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siehe Bildunterschrift

David Garrik. Portrait von Angelica Kauffmann

Garrik.

Leben von David Garrik. Aus dem Englischen des Herrn Davies. 2 Theile (Leipzig 1782).


David Garrik, der größte Mime Englands, vielleicht aller Zeiten und Völker, ward am 20. Februar 1716 in einer Schenke zu Heresford, wo sein Vater als Kapitän auf Werbung lag, geboren. Seine Familie stammte aus der Normandie und schrieb sich ursprünglich la Garrique. Der Großvater war nach Aufhebung des Ediktes von Nantes nach England geflüchtet, um in dem freien Lande eine Zuflucht zu suchen; der Vater hatte bei der Armee die Stelle eines Kapitäns erlangt und hielt sich größtentheils zu Lichfield auf. Die Mutter Garriks, Tochter eines Predigers im Lichfield'schen Kirchsprengel, war nicht durch Schönheit, wohl aber durch ein liebenswürdiges feines Wesen im Umgange und eine muntere Unterhaltung ausgezeichnet und wetteiferte mit dem Kapitän in einem leutseligen Betragen, so daß das Garrik'sche Ehepaar in den besten Familien von Lichfield stets willkommen war.

Der junge Garrik war ein lebhafter drolliger Knabe, welcher Jeden anzog, der mit ihm näher bekannt wurde. Namentlich verkehrte ein Herr Walmsley, erster Sekretär des geistlichen Gerichts zu Lichfield, gern mit dem kleinen David, und er würde ihm einen Theil seines Vermögens vermacht haben, wenn er sich nicht im vorgerückten Alter noch vermählt hätte. Zum Lernen war jedoch der lebhafte Knabe von vorn herein wenig aufgelegt. Als er das zehnte Jahr erreicht hatte, brachte man ihn auf die Gemeindeschule zu Lichfield; aber lieber als das Bücherlesen war ihm die Gesellschaft, nicht bloß seiner Altersgenossen, sondern auch der Erwachsenen, weil er bereits damals fühlte, daß er dort das ihm eigenthümliche Talent geltend machen könne. Seine witzigen Antworten, seine lustigen Einfälle und besonders die Art, wie er die gehörten Geschichten wieder erzählte, zeichneten ihn vor den übrigen Kindern aus, und seine Neigung für theatralische Vorstellungen war nicht zu verkennen. Bald nach zurückgelegtem elften Jahre unternahm er es schon, selber eine Komödie von Knaben und Mädchen zur Aufführung zu bringen. Nachdem er seine und seiner Gesellschaft Fähigkeiten zuvor einigermaßen versucht und die Erlaubniß der Eltern zu erhalten gewußt hatte, wählte er ein damals beliebtes Stück, den »Werbeoffizier«; eine seiner Schwestern mußte das Kammermädchen spielen, und den »Sergeant Kite«, einen Charakter von geschäftiger Hast und wilder Laune, wählte er für sich selbst. Der nachmals so berühmte Samuel Johnson, damals noch ein Jüngling, ward um einen Prolog gebeten, schlug aber die Bitte ab, trotzdem, daß er den kleinen Garrik sonst sehr lieb hatte. Der letztere wußte sich indeß zu helfen und das Stück ward auf eine andere Art gespielt, welche die Erwartung der Zuschauer bei Weitem übertraf, so daß noch lange nachher Kite's Leichtigkeit, Lebhaftigkeit und Laune ein Gegenstand der Bewunderung war.

Nicht lange nach dieser für Garrik sehr bedeutsamen Begebenheit ward er von seinem Oheime, einem reichen Weinhändler in Lissabon, zu einem Besuche eingeladen; vielleicht hatte der Mann den Plan, seinen Neffen zur Uebernahme des Weingeschäftes heranzubilden; aber er überzeugte sich bald, daß dessen lustiges Wesen und geistreiche Lebhaftigkeit sich nicht mit strenger und trockener kaufmännischer Arbeit vertrug, und Garrik blieb nur ein Jahr lang in Lissabon. Während dieser Zeit war er in vielen Familien bekannt und beliebt und namentlich oft von englischen Kaufleuten eingeladen worden, bei denen er speiste. Nicht selten geschah es, daß man ihn nach Tische auf die Tafel hob, um Verse und Szenen aus bekannten Schauspielen herzusagen. Auch mit jungen Portugiesen und zwar aus den höchsten Ständen pflegte er lebhaften Verkehr.

