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» Pensées sur la religion« (Amsterdam 1692). » Oeuvres complètes de P.« (Haag und Paris 1779) Bd. 1. » Eloge de Pascal par Raimond« (Paris 1816). Paskals Leben und der Geist seiner Schriften etc. von Dr. H. Reuchlin (Stuttgart und Tübingen 1840).
Blasius Paskal wurde am 19. Juni 1623 zu Clermont in der Auvergne geboren, wo sein Vater Präsident der Steuerkammer war. Während in Deutschland der dreißigjährige Krieg wüthete, der auf lange hin unser schwer heimgesuchtes Vaterland in die Barbarei zurückwarf, wuchsen die schönen Wissenschaften, die in Italien schon ein Jahrhundert lang geblüht hatten, auch auf Frankreichs Boden empor; aber auch die mathematischen Wissenschaften (und namentlich die Physik) arbeiteten sich hervor aus den Banden der scholastischen Philosophie des Mittelalters, welche durch Geister wie Kopernikus, Kepler und Galilei gesprengt worden waren. Stephan Paskal, der Vater des Blasius, war auch von dem Drange nach Naturerkenntniß nicht unberührt geblieben, trieb fleißig Geometrie und Physik und stand mit den ausgezeichnetsten Köpfen der Hauptstadt in regem Verkehr. Diese gelehrten Männer veranstalteten von Zeit zu Zeit eine Zusammenkunft, unterhielten auch mit den berühmtesten Forschern des In- und Auslandes einen Briefwechsel, der sie von jeder neuen Entdeckung in der Mathematik oder Physik alsbald in Kenntniß setzte. Dieser freie und freundschaftliche Verein gleichstrebender Männer war die erste Anregung zur Stiftung der von der Regierung 1666 bestätigten berühmten pariser Akademie der Wissenschaften.
Schon im zartesten Alter gab das Kind Proben eines außergewöhnlichen geistigen Lebens; der kleine Blasius lernte nicht nur frühzeitig sprechen, sondern auch mit größter Aufmerksamkeit auf Alles achten, was um ihn her vorging. Wenn die gelehrten Konferenzen im väterlichen Hause gehalten wurden, so war das für den lernbegierigen Knaben ein wahrer Festtag. Nicht selten setzte er durch seine Fragen die Erwachsenen in Erstaunen und Verlegenheit.
Leider hatte er schon, nachdem er kaum das dritte Lebensjahr überschritten hatte, seine Mutter verloren. Desto sorgfältiger nahm sich nun der Vater seiner Erziehung an, zumal da er außer zwei Töchtern nur diesen einzigen Sohn hatte. Er mochte keinem Fremden die Erziehung überlassen, und um desto ungestörter sich ganz dem einen Lieblingsgeschäft widmen zu können, gab er im Jahre 1631 seine Stelle zu Clermont auf und zog mit seiner Familie nach Paris, wo ihm die reichsten Bildungsmittel zu Gebote standen. Dabei kam es ihm nicht in den Sinn, die Entwickelung des Knaben treibhausartig zu beschleunigen, vielmehr war seine Hauptmaxime in der Pädagogik: das Kind stets über seiner Arbeit zu erhalten, damit es dieselbe beherrsche. Darum wollte er mit ihm nicht vor zurückgelegtem zwölften Jahre das Lateinische beginnen, in der Ueberzeugung, das später Begonnene werde dann schon um so schneller vollendet werden.
