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Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, beschrieben von Giorgio Vasari. Aus dem Italienischen von Ludwig Schorn und Ernst Förster. 3. Bd. (Stuttgart und Tübingen, 1843). Raphael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi von Passavant (in 2 Theilen), Leipzig, 1839. Vergl. den betreffenden Artikel in Dr. Kugler's »Handbuch der Geschichte der Malerei in Italien« (Berlin, 1837). Rafael Santi, sein Leben und seine Werke. Von Alfred Freih. v. Wolzogen (Leipzig, 1865).
Raphael Santi aus Urbino ist nicht nur der größte Maler, sondern der schönste Genius der modernen Kunst überhaupt. Sein Vater, Giovanni Santi, war auch Maler, und ein sehr tüchtiger Meister, der mit seiner Kunst zugleich nach damaligem Gebrauch das Geschäft eines Vergolders verband. Freilich war er durch nichts Geniales ausgezeichnet, aber man rühmte an seinen Gemälden die Innigkeit des Ausdrucks, den Ernst und die Einfachheit der Darstellung. Er war auch Schriftsteller, und verfaßte in Terzinen eine Lebensbeschreibung des von ihm herzlich verehrten Herzogs Federico von Urbino.
Zu der gemüthlichen Richtung Giovanni's stimmte ganz der zarte Sinn seiner Frau Magia, die ihm am 28. März, am Charfreitage 1483, ein Söhnchen gebar, dem er in der Freude seines Herzens und wie zu guter Vorbedeutung den Namen »Raphael« gab, obschon dieser Name in der Familie gar nicht gebräuchlich war. Seine Sorgfalt und Liebe zu dem ihm von der Vorsehung geschenkten Kinde war so groß, daß er nicht litt, daß eine Amme ihm die erste leibliche Nahrung gäbe, sondern aus der Mutterbrust sollte es wie die erste Nahrung so die erste Liebe empfangen.
In einem heiteren durch keine Mißhelligkeiten getrübten Familienleben wuchs der kleine Raphael heran, und wie sein Auge im elterlichen Hause schon früh auf die Werke der Kunst gerichtet wurde, so mußte auch die schöne Lage von Urbino früh den Blick des Knaben auf die frischen lebendigen Formen und Farben einer anmuthigen Natur lenken. Die festgebaute Stadt liegt nämlich nahe am höchsten Grat des Apennin, wo er die Mark Ankona von Toskana und Umbrien trennt. Nach Osten zu blickt zwischen den Berghöhen das adriatische Meer hindurch, westwärts thronen die eigenthümlichen Felsbildungen des St. Simone; in den sich absenkenden Thälern spenden die Fruchtbäume, vornehmlich die Olive und der Weinstock, den Segen des Himmels.
Meister Giovanni arbeitete fleißig und an Bestellungen fehlte es ihm nicht; sein schönes Familienverhältniß sollte aber nicht von langer Dauer sein, denn am 3. Oktober 1491 starb ihm die Mutter, am 7. Oktober seine heißgeliebte Magia und wenige Tage darauf ihr einziges Töchterlein. Der gemüthvolle Giovanni ward durch diese schnell hintereinander folgenden Verluste in die tiefste Trauer gestürzt; er vermählte sich zwar, um dem verwaisten Zustande zu entgehen, bald wieder (am 25. Mai 1492) mit Bernardina, der Tochter eines Goldarbeiters; diese konnte ihm aber seine treffliche Magia nicht ersetzen! Sein Tod erfolgte schon am 1. August 1494 und nun begannen in der Familie eine Reihe von Zwistigkeiten, die später nur durch den milden versöhnlichen Charakter Raphael's beigelegt wurden.
Raphael hatte bei dem Tode seines Vaters erst das 11. Jahr zurückgelegt; da er jedoch bereits ausgezeichnete Proben seines Malertalentes gezeigt hatte, beschlossen die Verwandten, ihn nach Perugia zum berühmten Meister Pietro zu senden. Pietro Perugino hatte eine zahlreiche Jüngerschaft um sich versammelt, die höchst bildend auf den jungen Urbiner einwirkte, der durch seine liebenswürdige Hingabe an die ihm Vorangeschrittenen, durch seine feurige Liebe zur Kunst und seinen zarten reinen Sinn für alles Schöne und Edle sich bald die Zuneigung Aller gewann, mit denen er verkehrte. In kurzer Zeit hatte er aber alle seine Genossen überholt, und Meister Pietro war nicht wenig erstaunt und erfreut, als er seinen eigenen Styl in dem jungen Schüler zu schönster Blüthe gelangen sah. Die Schule des Perugino hatte freilich in ihren Formen noch etwas Steifes, in der Zeichnung Mageres, in der Färbung Trockenes, doch offenbarte sich in den Figuren eine gewisse Sehnsucht und Lieblichkeit des Gemüths.