Sobald er nach England zurückgekehrt war, schickte ihn der Vater sogleich wieder in die Schule von Lichfield; doch sein Temperament war zu flüchtig, sein Gemüth zu unbeständig, als daß er hätte nur etwas Befriedigendes in den Schulwissenschaften leisten können. Zum Glück war noch Samuel Johnson in Lichfield, mit welchem er häufig zusammen kam, und der ihn später auch unter die Zahl seiner Schüler aufnahm, um ihn mit den griechischen und römischen Klassikern bekannt zu machen. Johnson strömte über von Gelehrsamkeit und theilte die feinsten Bemerkungen über den Geist und die Eigenthümlichkeit der Alten mit; sein zerstreuter flüchtiger Freund zog jedoch wenig Nutzen davon und seine Gedanken waren einzig mit der Bühne beschäftigt und mit der Ausarbeitung von Schauspielen. Nach einem Versuch von sechs Monaten ward es Johnson überdrüssig, die alten Schriftsteller drei oder vier Schülern zu erklären, und er und sein Zögling Garrik beschlossen, ihr Glück in der großen Hauptstadt zu versuchen.

Garrik war kaum in London angekommen, als er sich in Lincolns-Ian einschreiben ließ. Sein alter Gönner Walmsley hatte ihm folgenden Empfehlungsbrief an Professor Kolson mitgegeben:

 

»An Herrn Kolson.

Lichfield, 1737.

Mein alter theurer Freund.

Da ich seit dem Jahre 31 nicht in der Stadt gewesen bin, so werden Sie sich um so weniger wundern, einen Brief von mir zu erblicken; aber ich habe das Vergnügen, bisweilen von Ihnen in den gedruckten Blättern zu hören, und freue mich zu wissen, daß Sie täglich fortfahren, dem Reiche der Wissenschaften schätzbare Beiträge zu liefern.

Indessen ist gegenwärtige Gelegenheit meines Schreibens eine Gefälligkeit, um welche ich Sie zu bitten habe. Mein Nachbar, Kapitän Garrik, ein braver würdiger Mann, hat einen Sohn, der ein verständiger Jüngling und guter Schüler ist, welchen der Kapitän in ungefähr zwei oder drei Jahren auf die Universität schicken und die Rechte erlernen lassen will; allein gegenwärtig will ihm die Beschaffenheit seines Vermögens nicht erlauben, seinen Sohn dahin zu schicken. Ich habe vorgeschlagen, denselben Ihnen, wenn Sie es zufrieden sind, anzuvertrauen und Ihrem Unterrichte in der Mathematik, der Philosophie und den gelehrten Kenntnissen zu übergeben. Er ist jetzt neunzehn Jahr alt, von einem anständigen und guten Charakter, und ein so aufgeweckter vielversprechender Jüngling, als ich je einen gekannt habe. Einiger Unterricht von Ihrer Seite wird hinreichend sein, und in den Zwischenstunden der Arbeit werden Sie an ihm einen angenehmen Gesellschafter finden. Sein Vater wird Ihnen mit Vergnügen, wieviel Sie fordern, wenn es in seinen Kräften steht, bezahlen. Ich selber werde mich Ihnen hierbei für sehr verpflichtet halten.

Gilb. Walmsley.«

 

Garrik, seiner beschränkten Mittel wegen, zog jedoch erst im folgenden Jahre (1738) in das Haus des Herrn Kolson, nachdem ihm sein Oheim, der unterdessen nach London gekommen und nach kurzer Krankheit daselbst gestorben war, 1000 Pfund vermacht hatte. Der Unterricht eines so scharfsinnigen Denkers konnte nicht ohne heilsamen Einfluß bleiben, aber der Punkt, um den sich Garriks Denken und Streben bewegte, blieb nach wie vor die Bühne, und als er in kurzer Zeit auch die Eltern durch den Tod verlor, zögerte er nicht länger mit Ausführung eines schon lange genährten Planes – unter die Schauspieler zu gehen. Zuvor hatte er noch einen Versuch gemacht, mit seinem Bruder Peter in Gemeinschaft eine Weinhandlung zu begründen, der aber gänzlich mißglückte. So wandte sich nun Garrik im Ernst derjenigen Beschäftigung zu, die er über Alles liebte, und in welcher Großes zu leisten ihn die Natur bestimmt hatte.

Zunächst besuchte er fleißig die Gesellschaften der besten Schauspieler, verschaffte sich auch Zutritt bei den Vorstehern der Bühnen und versuchte sein Talent im Hersagen einzelner Lieblingsstellen aus verschiedenen Schauspielen. Dann und wann beschäftigte er sich auch mit pantomimischen Uebungen, um seine Gabe der Nachahmung zu entwickeln. Daneben schrieb er Beurtheilungen über das Spiel und den Ausdruck der Schauspieler und ließ diese kleinen Aufsätze in öffentliche Blätter einrücken. Es waren darin sehr feine Bemerkungen und gute Gedanken ausgesprochen, frei von allen plumpen bloß persönlichen Angriffen, wie sie später üblich wurden.

