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Schütze, o sinnende Muse! mir gnädig die ärmlichen Blätter!
Fülle des Lorbeers bringt reichlich der lauere Süd,
Aber den Norden umziehn die Stürme und eisigte Regen;
Sparsamer spriessen empor Blüten aus dürftiger Aue.
Ich habe Dir in ernsten stillen Stunden,
Betrachtungsvoll in heil'ger Einsamkeit,
Die Blumen dieser und vergangner Zeit,
Die mir erblüht, zu einem Kranz gewunden.
Von Dir, ich weiss es, wird der Sinn empfunden,
Der in des Blütenkelchs Verschwiegenheit
Nur sichtbar wird dem Auge, das geweiht,
Im Farbenspiel den stillen Geist gefunden.
Es flechten Mädchen so im Orient
Den bunten Kranz; dass vielen er gefalle,
Wetteifern unter sich die Blumen alle.
Doch Einer ihren tiefern Sinn erkennt,
Ihm sind Symbole sie nur, äussre Zeichen;
Sie reden ihm, obgleich sie alle schweigen.
Die Göttin sinkt in namenlosem Leide;
Den Jäger traf des Tieres wilde Wut;
Die Rose trinkend von des Jünglings Blut,
Glänzt ferner nicht im weissen Lilienkleide.
Das Abendrot der kurzen Liebesfreude
Blickt traurig aus der Blume dunklen Glut;
Adonis tot im Arm der Göttin ruht;
Das Schönste wird des kargen Hades Beute.
Verhasst ist ihr des langen Lebens Dauer,
Das Götterlos wird ihrer Seele Trauer,
Die sehnsuchtskrank den süssen Gatten sucht.
Und still erblühet heisser Tränen Frucht;
Den stummen Schmerz verkünden Anemonen,
Den ew'gen Wunsch im Schattenreich zu wohnen.
Den Lilienleib des Purpurs dunkler Schleier
Dem irren Blick der Göttin halb entzieht;
Der Trauer Bild, die Anemone, blüht
So weiss als rot zur stillen Totenfeier.
Erloschen ist in ihm des Lebens Feuer,
Sein totes Aug' die Blume nimmer sieht. –
Doch plötzlich schmilzt der Göttin Leid im Lied,
Die Klage tönt, die Seele fühlt sich freier.
Ein Kranker, der des Liedes Sinn empfunden,
Durch ihrer Töne Zauber soll gesunden. –
Der Andacht gerne Liebe sich vertraut.
Und gläubig einen Tempel er sich baut,
Auf dass er pflege in dem Heiligtume
Der Sehnsucht Kind, die süsse Wunderblume.
Wehe! dass der Gott auf Erden
Sterblich musst geboren werden!
Alles Dasein, alles Leben
Ist mit ihm dem Tod gegeben.
Alles wandelt und vergehet,
Morgen sinkt, was heute stehet;
Was jetzt schön und herrlich steiget
Bald sich hin zum Staube neiget;
Dauer ist nicht zu erwerben,
Wandeln ist unsterblich Sterben.
Wehe! dass der Gott auf Erden
Sterblich musst geboren werden!
Alle sind dem Tod verfallen,
Sterben ist das Los von allen.
Viele doch sind die nicht wissen,
Wie der Gott hat sterben müssen;
Blinde sind es, die nicht sehen,
Nicht den tiefen Schmerz verstehen,
Nicht der Göttin Klag und Sehnen,
Ihre ungezählten Tränen,
Dass der süsse Leib des Schönen
Muss dem kargen Tode fröhnen.
Lasst die Klage uns erneuern!
Rufet zu geheimen Feiern,
Die Adonis heilig nennen,
Seine Gottheit anerkennen,
Die die Weihen sich erworben,
Denen auch der Gott gestorben.
Brecht die dunkle Anemone,
Sie, die ihre Blätterkrone
Sinnend still herunterbeuget,
Leise sich zur Tiefe neiget,
Forschend ob der Gott auf Erden
Wieder soll geboren werden!
Brechet Rosen; jede Blume
Sei verehrt im Heiligtume,
Forscht in ihren Kindermienen,
Denn es schläft der Gott in ihnen;
Uns ist er durch sie erstanden
Aus des dumpfen Grabes Banden.
Wie sie leis hervor sich drängen
Und des Hügels Decke sprengen,
Ringet aus des Grabes Engen
Sich empor verschlossnes Leben;
Tod den Raub muss wiedergeben,
Leben wiederkehrt zum Leben.
Also ist der Gott erstanden
Aus des dumpfen Grabes Banden.
Den Königen aus Morgenlanden
Ging einst ein hell Gestirn voran,
Und führte treu sie ferne Pfade
Bis sie das Haus des Heilands sahn.
So leuchte über meinem Leben,
Lass glaubensvoll nach dir mich schaun,
In Qualen, Tod und in Gefahren
Lass mich auf deine Liebe traun.
Mein Auge hab ich abgewendet
Von allem was die Erde gibt,
Und über alles was sie bietet
Hab ich dich, Trost und Heil, geliebt.
Dir leb' ich, und dir werd' ich sterben,
Drum lasse meine Seele nicht,
Und sende in des Lebens Dunkel,
Mir deiner Liebe tröstlich Licht.
O, leuchte über meinem Leben!
Ein Morgenstern der Heimat mir,
Und führe mich den Weg zum Frieden,
Denn Gottes Friede ist in dir.
Lass nichts die tiefe Andacht stören,
Das fromme Lieben, das dich meint,
Das, ob auch Zeit und Welt uns trennen,
Mich ewig doch mit dir vereint.
Da du erbarmend mich erkoren,
Verlasse meine Seele nicht,
O Trost und Freude! Quell des Heiles!
Lass mich nicht einsam, liebes Licht!
Zum Flammentode gehn an Indusstranden
Mit dem Gemahl, in Jugendherrlichkeit,
Die Frauen, ohne Zagen, ohne Leid,
Geschmücket festlich, wie in Brautgewanden.
Die Sitte hat der Liebe Sinn verstanden,
Sie von der Trennung harter Schmach befreit,
Zu ihrem Priester selbst den Tod geweiht,
Unsterblichkeit gegeben ihren Banden.
Nicht Trennung ferner solchem Bunde droht,
Denn die vorhin entzweiten Liebesflammen
In einer schlagen brünstig sie zusammen.
Zur süssen Liebesfeier wird der Tod,
Vereinet die getrennten Elemente;
Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende.
Wie ist ganz mein Sinn befangen,
Einer, Einer anzuhangen;
Diese Eine zu umfangen
Treibt mich einzig nur Verlangen;
Freude kann mir nur gewähren,
Heimlich diesen Wunsch zu nähren.
Mich in Träumen zu betören,
Mich in Sehnen zu verzehren,
Was mich tötet zu gebären.
Widerstand will mir nicht frommen,
Fliehen muss ich neu zu kommen,
Zürnen nur, mich zu versöhnen,
Kann mich ihrer nicht entwöhnen,
Muss im lauten Jubel stöhnen;
In den Becher fallen Tränen,
Ich versink in träumrisch Wähnen;
Höre nicht der Töne Reigen,
Wie sie auf und nieder steigen,
Wogend schwellen Well' in Welle;
Sehe nicht der Farben Helle
Strömen aus des Lichtes Quelle.