Bis zu jenem Zeitpunkte des Erlernens fremder Sprachen ward der Knabe angehalten, auf die Gesetze der eigenen Muttersprache zu achten, Und an diesen die Kenntniß der Grammatik zu gewinnen. Daneben wurden auch die Naturerscheinungen fleißig beobachtet, und an gewisse auffallende Wirkungen, wie die Entzündung des Pulvers, der erste physikalische Unterricht geknüpft. Der wißbegierige Schüler ruhte nicht, bis er von Allem, was er sah, den Grund erkannt hatte, und wenn ihm diese und jene Auskunft, die man ihm gab, nicht genügte, begann er selber zu forschen. So hatte er einstmals, als bei Tische Jemand mit dem Messer an einen Porzellanteller geschlagen hatte, nicht bloß auf diesen Ton geachtet, sondern auch bemerkt, daß derselbe alsbald gedämpft würde, wenn man die Hand auf den Teller legte. Dieser Versuch führte noch zu manchen andern, und in einem Alter von 12 Jahren schrieb er darüber bereits eine kleine Abhandlung, die von den Sachverständigen sehr gelobt wurde
Auch das große Talent für die Mathematik brach um diese Zeit hervor. Der Vater war in den mathematischen Wissenschaften sehr erfahren, aber im Begriff die Sprachen zu beginnen, drängle er absichtlich jenes Studium zurück, weil er seinen Sohn vorzugsweise für die Sprachen tüchtig machen wollte und auch diese Bildung für ungleich wichtiger hielt. Das damals schon aufkeimende Naturstudium galt Vielen für höchst gefährlich in Bezug auf den Glauben. Darum verschloß er alle Bücher, die über Mathematik handelten, und redete in Gegenwart des Sohnes nie über mathematische Gegenstände. Das hinderte indeß nicht, daß dieser auch über letztere mit mancherlei Fragen vorrückte, die aber sämmtlich mit dem Bescheide zurückgewiesen wurden: Wenn Du lateinisch und griechisch gelernt haben wirst, dann wollen wir auch hierüber sprechen. Dieser Widerstand reizte um so mehr die Wißbegierde des Knaben, der nun in seinen Mußestunden den größten Genuß darin fand, sich selber Aufgaben zu stellen, Kreise und geradlinige Figuren zu zeichnen, zu vergleichen und zu messen. Bei solchen Uebungen überraschte ihn einstmals der Vater und erkannte zu seiner größten Verwunderung, welche Fortschritte der Sohn mit den Mitteln des eigenen Genius in der Geometrie bereits gemacht hatte. Nun gab er ihm die »Elemente des Euklid« in die Hände, und der trefflich vorbereitete Schüler verstand und durcharbeitete dieses Werk ohne fremde Beihülfe. Obwohl er nur seine Freizeit zum mathematischen Studium verwandte und dasselbe bloß zur Erholung trieb, wie er sagte, brachte er es darin doch bald so weit, daß er in seinem sechzehnten Jahre eine Abhandlung über die Kegelschnitte ausarbeitete, welche die Bewunderung aller Mathematiker von Fach auf sich zog. Der bescheidene Jüngling wollte aber nicht, daß sie gedruckt würde.
Während dieser ganzen Zeit fuhr er eifrigst fort, Latein und Griechisch zu lernen; außerdem unterhielt sich der Vater mit ihm über die wichtigsten Gegenstände aus der Physik, Logik und Philosophie, und er wurde damit fast spielend bekannt, ohne je eine öffentliche Schulanstalt besucht zu haben. Doch zeigten sich schon in seinem 18. Jahre Krankheitssymptome, denn es konnte nicht fehlen, daß ein so überwiegend geistiges Leben die leibliche Gesundheit angriff. Da ihn aber diese kleinen Anfälle in seinen gewohnten Beschäftigungen nicht sehr störten, achtete er ihrer nicht.
In seinem 19. Jahre erfand er die sehr scharfsinnig zusammengesetzte Rechenmaschine (die später von unserm Leibnitz vereinfacht und vervollkommnet wurde), und war dann mit großer Anstrengung zwei Jahre lang beschäftigt, sie zweckmäßig herzustellen – was ihm der Ungeschicklichkeit der Arbeiter willen viele Noth machte. Sein Geist war unaufhörlich mit neuen Ideen beschäftigt, aber es stellten sich nun auch mit jedem Jahre empfindlicher die Krankheitsanfälle ein. Trotzdem unterbrach er keinen Augenblick seine Studien, und machte namentlich in der Physik sehr glückliche Experimente. So wies er u. A. in guten Experimenten nach, daß der nach dem Naturforscher Toricelli benannte leere Raum keineswegs durch die Scheu der Materie vor dem Leeren, sondern durch die Schwere der Luft hervorgebracht werde.