Garriks bescheidenes Mißtrauen gegen sich selber hielt ihn ab, seine Kräfte sogleich auf dem londoner Theater zu versuchen; er benutzte vielmehr eine Gelegenheit, sein theatralisches Probejahr bei einer Gesellschaft von Schauspielern durchzumachen, die sich im Jahre 1741 nach Ipswich wandte, und die ihn unter dem Namen Lyddal als Mitglied aufnahm. Mit großem Beifall trat er in verschiedenen Stücken auf, und gab die verschiedensten Charaktere mit großer Wahrheit; er versuchte selbst die muthwillige Geschäftigkeit des Arlequins, unter beständigem Beifallsruf des Publikums.

Nachdem das Probejahr glücklich abgelaufen war, trat er am 19. Oktober 1741 zum ersten Mal in London auf der Bühne in Goodmansfield als Richard III. auf. Er hatte nach reiflicher Erwägung gerade diese Hauptrolle eines Stückes gewählt, welches immer den Beifall der Nation gehabt, weil es so voll ist von ergreifenden Szenen aus der englischen Geschichte und der eigenthümlichen Landessitte. Richard paßte sehr gut zu Garriks Gestalt; die verschiedensten Leidenschaften, welche durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz der Handlung noch mehr gehoben werden, boten dem Darsteller die Gelegenheit, seinen inneren Reichthum in langer ununterbrochener Reihenfolge zu entfalten. Seine leichte, natürliche und doch kräftige Weise in Sprache und Spiel setzte anfangs die Kunstrichter, denen eine solche Darstellung etwas ganz Neues war, in einige Verlegenheit. Sie waren lange an eine Erhebung der Stimme mit plötzlichem mechanischen Fall der Töne, wodurch der Beifall gleichsam herausgefordert werden sollte, gewöhnt worden. Die einfache natürliche Aussprache der Worte, begleitet von einem entsprechenden Gesichtsausdruck, war nicht mehr gehört und gesehen worden, bis sie nun in Garrik mit voller Macht der Natur hervortrat. Das Erstaunen und die Bewunderung stieg mit jeder Szene, und ganz besonders eindringlich war der Augenblick, wo der Schauspieler den Heuchler und Staatsmann fallen ließ und den Helden und Krieger offenbarte. Das Stück mußte siebenmal hintereinander gegeben werden. Der Beifall, welchen der junge Schauspieler erhielt, war so allgemein, daß die größeren Theater in Drurylane und Coventgarden leer standen, und Goodmansfield plötzlich den Glanz der feinsten Gesellschaft von Grosvenor-Square und St. James zeigte. Selbst die, welche für die besten älteren Schauspieler eingenommen waren, bekannten, daß die Mannigfaltigkeit und Wahrheit im Spiel Garriks Alles überträfe, was sie bis dahin gesehen. Garrik verbannte alles Schellende, Aufgedunsene, Verzogene und Uebertriebene, setzte dagegen Natur, Leichtigkeit, anständige Einfalt und echte Laune wieder in ihre Rechte ein.

Sein wöchentlicher Gehalt war anfangs sehr mäßig, und betrug nicht über 6 bis 7 Pfund. Allein, als es offenbar ward, daß die so ansehnlich steigende Einnahme der Kasse vorzüglich, wo nicht ganz allein dem Wirken Garriks zuzuschreiben sei, ward der Inhaber des Theaters mit ihm einig, die volle Hälfte der reinen Einnahme ihm zu bewilligen. Zugleich bot aber auch der Vorsteher des Drurylane-Theaters Alles auf, Garrik für seine Bühne zu gewinnen, indem er ihm einen festen Gehalt von jährlich 500 Pfund und die Hälfte der Einnahme bei einigen Hauptrollen zusicherte. Garrik hatte kaum diesen Vertrag abgeschlossen, als er einen Antrag erhielt, während der drei Sommermonate Juni, Juli und August in der Hauptstadt von Irland zu spielen, wohin er sich im Juni 1742 begab.

Der Beifall, den er in Dublin erntete, übertraf alle Erwartungen; er ward wie ein Wunder angestaunt und verehrt. Das Schauspielhaus war in den heißesten Tagen mit Zuschauern angefüllt, welche selbst ihre Gesundheit auf's Spiel setzten – es herrschte eine epidemische Krankheit, – um des Genusses, Garrik zu sehen und zu bewundern, theilhaftig zu werden. Die Epidemie, welche Viele hinwegraffte, ward zum Spott das »Garriksfieber« genannt. Der gefeierte Bühnenheld war aber gleich erfreut über den beträchtlichen Gewinn seines Sommerfeldzugs, wie über die freundliche zuvorkommende Aufnahme, die er namentlich bei dem Adel Irlands gefunden hatte; er kehrte nach London zurück, um sein Spiel auf dem Drurylane-Theater fortzusetzen.

