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XXI

Nur noch eine leuchtende Wolkenwand am Horizont war vom Tage übriggeblieben, als wir von einer Hügelwelle aus die alten, großen Paradiesbäume eines verfallenen Ranchos sahen.

Don Segundo untersuchte das Drahtgatter und sah, daß wir an einer Stelle, wo zwei Drähte zerschnitten waren, hindurchkonnten. Wahrscheinlich hatte ein Wagenzug einmal diesen Platz gewählt, um darauf zu übernachten und für die Tiere ein bißchen Weide zu stehlen. In weitem Umkreis war keine Ortschaft zu sehen; auf diese Weise gehörte der Kamp dem, der ihn nahm; und die Bäume, wenn auch nur vier an der Zahl, hatten ebenfalls schon manchen Ast für Lagerfeuer hergeben müssen.

Da führten wir unsere Pferde durch den Zaun auf den Kamp; und nachdem wir abgesattelt hatten, sammelten wir ein paar Hände voll Kleinholz, trockenes Laubwerk und Zweige. Auch einen Stamm von guter Stärke holten wir herbei; machten Feuer und setzten den Kessel auf, in den wir das Wasser aus einer hörnernen Flasche gossen, um Mate zu bereiten; dann drehten wir uns in aller Ruhe ein paar Zigaretten, die wir an den ersten Flammen anzündeten.

Da wir unser Lagerfeuer nahe bei dem Stamm eines gefallenen Tala-Baumes angemacht hatten, konnten wir uns sogar richtig hinsetzen; und wir sagten uns, daß das Leben des Viehtreibers, ebenso wie jedes andere, seine guten Seiten habe. Ich glaube, daß meines Herrn Paten Vorliebe für die Einsamkeit auf mich abfärbte; denn wenn ich an die verschiedenen Episoden meines Wanderlebens zurückdenke, so will dieses freie Verlorensein in der Pampa mir immer als das Allerschönste erscheinen. Was tat es, daß diese Landschaft das Gemüt verwundete und mit Traurigkeit tränkte, wie eine Satteldecke den Schmerz eines wundgescheuerten Pferderückens aufsaugt und nun vom Blute feucht ist?

So groß, so still wie der Kamp war, gab er uns etwas von seiner Größe und Stille ab. Wir brieten das Fleisch und verzehrten es schweigend. Dann setzten wir den Teekessel auf die Glut und ich braute uns einige bittere Mates. Da sagte Don Segundo mit seiner gelassenen Stimme und wie zerstreut zu mir:

»Ich will dir eine Geschichte erzählen, … damit du sie einmal einem Freunde, der auf Abwege geraten ist, wiedererzählen kannst.«

Langsamer schlürfte ich den Tee. Mein Herr Pate begann mit der Erzählung:

»Es war zu der Zeit, da unser Herr Jesus Christus mit seinen Aposteln über die Erde ging.«

Ich mußte einen Augenblick warten. So ließ Don Segundo uns in das Reich der Phantasie hinübergleiten. Wir sollten in dem Verlauf einer Erzählung leben, von der einen Seite zur anderen geleitet werden. Von wo aus? Und wohin?

»Unser Herr, der, wie es heißt, die Güte geschaffen hat, pflegte von Ort zu Ort und von Rancho zu Rancho durch das heilige Land zu wandern, das Evangelium zu lehren und durch sein Wort zu heilen. Auf diesen Reisen nahm er Sankt Peter als Gehilfen mit, weil er ihn wegen seiner Gläubigkeit und Dienstbeflissenheit besonders liebte.

Nun heißt es, daß auf einer dieser Reisen, die wohl so hart waren wie die eines Viehtreibers, vor einer Ortschaft dem Maultier unseres Herrn ein Eisen losging und es anfing zu hinken.

›Paß auf‹, sagte unser Herr zu Sankt Peter, ›ob du nicht eine Schmiede siehst, wenn wir in den Ort kommen.‹

Sankt Peter sah sich aufmerksam um und entdeckte auch bald einen alten Rancho mit brüchigen Wänden, über dessen Tür ein Schild hing, auf dem in großen Lettern ›Schmiede‹ stand. Zum Überfluß erzählte er es noch dem Meister, und so hielten sie vor der Umzäunung und riefen:

›Ave Maria!‹ Da kam zusammen mit seinem kläffenden Spitz ein zerlumpter alter Mann heraus und bat sie, näherzutreten.

