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Paolo Vigo's Wort: »Er nahm Abschied von mir wie auf ewig –« wurde nun auch von dem greisen Ziegenhirten wiederholt. Es fiel ihnen allen auf die Seele, als würden sie den Geliebten nicht wiedersehen, wenn sie sich jetzt nicht eilten, es noch einmal zu thun. Daß sie zu dem Ende die Würfel ihres eigenen Looses warfen, kümmerte sie wenig.
Sie hofften jedoch auf ihr zeitiges Eintreffen. Wenn noch Zeit zum Ergreifen und Ausführen eines Entschlusses gelassen war, so sollte sich ihr Freund, nach Negrino's Meinung, am sichersten über den Monte Gigante hinweg nach dem Meerbusen von Squillace begeben oder im äußersten Fall in einer in der Nähe befindlichen, ihm vielleicht nur allein bekannte Höhle verborgen bleiben.
Jährlich nur einmal, am zwanzigsten August, fanden sich noch die letzten Trümmer der einst so zahlreich im unteren Italien ausgebreiteten Söhne des Peter Waldus zusammen. Drei Jahrhunderte waren seit jenen Scheiterhaufen verflossen, welche auch die Fortschritte der Reformation in Calabrien beendet hatten. Frâ Federigo fand davon im Silaswalde keine andern noch ersichtlichen Spuren, als die »Bluteichen«, wo einst Hunderte der Reformirten und Waldenser – wie die Schafe mit dem Messer 89 abgestochen wurden. Zufällig begegnete ihm dort ein alter Ziegenhirt, Ambrogio Negrino, der ihm diese Dinge erläuterte und sich dann selbst als einen Nachkommen des Märtyrers Negrino zu erkennen gab. Ihm verdankte der Einsiedler die Bekanntschaft mit noch einigen andern Trümmern der alten Sekte. Gehörten sie auch alle der herrschenden Kirche an, so hatten sich doch einige alte Gebräuche, Erkennungszeichen, Gebete, letztere meist in provenzalischer Sprache in ihren Familienkreisen erhalten – Ambrogio Negrino besaß ein altes Buch, das er selbst nicht lesen konnte – es war die waldensische Nobla Leyçon. Federigo übersetzte sie ihm – anfangs ihm allein; bald brachte aber Negrino andere mit, welche gleichfalls diesen Gruß ihrer Vorvordern aus alten Jahrhunderten aus seinem Munde vernehmen wollten.
Der Kreis von Verehrern und Freunden des Einsiedlers, der seinerseits noch unter dem besonders über ihm wachenden Schutze des Mönchs Hubertus zu San-Firmiano stand, mehrte sich wider Federigo's Willen. Von nah und fern wurde sein Rath begehrt. Freilich hielten ihn die Meisten für einen Hexenmeister. Wie Paolo Vigo veranlaßt wurde, ihn zu besuchen, wurde schon erzählt. Aus seinen wiederholten Wanderungen in die Wildniß und den daraus folgenden Erörterungen entstanden in Paolo Zweifel, ernste, kummervolle Betrachtungen; er verrieth die Resultate derselben in seinem Wirkungskreise und erlitt die Strafe einer, wie wir gesehen, nicht endenden Suspension und Einsperrung in San-Firmiano.
Der Einsiedler, erschreckt von solchen Vorkommnissen, bat fort und fort seine Freunde, ihn der todesähnlichen Stille in seinem Waldesthale zu überlassen. Hubertus besorgte dann und wann einen Brief, den der deutsche Sonderling nach Rom schrieb und von dorther auch beantwortet erhielt. Das war des Eremiten 90 einziger Verkehr mit der Welt! Er lebte vom Honig seiner Bienen, von Früchten, die er selbst gezogen, von Vorräthen, die ihm seine Freunde brachten. Zuletzt war es Sitte geworden, daß ihn alle die, welche auf dreißig Miglien in der Runde gleichsam unter des alten Ambrogio Negrino Controle standen, wenigstens einmal im Jahre besuchten, am zwanzigsten August, den er nach langem Sträuben endlich als Erinnerungstag an die alte Schreckenszeit festgesetzt hatte.
Ich habe es immer gefürchtet, sprach Hubertus, die athemlose Eile des Wanderns unterbrechend, und ließ sich wiederholt erzählen, was der weltkundige, weitgereiste Hirt, ein Greis mit langen weißen Locken, sonnenverbranntem braunen Antlitz, von den Reden der Offiziere gehört hatte. Um vier Uhr, wiederholte Ambrogio Negrino in einer gewählteren Sprache, als dem hier üblichen Patois, rücken die Truppen von San-Giovanni aus, vertheilen sich in den Bergen und wollen von verschiedenen Seiten dem Thal der Bluteichen so beizukommen suchen, daß sie die ketzerische, dem Teufel opfernde Versammlung mitten in ihren Greueln aufheben können.
Die Möglichkeit einer so irrthümlichen Auffassung ihrer Versammlungen war ihnen nach dem Geist ihrer Umgebungen vollkommen erklärlich. Sie verweilten nicht bei dem Ausdruck ihres Schmerzes über ein so großes Misverständniß; sie überlegten nur. Die Versammlung mußte verhindert und Frâ Federigo, wenn sein Entkommen unmöglich war, in einer Felsenspalte verborgen werden, die Ambrogio Negrino schon lange für diesen Fall aufgefunden und jedem Uneingeweihten unzugänglich gemacht hatte.