Mich begrüssen Frühlingslüfte,
Küssen leise Blumendüfte,
Doch das all ist mir verloren,
Ist für mich wie nicht geboren,
Denn mein Geist ist eng umfangen
Von dem einzigen Verlangen,
Eine, Eine zu erlangen.
Hungrig in der Zahl der Gäste
Sitz ich bei dem Freudenfeste,
Das Natur der Erde spendet;
Frage heimlich, obs bald endet?
Ob ich aus der Gäste Reigen
Dürf' dem eklen Mahl entweichen,
Das verschwendrisch andre nähret:
Mir nicht einen Wunsch gewähret?
Eines nur mein Sinn begehret,
Eine Sehnsucht mich verzehret;
Eng ist meine Welt befangen,
Nur vom einzigen Verlangen,
Was ich liebe zu erlangen.
Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden,
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt, was er verloren,
Lassen muss, was er erkoren,
Das geliebte Herz,
Der versteht in Lust die Tränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
Eins im Andern sich zu finden,
Dass der Zweiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein.
Wer so ganz in Herz und Sinnen
Könnt' ein Wesen lieb gewinnen,
O! den tröstet's nicht,
Dass für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind's doch nicht.
Das geliebte süsse Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden
Dieses Denken und Empfinden
Gibt kein Gott zurück.
Blau ist meines Himmels Bogen,
Ist vom Regen nie umzogen,
Ist von Wolken nicht umspielt,
Nie vom Abendtau gekühlt.
Meine Bäche fliessen träge
Oft verschlungen auf dem Wege,
Von der durst'gen Steppen Sand,
Bei des langen Mittags Brand.
Meine Sonn' ein gierig Feuer,
Nie gedämpft durch Nebelschleier,
Dringt durch Mark mir und Gebein
In das tiefste Leben ein.
Schwer entschlummert sind die Kräfte,
Aufgezehrt die Lebenssäfte;
Eingelullt in Fiebertraum
Fühl' ich noch mein Dasein kaum.
Aber ich stürze von Bergen hernieder,
Wo mich der Regen des Himmels gekühlt,
Tränke erbarmend die lechzenden Brüder,
Dass sich ihr brennendes Bette erfüllt.
Jauchzend begrüssen mich alle die Quellen;
Kühlend umfange ich, Erde, auch dich;
Leben erschwellt mir die Tropfen, die Wellen,
Leben dir spendend umarme ich dich.
Teueres Land du! Gebärerin Erde!
Nimm nun den Sohn auch, den liebenden auf,
Du, die in Klüften gebar mich und nährte,
Nimm jetzt o Mutter, den Sehnenden auf.
Rasend am Altar des Feuers
Ormuzd Priester war geworden;
Aber als der Morgen helle
Gülden aus dem Osten blickte,
Kehrte Ruh in seine Seele.
Laut rief er dem Opferknaben:
›Siehe, wie der Morgen pranget;
Licht hat endlich obgesieget,
Siegend werden nie zur Erde
Wieder sich die Schatten senken‹.
Trosterfüllet sprach's der Alte,
Kniete nieder am Altare
Betend auf zum Gott des Lichtes.
Preisend ihn, des frohen Sieges,
Angetan in hellen Kleidern
Zwölf der Stunden täglich feiern.
Aber als die Zwölf im Westen
Trübe sich begunt zu färben,
Leis verglomm im Abendstrahle,
Ormuzd Priester ward da stille,
Sorgend blickt er auf zum Himmel,
Forschend, was die Zeit gebäre. –
Dunkel kam herangeschritten,
Zagend streift es, blass und ängstlich,
Mutig ward's dann, dehnt sich mächtig,
Wuchs und deckt mit Riesengliedern
Siegreich bald die niedren Täler,
Reiht sich um den Stern des Tages,
Drängt ihn hastig hin zum Weste.
Ormuzd Priester rief der Sonne,
Tapfer sich im Kampf zu zeigen,
Heftig rief er, Wahnsinn betend.
Aber das Gestirn des Lichtes
Bettet sich im Weste stille.
Rasend, zitternd, sah's der Alte,
Raffte sich empor vom Boden,
Eilte nach dem nahen Meere. –
Glänzend aus der Fluten Spiegel
Luna kam heraufgeschritten;
Feucht ihr Haar, vom Meer noch träuflend,
Taubeglänzet ihre Wange,
Blickte sie zur Erde nieder.
Da ergrimmte Ormuzd Priester,
Nahm den Bogen, nahm die Pfeile,
Eilte zu des Felsens Gipfel,
Achtet nicht der schroffen Höhe,
Drunten nicht des Meeres Brausen,
Nimmt der Pfeile schärfsten, zielet
Hoch zum Mond, dem Herz der Nächte;
Schwirrend reisst ihn da die Sehne
Seines Bogens hin zur Tiefe,
Sterbend büsst er sein Erkühnen. –
Mitleidsvoll ihm Mitra lächlet;
Aber gütig nimmt das Dunkel
Auf in seinem heilgen Schosse
Freundlich den verirrten Kranken,
Dass im Arm der Mitternächte
Schweren Wahnsinns er genese.
Mir zu Häupten Wolken wandeln,
Mir zur Seite Luft verwehet,
Wellen mir den Fuss umspielen,
Türmen sich und brausen, sinken. –
Meine Schläfe Jahr' umgauklen,
Sommer, Frühling, Winter kamen,
Frühling mich nicht grün bekleidet,
Sommer hat mich nicht entzündet,
Winter nicht mein Haupt gewandelt.
Hoch mein Gipfel über Wolken;
Eingetaucht im ew'gen Äther,
Freuet sich des steten Lebens.
Höre mich Phoibos Apoll! Du, der auf bläuligem Bogen
Siegreich schreitet herauf an wölbichter Feste des Himmels,
Spendend die heilige Helle der wolkenerzeugenden Erde,
Leuchtend Okeanos hin zur Tiefe des felsigten Bettes.
Höre mich Liebling des Zeus! Sieh gnädig auf deinen Geweihten!
Sei im Gesang mir gewärtig und lasse der goldenen Leier
Saiten mir klingen, wie dir, wenn mit siegender Lippe du singest
Pythons, des schrecklichen, Fall dem Chore melodischer Musen,
Oder im Liede besingst ferntreffende Pfeile des Bogens,
Also, o Phoibos Apoll! lass von begeistertem Munde
Strömen mir wogende Rhythmen des sinnebeherrschenden Wohllauts,
Dass sich der Wald mit beseele, die Dryas des Baumes mir lausche,
Schlängelnde Ströme mir folgen, und reissende Tiere unschädlich
Schmeichelnd zu mir sich gesellen. Vor allem, Erzeugter Kronions!
Gib des Gesanges herrschende Kraft, die drunten gewaltig
Ais den König bewege, des Landes am stygischen Strome,
Lehre vergessene Schmerzen mich wecken im Busen der Göttin,
Die ein zu strenges Gebot dem düsteren Herrscher vermählet,
Dass sie erbarmend sich zeige dem Schwestergeschick der Geliebten,
Wieder ihr gönne zu schaun des Tages sonnige Klarheit,
Deines unsterblichen Haupts fern leuchtende Strahlen, o Phoibos!
Kann ich im Herzen heisse Wünsche tragen?
Dabei des Lebens Blütenkränze sehn,
Und unbekränzt daran vorüber gehn,
Und muss ich traurend nicht in mir verzagen?
Soll frevelnd ich dem liebsten Wunsch entsagen?
Soll mutig ich zum Schattenreiche gehn?
