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Ernst Ludwig Heim. Portrait von Julius Hübner, 1833

Der alte Heim.

Leben und Wirken E. L. Heim's von G. W. Keßler, Leipzig bei Brockhaus (1846). Preußische Staatszeitung, 1834 Nr. 260.


Unter den hervorragenden Männern Berlins war der »alte Heim« in seiner Art eine nicht minder bekannte und volksthümliche Persönlichkeit als in seiner Art der alte Blücher. Nicht mit Unrecht ließ der greise Feldmarschall Blücher im heitern Toast seinen lieben Kollegen Heim hochleben und nannte ihn den Feldmarschall unter den Aerzten. Denn vom Kopf bis zur Fußspitze war Heim – Arzt, und der Mensch, der sittliche Charakter hatte sich so vollkommen mit dem Berufe verschmolzen, daß er ein Charakter war aus Einem Guß, Arzt in dem Sinne, wie Blücher Soldat war. Selten hat ein Arzt so durch seine Persönlichkeit gewirkt, durch sein bloßes Erscheinen zur Heilung der Patienten beigetragen, zugleich leiblich und geistig, physisch und moralisch geheilt; selten ist aber auch so viel Gesundheit der Seele, so viel unverwüstlicher Humor und natürlicher Freimuth, so viel Verstand und Gemüth in Einer Person vereinigt gewesen, wie bei Heim.

Der königl. preuß. Geheimerath und Doktor der Arzneikunst, der von Hoch und Niedrig verehrte und geliebte, überall bekannte und beliebte Arzt Heim, dem Tausende von Thalern alljährlich zuflossen, trotzdem daß er gegen die Armen so freigebig war und sich nie auf's Sparen legte – welchen geringen armseligen Anfang hat er genommen! In der Reihe seiner sechs Brüder war unser Ernst Ludwig der dritte, und der Vater, ein armer Landprediger im sachsen-meiningen'schen Dorfe Solz, hatte seine liebe Noth, seine Kinder ehrlich durch die Welt zu bringen. Doch der Segen des Himmels ruhte auf dieser Familie; alle Heim's wurden wackere, tüchtige Männer; der älteste sachsen-meining. Wirkl. Geheimerath und Excellenz, der zweite Pfarrer und Verfasser einer flora germanica, der vierte sachsen-meining. Hofadvokat und Hofrath, und die beiden jüngsten abermals würdige Pfarrherren.

Ernst Ludwig wurde den 22. Juli 1747 geboren. Er war von zartem Körperbau, mußte schon im zweiten Jahre ein hartnäckiges Fieber überstehen, im fünften Jahre bekam er das Scharlachfieber und bald darauf die Pocken, welche Krankheiten ihn dem Tode nahe brachten und ihn in seiner Entwicklung so hemmten, daß er von seinen später geborenen Brüdern Anton und Fritz weit übertroffen wurde. In seinem zwölften Jahre hatte er es noch zu keiner Sicherheit im Lesen gebracht, worüber seine Mutter nicht selten weinte, auch wohl ihn strafte.

Lebhaft blieb indeß der muntere Knabe, trotz Scharlach und Pocken, und was er an Schulkenntnissen versäumte, ersetzte er auf andere Weise. Der siebenjährige Krieg, bei dessen Ausbruch Heim acht Jahre zählte, führte allerlei buntes und wildes Kriegsvolk in das stille Dorf. Gern verkehrte der lebhafte Knabe mit den Soldaten. Doch ward er auch von der Unart der Zeitungsschreiber angesteckt und erdichtete für die neugierigen Bauern nach Herzenslust blutige Schlachten, ließ Festungen stürmen u. dergl. m. Ein Prinz von Isenburg, im Pfarrhause einquartiert, sah die Wand der Stube über und über mit Bildern beklebt, welche Ernst Heim aus Hübners Bildergeographie nachgezeichnet hatte. Der hohe Kriegsmann stieg auf den Tisch, betrachtete diese Werke und verkündete dem Knaben, er sei ein Genie, aus ihm werde noch etwas Tüchtiges werden. – Nichts hatte ihm im Leben so geschmeichelt, als dieses Lob.

Der »Herr Magister« war ein gelehrter Mann, der sich besonders mit vaterländischer Geschichte beschäftigte, aber für den eigentlichen Unterricht seiner Kinder sehr wenig that. Nur zur Thätigkeit im Allgemeinen und zum strengsten Gehorsam wurden sie angehalten, und oft überstiegen die auferlegten Arbeiten die Kräfte der Knaben. Ernst hat diese Arbeiten notirt:

»Alles Brennholz mußten wir klein sägen und spalten.«

»Im Garten mußten wir graben und begießen, wozu das Wasser aus einem tiefen Brunnen im Hofe herauszuwinden war.«

»Hopfen- und Bohnenstangen mußten wir im Walde hauen und nach Hause tragen, unter welcher Last ich zuweilen hätte meinen Geist aufgeben mögen.«

»Alles Obst im Garten und im Felde mußten wir abnehmen und heimschaffen, auch Eicheln und Bucheckern im Walde sammeln. Beim Bierbrauen, welches der Vater selbst verrichtete, mußten wir Wasser tragen und ihm behülflich sein, was eine saure Arbeit war.«

»Das Heu zu mähen war zwar nicht eigentlich unser Geschäft, wir thaten es aber oft freiwillig. Dagegen lag uns das Wenden auf der Wiese ob, so wie die Hülfe auf dem Heuboden beim Abladen und Eintreten. Auch mußten wir den Schnittern und Mähern das Essen zutragen.«

»Für die Gänse mußten wir Futter im Troge stoßen, auch wohl die Schweine füttern und selbst Mist aufladen helfen. Im Winter mußten wir stundenlang dreschen und am Abend Aepfel schälen, dann jeden Apfel in fünf Theile brechen und diese zum Trocknen auf Fäden ziehen.«

»Wenn die kleineren Geschwister den größeren oft dadurch lästig wurden, daß diese jene wiegen und sich mit ihnen herumschleppen mußten, so wendete sich später das Blatt. Kamen nämlich die älteren auf die Stadtschule, so fiel den jüngeren der schlimme Dienst zu, jenen Nahrungsmittel aller Art zwei Stunden weit zu bringen.«

