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Nach Beisetzung der Gräfin in der von ihr selbst erbauten, oberhalb Castellungos in den Bergen liegenden Kirche der Waldenser, einer Feierlichkeit, zu welcher auch aus den Bergen und aus der Tiefe des Thals die Rechtgläubigen, Jung und Alt, herbeiströmten, aus den Thälern von Saluzzo und Pignerol, wo die Waldenser in Masse wohnen, von allen Gemeinden die »Barben«, »Evangelisten«, »Moderatoren« – nach diesen Tage hätten nun ruhigere Stunden eintreten können, wenn nicht die politische Welt die Aufregung wach erhalten und nun auch Hedemann's Abschied vom Leben sich genähert hätte. Die Freude am Tod war bereits wieder bei ihm eine solche, daß er sich in seinen Gebeten Vorwürfe machte, ihn so eifrig zu wünschen.
Rom war inzwischen gefallen. Die letzten Spuren der Revolution wurden in ganz Italien getilgt. Die ersten Vorzeichen jener Zeit brachen an, die in drei Jahren wieder die Kerker nur des Kirchenstaats allein mit sechstausend Menschen füllen sollte.Thatsache. Fefelotti ergriff jetzt auch noch das weltliche Ruder außer dem geistlichen. Staat und Kirche gehörten ganz den zurückkehrenden Jesuiten.
109 Auch im kirchlichen Leben der Umgegend zeigte sich so manche Wiederkehr des Alten. Die Jesuiten hatten in Coni ein von Fefelotti begünstigtes Collegium besessen, das sie freilich nicht wieder beziehen durften, da sie Sardiniens Verfassung verbannte. Aber schon war in Schule, Staat und Kirche ihr dennoch geheimwirkender Einfluß bald wieder ersichtlich. Robillante und Pignerol waren zwei Bischofssitze, die ausdrücklich schon lange durch Männer besetzt wurden, die dem deutschen Eindringling, dem Erzbischof von Coni, wo sie nur konnten, wehren sollten.Monsignore Charvaz, Bischof von Pignerol, warf sich Karl Albert von Sardinien zu Füßen, um ihn von seinen Begüngstigungen gegen die Waldenser zurückzuhalten.
Der Oberst und Monika konnten inzwischen dem Grafen im Ordnen des Nachlasses seiner Mutter, in Auszahlung einer Menge von Legaten an die Gemeinden der Thäler hier und drüben am Fuße des Monte Viso behülflich sein. Der Graf war es, der am meisten darauf drängte, daß Paula nach ihrem Wohnhause in Coni zurück sollte. Armgart wollte sie begleiten. Wohl sprach sie ihr dringendstes Bedürfniß aus, den Erzbischof zu begrüßen, der sich, seiner Stellung gemäß, vom Leichenbegängniß der Gräfin hatte entfernt halten müssen.
Monika, die zwar zu Paula's Heirath dringend gerathen hatte, empfand und tadelte nun doch, was sie das Anstößige dieser Beziehung nannte, im höchsten Grade. Hatte sie schon sonst die Partie des Grafen genommen und ihn über das Meiste entschuldigt, was sich seinen jungen Jahren vorwerfen ließ, so erklärte sie vollends mit ihm Mitleid zu haben, seitdem sich jenes mystische Dreiblatt gebildet hatte, dem womöglich fern bleiben zu wollen sie sich auf Schloß Bex gelobt hatte. Nun sah sie dies Verhältniß einer »Standesehe« in nächster Nähe. Und 110 das sei denn die rechte Höhe, sprach sie schon eines Tages in Paula's Gegenwart, Opfer über Opfer anzunehmen, nur deshalb, weil man wisse, sie würden von schwachen Menschen ohne Murren dargebracht –! Ja sie sagte schon zu ihrem Gatten: Der Graf leidet, weil er Paula liebt – und zu Armgart: Auch Paula, scheint es, ringt mit ihrem Herzen, weil sie den Grafen mehr als achten muß –!
Daß Paula und Armgart zum nächstbevorstehenden Bonaventura-Tage in Coni sein und der Celebration der Messe durch den Erzbischof an diesem Tage beiwohnen wollten, konnte Monika nicht hindern. Doch bekam es Armgart bitter zu hören, warum sie gerade diesen Tag wählen wollten. Die Mutter sagte, sie könne den Doctor Seraphicus, wie in der Vätergeschichte St.-Bonaventura heißt, nicht im mindesten zu jenen Bekennern und Märtyrern zählen, die allenfalls auch die Freude des evangelischen Sinnes sein dürften.
Ich schätze den heiligen Bonaventura noch höher, entgegnete Armgart, als die andern Märtyrer, die nur zufällig in den Tod gingen und der Nachwelt nichts von ihrem Leben hinterlassen haben.
Von ihrem Leben? entgegnete aufwallend die Mutter. Dieser Johannes von Fidanza, so hieß der heilige Bonaventura, ist das Prototyp aller katholischen Schwärmer! Mit seinem sogenannten Gemüth hat er alles erklären und verschönern wollen, woran wir noch heute leiden. Was nur immer Gregor und Innocenz aus weltlichen Rücksichten für die Kirche erfunden haben, das umgab dieser Mensch mit dem Schein beinahe der Philosophie! Mariendienst, Cölibat, Entziehung des Kelches – alles, was das Tridentinische Concil später in seine todesstarren Formeln gezwängt hat, brachte der heilige Bonaventura als Gemüthssehnsucht in Curs, gerade wie auch jetzt wieder mit dem 111 Dogma der ohne Sünde geboren sein sollenden Mutter Gottes geschieht. Mir ein Räthsel. wie euer Erzbischof zu den Freisinnigen zählen kann, schon in Deutschland unter den Anfechtungen der Fanatiker leiden mußte und immer noch seine Krone, immer noch seinen Krummstab trägt –! Wären solche Männer vor einigen Jahren wahr gewesen und in den Zeiten der Bedrängniß zu uns übergetreten, wie anders stünde es mit der Sache des Lichts und des Evangeliums!
Hedemann und der Vater dachten ebenso und sagten das Nämliche.
Armgart aber stritt schon lange nicht mehr gegen diese stete Verurtheilung, seitdem sie für ihre frühere Behauptung, daß Bonaventura seine Erhöhung weder Lucinden noch Olympien verdankte, kürzlich Recht erhalten hatte. Ihr richtet und richtet, wie ihr's eben versteht! sprach sie damals und verwies auf bessere Erkenntniß der wahren Sachlagen, wenn sie auch leider meist im Leben zu spät käme. Hier in Castellungo wurde für bestimmt eine schon früher von Paula brieflich ausgesprochene Versicherung wiederholt, daß der aus Robillante gebürtige Cardinal Vincente Ambrosi vor zehn Jahren in Rom der eigentliche Freund und alleinige Fürsprecher Bonaventura's gewesen. Armgart verwies auch jetzt die Ankläger auf die Siege, deren sie sich ja täglich rühmten. War nicht vor kurzem der vom greisen General der Kapuziner als Dekan der Studien über die römischen Theologen als Examinator gesetzte de Sanctis, Professor der Theologie, Parochus an Maddalena, Beichtvater in den Gefängnissen der römischen Inquisition, von den Jesuiten in seinen wahren Gesinnungen erkannt, gefangen gesetzt worden, entflohen und in Malta zum Protestantismus übergetreten –?1847. Wisset 112 ihr, sagte sie mit Ironie, was in Bonaventura's Innern vorgeht und was euch vielleicht von ihm noch alles werden kann?
Die hinterlassene Bibliothek der Gräfin war eine Fundgrube der interessantesten Anregungen für Monika, den Obersten und Hedemann. Auch Baldasseroni und Giorgio waren Männer, die auf Kosten der Gräfin in Genf, Tübingen und Berlin studirt hatten. Ihr Ton gab sich milde und rücksichtsvoll – sie wußten, was bei ihrer jetzigen Schloßherrschaft zu schonen und zu achten war. Auch sie gaben dem Erzbischof das Zeugniß, daß allein schon sein persönliches Erscheinen in Rom alle Intriguen hätte entwaffnen müssen und daß er noch täglich diese Macht der Beschämung über seine Gegner ausübe.
Ein Glück, daß Armgart's Vater die Schroffheiten der Mutter milderte. Eine Rechtfertigung der amerikanischen Weise, sich zur Religion zu verhalten, sagte er beim Durchmustern eines Schranks voll Alterthümer und beim Anblick einer kleinen Schale, die wie eine Tasse aussah, aus welcher Huß einst den Wein beim Abendmahl dargereicht haben soll, find' ich in dem Schicksal des Kelches. Das Trinken aus einem und demselben Gefäß ist vielleicht in der That nur einer Gemeinde möglich, wo sich alles so persönlich nahe steht, wie zur Zeit der Apostel und der ersten Bekenner. Wo noch der Liebeskuß als Gruß der Verbundenen möglich war, blieb auch die Ertheilung des Kelches möglich. Als jedoch die christliche Lehre Staatskirche wurde, als ganze Völker im nächsten besten Flusse getauft werden mußten, mußte vieles von den ersten Satzungen des Glaubens verloren gehen. Welcher Reiche gab da noch gern seine Reichthümer hin und warf sie, statt in die Kasse einer ihm befreundeten Gemeinde, in das weite, wüste Meer des Proletariats! Wer setzte noch gern die Lippe an ein Gefäß, aus dem Hunderte und noch dazu zur Zeit der einst so allgemeinen Pest und des 113 Aussatzes tranken! Man hat das Christenthum eine Weltreligion genannt; sie ist es auch dem Geiste nach, nicht nach dem Buchstaben. Wer den apostolischen Anfängen nachgehen will, muß die Freiheit Amerikas wünschen, wo sich jede Form, Gott zu dienen, auf eigene Art befestigen kann. Geschieht es dort würdelos, so ist nur der Mangel an Bildung schuld. Unsere Gotteshäuser und die Priester, die in ihnen lehren und Ceremonien abhalten, sollten, wie ich von Ihnen höre – er wandte sich an Baldasseroni – nach dem Ausdruck des Bruders Federigo nur noch Hüter und Wächter des Christenthums sein, gleichsam die Sänger, die Dichter, die Historiker der Kirche – ohne sich den mindesten Eingriff in die Lebens- und Gesellschaftsformen gestatten zu dürfen –!
Solcher Streitigkeiten gab es dann viele. Sie konnten zu tagelangen Verstimmungen führen – namentlich wenn Armgart sagte: Ein Einzelner gewonnen ist nichts – Könige, die ohne ihre Krone kommen, sind vollends nichts; sie müssen ihre Reiche mitbringen!
Wieder den heutigen Streit unterbrach Paula's Eintreten. Schon hatte Armgart, musternd unter den waldensischen Schwertern, hussitischen Kelchen, den alten Bibeln, Luther- und Zinzendorf-Ringen gesagt: Ihr habt doch auch eure Reliquien!
