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Ich führe, las Scharfeneck, die Aufmerksamkeit der geehrten Hörer – die Hörerinnen stell' ich bei so unromantischen Gegenständen aus Artigkeit in zweite Linie – auf eine Gruppe von Menschen, die sich in der Nähe einer großen Stadt eine eigenthümliche Aufgabe gestellt haben.
Sie wandern, einige zehn oder zwölf Köpfe stark, aus Männern, Weibern, Kindern bestehend, von den Thoren des rauschenden staubigen Chaos, in dem sie leben, an einem Sonntage in aller Frühe hinaus auf's Feld und wollen, es ist im Monat Mai, acht Tage nach dem grünen Pfingstfeste, jenen Spruch des Dichters: ›Es giebt im Menschenleben [50] Augenblicke, wo man eine Frage an das Schicksal frei hat,‹ auf ein Stück Ackerfeld anwenden, das in der Ausdehnung von hundert Quadratschuhen zwischen einem blühenden Weizengrunde und einem Mastenwald von Hopfenstangen sich mehrere Jahre als ergiebiger Boden für eines Bauern Rapssaat bewährt hat und dießmal in der Brache gründlich ruhen sollte. Ihre Hoffnung auf eine Ernte ist auf das tägliche Brot des Jahrhundertes, die Kartoffel, gerichtet. Mit der Kartoffel wagen sie einen Dilettantenversuch im Ackerbau, der in großen Städten nichts Seltenes ist. Man miethet einem Bauer, der Armen und Reichen täglich die Milch bringt, ein Stück Feld ab zu einer einmaligen Kartoffelernte. Man entlehnt von ihm, wenn er sie billig giebt, die Satzfrüchte. Im andern Falle bringt man auch selbst seinen Sack voll Aussaat mit und sieht dann zu, was Gott bescheren wird.
Es versteht sich von selbst, daß die Gruppe dieser ›Kartoffelsetzer‹ nicht etwa aus unsern reichen Brauherren oder Bäckern oder Fleischern besteht. Es sind geringe Leute, die mit dem ersten Sonnenstrahl heute vom Bett sich erheben und die ihnen einzig übrige Zeit, den Sonntag, anwenden, um die von ihnen gemietheten hundert Quadratschuh umzugraben, [51] dann mit mehreren vom Bauer entliehenen Hacken Gruben und Grübchen zu machen und diese mit einer Aussaat zu füllen, die der Bauer gleichfalls bereit halten wollte. Doch sind es auch wieder nicht Bettler, die daher vom Thore wandern, an den Kirchhöfen und Schenken vorüber, das erste größere Dorf bei Seite liegen lassen und um sieben Uhr endlich an dem Vorwerke Rugenwalde anlangen. Es sind Leute aus den Mittelschichten, Handwerker, Gesellen, auch ein Meister unter ihnen, deren Weiber, Hausfreunde und die mit Körben belasteten Kinder. Die Männer gehen in Hemdärmeln. Ihre Röcke tragen sie auf Ziegenhainern oder krummgehalsten Schlehdornstäben. Im Sonnenschein funkeln die reinen Hemden, die eine scharfe Kritik ertragen müssen, denn die Führerin des ganzen Zuges und ihre leitende Seele ist eine berühmte Wäscherin.
Der Bauer und sein Gesinde waren in die Kirche nach Buchenau hinüber. Doch hatten einige Kinder die Instruction erhalten, die ›Stadtminschen‹ (im Gegensatz zu den ›Buuerslüden‹) zum Feld hinauszuführen und ihnen einige kleine Säcke voll Kartoffelaussaat und eine Anzahl Spaten, Rechen, Handhauen zur Verfügung zu stellen. Nach einem herzhaften Frühstück ging man um halb acht Uhr an [52] die Arbeit, die sich keineswegs gering anließ, denn der Bauer gab seinen Acker gerade nur so, wie er im vorigen Jahre seinen letzten Raps von ihm geerntet, ihn dann umgepflügt und so zu einer längern Pause bestimmt hatte. Der Gatte der Wäscherin, Steinsetzer, brummte über den Mangel an Vorbereitung nicht wenig; aber seine Frau, seine Schwester, sein Schwager, ein Schneider von einer besondern Muthigkeit, dessen Altgesell, ein dürres, flügges Junggesellelein, drei erwachsene Töchter des Schneiders, ein besonders anmuthiges, sehr gefälliges Mädchen, das man Malvina nannte, Alles ermunterte sich wechselseitig, den Muth nicht sinken zu lassen, sondern mit dem Werke um so mehr zu beginnen, als von Stunde zu Stunde neue helfende Hände von der Stadt nachkommen würden.