Der geniale Galilei hatte sich bereits mit der Frage beschäftigt, wie es doch komme, daß in einer Brunnenröhre oder Saugpumpe, wenn auch der Stiefel noch so hoch heraufgezogen würde, das Wasser doch nie höher als 32 Fuß steigen wollte. Die bis zu seiner Zeit übliche Ansicht, das Wasser steige in der Pumpröhre, weil die Natur den leeren Raum verabscheue, genügte ihm freilich nicht, und doch wußte er nichts Besseres zu sagen, als der Abscheu vor dem Leeren ( horror vacui) habe in einer Höhe von 32 Fuß seine Grenze. Sein Schüler Toricelli hatte aber 1643 diesen leeren Raum auf eine viel geringere Höhe beschränkt, indem er bei seinen Versuchen statt des leichteren Wassers das schwere Quecksilber nahm und so bereits die richtige Erkenntniß angebahnt, daß die Flüssigkeit mit der Luft sich in's Gleichgewicht zu setzen bestrebe. Durch Pater Mersenne, der aus Italien nach Paris zurückkehrte, ward Paskal mit Toricelli's Entdeckungen über das Barometer und den Druck der Luft bekannt gemacht, und was bisher nur erst ungewisse Annahme war, erhob er nun zur sichern Erfahrung. Er stieg mit dem Barometer (im Jahr 1648) auf den Kirchthurm Saint-Jacques de la boucherie, und bemerkte, daß das Quecksilber zu ebener Erde ein wenig höher stand. Zu gleicher Zeit ließ er denselben Versuch von seinem Schwager Perier auf dem hohen Berge des Puy-de-dôme anstellen, und siehe da, man fand auf der Spitze des Berges einen Unterschied von 3 Zollen und 1½ Linie in der Höhe der Quecksilbersäule (also auf 20 Toisen Höhe einen Unterschied etwa von 2 Linien). So war klar und für alle Zeiten fast der Irrthum vom horror vacui widerlegt, das Naturgesetz gefunden, daß mit der Höhe auch der Druck der Luft abnehme und eine neue Methode entdeckt, die Höhe der Berge zu messen.
Eine so schöne Entdeckung sollte aber dem Neide und der Mißgunst nicht entgehen; die Jesuiten von Clermont-Ferrand behaupteten, Paskal habe sich die Entdeckungen der Italiener unrechtmäßiger Weise angeeignet und verleumdeten ihn auf alle Weise. Dazu konnte Paskal nicht schweigen; mit beißender Satyre, treffendem Witz und geistiger Ueberlegenheit stellte er das Treiben der Gesellschaft Jesu in's rechte Licht und hatte dabei alle Verständigen auf seiner Seite. Im Jahr 1653 veröffentlichte er zwei Abhandlungen über das Gleichgewicht der Flüssigkeiten und die Schwere der Luftmassen. Auch noch andere mathematische Arbeiten, wie die Abhandlung »über das arithmetische Dreieck« und die sinnreiche Erfindung des Schubkarrens ( brouette, vinaigrette) und des Rollwagens ( haquet) wurden bekannt gemacht. Je zerrütteter die leibliche Kraft und Gesundheit wurde, desto mehr schien er an geistiger Kraft zu wachsen.
In seinem 24. Jahre bekam er Gelegenheit, einige christliche Erbauungsschriften zu lesen, und diese machten einen so großen Eindruck auf sein Gemüth, daß ihm wie ein Licht aufging, alle andere Weisheit sei eitel außer der in Jesu Christo geoffenbarten. Von Stund an verzichtete er auf alle seine übrigen Studien, um sich einzig und allein dem geistlichen Leben zu widmen.
