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Franz Arago's sämmtliche Werke, mit einer Einleitung von Al. v. Humboldt. Deutsche Orig.-Ausgabe, herausgeg. von Dr. W. G. Hankel. Erster Band mit dem von Arago nachgelassenen Fragment: »Geschichte meiner Jugend«. Magaz. d. L. d. A. 1853, 135. A. A. Z. 1852, 137 Beil. 1853, 279. 282.
Arago gehört zu den größten Physikern und Mathematikern des 19ten Jahrhunderts. Ohne der Wissenschaft neue Bahnen gebrochen und durch Auffindung eines Naturgesetzes gleich einem Newton oder Kepler den Triumph des Genius gefeiert zu haben, hat er doch den unsterblichen Ruhm, die bereits vorhandenen Entdeckungen durch neue berichtigt und vermehrt, auf die mannigfaltigste Weise angewandt und durch edle durchsichtige Darstellung die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in große Kreise eingeführt zu haben. Mit dem stolzen Selbstbewußtsein des Spaniers, mit dem Feuer und praktischen Geschick des Franzosen vereinte er den eisernen Fleiß des Germanen. Seine hohe mathematische Begabung gar bald erkennend, war er schon als junger Mann entschieden über das, was er konnte, wollte und sollte und wußte als Schüler seinen Lehrern gegenüber sich geltend zu machen. So konnte es nicht fehlen, daß er bald auf den Posten gestellt wurde, wo er sein Licht leuchten lassen, seine eminenten Talente verwerthen konnte.
Dominique François Jean Arago wurde am 26. Februar 1786 im Dorfe Estagel bei Perpignan, im jetzigen Departement der östlichen Pyrenäen (die alte Provinz Roussillon) geboren. Sein Vater war Licentiat der Rechte und die Einkünfte seines kleinen Landgutes reichten so eben hin, die zahlreiche Familie zu ernähren.
Der Sturm der französischen Revolution durchtobte das Land. Zwar besuchte der Knabe ruhig die Elementarschule des Ortes, aber die bewegte Zeit machte sich ihm bemerklich genug in den Truppenzügen, welche ohne Unterlaß aus dem Innern kommend sich nach Perpignan begaben, um dort zur Pyrenäen-Armee zu stoßen. Das elterliche Haus war mit Offizieren und Soldaten angefüllt und ihr Anblick machte dem lebhaften Knaben so viel Freude, daß er mit den abziehenden Truppen durchaus fortmarschiren wollte und die Seinigen genaue Acht geben mußten, damit er nicht heimlich entwischte. Es geschah mehrere Male, daß man ihn auf dem Marsche mit den Truppen begriffen, erst eine Stunde vom Orte entfernt wieder einholte.
Die Spanier waren über die Grenze gedrungen, aber von den Franzosen zurückgeschlagen worden. Von den auf der Flucht begriffenen spanischen Truppen verirrten sich auch einige nach Estagel. Der siebenjährige Knabe war schon am frühen Morgen auf dem Dorfplatze, wo ein Freiheitsbaum errichtet war; er erblickte einen Brigadier mit fünf Reitern, welche beim Anblick des Freiheitsbaumes ausriefen: »Wir sind verloren!« Sogleich lief der kleine Revolutionsmann nach Hause, bewaffnete sich mit einer Lanze, die ein Soldat vom Landsturm zurückgelassen hatte, stellte sich dann an einer Straßenecke in den Hinterhalt und lauerte auf die Spanier. Im Momente, als diese vorbeikamen, stieß er auf den Brigadier mit der Lanze und verwundete ihn, wenn auch nicht gefährlich. Das wäre ihm beinahe sehr theuer zu stehen gekommen, denn schon hatte der Kriegsmann den Säbel gezogen, um den Uebermuth des Knaben zu züchtigen, als mehrere mit Mistgabeln bewaffnete Bauern herbeieilten, die fünf Reiter von ihren Pferden warfen und gefangen nahmen.
Nachdem Arago's Vater zum Schatzmeister bei der Münze ernannt worden war, siedelte die Familie nach Perpignan über; dort besuchte Franz die Centralschule (das Gymnasium). Eines Tages spazierte er auf dem Stadtwalle und erblickte einen jungen Ingenieur-Offizier, der die Ausbesserungsarbeiten leitete. Kühn genug näherte sich ihm Arago und fragte: Wie sind Sie nur zu den Offiziers-Epauletten gekommen, da Sie noch so jung sind? »Ich habe so eben die polytechnische Schule verlassen.« – Was ist das für eine Schule? – »Eine Schule, in welche man nach abgelegter Prüfung aufgenommen wird.« – Wird viel von den Bewerbern verlangt? – »Das können Sie aus dem Programm ersehen, welches die Regierung alljährlich an die Departements-Verwaltungen schickt. Doch finden Sie es auch im Journal der polytechnischen Schule, das von der Bibliothek der Central-Schule gehalten wird.«
Der 14jährige Schüler hatte nichts Eiligeres zu thun, als in die Bibliothek zu gehen und das Programm zu lesen, worin die Kenntnisse und Fertigkeiten namhaft gemacht waren, die man von denen verlangte, welche in die polytechnische Schule zu Paris eintreten wollten.