Die Männer ließen Getränke wandern. Die Kinder fangen. Die Frauen lachten. Es ging flink und lustig und die anfeuernde Kriegsmusik kam besonders von zwei Menschen, die, obgleich mit verschiedenen Mitteln, doch zugleich die Hände und den Geist in Bewegung setzten.
Die eine muthige Trompete blies Malvina, die andere ein junger Mann mit feinern Gesichtszügen, zierlichem Bart um Lippe und Kinn, sauber gefältelter [53] Wäsche, ein junger Mann, den man Hartmann nannte, die Kinder wohl auch Siegmund.
Malvina trillerte und wirbelte wie eine Lerche, jubelte und zwitscherte. Sie wußte die Arbeiter anzufeuern mit den schönsten Opernreminiscenzen; denn sie hatte sehr oft Billets und sogar an einem Abend für sämmtliche Theater zwei. Sah man das volle, blühende junge Mädchen mit dem Spaten, den auch sie führen wollte, und verglich dabei ihre städtische Tracht, den zierlichen durchbrochenen Strohhut mit fliegenden langen Seidenbändern, eine schwarze Echarpe von Seide und ein Sommerkleid, unten mit dreifachen Volants, so hätte man wirklich glauben dürfen, hier würde eine Theaterscene gespielt. Es war Margarethe aus den Hagestolzen und gerade so wie aus der Maskerade gekommen. Die zarten Hände, die nur das feinste Bügeln bei Frau Peltzern, ihrer ›Tante,‹ besorgten und die im Kräuseln und Plätten der schwierigsten Chemisettenfalten ihres Gleichen suchten, fanden sich zwar mit dem Spaten nicht zurecht, das zierliche Füßchen mit den leichten Sommerkamaschen von Nanking und den Perlmutterknöpfchen daran konnte dem eisernen Scheit keinen Nachdruck geben, aber ihre Mitwirkung war und sollte nur sein eine moralische. Sie belebte die ganze Unternehmung. [54] Sie lachte, sie scherzte, sie sang, sie spottete, und in dem Altgesellen Leimgang, der sichtlich, trotz seiner Jahre, und vielleicht gerade wegen ihrer in sie verliebt war, in dem hätte sie heute geradezu einen Wettkampf mit allen Arbeiten des Hercules hervorbringen können. Tante Peltzer warf ihr zuweilen gewisse Blicke zu, die von einem Nachsinnen Kunde gaben, das viel ausdrücken konnte. Der Hauptsinn dieser oft schmunzelnden, ja zuweilen unheimlichen Blicke war jedenfalls der: ›Schon' Dich nur, Malvina, sonst liegst Du da und hast die Bescherung!‹
Die andere Belebung und Anfeuerung, die von Herrn Siegmund Hartmann, einem jungen Handlungscommis, ausging, war gleichfalls eigenthümlich.
Der ergriff auch den Spaten, merkte jedoch bald, daß seine Cigarren mit solcher Arbeit in Collision kamen. Er hatte sich dieser Partie nicht etwa als Interessent an der Ernte, sondern nur deßhalb angeschlossen, weil er in Malvina eine Liebe zu ihm voraussetzte. Er ließ bei Frau Peltzer waschen und zog sich die Achtung dieser umsichtigen Frau besonders durch seine Genauigkeit, deutsch: Accuratesse, zu; denn Siegmund Hartmann war einer derjenigen ihrer Kunden, die am schwierigsten zu behandeln waren, obgleich sie für einen Geheimrath und sogar [55] einen jungen Grafen wusch, dessen Vertrauen sie selbst in der Auswahl seiner Completirungen genoß. Sie war es, die dem jungen Grafen Luchsifuchsi die Leinwand ankaufte, sie ließ für ihn nähen und hielt ihm auf eine Art das Haus zusammen, die ohne Zweifel den Neid seines ersten Bedienten, Herrn Morbiller, erregt hätte, wenn nicht Beide in allen diesen Geschäften, wie noch in einigen andern, vorgezogen hätten, Hand in Hand zu gehen. Siegmund Hartmann war indessen noch ›eigner‹ als Graf Luchsifuchsi, der doch seinerseits für einen jugendlichen und nur seinen Erfolgen lebenden Don Juan galt, ›eigner‹ und accurater sogar als sein Kammerdiener Morbiller, der im Punct seiner Vorhemden mit seiner sonst besten Freundin, Frau Peltzer, nicht immer harmonirte.