›Guten Abend‹, sagte unser Herr, ›könntest du vielleicht mein Maultier beschlagen? Es hat das Eisen von einem Vorderhuf verloren.‹

›Sitzt ab und kommt herein‹, antwortete der Alte, ›ich will sehen, ob ich euch dienen kann.‹

Als sie schon im Zimmer waren und auf einigen Stühlen mit schiefen und zerbrochenen Beinen Platz genommen hatten, fragte unser Herr den Schmied:

›Wie heißt du?‹

›Man nennt mich Elend‹, antwortete der Alte und ging hinaus, um das Nötige herbeizuholen. Mit großer Geduld suchte dieser Diener Gottes alles ab; er durchschnüffelte jeden Kasten und Beutel, ohne etwas zu finden, woraus man ein Hufeisen herstellen konnte. Beschämt wollte er gerade wieder zu den Wartenden zurückkehren und sie um Entschuldigung bitten; da fand er in einem Kehrichthaufen, den er ein wenig mit dem Fuß durchstöberte, einen dicken silbernen Ring.

›Na, was machst du denn hier?‹ redete er ihn an, hob ihn auf und ging zur Esse, fachte das Feuer an, schmolz den Ring, hämmerte ein Hufeisen und schlug es dem Maultier unseres Herrn an. So ein schlauer Alter!

›Was schulden wir dir, guter Mann?‹ fragte unser Herr.

Elend sah ihn sich genau von oben bis unten an, und als er ihn abgeschätzt hatte, sagte er: ›Soviel ich sehe, seid ihr genau so arm wie ich. Was des Teufels soll ich euch wohl abnehmen? Ziehet in Frieden weiter; eines Tages wird Gott es mir vielleicht einmal lohnen.‹

›So sei es‹, sagte unser Herr. Und nachdem die Fremden sich verabschiedet hatten, bestiegen sie ihre Maultiere und ritten in leichtem Trabe davon.

Als sie schon ziemlich weit geritten waren, sagte Sankt Peter, der wohl ein bißchen langsam im Denken war, zu Jesus:

›Schon wahr, Herr, daß wir recht undankbare Leute sind. Dieser arme Kerl hat uns das Maultier mit einem silbernen Hufeisen beschlagen und nichts dafür genommen, so elend er auch selber daran war. Wir aber sind davongegangen und haben ihm nicht einmal ein Andenken dagelassen.‹

›Recht hast du‹, sagte unser Herr, ›kehren wir also zurück, um ihm drei Gnaden zu gewähren, die er nach seinem Geschmack wählen kann.‹

Als Elend sie zurückkommen sah, glaubte er, das Eisen sei wieder abgegangen, und forderte sie wie vordem auf, einzutreten. Als unser Herr ihm aber gesagt hatte, weshalb er gekommen sei, sah der Mann ihn von der Seite an und wußte nicht, ob er lachen oder schelten sollte.

›Denk' wohl nach, bevor du deine Bitte tust‹, sagte unser Herr.

Sankt Peter, der sich hinter Elend gestellt hatte, flüsterte ihm zu: ›Bitte um das Paradies!‹

›Schweig Alter‹, antwortete ihm Elend ebenso leise und sagte darauf zu unserem Herrn: ›Ich wünsche mir, daß derjenige, der sich auf meinen Stuhl setzt, ohne meine Erlaubnis nicht wieder aufstehen kann.‹

›Es sei dir gewährt‹, sagte unser Herr. ›Nun zur zweiten Gnade, bedenke dich wohl.‹

›Bitte um das Paradies!‹ flüsterte Sankt Peter ihm wieder zu.

›Halt' doch deinen Mund, alter Schwätzer!‹ flüsterte Elend wieder zurück. Dann sagte er zu unserem Herrn: ›Ich möchte, daß derjenige, der auf meinen Nußbaum steigt, ohne meine Erlaubnis nicht wieder herunter kann.‹

›Gewährt‹, sagte unser Herr. ›Und jetzt die dritte und letzte Gnade. Laß dir Zeit!‹

›Bitte um das Paradies, Unseliger!‹ zischte Sankt Peter ihm hinter seinem Rücken zu.