Zu einer Erwiderung kam es nicht, da Paula allerlei Geschäfte mitbrachte, die sich auf die sittlichen Zustände der Gegend bezogen. Seit dieser langen Reihe von Jahren hatte Graf Hugo für sich und Paula den Weg der Zerstreuung eingeschlagen. Nicht nur beschäftigte er sich selbst und Paula mit einer umsichtigen Pflege der hier so reizenden und reichen Natur, sondern auch mit den Vorkommnissen seiner gesellschaftlichen Beziehungen, mit Aufgaben der Wohlthätigkeit. Der gute Wille, nützlich sein zu wollen, 114 ist bei gebildeten und gutgearteten Vornehmen immer rege und hier kam ein fast ängstliches Verlangen hinzu, durch solche äußere Werkthätigkeit aus dem Versenken in zu große Innerlichkeit entfliehen zu können.
Monika mußte freilich schon wieder lächeln, wenn sie sah, mit welcher emsigen Umständlichkeit und mit welchem offenbaren Nichtberuf für praktische Bewährungen die junge Schloßherrin, nun die souveräne Gebieterin von Castellungo, die an Glücksgütern gesegnete Herrin von Westerhof, von Schloß Salem, Besitzerin eines Palastes in Coni, ihre unerschöpfliche Wohlthätigkeitsliebe zu einer segensreichen und mit Vorsicht gespendeten zu machen sich mühte, wie sie in die Hütten der Armen trat, momentane Hülfe, aber selten, nach Monika's Meinung, den rechten Rath und die rechte Warnung brachte. Sie weiß nicht, sagte sie, wie sie sich schon mit ihrer Krone am Giebel der Eingangsthür in solche Hütten den Kopf stößt, vollends, wie sie zuletzt bei solchen Leuten mehr Aufsehen und Schrecken, als Freude, wenn nicht gar Schlimmeres, zuweilen Spott, hinterläßt! Sie spricht mit diesen Menschen wie ein Buch. Sie werden sie alle zu Gevatter bitten – Das pflegt noch die nützlichste Folge solcher vornehmen Herablassungen zu sein.
Da nach dem Wunsch des Grafen, dem gleichfalls solche Herbigkeiten nicht erspart wurden und der dann oft träumerisch von Wien als von einem Ausweg aus allen diesen Labyrinthen sprach, der Oberst fürs erste hier als Verwalter wohnen bleiben sollte – auch gegen die winterlichen Verheerungen der Berggewässer sollten Brücken und Wehre gebaut werden – so sammelte auf dem Schlosse schon allabendlich Monika die hervorragenderen Persönlichkeiten der Umgegend zu einem behaglichen Kreise und hatte für diese sichere und feste Einwohnung ganz den Beifall sowol des Grafen wie der gütigen Paula, deren weicher Sinn 115 keiner ihrer Schroffheiten aufbieten und trotzen konnte. Die italienische Sitte kennt nicht die deutsche Unterscheidung zwischen den Ständen. Der größte Theil des umwohnenden Adels war nach deutschem Gesichtspunkt eine wohlhabende Bauernschaft – die Contes und Markeses ritten mit hohen Ledergamaschen über ihre Felder und sprangen nicht selten ab, um bei den Arbeiten mit anzugreifen. Aeltere Diener gehörten mit zur Familie. Gemeindevorsteher, Forstwarte, Recheneibeamte sammelten sich allabendlich in den unteren Räumen des Schlosses und selbst der Graf und der Oberst setzten sich zu ihnen und verschmähten nicht den Trunk aus dem gemeinschaftlichen Kruge. Einige reiche Seidenweber, die zu den Waldensern gehörten, hatten sich sonst allabendlich auf dem Schlosse im engern Kreise der verstorbenen Gräfin eingefunden; sie blieben auch jetzt nicht aus; um so weniger, als in der That das Benehmen des Grafen die Besorgniß erwecken durfte, die Mutter hätte in seiner Seele recht gelesen. Man sah ihm eine große Unruhe an; man fürchtete allgemein den Verkauf Castellungos, ja sogar seinen Religionsübertritt. Wenigstens schiene ihm, sagte man, daran zu liegen, nicht allein nach Oesterreich zurückzukehren, sondern nur mit Paula, für welche es dann, so offen lag allen das bekannte Verhältniß mit Coni, eine letzte große Entscheidung geben müßte.
Des österreichischen Grafen vertrauliche Stellung zum Erzbischof hätte dem letztern in den Augen der Italiener schaden müssen, wenn nicht die alte Gräfin so beliebt gewesen wäre und seinerseits auch Bonaventura ein Anhalt der Freigesinnten. Schon mit dem Hirtenstab des Bisthums Robillante hatte er gewagt, den Neuerungen Fefelotti's Kampf zu bieten. Als er dann zur Verantwortung für die Vorwürfe, die er den Dominicanern wegen Frâ Federigo zu machen gewagt hatte, nach Rom gefordert wurde und, statt daselbst verurtheilt zu werden, von dort 116 als Nachfolger Fefelotti's heimkehrte, hatte er den muthigsten Kampf begonnen, den ein Fremder auf diesem gefahrvollen Boden nur wagen konnte. Dem Colleg San-Ignazio zu Coni entzog er sogleich eine Kirche, auf welche die Patres Jesuiten, damals noch nicht verbannt, Ansprüche machten – er setzte bei den Stadtbehörden durch, daß diese ihn in seiner Weigerung unterstützten. Ein gewöhnliches Hülfsmittel der Jesuiten, das sie bei neuen Niederlassungen, um sich die Herzen der Umwohner zu gewinnen, anwenden, besteht in dem Schein bitterster Armuth, den sie sich geben. Plötzlich erschallt dann durch die Stadt die ängstliche Kunde, die unglücklichen Väter verhungerten hinter ihren Mauern. Nun rennen fanatische Sammler durch die Häuser und rufen um Hülfe. Man bricht fast gewaltsam mit dem gesammelten Gelde, den Speisen, den Kleidungsstücken in das Colleg ein und findet auch in der That die armen Väter beim Gebet – verschmachtet, abgezehrt, vom gezwungenen Fasten fast leblos.Vor einiger Zeit so auch zu Münster in Westfalen geschehen. Bonaventura bewies jedoch dem Rector Pater Speziano, der dieselbe Komödie aufführte, und dem Magistrat der Stadt, daß das Colleg aus dem Profeßhause in Genua eine regelmäßige Einnahme bezog, die weit über die Einkünfte der sämmtlichen anderen Klöster der Stadt zusammengenommen ging. Den Bischof von Pignerol zwang er, ein höchst gehässiges Institut zu schließen. Man entzog unter allerlei Vorwänden den Waldensern ihre Armenkinder, besonders ihre Waisen, taufte sie schnell nach römischem Ritus und gab sie nicht wieder heraus. Jedes uneheliche Kind der Waldenser gehörte an sich schon diesem »Ospizio dei Catecumeni«. Als vorgekommen war, daß eine Gefallene, um ihr Kind zu behalten, sich auf die höchsten Spitzen des Monte Viso vor den Gensdarmen geflüchtet hatte und Kind 117 und Mutter im Schnee elend umgekommen warenThatsache., wallte Bonaventura's Zorn so auf, daß er nicht eher ruhte, bis jenes Ospicio geschlossen wurde. Das Verkommen im Schnee – – gehörte ohnehin zu den erschütterndsten Vorstellungen seines Gemüths; zumal, da seines Freundes, des Cardinals Vincente Ambrosi, Vater, Professor der Mathematik in Robillante (er erfuhr dies zu seiner höchsten Ueberraschung in Rom), seinerseits eines solchen Todes wirklich im Alpenschnee verstorben war.
Von Genua aus, wohin sich Gräfin Sarzana begeben hatte, als sie wagte, wieder von den »Lebendigbegrabenen«, in deren Kloster sie sich geflüchtet hatte nach dem Attentat ihres Mannes auf Ceccone, ans Tageslicht zu kommen, wurde der Kampf mit den freisinnigen Richtungen Italiens erbittert geführt; Genua galt für die Pforte der Mazzini'schen Einflüsse und des englischen Ketzerthums. Fefelotti bot alles auf, die weibliche Bundsgenossenschaft der Jesuiten gerade in Genua zu mehren und zu kräftigen. Ein Orden, der sich offen »Jesuitessen« nannte, »Töchter Loyola's«, gestiftet vor zwei Jahrhunderten, hatte sich nicht erhalten können; Papst Urban VIII. schaffte ihn schon 1631 ab. Aber unsere Zeit hat diesen Orden erneuert – vorzugsweise in den Damen vom Heiligen Herzen Jesu (Sacré Coeur). Sie leiten, scharenweise von Frankreich kommend, die Erziehung der vornehmen Stände und halten auch außerhalb ihrer Klöster Schulen für die ärmere Klasse; sie sind in weiblicher Sphäre das, was die Väter der Gesellschaft Jesu für die Erziehung in männlicher sind. Wo diese Heiligen Schwestern vorangehen, folgen ihnen in noch nicht einer Generation ihre Brüder, die Jesuiten, nach. Sie bereiten ihnen den Weg; sie wecken in den Familien, bei allen Müttern, Vätern, Kindern, 118 eine solche Sehnsucht nach diesen Rathgebern nicht nur der Seele für ihre jenseitige Bestimmung, sondern des ganzen auch diesseitigen Lebens, daß die Berufung der Väter nicht lange ausbleibt. Umwälzungen folgen dann in den Familien, in der Gesellschaft. Der süße Ton der Andacht, verbunden mit den feineren Rücksichten der Geselligkeit und Eleganz, führt dieser Congregation des Sacré Coeur alle jungen weiblichen Herzen zu. Mütter, oft bereuend, was sie selbst in ihrem Leben verschuldeten, glauben in ihren Töchtern durch so zeitige Fürsorge alles nachholen zu können, was sie an sich selbst versäumten. So strömte auch in Genua und Turin die weibliche Jugend den Herz-Jesu-Damen zu. Zweigvereine bildeten sich unter dem Namen der »Dorotheïnerinnen« bei den Frauen, der »Raffaëliner« bei den Männern, der »Leonhardiner« unter den Klerikern. Die obere Leitung aller dieser weitverzweigten und auf ein System gegenseitiger Ueberwachung (in den lieblichsten Ausdrücken, als: »Bewahre dir den Duft der geistlichen Blume zur einstigen festlichen Ausstellung am Altare!« d. h.: Lebe so, daß es dich nie verdrießen wird, in den Conduitenlisten von andern nach deiner geistlichen Aufführung beurtheilt zu werden!« begründeten Genossenschaften hatten die Superioren der Jesuitenklöster. Ihnen gehörte das Beichtbedürfniß, Tod und Leben dieser Seelen und ihres ganzen Anhangs.
