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Vier Personen traf Bonaventura beisammen, welche wol die größten Gegensätze der Charaktere und der äußern Erscheinung bildeten, die sich innerhalb verwandter Beziehungen nur denken ließen.
Die Herzogin von Amarillas, eine weißhaarige Matrone – redete geradezu die verschlossene Thür wie ein lebendes Wesen an und kratzte mit den Nägeln an ihr. Graf Hugo sah die Herzogin von Amarillas heute, nachdem sie ihm als Angiolinens Mutter bekannt war, zum ersten mal. Die reine, nur von der Hoheit ihres Schmerzes verklärte Paula spendete Trost und versuchte die Frauen zu beruhigen. Olympia, die jetzt Dreißigjährige, befand sich in Reisekleidern. Wie im Käfig eine Löwin ging sie auf und nieder. Schmerz, Verzweiflung, Reue und tiefbeleidigter Stolz kämpften in ihren Mienen. Reue – denn sie hatte seit einigen Jahren mit Benno in Streit gelebt. Sie hatte ihm, als er ohne sie nach Rom gegangen war, ein Lebewohl für immer gesagt. Die kleine Gestalt war von Athemzügen bewegt, die mächtig ihre Brust hoben. Ihre seidenen Gewänder rauschten schrillenden Tones.
Die Herzogin war ohnehin von der Reise erschöpft. Sie sank zitternd, beengt von den Umgebungen, auf einen Sessel. Ihr ganzes Benehmen drohte mit einem Ausbruch von Irrsinn. Sie blickte starr auf den Grafen, auf die Thür. Der Graf mußte 2 sich mit Paula beschäftigen, die keine Kraft besaß, diese wilden südlichen Leidenschaften, denen, wie man deutlich ersah, Benno's Kraft schon in Paris und London hätte erliegen müssen, länger die Spitze zu bieten. Noch ahnten die Ankömmlinge nicht, daß sie von Benno abgelehnt worden waren. Sie jammerten nur um die lange Verzögerung, um die Vorbereitung, die der Todkranke auf ihr Erscheinen bedurfte. Sie wußten, daß Armgart von Hülleshoven am Krankenlager stand. Olympia kannte diesen Namen als Benno's Jugendliebe. Ihre Mienen glichen dem elektrischen Leuchten eines dunkeln Gewölks, das ein Ungewitter birgt.
Als die Herzogin und die Fürstin Bonaventura eintreten sahen, stürzten sie auf ihn zu, warfen sich ihm an die Brust, umklammerten seine Knie und beschworen ihn, sie wissen zu lassen, wie es ihrem Cesare erginge. Sie wollten den Geliebtesten sehen. Graf Hugo und Paula traten in die vordern Zimmer. Sie sahen am Benehmen des Erzbischofs eine feierliche Bewegung des Ueberlegens, eine ernste Entschlußnahme. Wohl kannten sie die Strenge, deren unter Umständen sein sonst so mildes Gemüth fähig war, kannten die Aufrichtigkeit, womit in solchen Lagen selbst der Schein der Härte nicht von ihm gescheut wurde. Meine Damen! begann er in italienischer Sprache. Welches traurige Wiedersehen! Tröste Sie wenigstens die Gewißheit, daß mein edler Freund in den Armen von Menschen weilt, die ihn lieben!
Mehr, mehr, als wir?! – Als wir?! – Lassen Sie uns zu ihm! riefen beide Frauen zu gleicher Zeit und wie im Ton der wildesten Eifersucht.
Erfüllen Sie mir eine Bitte! sprach Bonaventura. Die Augenblicke des Geliebten sind gezählt.
Er stirbt? riefen beide wiederum zugleich, und die Mutter brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus.
In wenig Stunden ist seine edle Seele hinüber. Lassen Sie 3 ihm die Ruhe – die jetzt um ihn waltet! Eben versieht ihn – die Hand des Priesters.