Eine seiner Hauptrollen war Hamlet. Wenn Garrik zuerst den Geist erblickte, verbreitete sich der Schrecken, von dem man ihn ergriffen sah, augenblicklich auf alle Zuschauer. Seine Reden mit der Erscheinung waren zwar lebhaft und hastig, aber doch stets durch kindliche Ehrfurcht gemäßigt. Der Fortgang dieses leidenschaftlichen Auftritts bis zu dem Augenblicke, da der Geist ihn mit sich kommen heißt, war von Schrecken und Ehrfurcht begleitet. Sein Nachgeben gegen die wiederholten Aufforderungen des Geistes, der ihn durch seine Geberden mitzugehen befiehlt, war heftig entschlossen; seine wirkliche Begleitung furchtsam und zitternd, so daß in dieser entscheidenden Szene ganz der innerlich schwankende, mehr auf Reflexion als Thatkraft ruhende Charakter Hamlets hervortrat. Der Beifall, welchen die Zuschauer durch das lauteste Klatschen bezeigten, ward so lange fortgesetzt, bis Hamlets Rückkehr mit dem Geiste das Geräusch unterbrach.

Um sich von den anstrengenden tragischen Rollen zu erholen und auch die Kraft seiner Komik zu zeigen, wählte Garrik auch einige niedrig komische Rollen, wie Abel Druggar in Johnsons Alchymisten. Dieser Spießbürger war bisher meist zur Karikatur verzerrt worden, die der Wirklichkeit nicht entsprach. Garriks Darstellung war viel einfacher. Er zeigte in dem Augenblicke, da er auf die Bühne trat, eine solche Einfalt und seine Blicke sprachen so glücklich den unwissenden, selbstsüchtigen und abgeschmackten Tabakskrämer aus, daß es schwer war zu bestimmen, ob der Sturm des Lachens oder des Beifalls sich am lautesten hören ließ. Auch hielt sich Garrik während des ganzen Spiels genau und ohne Uebertreibung an die bescheidene Farbenmischung der Natur, er verstand die schwere Kunst, den Charakter beständig und gleichförmig zu erhalten.

Unterdessen waren die Vermögensumstände des Theaterinhabers immer mißlicher geworden; derselbe verkaufte sein Privilegium an zwei Banquiers, Garrik aber hütete sich wohl, bei diesem Handel sich zu betheiligen, und ging abermals nach Dublin, um dort eine Reihe von Vorstellungen zu geben. Ueberhäuft von den Schmeicheleien aller Stände und bereichert mit einem ansehnlichen Geldgewinn, kehrte er im Mai 1746 wieder nach London zurück. Nachdem er eine Zeit lang das Coventgarden-Theater durch sein Spiel in Aufnahme gebracht, bot ihm Lacy, der Aufseher des Drurylane-Theaters, die Hälfte seines Privilegiums an, und durch Bezahlung der geringen Summe von 8000 Pfund ward Garrik (Anfang April 1747) mit Lacy gemeinschaftlicher Inhaber des Theaters. Sie hatten den Vertrag so entworfen, daß keiner in die Geschäfte des andern eingreifen sollte. Lacy übernahm die Besorgung der Kostüme, Dekorationen und die Verwaltung der ökonomischen Angelegenheiten, während Garrik das wichtigere Geschäft, mit Schriftstellern Unterhandlung zu pflegen, Schauspieler anzuwerben, die Rollen auszutheilen, die Proben zu leiten, besorgte. Außerdem daß er mit Lacy die Hälfte des Gewinnes theilte, bekam er aber noch als Schauspieler jährlich 500 Pfund, und seine Thätigkeit bei Abänderung älterer Stücke oder Abfassung neuer wurde gleichfalls besonders honorirt.