So sehr auch die Männer eilten, sie konnten nicht hoffen, vor Anbruch des Morgens an Ort und Stelle zu sein. Auf dem kürzeren Pfade, den sie einschlugen, um an die Abhänge 91 der oft schneebedeckten Serra del Imperatore zu kommen, begegneten sie niemanden. So durften sie annehmen, daß die geheimverbundenen Getreuen sich schon längst auf den Weg gemacht, ja an der Hütte ihres Meisters schon die Nacht zugebracht hatten.
Die Wanderer kannten sich in ihrer Theilnahme für den einsamen Bewohner des Waldes und hatten nicht nöthig, diese noch durch Worte kundzugeben. Sie tauschten nur ihr Urtheil über die kürzeren Wege aus, wenn die Wildniß überhaupt noch etwas bot, was sich einen Weg nennen ließ. Nur kleine ausgetrocknete Strombetten waren noch die besten dieser Wege; diese gingen verborgen unter Gestrüpp und Büschen hin.
Die Nachtluft wurde frischer. Nebel stiegen auf und verursachten den beiden leichtbekleideten Wanderern ein frostiges Schauern. Der Hirt bot Paolo Vigo seinen langhaarigen Mantel, den dieser nicht abschlug. Zum Glück trug der Pfarrer Schuhe, nicht, wie Hubertus, Sandalen.
Hubertus hatte, als wäre ihm seine ganze Kraft ungeschwächt zurückgekehrt, sein dolchartiges Messer gezogen. An manchem Gebüsch von Steineichen, wo durch die stachlichten Blätter schwer hindurchzukommen war, schnitt er die Zweige nieder und machte die Wildniß wegsam. Dann kamen zuweilen Buchenhaine, die wie zum nächtlichen Reigen der Elfen bestimmt schienen, so licht und traulich glänzten sie in dem abnehmenden Mondlicht und unter den allmählich erblassenden Sternen.
Eine Sorge der Verbundenen konnte sein, ob nicht auch den Lauf des Neto herauf von Strongoli oder aus Umbriatico über den Aspropotamo und Gigante her schon Corps Bewaffneter herüberkamen und das Thal der Bluteichen bereits früher eingeschlossen hatten, als es von ihnen selbst erreicht wurde.
Schon war es vier Uhr. Schon sah man die zunehmende 92 Helle. Immer matter wurde die Scheibe des Mondes, immer röthlicher erglänzten am blauenden Himmel die Sterne. Schon zeigte sich auf Serra del Imperatore, einem Berg, der an manchen Stellen gen Ost offen und riesig groß vor ihnen lag, die dunkelrothe Glut der aufgehenden Sonne. Die Spitze des Aspropotamo war die erste, die vom Sonnenlicht hell aufleuchtete. Aengstlich spähten sie rundum, ob nicht irgendwo am Rand des von andern Seiten zugänglichen, in grünen und grauen Nebeln schwimmenden Thales eine Waffe blitzte.
Wie sie fast erwartet hatten, so geschah es auch. Als sie mit hellem Tagesanbruch endlich in der Ferne die Bluteichen sahen, entdeckten sie ein reges Gewimmel von Menschen unter den mächtigen Baumkronen. Bald erscholl auch aus der Tiefe, wohin sie niederstiegen, ein vielstimmiger Gesang. Er erklang gegen die dumpfe Litanei in San-Firmiano wie ein jubelndes Schwirren der Lerche in blauer Luft verglichen mit dem trüben Ruf der Unke. Reine helle Frauen- und Kinderstimmen schwangen sich wie geflügelte Tongeister über die Laubdächer. Sie sangen die auch ihnen wohlbekannten einfachen Hymnen, die aus alten Zeiten stammend das Lob des Höchsten priesen und die heilsame Veranstaltung der Erlösung und die Hoffnung aller Christen. Dazwischen läutete ein Glöcklein, von dem sie wußten, daß es denen, die vielleicht noch entfernt waren, den Weg zur Hütte andeuten sollte. Alles das geschah wie im tiefsten Frieden.
Wol hätten die Wanderer sich sagen mögen: Wer wollte diese stille Andacht stören! Wer könnte hier etwas finden wollen, was vor Gott oder Menschen ein Verbrechen wäre! Dennoch mußten sie eilen, die gefahrvolle Feier zu unterbrechen.
Nach einer kurzen Stille, welche die Wanderer durch einen Zuruf aus der Ferne, der die Betenden erschreckt haben würde, nicht unterbrechen mochten, begannen die Stimmen aufs neue 93 und ließen nach einem vollen, mächtig an den Bergwänden widerhallenden Gesang jene Pausen eintreten, von denen die Wanderer wußten, daß sie die bis zu ihnen herauf nicht hörbare Stimme Federigo's füllte. Federigo sprach dann die Worte vor, die zu singen waren. Alles das, erinnerungsfrisch vor ihre Seele tretend, bewegte sie um so mächtiger, als noch immer der Anblick der Hütte selbst verborgen blieb.