Ohne mich, ohne – sein Weib? – fiel die Fürstin wild ein. Sie konnte nicht ganz ihre Rede vollenden. Ein strafender Blick traf sie sowol aus dem Auge des Erzbischofs, wie aus dem des Grafen, der die Thür zuzog. Dem Grafen war die Wiederbegegnung mit diesen Frauen eine so aufregende, daß ihn jetzt Paula beruhigen mußte. Angiolinens Tod, der Ritt Olympiens durch den Park von Schloß Salem stand vor seinen Augen. Damals war im Casino anfangs die Herzogin seinem Schmerz theilnehmend verbunden gewesen – die Zeit, die Ueberlegung, die Verurtheilung des Preisgebenkönnens ihrer Kinder hatte die freundliche Stimmung des Grafen geändert.
Beruhigen Sie sich beide, sprach der Erzbischof, ich achte die Ansprüche, die Sie auf den letzten Händedruck des Freundes haben –!
Meines Sohnes! verbesserte die Herzogin und richtete ihr Auge auf die Thür, die zu den Zimmern offen stand, welche nach Benno's Lager auf anderm Wege führten. Sie wurde jetzt von Bonaventura geschlossen, indem er sprach: Nehmen Sie an, Sie hätten schon für immer von Ihrem Sohne Abschied genommen!
Für immer –? riefen beide Frauen, und Olympia fügte mit gellender Betonung hinzu: Er will uns nicht sehen –?
Bonaventura schwieg. Die Mutter blickte wie geistesabwesend um sich. Dann schien sie nachzudenken, welche Empfindungen ihren Sohn zu dieser Erklärung hätten bestimmen können. Endlich raffte sie sich mit leidenschaftlichem Entschluß auf und wollte an die Thür des Bibliothekzimmers. Der Erzbischof vertrat ihr den Weg und wollte jedes störende Geräusch verhindern. Herzogin –! sprach er fest und bestimmt. Dann seine Stimme 4 mildernd und auf die der Herzogin sich anschließende Olympia blickend, begann er: Geben Sie diese Beweisführung Ihrer Liebe auf! Niemand zweifelt ja daran! Aber der letzte Augenblick eines Sterbenden, sein letzter Wille sei Ihnen heilig! Vereinigen Sie Ihre Klagen mit den unsrigen, weinen Sie mit uns –! An seinem Bett wacht die Liebe seiner Freunde. Lassen Sie ihm die stille Ruhe des Abschieds vom Leben! Er entschläft – in Gott. Er bat nur um Eines – um – Ruhe.
Welche Liebe? wandte sich jetzt Olympia mit einer Miene, als hätte sie des Erzbischofs Worte nicht verstanden. Meinen Gatten will ich sehen – denn das ist er –! Sie rasselte an der Thür, bis Graf Hugo eintrat und ihr nicht endendes Mia anima! Mio cuore! zu beschwichtigen suchte.
Wie aus einer fremden Welt kommend verhallten diese Klagelaute – ohne Echo, ohne ein Zeichen, daß sie drüben vernommen und erhört wurden. Graf Hugo schloß noch die von innen verriegelte Bibliothekthür ab, steckte den Schlüssel zu sich, ging zu Paula zurück und blickte nur im Vorübergehen auf den Erzbischof, andeutend, ob er nicht besser thäte, zu Benno zurückzukehren und zu versuchen, ihn umzustimmen.
Aber Bonaventura stand regungslos. Wir stören die heilige Handlung des Abbate Orsini, sagte er. Beten können wir auch hier.
Olympiens Augen wurden vor Zorn durchaus weiß. Ihre Gestalt schien nun wie aus Luft gewoben. Sie schwebte hin und her und murmelte eine Reihe zusammenhangloser Worte, die dem Erzbischof sehr wohl als Erinnerung an sein Emporkommen und als Verurtheilung seiner Undankbarkeit verständlich waren.
Nichtsdestoweniger wiederholte er: Beten wir –! Drüben hörte man die Klingel des Ministranten. Weihrauchduft durchzog die Zimmer. Die Herzogin weinte nur noch.