»Das waren die unangenehmen Geschäfte. Dagegen hatten wir unsere Lust an Fischfang, Vogelstellen und allerlei Jagd. Im zehnten Jahre erhielt Jeder die Freiheit, mit der Flinte durch Feld und Wald zu streifen. Das einzige Geld, welches in unsere Hände kam, kleine Geschenke der Großmutter, wurde für Pulver und Schrot verwendet. Im Herbste wurde eine ›Schneiß‹ (Dohnengang) gestellt, und überdieß wurden im Garne Vögel genug gefangen, um von Michaelis bis Weihnacht die Küche damit zu versehen.«

»Dabei bestand unsere Kleidung im Sommer oft nur aus zwei Stücken, einem Hemd und einem Paar Beinkleider.«

Um dieser Freiheit in »Feld und Wald« ein wenig das Gegengewicht zu halten, prügelte der Herr Magister die Buben bei dem kleinsten Vergehen, und die fromme Mutter hatte genug zu trösten und die Härte des Vaters mit ihrer Milde zu mäßigen. Eine nach Ernst Heim's Meinung die derbsten Schläge noch übertreffende Strafe war aber der Befehl, augenblicklich in der schönsten Spielstunde zu Bette zu gehen, wovon er seinen lebenslänglich bewahrten Widerwillen gegen den Schlaf herzuleiten pflegte.

Uebrigens bereitete der Vater die Söhne sämmtlich auf das Gymnasium vor, nur Musik und Rechnen lernten sie beim Schulmeister. Die Tagesordnung beim Lernen beschreibt der Zweitgeborene, Jörg, also:

»Der Vater stand gewöhnlich um 7 Uhr auf, und brachte mit seinem Anzuge und mit Zubereitung eines von ihm selbst gesammelten Kräuterthees eine Stunde zu, während welcher seine Kinder ihr Frühstück, trocknes Brot und Wasser, oder einen Trunk leichten Biers verzehrten, und sich in ihrer Ordnung herumsetzten. Um 8 Uhr wurde erst von ihm, dann von den Kindern laut gebetet und ein kurzes Lied gesungen. Darauf arbeitete er an seinen Predigten und die Kinder nahmen ein jedes ein Buch zur Hand. In dem Aufgeben und Hersagen der Lektionen schien er sehr nachlässig zu sein, indem er selten danach fragte, ob es ein Katechismus oder die Grammatik, ein lateinisches oder griechisches Wörterbuch, der Cornelius oder das griechische Testament war, welches sie vor sich nahmen. Dieses Stillsitzen, um Sitzfleisch zu erlangen, wie er sich ausdrückte, dauerte bis 11 Uhr, wo gegessen wurde. Nach dem Essen durften sich die Kinder mit Spielen und Springen bis 1 Uhr die Zeit vertreiben, und von 1 bis 3 Uhr übten sie sich im Schreiben, während dem der Vater an seinen vaterländischen Geschichten arbeitete. Wir wechselten mit Schönschreiben, Abschreiben, Exercitienmachen, Uebersetzen aus dem Lateinischen und Griechischen. Von 3 Uhr an durften wir spielen, drechseln, den Fisch- und Vogelfang abwarten. Nach dem Abendessen wurden einige Kapitel aus der Bibel von den Kindern laut gelesen, ein Lied gesungen, und dann stand es Jedem frei, zu Bette zu gehen, oder mit Lesen, Schreiben, Zeichnen, Malen sich die Zeit zu vertreiben. Der Vater selbst las bis 11 Uhr, wobei Alles in der Stube, welche Studir-, Schul-, Kinder- und Gesindestube zugleich war, sehr still zugehen mußte.«

»Gewöhnlich fiel in jeder Woche ein ganzer Tag, auch wohl noch ein Nachmittag aus, der zum Besuche guter Freunde, auch zu Geschäften in der Nachbarschaft verwendet wurde. Er pflegte jedesmal einen oder zwei seiner Knaben mitzunehmen. Ungeachtet zu Hause in der Stube Niemand, weder von den Kindern noch von den Hausgenossen in seiner Gegenwart, ohne von ihm befragt worden zu sein, ein lautes Wort reden durfte, so war er nun der freundlichste gesprächigste Vater. Bei jedem Berge, Walde oder alten Schlosse erzählte er die Geschichte und verband damit eine kurze und eindringende Nutzanwendung.«

»Neben dieser Strenge, Rechtschaffenheit, Wahrheitsliebe, Freimüthigkeit und Gelehrsamkeit des Vaters wirkten die treuen Ermahnungen der frömmsten und besten Mutter auf die Herzen der Kinder. Auch erhöhte die scharfe Zucht des Vaters bei Alt und Jung in der Gemeinde die Liebe und schützende Theilnahme gegen die Kinder.«

Merkwürdiger Weise prägte sich dem kleinen Ernst schon früh das Bild eines Doktors als das Ziel seiner Wünsche ein. In seinem fünften oder sechsten Jahre erschien ein Doktor mit einem großen, mit breiten goldenen Tressen eingefaßten Hute in des Vaters Hause. So ein Mann möchtest du werden! dachte der Knabe, und der Hut ist ihm nie aus dem Sinn gekommen. Er säumte auch nicht, bei Zeiten Hand an's Werk zu legen. Eine fremde Katze war in Verdacht gekommen, Küchlein auf dem Pfarrhofe geraubt zu haben. Die Knaben stellten ihr Schlingen in der Scheune, fingen und tödteten das Thier, wollten aber den Leichnam, damit der Vater nichts davon gewahren möchte, in's Feld hinaus tragen. Ernst aber ließ dies nicht zu, bevor er eine vollständige Sektion der Katze vorgenommen hatte, bei welcher jedoch die Brüder sich aus Ekel entfernten und demnächst die Bestattung der Leiche dem Prosektor allein überließen.