Endlich aber zeigten sich die Windungen von Radgleisen, die im grünen, weichen, oft morastigen, dann von den herrlichsten Farrenkräutern überwucherten Boden von kleinen Karren zurückgeblieben waren. Es mußten heute von weitweg, auch von Rossano und Conigliano die dem Ziegenhirten wohlbekannten Nachkommen der Waldenser erschienen sein. Der helle Lichtstrahl des immer höher und höher über dem Meeresspiegel heraufgestiegenen Sonnenwagens fiel auf die obern Ränder des Thals. Die Nebel zertheilten sich und nun hatte ihr besorgter und zugleich verklärter Blick die volle Aussicht auf die Gruppe der Menschen, die unten versammelt waren und die sie meist kannten. Kinder lagen im Grase; andre hielten Mütter auf ihren Armen; Männer in zottigen Schafspelzen, andere im kurzen Rock des Alpenjägers, Fischer, vom Meer herübergekommen, in ihren rothen Mützen und braunen Mänteln – alle umstanden die Hütte. Ein Haufe von nahezu achtzig Seelen, hochbetagte Greise darunter; aller Mienen mit jenem Ausdruck, den eine gutmüthige Denkart gibt. Noch verdeckten sie das Bild des Mannes, der ihnen, auf die zufällige Veranlassung seiner Begegnung mit Ambrogio Negrino, zehn Jahre lang hier nichts, als nur die Geschichte ihrer unglücklichen Vorfahren erzählte und nicht hindern konnte, daß sie von ihm Belehrung und Anleitung zu reinem Sinn, freilich auch zur Beurtheilung des Glaubens begehrten, in welchem sie äußerlich leben mußten. Federigo 94 enthielt sich jeder Aufwiegelung ihres an die Gebräuche der herrschenden Kirche gebundenen Gewissens. Auch war die Höhe der Bildung, die im Waldenserthal bei Castellungo geherrscht hatte, hier nicht anzutreffen.
Schon wollte Negrino einen Zuruf erschallen lassen, da hinderte ihn die jetzt hörbar werdende weiche, volle, innig zum Herzen dringende Stimme des Sprechers. Die dem Volk vollkommen verständliche, wenn auch fremdartige italienische Rede desselben fesselte sie. Was bestimmte nur die Warner, diese Feier nicht zu unterbrechen! Was gab ihnen urplötzlich ein so felsenfestes Vertrauen auf Gott, der sich in jedem Menschenherzen, auch in dem der Verfolger, offenbaren müsse –! Hubertus kündigte sich sonst durch scherzende Töne an, die ihn bei Jung und Alt im Gebirge bekannt gemacht hatten; jetzt beschien der erste Sonnenstrahl, der sich zwischen den Imperatore und Gigante hindurchstahl, die glänzende Stirn, die weißen Locken des Freundes und Lehrers, sein unter weißen Brauen aufgeschlagenes begeistertes Auge – jetzt stand er im Pilgerkleid von schwarzem rauhwollenen Tuch, mit entblößtem Halse, um den Leib einen schwarzen Seidengürtel, so hoheitsvoll und edel, daß alle drei aufhorchen und den Fuß hemmen mußten. Die Farbe des Antlitzes, die Hände, alles sah am Freunde blasser und krankhafter aus als sonst. Das von ihren Augen wieder aufgenommene theure Bild eines Greises, den ein jugendliches Feuer noch durch die Erregung seines Geistes für seine letzten Lebenstage durchglühte, schloß in der That die Besorgniß nicht aus, daß diese Lebenstage kaum bis zum beginnenden Winter andauern konnten.
Federigo sah die Dahereilenden nicht. Sein Blick war nach innen gewandt. Schon sprach er Worte, welche allmählich die Kommenden im Zusammenhang verstehen konnten. Zu den 95 Erweckungen der Waldenser hatten im Piemont gewisse Formen einer öffentlichen Beichte gehört. Wie sich die ersten Christen ein Gemeindeleben aus ihren Privatbeziehungen bildeten und eine so weit gehende Oeffentlichkeit der letzteren einführten, daß es nicht fehlen konnte, die persönlichsten Leidenschaften zur Klage und Rüge hervortreten zu sehen, so walteten auch die Diakonen und »Barben« bei den Waldensern des Amtes der Gerechtigkeit und des Auflegens von Bußen und Strafen. Ebenso trat auch hier bei diesen Versammlungen einer nach dem andern vor und wurde entweder aus eigenem Antrieb oder durch Mahnung veranlaßt, sich zu vertheidigen, sich zu erklären, Lehre oder Versöhnung anzunehmen. Hubertus und Paolo Vigo kannten den Segen, den schon seit lange diese Verständigungen der kleinen Gemeinde unter ihren Mitgliedern hervorgebracht hatten.
Unterwegs hatte Paolo Vigo seinen Begleitern, so wenig sie auch durch Gespräch ihre Schritte hemmen mochten, gelegentlich dennoch wiedererzählt, warum Frâ Federigo, als ihn endlich die Genossen Negrino's zur Abhaltung mindestens Einer Versammlung im Jahre überredeten, dazu gerade den Tag des heiligen Bernhard wählte. Nicht nur, daß in der Höhe des August die wichtigsten Ernten beendet waren, Frâ Federigo hatte ihm auch das Gedächtniß des Abtes Bernhard von Clairvaux als ein Spiegelbild frommerer Zeiten dargestellt, wo noch einsichtsvolle freimüthige Priester zu heilsamen Zwecken in den Rath der Großen traten. Siebenhundert Jahre war es her und in der Blütezeit des Mittelalters, als ein hoher Ernst die Völker ergriff und Männer erstehen ließ, die von solcher Weihe und Thatkraft kaum in einer wilden, kriegerischen Epoche erwartet werden durften. Als die Philosophie in Frankreich, England und Italien aufblühte, sogar die Dichtkunst über das rohere Deutschland hie und da einen milden Glanz der Sitten verbreitete, die Kreuzzüge 96 einen seltenen Aufschwung des Gemüths und der Phantasie hervorriefen, zerstörte Rom und die Herrschaft der Päpste noch nicht alle Hoffnungen der Völker und verdunkelte noch nicht alle Lichtschimmer einer besseren Aufklärung. Ein einfacher Bürger in Lyon, Pierre Vaux (Peter Waldus), las die Bibel in einigen Abschnitten, die in die gewandteste und poesiefähigste Sprache der damaligen Zeit, die provenzalische, übersetzt worden waren. Ein wunderbarer Glanz überfiel ihn beim Lesen des den Laien damals gänzlich unbekannten Buches – gerade wie die Jünger, die nach Christi Tod im Dunkeln wandelten, plötzlich an ihrer Seite einen Wanderer bemerkten, der die Schrift so mächtig auslegte. Waldus las seine Entdeckungen Befreundeten vor, ließ die Bibel auf seine Kosten noch vollständiger in die Sprache seiner Landsleute übersetzen und nahm die einfachen Formen des ersten apostolischen Christenthums an. Sein Vermögen gab er seiner Gemeinde; ihre Priester, denen die Ehe unverboten blieb, wählte die Gemeinde selbst; von den Sakramenten behielt man nur Taufe und Abendmahl; letzteres hörte auf ein mystischer Act zu sein und blieb nur noch ein Opfer der Erinnerung; es war eine Reformation ohne Schulgezänk, ohne Disputation der Theologen, eine Läuterung der Lehre allein durch das Herz.