Und Malvina schien wirklich Siegmund Hartmann zu lieben, obgleich dieser auf den ersten einfachsten Kennerblick ein Tyrann war, ein junger Mann voll Eitelkeit und dem gefährlichsten Selbstgefühl.
Sie bewies ihre Liebe durch Neckereien. Da es Herrn Hartmann unmöglich war, beim Graben, Setzen, Schaufeln seine Cigarren zu rauchen, deren er sich ein Dutzend für den Sonntag in einem Strohetui mitgenommen, so gab er sich das Ansehen, als [56] stünde er über dem ganzen Vorhaben dieser Gesellschaft, und ließ sie es merken, daß sie es sich zur Ehre anrechnen sollte, wenn er sie unterstützte. Und sie rechnete es sich wirklich zur Ehre. Sie ertrug, daß Hartmann unausgesetzt die Hoffnungen verspottete, die man auf die Octoberernte setzte. Allgemein war die Bewunderung vor seinen: Auch nicht übel! A la bonne heure! Merkst Du was? Zwei Schritt vom Leibe! und ähnlichen sogenannten ›Witzen.‹ Hartmann war in Frankreich gewesen, und ohne seine eigene Muttersprache richtig zu sprechen, warf er mit französischen Brocken um sich, die sich in eine an's Aeffische streifende Nachahmung verloren. Wenn er dann und wann seinen Spaten ergriff und Miene machte, einen Haufen Erde abzustoßen oder zuzudecken, so rief er wie ein französischer Aufläder: Hé! Holá! Houp! womit er eine unbeschreibliche Wirkung bei Jung und Alt hervorbrachte. Mochten diese aber noch so sehr über ihn lachen, noch so sehr sein Hé! Holá! Houp! bewundern, wie wir einen Einfall von Swift oder Voltaire bewundern, das hinderte ihn nicht, in dem Falle, wenn ihm von ihren Spaten auch nur Ein Sandkörnlein an seine weißen Piquébeinkleider sprang, in hellen Zorn auszubrechen und Worte zu rufen von eisigster Gemüthskälte. [57] Diese Gemüthskälte wurde von Allen als Sinn für Sauberkeit und Ordnung aufgenommen, und in der That, auch Malvina schwärmte für ihn.
Soll ich noch einige dieser edeln und echten Volkscharactere genauer schildern?
Genug! Es kam endlich der Bauer Thomas mit seiner ganzen Familie aus der Kirche zurück. Er mußte nicht wenig erstaunt sein, die Arbeit auf seinem Felde in so munterem Fortgange zu erblicken. Der Bauer lachte, nicht ohne einen kleinen Anflug von Neid, wie er dem Landmann eigen ist. Zu einem Lächeln, zu einem Kopfschütteln sogar und zu einem Kratzen hinter'm Ohr war zuletzt Raum genug gegeben. Wie dem schulgerechten Reiter der lateinische lächerlich erscheint, so lateinisch und laienhaft mußte dem Bauer Thomas, seinem Weibe und seinen Knechten diese Ackerwirthschaft der ›Stadtminschen‹ erscheinen. Er stopfte sich die Pfeife, setzte sich unter einen großen Weißfliederbaum, der seinen Räder-, Deichsel- und Pflugvorrath beschattete, und sah der in der Erde wühlenden, übermüdeten, halbtrunkenen Gesellschaft lachend von Ferne zu.
Zur höchsten Freude der Frau Peltzer und zur Erlösung von langer Spannung hatte diese sich inzwischen durch zwei neue Gäste vermehrt, den [58] Kammerdiener des Grafen Luchsifuchsi, Herrn Jean Morbiller, und einen blassen, aber wohlgekleideten Mann in einem weißen Hute, Namens Lude Wächter …,
»Lude Wächter?« rief eine Dame von Scharfeneck's Zuhörerinnen. –
Er hielt inne.
»Ist das,« sagte die Dame schüchtern, »jener Ludwig Wächter von der schlesischen Grenze, den einst mein seliger Schwager, der Landrath von Werthern, als ein Muster der seltensten sittlichen Anlagen, die nur im Volke schlummern können, aus einem Dorfe herausnahm und nicht eher ruhte, bis dieß Kind auf Staatskosten erzogen wurde?«
Scharfeneck erschrak fast, daß er so unvorsichtig gewesen und Wächter's wahren Namen ausgesprochen hatte.