5 Bonaventura sprach ihr mit weicher Stimme: Die Seele unseres Freundes ist ebenso krank, wie sein Körper. Lassen Sie ihm den letzten Frieden, um den er gebeten! Mich, einen Priester, bat er, die Mutter und die ehemalige Freundin selbst dann noch fernzuhalten, wenn sein Auge gebrochen ist! Es muß ihm ein heiliger Ernst mit diesen Wünschen sein. Kann ich etwas dagegen thun? In jener Zeit, wo der Freund nur noch Ihnen und Italien gehörte, muß er Schweres gelitten haben.
Wahnsinn! Wahnsinn! rief Olympia.
Sagen Sie: Verklärung und Erhebung vom Irdischen! entgegnete Bonaventura. Nicht über Sie hat er ein Gericht halten wollen, sondern über sich. Sie können nicht begreifen, wie sein Leben von Deutschlands heiligen Eichen ausging, wie die Wipfel der Tannen, unter denen Sie einst betrogen wurden, Herzogin – wir alle wissen es mit Beschämung – ihm dennoch die süßesten Märchenträume sangen. Anfangs wand er sich künstlich vom Zauber seiner Heimat, seines deutschen Vaterlandes los und verbitterte sein Gemüth gegen die Welt, in der er lebte. Da fand er dann Sie und der künstliche Haß wurde ein scheinbar natürlicher. Ihnen und dem Lande seiner Mutter, Ihren Interessen, Ihren Hoffnungen widmete er sich ganz. Das wurde zum Fieberbrand, der ihn zuletzt verzehrte. Der nordischen Sehnsucht zum Süden ging es ja immer so! Nun aber, nun weht ihn noch einmal die Kühle aus den deutschen Eichen an – umgaukeln ihn die Bilder aus den grünen Tannenwäldern der Heimat des Mannes, der ihn erzog, seines wahren Vaters, des Dechanten – lassen Sie ihm diese letzte Erquickung des Verlorenseins in seiner deutschen Jugend nach dem heißen Sonnenbrand, während Sie drei ja einst – genug zusammen glücklich gewesen sind!
Die Zauberei eines Mädchens seh' ich, das ihn in seinen letzten Augenblicken bestrickt! unterbrach Olympia, und ihre 6 Zähne glänzten, wie sie beim Anblick seiner Beute der Wolf wetzt.
Lastern Sie nicht, Fürstin! sprach Bonaventura voll Unwillen, doch kehrte er zur Milde zurück und sagte zur Mutter: Reisen Sie mit Gott, Herzogin! Sie haben lange ein Herz besessen, das sich Ihnen opferte. Wenn dies Herz im letzten Augenblick nur umfangen sein will von jener Einsamkeit, die einst den armen verstoßenen Knaben, der sich selbst oft einen Zigeuner im Leben nannte, umfing, wenn er an die grünen Wälder zurückdenkt, die Sie verfluchten, weil Ihr Ehrgeiz dort betrogen wurde, lassen Sie ihm diese Erinnerungen! Armgart von Hülleshoven schloß ebenso die Augen seines zweiten Vaters, des Dechanten. Ich vermochte nichts gegen einen Wunsch des Freundes, der so fest, so unwiderruflich fest ausgesprochen wurde –
Die Herzogin weinte und schien sich bereits zu ergeben. Sie erinnerte sich der letzten Jahre zu London, die unausgesetzt für Benno nur Qualen geboten hatten – Olympia hatte wieder angefangen, ihre tyrannische Natur, Eifersucht und jede ihrem Naturell entstammte Plage geltend zu machen – Die Mutter verstand, was Benno gethan, als er floh, und was er eben that – sie verstand, warum sein schroff gewordener, verdüsterter Sinn so und nicht anders aus dem Leben scheiden wollte.
Olympia fühlte die gleiche Berechtigung so harter Strafe, aber sie ergab sich nicht. Starr blickte sie zur Erde. Sie hatte sich allmählich setzen müssen. Ihre Brust kochte vor Rache und Eifersucht.