Ernst, als der lebhafteste und erregbarste der Knaben, fand die Strenge des Vaters besonders drückend, namentlich die Strafe des Zubettegehens, wobei es denn wohl geschah, daß er öfter aus der Schlafstube im zweiten Stock durch's Fenster auf einen an das Haus gebauten Backofen kletterte und durch den Garten entwischte, um, zumal bei Mondschein, durch Feld und Wald zu ziehen. So erklärt es sich, daß er im fünfzehnten Jahre mit dem Gedanken umging, sich unter das Luckner'sche Freikorps zu begeben. Der bald erfolgende Friede brachte ihn jedoch hiervon ab. Als guter Schütze hatte er große Lust, sich der Jägerei zu widmen. Doch wurde ihm dies wieder leid, als er einst bei dem Besuche eines benachbarten Edelmanns im väterlichen Hause den ihm wohlbekannten Sohn eines Predigers hinter dem Stuhle seines Herren stehen und aufwarten sah. Ein Apotheker, ein entfernter Verwandter, hatte sich erboten, den Vetter Ernst an Kindesstatt anzunehmen, und wenn er gut einschlüge, ihm dereinst die Apotheke zu überlassen. Durch folgenden Vorfall wurde aber dieser Plan bald zerstört. Die Knaben schoben Kegel im Garten, und der Vetter Apotheker stand am oberen Ende der Bahn, dem Spiel zuschauend. Ernst Heim forderte ihn wiederholt auf, die Kugel zurückzuwerfen, zuletzt unter der Drohung, wenn er nicht Folge leiste, so würde er mit der zur Hand stehenden Flinte begrüßt werden. Der Mann war natürlich nicht geneigt, einem solchen Befehle zu willfahren, daher Ernst die jedoch nur blind geladene Flinte sogleich auf ihn abdrückte. Der Herr Vetter ward dadurch so erschreckt, daß er nichts weiter von einem so verwegenen Knaben wissen wollte. Zum großen Heil des letzteren blieb dieser Vorfall dem Vater verborgen.

Für einen Geistlichen und Gelehrten hielt der strenge Magister seinen Sohn Ernst, nach dessen eigener Aeußerung, für zu leicht und flüchtig, daher er ihm rieth, ein Doktor zu werden. Vielleicht an den Mann mit dem goldbesetzten Hute eben so wie der Sohn denkend, setzte er hinzu: »Zu einem Quacksalber schickst Du Dich am besten; Du kannst den Leuten Alles weiß machen, was Du willst; ich habe mehrere medizinische Bücher, nach welchen Du kuriren kannst.«

Der Vater selber beschäftigte sich nicht ungern mit der Heilkunst; nicht zum Ruhme derselben äußerte später Heim, von dem im Jahre 1764 erfolgten Tode seiner frommen Mutter, daß diese an einer Lungenentzündung gestorben, ohne daß man ihr zur Ader gelassen, wohl aber ihr hitzige Essenzen eingegeben habe. Ihr schneller Tod befestigte in dem Sohne den Entschluß, Arzt zu werden. Tief betrauerte er ihren Verlust; er ging oft in den Wald, um recht laut und bitterlich weinen zu können.

Im Mai desselben Jahres bezog Ernst mit seinem Bruder Anton das Lyceum zu Meiningen. Beide waren bei Weitem nicht hinlänglich vorbereitet für die erste Klasse, in welche sie dennoch, dem Wunsche des Vaters gemäß, aufgenommen wurden. Durch den angestrengtesten Fleiß ersetzten sie jedoch manche Lücke.

Schon jetzt trat bei Ernst der Genius des Heilkünstlers hervor, denn er rettete den jüngeren Bruder Fritz von einer lebenslänglichen Lähmung. Fritz war nämlich auf der in einiger Entfernung von Solz liegenden Mühle, wohin er einen Sack Korn auf dem Schiebkarren gebracht hatte, von dem großen Hunde des Müllers in die Wade gebissen worden, so daß er nach einem schwierigen und schmerzhaften Verbande längere Zeit ruhig im Bette liegen mußte. Bei einem Besuche der Brüder Anton und Ernst im elterlichen Hause versucht endlich Fritz, wieder aufzustehen, fühlt aber zu seinem und der Seinigen Schrecken, daß die Muskeln des verletzten Beines verkürzt sind und er nur tief hinkend sich fortbewegen kann. Ernst untersuchte die Wunde, und forderte sogleich Anton auf, den Bruder, welchen er selbst an der einen Hand hielt, am anderen Arme zu fassen, und nun wird der Lahme unter Zetergeschrei mit Gewalt und möglichster Schnelligkeit wohl sechsmal um einen großen Tisch herumgezogen, bis die verharrschte Wunde platzte. Jetzt ist Ernst zufrieden; Fritz wird wiederum zu Bett gebracht und das Bein lang ausgestreckt gehalten, bis die Wunde von Neuem geheilt ist. Der Gebissene behielt zwar sein Leben lang eine tiefe, selbst durch den Strumpf sehr auffallende Narbe in der zierlichen Wade, verspürte aber nicht die geringste Schwäche beim Gehen und Laufen.

Durch eisernen Fleiß hatte es Ernst dahin gebracht, daß er schon nach zwei Jahren für reif zur Universität erklärt wurde. In der Mathematik und in der deutschen Verskunst that er es allen seinen Mitschülern zuvor, und seine Abschiedsrede fand großen Beifall. Sie führte den Titel: »Kurze Abhandlung von der eiteln Begierde, ein Polyhistor zu werden, ausgearbeitet und in hexametrischen Versen nebst einer Valediktion, abgefaßt von E. L. Heim, von Solz. Gehalten unter dem hochzuverehrenden Herrn Herrn Inspektor Hopfen in Meiningen, den 17. März 1766.«

Die Verse zeugen, was die Form betrifft, von großer Sprachgewandtheit, und was den Inhalt betrifft, von klarer selbstbewußter Lebensanschauung. Es heißt da u. A.:

Kaum erschallet das Wort ihm »Philosophie« in die Ohren,
Wird er alsbald begeistert und will sich von nun an ihr widmen,
Will auch gleich jeglichen Theil in derselben geschwinder durchirren.
Bald nun durchschaut er die schwierigen Bücher von Bildung der Seele,
Bald die gepriesene Kunst, den Verstand und den Willen zu bessern,
Bald ermißt er die Größen, bald sucht er die Rechte der Völker,
Dann der Gesellschaft und dann der einzelnen Menschen zu fassen;
Bald will er auch den Umfang der himmlischen Weisheit erkennen,
Dann auf einmal erforschen Geheimniß und Künste des Arztes,
Dann auch dringt sein Geist in die unterirdischen Klüfte,
Schwinget sich dann hinauf zum erhabenen Pol, und berechnet
Der Gestirne Entfernung, und ob sie auch alle bewohnt sind,
Was für Bürger dort hausen; dies Alles versteht er auf's Klarste.
So, so wächst sein Verstand, so mehrt sich gewaltig sein Wissen,
Gleich den frühen Gewächsen, die vor den natürlichen Zeiten
Durch die wachsame Kunst und eifrige Mühe des Gärtners
Duftende Blumen und Früchte in treibender Wärme gewähren.

Später sagt dann der Verfasser:

Doch, o Jüngling! wohin entführen dich deine Begierden?
Zügellos fliegst du empor – aber ach! mit ikarischen Flügeln,
Nur deinem Untergang zu – hin nach dem Lichte der Sonne.
Sieh', ach siehe! – sie schmelzen in Tropfen die wächsernen Flügel!

Die den Hexametern folgende »Valediktion« wird durch ein Dankgebet an Gott eingeleitet:

Du, o Gott, Herr Zebaoth,
Den die Himmel selbst erzählen,
Du unendlich starker Gott,
Nimm den Dank von meiner Seelen!

War's ein blindes Ungefähr,
Daß mir schön der Jugend Blüthe
Aufging? Nicht ein Ohngefähr,
Nein, es war nur deine Güte,

Deine Gnade führte mich
Von den Zeiten in die Zeiten,
So, daß Glück und Unglück sich,
Nie zu keiner Zeit entzweiten etc.

Der neunzehnjährige Jüngling bezog (Ostern 1766) die Universität Halle, und lebte daselbst anfangs sehr eingezogen, nur mit seinen Kollegien beschäftigt. Er mußte sich spärlich behelfen; so aß er Mittag in einem Speisehause für 1 Groschen, und Abends für 4 Pfennige Brot. Der Vater, welcher bei 200 Thalern Gehalt schon zwei Söhne mit großen Opfern hatte studiren lassen, ward nun auch vom dritten oft genug um Geld angegangen. Am Schlusse eines Briefes heißt es: »Ich weiß keinen Heller aufzutreiben; die Zinsen bleiben aus, die Kapitalien kommen in Konkurs, um meine mütterliche Erbschaft betrügt mich der Kammerrath, und ihr plagt mich um Geld. Ich bin des Lebens satt. Lebe wohl.« Ernst war oft in großer Noth, aber er verlor nie den Muth und das Gottvertrauen. Professor Nietzky gewann den munteren Studenten lieb, und trug ihm diese und jene Hülfsleistung in seiner medizinischen Praxis auf. Schon nach dem dritten Jahre hatte der junge Heim eine nicht unbedeutende Praxis auf eigene Hand unter den Studenten und Bürgern gebildet. Nietzky schickte ihn um diese Zeit zu einem kranken Studenten, Namens von Karstedt. Dieser faßte eine außerordentliche Liebe zu Heim, und bot Alles auf, dessen Freundschaft zu gewinnen. Von Karstedt war sehr wohlhabend und drang in den geliebten Freund, einen reichlichen Mittagstisch und neue Kleider von ihm anzunehmen, auch auf seine Kosten ganz nach Belieben auszureiten. Beide Männer, so verschieden auch ihr Wesen angelegt war, blieben bis in den Tod eng verbunden.

Durch v. Karstedt wurde Heim in einen Kreis junger Männer gezogen, welche, indem sie sein heiteres freimüthiges Wesen liebten, nach seinem eigenen Geständnisse dazu beitrugen, manche Härte in seinem Betragen und in seiner Sprache durch ihren Umgang abzuschleifen. Gerade unter der reicheren Klasse der Studenten fand er aber auch oft die wildere Ausschweifung, die größere Verderbtheit. In der Unschuld seines Herzens, von strenger christlicher Frömmigkeit durchdrungen und von Natur Keinen fürchtend, schärfte er den lockeren Gesellen oft das Gewissen. Seine Bekenntnisse enthalten manches merkwürdige Beispiel einer zerknirschten Reue, welche er in noch nicht ganz verlorenen Jünglingen erweckte. Indeß mußte er auch oft erfahren, daß denen, welche am ersten bereit sind, ihre Sünden zu bekennen, oft die geringste Kraft beiwohnt, Buße zu thun.

Eine für sein ganzes Leben bedeutsame Freundschaft schloß Ernst 1769 mit einem biederen, talentvollen, aber etwas schwermüthigen Jüngling, dem Sohne des berühmten Leibarztes Friedrichs II., des Geheimraths Muzel. Der edle Jüngling ward von dem eben so heiteren als tiefen Wesen Heim's angezogen, wie Heim wieder das tiefe aufrichtige Gemüth Muzel's liebgewann; beide Naturen ergänzten einander. Durch Muzel ward Heim in das Haus der Frau Geheimeräthin von Buchner eingeführt, die nebst ihrer vortrefflichen Tochter viel zur Veredlung des moralischen Sinnes der beiden jungen Männer beitrug.

Die Doktorpromotion ging glücklich von Statten, doch hatte es nicht geringe Anstrengung gekostet, das nöthige Geld herbeizuschaffen, denn obgleich der junge Arzt bereits viele und glückliche Kuren unternommen hatte, so war er doch in seinen Finanzen nicht gebessert, denn er nahm selten Honorar und den armen Patienten kaufte er noch die Arznei.