Indessen bejahte er die Frage und fuhr fort:
Wenn man den Kammerdiener des Grafen Luchsifuchsi mit einigen kurzen Strichen äußerlich kenntlich machen wollte, brauchte man nichts, als ihn einen Mann zu nennen, der zu seinem Leibrock eine Elle Tuch mehr als andere Mitmenschen brauchte, ein behäbiges Doppelkinn hatte, das sich tief in seine leichtgeknotete weiße Halsbinde einwühlte, einen rothen Backenbart, Ringe an den Fingern und Ringe in [59] den Ohren. Frau Peltzer rief ihm ein lautes Ach! der Freude entgegen, Malvina fast ein Ach! des Schreckens …, Ludwig Wächter bezog diesen Schrecken auf sich …, Dieser gebückte, schmächtig gebaute, verdrießliche Mann mit blasser Miene, stechenden grauen Augen, fast bartloser Lippe war ein halber Gelehrter. Er gab Unterricht in Elementarkenntnissen. Seine Herkunft war unbekannt, Alle aber wußten, daß er ein geregeltes Leben führte, hohe Gönner hatte und sich durch Stundengeben in den untern Sphären allmälig eine Summe Geldes erspart hatte. Berechnete man freilich, wie gering der Ertrag aus solchen einzelnen Groschen sein konnte, so begriff man wiederum nicht, welche Kunst der Oeconomie Herrn Wächter zu Gebote stand. Man behauptete, daß er zugleich die Functionen jener öffentlichen Schreiber verrichtete, die in Rom, Venedig, Paris in ihren Buden auf offenem Markte den jungen Burschen und Mädchen, die nicht schreiben können, ihre Herzensangelegenheiten in briefliche Formen bringen. Für diese Thätigkeit, die sich auch auf schriftliche Eingaben bei Gerichten, ja sogar auf schwungvolle Gelegenheitsgedichte erstreckte, hatte der, wie man sagte, ‚verdorbene‹ Lehrer Lude Wächter – der Ursprung dieses vertraulichen Vornamens war [60] unbekannt – einen weitverbreiteten Ruf. Er mußte in eine Menge von Geheimnissen eingeweiht sein, mußte die Lebensbeziehungen von Menschen kennen, die sich selbst Niemanden verriethen, am wenigsten in der Eigenschaft, nicht lesen und nicht schreiben zu können. Er schrieb dem Schneider alle halbe Jahre seine Rechnungen, einem Krämer führte er sein Jahresbuch, er war in allen Familien heimisch, bei keiner eigentlich beliebt, bei Niemanden eigentlich gern gesehen und doch überall zugegen. Lude Wächter schien auch von Malvina zu wissen, daß sie nicht gut schreiben konnte, wenigstens da nicht so, wo man nicht gern verräth, daß einer so reizenden Außenseite so wenig innere Bildung entspricht. Malvina erschrak vor Lude Wächter wie ein freigelassener Verbrecher vor seinem ihm zufällig begegnenden frühern Inquirenten. Die hübsche Närrin wird nicht viel mehr von Lude Wächter sich haben schreiben und aufsetzen lassen als allerhand ablehnende Huldigungen, aber sie war eitel und verrieth nicht gern, daß sie nur unorthographisch und eigentlich so gut wie gar nicht schreiben konnte, am wenigsten aber verrieth sie dieß gern in Gegenwart des Herrn Morbiller, des Kammerdieners beim jungen liebenswürdigen und schwarzgelockten Grafen Luchsifuchsi.
[61] Herr Morbiller und Lude Wächter halfen noch, jener, trotz seines Siegelringes am Finger, dieser trotz seiner geringen physischen Kräfte, an der Kartoffelsaat. Es war noch immer ein großes Stück Arbeit zurückzulegen. Man fand es zu gnädig, daß auch Herr Morbiller hier helfen wollte. Doch zog dieser wirklich den Frack aus, legte sich ein seidenes ostindisches Tuch unter sein mächtiges Knie und fing an mit aufgekrämpten Armen zu wühlen, zu setzen, zu häufeln.