Die Thränen der Herzogin rührten den Erzbischof. Er gedachte der eigenen Mutter, die nun auch vielleicht bald vom Leben schied und gleichfalls im brechenden Auge das Gefühl einer großen Schuld zeigen konnte. Er bemerkte die wiederholt bittenden Blicke des Grafen, der von Olympiens Kälte und ihrem drohenden 7 Schweigen allmählich das Schlimmste befürchtete. Schon hatte er gehört, daß sie in Verbindung mit Gräfin Sarzana stand. Jetzt mußte er sogar der Terschka'schen Drohungen gedenken. Bitte! sprach er zum Erzbischof und deutete an, daß man besser thäte, den Versuch zu machen, ob sich nicht Benno umstimmen ließe.
Wollen Sie mir versprechen, sich ruhig zu verhalten? erwiderte Bonaventura. Ich will noch einmal an Ihres Sohnes Lager treten.
Die Frauen hoben flehend die Hände, selbst Olympia.
Da trat ihm Paula, die inzwischen durch die andere Verbindung der Zimmer in der Nähe der Sakramentsertheilung geweilt hatte, entgegen und sank weinend in die einzigen Arme, die sich ihr hier entgegenstrecken durften – die ihres Gatten. Sie sagte mit erstickter Stimme: Er ist hinüber –!
Der Ausdruck des Schmerzes bei den beiden Italienerinnen war unverstellt. Sie schwiegen eine Weile, wie vom Strahl des Himmels getroffen – und in der That wie für all die Qual bestraft, welche Frauen, unter dem Vorwande der Liebe, über die Freiheit des männlichen Willens und ein dem Manne nothwendiges Sichbewußtbleibenmüssen männlicher Kraft verhängen können. Sie drängten, Benno sehen zu wollen – die Mutter that es wie eine Irrsinnige.
Bonaventura erinnerte sie aber, wie oft der Freund von Angiolinens Tod gesprochen, wie oft er behauptet hätte, die Schwester müßte noch die entsetzliche Scene zwischen ihm und der Mutter gehört haben, die Todten verließen die Erde langsamer als wir glaubten. Und eben noch hatte der Freund in diesem Sinn um die Stille seines Sterbelagers gebeten. Bonaventura bat die Frauen, zurückzubleiben. Selbst Klagen, selbst Thränen nicht in seiner Nähe! sprach er. Er hätte dies dem Freunde geloben müssen.
8 Abbate Orsini ging eben mit den Sterbesakramenten vorüber an der offen gebliebenen Thür. Der Anblick der Monstranz gebot den verzweifelnden Frauen Ruhe und Selbstbeherrschung. Bonaventura benutzte diesen Moment, um sich zu entfernen. Graf Hugo begleitete ihn. Es drängte beide an das Lager des todten Freundes. Beide durften es Paula überlassen, den zurückbleibenden Frauen Worte des Trostes zu spenden mit der ihr eigenen Güte des Tons, mit der ihr im bittersten Leid noch eigenen Hoheit.
Die Fürstin sah, daß die Herzogin dieser edeln Erscheinung gegenüber lange schon die Fassung verloren hatte, obgleich sie wußte, daß diese blonde Deutsche die Ursache des Bruchs zwischen dem Grafen und Angiolinen war. Oft, wenn von ihrem Ritt durch den Park von Schloß Salem als Ursache des Todes Angiolinens gesprochen wurde, hatte Olympia die Schuld auf diese Gräfin und auf ihr Geld geworfen. Jetzt auch sah Olympia allmählich schon verächtlich zu ihr empor und sprach zur Herzogin, die zugleich auch von den Jahren schon tiefgebeugt erschien, ein Andiamo! nach dem andern; ja als diese mit den Nägeln in ihrem Antlitz wühlte, hauchte sie die Worte: Keine Schwäche!