›Kannst du nicht still sein, alter Schwachkopf?!‹ antwortete ihm Elend wütend, um sich darauf an unseren Herrn zu wenden: ›Ich möchte, daß derjenige, der in meinen Tabaksbeutel gerät, ohne meine Erlaubnis nicht wieder heraus kann.‹

›Es ist gewährt‹, sagte unser Herr, verabschiedete sich und ging.

Doch kaum war Elend allein geblieben, als er auch schon anfing nachzudenken. Da geriet er nun nach und nach in großen Zorn darüber, daß er aus den drei gewährten Gnaden nicht mehr Vorteil zu schlagen verstanden hatte.

›Bin ich aber auch ein Dummkopf!‹ schrie er und warf seinen Schomberg zu Boden. »Wenn jetzt der Teufel selbst hier vor mich hinträte … meine Seele würde ich ihm geben, wenn ich mir dafür zwanzig Jahre Leben und Geld in Hülle und Fülle von ihm erbitten könnte!'

In demselben Augenblick zeigte sich in der Tür des Rancho ein feiner Herr und sagte zu ihm: ›Wenn es dir recht ist, Elend, kann ich dir einen Kontrakt unterbreiten, durch den du alles erhältst, worum du bittest.‹ Und schon zog er aus seiner Tasche eine Rolle Papier, die mit Schriftzeichen und Zahlen bedeckt und auf das Beste vorbereitet war. Dann lasen sie zusammen den Text, und da sie in allem übereinstimmten, unterzeichneten beide sehr gewissenhaft über dem Siegel.«

»Da reißt der Gaul den Lasso durch!« bemerkte ich.

»Wart's ab und halte deinen Mund, um zu hören, wie die Geschichte weiter geht.«

Wir sahen um uns, wie um nicht die Verbindung mit unserer jetzigen Existenz zu verlieren. Da war die Nacht; und mein Herr Pate fuhr fort:

»Kaum war der Teufel gegangen und Elend allein geblieben, als er auch schon den Beutel mit Gold befühlte, den Mandinga ihm zurückgelassen hatte. Darauf beguckte er sich in der Entenpfütze; und wie er sah, daß er ein schöner, junger Bursch geworden war, ging er in den Ort, kaufte sich Kleider, nahm sich im Gasthof ein Zimmer wie ein Herr und schlief diese Nacht sehr befriedigt ein.

Ja, Freundchen, das mußte man sehen, wie das Leben dieses Mannes sich veränderte. Er verkehrte mit Fürsten, Gouverneuren und Bürgermeistern, wettete auf den Pferderennen wie keiner, reiste durch die ganze Welt und hatte Umgang mit den Töchtern von Königen und Markgrafen …

Aber es muß schon wahr sein, daß die Jahre besonders schnell vergehen, wenn man sie auf diese Weise zubringt. So war das zwanzigste Jahr zu Ende gegangen, und bei der Gelegenheit, als Elend gerade einmal zurückgekommen war, um sich über seinen alten Rancho lustig zu machen, stellte sich ihm der Teufel wie das letztemal unter dem Namen des Kavaliers Lili vor, präsentierte den Kontrakt und verlangte, daß die Vereinbarung jetzt ausgezahlt würde.

Elend war ein ehrlicher Kerl. So sagte er traurig zu Lili, daß er ein wenig auf ihn warten möge, bis er sich gewaschen und sein gutes Zeug angezogen habe; denn er müsse sich doch anständig in der Hölle vorstellen. Und das tat er denn auch und dachte dabei, wie am Ende jedes Lasso einmal reißt und daß seine Glückseligkeit nun also ein Ende habe.

Als er zurückkam, fand er Lili auf seinem Stuhl sitzen und geduldig auf ihn warten.

›Ich bin soweit‹, sagte er, ›wollen wir gehen?‹

›Wie sollen wir denn gehen?‹ antwortete Lili, ›wenn ich auf diesem Stuhl wie durch einen Zauber festklebe?!‹

Da fielen Elend wieder die drei Gnaden ein, die ihm der Mann mit dem Maulesel gewährt hatte, und er brach in Lachen aus:

›Versuch's doch einmal, du Gauner, wenn du wirklich der Teufel bist!‹ sagte er zu Lili.