Die Stadt, das Land wußten, wie nahe der Erzbischof von Coni wiederum bei den äußersten Gefahren für seine Stellung angekommen war, als die neue Aera der Hoffnungen Italiens anbrach. Schon vorher war eines Tages Lucinde – sie zählte nun schon dreißig Jahre – in Coni erschienen und hatte, man sprach wenigstens so, dem Erzbischof aus Rom die ernstesten Warnungen gebracht. Die Leiden, die ihm dieser fast ein Vierteljahr dauernde Aufenthalt Lucindens in Coni zuzog, gehörten 119 seinem Innenleben an und konnten nur von wenigen verstanden werden. Graf Hugo war es, der die Gräfin Sarzana mit Gewalt aus der Gegend vertrieb; er erinnerte sie an Nück und den Mordbrenner Picard. Hier erst erfuhr die kleine genfer Colonie, daß Lucinde von hier nach einem Abend verschwunden war, wo auf Castellungo im Kreise der alten Gräfin, die sie nur widerstrebend empfangen hatte, die Rede auf den Bruder Hubertus kam, der noch im Silaswalde beim Eremiten Federigo leben sollte. Man hatte erfahren, daß Hubertus einen der Verräther der Brüder Bandiera entdeckt und in seinem wilden Zornesmuth gerichtet haben sollte – einen Belgier oder Franzosen, den die Emigration aus London abgesandt hatte, um von Korfu aus die Bandiera zu unterstützen. Viele behaupteten – erst jetzt erfuhren dies die alten Bewohner Witoborns – daß dieser Genosse Boccheciampo'sDer den Verrath leitete. jener Jean Picard gewesen, der ohne Zweifel den Schloßbrand in Westerhof angelegt hatte und damals spurlos verschwunden war.
Als auch jetzt wieder diese alten Dinge zur Sprache kamen, schien dem Obersten, Monika und Hedemann Lucindens Zusammenhang mit diesen Vorgängen erwiesen zu sein. Graf Hugo lehnte die Aufklärungen ab, die von ihm gegeben werden konnten. Man drängte in ihn. Erst als sogar Terschka's Name als dessen, der jenen Picard der Emigration empfohlen und später vom Scheitern der Expedition Vortheile gezogen haben sollte, mitgenannt wurde, brach man von den dunkeln, Monika, den Obersten und Armgart erschreckenden Vorgängen ab. Von Gräfin Sarzana erfuhr man, daß ihr Muth, ja ihre Keckheit, auf Castellungo zu erscheinen, ihr theuer zu stehen gekommen war. Paula hatte sie mit Artigkeit behandelt, der Graf aber nur als eine Störerin 120 der Ruhe seines Freundes Bonaventura und vollends wandte die alte Gräfin der Apostatin den Rücken. Statt ihrer erschien dann die rechte Hand Fefelotti's selbst, Abbate Sturla aus Genua. Die Welt erzählte sich, daß Sturla's erster Besuch beim deutschen Erzbischof einige Stunden gedauert hatte und bei diesem eine Aufregung hinterließ, die ihn mehrere Wochen aufs Krankenlager warf.
Bald nach Sturla's Abreise gingen dunkle Gerüchte von einer neuen Reise des Erzbischofs nach Rom, ja von baldiger Niederlegung seiner hohen Kirchenwürde, von seinem bevorstehenden Eintritt in den Benedictinerorden und seinem Uebergang in ein deutsches Kloster. Da brach die neue Aera an. Abbate Sturla, der inzwischen in Turin und Mailand gewesen – auch hier war der Erzbischof ein DeutscherGaisruck. – und über Coni nach Genua zurückkehren wollte, predigte in Robillante. Sturla erlaubte sich am Schluß seiner Rede gegen das in wenig Wochen umgewandelte Rom die Wendung: »Laßt uns beten für das Seelenheil des Heiligen Vaters! Laßt uns beten, daß Gott ihn vor dem Schicksal, ein Atheist zu werden, bewahren möge!«Sturla's eigene Worte. Da verlangte Bonaventura, daß der Bischof von Robillante dem Abbate die Kanzel verbot und zeigte den Obern desselben in Genua an, Sturla schiene ihm dem Wahnsinn nahe gekommen zu sein und müßte angehalten werden, sich Geistesübungen zu unterwerfen. Sturla floh mit der wachsenden Bewegung nach Frankreich und Spanien.Thatsachen.
Nach einer wilden, an Hoffnungen und ebenso vielen Täuschungen reichen Zeit, wo namentlich Graf Hugo in der größten 121 Aufregung lebte und unter dem Druck seines politischen Doppelverhältnisses bis zu sichtlicher Verzweiflung litt, war Sturla der erste, der wieder in Genua die alten Umtriebe begann. Noch ehe die Franzosen im Kirchenstaat landeten, erhob die Reaction ihr Haupt. Was sich zwei Jahre wie die Schwalben im Sumpf versteckt gehalten, flog wieder auf. Die Dorotheïnerinnen hatten sich in Pisa, in der Nähe von Florenz, niedergelassen. Die Leonhardiner suchten wieder die Priester für das Gelübde der »Ignoranz« zu gewinnen. Die Raffaëliner waren jene süßliche Bruderschaft, die dem Rosenbunde Schnuphase's entsprach, sich und andere als Blume pflegte und begoß und die kleinen Insekten der Fehler und Sünden, die etwa dem Wuchs der Nachbarblüte gefährlich werden konnten, in Form von Angebereien, letztere in kleine beschriebene Zettel gewickelt, in eine monatlich am Altar ausgestellte Büchse warf. Diesen Bündnissen gehörte der mächtigste Einfluß auf die politischen Wahlen für Staats- und Gemeindeleben. Nach Toscana kehrte eine Dynastie zurück, die sich gelobte, ganz nur die Jesuiten walten zu lassen. Jede Bibel, die in eines Katholiken Hand gefunden wurde, wurde verbrannt. Pater Speziano wagte aus der Schweiz nach Coni zu schreiben, er würde mit acht Priestern, fünf Scholaren und sieben Laienbrüdern zu San-Ignazio wieder einziehen und getrost das Martyrium des Kerkers erdulden. Beichtstuhl, Schule, Pensionat, Universität, Oberaufsicht der Nonnenklöster, Missionspredigt, die ganze Richtung vorzugsweise auch dieses freisinnigen Staates sollte aufs neue zu einem äußersten Kampf den Fehdehandschuh hingeworfen erhalten. Nun war Rom gefallen und die Einnahme der ewigen Stadt das Signal für die Rückkehr aller alten Positionen Fefelotti's.
Das Interesse an Ruhe und Ordnung blieb allerdings bei den Possidenti das überwiegende; selbst bei den Waldensern, 122 größtentheils fleißigen und wohlhabenden Bauern. Verwünschungen genug wurden gegen Garibaldi ausgestoßen, der einen Widerstand, der nur unnütz war, durch das Sprengen der Tiberbrücken um einige Tage hatte verlängern wollen. Allabendlich las man die Schilderungen im »Monitore Romano«, wie die einrückenden Soldaten zwar mit Zischen und dem Ruf: »Nieder mit den Pfaffen! Nieder mit den Fremden!« empfangen wurden; aber das Drama der Befreiung Italiens von äußern und innern Feinden hatte ausgespielt. Die Vertheidiger Roms hatten den Versuch gemacht, sich nordwärts durchzuschlagen. Dort kamen ihnen die Colonnen der Oesterreicher entgegen. Man erstaunte, wie Garibaldi die Trümmer seines kleinen Heeres noch bis nach San-Marino hatte führen können, wo sich dann aber alles auflöste und wohin irgendmöglich zu entkommen suchte.
Die ersten Acte der wiederhergestellten Priesterherrschaft wurden oft besprochen. Die flüchtigen Jesuiten, hörte man, waren im Al Gesù wieder eingezogen. Statt des »Monitore« kam wieder das alte censurirte »Diario«. Auch Gräfin Sarzana, las man, war nach Rom zurückgekehrt. In den Todtenlisten, die allmählich bekannt wurden, befand sich ihr Gatte als Gefallener. Eines Abends wurde unter den Verwundeten auch Cäsar von Montalto genannt.
Die Gesellschaft befand sich gerade am Vorabend des Bonaventuratages, wo in erster Morgenfrühe der Graf, Armgart und Paula nach Coni reisen wollten, im großen Speisesaal, als aus den Zeitungen diese Nachricht vorgelesen wurde. Das Gespräch war bunt durcheinandergegangen. Einigen Gutsbesitzern der Umgegend, die von Monika's Stellung zur Kirche keine Vorstellung hatten und von Hoffnungen sprachen, die man noch auf Se. Heiligkeit und dessen persönlichen guten Willen setzen dürfte, hatte diese geradezu erwidert: Solche Menschen sollen erst noch 123 geboren werden, die, wenn sie von Natur eitel sind, ertragen, daß man ihnen auch nur eine einzige ihrer gewohnten Huldigungen entzieht –! Solche Naturen schmollen ewig, wie die Koketten, die uns ein Wort über ihren Teint nicht vergeben können. Von dem erwarten Sie nichts mehr!
Paula war wegen Benno's aufgestanden. Armgart erblaßte sogleich und saß still in sich versunken. Graf Hugo nahm die Zeitungen, aus denen Baldasseroni vorgelesen hatte und wiederholte voll Schmerz: Also – Cäsar Montalto – verwundet!
Der Vater, die Mutter sahen auf Armgart. Paula wollte sich der Freundin hülfreich erweisen; denn langsam erhob sich jetzt Armgart. Man konnte zum Glück hinter der Theilnahme für eine Störung, die dem Grafen wurde, die Betroffenheit verbergen.
Diesem hatte man eben einen Brief überbracht, mit dem Hinzufügen, auf der Terrasse draußen harre der betreffende Herr, der ihn abgegeben, und wünsche den Grafen selbst zu sprechen. Graf Hugo hatte die wenigen Zeilen des Billets wieder und wieder überflogen und stand halb auf dem Sprunge, zu gehen, halb kämpfte er mit sich zu bleiben – ob aus Theilnahme für Benno, ob aus Interesse für Armgart, ob vor Erstaunen über den Brief, ließ sich nicht unterscheiden. Erst auf Paula's an ihn gerichtete Frage, wer ihn so spät noch zu sprechen käme, faßte er einen Entschluß.
Der sonst so Aufmerksame erwiderte seiner Gattin kein Wort. Wie abwesend verließ er den Saal.
Die übrige Gesellschaft fand in alledem kein Arg und blieb noch beisammen. Angeregt plauderte man durcheinander, auch nachdem Paula und Armgart sich entfernt hatten. Stumm, doch innig theilnehmend hatten ihnen die Aeltern nachgeblickt, blieben aber um so mehr im Saale, als jetzt auch der Graf fehlte.
124 Nur durch einige Zimmer brauchten die Freundinnen zu gehen, um auf eine Altane zu treten, von wo sich in den Garten blicken ließ. Es war ein milder Juliabend, der nach der brennenden Hitze des Tags die sanfteste Kühlung brachte. Der Mond, dessen vollen Strahlenerguß Paula immer noch vermied, war im abnehmenden Licht. Nur die Sterne erhellten die stille Nacht und weckten, wie sie so dicht auf der Höhe der Seealpen lagen, Sehnsucht in die Ferne, Sehnsucht nach dem großen jenseitigen Meer. Die Terrasse, auf die Graf Hugo hinausgerufen worden, lag unter der Altane zur Seite und stieß an ein offenes Gewächshaus, in das man eintreten konnte, um sich, wenn man wollte, dort auf Ruhebänken behaglich niederzulassen.