Der Geheimerath Dr. Muzel wollte zur weiteren Ausbildung seines Sohnes diesen auf Reisen schicken und wünschte, daß Heim seinen Busenfreund begleiten möchte – versteht sich mit Bestreitung sämmtlicher Reisekosten aus der reichen Kasse des Herrn Geheimraths. Wer war froher, als der glückliche Heim! Im Mai 1772 machten sich die beiden jungen Doctores auf den Weg. Um den Bergbau und das Hüttenwesen kennen zu lernen, besuchten sie zuerst den Harz und Hannover, dann ging's an den Rhein zur Untersuchung der Mineralquellen. Auf der Universität Leyden in Holland ward ein längerer Aufenthalt gemacht, um die berühmtesten Professoren und Doktoren der Medizin zu hören und von ihnen zu lernen. Voll dankbarer Erinnerungen, mit mancherlei Kenntnissen und Naturseltenheiten bereichert, verließen die Freunde zu Anfang August 1773 Holland, um nach England zu schiffen. Nach einer zweitägigen Fahrt, auf welcher Heim fast 30 Stunden die verdrießliche Seekrankheit im heftigsten Grade zu überstehen hatte, kamen sie nach Harwich und fuhren sogleich nach London. Der Oheim, Baron Muzel-Stosch, hatte die Reisenden dem Herrn v. Schöning, einem bejahrten Diplomaten, welcher im vierzehnten Jahre Deutschland verlassen und die Muttersprache verlernt hatte, empfohlen. Dieser machte sie leicht mit den ersten äußeren Gesetzen des englischen Lebens bekannt. Bald führte sie der Professor Fabrizius aus Kiel bei den berühmten Weltumseglern Banks und Solander ein. Muzel schreibt darüber an seinen Vater: »Mit diesen Leuten sind wir in die angenehmste Art von Umgang gerathen, den wir nur jemals gehabt haben. Wir sind da, wie zu Hause, können kommen, wenn wir wollen, zum Essen ungenöthigt bleiben und, ohne uns im Geringsten zu geniren, die Freuden der Gesellschaft mit vernünftigen Männern genießen.« Heim wurde besonders als Mooskenner von Banks sehr geschätzt. Indeß waren seine Fortschritte in der englischen Sprache noch nicht bedeutend gewesen, auch verstand er nicht, im Französischen sich fertig auszudrücken; im Lateinischen aber erschwerte die Verschiedenheit der Aussprache das Verständniß mit Banks. Solander machte deshalb den Dolmetscher zwischen Beiden. Gleich bei der ersten Unterredung begegnete Heim ein kleiner Unfall, welcher, indem er den mit einem minder leichten Sinn begabten Freund einigermaßen erschreckt haben mag, vielmehr dazu beitrug, den Engländer für den munteren deutschen Doktor einzunehmen. Heim stützte sich nämlich auf die Lehne eines der schönsten und kostbarsten Stühle in Banks Besuchzimmer. Im Feuer der Verhandlung über die Moose und Meergräser brach der Stuhl. Ohne eine Spur von Verlegenheit schob Heim die Trümmer bei Seite und ergriff einen andern Stuhl, der seine Last besser trug. Banks gestand später, daß ihm dies Benehmen eine sehr günstige Meinung von Heim's wissenschaftlichem Eifer beigebracht habe.«

Leider wurde Heim bald darauf von einem heftigen Gallenfieber befallen, das seinen Freund Muzel, der ihn behandelte, in nicht geringe Angst versetzte. Doch die kräftige Natur des jungen Mannes siegte ob, und die Studien wurden nun um so eifriger fortgesetzt. Dem Herrn Geheimrath in Berlin mußten regelmäßig Berichte eingesandt werden und diese wurden nun in englischer Sprache abgefaßt, in welcher Heim bald eine gute Fertigkeit erlangt hatte. Das englische Wesen gefiel beiden Freunden. Ungern verließen sie die gastliche Insel und reisten im Herbst 1774 nach Paris, wo Heim zu Desault, Professor der Anatomie, in's Haus zog und fleißig die Hospitäler besuchte. Doch mit französischer Art und Weise konnte der echtdeutsche Heim nie recht vertraut werden, und gern verließen die beiden Reisenden im Frühling 1775 Paris, um nach Deutschland zurückzukehren.

In Straßburg hatte Heim folgendes für ihn höchst charakteristisches Abenteuer. Er hatte sich schon von Kindheit an im Klettern auf Bäumen, Dächern, Thürmen und Bergen geübt, und that es darin jederzeit allen seinen Genossen zuvor. Muzel wußte das und hatte selbst auf der Reise, bei Erklimmen von Felsen und Klippen um Moose zu suchen, Beweise von unglaublicher Kühnheit und Geschicklichkeit seines Freundes gesehen. Als nun in Straßburg eines Abends bei dem Apotheker Hecht von der Verwegenheit eines Menschen, der bei der Durchreise der Königin von Frankreich für 4 Louisd'or auf die äußerste Spitze des Münsters gestiegen war, mit Staunen gesprochen wurde, so sagte Muzel: »Das kann Heim auch! Nicht wahr, Du thust es?« Ein schnelles Ja war die Antwort. Des andern Morgens gingen sie nach dem Münster. Hecht und Salzwedel (ein Studiengenosse in Leyden) begleiteten Heim bis über das zweite engere Treppengewinde oberhalb der Plattform. Dem gegebenen Worte getreu, wenn es auch das Leben kosten würde, kletterte er nun die kleinen völlig freien Stufen hinauf und rechts in die durchbrochene Krone des Thurms; dann aus dieser hinaus auf das große steinerne Kreuz, welches die äußerste Spitze bildet. Nur durch Umklammerung mit den Armen, indem man die Fußspitzen in Kerben setzte, welche in den Sandstein eingehauen sind, kann dieses erstiegen werden. Auf dem Querbalken des Kreuzes, 475 Fuß hoch über dem Straßenpflaster der Stadt, zieht er das Schnupftuch aus der Tasche und schwenkt es, worauf er glücklich wieder heruntersteigt. Aber um keinen Preis der Welt, so gesteht er, würde er dies Wagestück wiederholt haben.