Wer die geheimen Gedanken errathen hätte, die da mit in die Erde vergraben wurden! O du heiliger Boden der Natur! Welche Hände berühren dich! Welche Blicke wurzeln sich in die unbefleckte Reinheit deiner Schollen ein! Der Eine durchwühlt dich stier und schon halbtrunken, der Andere voll innerer Verwünschung um all' die Plage, der Dritte mit dem Geize eines Harpagon, der Vierte mit den Folterqualen der Eifersucht, ein junges leichtsinniges Mädchen mit Ringen am Finger, die über ihren Stand hinausfunkelten! Nur die Kinderhände arbeiteten mit freudiger Hingebung an die Sache selbst; den Kindern schwebte einzig und allein von ihrer Mühe das erreichte Bild einer geernteten Saat vor. Sie wußten von der Schule her, wie reich sich der [62] Segen Gottes in dieser Frucht bewährt, wie sie von fernem Meere kam, eine Wohlthat der neuen Welt wurde, und wohl erinnerten sie sich, im letzten Herbst gesehen zu haben, wie ein solcher grüner Strauch, den man anfangs für die Frucht selbst hielt und vor hundert Jahren kochen wollte, allmälig abwelkend herausgehoben wird, und was für ein Gewimmel und Gedränge das war! Da hingen an den Wurzeln große und kleine Knollen, Früchte von der Größe eines Weihnachtsapfels bis zu den kleinsten, die einer Erbse glichen! Und wie viel bunte und wunderliche Figuren durcheinander! Früchte, die wie Eier, andere, die wie Kegel aussahen, manche zu zwei, Zwillinge, ein Altes und ein Junges wie zusammengewachsen, das Bild einer Familie, eines ganzen Stammbaumes der Fortpflanzung, eine Caritas der Natur.
Gegen sechs Uhr war denn endlich das mühselige Werk vollendet. Die Sonne stand noch golden. Aber manche der müden Arbeiter waren schon unbeschreiblich ungeduldig geworden. Hartmann entwickelte Characterzüge, die der Hinneigung, die Malvina in der That mit aller Reinheit der Gesinnung für seine ›Absonderlichkeit‹ und seine ›Eigenheit‹ fühlte, jeden Halt nahm. Sie liebte ihn. Lude Wächter wußte es. Sie hatte bisher noch allen Lockungen [63] und Huldigungen der Welt widerstanden; doch war sie wie eine zu sehr erblühte Rose, die den Gärtner bittet, sie noch in einen schönen Kranz zu winden, ehe sie auseinanderfallen würde.
Die Sonntagsspaziergänger kamen schon von Buchenau herüber und standen an dem Acker still, wo Stadtleute wie Bauern arbeiteten. Sie lachten. Die Scham reihte sich jetzt an Aerger. Der Schneider, der Ehrgeiz und bedeutende Kunden besaß, blickte kaum auf. Der Steinsetzer begann mit den Gaffenden einen Zank. Morbiller seufzte und sprach vom Walde und vom Kaffee, den man selbst hatte kochen wollen, sprach von Brombeerhecken und den grünen Rasenplätzen. Endlich war man zu Ende. Hartmann gab dem ganzen Werk, wie er sagte, den ›Segen‹, indem er mit seinem rechten ›Vernisstiefel‹ einen Bogen rund über das Feld zirkelte und sich dabei auf dem linken Absatz umdrehte. Man belachte auch diese Wendung des glücklichsten aller erzwungenen Komiker, reinigte sich am Brunnen des Bauern und ging dem Walde zu, wo man die im Auge gehabte grüne Stelle, um sie nicht andern Spaziergängern abzutreten, von einigen Kindern hatte bewachen lassen. Der levantische, dünne, aber doch heiße Trank, den man sich auf zusammengerafftem Reißig selber braute, belebte [64] einigermaßen die erloschenen Lebensgeister. Hartmann ergriff schon seine neunte Cigarre. Malvina schwieg. Sie war am meisten erschöpft, sie streckte sich auf einem Umschlagetuche, das sie über dem Rasen ausgebreitet hatte und sah gedankenlos oder gedankenvoll, wer konnte es errathen, in den staubigen Kiefernwald, der sich, da plötzlich Regenwolken heraufzogen, zu verdunkeln anfing.
Morbiller hatte ihr schon einige mal zugeraunt, sie möchte ihm für einige Worte Gehör geben; er hätte ihr eine Mittheilung zu machen.
Endlich brach man auf. Bei der Wanderung durch den Tannenwald drängten sich drei Menschen um Malvina. Sie hatte den Hut in der Hand und schlenkerte ihn an den seidenen Bändern hin und her. Ein ihr zuweilen in dem langen Kleiderbesatz fest sich nestelnder Tannenzapfen gab Gelegenheit, daß sich bald Morbiller, bald Hartmann, bald der durch alle außerordentlichen Eindrücke dieses Tages in Ekstase gerathene Altgesell Leimgang ihr dienstbar beweisen wollten. Eine solche kleine Coquette der Bürgerwelt – wahrlich sie genießt mehr Huldigungen als alle gebildeten ›Töchter edler Herkunft,‹ welche die Sprache der Liebe nur aus ihrem goldgeschnittenen ›Geibel‹ oder der minniglichen ›Amaranth‹ kennen. [65] Ihr Armen, all' euer Französisch, euer Englisch, eure Musik, euer romantisches Schwärmen trägt euch nicht halb so viel Befriedigung der innern Sehnsucht ein, wie eine solche kleine Königin der Dachstuben- oder Kellerwelt an einem einzigen Sonntage erntet! Malvina tändelte mit der Beflissenheit der drei Männer (im feurigen Ofen der Eifersucht), wie ein Escamoteur mit seinen Bällen spielt.