Seine Lauterkeit war bis dahin von allen Verirrungen der Jugend frei geblieben; was aber für so kräftig gebildete Geister, wie der seinige war, noch mehr sagen will, er hatte sich auch von aller Freigeisterei fern gehalten, und Alles, was auf die Religion Bezug hatte, nicht anzutasten gewagt durch voreiliges Vernünfteln. In dieser Beziehung hatte das Beispiel des Vaters, der ein durchaus frommer Mann war, segensreich auf den Sohn eingewirkt, so daß der Umgang mit einigen jungen Männern, die spöttisch sich über manche religiöse Gebräuche und Ansichten vernehmen ließen, gar keinen nachtheiligen Einfluß auf ihn ausübte. Diese kindliche Einfalt dem Glauben gegenüber ist ihm sein ganzes Leben hindurch treu geblieben. Wenn er über die christlichen Lehren sich aussprach, geschah es mit solcher Einfachheit und Innigkeit, daß alle Familienglieder davon erbaut wurden.
Nachdem der Tod ihm den Vater genommen (1651) und die jüngere Schwester bald darauf in's Kloster Port royal des Champs (bei Versailles) sich zurückgezogen hatte, trieb ihn letztere mit allem Eifer zur Nachfolge. Er sehnte sich nach Einsamkeit und Ruhe; durch klösterliche Gelübde wollte er sich nicht binden, aber er entschloß sich, sein Leben in der Abtei Port royal des Champs zu beschließen, wohin er 1654 sich zurückzog.
Doch auch hier warteten seiner noch manche geistige Kämpfe. Die Abtei folgte den religiösen Ansichten des Jansenius, ehemaligen Bischofs von Ypern in Belgien, der im Gegensatz zur katholischen Werkheiligkeit die Lehre von der Gnade hervorgehoben hatte. Arnauld, einer der frommen Jansenisten in der Abtei, hatte in einem 1655 veröffentlichten Briefe geradezu ausgesprochen, »der heilige Petrus biete bei seinem Falle das Beispiel eines Gerechten, dem die Gnade, ohne die man nichts vermöge, gefehlt habe.« Darüber gerieth die Sorbonne, das theologische Kollegium zu Paris, in nicht geringe Aufregung, die Jesuiten griffen heftig die Jansenisten an, und dem braven Arnauld ward die Vertheidigung schwer. Da nahm sich Paskal der Sache an, und schrieb seine Briefe an einen Provinzial Lettres écrites par Louis de Montalte à un Provincial de ses amis, et aux RR PP Jésuites, sur la morale et la politique de ses péres. , worin er mit einer Feinheit und Leichtigkeit, mit so viel Schärfe des Geistes als Tiefe christlicher Gesinnung die laxe aber weltkluge Moral der Jesuiten aufdeckte und diesem Orden die tödtlichste Wunde schlug. An dem ausgezeichneten Styl erkannte man bald den wahren Verfasser; die Briefe gingen von Hand zu Hand, von Mund zu Mund. »Die Provinzialbriefe waren wie ein Flammenzeichen für den katholischen Klerus, namentlich für die Pfarrer, welche nicht glaubten, daß man ein besserer Katholik sei, wenn man schweigend harre, bis Rom es für gut finde dem längst dringenden Nebel zu steuern. Ohnedies hielten sie es nicht für die Pflicht des Katholiken, in allen Stücken sich der Jesuiten anzunehmen, vielmehr wußten sie wohl aus Erfahrung, wie sehr ihre eigene Wirksamkeit auf ihre Beichtkinder gestört werde, wo nur immer die Jesuiten sich Eingang verschafft. Sie versicherten, daß sie namentlich durch die traurigen Folgen der Kasuistik Spitzfindige Behandlung der Gewissensfragen., welche sie im Beichtstuhl beobachtet, zu diesem Schritt gedrängt worden seien. Vor Allem waren es die Pfarrer von Rouen und der Normandie, welche am 28. August 1656 ihrem Erzbischof eine Eingabe überreichten, worin sie auf die dringende Noth der Kirche aufmerksam machten. Im gleichen Sinne ließen die Pfarrer von Paris eine Aufforderung an alle Pfarrer Frankreichs ergehen, zusammenzutreten und ihnen (den Parisern) eine Vollmacht zu übersenden, womit sie die Verdammung dieser Kasuistik bei der Klerusversammlung betreiben könnten. Es war dies eine Reaktion der moralischen Kraft, des evangelischen Elements in der katholischen Kirche gegen die todte Werkgerechtigkeit, die Lüge und Herrschsucht des Papismus, der in den Jesuiten seine natürlichen Verfechter hatte.« Dr. Reuchlin, a. a. O.