Benno verwundet –! sprach jetzt Paula und zog liebevoll die tiefergriffene Freundin an die Brust.
Alles geht hin –! Was bleibt übrig! hauchte Armgart leise und schien gefaßt.
Wird er denn gleich sterben? lehnte Paula ab.
Ich begrub ihn längst – erwiderte Armgart und kämpfte mit sich, nicht, wie sie sagte – »thöricht« zu erscheinen. Eine Thräne aber perlte an ihrem Auge. Die Freundin küßte ihre Stirn. So lagen sie eine Zeit lang aneinandergelehnt.
Vom Saale herüber erscholl wieder die lebhafte Unterhaltung der Gesellschaft.
Armgart, um mit Gewalt die Gedanken an Benno zu verscheuchen, begann: Wie wird dir's wohl thun, wenn du wieder in deinem Hause in Coni bist! Ich glaube nicht, daß dir für immer die hiesige Welt behagen könnte.
Der Graf und ich, erwiderte Paula, wären dennoch im Gegentheil lieber hier. Aber müssen auch wir nicht in Coni um den Freund bange sein? Oft ist uns, als könnte sein Lebenslicht in Einer Nacht erlöschen.
125 Nenne sie nicht beide zusammen! fiel Armgart ein. Dann schwieg sie lange und sagte entschuldigend: Benno liebte fast zu sehr seine Mutter. In ihr liebte er Italien. Italien ist wie ein Gift –! O diese Mutter! Sie trägt die Schuld an allem. Sie hat ihn auch jetzt getödtet.
Paula hörte, was schon so oft von den Freundinnen besprochen worden. Sie kannte die Mutter Benno's nur aus den Schilderungen, die Bonaventura und Lucinde von ihr gegeben. Die aus dem Munde der letztern gekommenen waren wenig vortheilhaft für die Herzogin von Amarillas – auch Angiolinens, ihres Kindes Schicksal hinderte den Grafen, mit besonderer Anerkennung von ihr zu sprechen. Alles das waren schmerzliche Erinnerungen, wehmüthige Vorstellungen für beide.
Armgart bekämpfte sich, schwieg und setzte sich, ihr Haupt aufstützend, auf einen der gußeisernen Sessel, die unter einem zeltartigen Dach von gestreiftem Zeuge standen. Nach einer Weile fragte sie: Wer mag denn den Grafen so spät noch abgerufen haben?
Man entdeckte den Grafen nicht. Vielleicht war er weiter hinaus in den Garten gegangen, der offen, in nächtlicher Stille und mit seinem berauschenden Dufte vor ihnen lag.
Paula sagte, sie brauchten wol über das Verbleiben des Grafen keine Besorgniß zu hegen; sie setzte sich zu Armgart, die es beklagte, dem Erzbischof zu morgen kein würdiges Geschenk bringen zu können. Wol mochte sie inzwischen an den Aschenbecher gedacht haben, den sie einst Benno gegeben –!
Paula sagte: Dich selbst wiederzusehen, wird ihm die liebste Gabe sein.
Wie fürcht' ich seine Begegnung mit meinen Aeltern! fuhr Armgart fort.
Paula bestätigte die Begründung dieser Furcht, wenn sie sagte: 126 Oft spricht der Freund: Auch wenn zwei dasselbe sagen, ist es darum doch noch nicht dasselbe! Sie deutete damit den verschiedenen Grund an, auf welchem von beiden Parteien das Leben der Kirche gebessert werden sollte, setzte aber begütigend hinzu: Aber auch mein Glaube ist schon längst, daß alles, was wir zu sehen und zu begreifen wähnen, eine Täuschung ist. Ist das ein Haus? Sind das Berge? Wir nennen es so.
Das mein' ich nicht! widersprach Armgart. Die Verstandeskräfte, die uns nun einmal gegeben sind, sind unsere sichersten Wegweiser. Wir haben gar kein Recht, ihnen zu mistrauen. Für uns ist wahr, was sie sagen! Gibt es eine andere Wahrheit, so kommt sie uns gar nicht zu.
Waren es die gewöhnlichen Sinne, die mich einst bei wachem Auge schlafen und wachen ließen bei geschlossenem? entgegnete Paula. Damals als dem heiligen Stuhl meine Angelegenheit vorgelegt und mein Zustand verurtheilt wurde, glücklicherweise ohne Nachtheil für Bonaventura, hab' ich ein Heft in die Hand bekommen, wo vieles verzeichnet stand, was ich gesprochen haben soll. Als ich alles das las, so war mir's doch wie einem Menschen, der sich an den Glauben gewöhnen soll, schon einmal vor seiner Geburt gelebt zu haben. Das glauben auch freilich viele und trauen dem Schöpfer die Armuth zu, den Stoff, woraus er Menschen bildete, so sparsam aufbewahren, so vorsichtig verwerthen zu müssen.
Armgart gedachte lächelnd des Dechanten, dem sie Gleiches gesagt, als er sie einst in einen Vogel verwandelt prophezeite.
Ich las damals, fuhr Paula fort, daß aus mir heraus eine Macht gesprochen hat, die Frau von Sicking die des Teufels nannte. Meine angebliche Wunderkraft, die Kraft des Gebets verlor sich in der That; schlimme Sagen wurden über mich verbreitet; als ich gar den lutherischen Grafen ins Land zog, erlosch 127 der Glaube an mich ganz. Nun sah ich, was mein Traumreden war; es war die stille Ansammlung von tausend unausgesprochen in mir lebenden Urtheilen und die für sich selbst fortarbeitende Unruhe des Geistes, der seine Eindrücke wider Willen aussprach. Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; warum? Weil ich eine Welt haben wollte für mich und Bonaventura. Ich sah die Kirchenväter; sie schlugen andere Bücher auf, als die wir kennen, lesen und in ihren Weisungen befolgen sollen. Ich sprach, zumal aus der Seele deines Vaters, Dinge, die ich glaube jetzt auch ohne Hellschlaf verkünden zu können – freilich fehlt mir dazu der Trieb. Die Sprache, die deine Mutter redet, ist allerdings die nicht, die ich dann wählen möchte. Doch glaube mir, Armgart, auch der Erzbischof denkt wie deine Aeltern; oft verheißt er Zeiten der größten Umgestaltung – nur müsse die Kraft, die sich dann bewähre, eine gesammelte und vorbereitete sein. Rüste dich, manches an ihm zu entdecken, was dich überraschen wird –!
Dem Gedanken, meine Aeltern zu versöhnen, sagte Armgart, hab' ich meine Jugend geopfert und es scheint, mein ganzes Leben wird diesem Opfer folgen. Trennen kann ich mich nicht mehr von dem milden und gütigen Sinn des Vaters und dieser wieder besitzt in der Mutter alles, was ihm sein Leben noch zur Freude macht. Was ihn sonst an ihr verletzte, gerade das ist jetzt seine Erhebung geworden. Beide seh' ich treuverbunden und darum trag' ich alles und murre nicht und durch Schweigen helf' ich mir oft mehr, als durch Worte. So hoff' ich, komm' ich auch mit dem Erzbischof aus, der mir ohnehin zu allen Zeiten mehr streng als nachsichtig war.
Paula suchte der Freundin liebevoll diese letztere Voraussetzung zu nehmen und umarmte sie. Beide standen schön und schlank im Abendlicht. Paula schien jetzt kleiner – doch war die Höhe der 128 Freundinnen gleich. Paula küßte Armgart's Stirn. Wie vieles von dem, was ich in meiner Krankheit sah, ist eingetroffen, sagte sie, und nur das eine – eine Bild, wo ich dich und Benno immer nur verbunden erblickte, traf nicht zu –!
Du sahst mich mit ihm auf Felsen, entgegnete Armgart, sahst mich mit ihm am Ufer des Meeres. In jeder Gefahr war ich ihm zur Seite. Ist das nicht alles eingetroffen? Jetzt – bin ich wieder bei ihm und bald – – bald –
Armgart –! unterbrach Paula die düstere Erwartung und zog die Freundin an sich, der ein Strom von Thränen entquoll.
Dann entwand sich Armgart mit stürmischer Geberde und trat an den Rand der Altane, um ihr Haupt auf die hohen Vasen der Blumen zu legen.
Eine Weile dauerte Paula's beruhigendes Streichen der Stirn, der Wangen und der Hände der Freundin. Ein leichter Abendwind erhob sich und brachte noch würziger die Düfte der Rosen und Orangen daher. Nun wandte sich Armgart und erinnerte, daß sie schon in aller Frühe aufbrechen müßten. Sie wollten zur Ruhe gehen.
Da ist der Graf –! unterbrach sich Paula im Gehen und deutete auf den Garten.
Armgart entdeckte unter den dunklen Schatten des Schlosses, heraustretend aus einem Bosket von Lorberbüschen, die mit hochstämmigen Camellien durchzogen waren, den Grafen mit einem Begleiter. Kaum hatte sie hingeblickt, so stieß sie einen unterdrückten Schreckensruf aus und sagte: Das ist ja – Terschka!
Paula hatte Terschka's Bild im Gedächtniß fast verloren und lehnte die Richtigkeit der Erkennung ab.
Armgart versicherte aber: Er ist es! Verlaß dich! Das ist sein Gang! Das seine Art, mit den Händen zu fechten!
Der Dämon seines Lebens –! sprach Paula dumpf und mit 129 einer Theilnahme für den Grafen, welche die Macht verrieth, die inzwischen die Gewöhnung über ihr Herz gewonnen hatte. Sie konnte nicht liebevoller von einer Gefahr für Bonaventura sprechen, als jetzt von einer für den Gatten.
Der nächste Gedanke an eine für den Grafen zu befürchtende persönliche Gefahr konnte nicht lange anhalten. Der Graf ging ruhig. Nur der dunkle kleine Schatten neben ihm schwankte – Jetzt standen die Wandelnden still. Armgart fuhr von einigen hohen Cactustöpfen der Balustrade zurück, die sie verbargen – erbebend vor dem Blick, den Terschka durch das Dunkel der Nacht herüberwarf.