Um seine ganze Kraft auf Einen Punkt, das Studium der Mathematik, zu richten, besuchte Arago, das Sprachstudium fallen lassend, nur noch den mathematischen Kurs der Central-Schule. Man hatte diesen einem alten Geistlichen anvertrauet, dessen Kenntnisse jedoch über die Elemente nicht hinausreichten, so daß Arago beschloß, die neuesten mathematischen Werke von Legendre, Lacroix und Garnier aus Paris sich kommen zu lassen und auf eigene Faust weiter zu studiren. Mit großem Eifer begann er zu lesen; natürlich stieß er auf manche Schwierigkeiten, denen seine Kräfte noch nicht gewachsen waren. Zum großen Glück für den aufstrebenden Geist Arago's lebte damals in Estagel ein Eigenthümer, Herr Raynal, der zu seinem Vergnügen die höhere Mathematik studirte; bei diesem holte er sich Rath und Hülfe. Und wie ein Wort, das wir zufällig hören oder lesen, gleich einem Funken, der auf Brennstoff fällt, plötzlich zündet, so ward ein Wort d'Alembert's auch für Arago eine Quelle des Muthes. Auf dem Umschlage des Lehrbuches der Algebra von Garnier las er die Stelle, welche von einem jungen Manne erzählte, der den berühmten Gelehrten um Rath fragte, auf welche Weise er die Schwierigkeiten des Studiums am besten überwinden könne? und die Antwort lautete:
»Vorwärts, mein Herr, vorwärts! die Ueberzeugung wird nachfolgen!«
In anderthalb Jahren hatte Arago alle die Kenntnisse sich angeeignet, welche die Aufnahme-Prüfung verlangte, und er reiste, 16 Jahr alt, nach Montpellier, um das Examen zu bestehen. Doch der jüngere Monge, der die Prüfung vornehmen sollte, war durch Unwohlsein zurückgehalten und schrieb den Kandidaten, sie möchten nach Paris zur Prüfung kommen. Arago, damals auch nicht fest in seiner Gesundheit, kehrte nach Perpignan zurück, da er nicht wagte, die lange Reise nach Paris zu unternehmen.
Die Seinigen suchten ihm die Lust an der Laufbahn, welche der Besuch der polytechnischen Schule gewöhnlich zur Folge hat, zu benehmen; aber die Liebe zu den mathematischen Studien war bei ihm fest gewurzelt und er vermehrte seine Bibliothek mit der Analysis des Unendlichen von Euler, der Auflösung der numerischen Gleichungen, der Theorie der analytischen Funktionen und der analytischen Mechanik von Lagrange, endlich der Mechanik des Himmels von Laplace. Diese klassischen Werke wurden von dem Jüngling mit größtem Eifer studirt.
Die Laufbahn eines Artilleristen bildete den Glanzpunkt und das Ziel seines Ehrgeizes, und da er gehört hatte, daß ein Offizier auch Musik, Fechten und Tanzen verstehen müsse, so verwandte er täglich einige Stunden auf diese Künste und Fertigkeiten. Dann machte er ganz allein seine Spaziergänge und legte sich selber Fragen vor, mit denen ihn etwa die Examinatoren überraschen könnten.
Im folgenden Jahre reiste er mit noch einem Landsmann nach Toulouse, um dort die Prüfung zu bestehen. Sein Begleiter war so eingeschüchtert, daß er vollständig durchfiel. Als Arago an die Tafel trat, entspann sich zwischen ihm und Herrn Monge, dem Examinator, folgende Unterredung:
»Sollten Sie wie Ihr Freund antworten, so ist es unnütz, daß ich Sie frage.«
Mein Herr! mein Kamerad weiß viel mehr, als er gezeigt hat; ich hoffe glücklicher zu sein, als er! Was Sie mir aber so eben gesagt haben, ist ganz geeignet, mich einzuschüchtern und mich aller meiner Mittel zu berauben.
»Mit Schüchternheit entschuldigen sich alle Unwissenden; ich schlage Ihnen nochmals vor, sich nicht examiniren zu lassen, um Ihnen die Schande des Durchfallens zu ersparen.«
Ich kenne keine Schande, die größer wäre als die, welche Sie mir in diesem Augenblicke anthun. Stellen Sie mir Fragen, das ist Ihre Pflicht.
»Sie führen eine stolze Rede, mein Herr! Wir wollen sogleich sehen, ob Sie dazu berechtigt sind.«
Monge fragte und Arago antwortete so, daß des gestrengen Herrn Examinators vorgefaßte Meinung eine große Umstimmung erlitt. Mit jedem Worte, das der junge Arago sprach, ward er freundlicher; zuletzt erhob er sich von seinem Sitze, umarmte den Jüngling und erklärte, er solle auf der Liste den ersten Rang erhalten.
Siebzehn Jahre alt trat er dann (am Schluß des Jahres 1803) in die polytechnische Schule ein und wurde der äußerst lärmenden Abtheilung der Gascogner und Bretagner zugetheilt. Physik und Chemie, von denen er noch so viel wie nichts verstand, hätte er gern gründlich studirt, aber die losen Streiche seiner Kameraden ließen ihm wenig Zeit dazu. In der Mathematik hingegen war er schon bei seiner Aufnahme so weit, daß er hätte das Abiturienten-Examen bestehen können.
Beim Aufrücken in die höhere Abtheilung mußte wieder eine Prüfung bestanden werden, welche der berühmte Geometer Legendre leitete. Arago trat eben in das Zimmer, als sein Vorgänger ohnmächtig von zwei Hausdienern herausgetragen wurde. Dieser Zwischenfall hatte den Herrn Legendre keineswegs milder gestimmt. Es wiederholte sich die Scene von Toulouse. »Wie heißen Sie?« fragte er den Eintretenden barsch. – Arago. – »Sie sind also kein Franzose?« – Wenn ich kein Franzose wäre, würde ich nicht vor Ihnen stehen, denn ich habe nie gehört, daß Jemand in die polytechnische Schule aufgenommen wäre, der nicht zuvor seine Nationalität nachgewiesen hätte. – »Ich aber behaupte, daß, wer Arago heißt, kein Franzose ist.« – Ich meinerseits behaupte, daß ich Franzose und sehr guter Franzose bin, wie fremd Ihnen mein Name auch erscheinen mag. – »Es ist gut, wir wollen darüber nicht weiter streiten; gehen Sie an die Tafel!«
Kaum hatte sich der Examinand mit der Kreide bewaffnet, als Legendre zum Gegenstand seiner vorgefaßten Meinung abermals zurückkehrend fragte: »Sie sind wohl in den neuerdings zu Frankreich geschlagenen Departements geboren?« – Nein, mein Herr, ich bin im Departement der östlichen Pyrenäen geboren, am Fuße der Pyrenäen selbst. – »Aber warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Nun ist Alles klar. Sie sind spanischen Ursprungs, nicht wahr?« – Vermuthlich; aber meine bescheidene Familie bewahrt keine Urkunden, in denen ich auf den bürgerlichen Stand meiner Vorfahren hätte zurückgehen können: in meiner Familie ist Jeder der Sohn seiner Thaten. Ich erkläre Ihnen abermals, daß ich Franzose bin, und das mag Ihnen genügen!
