesen Mißgriff zu paralysieren, indem wir einen Band herausbringen, worin der Segen des Kapitalismus hervorgehoben wird. Es muß da zum Beispiel gesagt und durch die Handlung veranschaulicht werden, daß ohne den Kapitalismus jedes Wirtschaftsleben und jede Kulturarbeit undenkbar wären, daß er Tausenden und Abertausenden die Möglichkeit einer gesicherten Existenz gewährt, daß er die Grundlage von Wissenschaft und Kunst ist. Haben Sie einen Autor zur Hand, der befähigt ist, diesem Gedanken in überzeugender Weise Ausdruck zu verleihen, Herr Schlick? Dann bitte, notieren Sie sich die Sache einmal! Ich nehme an, daß Sie, Herr Eisold, die eingelaufenen Besprechungen im weitesten Umfange für die Propaganda verwerten.«

»Darüber können Herr Konsul ganz beruhigt sein. Herr Bolkenhahn sieht die Einläufe täglich durch, schneidet die Rezensionen aus, ordnet sie nach den Bandnummern und klebt sie auf Kartons, so daß wir sie jederzeit zur Verfügung haben.

Wernicke nickte befriedigt. »Richtig, Herr Bolkenhahn leitet ja jetzt das Archiv«, sagte er.

»Und er unterstreicht dabei in jeder Besprechung die zu Reklamezwecken verwendbaren Stellen mit roter Tinte,« fuhr Eisold fort, und er setzte hinzu: »Etwas Brauchbares läßt sich ja schließlich aus jeder Rezension herausholen.«

»Nun, das ist doch vielleicht zuviel gesagt, bemerkte der gescheiterte Literat, sich mit den großen Händen erregt durch das struppichte graue Haar fahrend. »Manche sind von der ersten bis zur letzten Zeile so absprechend, daß man auch nicht ein Wort daraus brauchen kann.«

»Das müßte doch seltsam zugehen! Mit dem nötigen Geschick kann man aus der größten Schimpferei etwas machen«, behauptete Eisold.

»Na na, das möchte ich doch einmal sehen!« rief Bolkenhahn. »Ich habe hier gerade so eine mitgebracht. Es ist die Besprechung von ›Hindermann, Niobes Töchter‹ in den ›Hamburger Nachrichten‹. Hören Sie nur, wie sie anfängt, meine Herren! Da steht: ›Dieses Buch gehört in jede Hausapotheke. Wer an Indigestionen leidet und kein Brechmittel zur Hand hat, der lese nur eine einzige Seite dieses Machwerks. Wir bürgen ihm dafür, daß er die prompteste Wirkung verspüren wird.‹«

»Ja, aber was wollen Sie denn mehr, bester Herr?« sagte Eisold, den armen Bolkenhahn mit einem halb mitleidigen, halb triumphierenden Blick musternd. »Diese Kritik läßt sich doch brillant verwenden. Sie sagen im Inseratenanhang der neuen Bände einfach: Hindermanns humoristischer Roman vermag den schlimmsten Hypochonder zu kurieren. Die ›Hamburger Nachrichten‹ schreiben darüber: ›Das Buch gehört in jede Hausapotheke‹.«

Bolkenhahn seufzte tief auf. »Sie haben recht, Herr Eisold. Aber es ist einfach ekelhaft, daß man sich als anständiger Mensch zu derartigen Arbeiten hergeben muß. Mein Gott, dreiunddreißig Jahre hat man sich bemüht, der Welt sein Bestes zu geben und ist nun auf seine alten Tage gezwungen, mit solchem Schwindel sein Brot zu verdienen. Hätte ich nicht für eine Familie zu sorgen, ich wüßte, was ich täte!«

Jetzt legte sich Wernicke ins Mittel. »Keine Sentimentalitäten, Herr Bolkenhahn!« sagte er kühl. »Sie können doch nicht leugnen, daß Sie bei mir ein sehr anständiges Einkommen haben. Bedenken Sie freundlichst, daß ich für Ihren Posten jeden Tag eine jüngere Kraft bekommen kann, die mit hundertundfünfzig Mark zufrieden ist. Wenn die Arbeit, die Sie in meinem Hause verrichten, Ihrem persönlichen Geschmack nicht zusagt, so müssen Sie sich eben damit zu trösten suchen, daß Sie an einem Kulturunternehmen mitwirken, wie der deutsche Verlagsbuchhandel deren nur wenige aufzuweisen hat. Mehr Idealismus, Herr Bolkenhahn, mehr Idealismus! Wie sagt doch unser großer Schiller? ›Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!‹

Opfer muß jeder bringen, das ist nun einmal nicht anders. Oder denken Sie etwa, ich brächte keine? Was für Anforderungen wird zum Beispiel im nächsten Jahre das Geschäftsjubiläum an mich stellen! Das wird in die Hunderttausende gehen. Sehen Sie?