Umsonst bockte dieser mit seinem Stuhl wie auf einem störrischen Pferde durchs Zimmer. Nicht ein bißchen gelang es ihm, sich zu erheben, und schwitzend sah er Elend an.

›Ja, wenn du denn gern gehen willst‹, sagte der ehemalige Schmied, ›bestätige mir noch einmal zwanzig Jahre Leben und Geld nach Belieben.‹

Der Teufel erfüllte Elends Bitte, und dieser gab ihm darauf die Erlaubnis, sich zu entfernen.

Und wieder machte sich der Alte, verjüngt und verschönt, auf die Reise um die Welt. Er verkehrte mit Fürsten und Magnaten, gab Geld aus wie keiner und hatte Umgang mit den Töchtern von Königen und Großkaufleuten …

Aber für den, der sich amüsiert, fliegen die Jahre schnell dahin, und als das zwanzigste um war, wollte Elend sein Wort ehrlich einlösen und machte sich auf den Weg nach der Gegend, wo seine Schmiede stand.

Unterdessen hatte Lili, der ein loses Maulwerk besaß, in der Hölle von dem Stuhlzauber erzählt.

›Da müssen wir auf unserer Hut sein‹, hatte Luzifer gesagt. ›Dieser Alte ist ein Schlaukopf und steht unter Schutz. Zwei sollen ihn diesmal bei Ablauf des Kontraktes holen.‹

So kam es, daß Elend, als er vor seinem Rancho absaß, zwei Männer sah, die auf ihn warteten; der eine davon war Lili.

›Bitte, kommen Sie herein und nehmen Sie Platz‹, sagte er zu ihnen. ›Ich will mich derweil waschen und umkleiden, um anständig in der Hölle zu erscheinen.‹

›Ich setze mich nicht‹, sagte Lili.

›Wie Sie wollen. Vielleicht gehen Sie ein wenig in den Patio und holen sich ein paar Nüsse vom Baum. Es sind sicher die besten, die Sie je in Ihrem Teufelsleben gegessen haben.‹

Aber Lili wollte von nichts wissen. Doch kaum waren sie allein, als Lilis Begleiter zu diesem sagte, er wolle doch einmal um den Baum herumgehen, und sehen, ob er nicht die eine oder andere Nuß vom Boden aufsammeln könnte. Nach einer Weile kam er wieder herein und sagte, daß er eine ganze Anzahl Nüsse gefunden habe, und niemand, der sie äße, könne abstreiten, daß es die aller schmackhaftesten von der Welt seien. Da gingen sie zusammen hinaus und suchten den ganzen Patio ab, fanden aber keine mehr.

Doch Lili's Freund war der Appetit gekommen, und so sagte er, daß er auf den Baum steigen wollte, um weiteressen zu können. Lili warnte ihn, man müsse hier mißtrauisch sein. Aber das Leckermaul kümmerte sich nicht darum, stieg auf den Baum, und fing an, unermüdlich in sich hineinzuschlingen. Von Zeit zu Zeit sagte er: ›Ha, sind die gut! … Ha, sind die fein!‹

›Wirf mir einige herunter!‹ rief Lili von unten.

›Hier ist eine‹, sagte der von oben.

›Wirf mir noch ein paar herunter!‹ bat Lili von neuem, kaum, daß er die erste gegessen hatte.

›Bin zu beschäftigt!‹ antwortete der Freßsack. ›Wenn du mehr willst, steig selber auf den Baum!‹

Und nachdem sich Lili einen Augenblick besonnen hatte, stieg er auch hinauf.

Als Elend aus seinem Zimmer trat und die beiden Teufel im Nußbaum sitzen sah, mußte er laut lachen. ›Hier bin ich zu Ihrer Verfügung!‹ rief er ihnen zu. ›Wenn es gefällig ist, können wir gehen.‹

›Wir können aber nicht hinabsteigen‹, antworteten die beiden Teufel, die wie festgeleimt auf den Ästen saßen.

›Famos!‹ sagte Elend, ›dann verlängern Sie mir wohl noch einmal den Kontrakt auf zwanzig Jahre und Geld nach Belieben.‹

Da taten die Teufel, was Elend forderte, und dieser erlaubte ihnen, herabzusteigen.