Die Freunde durchschweiften nun den Schwarzwald und das Schwabenland, und Heim war in seinem Gott vergnügt. Er begleitete aber seinen Muzel nicht direkt nach Berlin, sondern suchte erst die geliebte Heimath auf. In Meiningen hatte der vielgereiste Doktor bei Hofe Audienz, und meldet in seinem Tagebuch darüber: »Nachmittags wurde ich durch einen Pagen zur Frau Herzogin gerufen; die beiden Prinzessinnen, die Frau Oberhofmeisterin v. Steuben und mehrere Damen waren gegenwärtig. Nach den englischen Frauenzimmern wurde ich am meisten gefragt. Nachdem ich sie mit Recht sehr gelobt hatte, versicherte ich, daß mir dessenungeachtet die deutschen Frauen besser gefielen und daß ich mir keine andere als eine Deutsche zur Gattin wählen würde. Alle Damen, außer der Herzogin, die saß, traten an mich näher heran, sahen mir in die Augen und dankten mir durch überaus freundliche Mienen für meinen Entschluß.« – Der schönen Prinzessin überreichte er von seinen zartesten Moosen, zierlich aufgeklebt, und da er zwei dieser kleinen Wesen nach seinen Brüdern benannt, so fragte die Prinzessin, ob er nicht auch sie einmal zu Gevatter bitten wolle. »Noch habe ich kein Moosblümchen gefunden, welches würdig wäre, den Namen einer so schönen Prinzessin zu tragen,« erwiederte der artige Doktor.

Mit derselben Ungezwungenheit, wie er sich hier bei Hof bewegte, besuchte er aber auch seine Bauern und Schulkameraden in Solz und verlebte frohe Stunden mit Tanten und Vettern, denen er nicht genug erzählen konnte. Der alte Vater war in eine gefährliche Krankheit gefallen; der Sohn hatte das Glück, ihn wieder herzustellen. Während dieser Krankheit versammelten sich die fünf Brüder in Solz. Auf dem Grabe der verklärten Mutter küßten sie sich und schwuren, sich stets zu lieben und christlich zu leben in ihrem Geiste, der vielleicht hier schwebte.

Gleich nach der Genesung des Vaters riefen Heim die dringenden Einladungen seines Muzel nach Berlin. Mit David's Worten schrieb ihm dieser: »Wie der Hirsch dürstet nach frischem Wasser, so dürstet meine Seele nach Dir!«

Michaelis 1775 kam Heim in Berlin an, und lernte nun erst seinen Wohlthäter Geheimerath Dr. Muzel persönlich kennen. Bei diesem wohnte und lebte er in Gemeinschaft mit dem Sohne. Viele Centner gesammelte Mineralien, viele Tausende getrockneter Pflanzen, desgleichen die in Holland angekauften rohen Arzneikörper wurden geordnet. Gleichzeitig machte Heim seinen anatomischen Kurs in sechs Lektionen, und bearbeitete die vom Ober-Kollegium ihm vorgelegten Aufgaben, um eine Physikatstelle annehmen zu können. Das Examen wurde gut bestanden und durch Vermittelung seines Gönners erhielt Heim das Physikat in Spandau.

Erst 29 Jahre alt und noch von einem zartblühenden Aeußern erwarb er sich doch bald ein allgemeines Zutrauen bei Kranken wie bei Gesunden; sein Name ward bald in der ganzen Umgegend bekannt. Er nahm, zur Befestigung seiner Kenntnisse, häufig Sektionen vor und unterrichtete sich mit Fleiß auch über die Krankheiten des Viehes. Während seines siebenjährigen Aufenthaltes in Spandau grassirte in seinem Physikat zweimal die Viehseuche, dreimal der Milzbrand als Epidemie. Mehr als hundert Rinder und fast eben so viele gefallene Pferde hat er mit eigener Hand, unter Beihülfe der Scharfrichterknechte, geöffnet. Mit seinem ihm angeborenen Gleichmuth setzte er sich darüber hinweg, wenn Manche anfangs ein Aergerniß daran nahmen, daß er auf einem Bauernwagen zur Besichtigung krepirten Viehes abgeholt wurde, auch wohl noch den Scharfrichterknecht mit aufsitzen ließ.

Seine Kuren waren außerordentlich glücklich und Alles ließ sich auf's Beste an; da traf ihn ein harter Schlag – der Tod seines geliebten Muzel, der 1778 den 14. April an einem Faulfieber plötzlich verstarb. Heim drückte ihm die Augen zu, aber er hatte nicht helfen können, da er den berühmtesten berliner Aerzten nachgeben mußte, obwohl er das Fehlerhafte ihres Verfahrens scharf rügte. Mit seltener Fassung des Gemüths ertrug er den herben Verlust.

Im August des Jahres 1779 verlobte er sich mit Charlotte Müker, der liebenswürdigen Tochter eines angesehenen Kaufmanns in Spandau; schon rüstete man sich zur Hochzeit, da ward der glückliche Bräutigam auf das Krankenlager geworfen. Bei der herrschenden Ruhrepidemie hatte er sich Tag und Nacht keine Ruhe gegönnt und war nun selber von der bösartigen Seuche angesteckt. Fast wäre er unterlegen, die Aerzte zweifelten an seinem Aufkommen und er selber war auf sein Ende gefaßt; doch der, welcher so Vielen das Leben retten und erhalten sollte, ward den Seinen wiedergeschenkt. Aber erst im folgenden Jahre konnte er seine Hochzeit feiern.