Die Nähe des nun wirklich eingetretenen Todes beängstigte im Grunde niemanden mehr als Olympien. Sie hätte den ehemals heißgeliebten Freund vielleicht nicht einmal im Tode mit Entschlossenheit betrachten können. »Nichts ist schöner, als der Tod!« hatte einst die Mutter Benno's gesagt, als sie zu Angiolinens Leiche trat. Sie wiederholte dies Wort. Doch kannte sie Olympiens abergläubische Furcht, ergab sich und sagte nun, daß sie auch ihrerseits besorgte, dem Anblick zu erliegen. Die aufgeregt hin- und hereilenden Bewohner und Diener des Hauses konnten es zuletzt natürlich finden, daß die greise Dame, die zum allgemeinen Staunen die Mutter des Hingeschiedenen war, langsam die Treppe niederstieg und am Portal in ihren Wagen sank. 9 Die Fürstin ging der Schluchzenden zur Linken. Paula begleitete sie zur Rechten.
Schon waren sie auf der Mitte der Stiege, als ihnen noch der Erzbischof und der Graf nachkamen und sie bis zum Portal begleiteten. Noch einmal bat Bonaventura um Vergebung und lud die Frauen ein, in einigen Stunden wiederzukommen – Graf Hugo träfe Anstalten, dem Geschiedenen einen militärischen Katafalk zu errichten mit allen kriegerischen Reliquien, die sich noch in Benno's Gepäck vorgefunden hätten. Ohne Zweifel strömte die ganze Stadt herbei, den römischen Republikaner zu sehen. Die Herzogin versprach, in einigen Stunden zu kommen.
Olympia schwieg. Sie sah sich mit Verachtung und mit einer vor Zorn bitterlächelnden Miene um. Ihre Gedanken schienen durchaus abwesend. Fast war es, als wollte sie die Menschen messen, die sie sah, und etwa wahrnehmen, bis wie weit sie an ihnen das Bedürfniß nach Rache befriedigen konnte.
Der Graf bot sofort den beiden Scheidenden eine Wohnung in seinem Palais an, ja er traf in ihrer Gegenwart Anordnungen, sie bis zum Begräbniß und, wenn sie wünschten, noch auf längere Zeit würdig bei sich zu beherbergen.
Die Herzogin sah gerührt und bittend auf Olympien. Diese nickte gelassen und ließ sich zum Hotel fahren.
Olympia hatte anders beschlossen. Von den flehentlichsten, ja fußfälligen Bitten der Herzogin, daß sie beide wenigstens bis zum Begräbniß bleiben möchten, erfuhren nur zufällige Lauscher an den Thüren des Hotels etwas. Trotz Benno's Beistand, trotz der Mittel, die ihr Benno schon bei seiner Abreise nach Rom lebenslänglich ausgesetzt hatte, war die Herzogin schon wieder nur die Duenna Olympiens geworden! Sie hatte gegen diesen wilden Charakter keine Kraft des Widerstands.
Olympia fragte die gebeugte, von Reue gefolterte Frau mit 10 durchbohrender Ironie, ob sie Verlangen trüge, Armgart von Hülleshoven kennen zu lernen –? Alle Welt erstaunte dann, als sie Postpferde bestellte. Diese kamen nicht sofort und schon machte sie dem Wirth eine Scene. Ihr Reisewagen fuhr an, sie bezahlte den Aufenthalt dieser wenigen Stunden und schritt ruhig die Treppe des Hotels nieder an den geöffneten, rings von Menschen umstandenen Schlag ihres Reisewagens. Die Herzogin kam nicht sogleich. Olympia ließ den Postillon eine Mahnung blasen. Einige Minuten, die Herzogin erschien und der Wagen rollte von dannen.