Wieder machte sich Elend auf seine Reise in die Welt; verkehrte mit den angesehensten Persönlichkeiten, und die Damen, mit denen er Liebschaften hatte, waren ganz erstklassig …

Aber wie vorher, kam ein Jahr nach dem anderen, um dahinzufliegen, und als das zwanzigste vollendet war, erinnerte sich Elend der Schmiede, in der er gelitten hatte, und wollte seine Schuld bezahlen.

Über all diesem aber hatten die Teufel in der Hölle Luzifer das Vorgefallene erzählt, und dieser war wütend aufgefahren: ›Verflucht! Habe ich Euch nicht vorher gesagt, daß ihr mit Sorgfalt vorgehen solltet? Dieser Mann ist allzu schlau! Das drittemal werden wir alle zusammen gehen, da wollen wir doch einmal sehen, ob er uns wieder entwischt?

So kam es, daß Elend, als er bei seinem Rancho anlangte, mehr Leute beisammen sah, als bei einer Taba-Partie Wurfspiel mit dem Fußknochen eines Rindes.. Aber diese Leute waren wie ein Heer aufgestellt und schienen dem Kommando eines Mannes zu gehorchen, der eine Krone auf dem Kopfe trug. Elend dachte sich, daß diesmal wohl die ganze Hölle in sein Haus verzogen sei und sah dieser Ansammlung entgegen, wie eine Ente ihrem Schlächter.

›Wenn ich dem da entwische‹, sagte er zu sich, ›werde ich bestimmt nie wieder leichtsinnig sein.‹ Aber er zeigte sich dann sehr gefaßt und fragte die Leute. ›Wünschen Sie mit mir zu sprechen?‹

›Ja‹, antwortete der Gekrönte mit lauter Stimme.

›Ihnen hab' ich überhaupt keinen Vertrag unterschrieben! verwies Elend ihn. ›Sie haben gar keinen Grund, auf dieser Beerdigung mitzutrauern.‹

›Aber du wirst mir dennoch folgen‹, schrie der Mann, ›denn ich bin der König der Hölle!‹

›Und wer beweist mir das?‹ verteidigte sich Elend. ›Wenn Sie wirklich das sind, was Sie zu sein behaupten, müßten alle Teufel in Ihrem Körper Platz finden und Sie sich dennoch so klein machen können wie eine Ameise.‹

Jemand anders wäre ja mißtrauisch geworden, aber nicht umsonst heißt es, daß die Schlechten sich von Zorn und Hochmut hinreißen lassen. Blindwütig stieß Luzifer einen Schrei aus und in demselben Augenblick lief er auch schon als Ameise durch den Raum, die sämtlichen Dämonen der Hölle in seinem Leibe.

Ohne Federlesen griff sich Elend das Tierchen, das da über den Backsteinboden lief, steckte es in seinen Tabaksbeutel, ging in seine Schmiedewerkstatt, legte ihn auf den Ambos und bearbeitete ihn aus voller Seele mit seinem Hammer, bis ihm das Hemd schweißnaß am Körper klebte.

Dann ruhte er sich aus, zog sich um und machte einen Spaziergang durch das Dorf.

Bravo, schlauer Alter! Alle Tage legte er nun seinen Tabaksbeutel auf den Ambos und verabfolgte ihm eine ungeheuere Tracht Prügel, bis sein Hemd von Schweiß naß war; dann machte er seinen Spaziergang durch den Ort.

Und so gingen die Jahre dahin. In dem Städtchen gab es keine Klagen und Rechtsstreitigkeiten mehr. Weder schlugen die Männer ihre Frauen, noch die Mütter ihre Kinder. Onkel, Vettern und Stiefsöhne, alles lebte in Eintracht nach Gottes Gebot. Die Witwen blieben züchtig zu Hause und die Schweine rannten nicht allein auf der Straße herum; man sah keine bösen Lichter mehr, und die Kranken wurden alle gesund. Die alten Leute starben nicht mehr und sogar die Hunde benahmen sich tugendhaft. Die Nachbarn vertrugen sich. Selbst die ungezähmten Pferde auf dem Kamp schlugen nur noch vor Freude aus. Alles ging auf die Minute genau wie die Uhr eines reichen Mannes. Ja man brauchte nicht einmal die Brunnen zu reinigen, weil das Wasser nie verdorben war.«

»Hahaha!« lachte ich vergnügt.