Um andre Freuden, andre Götter flehn,
Nach neuen Wonnen bei den Toten fragen?
Ich stieg hinab, doch auch in Plutons Reichen,
Im Schoss der Nächte, brennt der Liebe Glut,
Dass sehnend Schatten sich zu Schatten neigen.
Verloren ist, wen Liebe nicht beglücket,
Und stieg er auch hinab zur styg'schen Flut,
Im Glanz der Himmel blieb er unentzücket.
Ich wallte mit leichtem und lustigem Sinn
Und singend am Kerker vorüber;
Da schallt aus der Tiefe, da schallt aus dem Turm
Mir Stimme des Freundes herüber. –
›Ach Sänger! verweile, mich tröstet dein Lied,
Es steigt zum Gefangnen herunter,
Ihm macht es gesellig die einsame Zeit,
Das krankende Herz ihm gesunder‹.
Ich horchte der Stimme, gehorchte ihr bald,
Zum Kerker hin wandt' ich die Schritte,
Gern sprach ich die freundlichsten Worte hinab,
Begegnete jeglicher Bitte.
Da war dem Gefangenen freier der Sinn,
Gesellig die einsamen Stunden. –
›Gern gäb' ich dir, Lieber! so rief er: die Hand,
Doch ist sie von Banden umwunden.‹
›Gern käm ich Geliebter! gern käm' ich herauf
Am Herzen dich treulich zu herzen;
Doch trennen mich Mauern und Riegel von dir,
O fühl' des Gefangenen Schmerzen.‹
›Es ziehet mich mancherlei Sehnsucht zu dir;
Doch Ketten umfangen mein Leben,
Drum gehe mein Lieber, und lass mich allein,
Ich Armer, ich kann dir nichts geben.‹
Da ward mir so weich und so wehe ums Herz,
Ich konnte den Lieben nicht lassen.
Am Kerker nun lausch' ich von Frührotes Schein,
Bis abends die Farben erblassen.
Und harren dort werd ich die Jahre hindurch,
Und sollt' ich drob selber erblassen,
Es ist mir so weich und so sehnend ums Herz,
Ich kann den Geliebten nicht lassen.
Erläuterungen
Odin ist der König der Skandinavischen Götter
Frigga, Odins Weib
Baldur, Odins und Friggas Sohn, der schönste, beste und freundlichste der Götter
Notta, die Göttin der Nacht
Loke, der böse Gott der Skandinavier
Hela ist seine Tochter, und Herrscherin der Unterwelt
Ymer, der Vater der Riesen, das Erdelement
Nilfheim, die Unterwelt, das Nebelland
Der Gialstrom, der Styx der Skandinavier
Asgard, die Götterstadt.
Warnende Träume
Ängsteten Baldur,
Baldur, den Schönen,
Odins Erzeugten,
Liebling der Frigga.
Und zu des Vaters
Weisheit sich wendend
Forschete Baldur,
Was ihn bedräue!
Aber der Grosse
Herrliche König
Wusste des Sohnes
Frage nicht Antwort,
Rief seiner Gattin;
Dass sie zum Eingang
Gehe der Erde,
Hiess sie der König,
Dass sie befrage
Dorten die Wole
Um die Geschicke
Baldur des guten,
Freundlichen Gottes.
Frigga, wie Odin
Hatte geboten,
Eilte zur alten
Furchtbaren Seh'rin,
Nahm mit sich Fulla,
Ihre Gespielin.
Und es verliessen
Frühe die Strassen
Asgards die Frauen;
Stiegen zur Tiefe
Drunten, wo Notta
Zögernd noch weilte,
Wo aus der Mähne
Tauige Perlen
Schüttelt das Nachtross;
Kamen zum Saume
Hin dann des Norden,
Wo mit dem Winter
Frühling nicht wechselt,
Sommer nicht wärmet,
Herbstliche Früchte
Reifend nicht schwellen.
Wo sich die feuchten
Nebel erzeugen,
Eisigte Regen
Nächtliches Dunkel,
Dort war die Höhle,
Wo die Prophetin
Wohnt in der Tiefe.
Fulla
Sag' mir o Frigga,
Wes ist die Höhle,
Die so gewaltig
Odem hier holet,
Dass mich ihr Lufthauch
Zieht fast hinunter?
Frigga
Wisse, der Eingang
Hier ist zum finstern
Reiche der Hela.
Schlangengleich windet,
Krümmt sich die Höhle
Neunmal den Tag lang
Hin bis zum Strome,
Neunmal die Nacht lang
Hin bis zum Gialstrom.
Über dem Strome
Wölbt sich die Brücke,
Welche die Toten
Führet nach Nilfheim.
Fulla
Frigga! du führst mich
Lebend zur Stelle,
Wo seine Schleier
Hebet der Abgrund!
Nicht will ich schauen
Augen voll Lichtes,
Dunkel von Nilfheim.
Nicht mag ich sehen
Kriege der Toten,
Schlachten der Schatten,
Luftigen Erzes
Blutlose Wunden.
Wahrlich verwirren
Möcht es die Sinne,
Körperlos träumen,
Schauspiel der Schatten
Lebend zu sehen.
Frigga
Odin mich sendet
Fragend zur Wole
Wegen des düstern
Traumes von Baldur.
Sie die Prophetin
Schauet die Zukunft,
Kennet, was da ist,
Weiss, was gewesen.
Fulla
Sag, wer bedräuet
Selige Götter?
Wohnt nicht in Hallen
Schimmernder Säulen
Baldur gesichert?
Mächtig ist Baldur,
Trägt in der Linken
Glänzenden Goldes
Dreifache Speere,
Trägt in der Rechten
Drohend sein Schlachtschwert.
Welcher der Götter
Mag ihn verderben?
Frigga
Nahet die Stunde,
Fallen auch Starke.
Viele der Lager
Stehen bereitet
Drunten in Nilfheim:
Gierig ist Hela,
Zählet die Gäste,
Hält sie in düstren
Burgen gefangen.
Fulla
Müssen auch Götter
Wandeln nach Nilfheim?
Herrschet nicht Odin
Droben im Lichte,
Drunten im Dunkel?
Kann auch geschehen,
Was er nicht wolle?
Frigga
Mächtig sind Riesen
Nennen die Erde
Trotzig ihr Erbteil.
Fulla
Wer sind die Riesen,
Welche der Götter
Erbe bestreiten?
Frigga
Hör, was ich sage,
Rückwärts die Seele
Schauend gewendet.
Einst war der Mond nicht,
War nicht die Erde;
Feuer im Raume
Ewiglich brannte,
Drunten war Dunkel,
Kälte und Nachtfrost.
Einstens das Feuer
Mischte dem Dunkel
Lebende Kräfte.
Mächtig erwuchs da
Ymer, ein Riese,
Welcher erzeugte
Viele der Riesen.
Uneins sie wurden,
Töteten Ymer,
Dass er gewaltig
Rollt in die Tiefe,
Und aus dem Haupte
Wuchsen die Berge,
Und aus dem Odem
Wölbt sich der Luftkreis,
Und aus dem Leibe
Wurden die Ebnen.
Aber es kamen
Droben vom Lichte
Viele der Götter;
Odin sie führte;
Und es entzweiten
Schreckliche Kriege
Selige Götter,
Irdische Riesen.
