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Nun begann ein wildes Reiterspiel. Da wir eine Menge Leute waren, konnten wir gleichzeitig mehrere Arbeiten in Angriff nehmen. Nach der einen Richtung hin wurde das Schlachtvieh auf die Locktiere zugetrieben. Nach der anderen wurden jene Tiere eine Strecke weit in den Kamp hinausgeschafft, die wir mit dem Lasso einfingen, um sie zu verarzten. Die Hörner wurden ihnen abgenommen oder gestutzt, denen aber, die an einer unheilbaren Krankheit litten, wurde nach dem üblichen Kehlschnitt sogleich das Fell abgezogen.
Zusammen mit dem blonden Burschen, meinem Kameraden vom Sammeltreiben des heutigen Morgens, arbeitete ich mit an der Aussonderung der Tiere. Es war nicht viel Schlachtvieh da; denn zu diesem Zweck wurden nur die jungen Stiere ausgesucht; die man in eine Koppel mit guter Weide trieb. Dann wurden sie kastriert, und später sollte Gefrierfleisch aus ihnen gemacht werden. Aber was würde schon dabei herauskommen? Wie sollten diese langbeinigen, hohlbäuchigen Tiere fett werden? Mein Freund auf seinem Falben und ich auf dem meinen, wir zwei waren ein feines, flinkes Paar. Wir brannten darauf, die Fähigkeiten unserer Reitpferde zu zeigen; auf einen Schlag holten wir ein Rind aus der Menge, indem wir es zwischen unsere beiden Pferde preßten. Umsonst versuchte es, das freie Feld zu gewinnen oder sich zu sperren, es saß wie die Obstfüllung zwischen zwei Teigdeckeln und dachte nicht einmal daran, sich zu wehren. Ja, es war ihm noch nicht einmal klargeworden, wer wir eigentlich seien, wenn es schon bei dem Lockvieh angekommen war.
Der Blondkopf war ein toller Bursche, und ich mußte sehr aufpassen, damit er mir keinen Vorsprung abgewönne und die Rinder dadurch auf mich zutrieb. Aber mein Falbe würde sich eher die Fesseln beim Anprall brechen, als nachgeben. Wenn wir dann im Schritt vom Lockvieh zurückritten, ließen wir unsere Pferde verschnaufen. Dabei hatten wir dann Zeit, die anderen bei der Arbeit zu beobachten und ihnen allerhand zuzurufen, wie sie es auch bei uns taten.
Jeder von uns strengte sich an, seinen Ruf, seine Kenntnisse und seinen Wagemut ins rechte Licht zu setzen; aber das geschah in der stillen Art des Gauchos, der jeden Lärm und jede Wichtigtuerei verachtet. Mein Pate hatte sich mit dem alten Reiter des hirschfarbenen Kleinpferdes zusammengetan. Es war eine Lust zuzusehen, mit welcher Erfahrung er sich richtig postierte und das Rindvieh mit einem einzigen Schlag in die gewünschte Richtung nötigte. Dann bildete es mit Don Segundo und seinem Fuchs zusammen ein wildes Gespann, und schon bewunderten alle, je nach Charakter offen oder verstohlen, die Meisterschaft von Roß und Reiter, sowohl im Tänzeln wie in der rauhen Arbeit.
Wie es keinen Wurfknochen ohne Glücksseite gibt, so vergeht auch kein Sammeltreiben ohne einen Unfall. Ein Gaucho, der mir durch seinen verschlagenen Gesichtsausdruck aufgefallen war, ritt eine Kuh von der Seite an und packte sie beim Schwanz. Da gelang es ihm nicht mehr freizukommen; sein Brauner hatte sich in die Hufe des Tieres verheddert und fiel platt auf seine linke Seite. Wir liefen auf ihn zu. Der Gaucho erhob sich nicht. Wir faßten ihn unter die Achseln und bei den Beinen und trugen ihn an den Rand des Arbeitsplatzes, wo wir ihn hinsetzten. Der Mann schaute um sich; seine Atmung war gut.
»Es ist nichts«, sagte er.