»Ja«, deutete mein Herr Pate an, »freu' dich nicht zu früh; denn wie es keine Landstraße ohne schlimme Strecken gibt, so gibt es auch kein Schicksal ohne Unglück.«

Es geschah nun, daß alle Rechtsanwälte, Friedensrichter, Ärzte, Quacksalber, alle Regierenden und alle, die von den Schwächen und dem Unglück ihrer Mitmenschen leben, hohlwangig wurden und Hungers starben. Doch eines Tages wandten sich die von dieser jämmerlichen Gesellschaft noch Übriggebliebenen in ihrer Angst an den Gouverneur und baten ihn um Hilfe in ihrer Not. Der Gouverneur, der ja auch zu den Geschädigten gehörte, sagte ihnen aber, daß er's nicht ändern könne. Doch ließ er ihnen eine staatliche Unterstützung auszahlen, bedeutete ihnen aber gleich, daß es das einzige Mal sei, denn der Staat habe nicht die Verpflichtung, ihnen zu helfen.

Wieder vergingen einige Monate, und es wurden immer weniger Staatsanwälte, Richter und anderes Ungeziefer, da die meisten von ihnen in eine bessere Welt hinübergegangen waren. Da kam der Schlaueste von ihnen hinter den wahren Grund. Er lud die Übriggebliebenen ein, wieder mit ihm zum Gouverneur zu gehen und versprach ihnen, daß sie diesmal den Prozeß gewinnen würden.

Und so kam es auch. Als sie vor dem Oberhaupt standen, sagte der Staatsanwalt zu seiner Exzellenz, alle diese Kalamitäten kämen nur daher, daß der Schmied namens Elend alle Teufel der Hölle in seinen Tabaksbeutel eingeschlossen habe.

Da ließ der Gouverneur den Schmied mit Extrapost holen und hielt ihm in Gegenwart aller eine große Standpauke:

›Aha! Du bist es also? Was hast du mit deinen Hexereien aus der Welt gemacht, du alter Indianer?! Noch in dieser Stunde bringst du alles wieder in seine alte Ordnung; denn deine Sache ist es nicht, die Schuld zu sühnen und Teufel zu züchtigen. Siehst du denn nicht, daß die Welt, wie sie nun einmal beschaffen ist, nicht auf das Böse verzichten kann, und daß Gerichte und Krankenhäuser und alle, die davon leben – und ihrer sind nicht wenige – darauf angewiesen sind, daß die Teufel auf dieser Erde frei umhergehen? Gleich reitest du im Galopp nach Hause und befreist die Teufel aus deinem Tabaksbeutel!‹

Elend begriff, daß der Gouverneur recht hatte, erklärte sich schuldig und ritt nach Hause, um dem Befehl nachzukommen.

Er selbst war nun auch schon so alt und hatte die Welt so satt, daß ihm nichts mehr daran lag, noch länger am Leben zu bleiben.

Als er in seinem Rancho angekommen war, legte er den Tabaksbeutel noch einmal auf den Amboß und gab den Teufeln, bevor er sie los ließ, eine letzte gehörige Tracht Prügel, bis ihm das Hemd am Körper klebte.

»Wollt ihr euch hier noch einmal mausig machen?« fragte er all die kleinen Mandingas.

»Nein, nein!« schrien sie drinnen, »laß uns heraus! Laß uns heraus, und wir schwören dir, daß wir uns nie wieder in deinem Hause sehen lassen wollen!«

Da öffnete Elend den Tabaksbeutel und erlaubte ihnen zu gehen.

Die Ameise kroch heraus und wuchs und wuchs, bis sie so groß war wie der Böse selbst. Aus dem Körper Luzifers aber quollen alle Teufel heraus und – hast du nicht gesehen! – stob die ganze Hölle wie eine Sturmwolke durch die gesegneten Straßen.

Und jetzt kommt das Ende.