Friede noch fern ist,
Denn zu den Feinden
Hat sich der Böse
Loke gesellet,
Hat sich mit Riesen-
Töchtern vermählet,
Fenris den argen
Wolf so erzeuget,
Und die Verruchte
Schlange von Midgard,
Dann auch der Toten
Herrscherin, Hela.
Diese sind mächtig,
Trotzen mit gleichen
Kräften den Göttern,
Diese befürchtet
Odin für Baldur,
Darum zur Alles-
Seherin sendet
Odin mich nieder.
Fulla
Siehe, die fragende
Flamme entglühet,
Siehe, der Runen
Zeichen sind fertig,
Vielfach gemischet,
Wartend der Deutung.
Frigga
Höre mich, alte
Seherin! Wole!
Mitternachts Tochter!
Mutter der Zeiten!
Du, die mit Armen
Reichet zum Himmel!
Du, deren Fusstritt
Nilfheim erbebet!
Sage, was dräuet
Baldur, dem Schönen?
Sage, was wollen
Ängstliche Träume
Warnend verkünden?
Fulla
Lausche! sie schweiget;
Mächtiger rede,
Stärkre Beschwörung
Ruf ihr entgegen.
Blicke nach Norden,
Lege die Zeichen,
Schüre die Flamme.
Frigga
Du! die Du zählest
Treffende Pfeile
Wodans im Köcher,
Eh' sein Geschoss noch
Scheidet vom Bogen,
Höre! Prophetin!
Höre mich, höre!
Die Wole
Bereit ist die Tafel,
Die Becher sind trübe,
Der Wein ist wie Blut rot,
Die Gäste sind düster,
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Türe,
Denn einer der Stühle
Ist leer noch für Einen;
Des harren die Vielen,
Des zögernden Gastes;
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Türe.
Frigga
Wem ist der leere
Platz dort bereitet?
Wo ist die Tafel?
Wer sind die Gäste?
Die Wole
Die Tafel ist drunten,
Vergangenheit nippet
Mit bleichem Gesichte
An kärglichen Bechern.
Frigga
Seherin! wehe!
Wird aus dem Kranze
Asgards die Rose
Sinken zum Staube?
Knospe des Tages,
Herrlicher Morgen!
Wirst du den Reigen
Fliehen der Stunden? –
Eins mir noch sage,
Welcher der Götter,
Welcher der Riesen
Dräuet dem Sohne?
Die Wole
Der listige Loke
Der finsteren Tochter
Gesellet den Schönen.
Frigga
Wehe mir! wehe!
Röte, die erste,
Färben wird Helas
Düstere Mienen,
Wenn sie den schönen
Fremdling begrüsset. –
Wehe mir! wehe!
Werden ohnmächtig
Nimmer die Götter
Rächen den Frevel
An dem Geschlechte
Trotziger Riesen?
Nimmer erwürgen
Lokes Erzeugte?
Werden die Götter
Nie sich der Herrschaft
Dauernd erfreuen?
Dieses noch sage,
Schweige dann immer.
Die Wole
Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
Der Schweigen Gewöhnten.
Die Stirn ist Traum erfüllet
Die Wimper Schlaf bedürfend,
Die Lippe Rede müde.
Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
Der Schweigen Gewöhnten.
Frigga
Wahrlich den Schlummer
Würdest dem schweren
Auge enttreiben,
Käm' er nur selber,
Odin, der Starke
Herrliche König,
Kundige Rede
Dürftest nicht weigern.
Die Wole
Es können nicht Götter
Bezwingen im Busen
Das feste uralte
Beständige Herz mir.
Frigga
Sprüche wohl gibt es,
Zahlen und Kreise,
Toten zu öffnen
Selber die Lippen;
Aber nicht herrisch
Will ich gebieten,
Flehend ich komme,
Odin der Starke
Bittet dich, rede!
Die Wole
Vernimm denn o Frigga!
Nicht können sie dauern,
Die Reiche des Zwistes,
Der mächtige Odin
Besiegen nicht konnte
In Fülle der Jugend
Die Stärke der Riesen,
Wird schwerere Kriege
Er ihnen bereiten,
Wann spätere Jahre
Ihn selber besieget?
Zwar Ymer ist tot längst,
Doch lebt ihm im tiefen
Versteinerten Herzen
Der Groll gegen Götter,
Er lebt in den Kindern
Den irdischen Riesen.
Der listige Loke
Hat göttliche Kräfte
Den ihren vermählet,
Des freuet sich Ymer,
Ergötzt sich der Siege
Der Enkelin Hela,
Sie spottet im Abgrund
Vergänglicher Herrschaft
Gewaltiger Götter.
Frigga
Jammervoll Schicksal!
Rauben wird Hela
Sieghaft den schönen
Göttlichen Sohn mir?
Die Wole
Die Klage verspare
Dem größeren Weh noch,
Es nahet die Stunde,
Ich sehe sie kommen,
An nächtlichem Schauer
Erkranket der Morgen
Erbleicht vor Entsetzen;
Das siegende Dunkel
Verdränget den Mittag.
Da rufet der Wächter
Des Himmels zum Kampfe
Die Götter von Asgard,
Denn Söhne des Feuers
In kriegrischen Reihen
Verderbend bedrohen
Die Sitze der Götter;
Und Loke gesellet
Sich Feinden der Götter;
Es sprenget die Ketten
Der schreckliche Wolf auch;
Es kommen die Riesen
Der Berge gezogen.
Da Odin erkennet
Die Stunde des Falles
In ahnender Seele,
Dem Wolfe erlieget
Der herrliche König.
Der Himmel erbebet,
Es berstet die Erde;
Der hungrige Abgrund
Eröffnet die Lippen,
Verschlinget die irren
Vermischeten Räume,
Verschlinget das Feuer
Und Dunkel und Kälte,
Gedanken und Zeiten
Und Himmel und Götter
In daurender Dämmrung.
An Eusebio
Vergib, o Freund! dass ich mit kind'scher Sprache,
Aus Deines Herzens tiefem Heiligtume,
Akkorde leise nachzulallen wage,
Beim Höchsten aber schülerhaft verstumme.
Und reden möcht ich doch zu Deinem Ruhme.
Vergib der Kühnheit, dass ich nicht verzage.
Den Sommer mein ich mit der Einen Blume
Und Einen Strahl entwand ich nur dem Tage.
Doch die Natur in ihrer heilgen Fülle,
Sie offenbart sich ganz in jedem Handeln,
Das höchste Leben in der tiefsten Stille.
Erhascht' ich einen Zug aus Deinem Bilde,
Wie reichlich auch Gedanken in Dir wandeln,
So bist Du's ganz in Deiner frommen Milde.
An Eusebio
Mit Freude denk ich oft zurück an den Tag, an welchem wir uns zuerst fanden, als ich Dir mit einer ehrfurchtsvollen Verlegenheit entgegentrat wie ein lehrbegieriger Laie dem Hohenpriester. Ich hatte es mir vorgesetzt, Dir womöglich zu gefallen, und das Bewusstsein meines eigenen Wertes wäre mir in seinen Grundfesten erschüttert worden, hättest Du Dich gleichgültig von mir abgewendet; wie es mir aber gelang, Dich mit solchem Masse für mich zu gewinnen, begreife ich noch nicht; mein eigner Geist muss bei jener Unterredung zwiefach über mir gewesen sein. Mit ihr ist mir ein neues Leben aufgegangen, denn erst in Dir habe ich jene wahrhafte Erhebung zu den höchsten Anschauungen, in welchen alles Weltliche als ein wesenloser Traum verschwindet, als einen herrschenden Zustand gefunden. In Dir haben mir die höchsten Ideen auch eine irdische Realität erlangt. Wir andern Sterblichen müssen erst fasten und uns leiblich und geistig zubereiten, wenn wir zum Mahle des Herrn gehen wollen, Du empfängst den Gott täglich ohne diese Anstalten.