Wären die Frauen noch einen Tag länger geblieben, so hätte sich vielleicht ein Zwiespalt, der, wie sämmtliche über diese Abreise erstaunten Freunde fürchten mußten, nicht ohne Folgen bleiben konnte, durch eine glückliche Vermittelung gelöst. Thiebold de Jonge traf am Morgen nach dem erschütternden Heimgang Benno's ein und bot allen trauererfüllten Herzen, die er hier antraf, eine wahrhafte Erquickung. Auch der Oberst und Monika waren von Castellungo herübergeeilt, sogar der kranke Hedemann, der dem ersten Jugendleben Benno's so nahe gestanden hatte. Kaum hatte Thiebold, der seither mit Benno in innigster Verbindung geblieben war, von den ersten Opfern der Belagerung Roms an Porta Pancrazio gelesen, als er sich »vom Geschäft« losriß und »bei allem Unglück den glücklichen Gedanken« hatte, erst über Coni und Castellungo zu reisen. Mit dem ganzen Schmerz der hingebendsten, treuesten, bis über den Tod ausdauernden Freundschaft traf er den Freund schon vom Leben geschieden. Bebend trat er an den ausgestellten Leichnam, weinte wie ein Kind – ordnete aber sogleich des Freundes graue Locken mit seiner Linken und drückte mit der Rechten Armgart's Hand, die ihn gewähren ließ. Fand er von allen gebeugten Herzen den Ton der natürlichen Ergebung zuerst und konnte, den 11 theuern, mit seinem Leben so innig verwachsenen Freund betrachtend, mit liebevollster Prosa sagen: »Merkwürdig; eigentlich hat er sich nicht verändert!« so konnte er doch sein »Er hat mich erzogen!« mit einem Schluchzen sprechen, wie eine mit vierzig Jahren »mutterlos dastehende Waise«. Die Verbindung mit Benno war ungetrübt geblieben; seine von einem unermüdlichen Hin- und Herreisen begleitete Vermittlerschaft hatte in den stürmischen letzten Lebensjahren des Freundes die äußersten Katastrophen zu verhindern gewußt. Jetzt war alles so gekommen, wie jener Scherz in den zauberischen Tagen auf Villa Torresani bei Rom nicht ahnen ließ und wie er doch, nach den Launen der Nemesis, hatte enden müssen.
Armgart und Thiebold konnten an Benno's Leiche noch manche Melodie aus alten Zeiten zu hören glauben. Freilich rissen die Melodieen schmerzlich ab – »Durch wessen Schuld –?« lag in Thiebold's Blicken, als er die hohe, so seltsam anders, als er erwartet, entwickelte Gestalt Armgart's betrachtete und an den räthselhaften Abschied erinnerte, den sie ihnen beiden einst hatte im Schloß zu Westerhof – wegen ihres »Gelübdes« – geben können. Jetzt erdrückte ihn fast »eine Art Ehrfurcht« vor Armgart's Geist und gereiftem Urtheil.
Die Veränderung des tiefbetrübten Lebenskreises wurde die mächtigste, als Bonaventura unmittelbar nach Benno's Bestattung zu seiner inzwischen in Rom angekommenen Mutter berufen wurde und der Graf, trotz aller Gährungen seines Innern, in der That erklärte, das Bedürfniß zu fühlen, auch seinerseits den Präsidenten zu begrüßen und deshalb mit Paula den Erzbischof zu begleiten. Ueber diese Ausrede, die einer ganz andern Rücksichtsnahme galt, wallte Monika vor mächtigster Regung einer Entrüstung auf, die sie sich nur gerade jetzt in dieser allgemeinen Trauerstimmung scheute auszusprechen.
12 Ein Glück, daß Thiebold's rege Fürsorge für alle und über alles wachte. Das Begräbniß des Freundes, die Ausschmückung des Grabes, das Errichten eines Denksteins, alles das fiel auf seinen Theil und nichts ließ er sich von dem, »was sich ja von selbst verstand«, nehmen. Er sagte: »Auf unserm gegenseitigen Contocorrent hat Benno noch so viel Saldi und Ueberträge zugute, daß ich sie in diesem Leben nicht tilgen kann!«
Armgart, wie die Sonne am herbstlichen Tag, dankte ihm voll wehmüthiger Freude – so für sein Kommen wie für sein längeres Bleiben.