Uebrigens störte ein solcher Streit keineswegs seine Andachtsübungen; er las mit immer größerem Eifer die heilige Schrift, seine Gedanken und Gefühle vereinigten sich in dem Einen Gedanken Gottes und der Erlösung durch Jesum Christum. Er faßte den Plan, ein großes Werk zu schreiben von der Wahrheit der christlichen Religion, aber seine Körperleiden hinderten ihn an der Ausführung, und nur die Fragmente, Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets kamen zu Stande; kostbare Reliquien, die in Tiefe der Gedanken und Vollendung des Ausdrucks nicht ihres Gleichen haben. Wie er in seiner Jugend alle seine physikalischen Forschungen zur mathematischen Evidenz (vollster Klarheit) gebracht hatte, so rang er nun mit gleicher Energie nach der Wahrheit im Glauben und brachte es auch in dieser tiefsten Tiefe menschlicher Erkenntniß zur größten Klarheit und Sicherheit. Hier leitete ihn sicher sein unverdorbenes Herz, wie er denn auch von der Bibel sagte, sie sei nicht als Wissenschaft für den Kopf, sondern für das Herz geschrieben, und nur vermittelst eines aufrichtigen Herzens zu verstehen. Auch war er in der Bibel so zu Hause, daß er sie fast wörtlich hersagen konnte, und wenn Jemand eine Stelle nicht ganz genau anführte, sogleich den richtigen Ausdruck ergänzte.
Seine ältere Schwester Jaqueline, die uns seine Biographie hinterlassen hat und eine begabte Dichterin war, verheirathete sich und bekam manche Familiensorgen. An diesen nahm der Bruder den aufrichtigsten Antheil. Auch konnte er es nicht vermeiden, mit ausgezeichneten Geistern hier und da ein ernstes Gespräch zu führen, namentlich wenn ihn Solche aufsuchten, die ähnliche Gesinnungen hatten wie er selber. Endlich wurde er auch von Armen häufig angegangen, und dann unterließ er nie, Rath und Hülfe zu spenden, so viel er vermochte. Um aber vor allen Gedanken der Eitelkeit sich zu schützen, ließ er sich einen mit spitzigen Nägeln versehenen eisernen Gürtel anfertigen, und er gab sich selber Schläge mit den Ellbogen, sobald seine Gedanken auf unheilige Gegenstände sich richten wollten. Die Gewohnheit schien ihm so praktisch, daß er sie bis an's Ende seines Lebens beibehielt.
Der Leib widersetzte sich freilich oft genug einer so strengen Behandlung von Seiten des Geistes, und durch die allzugroße Entsagung wurden die Körperkräfte immer schwächer. Je mehr aber die Schmerzen zunahmen, um so größer ward auch seine Geduld und der Frieden seiner Seele, und auf diesen war ja sein Hauptaugenmerk gerichtet. Auch konnte ihn keine Krankheit dahin bringen, etwas seiner Bequemlichkeit hinzuzufügen oder irgend einen Genuß an schmackhafter Speise zu suchen, er blieb dem Grundsatz eines entsagenden Lebens durchaus getreu. Denn wenig Bedürfnisse zu haben, schien ihm die größte Vollkommenheit, und die Armuth als solche war ihm lieb. Wenn Jemand irgendwie an seine Bequemlichkeit dachte, so schien ihm das ein weltlicher Sinn, der noch am Irdischen klebt. Die Ertödtung der Sinnlichkeit trieb er so weit, daß er sich nicht bloß erlaubte Genüsse versagte, sondern auch das mit größter Ausdauer genoß, was seinen Sinnen nicht zusagte.