Mit reißender Schnelligkeit verbreitete sich das Wirken der Waldenser. Ein ganzer Gürtel Europas von den französischen Abhängen der Pyrenäen an bis nach Süditalien frei vom herrschenden Kirchengeist, vom weltlichen Streit der Päpste mit dem Kaiser und zugleich von Geistlichen ab, die damals sogar die Waffen führten und oft im glänzenden Harnisch hoch zu Roß saßen, im wildesten Kampfgewühl die zum Segnen bestimmte Hand mit Blut besudelnd. Mit einem warmen, lebendigen Eifer für die apostolische Reinheit der Lehre und des kirchlichen 97 Lebens ging die Gesittung Hand in Hand. Gerade dieser Gürtel Europas wurde der blühendste an Gewerbfleiß, Erfindungen, in Künsten und Wissenschaften. Immer weiter und weiter schwang sich ein lichtheller Irisbogen über Europa. Burgund, Deutschland, Böhmen erglänzten von seinem siebenfachen Strahl. Wo der Webstuhl sauste, wo die Industrie der Städte mit dem Betrieb des Ackerbaues zu regem Austausch ihrer Erzeugnisse verbunden war, da erschollen bald auch die neugedichteten Lieder zum Lobe des Höchsten. Ganze Städte und Länderstrecken hatten schon keinen andern Gottesdienst mehr, als den der Waldenser, der Humiliaten, die Armen Brüder. Man erklärte die Kirchen und ihre Pracht für überflüssig und nannte jeden grünen Rasenplatz, jedes Laubdach einer Eiche eine Gott wohlgefällige Kapelle.
Paolo Vigo schilderte die furchtbare Verfolgung, welche nun von Rom aus über diese Bekenner des reinen Christenthums hereinbrach. Er nannte die Päpste bei Namen, welche zum Morden aufforderten. Jene Schreckensthaten des Abtes von Citeaux und jenes Vorbildes eines Alba, des Grafen Simon von Montfort, schilderte er, wie sie mit Feuer und Schwert Männer, Weiber, Kinder vertilgten. Damals kam der Satz der römischen Kirche auf: »Ketzern braucht man nicht das Wort zu halten«; päpstliche Legaten schwuren auf die Hostie, daß, wenn ihnen die Ketzer die Mauern öffneten, sie nur allein mit einigen Priestern einziehen würden, um die bethörten Bewohner zu bekehren; geschah es dann, so warfen sie die Priesterkleider ab, zogen verborgene Schwerter hervor, die Reisigen der fanatisirten Glaubensarmee brachen hinter ihnen her hinein und kein Säugling auf dem Mutterarm entkam dem allgemeinen Blutbade. Beutegier, Habsucht, schürten den Eifer der Verfolgung. Simon von Montfort, Abt Arnold schlugen herrenlos gewordene Länderstrecken zu Fürstenthümern zusammen. 98 Damals war Graf Raimund von Toulouse ein ebenso unglückliches Oberhaupt der bedrängten evangelischen Bekenner, wie späterhin das Haupt der Hugenotten Coligny. Endlich flüchteten sich die letzten Reste dieses unablässigen Mordens in die Berge, in die Pyrenäen, die Alpen, die Apenninen. Jahrhundertelang erhielten sie sich dort, trotz einer sie auch hier erreichenden zweiten blutigen Verfolgung, die das Werk der neuen Kreuzritter wurde, der Jesuiten. Damals griffen sie in den Thälern Piemonts wiederholt zu den Waffen. Zu jenen tapfern älteren Namen, die mit Maccabäermuth ihre heilige Sache, Haus, Herd, Weib und Kind vertheidigt hatten, gesellten sich neue, wie Heinrich Arnaud, der in offener Schlacht mit einer kleinen Schar Tausende zurückgeschlagen hatte, sich über die steilsten Felsen Piemonts zurückzog, ein Lager in einer Schlucht wie eine Festung erbaute, acht Monate lang, nur von Kräutern lebend, mit seiner kleinen Schar gegen die Kanonen kämpfte, die auf sein Häuflein ein mörderisches Feuer von den Felswänden aus unterhielten, bis sich endlich der Tapfre mit dem Rest seiner Schar, 350 an der Zahl, einen ruhmvollen Abzug erkämpfte. Wie dann auch in Calabrien die Waldenser hingesunken waren, hatte Federigo oft erzählt. Damals starb Negrino in Cosenza den Hungertod, Pascal in Rom auf dem Scheiterhaufen.