Man tastete seinen Körper ab, ob er irgendwo Schmerzen fühle. Er griff sich an sein linkes Bein. Dann nahm er eine Flasche mit Zuckerrohrschnaps, die man ihm bot, und tat einen Zug wie für eine ganze Gesellschaft. Daraufhin zog er seinen Tabaksbeutel und fing an, sich eine Zigarette zu drehen. Wir gingen an die Arbeit zurück.
»Alle Wetter nochmal«, sagte ich zu dem Blondkopf, »das war ein Knuff! … Er hat ja das Tier mit den Schenkeln so fest umklammert, daß er es mit seinem ganzen Körper zu Boden preßte!«
»Ich weiß nicht«, bemerkte mein Kamerad, »das ist ein Hengst, der zwei Galoppe aushält. Wenn irgendwo eine Falle ist, der fällt hinein. Wenn man den auf ein Feld mit Drahtgattern schickte, würde er sich den Kopf gegen die Holzpfähle rennen.«
Wir lachten.
Als ob die Tiere die Gelegenheit, die unsere kurze Unaufmerksamkeit ihnen bot, erfaßt hätten, liefen sie in wachsender Wildheit umher und ballten sich dort, wo am wenigsten Widerstand war, zu dichten Haufen zusammen. Zuerst liefen sie, sich truppweise in verschiedenen Richtungen überkreuzend, nur vorwärts; aber plötzlich warfen sie sich alle mit einer unaufhaltsamen Entschiedenheit und Schnelligkeit auf ein und dieselbe Seite.
Es war ein wilder Tumult. Die blindwütigen Stiere drängten mit Hornstößen nach rechts. Die Kälber machten große Sprünge, die Schwänze steil in der Luft. Die meisten waren so aus dem Häuschen, daß sie aufs Geratewohl angriffen. Die Gauchos schrien sich heiser. Wie Flammen schlugen die Ponchos knatternd durch die Luft. Die harten Peitschenhiebe knallten gegen die ledernen Satteldecken. Der Zusammenprall erreichte seinen Höhepunkt. Und es fehlte auch nicht, daß sich jemand überschlug mitten im tollsten Durcheinander von Rindern, Pferden und Menschen.
Hartnäckiger als alle anderen, bemühte sich ein lehmfarbener Stier, in der Richtung der Dünen davonzukommen. Ich versetzte ihm harte Schläge, aber er gab nicht nach. Der Falbe legte sich so in die Kandare, daß mir die Arme erlahmten. Zum dritten Male führte ich ihn gegen den Stier, der, weit ausgreifend, schon einen großen Vorsprung gewonnen hatte. Da ich mein Gewicht nach hinten verlagerte, um den Stier besser zu fassen, konnte ich die Gefahr nicht übersehen. Als ich wieder freien Blick hatte, war der gehörnte Kopf schon über uns. Ich gab die Sporen. Umsonst. Das Pferd, von hinten gestoßen, brach in die Knie. Ich riß es so schnell ich konnte hoch und herum, damit der Stier an uns vorbeistürze und uns vergäße. Das geschah auch; aber Comadreja hinkte. Ich führte sie ein wenig beiseite und saß ab. Dem armen Tier war die Hinterbacke wohl zwei Spannen lang aufgeschlitzt. Als ich die Wunde untersuchte, sah ich, daß dieser eigensinnige Stier mich in einem Augenblick der Unachtsamkeit zu fassen gekriegt hatte. Unberitten dastehen müssen, während der Spaß seinen Höhepunkt erreicht! Der Haufen ausbrechender Rinder entfernte sich immer mehr, so daß man die Schreie nur noch als schwaches Echo hörte. Ich führte meinen Falben am Zügel auf die Pferdetrupps zu. Alle lauschten mit gespitzten Ohren in die Richtung des Treibens. Wie still war es hier! Nicht weit davon standen in kleiner Gruppe bei den Locktieren die wenigen, schon ausgesonderten Rinder samt den drei Leuten, die sie bewachten. Nur der verletzte Gaucho saß noch mitten auf dem Plan. Er rauchte unentwegt; ab und zu sah man ein ausgestoßenes Wölkchen. Ich dachte daran, daß die blindwütige Herde ihn leicht zertrampeln könne, wenn sie wieder zurückgerast käme. Aber bis dahin war noch Zeit, mein Pferd zu wechseln.