Das Vertrauen, welches die Schauspieler in Garriks Fähigkeiten setzten, war so groß, daß die vorzüglichsten sich zum Drurylane-Theater wandten; am 20. September 1747 eröffnete Garrik die Bühne mit einem Prolog, den ihm Sam. Johnson gedichtet hatte. Ordnung, Anstand und Schicklichkeit waren das, worauf der junge Vorsteher zunächst sein Augenmerk richtete. Er selbst ging in Allem mit gutem Beispiel voran. Die Proben mußten pünktlich abgewartet werden, und auf das Spiel mußte die gleiche Sorgfalt wie bei der wirklichen Vorstellung sich wenden. Diejenigen Schauspieler, welche ihre Nachlässigkeit durch dreiste Nonchalance und Improvisiren vertuschen wollten, fanden in Garrik einen strengen Richter. Er wußte aber mit seinem Kennerblick auch das Talent und den Fleiß zu ermuntern, und namentlich war er bei Austheilung der Rollen sehr umsichtig, indem er sie genau den Fähigkeiten der Einzelnen anpaßte. Um aus der Unnatur und Gespreiztheit, in welche damals das Schauspiel gerathen war, mit Entschiedenheit herauszukommen, wußte Garrik kein besseres Mittel, als die lange vernachlässigten Stücke von Shakespeare wieder in Aufnahme zu bringen und dabei auf die alte körnige Sprache, die man ganz verwässert und verunstaltet hatte, wieder zurückzugehen. Romeo und Julie war seit 80 Jahren nicht zur Aufführung gekommen; man hatte statt dieses klassischen Trauerspiels den Kajus und Marius von Otway, welcher die rührendsten Auftritte von Shakespeare geborgt hatte, gegeben. Garrik brachte es in seiner ursprünglichen Form wieder auf die Bühne; ebenso den Makbeth, der gleichfalls durch allerlei Schnörkel und Zuthaten verunstaltet war.

Garrik schrieb auch eine gute Anzahl eigener Stücke, von denen manche nicht ohne Vorzüge sind (erschienen in 3 Bänden, London 1798, 12.), ferner viele sehr gelungene Prologe. Er war aber Dichter nicht im geschriebenen Wort, sondern im lebendig dargestellten. Seine große Welt- und Menschenkenntniß, sein Umgang mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit, seine natürliche Sicherheit und Gewandtheit vereinigten sich in ihm zu einer Universalität des Geistes, wie sie nur früher bei Shakespeare vorhanden gewesen war. Trotz aller Ueberlegenheit seines Geistes und Geschmeidigkeit seines Charakters konnten jedoch, wie das bei einem Schauspieldirektor unausbleiblich, manche unangenehme und ärgerliche Auftritte nicht ausbleiben, und um bei seiner angestrengten Thätigkeit sich einmal Erholung zu verschaffen, beschloß er auf den Rath der Aerzte die Bäder von Padua zu besuchen, die namentlich auch für seine Gattin (er hatte 1746 die berühmte und schöne Tänzerin Violetti geheirathet) Genesung von einem längeren Unwohlsein versprachen. Für einen so thätigen und scharf beobachtenden Geist, wie Garrik besaß, mußte überdieß eine Reise auf das Festland noch in manch' anderer Hinsicht belehrend sein, und zugleich konnte seine Eitelkeit sich schmeicheln, daß man nach längerer Entfernung seinen Werth desto mehr schätzen würde.

In Frankreich und Italien ward der berühmte Mann überall mit offenen Armen empfangen und namentlich auch von den Engländern, die mit Recht stolz auf ihren Landsmann waren, ausgezeichnet. Der Beifall, mit welchem die britischen Großen den Künstler in den Gesellschaftssälen der französischen Hauptstadt überhäuften und zugleich die außerordentliche Theilnahme, womit die Franzosen jedem Wort und Gestus des britischen Roscius lauschten, beweist vielleicht noch mehr die Größe seines Talents als sein Glück auf der londoner Bühne. Viele Sänger können nicht singen ohne ein Orchester oder wenigstens ein Piano zur Begleitung zu haben; Garrik, von Gesichtern umringt, die das seine fast berührten, stellte Szenen aus seiner Hauptrolle gleich aus dem Stegreife dar. Sein gewöhnlicher Rock oder Mantel, sein Hut und seine Stiefel oder Halbstiefel verwandelten sich, wenn er sie zurechtlegte, in das zu jeder Rolle passendste Kostüm, und auch diejenigen Franzosen, welche kein Englisch verstanden, wußten sogleich, um was es sich handelte; denn Garriks Geberdensprache lieferte die würdigste, ebenso ausdrucksvolle als kräftige Uebersetzung. Seine Geberden erregten Schauder, seine Blicke des Schmerzes oder der Wehmuth machten weinen; man vergaß die Umgebung und die Illusion war stets vollkommen. Vgl. die » Mémoires historiques sur la vie de Mr. Suard« und das daraus und darüber im Morgenblatt 1820, Juliheft, Mitgetheilte.