Oft hatte Federigo mit seiner rührenden Stimme beklagt, daß besonders solche Thorheiten verderblich wären, die selbst in den Gemüthern der Edeldenkenden hätten Raum gewinnen können. Bernhard von Clairvaux, Abt eines Klosters in Frankreich, Lehrer seines Jahrhunderts, ein Orakel der Fürsten, ein Rath ihrer Rathgeber, ein Straf- und Bußprediger der Geistlichen, der den Päpsten sogar ein: Bis hierher und nicht weiter! zurief; – und auch dieser, wie die heilige, sonst so edle Hildegard, sah in den Thaten und Lehren der Waldenser nur die Eingebungen des 99 Teufels –! Ambrogio Negrino und Hubertus waren nicht befähigt, sich zu all den Bildern und Erinnerungen aufzuschwingen, die von Paolo Vigo's fiebernderregten Lippen kamen. Herr, erleuchte die Weisen! verstanden jetzt auch die Ankömmlinge aus Federigo's Rede. Mildere ihr Vertrauen auf die eigene Kraft! Wecke dem Guten und Gerechten Deine Fürsprecher im Rath der Großen! Ersticke den Durst nach Rache im Gemüth beleidigter Machthaber! In der That, es schien als wollte Federigo von seinen Freunden Abschied nehmen. Mehr als sonst riß ihn heute seine Rede hin. Er berührte kirchliche Punkte. die er sonst vermieden hatte – er wollte niemanden die Möglichkeit nehmen, mit seinem Pfarrer in leidlicher Verbindung zu leben. Mit großer Wehmuth sprach er: Der heilige Bernhard kann uns in vielem ein Vorbild sein – hochragend wie jener Berg im Norden, der mit ewigem Schnee bedeckt, seinen Namen trägt! Wisset, daß Bernhard jene Lehre, nach welcher auch die Mutter Jesu ohne Sünde empfangen sein soll, sündhaft nannte –! Ihr fragtet mich darum, weil der Heilige Vater diese neue Lehre zu verehren befohlen hat –! Nun wohl! Eines Weibes Name ist heilig, wohl trägt Maria die Erdkugel in Händen, wenn Maria die Kraft bedeuten soll, deren ein schwaches Weib im Aufschwunge ihres Willens fähig ist. Wohl ist zu fassen möglich, wie die alte wilde grausame Zeit, die heidnische, die selbst des Heilands spottete, der sich am Kreuze selbst nicht hätte helfen können, doch vor einer Mutter erschrak, vor einer Mutter sich beugte – o noch den Mörder befällt vor seiner Hinrichtung die Trauer um den Kummer, den er seiner Mutter bereitete –!
Hier stockte der Redner und wollte abbrechen. Aber einige Stimmen unterbrachen ihn und deutlich vernahm man aus einem schlichten Hirtenmunde, der dazwischen sprach, die Worte: Wo Maria dann auch ganz die Königin des Himmels werden soll, 100 wo bleibt ihr Sohn? Wie kommt da der wahre Mittler zu seiner ihm allein gebührenden Ehre?
Im höchsten Grade gespannt horchten die Ankömmlinge und sogen die Worte ein, mit welchen Federigo erwiderte: Lasset das gehen –! Seht, es war ja sogar ein anderer Heiliger – Bonaventura sein Name – ein Heiliger, der zur Zeit jenes Bernhard lebte – auch der hat den Psalm David's genommen: »Herr, auf dich traue ich, laß mich nimmermehr zu Schanden werden!« – und hat in jedem Seufzer des Vertrauens und der Liebe zu Gott an die Stelle Gottes – ruchlos, um es nur auszusprechen – ein Weib mit seinen menschlichen Fehlen und menschlichem Elend gesetzt: »Maria, auf dich traue ich –! Mutter Gottes, du hast mich erlöset!« So den ganzen Psalm hindurch –! Und dennoch verdanken wir auch dem heiligen Bonaventura so viel Entsiegelungen der frischesten Lebensbrunnen des christlichen Geistes –!
Nein, unterbrachen die Stimmen der Aufgeregten, er lästerte –!
Ich beschwöre euch, rief Federigo, habt Mitleid mit jenen armen Verblendeten, in deren Schoose ihr, kummervoll genug ihre Bräuche theilend, voll Bangen und voll Zagen lebt! Laßt sie die Altäre zu Ehren einer hochbegnadeten Frau mit Zierrath und mit Bändern schmücken –! Laßt sie ihr Gebet des Morgens, des Mittags und des Abends wenigstens an Etwas richten, was mit dem Heiland verwandt ist –! Aber das ist wahr (nun erhob sich die Stimme des Sprechers, von dem man sah, daß ihn die Gesinnungen seiner Umgebungen fortrissen), wenn es Maria ist, die uns erlöst und vor Gott vertreten soll, so konnten jene Räuber, die mit dem Giosafat eure Hütten verbrannten, eure Heerden raubten, auf ihrer fühllosen Brust getrost ihr Bildniß tragen –!