Was kann er wollen? fragte Paula ängstlicherregt. Die Freundschaft, die sie für ihren Gatten empfand, ließ sie mit einem einzigen Blick die Gefahren übersehen, die im Gefolg einer solchen Wiederbegegnung eintreten konnten. Daß Terschka zu den Jesuiten zurückgekehrt war und vielleicht in Freiburg, wo noch vor kurzem Hunderte der vornehmsten Adeligen erzogen wurden, streng, doch mit offenen Armen, vorläufig – als Lehrer der Reitkunst aufgenommen wurde, hatte Graf Hugo oft selbst gesagt. Unmittelbar nach Terschka's vorausgesetzter Rückkehr zum Orden brachen die Ereignisse an, in deren Folge die Jesuiten von Freiburg verjagt wurden. Paula kannte jetzt alles, was einst Pater Stanislaus im Auftrag des Al Gesù bei ihrem Gatten hatte sein sollen; gerade diese Gedankengänge hatten so oft Veranlassung gegeben, im kirchlichen Glauben das Aechte vom Falschen zu unterscheiden und Bonaventura's Entrüstung über die seelenmörderische Thätigkeit der Jesuiten zu theilen. Paula wußte, daß die verführerischen Plane des Paters an ihres Gatten gesundkräftiger Natur und an Terschka's mangelnder Selbständigkeit gescheitert waren. Was er wäre, hatte oft der Graf zu Paula 130 gesagt, verdankte er dem Leben und – dem Tode Angiolinens, dann freilich vorzugsweise dem einen Tage, den Bonaventura mit ihm auf Schloß Salem zugebracht. Verließ sich auch Paula auf die Wahrheit dieser Worte, so war doch schon lange ein trüber Stillstand in des Grafen Leben eingetreten. Die unerwiderte Zärtlichkeit für seine Gattin, sein mannichfach getheiltes Herz, die jetzige Erfüllung aller seiner äußern Wünsche hatten einen Zustand der Muthlosigkeit hervorgerufen, aus dem sich emporraffen zu wollen nun sein fester Wille schien. Der Tod der Mutter, die Ankunft des Obersten schien Pläne zu erleichtern, deren Ausführung nun vielleicht in die Hand – Terschka's gerathen sollte? Paula kam in die heftigste Erregung.
Aus natürlichen Ursachen erbebte Armgart für sich selbst. Sie konnte nicht sofort alles überblicken, was sich in Paula's Seele an Angstgedanken jagen konnte. Aber sie fühlte die Hand der Freundin erkalten, fühlte, daß in Paula's Brust eine Theilnahme für den Gatten zitterte, die ihr schon lange mehr, als nur die Folge der Gewöhnung an ihn erschien. Staunend und ihres eigenen Schreckens nicht achtend sagte sie: Beruhige dich! Sieh, wie friedlich beide nebeneinander gehen!
Ausgesöhnt! Und – dem Walde zu! sprach Paula voll Bangen.
Eben gingen aber auch der Barbe Baldasseroni und der Aelteste der Waldenser denselben Weg dem Walde zu. Im untern Schlosse wurde es lebendig; die Gesellschaft trennte sich, Diener waren in Bewegung. Armgart glaubte, daß man Paula's Befürchtungen nicht zu theilen brauchte. Sie stockte eine Weile, ob sie den Aeltern von Terschka's Nähe sprechen sollte, unterließ es jedoch, aus Besorgniß, daß ihnen diese Nachricht die Nachtruhe rauben würde. Zu Paula's Beruhigung zog sie zwei Diener ins Vertrauen, die sie beauftragte, in einiger Entfernung dem 131 Herrn und seinem Gast zu folgen. Der Abendwind wurde frischer; sie sollten dem Grafen und seinem Besuch Mäntel nachtragen. Armgart zog die Freundin in ihr Schlafgemach, dessen Thüren auf die Altane hinausgingen. So lange wollte sie bei ihr bleiben, bis der Graf zurück wäre. Schon allein das Bedürfniß, sich über die gebundenen Stimmungen ihrer Seelen auszusprechen, hielt sie inzwischen beide wach.
In der That hatte sich Armgart nicht geirrt. Es war Terschka, der in leichtem, unpriesterlichem Reisekleide, den Grafen um einen unbemerkten Empfang gebeten und ihn draußen auf der Terrasse begrüßt hatte. Die Ruhe, welche die Frauen am Grafen beobachtet hatten, kam von einer innersten Erkaltung her, womit er dem enthusiastischen Gruß und der beredsamen Darstellung eines abenteuerlichen Irrgangs durchs Leben vom Tage seiner Abreise nach Amerika an bis zum gegenwärtigen Augenblick gefolgt war. Damals als ich Ihnen rieth: Greifen Sie die Urkunde an! Sie ist falsch! Lassen Sie jene Lucinde verhaften! konnte alles noch anders werden; aber Sie folgten mir nicht! So hatte Terschka, an den »durch die Abreise nach Amerika unterbrochenen Briefwechsel« anknüpfend, offen ausgesprochen und angedeutet, um wie viel weniger grausam ihn dann die Schläge des Geschicks getroffen haben würden.
Graf Hugo war auch darin eine vornehme Natur, daß er sich sogar gegen das Zweideutige und Schlechte nicht mit sofort aufwallender Entrüstung, nur mit einer Art naiver Ironie, ja einer scheinbaren Toleranz verhielt, die jedoch tief erkältend und alles Ungebührliche von sich ablehnend wirkte. Dann lag ein sich immer gleichbleibendes entwaffnendes Lächeln auf seinen Gesichtszügen, sein wienerisch gemüthlicher Accent bekam eine ironische Schärfe, die verwirrend wirkte, und so bemerkte er auch jetzt mit 132 einem Schein von Humor: Wirklich, alter guter Terschka, wenn ich Ihnen dienen kann, so sagen Sie es offen! Ich bin ja jetzt reich. Vor kurzem starb Mama. Verfügen Sie über mich!
Terschka kannte diese Manier, fürchtete sie und erwiderte nach einer Weile: Graf, das ist alles zu spät! Was ich brauche, brauchen darf, das hab' ich ja. Ich muß arm bleiben, wie mein unseliges Gelübde befiehlt. Ja, Graf, ich kann nicht mehr zurück – ich muß bleiben, was ich war und – wieder geworden bin. O, diese Kämpfe – diese Martern! Aber Graf – – Wenn Sie – Sie wollten –
Was sollt' ich wollen? sagte der Graf.
Mit dem Ausdruck des höchsten Schmerzes stockte Terschka und sah sich um, ob ihnen niemand gefolgt war.
Der Graf wiederholte, wenn auch scharf aufhorchend, in dem Ton der alten Sorglosigkeit mehrere mal: Sie sind also wieder Katholik, Priester, Jesuit – und haben in dieser wilden Zeit – wo? – ich glaube in Tirol gelebt?
Unter fremdem Namen leitete ich die Erziehung der Söhne eines Grafen von Wallis in Steiermark!
Versteckten sich bei den Gemsen und auf den Eisfeldern der Tauern! Hören Sie, da thaten Sie recht. Man sagte mir, daß Ihre alten Freunde in London einige Dolche für Sie geschliffen hatten, die Ihnen den Tod der Brüder Bandiera heimzahlen sollten.
Sprechen auch Sie diese Verleumdung nach? wallte Terschka auf und begleitete seine Rede mit den heftigsten Gesticulationen.
Durch wen sollte die Erhebung von Porto d'Ascoli zu einer Espèce Räuberfeldzug werden? entgegnete der Graf mit Schärfe und wiederholte, was ihm durch Bonaventura und Benno's frühere Briefe erinnerlich geblieben. Durch einen gewissen Boccheciampo und den saubern Jean Picard, den man aus London nach 133 Korfu geschickt hatte, um an jener Expedition theilzunehmen! Das Experiment misglückte. Der Einfall fand in Calabrien statt. Dennoch ereilte die Nemesis einen Ihrer Abgeordneten durch den Bruder Hubertus, der Ihnen, hör' ich, schon in Westerhof eine unheimliche Erinnerung gewesen sein soll. Was hatten Sie gegen den Mönch mit dem Todtenkopf, den »Bruder Abtödter«? Ihren Sendling soll er wie den Grizzifalcone in Rom bedient haben. Daß doch noch die Italiener manchmal vor uns Deutschen Respect bekommen!
Alles das schrieb Cäsar Montalto aus London an den Erzbischof? entgegnete Terschka mit funkelnden Augen. Ich versichere Sie, Graf! Es sind alles Lügen.
Der Graf hatte die Anklage ausgesprochen, wie sie Terschka seit einigen Jahren verfolgte; die Anklage, die ihn nach Amerika getrieben; die ihn, aus Furcht vor den Flüchtlingen in Genf, zuletzt die Pforten des Asyls von Freiburg wieder aufsuchen, ja in den Zeiten der entfesselten Revolution sich vor aller Welt verbergen ließ. Dabei that der Graf so, als wenn es ihm nicht einfiele, Terschka's etwaige, höchst respectable Motive verdächtigen zu wollen.
Man verlangte damals für die Bandiera, begann Terschka, entschlossene und verzweifelte Männer. Ich schickte einen solchen. Es war ein Mensch, der mir in London, ich gesteh' es, unbequem geworden war. Ich habe Ihnen nie daraus ein Hehl gemacht, Graf, daß, ohne meine Schuld, meine erste Jugend abenteuerlich war. Nun führte mich eine zufällige Begegnung mit einem Menschen zusammen, der sich an mich klettete, mich auspreßte, belästigte in jeder Weise. Ich wußte ihm nichts zu bieten, als das Handgeld der Verschwörer. Noch mehr, ich suchte diesen Picard zuerst in Londons Tavernen aus freien Stücken auf; ich war ihm als Brandstifter von Westerhof auf der Spur. Zwar leugnete er, 134 vermaß sich hoch und theuer – ich setzte ihm – in Ihrem Interesse, Graf – so lange zu, bis ich, ohne Ihre dringende Abmahnung, diesen Gegenstand weiter zu verfolgen, ohne Zweifel der Wahrheit über den Schloßbrand auf den Grund gekommen wäre –
Sie wußten, daß es ein Gauner war, sagte der Graf, und empfahlen ihn dennoch jenen Flüchtlingen, deren Partei ich nicht nehme, die aber, mein' ich, in ihren Reihen einige brave Menschen zählen. Empfahlen ihnen einen Kerl, der gewiß jener Diener aus Westerhof war, Dionysius Schneid, für den Hubertus hätte verantwortlich gemacht werden müssen, wenn nicht damals Ihr alter und der zuweilen nicht zurechnungsfähige Protector Ihrer Jugend, einer unter Räubern zugebrachten Jugend, mit dem Doctor – Klingsohr – entflohen gewesen wäre –!
Graf –! unterbrach Terschka mit verdrossener Geberde und hielt, vorauseilend, beide Hände an seine Schläfe, als könnte er Dinge nicht hören, die – das Mal auf seinem Arm erglühen machten.
Nun, nun, beruhigen Sie sich! rief ihm der Graf nach und folgte langsam. Mein Vorwurf trifft nur die Möglichkeit, wie Sie Ihren Freunden in London einen notorischen Bösewicht haben empfehlen können!
Meinen Freunden! wiederholte Terschka und lachte. Was ist mir, was war mir diese Freiheit Italiens! Diese Aufstände, diese Bewegungen! Ich bin zu Grunde gegangen an meinem Bedürfniß, andere froh und glücklich zu machen. Jesus, mein Ehrgeiz war ja schon befriedigt, wenn ich unter dem Schein der Freundschaft so viele Jahre nur Ihr Bedienter war! Protestiren Sie nicht, Graf! Ich liebte die Geselligkeit, habe die Rechte, die sie gab, nie misbraucht, ich lebte ihren oft sehr schweren Pflichten. Sie haben es gesagt, das unglückliche Gespenst meiner geringen 135 Herkunft ist es, das mich überall verfolgt. Sie haben sich gut erinnern –; ich gestand es Ihnen selbst – damals, als Sie sich von dem lieblichen – Kinde in Zara nicht trennen konnten!