Seine Liebe zur Armuth war auch die Liebe zu den Armen, und Niemand, der ihn um eine Gabe ansprach, ging unbeschenkt von ihm hinweg. Oft fehlte es ihm an Geld und er mußte seine Renten schon im Voraus beziehen, so daß er darob selber in Verlegenheit kam. Eines Tages kam ein junges schönes Mädchen in höchst ärmlicher Kleidung zu ihm und bat um ein Almosen. Ihr Vater war gestorben und die Mutter krank. Sogleich nahm er sie mit sich in's Seminar, übergab sie dort einem alten ehrwürdigen Priester, den er bat, Sorge zu tragen, daß das Mädchen einen ordentlichen Dienst fände. Das nöthige Geld übergab er sogleich, versprach dabei, den folgenden Tag durch eine redliche Frau auch die nöthigen Kleidungsstücke besorgen zu lassen. So geschah es, und die Frau handelte in Gemeinschaft mit dem Geistlichen so besonnen, daß jenes Mädchen bald einen guten Dienst erhielt und dabei unter steter Aufsicht blieb, so daß ihrem Wohlthäter fortwährend Bericht über ihr Betragen abgestattet werden konnte.
Seine Schwester Jaqueline ermahnte er oft höchst eindringlich, sich mit ganzer Kraft dem Dienst der Armen zu widmen und auch ihre Kinder dazu anzuhalten. Als ihm diese antwortete, sie habe vor Allem für ihre Familie Sorge zu tragen und dürfe diese nicht vernachlässigen, wies er solche Entgegnung zurück mit der Bemerkung, daß es nur auf den guten Willen ankomme und man recht wohl beide Pflichten mit einander vereinen könne. Es sei das ein Ruf, der an alle Christen ohne Ausnahme ergehe, und der Heiland werde uns ja vorzüglich danach richten, was wir den Armen gethan hätten. Auch sei der ununterbrochene Besuch von Armen und Nothleidenden schon deshalb nöthig, um uns auf so manches Unnöthige und Ueberflüssige in unserm Besitz aufmerksam zu machen, daß wir unser Herz nicht an diese Dinge hängen.
Wenn dann, durch solche Worte ermuntert, seine Verwandten besondere Veranstaltungen trafen, um den Bedürfnissen der Ortsarmen abzuhelfen und demgemäß ein allgemeines Reglement entwerfen wollten: so war Paskal keineswegs damit einverstanden und sprach: Ihr seid nicht zum Allgemeinen berufen, sondern zum Besondern, zur Privatwohlthätigkeit. Da gilt es, sich um den Einzelnen zu bekümmern, selbst arm zu werden, um den Armen zu verstehen, ihm auf die rechte Art zu helfen. Er war nicht gegen die Hospitäler, fand im Gegentheil ihre Wirksamkeit höchst nützlich und heilsam, aber er meinte, dabei dürfe es der Christ nicht bewenden lassen und ein Jeder habe noch seinen besondern Beruf zu Nutz und Frommen der Kranken zu erfüllen.