Durch die Lebhaftigkeit dieser Entgegnung war Legendre keineswegs in bessere Laune gebracht worden und er begann damit, dem Examinanden eine schwierige Frage zur Beantwortung vorzulegen, welche die Anwendung von Doppel-Integralen forderte. Die Lösung erfolgte, wurde aber noch vor der Beendigung mit der barschen Bemerkung unterbrochen: »Die Methode, welche Sie befolgen, haben Sie nicht von Ihrem Professor. Woher haben Sie dieselbe?« – Aus einer Ihrer Abhandlungen. – »Warum wählten Sie gerade diese Methode? Etwa, um mich zu gewinnen?« – Nein, nichts lag mir ferner. Ich wählte diesen Weg, weil er mir vorzüglicher schien. – »Wenn Sie mir keinen Grund für diese Wahl angeben können, so erkläre ich Ihnen, Sie werden ein schlechtes Zeugniß erhalten, wenigstens was den Charakter betrifft.«
Nun wies Arago überzeugend nach, daß die Methode der doppelten Integralen in jeder Beziehung verständlicher und logischer sei, als die, welche Lacroix den Polytechnikern vorgetragen hatte. Legendre schien befriedigt und besänftigt und stellte nun die Aufgabe, Examinand solle den Schwerpunkt eines Kugelsektors bestimmen. – Das ist leicht! antwortete Arago. »Da Sie die Frage leicht finden, will ich sie erschweren: statt die Dichtigkeit konstant vorauszusetzen, will ich annehmen, sie ändere sich vom Mittelpunkt nach der Oberfläche nach einer bestimmten Funktion.«
Diese Rechnung wurde glücklich gelöst und damit das Wohlwollen des Examinators ganz gewonnen. Wenige Jahre nachher hatte der junge Mann bereits die Ehre, als Freund und Kollege von Legendre in die Akademie aufgenommen zu werden.
Im zweiten Jahre seines Besuchs der polytechnischen Schule ward Arago zum Chef seiner Abtheilung ernannt und dachte nicht im Entferntesten daran, der Gelehrten-Laufbahn sich zu widmen. Der Tod des Astronomen Mechain, der nach Spanien geschickt war, um den Meridianbogen bis nach Formentera zu verlängern, hatte aber zur Folge, daß dessen Sohn, der an der Pariser Sternwarte Sekretär gewesen, sogleich seinen Abschied nahm, und man bot die Stelle dem jungen Arago an, der sie unter der Bedingung annahm, zur Artillerie zurückkehren zu dürfen, wenn und wann es ihm gefallen würde. Sein Name blieb daher einstweilen auf der Liste der Zöglinge der polytechnischen Schule stehen.
Der Dienst auf der Sternwarte brachte ihn in nähere Berührung mit dem berühmten Astronomen Laplace, der von vornherein ihm wohlwollte. »Ich fühlte mich glücklich und stolz,« berichtete Arago, »wenn ich in der Rue de Tournan bei dem großen Geometer speiste. Geist und Herz bewunderten und verehrten gern Alles an dem Manne, welcher die Ursache der Seculargleichung des Mondes Der Mond nähert sich im Laufe der Jahrhunderte der Erde, entfernt sich aber auch nach Jahrhunderten wieder von ihr; Lagrange und Laplace fanden die Ursache der säcularen Störungen in der Anziehung der Sonne auf den Mond. entdeckt hatte, welcher in der Bewegung dieses Gestirns die Mittel auffand, die Abplattung des Erdkörpers zu berechnen, und welcher aus vielem Anderen auch die großen Ungleichheiten (in der Bahn) des Jupiter und Saturn aus der allgemeinen Anziehung herzuleiten verstand. Wie groß aber war meine Enttäuschung, als ich einst bemerkte, wie Madame Laplace sich ihrem Gemahl näherte und sagte: ›Willst du mir wohl den Zuckerschlüssel anvertrauen?‹«
Bald nach Antritt seines Amtes auf der Sternwarte ward Arago, von Monge vorgeschlagen, auch als Mitarbeiter Biot's bei den Untersuchungen über die Refraktion der Gase angestellt und fand so Gelegenheit, mit diesem berühmten Akademiker über die Wiederaufnahme der durch den Tod Mechain's unterbrochenen Meridianbogen-Messung in Spanien sich zu besprechen. Beide legten ihren Plan Laplace vor, der ihn eifrig unterstützte und von der Regierung die nöthigen Geldmittel erwirkte. Biot, Arago und der spanische Kommissär Rodriguez reisten zu Anfang des Jahres 1806 von Paris ab, besuchten unterwegs die von Mechain bezeichneten Stationen, nahmen einige wichtige Aenderungen an dem Plane der Triangulation vor und begannen nun frisch die Arbeit.