Auf meiner wolfsfarbenen Orejuela kehrte ich zum Sammelplatz zurück. Bei dem Verwundeten saß ich ab und brannte mir eine Zigarette an seinem verlöschenden Feuerchen an.
»Nun, wie geht's?«
»O, ganz gut.«
»Gebrochen?«
»Glaub' nicht … nur ein bißchen angestoßen.«
»Können Sie nicht aufstehen?«
»Nein Señor, das Bein ist taub.«
»Ja … dann ist es wohl besser, Sie bewegen sich gar nicht.«
»Geduld … und in Ruhe lassen.«
Ich sah auf und bemerkte, daß die Gauchos in ihrem Kampf mit den Tieren nahe vor dem Siege waren. Schon hatten sie die Spitze des Vorwärtsstürmenden Haufens abgebogen, und bald würde die ganze Herde in unsere Richtung laufen. Ich saß wieder auf und wartete.
Eigenartig sah der verlassene Sammelplatz aus. In einem weiten Umkreis um den Pfahl war der Boden schwarz von dem Kot der Tiere, deren Hufe alles vermanscht hatten, so daß es eine glitschige Masse geworden war, in der die Zehen tausende ungleicher Abdrücke hinterlassen hatten.
Bei der Lockherde dagegen war der Boden kahlgestampft, und lange Spuren von Glitschen erinnerten an manchen Kampf, der hier stattgefunden haben mochte.
Auch die Kadaver von sieben kranken Tieren, denen man das Fell abgezogen hatte, lagen in einiger Entfernung von dem Sammelplatz. Dürres Fleisch, das kaum die Knochen verbarg, arme rötliche Haufen, klüglich ausgestreckt und umflogen von Möven und Geiern, die sich zankend darauf niederließen. Und tausende und tausende dieser Vögel flatterten und kreisten über uns wie eine ringelnde Rauchfahne über einem Feuer.
Von Zeit zu Zeit stießen sie auf das jämmerliche Schlachtvieh nieder, sich ein Stück aus dem elenden Fleische zu hacken, um das sie sich dann in der Luft, in Kreisen und Schleifen fliegend, zankten.
Währenddessen war die Herde in stummem Haufen herangerast. Das war ein Anblick! Fünftausend wilde Rinder, bezwungen von einigen dreißig Männern, die, in Linien ausgerichtet, an ihren Flanken ritten. Sie näherten sich immer mehr. Man unterschied die einzelnen schon nach ihren Pferden und ihren Angewohnheiten. Es waren keine Kämpfe noch größere Angriffe mehr nötig. Das kam dahergerast, wie ein einziges, ungeheures Tier, das von seinem eigenen Drang in eine einzige Richtung fortgerissen wird. Wir hörten den dumpfen Donner von Tausenden von Hufen und den keuchenden Atem. Ja selbst das Fleisch schien so etwas wie einen dumpfen Laut von Schmerz und Ermüdung auszuströmen. Und schon waren sie da.
Ich dachte an den verwundeten Gaucho und griff die Tiere an, kaum, daß sie den Sammelplatz erreicht hatten, um sie in eine andere Richtung zu lenken. Wieder hagelte es Schläge und Schreie, bis die Herde endlich bezwungen war und sich damit abfand, auf dem zertretenen Dreck herumzutrotten, als habe sie ganz den Grund ihres rasenden Laufes vergessen.
Einerseits erleichterte uns der ermüdete Zustand der Herde jetzt die Arbeit. Andererseits wurde sie uns erschwert durch die vielen gereizten Stiere, die uns mit Angriffen drohten.