Endlich aber gelang es doch dem Kammerdiener, sie an einem Busch festzuhalten, während Hartmann eilte, aus Furcht, das Gewitter könnte seine ›Vernisstiefeln‹ überfallen.
»Fräulein!« – sagte Morbiller und hielt Malvina so fest, daß sie hinter dem Busche stehen bleiben mußte.
»Was wollen Sie?« fuhr sie auf und wollte sich losreißen.
»Lesen Sie!« flüsterte Morbiller: »Ein Brief vom Grafen.«
Er drückte ein zierliches Billet in die von einem schwarzen Floretthandschuh bedeckte Hand Malvinens.
Diese aber stieß das Billet hocherröthend zurück und sagte: »Hier, daß ich's nicht vergesse! Ich brachte den Ring heute der Tante zurück. Sie wollte ihn nicht nehmen. Jetzt nehmen Sie ihn!«
[66] Aber Morbiller war schon weitergegangen. Der zierliche kleine Brief mit gräflichem Wappen lag schon zwischen dem Buschwerk mitten unter den Dornen und den Brennnesseln. Des Mädchens Hand zuckte nach dem Papiere. Welche Ueberredung liegt nicht in drei Zeilen, die zugesiegelt und an uns adressirt sind, und noch dazu von solcher Hand! Sie erbrach mit klopfendem Herzen und wollte –
Ja! Malvina! Du wolltest' Was wolltest Du? Bei Lude Wächter Stunden im Lesen und Schreiben nehmen, aber wo fandest Du Zeit, Geduld, wahren Lebensernst dafür! Malvina mußte dem Vertrauten winken, mußte sich's von Lude Wächter vorlesen lassen und hörte dann durch das geistige Organ aller dieser Menschen folgende Worte:
,Malvina! Angebetete! Ich schwöre Dir, nie Dich zu verlassen, Dein zu sein auf ewig! Laß mich hoffen! Ein Wort der Liebe von Deiner Hand; keine spröde Ablehnung wie bisher! Sei mein, und Dein Leben soll gekrönt werden, wie es Deiner Schönheit, Deiner Liebenswürdigkeit gebührt! Rechne auf mich in jeder Lage Deines Lebens! Ich will Dir Alles sein, wenn Du mir es bist! Dein Edgar!‹
Lude Wächter gab den Brief ruhig an Malvinen zurück und ging. Zitternd hielt das sichtlich [67] gefolterte Mädchen das sauber duftende Papier in Händen. Ohnehin aufgeregt durch die Abwechselungen dieses Tages verdunkelten sich ihr die Augen. Sie sah nichts von Dem, was um sie her war. Sie sah nur den jungen, vornehmen, reichen, schönen Edgar, der diese Zeilen schrieb, ihr so schreiben konnte! Sie sah ihn, wie schon einmal – als sie in Angelegenheiten der Tante bei Morbiller war und Edgar eintrat und sie umfangen wollte und sie ihn zurückstieß, und doch sah sie jetzt die bunten Teppiche, die Bilder, die Vorhänge wieder, die ihr damals einen Eindruck machten wie mit tausend Ueberredungen. Sie blickte auf. Morbiller's grinzendes Antlitz mit dem rothen Barte und den Ringen im Ohre stand vor ihr. Er sprach: »Nun? Nun?« Aber sie rief: »Lassen Sie mich!« stieß ihn zurück und entfloh.
Morbiller hatte den Brief rasch wieder an sich genommen. Mehr wollte er ja vorläufig nicht, dieser Mensch, dem nur ein Burnus, nur eine weiße Kapuze über dem Kopfe fehlte, um ihn zu einem achtbaren Geschäftsmann auf dem Sclavenmarkte von Aleppo zu machen.