Garrik reiste von Paris im Jahre 1763 ab. Herren und Damen der höchsten Stände, Engländer und Franzosen, hatten sich vor seiner Abreise noch einmal in seinem Hôtel versammelt. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und erging sich über die schönen Wissenschaften und die vorzüglichsten Schriftsteller. Da auch Mademoiselle Clairon, die ausgezeichnete Schauspielerin, gegenwärtig war, so ersuchte man sie und Garrik, zu guter Letzt noch der Gesellschaft eine Probe ihres Talentes zu geben. Da erhob sich denn ein freundschaftlicher Wettstreit. Die Franzosen konnten nicht umhin, Garrik den Vorzug zu geben, und die Engländer, welche nicht minder höflich sein wollten, erklärten Mademoiselle Clairon für die Siegerin. Da die anwesenden Franzosen wenig mit der englischen Sprache vertraut waren, wollte Garrik den (englischen) Dialog mit Fräulein Clairon nicht länger fortsetzen und erzählte nun der Gesellschaft einen Vorfall, der sich kürzlich zugetragen hatte. Ein Vater liebkoste sein Kind am offenen Fenster, das nach der Straße ging. Unglücklicherweise glitt das Kind aus seinen Armen, fiel hinab und war auf der Stelle todt. Was hierauf folgte – fuhr Garrik fort – war die Sprache der Natur, und – im Nu stand Garrik da in der Stellung des Vaters und mit dem Ausdruck des höchsten Schreckens, des verzweifelnden Schmerzes.

Die Wirkung dieses Anblickes auf die Gesellschaft war außerordentlich: Viele konnten sich der Thränen nicht enthalten. Mademoiselle Clairon stürzte sich in Garriks Arme und küßte den großen Mimen voll Verehrung und Bewunderung.

Die feinsten Kenner fanden, daß Garrik durch den Besuch fremder Bühnen sich in seinem Spiel noch sehr vervollkommnet hatte. Sie fanden, daß sein Ausdruck, der zwar immer geistvoll und eigenthümlich gewesen war, noch feiner und ungezwungener, sein Aeußeres noch anstandsvoller und sein ganzes Betragen noch feiner geworden sei, daß er nun nicht mehr so um Beifall besorgt scheine, um sich in seinen Gefühlen irgend stören zu lassen, kurz, daß er mit der größten Freiheit sich darstellte.

Unser G. Chr. Lichtenberg, als er seine zweite Reise nach England (1775) unternahm, hatte noch die Freude, den großen Mimen nicht bloß auf dem Theater zu sehen, sondern auch näher mit ihm bekannt zu werden. Aus den »Briefen aus England« (mitgetheilt in den »Vermischten Schriften«, Th. 3. Göttingen 1801) heben wir Einiges aus.

»Herr Garrik hat in seiner ganzen Figur, Bewegung und Anstand etwas, das ich unter den wenigen Franzosen, die ich gesehen habe, ein paar Mal wenigstens zum Theil, und unter den vielen Engländern, die mir vorgekommen sind, gar nie wieder angetroffen habe. Ich meine hier Franzosen, die wenigstens über die Mitte des Lebens hinaus sind; aus der guten Gesellschaft, das versteht sich wohl. Wenn er sich z. B. mit einer Verbeugung gegen Jemanden wendet, so sind nicht der Kopf allein, nicht die Schultern, nicht die Füße und Arme allein beschäftigt, sondern jedes giebt dazu einen gemäßigten Antheil in dem gefälligsten und den Umständen angemessensten Verhältniß her. Wenn er auch ohne Furcht, Hoffnung, Mißtrauen oder irgend einen Affekt hinter der Szene hervortritt, so möchte man gleich nur ihn allein ansehen; er geht und bewegt sich unter den übrigen Schauspielern, wie der Mensch unter Marionetten. Hieraus wird nun freilich Niemand Herrn Garriks Anstand kennen lernen, den nicht etwa schon vorher das Betragen eines solchen wohlerzogenen Franzosen aufmerksam gemacht hat. Folgendes wird die Sache vielleicht klarer machen.