Seine Schwester erzählt auch, daß er sie einstmals tadelte, weil sie gesagt hatte, sie sei einer außerordentlich schönen Frau begegnet. Man solle – sprach er – sich vor Dienstboten und Kindern aller Reden enthalten, die zur Eitelkeit führen und vergänglichen Dingen einen übertriebenen Werth beilegen könnten. Auch wollte er von Liebkosungen aller Art nichts wissen, selbst zwischen der Mutter und ihren Kindern nicht, indem er meinte, es mische sich da viel Sinnlichkeit und Eigensucht unter, und man könne seine Liebe auf geistigere Weise zu erkennen geben. Er trug die zärtlichste Liebe für die Seinen im Herzen, gab aber nie Aeußerungen seiner Anhänglichkeit, wollte überhaupt von Anhänglichkeit an alles Irdische nichts wissen. Als seine Schwester im Kloster Port-Royal zu Paris (drei Monate vor seinem Tode) gestorben war, vergoß er keine Thränen und sprach zu der wehklagenden Schwester: Glücklich sind die, welche im Herrn sterben. Darum wollen wir Gott lobpreisen.
Bei der entschiedenen Weise, mit welcher er Allen entgegentrat, die von dem, was er für Recht und Wahrheit erkannt hatte, abwichen, konnte es nicht fehlen, daß er auch manche Feinde hatte, die ihn mit Spott und Bitterkeit bekämpften. Er aber vergaß alle Beleidigungen, und wenn er mit diesem oder jenem früheren Gegner zusammenkam: so war es nicht anders, als wenn er mit seinen besten Freunden verkehrte. So treu und stark für alles Wissenswerthe sonst sein Gedächtniß war, so schien es für Beleidigungen gar nicht vorhanden zu sein. Es war ihm stets um die Sache zu thun; das Persönliche kümmerte ihn nicht.
So erleuchtet auch sein Geist war und so gut er es verstand, im stillen Gebet der Andacht zu pflegen, so versäumte er doch nie die Messe und den öffentlichen Gottesdienst überhaupt. Besonders aber waren ihm die horae, die »kleinen Stunden« lieb, weil sie aus dem 118. Psalmen (»danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich«) bestehen, den er ganz besonders liebte und den er nie müde werden konnte zu rezitiren. Wenn er mit seinen Freunden von der Schönhett dieses Psalmes sich unterhielt, so strahlte sein Blick und er kam fast außer sich vor Entzückung. Wenn man ihm die monatliche Spruchsammlung schickte (die »Losungen«), so las er die Sprüche mit besonderer Andacht und wiederholte den für den jedesmaligen Tag bestimmten Spruch oftmals. Wurden irgendwo Reliquien ausgestellt oder sonst kirchliche Feierlichkeiten abgehalten, so war er stets zugegen und verrichtete seine Andacht auf eine so einfache fromme Weise, daß Jedermann darob sich freute und eine berühmte Persönlichkeit zu dem Ausspruch veranlaßt wurde: Die Gnade Gottes offenbart sich in großen Geistern durch kleine Dinge und in geringen Geistern durch hohe Dinge.
Diese hohe Einfalt trat besonders dann zu Tage, wenn man mit ihm über Gott oder auch über seine eigenen Herzensangelegenheiten sprach, und noch am Tage vor seinem Tode, als der würdige und höchst gelehrte Geistliche eine Stunde lang sich mit ihm unterhalten hatte, versicherte dieser: Er selber sei erbaut worden und habe mehr Trost für seine Seele gewonnen, als er im Stande sei, dem Kranken zu spenden; eine so kindliche Einfall, Lauterkeit und Demuth sei ihm noch nirgend vorgekommen.