101 Eine freudige Zustimmung ging mit Zornesruf durch die Reihen.
Wehe einem Kind, fuhr Federigo, aufgeregt und ganz sich nun vergessend fort, das für seine Bewährung im Leben nur die Nachsicht einer Mutter hat! Nie, nie, wenn auch heute in Spezzano die Lampen brennen werden, nie sollt ihr auf die Fürsprache der Mutterschwäche hoffen! Denkt an die klugen Jungfrauen, die im Dunkeln ihr Oel hüteten und die Lampen nur anzündeten, wenn ihr rechter Bräutigam, der Heiland, kam! Nein, ich sehe es, ihr glaubt nicht an die Wahrheit eines gotteslästerlichen Bildes, das sich in einer der großen und herrlichen Kirchen Milanos befindet und das einen Traum unsres heutigen heiligen Bernhard darstellen soll –! Zwei Schiffe steuern dem Himmel zu; des einen Steuer führt der Herr; des andern Maria. Jenes bricht zusammen und seine Mannschaft sinkt in den Abgrund; dieses gleitet sicher dem Hafen des Himmels zu – Maria streckt ihre hülfreiche Hand nach den Scheiternden aus und nun kommen auch sie in den Hafen der Gnade, sie, die mit Christo verloren sein sollen, sie, jetzt nur noch, im Angesicht des hülflosen Jesus, erlöst durch Maria –!
Ein Ausruf des Schreckens über solche Lehren theilte sich selbst Negrino, Hubertus und Paolo Vigo mit.
Zorn regt sich in eurer Brust? sprach Federigo – Eure Blicke sagen: Nimmermehr kann solches ein Heiliger auch nur geträumt haben! Ihr sprecht: Du von Rom verrathener, von Rom auf das Steuer eines untergehenden Schiffes verwiesener Heiland, du, du bist allein der wahre Führer! Deine Hand streckte sich einst über die Wellen aus und ließ den Verzagenden darüber hinwegschreiten! Der Nachen, den du, du gezimmert hast, Sohn des Zimmermanns, die Flagge, die du als Wahrzeichen aufgesteckt, sie, die dein mit dem Blut beschriebenes Kreuz trägt, 102 sie sollte nicht die glückliche Fahrt, die Einkehr in den Hafen der Seligen gewinnen? Doch wohin verirren wir uns – meine Freunde! Ihr müßt in eure Wohnungen zurück – müßt wieder sein, was drei Jahrhunderte euch zu sein gezwungen haben – müßt mit dem schuldlosen Nachkommen der Mörder euerer Urväter leben – Vergebt ihnen im Geiste der Liebe und Hoffnung! Versagt euerm Priestern nicht die Spenden, die sie noch begehren dürfen! Auch die Spenden der Andacht nicht, die in diesen Ländern üblich sind! Ein Korn reinen Goldes ist immer noch selbst bei dem schlechten Blei der verdorbenen Lehre! Noch ist die Zeit nicht reif, wo der Schmelztiegel Gut und Böse scheiden wird! Aber das Lamm wird bald das fünfte Siegel aufthun, von welchem ich euch oft schon gesprochen habe! Unter den Altären des Himmels werden die Seelen derer, die erwürgt wurden, um des Wortes Gottes willen zu zeugen beginnen, daß es auf Erden weithin widerschalle! Die Stunde kommt näher –! O, bald wird die Freiheit im Glauben und Denken auch für Italien anbrechen! Auch in diese Thäler wird der Lichtstrahl einer neuen Sonne dringen! Läutert euch für diesen großen Augenblick! Thut das Gute, tragt im Herzen euren reinen Sinn und eure geläuterte Hoffnung! Wenn ich – ach! heute von euch scheide – ja, Geliebte ich scheide von euch! Es ist das letzte, letzte – Mal –
Warum mußte nur das Ohr der drei Ankömmlinge und aller in Thränen gebadeten Hörer so gebannt sein vom allgemeinen Schluchzen, Wehklagen, von den Thränen des Redners, daß jene sich still hinter einer der Bluteichen verbargen und die Worte ihres Freundes und Lehrers nicht stören mochten –! Denn nunmehr mußte Hubertus, der Schärferspähende, die erstickte Abschiedsrede Federigo's unterbrechen, auf die ihnen gegenüberliegenden 103 waldbedeckten Berge deuten und wie ein Verzückter in wilder Hast rufen: Besteigt den Nachen Jesu! Rettet, rettet euch!
Und auch aus dem um den Greis zusammengedrängten Haufen mußten nun wol andere, die seinen Leib zu umfassen, seine Hände, seine Füße zu küssen nicht hindurchdringen konnten, ihr Auge auf die von Hubertus bezeichnete Stelle gerichtet und unter den Bäumen an einzelnen offenen Stellen dieselbe Störung erblickt haben. Ihr Ruf fiel in den des Mönches ein.
Voll Entsetzen erkannten Paolo Vigo und Ambrogio Negrino, die mechanisch dem voranstürmenden Hubertus gefolgt waren, die Flinten der gefürchteten Jäger von Salerno, die in der That, unabhängig vom Corps in San-Giovanni, über den Aspropotamo und Gigante gekommen waren.
Schon stand Hubertus mitten unter den in noch wildere Aufregung gerathenden, theilweise zu den Waffen greifenden Verbündeten. Die Frauen flüchteten sich schreiend zu ihren Karren. Die Kinder drückten sich weinend an ihre Väter, die rathschlagend zusammentraten. Hubertus hatte Federigo schnell begrüßt und seine Hand ergriffen, um ihn den Weg zu führen, den Ambrogio zum Entkommen für den sichersten hielt.
Federigo deutete gelassen auf eine andere Stelle des dichten Waldkranzes, wo sich die rothen Pünktchen mehrten, die Federbüsche an den Hüten der Jäger von Salerno. Die von San-Giovanni erwarteten Truppen hätten allerdings vor drei Stunden noch nicht eintreffen können. Dies war ein Detachement, gekommen vom Meerbusen von Squillace.