»Seine Statur ist eher zu den kleinen als mittleren zu rechnen, und sein Körper untersetzt. Seine Gliedmaaßen haben das gefälligste Ebenmaaß und der ganze Mann ist auf die niedlichste Weise beisammen. Es ist an ihm kein dem geübtesten Auge sichtbares Gebrechen, weder in den Theilen noch in der Zusammensetzung, noch in der Bewegung. In der letzteren bemerkt man mit Entzücken immer den reichen Vorrath an Kraft, der, wenn er gut gezeigt wird, mehr gefällt als Aufwand. Es schleudert und schleift und schleppt nichts an ihm, und da, wo andere Schauspieler in der Bewegung der Arme und Beine sich noch einen Spielraum von sechs und mehr Zollen zu beiden Seiten des Schönen erlauben, da trifft er es, mit bewunderungswürdiger Sicherheit und Festigkeit auf ein Haar. Seine Art zu gehen, die Achseln zu zucken, die Arme einzustecken, den Hut aufzusetzen, ist daher als eine Erquickung anzusehen. Man fühlt sich selbst leicht und wohl, wenn man die Stärke und Sicherheit in seinen Bewegungen sieht und wie allgegenwärtig er in seinen Muskeln scheint. Wenn ich mich selbst recht verstehe, so trägt sein untersetzter Körper nicht wenig dazu bei. Von dem starken Schenkel herab verdünnt sich das richtig geformte Bein immer mehr und schließt sich endlich in dem nettesten Fuße, den man sich denken kann, und ebenso verdünnt sich der starke Arm nach der kleinen Hand zu. Allein diese Stütze ist nicht bloß scheinbar. Er ist wirklich stark, und äußerst geübt und flink. In der Szene im Alchymisten, wo er sich boxt, läuft er und hüpft er von einem dieser netten Beine auf das andere mit bewundernswürdiger Leichtigkeit, daß man glaubt, er schwebe: auch in dem Tanz in »Viel Lärmen um nichts« unterscheidet er sich vor andern durch die Leichtigkeit seiner Sprünge. In seinem Gesichte sieht Jedermann, ohne viel physiognomisches Raffinement, den glücklichen schönen Geist auf der heitern Stirn, und den wachsamen Beobachter und witzigen Kopf in dem schnellen, funkelnden und oft schalkhaften Auge. Seine Mienen sind bis zur Mittheilung deutlich und lebhaft. Man sieht ernsthaft mit ihm aus, runzelt die Stirn mit ihm und lächelt mit ihm; in seiner heimlichen Freude und in der Freundlichkeit, wenn er in einem Beiseite den Zuhörer zu seinem Vertrauten zu machen scheint, ist etwas so Zuthunliches, daß man dem entzückenden Manne mit ganzer Seele entgegen fliegt.

»In seiner Gabe, das Gesicht zu verändern, hat er es zum Erstaunen weit gebracht. Bekannt ist die Anekdote, wie der Maler Hogarth sich beklagt, kein Bildniß von dem berühmten Schriftsteller Fielding zu besitzen, und Garrik auf der Stelle sich in das Geberdenspiel des verstorbenen Freundes so gut zu versetzen weiß, daß Hogarth nach Garriks Darstellung das Porträt entwirft, welches allgemein als höchst ähnlich bewundert wurde. Es ist dasselbe, welches vor den »gesammelten Werken« steht. Hier erwähne ich nur, daß mich z. E. im John Boute, wo ich ihn ganz in der Nähe beobachtete, sein Mund aufmerksam machte, sobald er auf die Bühne trat. Er hatte nämlich die beiden Winkel desselben etwas herabgezogen, wodurch er sich ein äußerst liederliches und versoffenes Ansehen gab. Diese Figur des Mundes behielt er bis an's Ende bei, nur mit dem Unterschiede, daß sich der Mund etwas öffnete, sowie sein Rausch anwuchs; diese Figur muß sich also in dem Manne so mit der Idee eines Sir John Boute assoziirt haben, daß sie sich ohne Vorsatz giebt, sonst, sollte man denken, müßte er sie einmal in dem Lärm vergessen, dessen er fürwahr in diesem Stücke nicht wenig macht.

»Nun bedenken Sie weiter: seitdem dieser vortrefflich gebildete und dabei mit allen Geistesgaben eines großen Schauspielers von der Natur ausgerüstete Mann, in seinem 24sten Jahre, als Exkandidatus Juris, auf Ein Mal auf dem Theater in Goodmansfield erschien und zugleich bei seiner ersten Erscheinung alle Schauspieler seiner Zeit zurückließ, ward er der Abgott der Nation, die Würze der Gesellschaft und der Liebling der Großen. Fast alle neueren englischen Schriftsteller, die man bei uns so sehr liest, nachahmt und nachäfft, waren seine Freunde. Er half sie bilden, so wie sie ihn wiederum bilden halfen. Der Mensch lag seinem beobachtenden Geiste offen, von den ausgebildeten und ausgekünstelten in den Sälen von St. James an bis zu den Wilden in den Garküchen von St. Giles. Er besuchte die Schule, in welche Shakespeare ging, wo er ebenfalls wie jener nicht auf Offenbarungen paßte, sondern studirte.«