Der Blondkopf hatte sich ein Halstuch um die Stirn gewunden, und beim Nähertreten sah ich, daß sie blutete; auch sein Hemd über der Schulter war blutig. Lachend erklärte er mir:
»Wir haben heute Pech, Schwager. Ihnen reißen sie das Pferd blutig und mir zerreißen sie den Lasso.«
Der Anblick von Menschenblut versetzt das eigene stets in Erregung. Und wir hatten ja wohl auch einigen Grund uns zu erbosen.
»Besser nicht daran denken«, bemerkte ich.
Der Blondkopf verstand mich und sah mich voll Mitgefühl an.
»Recht haben Sie«, lachte er.
Da ich mich mit ihm für die Arbeit zusammengetan hatte, wartete ich auf ihn, bis er sein ermüdetes Pferd ausgewechselt hatte. Dann setzten wir die Arbeit noch eifriger und entschiedener fort. Voll Erbitterung warfen wir uns wieder zwischen die Tiere. Einige sperrten sich; wir warfen ihnen den Lasso um, und schon gingen sie wohin sie sollten.
Ganz unerwartet hieß es mit einem Male, daß die Arbeit zu Ende sei. Die zum Forttreiben bestimmte Herde sollte nur einige hundert Stück groß sein. Und darum solchen Aufruhr? Aber in diesen Gegenden, wo ich so viele Überraschungen erlebt hatte, war es besser, sich um nichts zu kümmern und nach nichts zu fragen.
Eine Weile standen wir alle herum wie unverkauftes Brot.
Die eingefangene Herde begriff ihre Freiheit noch nicht. Die ersten Tiere gingen langsam und vorsichtig witternd davon. Da entdeckten sie die Kadaver; sie umdrängten sie und brachen in ein Schmerz- und Wutgebrüll aus. Speicheltriefend schlenkerte ihnen die lange Zunge aus dem Maul, vor Entsetzen verdrehten sie die Augen und ließen das Weiße sehen; wutschnaubend sprangen sie um die verstümmelten Kadaver ihrer Gefährten. Wir mußten sie mehrere Male angreifen, bis sie endlich fortliefen.
Der verwundete Gaucho wurde in einem kleinen Deichselwagen zum Vorwerk gebracht. Bei der Feuerstelle sprang der Blonde ab, erbat sich die Schnapsflasche, feuchtete damit sein Halstuch an und band es sich wieder um die Stirn. Man konnte die kurze Wunde mit ihren geschwollenen Rändern sehen. Auch sein Auge begann anzuschwellen. Dann wollte ich meine Comadreja verarzten. Wir gingen zusammen hin, um uns die Stoßwunde anzusehen, und mein Freund sagte:
»Wenn Sie sich jetzt mit ihr auf den Weg machen, wird die Sache schlecht ausgehen. Wenn Sie sich dazu entschließen könnten, das Tier zu verkaufen, will ich es ihnen abnehmen … falls wir uns über den Preis einigen.«
Ich sah über den Kamp hin. Die Rinder verloren sich schon in weiter Ferne. Ich dachte an die Krebslöcher. Und die arme verwundete Comadreja sollte ich nun in dieser ungastlichen Pampa zurücklassen?
»Sehen Sie, Schwager, weshalb soll ich Ihnen etwas vormachen … der Gaul ist mir lieb und … soll nun in dieser Einöde bleiben?«
Da erklärte der Blonde mir, daß er nicht aus dieser Gegend stamme. Er heiße Patrocinio und lebe ungefähr acht Leguas weiter fort in einem hübschen Landstrich. Ich solle nur einmal sein Falbengestüt sehen! Das glaubte ich ihm und sagte, daß ich ihm noch heute nacht meine Antwort geben würde.
»Und wenn es Ihnen recht ist«, fügte er hinzu, »kaufe ich auch noch den Wolf.«
»Wir wollen mal sehen.«
Ich ließ den Kopf hängen. Gestern hatte ich die Comadreja fast im Sumpf verloren und heute sah ich mich nun genötigt, sie zu verkaufen.
»Es ist Gottes Wille«, sagte ich, »daß ich den Falben nicht wieder mitnehmen sollte. Heute verwundet ihn der Stier, und gestern hätte er fast seine Haut den Krebsen lassen müssen.«
»Wie kam denn das?«
»Aus Neugier.«
»Neugier? Weil es so niedliche Tierchen sind!«
»Wenn man noch nie so etwas gesehen hat!«
Einen Augenblick schwieg er, dann bot er sich mir an.