Nun war alles auseinander gesprengt und raffte die Karren, die ausgelegten Geräthschaften, die Kinder zusammen. Die Männer standen unentschlossen, ob sie zur Flucht oder zum Widerstande schreiten sollten. Heute zum erstenmal hatte ihr stetes 104 Drängen, ihr Freund und Rathgeber sollte sie über Rom, über die Priester und die Lehre der Kirche aufklären, eine Erhörung gefunden – den Greis hatte der Schmerz der Trennung fortgerissen. Vier Männer, unter ihnen Ambrogio, schwangen ihre Flinten über Federigo's Haupt. Bei ihnen war die Hitze des südlichen Temperaments von ihrer religiösen Denkart nicht überwunden. Hatte man auch nur ein Dutzend Schußwaffen, funfzehn Alpenstäbe waren mit Eisen beschlagen; die Messer, die von Fischern und Kohlenbrennern am Gürtel getragen werden, waren lang und geschliffen. Hubertus wartete nur auf das Zeichen, das Federigo geben sollte. Er selbst hatte sich mit einem: Halt da! denen gegenübergestellt, die ihn nicht kennen mochten und die jetzt auch das Erscheinen eines Mönches und eines Priesters für die Vorboten einer unentrinnbaren Gewaltthat ansahen.
Meine Freunde! rief Federigo in die wilde Bewegung hinein. Verschlimmert die Sache nicht noch mehr, als sie schon ist! Wir wissen, daß diese Krieger das Gebirge durchstreifen seit den blutigen Aufständen an den Meeresküsten. Wer weiß, ob sie uns suchen. Wo Weiber und Kinder zugegen sind, kann nichts Uebles vorausgesetzt werden.
Ambrogio Negrino mußte ihm diese Beruhigung nehmen. Er erzählte, was er in San-Giovanni gehört hatte. Paolo Vigo und Hubertus riethen, lieber sofort das Aeußerste anzunehmen und die Sicherheit zu suchen. Seit dem Aufstand der Bandiera war nicht vorgekommen, daß sich zu gleicher Zeit eine so große Anzahl von Soldaten in diesen Gegenden hatte erblicken lassen. Viele der Frauen hatten Soldaten noch im Leben nicht gesehen. Sie standen starr vor Entsetzen und mehrten die Rathlosigkeit der Männer, von denen die Mehrzahl sich vertheidigen wollte.
Federigo bat jedoch alle, sich der Sorge um ihn selbst zu 105 entschlagen und nur auf die eigene Rettung bedacht zu sein. Den Zumuthungen zur Flucht widerstand er entschieden, ordnete die Leute, daß sie sich in zerstreuten Haufen auf die Heimkehr über solche Wege begeben konnten, welche nur ihm bekannt waren. War auch das Thal so enge, daß ein aus dem Gebirgskamm plötzlich fallender, ohne Zweifel als Alarmzeichen dienender Schuß ringsum im siebenfachen Echo widerhallte, so fehlten Auswege nicht und nicht alle Gebirgsspalten konnten zu gleicher Zeit besetzt sein.
Inzwischen mehrten sich die verdächtigen Zeichen und schon wurden die militärischen Commandos hörbar.
An ein Entrinnen ist nicht zu denken! sagte zu aller Schrecken der jetzt für immer dem Verderben geweihte Pfarrer von San-Giovanni. Ambrogio und Hubertus schilderten zu wiederholter Bestätigung, was sie in San-Giovanni und Spezzano gesehen hatten.
Inzwischen war von den Entschlosseneren unter den Männern ein Rückzug angeordnet worden, der vielleicht noch über die Serra del Imperatore möglich war. Eiligst warf man die Geräthschaften auf die Karren, gebot den Kindern Ruhe, brachte die Maulthiere und Esel in Bewegung und in einer Viertelstunde war es um Federigo's Hütte still geworden. Nur noch Hubertus, Paolo Vigo und Ambrogio Negrino waren zurückgeblieben.
Inständigst bat sie der Greis, jenen Felsenspalt, den er kannte und für vollkommen sicher erklären mußte, statt seiner aufzusuchen. Eilt euch, meine Freunde! sprach er. Kümmert euch nicht mehr um mich! Meine Stunden sind gezählt und ich habe nicht einmal eine schlimme Hoffnung für mich – ich habe sie nur für euch.
Wir sind dort alle sicher, entgegnete Ambrogio.
106 Ich beschwöre euch, geht allein! wiederholte Federigo. Ich suche mein Ende! Laßt mir, was mir beschieden ist –! Ich versichere euch, es wacht nicht nur Gott über mich, sondern auch manche Freundesseele unter den Menschen. Soll ich euch, meine geliebten, theuern Freunde, unglücklicher machen, als ihr es jetzt schon mit euerm getheilten, zaghaften Herzen seid? Gott ist mein Zeuge, ich pflanzte nichts in euch, was nicht schon in euch war! Ich hielt euch zurück, euch den größten Gefahren preiszugeben. Wenn ich mich dem Drängen nach Entscheidung heute fügte, so ist es billig, daß mich die Folgen allein treffen. Flieht, flieht –! Bewahrt euer Geheimniß, lehrt diese Menschen das ihrige hüten – bald brechen neue Zeiten an! Vielleicht vernimmt noch euer Ohr den Sieg des Evangeliums von Rom auf!
Während dieses Wettstreits – die Verehrer des Greises wollten sein Schicksal theilen – mehrte sich ringsum die Unruhe. Das Thal wurde lebendiger. Von Aexten getroffen brachen hie und da die Zweige zusammen. Hier blitzten Flinten auf, dort entluden sich schon andre. Federigo wehrte Hubertus, der ihn auf seinen Armen forttragen wollte. Rettet nur euch! bat er wiederholt. Für mich ist gesorgt!