Garrik besuchte oft, wenn er von Geschäften frei war, das Haus der Gemeinen, besonders wenn wichtige Fragen zur Erörterung kamen, wo er dann mit großer Aufmerksamkeit den Rednern für und wider folgte. Als er sich einst zufälliger Weise unter den Zuhörern befand, entstand bei Gelegenheit eines gewissen Vorschlages ein so lebhafter Streit zwischen zwei ansehnlichen Mitgliedern des Hauses, daß der Sprecher des Hauses sich genöthigt sah, den streitenden Parteien Stillschweigen aufzulegen. Während dieser Unruhe bemerkte ein Deputirter aus Shropshire, daß sich Garrik auf der Gallerie befand, und stellte sogleich den Antrag, die Zuhörer abtreten zu lassen. Nun erhob sich Burke, berief sich auf das Urtheil der ganzen ehrwürdigen Versammlung, welche entscheiden sollte, ob es sich irgend mit den Grundsätzen des Anstandes und der Schicklichkeit vereinigen ließe, daß man einen Mann von Anhörung ihrer Streitigkeiten ausschließen wolle, dem sie alle so viel Dank schuldig wären, einen Mann, welcher der größte Meister in der Beredsamkeit sei und in dessen Schule sie alle die Kunst des Vortrags und die ersten Regeln der Rhetorik erlernt hätten. Er für seine Person gestehe, Garriks Unterrichte sehr viel zu verdanken. Er ward, nachdem er noch Mehreres zu Garriks Lobe gesprochen, kräftig von Fox und Townshed unterstützt, und der Vorschlag des vorerwähnten Deputirten ward mit Nachdruck verworfen. Die übrigen Zuhörer mußten abtreten, Garrik allein ausgenommen.

Durch den Tod von Lacy, der sich mit Garrik in den Besitz und die Einnahme des Drurylane-Theaters getheilt hatte, fiel zwar die ganze bedeutende Einnahme, aber auch die ganze Last der Geschäftsführung auf Letzteren zurück. Garrik war fast ein Sechziger, hatte überdieß durch allerlei Unpäßlichkeiten, namentlich das Podagra, viel gelitten. Dann stellten sich Steinschmerzen ein, welches hartnäckige Uebel ihn bis zu seinem Tode nicht verließ. Um sich Linderung zu verschaffen, ließ er sich bereden, Lauge und andere seifenartige Arzneien zu gebrauchen, wodurch er aber seiner Gesundheit nur schadete. Ungeachtet die häufigen Anfälle der Krankheit für seine Freunde sehr beunruhigend waren, so hielten sie es doch für rathsam, so lange nur seine Kräfte es gestatteten, ihn nicht von der Bühne zu entfernen. Doch am 10. August 1776 beschloß Garrik, zum letzten Mal die Bühne zu betreten als Don Felix im Lustspiele »das Wunder«. Als das Stück zu Ende war, trat er hervor, und von der Stärke seines Gefühles fast übermannt, sprach er wenige, aber zu Herzen gehende Abschiedsworte, unter lautem Zuruf einer ebenso zahlreichen als glänzenden Versammlung.

Wenn er auch die Leitung abgegeben hatte, so verfolgte er doch mit dem größten Antheil die ferneren Schicksale des Drurylane-Theaters, und war stets zu Rath und That bereit, wenn man sich in zweifelhaften Fällen an ihn wandte. Die Anfälle der Steinschmerzen wiederholten sich aber immer häufiger und heftiger, und am 20. Januar 1779 starb er auf seinem reizend gelegenen Landhause bei London. Montags den 1. Februar wurde sein Leichnam aus seinem Hause in Adelphi mit größter Feierlichkeit abgeführt und in der Westminster-Abtey unter dem Monument Shakespeares beigesetzt. Die ersten Lords und berühmtesten Gelehrten und der zahlreiche Kreis von Garriks Freunden, die seinen Tod schmerzlich empfanden, verherrlichten den Zug, an welchem alle Stände Antheil nahmen, denn es war ein Nationalverlust, der das englische Volk betroffen.

Garrik hinterließ ein großes Vermögen, aber keine Kinder. Seine Lebensweise war ziemlich glänzend gewesen, ohne verschwenderisch zu sein. Er hielt eine reiche Tafel und freute sich, seine Freunde bewirthen zu können. Er hielt auch Kutsche und Pferde und eine Anzahl von Bedienten, führte aber über alle Ausgaben Rechnung. Mit Unrecht hat man ihm Geiz vorgeworfen; nicht bloß waren seine öffentlichen Almosen und Unterstützungsgelder sehr bedeutend, sondern er gab auch im Stillen oft große Summen an Hülfsbedürftige, und das schon in einer Zeit, wo seine Vermögensverhältnisse noch nicht bedeutend waren. Sein Herz war so wohlwollend, daß er Keinem eine Bitte abschlagen konnte. Sein mildes freundliches Wesen wetteiferte mit seinem Genie, so daß Mensch und Künstler gleich liebenswürdig waren.


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