»Wenn Sie gern mal sehen wollen, wie das ganze Krebsvolk bei Sonnenuntergang betet, kann ich Sie hinführen. Hier ganz in der Nähe sind große Krebsbrutplätze. Was Sie gestern gesehen haben, sind nur Ausläufer.«
Ich nahm dankend an, und wir galoppierten auf die Dünen zu; aber nach einer anderen Richtung als derjenigen, in die wir des Morgens zum Einbringen der Rinder geritten waren.
Der ganze Kamp war schon wieder in seine große Einsamkeit zurückgesunken. Da bewahrte weder die Ebene noch das Gedächtnis mehr eine Erinnerung an das Sammeltreiben. Das alles schien bloße Einbildung gewesen zu sein, deren Unmöglichkeit die leeren Ischugrasflächen bewiesen. Es war eine Leere ringsum, die etwas von dem Begriff der Ewigkeit in sich barg.
Dann sahen wir von weitem die dunkle Linie der Sümpfe auftauchen. Beim Näherreiten vergrößerten sie sich schnell; es war, als ob eine Welt aus der Leere hervorwüchse. Aber was für eine Welt! Eine tote Welt, die in dem eigenen Schmerz ihrer verwundeten Hülle steckte.
Über einige Schilfinseln führte Patrocinio mich so, daß ich den Sumpf auch hinter mir fühlte.
»Nun werden Sie gleich sehen«, sagte er zu mir.
Er stieg vom Pferde am Rande eines Flußbettes, dessen sumpfige, schwarze Ränder von großen und kleinen Löchern wie von Flintenkugeln durchsiebt waren. Von verschiedener Größe waren auch einige platte, großfüßige Krebse, die sich in gevatterhaft komischer Weise in langsamer, seitlicher Gangart weiterbewegten. Patrocinio wartete darauf, daß in seiner Nähe eines der Tiere aus seinem Loch herauskäme. Dann zerschlug er ihm geschickt die Rückenschale mit einem Messerschlag und zog den noch Strampelnden einige Schritte weit über den Lehm.
Da stürzten auch schon hundert seitlich laufende Schatten auf diesen Punkt zusammen, und es gab ein Gewirr von schwärzlichen kleinen Rundkörpern und erhobenen Zangen. Alle führten einen lächerlichen sechsbeinigen »Malambo« Negertanz. über den Resten des Gefährten auf. Aber wo waren da noch Reste? Im Nu waren sie verteilt, und nicht eine Spur war mehr von dem Geopferten zu sehen. Aber die anderen, erregt von dieser Vorspeise, fingen jetzt an, sich gegenseitig anzugreifen. Sie wichen den von hinterrücks geführten Schlägen aus und stellten sich mit erhobenen Scheren gegeneinander. Da wir uns still verhielten, konnten wir einige aus großer Nähe beobachten. Viele waren schrecklich verstümmelt. Es fehlten ihnen ganze Teile von den Rändern ihrer Schale und wohl auch ein Fuß. Einem war eine neue Schere gewachsen, die im Verhältnis zu der alten lächerlich klein war. Ich beobachtete, wie ein anderer, viel größerer und gesunder, ihn angriff. Dieser umklammerte den Leib dessen, der sich wehren wollte, mit seinen beiden Scheren und brauchte diese wie Kneifzangen; als einer seiner Nägel sich festgehakt hatte, riß er ein Stück der Schale ab. Dann steckte er sich den abgebrochenen Bissen in die Mitte seines Bauches, wo er augenscheinlich seinen Mund hatte.
Ich aber sagte zu meinem Begleiter: »… scheinen Christenmenschen zu sein; so wie sie sich lieben …«
»Christenmenschen«, bekräftigte Patrocinio, »aha … Doch nun sollen Sie die Beter sehen.«
Einige Cuadras weiter weg blieben wir vor einem großen, flachen Sumpfgebiet stehen.