Terschka sah den Eindruck seiner an dieser Stelle in Weichheit übergehenden Stimme am Stillstehen des Grafen. Ein stürzendes Bergwasser begrenzte den Garten. Eine Erlenbrücke führte hinüber. Der Graf beugte sich sinnend über die weißen Stämme der Brücke hinweg und blickte in die rauschende Flut.
Angiolina! fuhr Terschka in melancholischem Tone fort. O, wenn du, du noch lebtest! Nie würde dein alter, verwitterter, lebensmüder Freund so tief ins Elend gerathen sein! O, diese Zeiten! Graf, oft hör' ich sie noch im Geiste weinen und – lachen. Wie sie lachen konnte – die Angiolina – wie sie halt wieder gut machte, was ihre Wildheit zerstört hatte! O Graf, um Angiolinen schont' ich ihren Bruder – noch vor drei Tagen sah ich ihr Bild wie zum Verwechseln vor mir – zu den Zügen dieses – mir immer nur impertinent gewesenen Bruders –!
Sie sahen – Montalto? erhob sich der Graf vom Geländer der Brücke. Wo? Er soll ja verwundet sein –
So wissen Sie noch nicht, daß er in Coni beim Erzbischof ist?
Wer? fuhr der Graf auf. Benno von Asselyn? – in –?
In Coni! Auf meiner Fahrt von Genua hierher begegnet' ich ihm. Vor wenig Tagen. Ich glaubte damals nicht, daß er den nächsten Tag erleben würde. Aber er ist, verlassen Sie sich, schwer verwundet, in Coni –
Der Graf gerieth in die höchste Aufregung. Dachte er auch nur an die morgende Fahrt nach Coni, so war Grund genug vorhanden, sich sofort zur Umkehr zu wenden und wegen Armgart's noch mit Paula, mit ihren Aeltern zu sprechen.
136 Lassen Sie mir diese letzte Stunde ungetheilt! bat Terschka und ergriff die Hand des Grafen. Es ist die letzte – meiner Freiheit! Graf, lassen Sie uns so nicht scheiden. Ich bin eine elende Ruine, zu Grunde gerichtet, verloren. Das ist mein Unglück, ich kann ohne die Vorsehung anderer Menschen, ohne eine Kette nicht leben. O diese Kette – wie ist sie unendlich lang – und ach! – wie schwer, wie schwer geworden –!
Sie sind also in der That der Pater Stanislaus wieder, sagte der Graf nicht ohne wärmeren Antheil.
Die Fessel ist dehnbar, aber sie reißt – nie! Das sagte mir damals mein General – antwortete Terschka im Tone der Vernichtung.
Eine dumpfe Pause trat ein. Eine öde Stille. Nur die Blätter der Bäume fingen mächtiger zu rauschen an. Der Graf empfand tief die Verwerflichkeit eines Ordens, den er schon lange gelernt hatte vom Katholicismus selbst zu unterscheiden. Aber er empfand mit Terschka doch noch immer persönlich Mitleid. Sie Aermster gehen also nach Rom! sagte er.
Zum Gericht! fiel Terschka ein.
Und kommen direct?
Von Genua –
Da sahen Sie – Benno von Asselyn!
Auf dem Wege nach Coni. Natürlich sprach ich ihn nicht. Schon in Witoborn war er mein Todfeind. Eben sah ich ja Armgart – auf der Altane. Graf, es wird kühl. Schließen Sie Ihr Kleid. Armgart wird erstaunen – »ihren Benno« wiederzusehen –!
Die nächtlichen Wanderer standen am Eingang zu einem mächtig sich ausdehnenden Eichenwald, wo sich die noch unzerstörte Einsiedelei des Eremiten befand. Sie schritten in die sich mehrende Dunkelheit hinein. Eben gingen der Pfarrer und der 137 Gemeindeälteste an ihnen vorüber und sprachen, als beide stillstanden und sie vorüberließen, ein: Salute! – Buon viaggio! durfte der Graf erwidern, da die Wanderer bis zu ihrem Gebirgsthal eine weite Strecke hatten.
Terschka wandte sich abseits, um nicht erkannt zu werden. In früheren Jahren war er nicht selten hier gewesen und geredet wurde von ihm noch oft. Er kannte hier Weg und Steg. Werden Sie denn auch für diese Schwärmer, fragte er den Vorausgehenden nach, ebenso ein Protector sein, wie Ihre Mutter?
Die Gesetze protegiren sie, entgegnete der Graf und sah, nur noch Benno's gedenkend, nach der Uhr.
Doch Terschka wollte ihn noch nicht fortlassen. Er suchte ihn in Interessen zu verwickeln, die für sie beide gemeinschaftliche waren.
Man sagt, begann er, daß Ihre Freundschaft für den Erzbischof von Coni – Ihre Zärtlichkeit für – Ihre Gemahlin jetzt vielleicht – nach dem Tode – Ihrer Mutter –
Der Graf hörte nicht auf diese Indiscretionen. Seine Gedanken waren nur dem Schlosse und Coni zugewendet.
Warum bin ich nur so feige und tödte mich nicht selbst! unterbrach sich Terschka mit wilder Geberde und weckte somit gewaltsam den Grafen aus seinem fortgesetzten Brüten.
Sie erwarten wirklich jetzt erst in Rom die ganze Strenge Ihres Ordens für Ihre Flucht! sagte der Graf, mit zerstreuter Theilnahme auf seine Worte hörend.
Terschka erwiderte nichts, sondern blickte nieder.
Sie haben mir von den Exercitien des heiligen Ignatius erzählt! fuhr der Graf, um ihn zu beruhigen, fort. Werden Sie also in einer dunklen Zelle zubringen müssen mit einem 138 Todtenkopf auf Ihrem Betpult, mit dem Bild einer – verwesenden Leiche in Ihrem Bett –?Kommt in Jesuitenhäusern vor.
Terschka schwieg.
Das sind doch in der That nur kindische Dinge. Auch hab' ich gehört, daß Sie Ihren Uebertritt, Ihren Verrath am Orden, wenn Sie wollen, als eine wohlberechnete Strategie darstellen dürfen, als ein Mittel, desto besser zu Ihrem Ziel zu gelangen –
Was war – denn mein Ziel? fiel Terschka mit zustimmendem, klugem Aufhorchen ein.
Der Graf bereuete diese Andeutung gegeben zu haben.
Sie werden, begann Terschka anfangs lebhaft, bald jedoch seine Stimme dämpfend, als könnten die Blätter der immer bewegter werdenden Bäume seine Worte weiter tragen, Sie werden in diesem Thal, in diesen öden Wäldern nicht ewig bleiben wollen! Ihre Liebe zu den Waffen wird sich wieder regen, zumal wenn Sie sehen, daß eine Zeit kommt, wo nur noch die Waffen die Welt regieren. Oft schon sind Ihnen glänzende Anerbietungen zum Rücktritt in die Armee gemacht worden. Ihre Lage, zweien Staaten angehören zu sollen, zweien zumal, die sich unausgesetzt befehden werden, wird Sie zuletzt zu einem Entschluß veranlassen müssen. Ich weiß nicht, wohin Sie Ihre Ueberzeugung zieht. Katholisch sein! Selbst in jenen lächerlichen Exercitien des Ignatius liegt ein – dumpfer Ernst – Mache nur Einer mit, was ich in Freiburg habe erleiden müssen! Die Revolution machte dem schrecklichen »Kinderspiel«, das man mit mir getrieben, ein Ende.
Was in Freiburg unterbrochen wurde, wird in Rom wieder seinen Anfang nehmen –?
139 Ja, Graf –! Aber gesetzt, Sie nähmen wieder bei Ihren alten Waffengefährten Dienste, Sie lebten in Wien, wofür sich doch zuletzt die Sehnsucht Ihres Herzens entscheiden wird – Gesetzt – (Sie brauchten ja Castellungo darum nicht zu verkaufen –) die Nothwendigkeit für Ihre Gemahlin, in des Erzbischofs Nähe leben zu müssen –
Was reden – Sie! unterbrach der Graf mit zorniger Aufwallung.
Vergebung! schmiegte sich Terschka in demüthiger Geberde. Sie misverstehen mich – Ich meine, der Oberst von Hülleshoven ist ein Projectenmacher und ganz so eigensinnig wie seine Frau. Hedemann wäre für die Verwaltung Castellungos zu brauchen gewesen – Aber er ist – ja wol todt?
Sie sind – ein schneller – Reiter! entgegnete Graf Hugo, sich erst langsam beruhigend. Nie noch hatte jemand gewagt, ihm persönlich die Nothwendigkeit, Paula in des Erzbischofs Nähe zu lassen, so offen auszusprechen, wie jetzt Terschka. Ihm war Bonaventura nothwendig, Er nur blieb in des Freundes Nähe –! So nur und nie anders hatte sich seit Jahren im Munde seiner Umgebungen das misliche Verhältniß gestalten dürfen.
Wollen Sie diese herrliche Besitzung zu Grunde gehen lassen? fuhr Terschka immer demüthiger werdend fort. Konnten Sie über meine Art, in Westerhof zu Geld für Sie zu kommen, klagen? Behalten Sie mich hier!
Ich verstehe nicht – entgegnete der Graf. Wie wäre das möglich?
Ich fürchte mich vor Rom. Man wird Dinge von mir verlangen – die über meine Kräfte gehen. Die einzige Möglichkeit der Rettung für mich wäre, daß ich draußen in der Welt eine Aufgabe fortsetzte. Was ich Ihnen früher im Geheimen war, Graf, wenn ich es offen würde – und – sagen könnte –
140 Der Graf horchte auf.
Treten Sie über. Lassen Sie mein jahrelanges Werk endlich vom Erfolge gekrönt sein. Thun Sie es öffentlich, so soll es mir nicht zu schwer werden, es meinen Obern so darzustellen, als wenn alles, was ich mir seither habe zu Schulden kommen lassen, eben nur ein Mittel zu diesem höhern Zwecke war. Thun Sie es geheim, wohlan dann desto besser –! In diesem Fall würd' ich Ihr Gewissensfreund bleiben, würde Ihr Wächter scheinen dürfen und könnte ganz so fortleben, wie bisher – selbst unter dem Schein, Priesterstand und was nicht alles verwirkt zu haben. Oesterreich erhält die Weisung, meine Lage zu ignoriren – Piemont schützt uns ja ohnehin – Werden Sie katholisch, Graf!
