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(den 26. Juli 99)
Von Tag zu Tag verschob ich es, Ihnen zu schreiben, weil ich Ihnen nichts von meiner Entnervung und Mutlosigkeit sagen wollte, und hoffte, diese Stimmung würde sich verlieren. Vergebens erwartete ich einen heiteren Tag; ich schreibe Ihnen also, wie es mein Gefühl mit sich bringt.
Ihr Brief freute mich lebhaft; was könnte mir willkommener sein, als von ihm zu hören, auch selbst dann, wenn es schmerzlich ist, was ich erfahre. Der Anteil, welchen ich an seinem Schicksal nehmen kann, wenn ich es weiss, entschädigt mich ein wenig, nicht für verlorene Hoffnungen, aber doch für seine Entfernung. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sich mein ganzes Wesen gegen den Gedanken, ihn zu vergessen, empört; nein, soviel Kummer mir auch diese Liebe bereiten mag, ich werde es nie bedauern, ihn gesehen zu haben.
Wann ich wieder nach Frankfurt komme, weiss ich noch nicht. Die meiste Zeit, seit Sie hier waren, habe ich mit Kopfweh hingebracht; meine Kur wird also noch einige Zeit dauern. Lieber wollte ich jetzt von hier fortgehen.
Sie haben doch das Kampaner Tal von Jean Paul gelesen? Es gefällt mir noch weit besser als Siebenkäs. Ich kann mir nichts Liebenswürdigeres denken als Gionens Charakter; fast fürchte ich, er ist nur ideal, unerreichbar in jeder Lage.
Umarmen Sie Ihre liebe Mutter und Sophien herzlich von mir.
Wenn Sie etwas von S. hören, darf ich Sie dann bitten, es mir zu schreiben? Verargen Sie mir diese Bitte nicht; es ist ja das einzige, was ich von ihm haben kann, der Schatten eines Traumes.
Ich werfe mir selbst, indem ich dies schreibe, die Frage auf, was für ein Recht ich habe, Sie in jedem Briefe mit meinen Angelegenheiten zu belästigen; ich kann mir sie nicht beantworten und dennoch frevle ich gegen Ihre Geduld fort.