Und so war es: die Sonne ging unter. Aus jedem Loch kroch so eine von diesen widerwärtigen harten Spinnen; doch waren diese größer als diejenigen vom Flußbett. Der ganze Boden war nach und nach von ihnen bedeckt. Langsam, ohne sich um einander zu kümmern, gingen sie dahin, alle dem entschwindenden Feuerball zugewandt. Dann blieben sie mit über der Brust gekreuzten Händchen, die so rot waren, als seien sie blutübergossen, unbeweglich stehen.
Das machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ob sie wohl wirklich beteten? Ob sie wohl immer zur Strafe blutige Hände haben mußten? Und um was beteten sie? Sicherlich darum, daß noch ein Rind oder ein Pferd samt Reiter, wenn's möglich wäre, in diesen schwammigen, von ihnen unterhöhlten Sumpf fallen möge.
Ich hob den Blick und dachte daran, daß nun meilen- und meilenweit die Erde von diesem Geschmeiß bedeckt war. Ein Schauder fuhr mir durch den Körper.
Es dunkelte. Schweigsam und gemächlich machten wir uns auf den Rückweg. In der Ferne konnten wir die Baumgruppe des Vorwerks erkennen. Aber es war so weit weg, daß es auch eine Täuschung sein konnte. Wir mußten ein weithingezogenes Schilfdickicht durchqueren. Wir ritten hinein. Da sah ich plötzlich, dem Himmel sei dank, dicht vor mir eine dunkle Masse. Ich sage, dem Himmel sei dank, denn durch den Anblick konnte ich mich vor etwas Schlimmerem retten als dem, was mir nun geschehen mußte.
Halb in den Binsen verstrickt, sah der Stier mich an. Auch ich sah ihn an. War das der Lehmfarbene, der mir meinen Falben verwundet hatte? Ich hatte ihn noch nicht einwandfrei wiedererkannt, als er mich auch schon angriff. Er war mit solcher Gewalt auf mich losgestürzt, daß ich nur mit Mühe dem Zusammenprall auswich. Trotzdem kam es mir so vor, als ob er zum zweiten Male mein Pferd gestoßen hätte. Gott verzeih's mir; aber ich bekam einen jener Wutanfälle, die dem Menschen den Verstand verdunkeln. Ich lenkte mein Pferd in eine Lichtung des Binsengestrüpps; denn man soll nicht in solch dunkler Enge den Kampf aufnehmen.
»Bitte, sehen Sie doch nach, ob er mir das Pferd wieder gestoßen hat«, sagte ich zu dem Blondkopf.
Patrocinio ritt hinter meinen Wolf.
»Eine Kleinigkeit. Kaum, daß er ihm das Fell zerzaust hat. Er muß es nur mit der Seite des Hornes gestreift haben. Was haben Sie vor?« fragte er mich, als er sah, daß ich den Lasso zur Hand nahm.
Obgleich meine Absicht eine Tollkühnheit war und er immerhin eine gewisse Verantwortung für die Herde seines Herrn trug, sagte er mir doch kein Wort. Ein Mann der Pampa hat einen Blick für den anderen und weiß genau, wann eine Entscheidung unabänderlich ist.
In mir aber hatte sich die Wut festgesetzt und der Entschluß, bis zum Letzten zu gehen. Ich hatte mir vorgenommen, dem Stier das Genick zu brechen; und ich mußte es brechen.
Auch Patrocinio holte jetzt seinen Lasso hervor. Fein von ihm! Aus unserem bereits gemeinsamen Willen, zu töten, erwuchs die Empfindung einer starken Freundschaft. Nach einer gemeinsam überwundenen Gefahr pflegen die Männer sich zu duzen, wie ein Liebespaar nach dem ersten Kuß.
Mehrere Male forderte ich durch Schreie und Gebärden den Stier dazu auf, mich anzugreifen; und da er den gleichen Willen hatte, gelang es mir, ihn auf eine Lichtung zu locken. Ich lenkte mein Pferd in Flankenstellung, ließ es die nötige Entfernung gewinnen, zielte, wobei das Glück mir half, und zog dem Stier den Lasso gerade um die Hörner zusammen. Nun waren wir beide aneinandergekettet; konnten uns nicht mehr davonlaufen; waren wie zwei Gauchos, die, Bein an Bein gebunden, miteinander kämpfen sollen.