Schon mehrere Monate vor seinem Tode hatte er keine feste Speise mehr zu sich nehmen können; er wurde bald so schwach, daß er kaum sich auf den Füßen halten konnte. In diesem Zustande der Schwäche vollbrachte er dennoch ein edles Werk der Liebe. Er hatte ein armes Ehepaar in sein Haus aufgenommen, dem er den Lebensunterhalt gewährte; der Sohn dieser Leute ward krank und bekam die Blattern. Nun war für die Schwester, deren Beistand er in seiner Krankheit nicht entbehren konnte, der Besuch bedenklich, und er mußte darauf denken, sich von dem Kranken im Hause abzusondern. Sollte er aber die arme Familie vertreiben? Lieber verließ er, selbst im Zustande höchster Schwäche, seine Wohnung und zog zu seiner Schwester. Drei Tage darauf bekam er die heftigsten Kolikanfälle, die ihm Tag und Nacht zusetzten. Dennoch stand er jeden Morgen auf, nahm selber die Medizin und litt nicht, daß man ihm behülflich war. Die Aerzte sahen wohl, daß die Schmerzen des Kranken immer heftiger wurden, aber da sein Puls regelmäßig und stark war, täuschten sie sich über die Gefahr. Paskal aber täuschte sich nicht und verlangte, zu beichten und das heilige Abendmahl zu empfangen. Da man jedoch alle Aufregung des Leidenden vermeiden wollte, verschob man die Kommunion von einem Tage zum andern. Mit großer Bestimmtheit machte er sein Testament, und vermachte fast all' sein Gut den Armen, indem er noch aufrichtig bedauerte, nicht mehr für die Armuth gethan zu haben. Auch wünschte er, man möchte ihn ins Hospital bringen zu den unheilbar Erkrankten, um mit den Armen in Gemeinschaft sterben zu können.
Zu den Kolikanfällen gesellten sich bald noch die heftigsten Kopfschmerzen; aber auch das größte Leiden konnte dem Kranken keine Klage entlocken, seine Geduld nicht erschüttern. Da er sein Verlangen nach der heiligen Kommunion auf das entschiedenste wiederholte, wurde der Geistliche geholt. Die letzte Nacht war eine besonders schmerzvolle gewesen und hatte alle seine Kräfte erschöpft. Als er aber den Geistlichen erblickte, im Begriff ihm das h. Abendmahl zu reichen, machte er die größte Anstrengung und richtete sich zur Hälfte empor, bekannte mit fester Stimme die Freudigkeit seines Glaubens und ward dann mit den Sterbesakramenten versehen. Bald darauf kehrten die Krämpfe zurück und raubten ihm alles Bewußtsein. Sein Tod erfolgte in der Nacht um 1 Uhr, am 19. August 1662 in einem Alter von 39 Jahren.
Eine bis zur Selbstpeinigung gehende Frömmigkeit, wie sie Paskal im letzten Jahrzehnt seines Lebens übte, erscheint uns unnatürlich, und das ist sie auch; aber der Mensch ist nicht bloß Natur, sondern auch Geist, er vermag einer übernatürlichen »Idee« sein zeitliches Selbst zum Opfer zu bringen, und wo dies mit reiner Gesinnung geschieht wie bei Paskal, ist auch das Büßerleben kein unpraktisches gewesen. Wie jedem Menschen überhaupt, so wird jedem Christen insbesondere eine eigenthümliche Lebensaufgabe zu Theil. Die Gaben des heiligen Geistes sind (1 Kor. 12, 30) verschieden ausgetheilt; ein Jeder aber soll, so viel an ihm ist, nach den besten Gaben streben. Darum wollen wir in dem merkwürdigen Manne nicht bloß den großen Geometer, Physiker und Dialektiker ehren, sondern auch die wunderbare Kraft seiner Entsagung. An wenige Menschen möchte die Wissenschaft so reizend herangetreten sein wie an Paskal; ausgerüstet mit den glänzendsten Anlagen der Erkenntniß und den reichsten Schätzen des Wissens und Forschens, zog er gerade da sein Herz ab, wo die höchste Ehre bei Menschen, die vollste Befriedigung eines heißen Wissensdranges zu gewinnen war. Wenige Menschen möchten so wie Paskal durch zarte Leibesbeschaffenheit und schwankende Gesundheit einerseits, durch ein mit allen Mitteln des Reichthums ausgestattetes Leben andererseits zur Bequemlichkeit und zum Genuß hingezogen sein. Dennoch opferte er Reichthum, Gesundheit, das Leben selber dem Einen, was er für recht und gut erkannt hatte.