Graf Hugo brauste nicht auf und entsetzte sich nicht. Es gab eine Stelle in seinem Innern, die von Terschka's Vorschlägen elektrisch berührt wurde. Die Jesuiten waren ihm nicht der Katholicismus. Religion nannte er übliche Sitte und Landesart. Der geselligen Spaltungen, die für ihn als Altkatholiken in seiner frühern militärischen Stellung lagen, erinnerte er sich ungern. Den stolzen Muth seiner Mutter, gerade im Widerspruch mit weltlichen Rücksichten zu leben. besaß er nicht. Mehr noch, ihn fing wirkliche Liebe zu Paula zu bestimmen an. Um sich, um die Mutter aus bedrängten Verhältnissen zu reißen, hatte er eine Standesehe geschlossen, ohne Paula die Zumuthungen einer Gattin zu machen – Und die ersten Jahre war es ein Verhältniß, wie auch nur je eine Vernunftehe unter hochgestellten Personen geschlossen wurde. Als aber Paula in Italien, in Bonaventura's unmittelbarer Nähe lebte, als sich die hochgespannte Leidenschaftlichkeit dieser Beziehung milderte, als die bescheidene Unterordnung des Grafen unter den Erzbischof diesen nicht minder, wie Paula rührte (die Jahre und die Reife des Geistes bringen allem 141 Menschlichen sein Maß und lehren uns die Güter des Lebens in Höherem suchen, als im persönlichen Glück), da hegte Graf Hugo Hoffnungen auf sein Weib ganz mit der Werbung eines Liebenden. Das Aussterben seines Stamms, die der Möglichkeit, noch einen Erben zu gewinnen, immer mehr gezählten Stunden – schon allein diese Rücksicht verlangte ein Entweder-Oder. Schon lange glaubte Graf Hugo, daß er sich und Paula diese Entschlüsse durch seinen Uebertritt erleichtern würde. Den kirchlichen Beziehungen seiner Mutter war er entrückt; die fortzusetzende Verbindung mit den Waldensern setzte eine größere geistliche Neigung voraus, als er besaß. Aus solchem Indifferentismus, verbunden mit Resignation des Gemüthes, erfolgte oft schon ein Uebertritt zur römischen Confession. Und so konnte er Terschka's Vorschläge hören, ohne sie sofort von sich zu weisen. Hatte er nicht auch eine Reihe der glücklichsten Jahre mit diesem Menschen verlebt, oft über seine Rathschläge den Stab gebrochen und sie dennoch befolgt –? Zwischen ihm und Terschka hatte von jeher die mitleidige Toleranz eines Herrn für einen erwiesenermaßen nicht immer ehrlichen, bei alledem in seiner Art unersetzlichen Diener geherrscht.
Der Abendwind erhob sich mehr und mehr. Wolken legten sich über die Sterne. Graf Hugo ließ Terschka reden – ließ sich von ihm den Rock zuknöpfen, aus Besorgniß, der Graf möchte sich »verkühlen« – Bald an dieser bald an jener Stelle seines Gemüthes wurde er berührt. Auch das Glück schilderte Terschka, das er sonst bei des Grafen Mutter hier gefunden hätte. Die Herrliche, Gütige! sprach er. In London – lag ich zerknirscht zu ihren Füßen. Sie schickte mir einen Geistlichen, dem ich meinen Glauben abschwören sollte. Ich hab' es nicht öffentlich in einer Kirche gethan – ich ging zum Abendmahl und nahm es in beiderlei Gestalt. Das war mein Uebertritt. 142 Graf, darin sind wir – einig; was mich einst zum Priester machte – was war es? Die Weihen waren für mich nichts, als eine Erlösung vom Gewöhnlichen. Zu spät erkannten dies die die klugen Väter und gaben mir einen Auftrag, der mich dem Weltleben zurückgeben sollte. Kann man den Jesuiten, den Soldaten der Kirche, verdenken, daß sie auf den Besitz eines Namens, wie des Ihrigen, Werth legen?
Graf Hugo verabscheute, was er hörte, aber – er dachte an Paula und an die Zukunft seines Namens. Der Zauber des gebundenen Willens lag schon lange auf ihm. Was jeder verworfen hätte, was von Monika Unmoralität genannt wurde, es vertrug sich bei ihm mit geheimnißvollen Stimmungen der Seele, die wir nur andeuten können. Es gab keinen andern Ausdruck für sein Gefühl, als den, daß hier die reinere Natur des Katholicismus, eine Natur, die selbst ein Terschka nicht entweihen konnte, geheime und mystische Dinge verklärte. »Der erste Beichtstuhl wurde aus dem Baum der Erkenntniß gezimmert« hatte hier die Gräfin Sarzana vor einigen Jahren gesagt. Graf Hugo versank immer mehr in ein brütendes Nachdenken.
Terschka erging sich in Lobpreisungen des katholischen Glaubens vom Standpunkt der Weltlichkeit, die beide früher so eng verbunden hatte. Und hätte ihn ein noch schlimmerer Ruf verfolgt, als der, der dem Grafen bekannt war, es lag in ihren Lebensbezügen zu viel Gemeinsames, ihre Erinnerungen trafen so oft auf einem Punkte zusammen, daß ihn der Graf nahm, wie er sich gab. Terschka knüpfte immer und immer an Angiolinen an. Und der Graf wußte, wie energisch Terschka auf Schloß Neuhof für sie gesprochen hatte. Terschka kam auf Angiolinens Mutter, die Herzogin von Amarillas, die aus London erwartet würde und wieder in Rom wohnen wollte, wenn sie 143 nicht wol gar noch, unterbrach er sich, hierher kommt, um ihren, wie ich glaubt, hoffnungslosen Sohn aufzusuchen.
Der Graf gab alle diese Möglichkeiten zu und hörte sie voll Schrecken und Wehmuth.
Terschka erzählte von Fürstin Olympia, deren Verhältniß mit Benno schon seit lange nicht mehr das alte sein sollte.
Der Graf hörte Terschka's welt- und herzenskundige Auffassungen; aber so groß seine Theilnahme für Angiolinens Bruder war, so sehr er Benno's Seelenkraft bewunderte seit jenem Schreckenstage auf Schloß Salem, wo Schwester und Mutter in einem und demselben Augenblick von ihm gefunden und verloren wurden, so sehr ihn der Eindruck ergriff, den nun Benno's Anwesenheit in Coni auf alle, vornehmlich auf Armgart hervorrufen mußte – sein Fragen und Forschen nach Diesem und Jenem war nur ein Verbergenwollen der größeren Sorgen, die sein Inneres um Paula drückten.
Terschka sah seinen Einfluß wiederkehren, sah, wie sich Graf Hugo an seinen Ton, seine alte Weise gewöhnte. Er blickte um sich. Sie waren tief im Waldesdunkel vorgedrungen und Zeit hätte es werden müssen, an die Rückkehr zu denken. Immer mehr und mehr verstärkte sich der Wind, der von den Bergen wehte. Die schwanken Wipfel der Bäume ließen Raum hier und da zu Durchsichten, wie in einem kunstvoll angelegten Park. Die Wanderer gingen einen Bach entlang, der behend unter den jetzt hin- und hergepeitschten Blütenbüschen dahinschoß. Nur allmählich erhob sich die grüne Bergwand. Schon war die Einsiedelei Federigo's in der Nähe. Eine Gruppe der mächtigsten Eichen stand auf der Höhe so dicht beieinander, daß ihre Baumkronen von fern her zu einem jetzt im Winde gleichsam den Einsturz drohenden Dache verwachsen schienen.
Des Brausens und Rauschens um sie her nicht achtend, 144 erzählte Terschka: Ich war vor drei Tagen noch in Genua, wo eben Sturla aus Barcelona angekommen war. Dort schon hört' ich, daß sich Cäsar von Montalto, schwer verwundet, unter den Trümmern der römischen Aufstandsarmee befand und auf dem Wege nach Coni war, ohne Zweifel zum Erzbischof. Auf der steilen Riviera di Ponente begegneten wir ihm dann.
Wir? Wer noch sonst? wiederholte der Graf.
Pater Speziano und ich –
Pater Speziano! Wagt ihr euch so weit schon wieder ins Land!
Wir stiegen in Robillante aus – wohin ich bis morgen früh – zurück muß. Incognito – bis – – nach Rom – Graf!
Erzählen Sie!
Durch Vintimiglia fuhren wir im Postwagen und hielten eine Weile, ohne auszusteigen. Vor einem Kaffeehause, wo unsere Pferde gewechselt wurden, stand ein halb offner Wagen. Sehen Sie da! rief Speziano und deutete auf den Wagen. Ein Kranker lag in ihm zurückgelehnt. Ich blicke näher hin – mich schützten die Jalousieen des Postwagens – und erkenne den Bruder Angiolinens. Sollt' ich es wagen auszusteigen und ihn anzureden? Sein Zustand sah dem eines Sterbenden ähnlich. Speziano hielt mich zurück.
Der Graf gerieth in eine Stimmung des unsäglichsten Schmerzes. Sollte alles dem Verhängniß verfallen sein, überall der Tod seine Opfer suchen!
Wo sind Sie abgestiegen? fragte er noch einmal, ehe sie sich zur Rückkehr wandten.
In Robillante – Aber für diese Nacht unten in San-Medardo beim Pfarrer . . .
Und die Herzogin – seine Mutter –?
Ist mit Fürstin Olympia eilends aus London gekommen. 145 Die letzten Nachrichten von diesen Frauen hatte man aus der Schweiz. Erfuhren sie von Montalto's Verwundung und Gefahr und seiner Reiseroute, so kommen sie ohne Zweifel auch hierher.
Olympia –! rief der Graf und dachte an eine durchaus nothwendig werdende Vorbereitung Armgart's auf so erschreckende Möglichkeiten. Vielleicht klopfte er noch jetzt dem Obersten und zog zunächst diesen ins Vertrauen.
Aber werden Sie katholisch, Graf! drängte Terschka. Es ist die Religion der reinen Menschlichkeit. Krönen Sie mein Werk. dem ich dann achtzehn Jahre meines Lebens geopfert habe –! So läßt es sich wenigstens darstellen. Die Mittel, die ich anwandte, sind dann natürliche gewesen und ich bin gerettet – Sie erlösen mich von Strafen, die alles überschreiten werden, was meine Natur erträgt. Das Al Gesù macht ein Endurtheil über mich – Ich habe keine Kraft, einem Geschick zu trotzen, das mich in die Mitte der beiden mich verfolgenden Parteien nimmt. Wollt' ich auch zum zweiten mal entfliehen, ich wäre vor Mazzini's Rache ebenso wenig sicher wie vor der des Al Gesù. Graf, werden Sie katholisch! So hab' ich wenigstens vor denen Ruhe, die auf mich die ersten Rechte hatten. Terschka versicherte hierauf, daß ihn Pater Speziano nach Rom führen müsse wie einen Gefangenen.