Ich hatte unbedingtes Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit meines Lasso. Beim ersten Ruck stemmte der Stier seine Hufe in den Boden. Obgleich die Dämmerung schon ziemlich vorgeschritten war, konnten wir uns gut erkennen. Als der Stier sich festgehalten fühlte, erhob er sich wieder wutschnaubend. Auch in ihm hatte sich jetzt der Wille zum Töten festgesetzt. Er lugte nach allen Seiten; sah erst mich an, dann Patrocinio und hielt sich bereit. Er schien jetzt noch größer und behender zu sein. Dann stürzte er mit aller Gewalt auf mich zu. Das war just, was ich gewollt hatte. Ich erwartete ihn voller Vertrauen auf die Leichtfüßigkeit meiner Orejuela. Es ging alles blitzschnell. Er kam, ich schwang die Lassoleine über meinen Kopf, um für den Hornstoß bereit zu sein. Obgleich Patrocinio wußte, was jetzt kommen mußte, konnte er doch nicht umhin, mir »Vorsicht!« zuzurufen.
Ich aber hatte noch Zeit, bei mir zu denken, »je schneller du läufst, desto sicherer wirst du dir das Genick brechen.«
Fast zusammen mit Patrocinios Schrei hörte ich ein Geräusch wie von einer Ohrfeige. »Da hast du's!« sagte ich zu mir. Aber mein Lasso war gerissen. Durch den Ruck sank das Pferd unter mir weg. Ich wollte die Beine öffnen, aber einer meiner Sporen hatte sich in die Satteldecke verhakt. So flogen wir beide zur Erde. Welch ein Aufschlag! Ach, einerlei; ich wollte nur an den Stier denken. Er mußte sich das Genick gebrochen haben. Ich wollte, daß er es sich gebrochen hatte. In der Entfernung von einigen Metern sah ich, wie er versuchte, sich wieder aufzurichten. Er war ein Stück geschleift worden und dadurch wie an die Erde gepreßt. Er sah mich fest an.
»Er muß sich das Rückgrat gebrochen haben«, sagte Patrocinio.
Der Wolf erhob sich, ohne einen Schaden zu zeigen. Er war zahm, und ich konnte ihn ruhig mit schleifenden Zügeln laufen lassen. Mir hingegen hing der rechte Arm herab, und in meiner Schulter krabbelte es wie in einem Krebssumpf. Ich begriff, daß ich mir das Schlüsselbein gebrochen hatte, und … daß mir vielleicht sogar der Arm abgenommen werden müßte.
Unterdessen hatte Patrocinio dem Stier seinen Lasso umgeworfen. Ich ging auf ihn zu. Mit dumpfem Verdruß gedachte ich meiner verwundeten Pferde … Ich mußte gegen eine wachsende Stumpfheit ankämpfen. Patrocinio, der wußte, was ich jetzt tun mußte, zog das Seil so an, daß der Kopf des Stieres, ob er wollte oder nicht, platt auf den Boden gedrückt wurde.
»Schlechtes Vieh!« sagte ich zu ihm und zog mein Dolchmesser mit der linken Hand. Ich glaubte, ich würde fallen. Ich stützte ein Knie auf die Erde. Trotz allem … ich mußte zu Ende kommen.
»Diesen Gruß vom Falben!« sagte ich zum Stier und stieß ihm das Messer bis ans Heft in den Kopf. Ein heißer Guß badete mir Arm und Lenden. Zum letztenmal versuchte der Stier, sich zu erheben. Ich fiel über ihn hin. Auf seinem Schulterblatt ruhte mein Kopf wie der eines Kindes. Doch noch ehe ich gänzlich das Bewußtsein verlor, fühlte ich, wie wir beide inmitten der großen Stille von Himmel und Pampa bewegungslos liegenblieben.