Mir, o Freund! sind die himmlischen Mächte nicht so günstig, und oft bin ich missmutig, und weiss nicht, über wen ich es am meisten sein soll, ob über mich selbst oder über diese Zeit, denn auch sie ist arm an begeisternden Anschauungen für den Künstler jeder Art; alles Grosse und Gewaltige hat sich an eine unendliche Masse, unter der es beinah verschwindet, ausgeteilt. Unselige Gerechtigkeit des Schicksals! Damit Keiner prasse, und Keiner hungere, müssen wir uns alle in nüchterner Dürftigkeit behelfen. Ist es da auch noch ein Wunder, wenn die Ökonomie in jedem Sinn und in allen Dingen zu einer so beträchtlichen Tugend herangewachsen ist. Diese Erbärmlichkeit des Lebens, lass es uns gestehen, ist mit dem Protestantismus aufgekommen. Sie werden alle zum Kelch hinzugelassen, die Laien wie die Geweihten, darum kann niemand genugsam trinken, um des Gottes voll zu werden, der Tropfen aber ist Keinem genug; da wissen sie denn nicht, was ihnen fehlt, und geraten in ein Disputieren und Protestieren darüber. – Doch was sage ich Dir das! angeschaut im Fremden hast Du diese Zeitübel wohl schon oft, aber sie können Dich nicht so berühren, da Du sie nur als Gegensatz mit Deiner eigensten Natur sehen kannst, und kein Gegensatz durch sie in Dich selbst gekommen ist. Genug also von dem aufgeblasenen Jahrhundert, an dessen Torheiten noch ferne Zeiten erkranken werden. Rückwärts in schönre Tage lass uns blicken, die gewesen. Vielleicht sind wir eben jetzt auf einer Bildungsstufe angelangt, wo unser höchstes und würdigstes Bestreben sich dahin richten sollte, die grossen Kunstmeister der Vorwelt zu verstehen, und mit dem Reichtum und der Fülle ihrer poesiereichen Darstellungen unser dürftiges Leben zu befruchten. Denn abgeschlossen sind wir durch enge Verhältnisse von der Natur, durch engere Begriffe vom wahren Lebensgenuss, durch unsere Staatsformen von aller Tätigkeit im Grossen. So fest umschlossen ringsum, bleibt uns nur übrig den Blick hinauf zu richten zum Himmel, oder brütend in uns selbst zu wenden. Sind nicht beinahe alle Arten der neuern Poesie durch diese unsere Stellung bestimmt? Liniengestalten entweder, die körperlos hinaufstreben im unendlichen Raum zu zerfliessen, oder bleiche, lichtscheue Erdgeister, die wir grübelnd aus der Tiefe unsers Wesens heraufbeschwören; aber nirgends kräftige, markige Gestalten. Der Höhe dürfen wir uns rühmen und der Tiefe, aber behagliche Ausdehnung fehlt uns durchaus. Wie Shakespeare's Julius Cäsar möcht' ich rufen: ›Bringt fette Leute zu mir, und die ruhig schlafen, ich fürchte diesen hagern Cassius‹. –
Da ich nun selbst nicht über die Schranken meiner Zeit hinausreiche, dünkt es Dir nicht besser für mich, den Weg eigner poetischer Produktion zu verlassen, und ein ernsthaftes Studium der Poeten der Vorzeit und besonders des Mittelalters zu beginnen? Ich weiss zwar, dass es mir Mühe kosten wird, ich werde gleichsam einen Zweig aus meiner Natur herausschneiden müssen, denn ich schaue mich am fröhlichsten in einem Produkt meines Geistes an, und habe nur wahrhaftes Bewusstsein durch dieses Hervorgebrachte; aber um Etwas desto gewisser zu gewinnen, muss man stets ein Anderes aufgeben, das ist ein allgemeines Schicksal, und es soll mich nicht erschrecken. Eins aber hat mir stets das innerste Gemüt schmerzlich angegriffen, es ist dies: dass hinter jedem Gipfel sich der Abhang verbirgt; dieser Gedanke macht mir die Freude bleich in ihrer frischesten Jugend und mischt in all mein Leben eine unnennbare Wehmut. Darum erfreut mich jeder Anfang mehr als das Vollendete, und nichts berührt mich so tief als das Abendrot; mit ihm möcht ich jeden Abend versinken, in der gleichen Nacht, um nicht sein Verlöschen zu überleben. Glückliche! denen vergönnt ist zu sterben, in der Blüte der Freude, die aufstehen dürfen vom Mahle des Lebens, ehe die Kerzen bleich werden, und der Wein sparsamer perlt. Eusebio! wenn mir auch dereinst das freundliche Licht Deines Lebens erlöschen sollte, o! dann nimm mich gütig mit wie der göttliche Pollux den sterblichen Bruder, und lass mich gemeinsam mit Dir in den Orkus gehen und mit Dir zu den unsterblichen Göttern, denn nicht möcht ich leben ohne Dich, der Du meiner Gedanken und Empfindungen liebster Inhalt bist, um den sich alle Formen und Blüten meines Seins herumwinden, wie das labyrinthische Geäder um das Herz, das sie all' erfüllt und durchglüht.
Fragmente aus Eusebios Antwort
– Gestalt hat nur für uns, was wir überschauen können; von dieser Zeit aber sind wir umfangen, wie Embryonen von dem Leibe der Mutter, was können wir also von ihr Bedeutendes sagen? Wir sehen einzelne Symptome, hören Einen Pulsschlag des Jahrhunderts, und wollen daraus schliessen, es sei erkrankt. Eben diese uns bedenklich scheinenden Anzeichen gehören vielleicht zu der individuellen Gesundheit dieser Zeit. Jede Individualität aber ist ein Abgrund von Abweichungen, eine Nacht, die nur sparsam von dem Licht allgemeiner Begriffe erleuchtet wird. Darum Freund! weil wir nur wenige Züge von dem unermesslichen Teppich sehen, an welchem der Erdgeist die Zeiten hindurch webt, darum lass uns bescheiden sein. Es gibt eine Ergebung, in der allein Seligkeit und Vollkommenheit und Friede ist, eine Art der Betrachtung, welche ich Auflösung im Göttlichen nennen möchte; dahin zu kommen lass uns trachten, und nicht klagen um die Schicksale des Universums. Damit Du aber deutlicher siehst, was ich damit meine, so sende ich Dir hiermit einige Bücher über die Religion der Hindu. Die Wunder uralter Weisheit, in geheimnisvollen Symbolen niedergelegt, werden Dein Gemüt berühren, es wird Augenblicke geben, in welchen Du Dich entkleidet fühlst von dieser persönlichen Einzelheit und Armut, und wieder hingegeben dem grossen Ganzen; wo Du es mehr als nur denkst, dass Alles, was jetzt Sonne und Mond ist, und Blume und Edelstein, und Äther und Meer, ein Einziges ist, ein Heiliges, das in seinen Tiefen ruht ohne Aufhören, selig in sich selbst, sich selbst ewig umfangend, ohne Wunsch nach dem Tun und Leiden der Zweiheit, die seine Oberfläche bewegt. In solchen Augenblicken, wo wir uns nicht mehr besinnen können, weil das, was das einzle und irdische Bewusstsein weckt, dem äussern Sinn verschwunden ist unter der Herrschaft der Betrachtung des Innern; in solchen Augenblicken versteh ich den Tod, der Religion Geheimnis, das Opfer des Sohnes und der Liebe unendliches Sehnen. Ist es nicht ein Winken der Natur, aus der Einzelheit in die gemeinschaftliche Allheit zurückzukehren, zu lassen das geteilte Leben, in welchem die Wesen etwas für sich sein wollen und doch nicht können? Ich erblicke die rechte Verdammnis in dem selbstsüchtigen Stolz, der nicht ruhen konnte in dem Schoss des Ewigen, sondern ihn verlassend seine Armut und Blösse decken wollte mit der Mannigfaltigkeit der Gestalten, und Baum wurde und Stein und Metall und Tier und der begehrliche Mensch.