Auf dem Buchenauer Tanzsaal kam man gerade zur rechten Zeit an; denn eben brach das Wetter los. Das war in dem Wirthshaus ein Gewühl, [68] ein Lärmen, ein Drängen, ein Drücken, ein Qualm von Tabak, ein Winseln von getretenen Hunden, ein Schreien der Kinder, dazwischen die lustigsten Polkas mit schmetternder Trompete.
Der Steinsetzer war schon so ›wild‹, daß er sich mit den Ellenbogen Bahn brach und mit einem derben Faustschlag einen Tisch eroberte, der, wie der Augenschein zeigte, von Andern besetzt war, die eben tanzten. Er zerschlug bei dieser Gelegenheit einen Spiegel, der eine augenblickliche Confiscation des Umschlagetuches seiner Frau von Seiten der Wirthin zur Folge hatte. Voll Prahlerei löste er sich und das Tuch mit drei Thalern aus, eine Summe, über die dem um Gottes willen um Ruhe bittenden Schneider ein Gedanke kam, als wollte er sagen: »Siehst Du! Da liegen schon drei Scheffel Kartoffeln!«
Malvina tanzte. Bald mit Hartmann, bald mit Andern, die sie aufforderten, mit Manchem, der sie schon kannte.
Hartmann hatte auch im Tanze mehr die Eitelkeit, sich als Tänzer zu zeigen, als die Absicht, durch den Tanz dem Herzen eines Mädchens näher zu kommen, von dem er wußte, daß sie ihn liebte.
Wächter saß unter jungen zechenden Handwerkern und Arbeitern, von denen einige Gärtner, [69] andere Fabrikarbeiter, andere Söhne wohlhabender Fischer aus der Vorstadt waren, junge wilde Männer, die Malvina alle kannte, die sie aber hier und sonst vermied. Die Fabrikarbeiter und Gärtner gehörten einer Familie Waldmann an, die Fischer waren ihre Kameraden, Alles gefährliches, unruhiges Volk, mit dem es zuletzt zum Handgemenge kam. Selbst Leimgang war vom Trunk, vom Tanz und dem Ehrgeiz der Liebe so gehoben, daß er Antheil nahm. Und wirklich – Blut floß. Die ›Freude‹ war hin, das ›Vergnügen‹ gestört und die Rückkehr zu Fuß, selbst wenn es nicht regnete, jetzt unmöglich. Der Regen strömte aber. Man mußte nach dem Vorwerk schicken und den Bauer um einen Leiterwagen nebst möglicher Bedachung durch ein Leintuch bitten. Nach einer Stunde, die unter Vorwürfen, Zank, Drohungen, Geschrei der Kinder hinging, kam endlich ein Knecht des Bauern mit einem bedeckten Wagen, wo sich auf ausgebreitetem Stroh die ganze Gesellschaft wie die zu Markt gefahrenen Kälber zurechtlegen mußte. Leimgang, von allen Seiten mit nassen Tüchern umwunden, mußte fast hinauf getragen werden. Hartmann hatte alle Gegenwart des Geistes, das Interesse an Malvinen und sogar an seinen Stiefeln verloren. Als man den total sinnlosen Steinsetzer [70] in's Stroh hineinschob, riefen die Kinder halb weinend halb lachend: »Hé! Holà! Houp!«
Vom Thore an wurden die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft bald da, bald dort abgeladen.
Zuletzt blieb nur noch Morbiller, Malvina und Lude Wächter.