Was meinen Sie übrigens, Herr Hennig«, wandte er sich an den Prokuristen, »wäre es nicht zweckmäßig, wenn wir bei dieser Gelegenheit auch einige größere Stiftungen für die Presseorganisationen machten? Herr Schlick wird wohl in der Lage sein, uns über Bedeutung und Mitgliederzahl der wichtigsten Vereinigungen zu informieren. Auf die Presse sind wir ja nun einmal bis zu einem gewissen Grade angewiesen.«

»Solche Stiftungen könnten nicht schaden,« meinte Hennig. »Man müßte natürlich eine Form wählen, die den Verdacht nicht aufkommen läßt, als wollten wir uns das Wohlwollen der Presse erkaufen.«

Der Konsul nickte. »Versteht sich,« sagte er. »Wir werden durch die Zuwendungen lediglich unsern Dank für die mannigfaltigen Förderungen zum Ausdruck bringen, die der Wernickesche Verlag in den fünfundzwanzig Jahren seines Bestehens bei der gesamten Presse gefunden hat. Doch darüber läßt sich ja noch reden. Ich dächte, wir könnten unsere heutige Konferenz schließen, meine Herren. Oder hat einer von Ihnen noch etwas auf dem Herzen?«

Schlick, der ziemlich teilnahmlos dagesessen hatte, regte sich. »Ich möchte die Verlegung des Schreibzimmers beantragen,« erklärte er. »Das Geklapper der Maschinen halte ich für die Dauer nicht aus. Ich brauche zu meiner Arbeit vollkommene Ruhe.«

Der Konsul, der schon daran gewöhnt war, daß ihm der Redakteur bei jeder Gelegenheit solche Wünsche unterbreitete, verzog keine Miene. »Wenn Sie durch den Lärm belästigt werden, muß selbstverständlich Abhilfe geschafft werden,« versicherte er. »Ich werde einmal mit Herrn Hennig überlegen, ob man die Tippdamen nicht am besten in dem Raume unterbringt, der früher von der Buchhalterei benutzt wurde.«

»Und dann muß ich noch um einen zweiten Redaktionssekretär ersuchen,« fuhr Schlick fort. »Kunze allein kann die Korrespondenz nicht mehr bezwingen.«

»Diktieren Sie denn selbst keine Briefe, Herr Schlick?« erlaubte sich der Chef zu fragen.

»Ich – diktieren? Das ist ganz unmöglich. Ich beschränke mich darauf, dem Sekretär kurze Andeutungen zu geben, und überlasse die Fassung der Briefe ihm. Wohin sollte das führen, wenn ich mir mit solchem Kleinkram den Kopf verkeilen wollte!«

»Na ja, das sehe ich ein,« erwiderte Wernicke, obwohl er's eigentlich nicht so recht einsah. »Wen könnten wir Ihnen denn als zweiten Redaktionssekretär zuweisen?«

»Auf einen Sekretär will ich durchaus nicht bestehen. Ich begnüge mich auch mit einer intelligenten Dame«, erklärte Schlick großmütig.

»Ja, welche von unsern Damen käme denn für diesen Posten in Frage?« erkundigte sich der Konsul.

»Vielleicht Fräulein Knoll?« schlug sein Bruder vor.

Der Redakteur machte ein entsetztes Gesicht. »Die aus der Expedition? Um Gottes willen, die ist doch schon hoch in den Vierzigern«, sagte er.

Wernicke lächelte. »Aber, bester Herr Schlick, auf das Alter kommt es in diesem Falle doch nicht an«, meinte er.

»O doch, Herr Konsul. Sie müssen bedenken, daß ich mir meine Mitarbeiter erst heranziehen muß, daß aber Damen über Vierzig erzieherischen Einflüssen kaum noch zugänglich sind. Sie pflegen gekränkt zu sein, wenn man ihnen Vorschriften oder gar Vorhaltungen macht. Nein, ich hatte eigentlich an Fräulein Siebold gedacht.«

»Siebold? Ist das nicht die niedliche Schwarze aus der Propagandaabteilung?« fragte der Chef.

»Allerdings. Daß die Dame hübsch ist, nehme ich ihr weiter nicht übel,« versicherte Schlick. »Es würde sogar meine Stimmung in der günstigsten Weise beeinflussen. Und daß ich meinen Idealismus, auf den Sie ja so großen Wert legen, irgend woher beziehen muß, werden Sie wohl einsehen, Herr Konsul. Die Klubsessel im Redaktionszimmer und das Frühstück allein machen's auf die Dauer nicht.«

Wernicke wandte sich an Fräulein Siebolds bisherigen Vorgesetzten. »Was meinen Sie, Herr Eisold, können Sie die Dame entbehren?«

»Wenn Herr Konsul der Ansicht sind, daß die Redaktion vorgeht, so muß die Propagandaabteilung natürlich zurücktreten,« erwiderte Eisold ein wenig gekränkt. »Gern lasse ich sie nicht gehen. Da es aber Herr Schlick durchaus zu wünschen scheint, muß ich schon in den sauern Apfel beißen.«

Der Redakteur zuckte die Achseln. »Das ist Ihre Sache, mein guter Herr Eisold. Ich beiße jedenfalls lieber in den süßen«, sagte er kühl.

Damit war die Konferenz zu Ende. Im Hause Wernicke und Kompanie hatte der Idealismus wieder einmal gesiegt.


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