Der Graf stand schon lange wie eingewurzelt. Er blickte um sich und sah, daß er in dem Hain des Eremiten unter dem majestätischen Dach der uralten »Eichen von Castellungo« stand. Noch glänzte die von Birkenzweigen und verwittertem Moos gebaute Hütte. Noch lag wie sonst der Verschlag für Federigo's treuen Hund, den »Sultan«, unverändert; noch die Hütte für die Ziege: beide Thiere einst die einzige lebendige Gesellschaft des Freundes seiner Mutter. Eine mächtige runde Steinplatte, verwittert und mit gelblichen Moosflechten 146 überzogen. die als Altar zu dienen pflegte, stand in der Mitte des mächtigen Rundes, über dem die Baumkronen sich schüttelten im zunehmenden Sturm. Noch hing in den ächzenden Zweigen des stärksten dieser Bäume die Glocke, deren Ruf den Einsiedler in einiger Verbindung mit der Welt erhielt. Die schlummernden Vögel auf den Zweigen schienen zu träumen, mancher leise Laut erscholl, mancher Vogel flog erschreckt vom Neste. Der Wind bewegte durch die Zweige auch die Glocke. Zuweilen schlug sie an – leise, geheimnißvoll, geisterhaft – Graf Hugo sah, wie ihn hier gleichsam ein ganzes Leben wie mit stiller Bitte ermahnte; er hörte den Ruf der Mutter, als sie ihn um die Erhaltung der Glocke – um die Erhaltung Castellungos und des Glaubens seiner Väter bat.
Terschka erkannte diese Zauber der Bestrickung für den Grafen. Oft hatte er hier selbst den Eremiten gesprochen, hatte sich mit dem »Sultan« in der Hütte geneckt; er wußte sogar, daß dies treue Thier dem vermeintlichen Gefangenen der Inquisition gefolgt sein sollte. Noch deutlich sah er die Gräfin auf einem Sessel von Baumzweigen, auf dem sie oft hier stundenlang bei ihrem Schützling zu verweilen liebte. Gerade damals war Terschka hier zum ersten mal gewesen, als sich die Sage von Vincente Ambrosi verbreitet hatte, von dem es hieß, daß er vor Frâ Federigo's Lehren geflohen wäre.
Träumend stand der Graf und blickte auf die Glocke, deren Bewegungen immer stärker und stärker wurden. Er fuhr auf, als er Fußtritte hörte und dann die beiden Diener erblickte, welche gefolgt waren und jetzt näher kamen, um die Mäntel anzubieten.
Mechanisch nahm er den einen und bot Terschka den andern. Dieser nahm ihn schnell, nur um die Diener zu entfernen. Lebhafter und lebhafter drängte er auf Entscheidung. Er 147 schilderte alles, was er wünschte, als ein Facit von Umständen, die gebieterisch gegeben wären.
Der Graf lauschte unter den Bäumen dem Ton der Glocke, welche durch die heftigen Windstöße in Bewegung erhalten blieb. Der ungleiche Klang war wie die unregelmäßigen Athemzüge einer von Angst bedrängten Seele. Das Bild der sterbenden Mutter stand dem Sohn vor Augen. Ihr Wort: »Du wirst dem Thiere folgen!« ihre Bitte für diese Glocke, ihre Bitte für den jetzt schon in so wilder Störung begriffenen Frieden dieses einsamen Ortes sprach ihm aus dem Wehen jedes zitternden Blattes.
Lassen Sie, Terschka! schnitt er jetzt, wie aus Träumen erwachend, alle Vorstellungen ab, die ihm dieser im Ton einer unverstellten Verzweiflung machte – Es war eine Proselytenwerbung der eigensten Art, wie sie auch nur durch einen Jesuiten veranstaltet werden konnte. Keine Salbung, keine Ueberzeugung – rein eine Sache nur aus Etikette und der praktischen Psychologie dargestellt. Der Graf widerstand. Dort hinaus führen Sie meine Diener auf kürzerm Weg nach San-Medardo zurück, sagte er. Was die Zukunft bringen wird, weiß ich noch nicht. So, wie Sie es begehren, Terschka, wird und kann es nicht sein.
Graf! flehte Terschka. Ist das Ihr letztes Wort?
Mein letztes, Terschka! Mein Inneres – Sie haben es errathen – ist zerrissen und unglücklich. Noch weiß ich nicht, was werden soll und ob ich länger mein Loos so ertrage. Ich liebe – mein Weib! Aber Ihr Auskunftmittel – – Weiß ich doch auch kaum, ob die Gräfin gerade dies noch begehren würde –!
Graf, um so mehr! fiel Terschka ein. Allbekannt ist die Gesinnung des Erzbischofs. Auch die Gräfin, sie, die einst eine Seherin war, erkaltete in ihrer alten Glut und Andacht für den Glauben. Es ziehen Gefahren für Ihren Freund herauf, denen er jetzt erliegen dürfte, jetzt, wo die Richtung der Zeit sich 148 ändern wird. Verachten Sie meinen Beistand nicht – Nehmen Sie mich wieder auf! Schützen Sie mich durch Ihren geheimen Uebertritt! Ich lenke alles, was Ihr Herz, Ihre Natur, das Glück Ihrer Freunde verlangt. Und Monika, selbst den Obersten gewinn' ich – pah! durch einen einzigen Tag. Selbst Armgart soll nicht wieder vor mir entfliehen. Ich bin ja – jetzt ein Greis – eingestandenermaßen alt – ich entwaffne jeden durch meine Ergebung – durch meine Demuth. Graf, zum letzten mal, ich, ein Abtrünniger, rettungslos Verlorener, ich darf mit einem großen Zweck leben, wie und wo ich will – ich darf mit den Waldensern gehen – Protestant scheinen; nur besuchen Sie die Messe in Coni, in Robillante – wo Sie wollen – man liest sie Ihnen geheim! Dann gehen wir zuletzt alle nach Wien – Ihre Gattin folgt – Ihr erstes Kind wird auf einen Heiligen getauft – Das ist die Sprache der Welt, der gesunden Vernunft, der Verhältnisse, in denen Sie leben, die Sprache des Trostes, der Erhebung für – die Gräfin selbst –!
Der Graf schüttelte den Kopf und entgegnete: Ein Abschied fürs Leben also. Wir sehen uns nicht wieder –!
Haben Sie Mitleid mit mir –! rief Terschka.
Die Glocke schlug unausgesetzt. Die Bäume rauschten im Sturme. Die Natur war in Aufruhr. Der Graf ging jetzt und wie auf der Flucht.
In französischer Sprache rief ihm Terschka noch nach: Graf! Ich beschwöre Sie! Sie werden es einst aus eigenem Antriebe thun. Thun Sie's jetzt um mich, um Ihren alten – treuen – unglücklichen Freund!
Die Glocke tönte. Mit hellen, mit klagenden, mit stärkeren, mit schwächeren Klängen. Noch einmal wandte sich der Graf zu Terschka, wartete, bis dieser näher kam, bot ihm die Hand und sagte ihm ein letztes Lebewohl. Unsere Wege sind getrennt, setzte 149 er hinzu. Erde und Himmel können vielleicht für mich bürgen und für das, was ich thue oder lasse, Sie aber nicht mehr. Das sag' ich ohne Groll, Terschka, ohne Sie kränken oder verurtheilen zu wollen; ich urtheile, Sie wissen es, über Menschen überhaupt nicht; lassen Sie alles wie es ist. Beschütze Sie jetzt der Himmel, Terschka! Sans adieu!
Der Graf schritt mächtig zu, gleichsam – um dem drohenden Unwetter zu entfliehen. Auch begann es in der That zu regnen.
Ein Diener blieb bei Terschka in dem wildbewegten Eichenhain zurück.
Der Graf sah sich nicht mehr um. Ohnehin ging es bergab. Er eilte wie jetzt selbst vom Sturm ergriffen. In einer halben Stunde hatte sein Fuß das Schloß erreicht. Die Frauen wachten noch. Er wollte ihnen nicht die Nachtruhe nehmen durch die Mittheilung über Benno. Sein Mund blieb auch dem Obersten noch geschlossen über alles, was er gehört. Sein Auge durchwachte die ganze Nacht und sein Ohr vertausendfachte ihm alles, was er vernommen hatte. Die grünen sturmbewegten Wipfel der Eichen rauschten um ihn her wie ferne Donner. Der Geisterton der klagenden Glocke wurde eine Mahnung, als bedrohte eine Feuersbrunst die Welt und – vor allem die theuersten Menschen, die um ihn her in nächtlicher Ruhe schlummerten. Hatte es also zehn Jahre und erst des Todes seiner Mutter bedurft, um seinen ganzen innern Menschen so mächtig aus einem Zustande der Lethargie zu erwecken –!
Terschka stand eine Weile vernichtet, bis er sich sammelte. Endlich erhob er trotzig sein Haupt, das nun schon durch die Jahre eine natürliche Tonsur trug, griff in die Tasche – gab dem Diener ein Trinkgeld und ließ sich im Gehen erzählen von den Bewohnern des Schlosses, vom Tod der Gräfin, vom morgenden Fest in Coni, von den Ueberraschungen für den 150 Erzbischof, den Reiseplänen des Grafen, von der dem Obersten hier schon gegebenen Stellung, von Monika's Reformen und von Armgart. Auch von Federigo ließ er den Diener plaudern, vom Einsiedler, der noch im Silaswalde leben sollte, nachdem er in die Hand der Räuber gefallen war, aus der ihn Frâ Hubertus – wie alle Welt erzählte, mit Hülfe seines Hundes, des treuen Sultan – errettet haben sollte. Terschka forschte mit kurzen Fragen diesem unheimlichen Namen nach, forschte Allem, was von Franz Bosbeck, seinem ehemaligen Retter, den die Nemesis schon zum Richter über Jean Picard gemacht, hier im Volksmunde bekannt war. Auch Frâ Hubertus mit dem Todtenkopf sollte noch leben. Er erstaunte – künstlich – Alles, was er hörte. war ihm schon bekannt.
Frost durchschüttelte seine Glieder – Jetzt erst warf er des Dieners Mantel um, den er bisher überm Arm getragen hatte, und bat um die Angabe eines kürzern Weges, um ins Thal und dort zum Pfarrer zu gelangen.
Der Wind hatte aufgehört. Regenströme ergossen sich. Noch schützten ihn und den Diener hier und da die Bäume der Alleen. Sie umgingen das geheimnißvoll nächtlich schlummernde Schloß. Eine Weile sah es Terschka mit dem Blick verzweifelten Neides an. Dann fragte er den Diener, ob er sich auch der Gräfin Sarzana erinnern könnte. Auch von ihr ließ er sich einiges erzählen. Den im spottenden Ton gemachten Bericht über diesen Besuch unterbrach er mit den dumpf vor sich hingesprochenen Worten: Auch sie – ist in Rom.
Terschka befahl jetzt dem Diener, ihn allein zu lassen. Den Mantel sollte er morgen vom Pfarrer im Thal wieder abholen. Es war über die elfte Stunde und rings stichdunkel. Durch ein labyrinthisches Gewinde von Gärten, über schwellend brausende, auch neuentstandene Bäche – endlich an einem malerisch 151 gelegenen Friedhof mit unheimlich blitzenden Kreuzen vorüber erreichte er das Pfarrhaus zu San-Medardo.
Aus einem geöffneten Fenster, wo noch Licht brannte, begrüßten ihn die heisern Worte: Ecco! Ecco! Al fine venuto! Sie kamen von Pater Speziano und klangen wie die Beruhigung eines angsterfüllten Kerkermeisters, dem ein verspätet ausbleibender, auf Ehrenwort beurlaubter Gefangener endlich heimkehrt.