Der Ruf des geschickten Arztes vermehrte sich mit jedem Jahre, die berliner Freunde drängten immer mehr zur Uebersiedelung nach der Hauptstadt, und so zog denn Heim im April 1783 nach Berlin. Da er die bereits in der spandauer Gegend an ihn geketteten Familien nicht verlassen wollte, machte er auf seinem schnellen wilden Reitpferde die staunenswerthesten Ritte, oft bei finsterer Nacht. In Berlin fuhr er, und zuletzt mußte er sechs Wagenpferde halten. In einem Briefe heißt es: »Ich habe als Arzt mehr zu thun, als irgend einer meiner Kollegen in Berlin. Allen Vergnügungen des Lebens muß ich fast entsagen, um nur meine Patienten abwarten zu können. Da aber in diesem Geschäft meine Seele die größte Ruhe findet, so liegt auch keine eigentliche Aufopferung darin. Bälle, Konzerte, Spazierfahrten, Abendgesellschaften – zu allen diesen Genüssen bleibt mir schlechterdings keine Zeit.« Eine Erholung gönnte sich aber der unermüdliche Mann im Jahre 1796, wo er mit Frau und Kind seine Heimath besuchte und eine frohe Zusammenkunft mit sämmtlichen Brüdern feierte. Später wurden auch die schlesischen und böhmischen Heilquellen besucht, und solche Reisen waren denn wahre Triumphzüge für den in ganz Deutschland gefeierten Arzt. An den großen Weltbegebenheiten konnte er wenig Antheil nehmen, da seine ärztlichen Pflichten und Strapazen all' sein Leben in Anspruch nahmen. Als aber die Stunde schlug, wo Deutschland sich vom Joch der französischen Tyrannei befreite, da hatte er die Freude, seinen einzigen Sohn mit zur Armee zu senden, der sich dann auch als Arzt höchst vortheilhaft auszeichnete.

Heim war in Berlin so bekannt, daß, wenn er durch die Straßen ritt, arme Kinder, Soldaten, Arbeiter ihn jubelnd begrüßten, denn Allen war er ein Wohlthäter geworden. Aber auch die Großen und Vornehmen liebten und ehrten ihn; er erfreute sich der persönlichen Huld des Königs und der Königin; im Jahre 1799 war er durch ein allerhöchstes Patent zum Geheimrath ernannt worden; dem Prinzen Ferdinand, dem letzten Bruder Friedrichs des Großen, war er ein lieber Freund. Hätte er nur die unvergleichliche Königin retten können! Er wurde zweimal nach Mecklenburg berufen. Den 17. Juli 1810 bemerkt Heim im Tagebuch:

 

»Ich fand die Königin schlechter, als ich mir vorgestellt hatte. Der Puls schlug 120 bis 130 Mal in einer Minute.«

»Den 18. fast den ganzen Tag bei der Königin gewesen. Da sie Vormittags und Nachmittags einige Stunden geschlafen hatte, war ihr Geist munter.«

 

»Den 19. Von gestern Abend um 11 Uhr an bis heute früh um 4 Uhr am Bette der Königin gesessen, welche die ganze Nacht hindurch meine rechte Hand in der ihrigen hielt. Ich befand mich in der jammervollsten Lage; ich war so müde, daß ich jeden Augenblick einschlief, so sehr ich mich auch anstrengte, wach zu bleiben, da dies die Umstände erforderten. Die Königin wurde immer engbrüstiger, konnte kaum laut reden und wollte doch mit mir sprechen. Vor 5 Uhr, als mir eben die Königin erlaubt hatte, mich etwas zur Ruhe zu legen, kam der König an. Als die Königin ihn erblickte, sagte sie mit schwacher Stimme: »Mein lieber Freund.« Der König und Alle, die mit ihm im Zimmer waren, weinten. Der Kronprinz und sein Bruder, Prinz Wilhelm, kamen auch an's Bett der Königin, weinten und schluchzten laut. Um 9 Uhr starb die Königin, sicherlich die schönste Frau in des Königs Landen, und von der reinsten Herzensgüte! Der König, Frau v. Berg und wir Aerzte waren gegenwärtig. Der König war in seiner tiefen Betrübniß doch gefaßt und stark.«

 

In den folgenden Tagen war Heim noch öfters bei Sr. Majestät dem Könige, welcher sich huldreich mit ihm über die letzten Lebensumstände der Verklärten unterhielt. Als der rüstige Doktor sein 50jähriges Jubiläum feierte, schmückte der Staatskanzler, Fürst Hardenberg, im Namen des Königs den Gefeierten mit dem rothen Adlerorden 2ter Klasse, unter Verlesung folgender Kabinets-Ordre:

 

»Ich erfahre, daß heute Ihr fünfzigjähriges Doktor-Jubiläum gefeiert wird. Indem ich Ihnen meine Theilnahme an diesem frohen Ereigniß bezeige, wünsche ich, daß die Vorsehung Sie noch lange Ihren wohlthätigen Berufspflichten erhalten möge. Ihren ausgezeichneten Verdiensten um die leidende Menschheit habe ich stets ein gerechtes Anerkenntniß gewidmet. Empfangen Sie einen neuen Beweis desselben und meines besondern Wohlwollens in dem rothen Adlerorden 2ter Klasse, dessen Insignien ich hier beifügen lasse.

Berlin, den 15. April 1812.

Friedrich Wilhelm

 

Wenn Andere mit ihrem fünfzigjährigen Jubelfeste von ihrer amtlichen oder beruflichen Thätigkeit Abschied nehmen, so war Heim auch darin dem Feldmarschall Blücher ähnlich, daß den Greis das Jünglingsfeuer bis an sein Ende beseelte. Noch volle 22 Jahre wirkte der seltene Mann mit ungebrochener Kraft, von Jahr zu Jahr von seinen Mitbürgern mehr verehrt und geschätzt, und selbst von seinen Kollegen ohne Neid anerkannt. In seinen letzten Lebenstagen wiederholte er oft den Wunsch, daß nach seinem Hinscheiden sein Dank gegen die gute Stadt Berlin, wo der Baum seines Glückes so herrlich erblüht war, öffentlich ausgesprochen werden möchte. Preuß. Staatszeitung 1834, Nr. 260

Sanft, ohne das leiseste Zeichen des Schmerzes, hauchte er am 15. September 1834 in der Mittagsstunde in den Armen der lieben Angehörigen die fromme Seele aus, bis an die Pforten des Todes ein glücklicher Sterblicher. Mit Recht hatte er einst über seine Ruhestätte die Worte setzen lassen: Es ist kein Trauerort für die Familie Heim.