Die Ausführung des Werkes war aber sehr schwierig. Der junge Gelehrte mußte Monate lang in den rauhen Gebirgen von Valencia, am Gipfel des Desierto de las Palmas hausen, unter sich das tosende Meer, um die Lichtsignale von der Insel Iviza zu erspähen; er mußte Tag und Nacht auf den Füßen sein, um die von den Stürmen niedergeworfenen Signale wieder aufzurichten. Die Einförmigkeit seines Aufenthalts ward nur vom Besuch spanischer Räuber und Karthäusermönche unterbrochen; doch der junge Mann behielt frohen Muth und setzte mit ausharrender Treue sein Tagewerk fort.
In Valencia erwartete er Biot, der es auf sich genommen hatte, neue Instrumente mitzubringen, mit denen sie die Polhöhe von Formentera bestimmen wollten. Zur Abwechslung besuchte er mit einem Landsmann den Jahrmarkt in Murviedro, dem alten Sagunt, und wurde von einer Französin, Fräulein B., eingeladen, bei ihrer Großmutter zu speisen. Beim Weggehen wurden die beiden Gäste benachrichtigt, daß dieser Besuch leicht die Eifersucht des Bräutigams jenes Fräuleins erregt haben könnte und daß sie darauf gefaßt sein müßten, er werde nach seiner Weise ihnen auflauern. Ohne Weiteres kauften sie bei einem Waffenschmied Pistolen und traten in einem von einem Maulesel gezogenen Wagen den Rückweg nach Valencia an. Unterwegs sagte Arago zu dem Fuhrmann: Isidor, ich habe Grund zu vermuthen, daß man uns anhalten wird; ich sage dir das, damit du nicht erschreckt wirst, wenn Schüsse aus der Kalesche fallen. Isidor, der nach Landessitte vorn auf dem Schwungbaume des Wagens saß, erwiederte: Ihre Pistolen, meine Herren, sind ganz unnöthig; es bedarf nur eines Schreies, damit mein Esel uns von zwei, drei und sogar vier Menschen befreie. Kaum eine Minute, nachdem der Kutscher dies gesagt hatte, standen zwei Männer vor dem Esel und hielten ihn an der Nase fest Im selben Augenblick stieß Isidor einen fürchterlichen Schrei aus, der durch Mark und Bein ging, den Schrei: Capitana! Fast senkrecht bäumte sich der Esel auf und hob einen der Männer mit sich empor; dann fiel er zurück und ging in vollem Galopp davon. Der Stoß des Wagens machte den darin Sitzenden sehr begreiflich, was so eben geschehen war. Ein langes Stillschweigen folgte, nur unterbrochen durch die Worte des Kutschers: Finden Sie nicht, meine Herren, daß der Maulesel besser ist, als Ihre Pistolen? Am anderen Tage hörte Arago vom General-Kapitän, Don Domingo Izquierdo, man habe auf dem Wege nach Murviedro einen zerschmetterten Menschen gefunden.
Ein guter Gelehrter verliert nie die Wissenschaft aus den Augen, das war auch bei Arago der Fall, der obendrein noch trotz seiner feurigen Natur die größte Selbstverleugnung übte. Er stattete mit seinem Kollegen Biot und dem französischen Vizekonsul Lamesse dem Erzbischof von Valencia einen Besuch ab, um durch ihn den Landgeistlichen empfohlen zu werden. Alles ging gut; aber seine Begleiter verließen den Empfangssaal, ohne dem Erzbischof die Hand zu küssen. »An mir Armen entschädigte er sich,« schreibt Arago; »eine Bewegung, die mir fast die Zähne eingeschlagen hätte und die ich berechtigt wäre, einen Faustschlag zu nennen, bewies mir, daß trotz aller Demuth der Franziskaner-General durch das ceremonielose Benehmen meiner beiden Begleiter beleidigt worden war. Fast hätte ich mich über die Heftigkeit beklagt, die er gegen mich ausließ, aber die Bedürfnisse unserer trigonometrischen Operationen im Auge behaltend schwieg ich. Uebrigens dachte ich auch, als die geballte Faust des Erzbischofs meine Lippen berührte, an die schönen optischen Versuche, welche man mit dem prachtvollen Stein, der seinen Hirtenring zierte, hätte anstellen können. Ich gestehe, daß dieser Gedanke mich während unseres ganzen Besuchs beschäftigt hatte.«
Biot kehrte schon im Jahre 1807 nach Paris zurück und Arago mußte das schwierige Werk allein zu Ende führen. Die Stimmung in ganz Spanien und auf den Balearen-Inseln war bereits für die Franzosen sehr gefährlich geworden. Arago hatte nicht weit von Palma, der Hauptstadt Majorka's, seine Station auf dem hohen Clop de Galazo bezogen. Das Volk glaubte nicht anders, als daß er sich dort aufgestellt habe, um der französischen Flotte Signale zu geben, und als vollends ein Ordonnanz-Offizier Napoleons, Herr Berthenie, in Palma landete, brach ein allgemeiner Aufstand los. Der Generalkapitän in Palma konnte das Leben Berthenie's nur retten, indem er ihn als Gefangenen in das Schloß Belver abführen ließ. Nun lief die Menge nach dem Berge, um Arago einzufangen, und kaum gelang es diesem, in vollem Laufe gleichfalls nach dem Schloß Belver zu entkommen; ein leichter Dolchstich hatte ihn in den Schenkel getroffen. Obwohl die beiden Franzosen für Gefangene galten, war ihr Leben doch nicht sicher; sie entschlossen sich zur Flucht und mit Hülfe und Einverständniß des Generalkapitäns entwischten sie auf einem bereit gehaltenen Schiffe nach Algier. Dort bemühte sich der französische Konsul, ihnen auf einem nach Marseille fahrenden Schiffe des Dey von Algier sichere Ueberfahrt zu verschaffen, er stellte ihnen falsche Pässe aus, welche Berthenie und Arago in zwei reisende Handelsmänner verwandelten – aus Schwechat und Leoben in Oesterreich. Das Schiff hatte unter Anderem zwei Löwen an Bord, welche als Geschenk dem Kaiser Napoleon überbracht werden sollten.