Ja, auch das o Freund! was sie alle nicht ohne Murren und Zweifeln betrachten mögen, das trübere Alter, ich verstehe seinen höheren Sinn jetzt. Entwickeln soll sich im Lauf der Jahre das persönliche Leben, sich ergötzen im für sich sein, seinen Triumph feiern in der Blüte der Jugend; aber absterben sollen wir im Alter dieser Einzelheit, darum schwinden die Sinne, bleicher wird das Gedächtnis, schwächer die Begierde, und des Daseins fröhlicher Mut trübt sich in Ahndungen der nahen Auflösung. – Es sind die äusseren Sinne, die uns mannigfaltige Grade unsers Gegensatzes mit der fremden Welt deutlich machen. Wenn aber die Scheidewand der Persönlichkeit zerfällt, mögen sie immerhin erlöschen; denn es bedarf des Auges nicht, unser Inneres und was mit ihm Eins ist zu schauen; auch ohne Ohr können wir die Melodie des ewigen Geistes vernehmen; und das Gedächtnis ist für die Vergangenheit, es ist das Organ des Wissens von uns selbst im Wechsel der Zeiten. Wo aber nicht Zeit ist, nicht Vergangnes noch Künftiges, sondern ewige Gegenwart, da bedarfs der Erinnerung nicht. Was uns also abstirbt im Alter ist die Vollkommenheit unseres Verhältnisses zur Aussenwelt; abgelebt mögen also die wohl im Alter zu nennen sein, die von nichts wussten, als diesem Verhältnis. – So fürchte ich höhere Jahre nicht und der Tod ist mir willkommen; und zu dieser Ruhe der Betrachtung in allen Dingen zu gelangen, sei das Ziel unseres Strebens. – Deutlich liegt Deine Bahn vor mir, Geliebtester! Denn erkannt habe ich Dich vom ersten Augenblick unserer Annäherung, die, das Bewusstsein wird mir immer bleiben, von Gott gefügt war; nie habe ich so das Angesicht eines Menschen zum erstenmal angesehen, nie solch Gefühl bei einer menschlichen Stimme gehabt; und dies Göttliche und Notwendige ist mir immer geblieben im Gedanken an Dich; und so weiss ich auch, was notwendig ist in Dir und für Dich, und wie Du ganz solltest leben in der Natur, der Poesie und einer göttlichen Weisheit. Ich weiss, dass es Dir nicht geziemt, Dir so ängstliche Studien vorzuschreiben. Die grossen Kunstmeister der Vorwelt sind freilich da, um gelesen und verstanden zu werden, aber, wenn von Kunst- Schulen die Frage ist, so sage ich, sie sind dagewesen, jene Meister, eben deswegen sollen sie nicht noch einmal wiedergeboren werden; die unendliche Natur will sich stets neu offenbaren in der unendlichen Zeit. In der Fülle der Jahrhunderte ist Brahma oftmals erschienen, aber in immer neuen Verwandlungen; dieselbe Gestalt hat er nie wieder gewählt. So tue und dichte doch Jeder das, wozu er berufen ist, wozu der Geist ihn treibt, und versage sich keinen Gesang als den missklingenden. Doch zag' ich im Ernste nicht für Dich, die strebende Kraft wird den, welchen sie bewohnt, nicht ruhen lassen; es wird ihm oft wehe und bange werden ums Herz, bis die neugeborene Idee gestillet hat des Gebärens Schmerz und Sehnsucht.
Gestern lebte ich ein paar selige Stunden recht über der Erde, ich hatte einen Berg erstiegen, an dessen Umgebungen jede Spur menschlichen Anbaus zu Zweck und Nutzen verschwand; es ward mir wohl und heiter. Zwei herrliche Reiher schwebend über mir badeten ihre sorgenfreie Brust in blauer Himmelsluft. Ach! wer doch auch schon so dem Himmel angehörte, dachte ich da, und klein schien mir alles Irdische. In solchen Augenblicken behält nur das Ewige Wert, der schaffende Genius und das heilige Gemüt; da dacht ich Dein, wie immer, wenn die Natur mich berührt; oft gab ich dem Flusse, wenn der Sonne letzte Strahlen ihn erhellen, Gedanken an Dich mit, als würden seine Wellen sie zu Dir tragen und dein Haupt umspielen. Leb wohl, in meinen besten Stunden bin stets bei dir. –
An Eusebio
Eine der grössten Epochen meines kleinen Lebens ist vorübergegangen, Eusebio! ich habe auf dem Scheidepunkt gestanden zwischen Leben und Tod. Was sträubt sich doch der Mensch, sagte ich in jenen Augenblicken zu mir selbst, vor dem Sterben? ich freue mich auf jede Nacht, indem ich das Unbewusstsein und dunkle Träume dem hellern Leben vorziehe; warum grauet mir doch vor der langen Nacht und dem tiefen Schlummer? Welche Taten warten noch meiner, oder welche bessere Erkenntnis auf Erden, dass ich länger leben müsste? – Eine Notwendigkeit gebiert uns alle in die Persönlichkeit, eine gemeinsame Nacht verschlinget uns alle. Jahre werden mir keine bessere Weisheit geben, und wann Lernen, Tun und Leiden drunten noch Not tut, wird ein Gott mir geben, was ich bedarf. So sprach ich mir selbst zu, aber die Gedanken, die ich liebe, traten zu mir, und die Heroen, die ich angebetet hatte von Jugend auf: ›Was willst Du am hohen Mittage die Nacht ersehnen?‹ riefen sie mir zu. ›Warum untertauchen in dem alten Meer und darin zerrinnen mit allem, was Dir lieb ist?‹ So wechselten die Vorstellungen in mir, und Deiner gedacht ich, und immer Deiner, und fast alles andre nur in Bezug auf Dich, und wenn anders den Sterblichen vergönnt ist, noch eines ihrer Güter aus dem Schiffbruch des irdischen Lebens zu retten, so hätte ich gewiss Dein Andenken mit hinabgenommen zu den Schatten. Dass Du mir aber könntest verloren sein, war der Gedanken schmerzlichster. Ich zagte, dass Dein Ich und das meine sollten aufgelöst werden in die alten Urstoffe der Welt; dann tröstete ich mich wieder, dass unsere befreundeten Elemente, dem Gesetze der Anziehung gehorchend, sich selbst im unendlichen Raume aufsuchen und zu einander gesellen würden. So wogten Hoffnung und Zweifel auf und nieder in meiner Seele, und Mut und Zagheit. Doch das Schicksal wollte – ich lebe noch. – Aber was ist es doch das Leben? Dieses schon aufgegebene, wieder erlangte Gut! so frag' ich mich oft: was bedeutet es, dass aus der Allheit der Natur ein Wesen sich mit solchem Bewusstsein losscheidet und sich abgerissen von ihr fühlt? Warum hängt der Mensch mit solcher Stärke an Gedanken und Meinungen, als seien sie das Ewige? warum kann er sterben für sie, da doch für ihn eben dieser Gedanke mit seinem Tode verloren ist? und warum, wenn gleichwohl diese Gedanken und Begriffe dahin sterben mit den Individuen, warum werden sie von denselben immer wieder aufs neue hervorgebracht und drängen sich so durch die Reihen des aufeinanderfolgenden Geschlechtes zu einer Unsterblichkeit in der Zeit? Lange wusst' ich