Elends Zigarette glimmte nur noch; denn für jeden Christenmenschen kommt einmal der Tag, an dem er sein Knochengerüst wieder abliefern muß; und er hatte das seine genugsam abgenutzt.

Da warf sich denn Elend auf seinen Strohsack und wartete auf den Tod. Und er fühlte sich so mutlos und verdrießlich in seinem ärmlichen Zimmerchen, daß er sich weder zum Essen noch zum Trinken erhob. Langsam schwand er dahin, bis er hart und von den Jahren wie ausgedörrt dalag.

Nachdem er seinen Leib den Würmern überlassen hatte, überlegte Elend sich, was nun zu tun sei. Und da er nicht dumm war, machte er sich ohne Zögern zum Himmel auf, an dessen Tür er nach einer langen Reise anklopfte.

Kaum aber hatte sich die Tür ein Spältchen geöffnet, als er und Sankt Peter sich auch schon wiedererkannten. Aber dem alten Schlaukopf paßten die Erinnerungen nicht, er stellte sich dumm und bat um die Erlaubnis eintreten zu dürfen.

›Hm‹, sagte Petrus, ›als ich mit unserem Herrn in deiner Schmiede war, um dir drei Gnaden zu gewähren, und dir dreimal riet, das Paradies zu wählen, hast du mir nichts anderes zu antworten gewußt, als »halt den Mund, alter Schwachkopf!« – Ich trage dir das keineswegs nach; aber ich kann dich nun nicht durchlassen, weil du damals, als dir das Paradies dreimal geboten wurde, dich weigertest, es anzunehmen.‹

Und da nun der Himmelspförtner ohne weiteres die Tür schloß, dachte Elend, daß man von zwei Übeln das kleinere wählen müsse, und machte sich auf den Weg zum Fegefeuer, um zu sehen, wie es ihm dort ergehen würde.

Aber, prost Freundchen! Dort sagten sie ihm, daß nur die für den Himmel bestimmten Seelen Einlaß fänden; und da ihm die ewige Seligkeit versagt sei, weil er damals die Gelegenheit verpaßt habe, könnten sie ihn leider nicht aufnehmen. Ihm käme es zu, in der Hölle die ewigen Strafen zu erleiden.

Da ging Elend zur Hölle und schlug an das Tor, wie er seinerzeit auf den Tabaksbeutel zu schlagen pflegte, so daß die Teufel auf dem Amboß geschrien hatten. Die Tür wurde geöffnet. Welche Wut aber erfaßte ihn, als er sich Herrn Lili Auge in Auge gegenüber sah.

›Verwünschtes Geschick!‹ schrie er, ›muß ich denn überall Bekannte treffen?‹

Lili aber, der die Schläge nicht vergessen hatte, rannte davon, als ob der Boden unter seinen Füßen brenne; sein Schweif wehte wie die Fahne des Regierungskommissars, und er machte erst zu Füßen Luzifers halt, um diesem zu erzählen, wer da zu Besuch gekommen sei.

Noch niemals waren die Teufel so erschrocken. Sogar Luzifer, der sich sehr wohl des schweren Schmiedehammers erinnerte, gackerte wie eine alte Suppenhenne und befahl, alle Türen zu schließen, damit nur ja dieser ausgesuchte Gauner nirgendwo hereinschlüpfen könnte.

Da stand nun Elend, ohne irgendwo Einlaß zu finden; denn weder im Himmel noch im Fegefeuer oder gar in der Hölle war seine Gesellschaft erwünscht. Und es heißt, daß seitdem Armut und Elend ein Ding dieser Welt sind und niemals wieder anderswohin gehen können, weil man ihnen sonst nirgendwo zu bleiben gestattet.« –

Wohl eine Stunde lang hatte die Erzählung gedauert, und das Wasser für den Mate war uns ausgegangen. Schweigend erhoben wir uns, um unser Lager zurechtzumachen.

»Armut«, murmelte ich, während ich das Sattelfell ausbreitete, auf das ich mich strecken wollte.

»Elend!« dachte ich, während ich die Sattelauflage, die mir als Kopfkissen dienen sollte, zusammenrollte.

Und ich streckte mich nieder auf diese Erde, aber ohne zu leiden; denn nach einer kleinen Weile schon lag ich still wie ein gefällter Baumstamm.


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