Schon waren die Reisenden im Busen von Lyon, als ein spanisches Raubschiff sie ereilte und sie nach der Festung Rosas zurückführte, wo Arago in eine alte halbabgetragene Windmühle gebracht wurde, um Quarantaine zu halten. Man hielt ihn für einen verkappten Spanier, der in den Dienst des Dey übergegangen sei und dem die Schiffsladung gehöre; die spanischen Behörden hatten nicht übel Lust, sein Schiff als der Krone Spanien verfallen zu konfisciren, und stellten mit Arago folgendes Verhör an. Man hatte, um vor jeder möglichen Ansteckung sicher zu sein, zwischen Windmühle und Strand zwei Seile gezogen; da der Entfernung willen laut gesprochen werden mußte, hatte sich eine zahlreiche Zuhörerschaft versammelt. Der Verhörsrichter hub an:
»Wer sind Sie?«
– Ein armer herumziehender Handelsmann.
»Wo sind Sie her?«
– Aus einem Lande, wo Sie sicher nie gewesen sind.
»Nun, welches Land ist es?«
Arago zögerte mit der Antwort, denn die Pässe, in Essig getaucht, hatte der Instruktionsrichter in Händen, und Arago hatte vergessen, ob er aus Schwechat oder aus Leoben wäre. Auf gut Glück sagte er endlich: »Ich bin aus Schwechat!« Diese Aussage stimmte glücklicher Weise mit der Angabe des Passes überein.
»Sie sind ebenso gut aus Schwechat, als ich selbst,« versetzte der Richter. »Sie sind ein Spanier und sogar ein Valencier, wie ich aus Ihrem Accent erkenne.«
– Wollen Sie mich strafen, mein Herr, weil mir die Natur die Gabe der Sprachen verliehen hat? Ich erlerne mit Leichtigkeit die Dialekte der Gegenden, in denen ich verweile. Habe ich doch auch den Dialekt von Iviza erlernt!
»Gut, ich will Sie beim Wort nehmen. Da sehe ich einen Soldaten aus Iviza, unterhalten Sie sich mit ihm!«
– Sehr gern, ich will sogar das Ziegenlied singen.
Je zwei Verse dieses Liedes, das alle Hirten auf der Insel singen, werden von einem Refrain, der das Blöken der Ziegen nachahmt, unterbrochen, und mit unendlicher Kühnheit sang der Mathematiker:
Ah graciada sennora
Una canzo bouil canta
Be be be be!
No sera gaira pulida
Nosé si vos agradara
Be be be be!
Ach, schöne Herrin, ein Lied will ich Euch singen; es wird wenig taugen, wenn es Euch nicht gefällt.
Und der Ivizaner, auf den das Ziegenlied einen Eindruck machte, wie auf den Schweizer der Kuhreigen, versicherte mit Thränen in den Augen, der Mann wäre sicherlich aus Iviza.
Arago seinerseits versicherte, er wolle auch mit einem Franzosen die Probe bestehen, und dieser werde ihn ebenso für einen geborenen Franzosen halten. Ein alter Offizier vom Regimente Bourbon erbot sich auf der Stelle dazu, und kaum hatten sie einige Sätze gesprochen, so versicherte der Veteran fest, man habe es mit einem Franzosen zu thun.
Ungeduldig brach der Richter das Verhör ab, der arme Arago mußte aber, von spanischen Soldaten bewacht, auf ärmlichem Strohlager und vom Ungeziefer gepeinigt, in seiner Windmühle Gefangener bleiben. Seine Papiere mit den wissenschaftlichen Notizen trug er auf bloßem Leibe. Vergeblich wandte er sich an den Kapitän eines englischen Schiffs. Endlich kam er auf den Gedanken, an den Dey zu schreiben. Die Löwen sollten ihn aus der Noth retten. Er berichtete dem Dey von Algier, wie man sein Schiff unrechtmäßiger Weise festgenommen habe und daß einer der Löwen umgekommen sei. Ueber diese Nachricht ward der afrikanische Herrscher wüthend; er drohete den Spaniern mit Krieg. Da ward das Schiff und mit ihm Arago entlassen; man segelte wieder der französischen Küste zu. Schon zeigten sich die weißen Landhäuser auf den Hügeln von Marseille, da erhob sich ein schrecklicher Sturm – das Schiff ward nach Budschia verschlagen, an der Küste von Afrika. Unter unsäglicher Mühsal und Gefahr wanderte Arago nach Algier, wo er am Weihnachtstage 1808 anlangte. Neue Ueberraschung! Der alte Dey, der Löwenfreund, war unterdessen enthauptet worden, sein Nachfolger wird strangulirt und Arago wohnt dessen Erwürgung bei. Der neue Dey stellte an die französische Regierung eine Forderung von 2 bis 300,000 Franken, welche dieselbe nach seiner Meinung ihm schuldig sei. Der französische Konsul in Algier erwiderte, er habe Befehl vom Kaiser, keinen Pfennig zu zahlen. In Wuth gesetzt, beschloß der Dey eine Kriegserklärung und drohte, alle anwesenden Franzosen als Sklaven in den Bagno zu stecken. Doch trieb man dies Mal die Dinge nicht aufs Aeußerste; aber erst im Juni gelang es Arago, aus der Piratenstadt zu entkommen. Wind und Wetter waren günstig und am 2. Juli 1809 stieg er aus dem Hafen von Marseille an's Land. Der erste Brief, den er erhielt, war – von Alexander v. Humboldt, aus Paris datirt, worin ihm der berühmte deutsche Gelehrte seinen Glückwunsch darbrachte wegen der Beendigung so vieler und gefährlicher Abenteuer und ihm zugleich seine Freundschaft anbot. Der Freundschaftsbund dieser Männer war damit geknüpft und blieb fest bis an den Tod.