diesen Fragen nicht Antwort, und sie verwirrten mich; da war mir plötzlich in einer Offenbarung Alles deutlich und wird es mir ewig bleiben. Zwar weiss ich, das Leben ist nur das Produkt der innigsten Berührung und Anziehung der Elemente; weiss, dass alle seine Blüten und Blätter, die wir Gedanken und Empfindungen nennen, verwelken müssen, wenn jene Berührung aufgelöst wird, und dass das einzelne Leben dem Gesetz der Sterblichkeit dahingegeben ist; aber so gewiss mir dieses ist, ebenso über allem Zweifel ist mir auch das Andre, die Unsterblichkeit des Lebens im Ganzen; denn dieses Ganze ist eben das Leben, und es wogt auf und nieder in seinen Gliedern, den Elementen, und was es auch sei, das durch Auflösung (die wir zuweilen Tod nennen) zu denselben zurückgegangen ist, das vermischt sich mit ihnen nach Gesetzen der Verwandtschaft, d. h. das Ähnliche zu dem Ähnlichen. Aber anders sind diese Elemente geworden, nachdem sie einmal im Organismus zum Leben hinaufgetrieben gewesen, sie sind lebendiger geworden, wie Zwei, die sich in langem Kampf übten, stärker sind, wenn er geendet hat, als ehe sie kämpften; so die Elemente, denn sie sind lebendig, und jede lebendige Kraft stärkt sich durch Übung. Wenn sie also zurückkehren zur Erde, vermehren sie das Erdleben. Die Erde aber gebiert den ihr zurückgegebenen Lebensstoff in andern Erscheinungen wieder, bis durch immer neue Verwandlungen alles Lebensfähige in ihr ist lebendig geworden. Dies wäre, wenn alle Massen organisch würden. –
So gibt jeder Sterbende der Erde ein erhöhteres, entwickelteres Elementarleben zurück, welches sie in aufsteigenden Formen fortbildet; und der Organismus, indem er immer entwickeltere Elemente in sich aufnimmt, muss dadurch immer vollkommener und allgemeiner werden. So wird die Allheit lebendig durch den Untergang der Einzelheit, und die Einzelheit lebt unsterblich fort in der Allheit, deren Leben sie lebend entwickelte, und nach dem Tode selbst erhöht und mehrt, und so durch Leben und Sterben die Idee der Erde realisieren hilft. Wie also auch meine Elemente zerstreut werden mögen, wenn sie sich zu schon Lebendem gesellen, werden sie es erhöhen; wenn zu dem, dessen Leben noch dem Tode gleicht, so werden sie es beseelen. Und wie mir deucht, Eusebio! so entspricht die Idee der Indier von der Seelenwanderung dieser Meinung; nur dann erst dürfen die Elemente nicht mehr wandern und suchen, wann die Erde die ihr angemessene Existenz, die organische, durchgehends erlangt hat. Alle bis jetzt hervorgebrachten Formen müssen aber wohl dem Erdgeist nicht genügen, weil er sie immer wieder zerbricht und neue sucht; die ihm ganz gleichen würde er nicht zerstören können, eben weil sie ihm gleich und von ihm untrennbar wären. Diese vollkommene Gleichheit des inneren Wesens mit der Form kann, wie mir scheint, überhaupt nicht in der Mannigfaltigkeit der Formen erreicht werden; das Erdwesen ist nur Eines, so dürfte also seine Form auch nur Eine, nicht verschiedenartig sein; und ihr eigentliches wahres Dasein würde die Erde erst dann erlangen, wann sich alle ihre Erscheinungen in einem gemeinschaftlichen Organismus auflösen würden; wann Geist und Körper sich so durchdrängen, dass alle Körper, alle Form auch zugleich Gedanken und Seele wäre und aller Gedanke zugleich Form und Leib und ein wahrhaft verklärter Leib, ohne Fehl und Krankheit und unsterblich; also ganz verschieden von dem, was wir Leib oder Materie nennen, indem wir ihm Vergänglichkeit, Krankheit, Trägheit und Mangelhaftigkeit beilegen, denn diese Art von Leib ist gleichsam nur ein missglückter Versuch jenen unsterblichen göttlichen Leib hervorzubringen. – Ob es der Erde gelingen wird, sich so unsterblich zu organisieren, weiss ich nicht. Es kann in ihren Urelementen ein Missverhältnis von Wesen und Form sein, das sie immer daran hindert; und vielleicht gehört die Totalität unsers Sonnensystems dazu, um dieses Gleichgewicht zustand zu bringen; vielleicht reicht dieses wiederum nicht zu, und es ist eine Aufgabe für das gesamte Universum.
In dieser Betrachtungsweise, Eusebio! ist mir nun auch deutlich geworden, was die grossen Gedanken von Wahrheit, Gerechtigkeit, Tugend, Liebe und Schönheit wollen, die auf dem Boden der Persönlichkeit keimen, und ihn bald überwachsend sich hinaufziehen nach dem freien Himmel, ein unsterbliches Gewächs, das nicht untergehet mit dem Boden, auf dem es sich entwickelte, sondern immer neu sich erzeugt im neuen Individuum, denn es ist das Bleibende, Ewige, das Individuum aber das zerbrechliche Gefäss für den Trank der Unsterblichkeit. – Denn, lass es uns genauer betrachten, Eusebio, alle Tugenden und Trefflichkeiten, sind sie nicht Annäherungen zu jenem höchst vollkommnen Zustand, so viel die Einzelheit sich ihm nähern kann? Die Wahrheit ist doch nur der Ausdruck des sich selbst Gleichseins überhaupt, vollkommen wahr ist also nur das Ewige, das keinem Wechsel der Zeiten und Zustände unterworfen ist. Die Gerechtigkeit ist das Streben, in der Vereinzelung unter einander gleich zu sein. Die Schönheit ist der äussere Ausdruck des erreichten Gleichgewichtes mit sich selbst. Die Liebe ist die Versöhnung der Persönlichkeit mit der Allheit; und die Tugend aller Art ist nur Eine, d. h. ein Vergessen der Persönlichkeit und Einzelheit für die Allheit. Durch Liebe und Tugend also wird schon hier auf eine geistige Weise der Zustand der Auflösung der Vielheit in der Einheit vorbereitet, denn wo Liebe ist, da ist nur Ein Sinn, und wo Tugend, ist einerlei Streben nach Taten der Gerechtigkeit, Güte und Eintracht. Was aber sich selbst gleich ist, und äusserlich und innerlich den Ausdruck dieses harmonischen Seins an sich trägt, und selbst dieser Ausdruck ist, was Eins ist und nicht zerrissen in Vielheit, das ist gerade jenes Vollkommene, Unsterbliche und Unwandelbare, jener Organismus, den ich als das Ziel der Natur, der Geschichte und der Zeiten, kurz des Universums betrachte. Durch jede Tat der Unwahrheit, Ungerechtigkeit und Selbstsucht wird jener selige Zustand entfernt, und der Gott der Erde in neue Fesseln geschlagen, der seine Sehnsucht nach besserem Leben in jedem Gemüt durch Empfänglichkeit für das Treffliche ausspricht, im verletzten Gewissen aber klagt, dass sein seliges, göttliches Leben noch fern sei.