Ueber das Leichenbegängniß berichtet die Staatszeitung Folgendes: Am 18. September Vormittags wurde Heim's sterbliche Hülle zur Erde bestattet. Von der Stelle, wo er sanft entschlief, wo der anwesende älteste Geistliche den Ehebund der sechs Kinder des Hauses eingesegnet hatte, hoben die jüngeren Aerzte der Stadt, treue Schüler des abgerufenen alten Meisters, den Sarg hinweg und trugen ihn feierlich zum Wagen. Viele Tausende der Einwohner Berlins bildeten stille Reihen von dem Sterbehause bis zum Friedhofe vor dem halleschen Thor, der König, des Landes geliebter Vater, der den Lebenden durch hohe Huld beglückt hatte, erwies auch dem Entschlafenen die letzte Ehre durch Absendung seines achtspännigen Wagens. Eine ähnliche Auszeichnung wurde dem Verstorbenen von Seite der königlichen Prinzen zu Theil. Ein glänzendes und zahlreiches Gefolge von Personen jeden Standes und Ranges, Deputationen des Magistrats und der Stadtverordneten, Freunde und Verehrer Heim's folgten dem Trauerwagen. Am Eingang des Friedhofs wurde der Sarg wiederum von den Aerzten vom Wagen gehoben und zur Gruft getragen. Hier stimmten die jüngeren Freunde, die dankbaren Verehrer, wie sie sich selbst nennen, ein Lied an:

»Im Arm der Liebe ruht sich's wohl,
Wohl auch im Schooß der Erde.«

Bei dem folgenden Schlußchor »Heiliges Leben, wie du's fromm vollendet«, machte es einen merkwürdigen Eindruck auf die Leidtragenden, daß in diesem Augenblick ein Schwarm von Schmetterlingen über dem Blumenkranze flatterte, der den Sarg schmückte, als hätte die Natur ihre zartesten Kinder in so ungewöhnlicher Zeit erweckt und abgesandt, um ihrem Lieblinge und treuesten Schüler das letzte Lebewohl auf dieser Erde zuzuflüstern.

Mit Recht bemerkt Heim's Schwiegersohn und Biograph Keßler: »Fast Alles, was Heim Verdienstliches, als neue Entdeckung oder als schärfere Untersuchung beigelegt wird, erscheint nur als die mit unermüdlichem Eifer aus dem Keim seines frühen, frischen Naturlebens, dann seines emsigen Naturstudiums Heim hat auch dem achtjährigen Knaben Al. v. Humboldt den ersten Unterricht in der Botanik ertheilt. gezogene wohlthätige Frucht. Schwerlich würde er ohne die unendliche Uebung im Zergliedern der zartesten Moose wohl die eigenthümlichen Strahlen, Bläschen und Narben mancher Krankheiten entdeckt haben. Entwickelte nicht die tausendfältige Vergleichung der Gerüche der Pflanzen in ihm die Fähigkeit, äußerlich ähnliche Krankheiten durch ihren Geruch von einander zu unterscheiden? Mit seinem frischen Natursinn durchschaute Heim augenblicklich das Wesen der Krankheit. Der berühmte Professor Dr. Reil äußerte sich einmal: ›Heim weiß nicht, wie er die Leute kurirt. Unsereiner sieht und forscht wochenlang, ehe er zu behaupten wagt, er wisse, wo die Krankheit sitze. Ruft man nun Heim, so tritt er in seiner leichten Manier herein, sieht kaum nach dem Kranken, fragt ihn oft nicht einmal, und sogleich trifft er den Punkt, auf welchen uns erst eine lange mühsame Kombination geleitet hat.‹«

Das ist eben das Wesen des Genius, der da schauet, was Andere blos vermuthen.

Eine andere nicht genug zu preisende Eigenschaft des großen Mannes war seine Bescheidenheit und Bereitwilligkeit, fremdes Verdienst anzuerkennen; er war ohne allen Neid – eine Tugend, die unter den Aerzten nicht allzuhäufig gefunden wird.

Im Jahre 1835 versammelten sich die 70 Aerzte der Königsstadt, und unter ihnen die Häupter ihrer Kunst und Wissenschaft, zu einem festlichen Mahle und ehrenvollen Gedächtniß ihres entschlafenen Aeltesten. Von Vielem, was hierbei zu dessen Ruhme vorgebracht wurde, mag folgendes Akrostichon genügen:

Hier in dem englischen Hause ein Hört! den versammelten Freunden,
Einen kurzen Moment gönnet mir freundlich das Ohr.
Innig verbanden wir uns; o möcht' mißgünstige Selbstsucht,
Möchte verleumdender Neid nie zerreißen das Band
Unsers schönen Vereins. Das medicus medicum odit Ein Arzt haßt den andern.
Nun und nimmer fortan sei es des Standes Symbol!
Schöner vielmehr mög' stets der Bund seine Blüthen entfalten,
Einigkeit, Liebe, Vertraun, Hülfe in Rath und in That.
Ruft drum zurück Euch den Mann, den herrlichen, und als ein leuchtend
Vorbild sei er und bleib, ihn den unsterblichen Heim!
O, wer hätt' ihn gekannt und nicht geliebt, ja verehrt ihn!
Rein wie das himmlische Licht, jedem Kollegen ein Freund.
Bieder war er und mild, in Nöthen ein rettender Schutzgeist
Jeglichem, arm oder reich, immer nur galt ihm der Mensch.
Laßt drum heute besonders, beim Stiftungsfeste in Ehrfurcht
Dem vollendeten Arzt weih'n der Erinnerung Dank.

Dr. H.

Friedrich Perthes schrieb in demselben Jahre an einen Freund (und sein Wort möge diese Skizze schließen): »An dem Leben des berliner Arztes Heim, herausgegeben von seinem Schwiegersohn Keßler, werden Sie sich freuen; echt deutsch im besten Sinne, die lebendigste Handfestigkeit, starke Sinnlichkeit und Lebenslust, vereinigt mit großem Talente und ernster Sittlichkeit; wenig christliche Erkenntniß, aber wahrer und wirklicher christlicher Sinn. Unsere Jünglinge mögen sich in diesem Spiegel beschauen.«


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