Alle starrten, als sie sahen, wie Federigo jetzt in seine Hütte trat, dort ein brennendes Licht ergriff, die Flamme an die von dürrem Moose gefugten Wände hielt und seine Einsiedelei in Flammen steckte.
Paolo Vigo suchte das verzehrende Feuer abzuhalten von den Gedankenschätzen, die hier in Büchern und Blättern aufgehäuft lagen und aus denen er jahrelang Trost und Erhebung geschöpft hatte. Aber die Papiere und Bücher brannten schon und bald züngelte die Flamme um die ganze Hütte.
Gedanken an Rettung und Flucht verließen nun die drei 107 Freunde gänzlich. Willenlos ließen sie den Greis gewähren. Sein Betragen war seltsam. Fast war es so, als käme ihm dieser Ueberfall erwünscht, ja als wäre er selbst früher oder später auf einen solchen vorbereitet gewesen.
Aus dem Brande ergriff er einige wenige Bücher, um sie zu retten und seltsamerweise noch drei Stäbe, von denen er jedem der Freunde einen mit den Worten einhändigte: Schützt euer Leben und euere Freiheit – Bewahrt aber, jeder von euch, wie nur irgend möglich, diesen Stab, den ich euch auf die Seele binde –!
Nun vollends blieben sie wie angewurzelt stehen.
Er wiederholte seine Worte und setzte hinzu: Sucht euch mit äußerster Anstrengung diese Stäbe zu erhalten –! Wenn ihr nicht entweichen wollt, ihr Armen, so bitt' ich nur noch dies! Es kommt ein Augenblick, wo ich oder irgendwer euch mittheilt, welche Anwendung ihr von diesen Stäben zu machen habt.
Die Hütte brannte jetzt nieder. Eine Viertelstunde darauf waren alle vier auf einer rauchenden Trümmerstätte die Gefangenen der Inquisition.
Fünfzehn auf der Flucht noch aufgegriffene Männer, an ihrer Spitze auf einem und demselben Karren Federigo, Hubertus, Paolo Vigo und Ambrogio Negrino, kamen am Abend desselben Tages zu Spezzano nicht nur von Reitern und Fußvolk geleitet an, sondern vom Schwarm der Bewohner des halben Gebirgs. Grade war das Kirchenfest von Spezzano mit all den Späßen, die beim Flimmern von tausend Lichtern und Lampen die Gottheit, wie die Chinesen den Neumond feiern, im vollen Gange. Die Ketzer von den Bluteichen! hieß es – Und mancher staunte, darunter einem allen Bekannten zu begegnen. An der Spitze des Zugs befand sich der »Hexenmeister« selbst, jener Greis, der von den Fanatikern verspottet, von den meisten mit 108 unheimlichem Grauen betrachtet wurde. Die Mehrzahl wurde nach Cosenza abgeführt. Die vier verbundenen Freunde kamen nach Neapel.
Der Abschied, den sie von einander und von den Ihrigen nahmen, ließ selbst die von ihrem Pfarrer fanatisirten Bewohner von Spezzano glauben, daß die Ketzer Menschen bleiben wie andere. Das Weinen der Frauen steckte an. Die Volkshaufen konnten zuletzt von den Mönchen und Priestern, die anhetzen wollten, nicht mehr recht zu Beschimpfungen entflammt werden. Am meisten rührte der Abschied, den Rosalia Mateucci von ihrem in San-Giovanni in solcher Lage begrüßten Bruder, dem Pfarrer Paolo Vigo, nahm. In Spezzano entriß ihm zwar eine Frau das Kind, das er segnen wollte, aber das halbe San-Giovanni, das bis Spezzano mitgezogen war, trat dazwischen und Scagnarello erbot sich sogar, die weinende Rosalia nach Cosenza umsonst zu fahren. Was sie an Geld bei sich trug, hatte sie dem heißgeliebten, unglücklichen Bruder aufgezwungen, den in so unwürdiger, nunmehr diesseits und jenseits verlorner Erniedrigung wiederzusehen ihr das Herz brach. Paolo Vigo sprach laut über die Freude, leiden zu dürfen um des Heilands willen. Als er sogar laut betete, senkten sich die Häupter. Niemand unterbrach seine feierlich erhobene Rede.
Paolo Vigo zog allem, was ihn treffen konnte, das Glück vor, bei Federigo zu sein. Alles hatte man ihm genommen, nur den Stab nicht, den auch die beiden andern Gefangenen trugen. Der Pfarrer von Spezzano zeigte dem Guardian von San-Firmiano, der seinen beiden Klosterangehörigen bis Spezzano gefolgt war, eine Vollmacht des Erzbischofs von Cosenza, welcher zufolge das Kloster die beiden Leviten nicht reclamiren durfte.
Rosalia Mateucci schwur dem hochheiligsten Erzbischof von 109 Cosenza eine Rache – wie sie nur vom Blick einer Neapolitanerin begleitet sein kann.
Transporte von Gefangenen waren und sind in diesem Lande an sich etwas Gewöhnliches. Der Wagen, begleitet von sechs Schweizer-Dragonern, glitt niederwärts – der kreidigen, staubbedeckten Landstraße und– den blauen Wogen des Meeres zu – hin nach Neapel, wo Hubertus, sich allein als den Urheber aller dieser Schrecken mit Verzweiflung anklagend, nur einen einzigen, alle seine Empfindungen in einem Bilde der Vernichtung zusammenfassenden Gegenstand suchte – die Rauchsäule des Vesuv.