Arago war 23 Jahr alt, als er (am 18. Septbr. 1809) von seiner mühe- und gefahrvollen Reise mit den Instrumenten, die er durch alle Fährlichkeiten gerettet hatte, nach Paris zurückkehrte. In gerechter Anerkennung seiner Verdienste erwählte man ihn, an des verstorbenen Astronomen Lalande's Stelle, zum Mitgliede der Akademie – die höchste Ehre, welche französischen Gelehrten zu Theil werden kann. Einigermaßen burlesk war die Vorstellung am Hofe Napoleons. Die Mitglieder des Instituts mußten stets, wenn er ihrer Berufung seine Bestätigung ertheilt hatte, sich dem Kaiser präsentiren. In der Uniform ihrer grünen Röcke begaben sich dann der Präsident der Akademie, die Sekretäre aller vier Klassen und diejenigen Mitglieder, welche besondere neu veröffentlichte Arbeiten dem Staatsoberhaupt darbringen wollten, in einen Saal der Tuilerien, den der Kaiser durchschritt, wenn er aus der Messe kam. Der freiheitsmuthige Arago war von dem Schauspiel nicht besonders erbaut, um so weniger, als er den Eifer sah, mit welchem die Mitglieder des Instituts sich bemerklich zu machen suchten. Er berichtet von der Vorstellung:
»Sie sind sehr jung!« sagte Napoleon, sich Arago nähernd, und ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er hinzu: »Wie heißen Sie?« Der Nachbar zur Rechten ließ dem jungen Akademiker keine Zeit zur Antwort und sagte eiligst: Er heißt Arago.
»Mit welcher Wissenschaft beschäftigen Sie sich?«
Sogleich erwiederte der Nachbar zur Linken: Er treibt Astronomie!
»Was haben Sie geleistet?«
Der Nachbar zur Rechten, unwillig, daß der Nachbar zur Linken ihm sein Recht auf die zweite Frage verkümmert hatte, nahm hastig das Wort und sagte: Er hat kürzlich den spanischen Meridian gemessen!
Der Kaiser, der nun ohne Zweifel vermuthete, daß er einen Stummen oder Einfältigen vor sich habe, wendete sich zu einem anderen Mitgliede des Instituts. Dieß war kein Neuling, sondern ein durch schöne und wichtige Entdeckungen bekannter Naturforscher; es war Lamarck. Der Greis überreichte dem Kaiser ein Buch.
»Was ist das?« fragte Napoleon. »Das ist Ihre abgeschmackte Meteorologie, das ist das Buch, in dem Sie mit Matthias Laensberg konkurriren, das Jahrbuch, das Ihre alten Tage entehrt. Treiben Sie Naturgeschichte, dann will ich Ihre Erzeugnisse mit Vergnügen in Empfang nehmen. Diesen Band hier nehme ich nur aus Achtung vor Ihren weißen Haaren an. – Nehmen Sie!« und er gab das Buch einem Adjutanten.
Der arme Lamarck hatte sich nach jedem von diesen heftigen und beleidigenden Sätzen vergeblich angestrengt, die Worte hervorzubringen: »Es ist ein naturgeschichtliches Werk, das ich Ihnen überreiche.« Zuletzt war Lamarck schwach genug, in Thränen auszubrechen.
Unmittelbar darauf stieß der Kaiser auf einen kräftigen Lanzenbrecher, es war Lanjuinais. Dieser war vorgetreten, ein Buch in der Hand. Napoleon sagte zu ihm hohnlächelnd: »Will sich denn der ganze Senat in das Institut stürzen?«
»Sire,« erwiederte Lanjuinais, »der Senat ist diejenige Körperschaft im Staate, die am meisten Zeit hat, sich mit Literatur zu beschäftigen.«
Unzufrieden mit der Antwort wandte sich der Kaiser schnell von den bürgerlichen Uniformen ab und trat unter die Hofuniformen mit dicken Epauletten, welche den Saal anfüllten.
Der Aufnahme in die Akademie folgte bald die Ernennung zum Professor der Mathematik an der polytechnischen Schule an die Stelle des ausgezeichneten Professor Monge. In dem prachtvollen Hörsaal der Pariser Sternwarte hielt er von 1812 bis 1845 die öffentlichen Vorlesungen über Astronomie, welche von allen Klassen der Gesellschaft gern und mit hohem Interesse besucht wurden. Immerfort bemüht, dem gebildeten Publikum so rasch als möglich die neuen Entdeckungen und Fortschritte in der Wissenschaft mitzutheilen, gründete er im Jahre 1816 mit Gay-Lüssac die Annalen der Physik und Chemie und bestimmte die Akademie, vom Jahre 1835 ab ihre wöchentlichen Rechenschaftsberichte ( Comptes rendus hebdomaires de l'Académie des Sciences) zu veröffentlichen. Im Jahre 1830 ward Arago zum Direktor des Observatoriums und an Stelle Fourier's zum immerwährenden Sekretär der Akademie ernannt.