Wohl ein sehr gross und mächtig Land hatt' sich erobert, mit kühnen und männlichen Taten, Ermanerich, der ist gewest ein König über die Ostgoten; doch hätt' er das nit vollbracht ohne Zutun seines Schwertes Siegheim, das war gar ein gut Schwert, das Ermanerich immerdar höchlich ehrte. Wie aber die Hunnen gezogen kamen, mit mehr denn viel tausend rüstigen Kriegern und Ermanerichs Königreich eroberten, fiel das gut Schwert Siegheim, nachdem es vielerlei Schicksal gehabt, in die Hand von Fiediger. Dieser war ein Enkel Ermanerichs und nit wenig freut ihn der Degen, denn er wusst seine Tugend wohl. Doch was wollts ihm helfen, das Volk der Goten war zerstreut hiehin und dorthin, von Illyrien an bis zum Nordmeer und viel Stämme hatten sich erwählt eigene König' aus ihnen selber, andre dienten fremden Kriegsfürsten um schnödes Gold. Als Fiediger dies bei sich selbst bedacht, macht es ihn fast traurig. Da rief er sein jüngeren Bruder Valorich und sprach zu ihm: Wisst Bruder, ich hab ein gut Abenteuer bestanden, das ich eins fährlichern Kampfs wert acht, denn seht! gewonnen hab ich dies alt Schwert, das unser Vater so fleissiglich suchte sein Lebenlang, aber es geziemt dem Schwert ein mächtigerer Herre, denn ich bin, und so ich ein Flüchtling soll bleiben, der kein Erb hat noch Gut, noch grösser Ehr denn bis itzo, so möcht ich mich fast des Fundes schämen. Das verhüt der Himmel! entgegnet Valorich, dass wir uns schämen sollten unsers Erbguts, oder uns geringer achten als unser Ahnherrn; was Einer noch getan hat, und wärs auch fast schwer, so gedenk ich nit an kühnlichem Wesen hinter ihm zu bleiben. Weil ihr aber der ältst seid, Bruder, so sucht euch aus, das unserer nit unwürdig sei, und ich will euch dienen und es euch erwerben helfen, das bin ich festiglich gesinnt.
Wie sie noch so miteinander redeten, kam des Wegs ein junger Gesell gegangen, der trug ein Harpfen in der Hand, wie die Spielleut pflegen, er grüsst sie freundlich und setzt sich zu ihnen nieder. Als er mocht geruht haben, sagt Valorich: ›Ich bitt euch, Herr Spielmann, wenns euch nit entgegen ist, so singt mir ein Lied, denn ich liebe der Harpfen und Zittern lustig Weisen‹.
Ich will es tun, sagt der Liedersinger, und mein bestes Lied euch spielen, weil ihr mir so ehrlich zusprecht. Und nun nahm er die fein Harpfen von Elfenbein und schlug in die Saiten und sang dazu:
Zwei Augen wie Sterne,
Die sähen so gerne
Das wonnige Licht,
Und dürfen es nicht;
Die hellen Karfunklen
Die könnten verdunklen
Das sonnige Licht,
Und dürfen es nicht.
O Liebesverlangen!
In Kerker gefangen,
Sind die Augen so minniglich,
Die Lippen so wonniglich,
Die Worte die milden,
Die Locken so gülden,
Es bricht mir das Herz,
Vor Leidmut und Schmerz.
Ich sehe bis an den Tod
Die Lippen rosinrot,
Und sollt ich nimmer genesen,
Dächt ich doch an ihr minniglich Wesen,
An ihr Blicken so mild,
An das schönste Frauenbild,
Und sollt ich Schmach und Tod erwerben,
Das Mägdlein minnt ich und sollt ich sterben.
Das ist ein gar jämmerlich und herzig Lied, sagt Valorich, wo lebt die schöne Magd, von der ihr gesungen? oder habt ihr sie nur in Gedanken gehabt, wie die Liedersinger wohl pflegen?
Mit nichten, entgegnet der Spielmann; wenns euch gefällt auf mich zu achten, will ich euch nit verhalten, was ich von dem Jungfräulein weiss. Sigismunda ist sie benannt, und ihr Vater ist gwest Herr Sigemar, ein König der Bojaren, die herum wohnen an dem Strom Danubis; Frau Irmengard, ihre Mutter, ist bald verblichen, und hat ihren Ehherrn allein gelassen und ihr unmündig Kind Sigismunda. Wie die aber heranwuchs, gedieh sie in so wunderlicher Schönheit, dass sie jedermänniglich höchlich ergötzte, und wer sie einmal gesehen, der mocht nimmer von ihr scheiden. So gar anmutig war sie. Derhalben kamen auch viel Fürsten und Herrn weit und breit her, und freiten um die königliche Magd Sigismunda, aber Herr Sigemar mocht sie nit von sich lassen, denn er war ihr gar mächtig zugetan. Einstmals musst er einen Kriegsritt tun in ferne Land. Da war sein Tochter fast missmutig, und könnt ihn nit lassen vor grossem Leid; auch Sigemar war mehr betrübt wie oft, und er gedacht im Herzen, er hätt wohl ehr sollen ein wackren Eheherrn erkiesen für sein Kind, der ihr Obacht nahm in fährlichen Zeiten. Er rief deshalb sein Bruder Odho und sprach zu ihm: ›Odho ich lass mein Tochter in eurer Gewahrsam, und wann ich nit sollt wieder heimziehn, so gebt ihr einen Gemahel, wie sie will und ihr geziemt‹. Das versprach Odho mit sein Handschlag, und Sigemar zog beschwichtigt von dannen. Da war Sigismunda lang viel betrübt, bis ihr Botschaft käm und oftmals stand sie auf dem Söller und sah um nach der Heerstrass, und einsmals sah sie etzliche Reuter des Wegs sprengen. Sie stieg hurtig hinab in den Hof zu erkunden, von wannen die Reuter kämen, da trat ihr Herman entgegen, Herr Sigemars Edelknecht, und bracht ihr Botschaft mit vielen Tränen, wie der König verschieden sei in der Schlacht. Da ward die Jungfrau unmächtig, und da sie erwacht, konnt sie der Tränen und Seufzen kein End finden. Aber Odho war froh in seim Sinn, er vermeint die Jungfrau zu gewinnen, dann ihre übermässige Schönheit tat ihm das Herz gänzlich bestricken, und er wusst sich kein Rat, als sie zu ehlichen. Derhalben ging er viel zu ihr und wollt sie beschwichtigen mit ehrlichen und herzigen Reden; aber sie mogt ihn nit gern hören und antwortet spärlich auf sein Kosen. Das verdross ihn, denn er war hohen Sinns und stolzierend, und als er eins – – –