Der Knecht wollte nicht weiter. Es war spät; er drängte, umkehren zu dürfen. Malvina stieg am Palais des Grafen aus. Morbiller ersuchte sie einzutreten, da er ihr einen Regenschirm leihen wollte. Lude Wächter ging, um seinen weißen Hut zu schonen. Das große Portal öffnete sich, der zweite Bediente leuchtete. Morbiller sprach von einem Regenschirm. Malvina trat nur auf die Schwelle der Portierstube. Es war dunkel. Morbiller wollte ein Feuerzeug anzünden. Das Schwefelholz zündete nicht. Malvina trat etwas näher. Es öffnete sich eine Thür …,
Genug! Der Sonntag war zu Ende. Frühkartoffeln gab es unter der Hand schon im Juli, auf dem Markt freilich erst im August. Um diese Zeit konnten die Kartoffeln im Vorwerk Rugenwalde erst blühen. Der Bauer Thomas wunderte sich, daß so wenig Nachfrage kam. Nur der arme Leimgang hinkte einige male aus der Stadt hinaus und sah wehmüthig die weißen Blüthen an, die man auf der [71] verkümmerten mißrathenen Pflanzung zählen konnte. Der Bauer tröstete, es würde sich schon machen. Im Spätoctober hätte die Ernte mit Muße und Lust heimgebracht werden können, aber sie war nicht danach. Nicht der zehnte Theil der gesetzten Früchte war aufgegangen. Die Wurzeln von denen, die geblüht hatten, waren keine Symbole der allfruchtbaren Caritas der Natur. Die Theilung erzeugte einen Proceß, der Proceß Verwickelungen, die noch nicht geschlichtet sind. Und als der Schnee geschmolzen war und die ersten Lerchen stiegen, trieb der Bauer seine Pflugschar über den entweihten Acker und ließ das neugeschärfte Eisen tief in die Erde greifen. Sein Auge sah rechts und sah links und achtete des Bogens, wenn das Eisen sich zu wenden hatte. Er hielt den Strich mit nerviger Faust. Entdeckte er da und dort noch einen glänzenden Gegenstand, eine Haarnadel, eine zerknitterte Bandschleife, sah er die Reste weggeworfener Cigarren, es kümmerte ihn nicht in seinem ernsten Werke. In diesem Jahre sollte der Acker mit neuer Kraft tragen und gerade die Kartoffel, um deren Erzeugungsfähigkeit ihm sein Feld bedroht schien. Mit frohem Muthe pflügte er die Saat ein. Zwei Pflüge hintereinander. Einer, der die Furche für die Saat öffnete, der andere, der [72] sie deckte. Raum zwischen den Reihen, nicht die Früchte zu eng aneinander, daß Schäufler und Häufler im Sommer wirken und schaffen können. Und im Frühherbst trug der Acker hundertfältige Frucht. Das Auge der Liebe hatte die knospenden Augen unter der Erde bewacht, sie vor Mißwachs, wucherndem Unkraut und ungebetenen Eindringlingen gehütet. Als die geernteten Scheffel Sack an Sack beisammen standen, dachte der Bauer freilich nur an den möglichst guten Verkauf auf dem Markte, aber wenn er dem Pfarrer den ganzen Vorfall, wie ich ihn schilderte, erzählt hätte, so würde dieser ihm vielleicht gesagt haben: Die Natur ist nur bis zu einem gewissen Grade Sclavin. Sie dient willenlos, dient aber nur Dem, der sie liebt und pflegt. Die Natur hört auf eine todte Kraft zu sein, wenn man Das, was sie so gern bringt, für eine Nothwendigkeit hält, die sich von selbst versteht. Sie kann uns durch wunderbare Einfälle, die wir nicht erwarteten, überraschen. Sie kann Erzeugnisse hervorbringen, die kaum möglich scheinen, Bastardwerke des Zufalls. Aber in Dem, was der Mensch ihr zumuthet und was er von ihr voraussetzt, erfordert sie einen heiligen Cultus, wie jedes ernste Werk, das gedeihen und gelingen soll. Auch die Arbeit hat ihre Weihe.
[73] Die Gesellschaft urtheilte.
Alle Bedenken, die sich anfangs geäußert, in Blicken, leisem Murmeln auch ausgesprochen hatten, verschwanden vor einer Moral, die die geschilderte Scene demnach als eine Art Allegorie und anwendbar auf manchen Unterschied zwischen Berufenem und Unberufenem erscheinen ließ. Man unterdrückte die nähere Forschung nicht, warum der Vorleser einer Person, jenem Ludwig Wächter, nicht die Bedeutsamkeit gegeben hätte, die durch die Aeußerung der Dame, deren Schwager ihn so gerühmt, verheißen schien. Scharfeneck wich nähern Erörterungen über alle diese Persönlichkeiten aus und sagte:
»Ich bin kein Dichter, kein Philosoph, seien Sie mit der Plauderei zufrieden, die ich gegeben habe, um einmal das Volk so zu schildern, wie man es gewöhnlich nicht schildert!«
Oswald aber war verletzt und innerlichst verwundet.
» Nein! Nein!« rief es in ihm. »Nicht das ganze Volk ist so tiefbeschädigt wie diese städtischen Erdäpfelpflanzer! Es giebt auf diesem niedern Boden noch duftende Blüthen! Du hast Deinen Zweck verfehlt, Freund! Ich glaube an das Volk und suche mir in der Schale den edlern Kern! …,«
[74] Er riß sich still von der Gesellschaft los, brachte eine schlaflose Nacht zu und führte am Morgen den Plan aus, der bei ihm unwiderruflich feststand, auf's neue anzuknüpfen mit einem für ihn und ein reines Auge rein und gerechtfertigt dastehenden Mädchen aus dem Volke. [75]