In seiner höchst merkwürdigen Regsamkeit und Schnellkraft des Geistes und seinem nie zu ermüdenden Fleiß blieb er der massenhaften Arbeit gewachsen, die einen Mann mit gewöhnlicher Kraft bald aufgerieben haben würde. Von den vielen im Institut gelesenen Arbeiten und sonstigen Untersuchungen sei hier nur folgender astronomischer Denkschriften Erwähnung gethan: »Ueber die Kometen mit kurzer Umlaufszeit«, »Ueber Chronometer«, »Ueber die Doppelsterne«, »Ueber die Frage, ob der Mond einen merklichen Einfluß auf unsere Erde übe«. Von meteorologischen Abhandlungen: »Ueber die Theorie der Thaubildung«, »Ueber die Nebel, die an heiteren Abenden nach Sonnen-Untergang am Ufer der Seen und Flüsse aufsteigen«. Alexander von Humboldt sagt in der Einleitung zu den sämmtlichen Werken Arago's: »Seine großen Entdeckungen fallen in die Jahre 1811, 1820 und 1824; sie betreffen die Optik, die Erscheinungen der Physik des Himmels, der Elektrizität in Bewegung, der Erregung des Magnetismus durch Rotation. Sie sind, um sie einzeln genau zu bezeichnen: 1) die Entdeckung der farbigen oder chromatischen Polarisation des Lichts; 2) die genaue Beobachtung der Verrückung der farbigen Streifen, hervorgebracht durch die Begegnung zweier Lichtstrahlen, wenn einer derselben eine dünne durchsichtige Lamelle, etwa Glas, durchläuft: eine Erscheinung, welche Abnahme der Geschwindigkeit, eine Verzögerung während des Durchgangs beweist und in direktem Widerspruch steht mit der Emissionstheorie; 3) die Beobachtung der Eigenschaft, vermöge welcher der Leitungsdraht der Elektrizität in Oersted's Versuchen Eisenfeilspähne anzieht. Es war ein glücklicher Gedanke Arago's, den Strom in einer Spirale um die Nadel zu führen und Eisen zu magnetisiren. 4) Die Entdeckung des Rotationsmagnetismus.«
Die Entdeckung der chromatischen Polarisation führte Arago auf die Erfindung des Polariskops, des Photometers, des Cyanometers und mehrerer Apparate, die beim Studium optischer Phänomene in Anwendung gebracht werden. Solche Versuche über chromatische Polarisation machten es Arago schon vor dem Jahre 1820 möglich, physikalisch festzusetzen, daß das Sonnenlicht nicht von einer glühenden, festen oder flüssigen Masse ausgesendet wird, sondern von einer gasartigen Hülle. Nachdem das Mittel entdeckt war, direktes Licht von reflektirtem zu unterscheiden, hat man mit Sicherheit erkannt, daß das Licht der Kometenschweife theilweis polarisirt ist und also nothwendig einestheils in erborgtem Lichte glänzt. Auch das Flimmern der Sterne war nun erklärt, indem die Strahlen der Sterne nach ihrem Durchgange durch die verschieden dichten, feuchten und erwärmten Schichten der Atmosphäre verschieden gebrochen werden und sich zu einem Bilde vereinen, sich durch Interferenz verstärken oder gegenseitig aufheben und so in schwingende Bewegung gerathen.
Als der englische Physiker Wheatstone einen höchst sinnreich konstruirten Dreh-Apparat erfunden hatte (1835), um die Geschwindigkeit des elektrischen Lichtes zu messen, zog Arago alsbald die Konsequenz desselben Princips, indem er durch Winkel-Ablenkung den Unterschied der Lichtgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit und in der Luft veranschaulichte.
Den Rotationsmagnetismus entdeckte Arago – wie Alexander von Humboldt berichtet – am Abhange des schönen Hügels von Greenwich, als er im Verein mit Biot und Humboldt in England eine nähere Untersuchung der Pendelschwingungen vornahm. Er machte die höchst wichtige Bemerkung, daß eine in Unruhe versetzte Magnetnadel sich in der Nähe metallischer oder nicht metallischer Körper in kürzerer Zeit beruhigt, als wenn sie von diesen entfernt ist. Diese erste Bemerkung führte ihn durch scharfsinnige Kombination im Jahre 1825 auf die Erklärung der Erscheinungen, welche aus der Einwirkung rotirender Scheiben auf stillstehende Nadeln hervorgehen, sowie des Einflusses, den Wasser, Eis, Glas auf die Nadeln ausübt.
Neben solchen tief gehenden Arbeiten hielt er noch eine Reihe akademischer Gedächtnißreden auf die berühmtesten Naturforscher und Mathematiker und schrieb biographische Abhandlungen, die sich alle durch Klarheit wie durch Wärme und Unparteilichkeit auszeichnen, wenn es ihm auch in seiner Lobrede auf James Watt begegnet, daß er dem jedenfalls verdienstvolleren Engländer den Franzosen Papin gleichstellt.
Daß ein so regsamer, dem Leben zugewandter Geist wie Arago auch dem politischen Leben seines Volkes nicht gleichgültig zuschauen konnte, verstand sich von selber. Er war mit Leib und Seele Republikaner und hat unter den verschiedenen Regierungsformen, welche Frankreich nacheinander erhielt, seinen Charakter nie verleugnet. Während der Julirevolution that er sich dadurch hervor, daß er sich im hitzigsten Straßengefecht nach den unter Marschall Marmont von der königlichen Garde besetzten Tuilerien begab und die Einstellung des seit drei Tagen fortgesetzten Feuerns verlangte. Diese Entschlossenheit hat das Volk in dankbarem Andenken behalten. Als Deputirter unter dem Königthum Louis Philipps hielt er eine große Anzahl von Reden in der Kammer, von denen Cormenin sagt: »Es liegt in seiner Beweisführung etwas Klares. Seine Ausdrucksweise ist so deutlich, daß man das Gefühl hat, als ströme Licht aus seinen Augen, von seinen Lippen, ja von seinen Fingern.« Trotz diesem Lob muß aber doch eingestanden werden, daß Arago in der Politik nur Dilettant blieb und zum Staatsmann keine besonderen Anlagen hatte.
Im Jahre 1840 ward Arago zum Mitglied des Departementalraths der Seine erwählt und in dieser Stellung konnte er seine Fachwissenschaft für die Bedürfnisse der Stadt auf die mannigfaltigste Weise praktisch verwerthen. Als im Jahre 1848 die Revolution ausbrach, welche dem Juli-Königthum des Hauses Orleans ein Ende machte, ward Arago interimistischer Kriegs- und Marineminister der provisorischen Regierung und vertrat als solcher entschieden die Grundsätze gesetzlicher Ordnung gegen zügellose demokratische und sozialistische Umtriebe. In den unglücklichen Junitagen zeigte er abermals seinen persönlichen Muth in den Straßen von Paris und suchte, obwohl vergeblich, dem Aufstand Einhalt zu thun. Der Ausgang der Straßenschlacht hatte aber zur Folge, daß ein reaktionäres Ministerium an's Ruder kam und Arago vom politischen Schauplatz abtrat. Nach dem Staatsstreich Louis Napoleons vom 2. Dezember 1852, welcher mit Hülfe des Militärs die Republik tatsächlich vernichtete, war Arago entschlossen, seine Stelle als Direktor der Sternwarte niederzulegen, weil er Louis Napoleon nicht den amtlichen Eidschwur leisten mochte. Was bei Anderen Verbannung zur Folge hatte, sollte aber einem so berühmten und beim französischen Volke so beliebten Gelehrten wie Arago ungestraft hingehen. Der Unterrichtsminister sandte dem Astronomen auf dessen Absagebrief folgende verbindliche Antwort:
»Mein Herr! Als Sie sich am 9. Mai mit Ihrem Gesundheitszustand entschuldigten, nicht mit Ihren Kollegen vom Längen-Bureau zur Eidesleistung erscheinen zu können, hatten Sie mich zu dem Glauben berechtigt, daß Sie sich einer durch die Verfassung allen Staatsbeamten auferlegten Verpflichtung nicht entziehen würden. Ihr zweiter Brief, der dasselbe Datum trägt und den ich später empfangen habe, läßt mir diese Hoffnung nicht. Ohne mich bei der veränderten Sprache, die man darin zu bemerken nicht umhin kann, noch bei den wenig gemessenen Ausdrücken, die ich mit Verwunderung dieß Mal unter Ihrer Feder traf, aufzuhalten, habe ich die Befehle des Prinzen einholen müssen, bevor ich Ihre Entlassung annahm. Der Präsident der Republik hat mich beauftragt, eine Ausnahme zu Gunsten eines Gelehrten zuzulassen, dessen Arbeiten Frankreich geziert haben und dessen Existenz seine Regierung nicht trüben will. Die Ihrem Brief gegebene Oeffentlichkeit wird an dem Entschluß, den ich mich geehrt fühle Ihnen zu übermachen, nichts ändern. Empfangen Sie, mein Herr, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
H. Forteul.«
Für eine Republik, wie sie Arago sich dachte und mit heißer Seele herbeiwünschte, war Frankreich nicht gemacht; aber daß nun seine politischen Ideale vollständig scheiterten und ein zweiter Napoleon das französische Volk wieder unter seine Alleinherrschaft beugte: das ging dem für den Absolutismus nicht geschaffenen Mann schwer zu Herzen, und es erleidet wohl keinen Zweifel, daß das politische Geschick seines Vaterlandes viel zum schnelleren Verfall seiner körperlichen Kräfte beitrug. Er starb unter den Erscheinungen einer allgemeinen Wassersucht am 3. Oktober 1853.
Sein Leichenbegängniß war ausgezeichnet durch die Theilnahme von Tausenden; es mochten sich trotz des anhaltenden strömenden Regens wohl 15,000 Personen eingefunden haben. Um Demonstrationen von Seiten der demokratischen Partei niederzuhalten, hatte die Regierung Louis Napoleons Sorge getragen, daß die Polizei mit starker Mannschaft überall gegenwärtig war. Ihr bester Verbündeter war jedoch der sündfluthartige Regen. In der Rue St. Victor schnitt die Polizei drei Viertheile des Zuges ab. Als dann das eigentliche Trauergefolge auf dem Bastilleplatze vor der Juliussäule ankam, wo eine zahlreiche Schaar von Arbeitern versammelt war, entblößte die ganze Versammlung das Haupt, und diese den Erinnerungen der Julius-Revolution dargebrachte Huldigung war um so eindringlicher, als sie in Gegenwart des Marschalls Vaillant und des Ministers Ducos Statt fand, die vom Staatsoberhaupt ausdrücklich abgesandt waren, um dem ruhmwürdigen Todten den Zoll der Hochachtung darzubringen. Genannte beide Würdenträger, die drei oder vier Bataillone Fußvolk, die zwei Schwadronen Reiter, welche die Bedeckung bildeten, wurden nicht wenig von der Demonstration überrascht. Die Feierlichkeit, welche mit dem Gottesdienste um 11 Uhr begann, war erst Nachmittags um 4 Uhr zu Ende. Arago's Asche ruht auf dem Père La Chaise.
Der große Gelehrte war Mitglied fast aller gelehrten Gesellschaften Europa's und stand auch mit allen in Verkehr. Er war Ritter der Ehrenlegion. Als Entdecker des durch Drehung entwickelten Magnetismus war er der erste Franzose, dem die von Copley gestiftete Preismedaille zuerkannt wurde. Als Friedrich Wilhelm IV. die Friedensklasse des Verdienstordens stiftete, ward Arago alsbald unter die Ordensritter aufgenommen. Von der Universität Edinburgh war er bei seiner Anwesenheit in Schottland zum Doktor der Rechte, von den Städten Edinburgh und Glasgow zum Ehrenbürger ernannt worden.