Indem Raphael mit aller Treue die Art seiner Meister sich anzueignen und wiederzugeben suchte, lernte er sich beschränken und gewann gerade durch die Schranken seine Freiheit und Eigenthümlichkeit, zum Beweise, daß auch der kräftigste und ursprünglichste Genius nicht der Nachbildung vorhandener Muster und des fleißigsten Studiums der Schule sich entschlagen darf, wenn er nicht in's Schrankenlose auseinander fließen will.
Zu den frühesten Arbeiten, welche Raphael in der Schule des Perugino ausführte und die sich bis auf unsere Zeiten erhalten haben, gehört jenes Bildchen des Christkindes mit dem kleinen Johannes, welches er einer größeren Composition der Familie der heiligen Anna entlehnte, die sein Meister als Altartafel für die Kirche der heiligen Maria zu Perugia gemalt hatte. Auf dem (nun verwischten) Altarblatte war Maria im Schooße der heiligen Anna sitzend dargestellt, umgeben von Joseph und Joachim, den heiligen Marien Cleopha und Salome und sechs Kindern der heiligen Familie. Zwei dieser Kinder, Jesus und der kleine Johannes, welche sich herzen, kopirte Raphael auf Goldgrund à tempera wahrscheinlich zu seiner Uebung, und ahmte darin dem Meister vortrefflich nach. Als eine interessante Reliquie wird diese kleine Tafel in der Peterskirche zu Perugia aufbewahrt; des Pietro Perugino schönen Originalentwurf zu jenen Kindern in sorgfältiger Federzeichnung besitzt die reiche Sammlung von Zeichnungen in Florenz.
Meister Pietro brauchte seinen genialen Schüler immer lieber zur Mithülfe bei seinen Arbeiten, und als er Geschäfte halber nach Florenz gewandert, hatte Raphael die Freude, daß er, den Aufträgen aus der Umgegend Folge leistend, auch größere Werke selbstständig ausführen durfte, wie die Krönung des wunderthätigen Einsiedlers Nicolaus von Tolentino, die er freilich auf die ihm von den Mönchen vorgeschriebene Weise darstellen mußte. Auch die »Krönung Mariä« gehörte zu diesen Werken des Jünglings; er malte sie für das Kloster des heiligen Franziskus in Perugia.
Fast gleichzeitig entstand das liebliche Madonnenbildchen, welches Raphael für den Grafen Staffa malte und das noch in Perugia von allen dahin pilgernden Kunstfreunden gesehen werden kann. Die Mutter des Heilandes, in einer Frühlingslandschaft wandernd, liest nachsinnend in einem Büchlein, in das auch der auf ihrem Arme ruhende Jesusknabe aufmerksam hineinblickt. Ebenso zart und frisch ist ein anderes kleines Bild gemalt, das einen unter einem Lorbeerbäumchen schlafenden jungen Ritter zeigt, dem in zwei allegorischen Gestalten auf einer Seite die Freuden des Lebens, auf der andern Seite die Arbeiten des Lebens, jene Genuß, diese Ruhm versprechend erscheinen. Der nach dem Höchsten strebende Jüngling, welcher vom Leben mächtig angeregt, die Freude wie die Arbeit vor sich sah, hat uns darin seinen eigenen Gemüthszustand dargestellt.
Dem Pinturicchio, einem ehemaligen Mitschüler Raphaels, war die Ausschmückung des Bibliotheksaales im Dome zu Siena übertragen worden, und da dieser seinen jüngeren Freund liebte und als guten Zeichner kannte, so lud er ihn ein, ihm bei der Arbeit zu helfen. Raphael hatte bereits einen Theil der Cartons vollendet, als einige Maler ihm lobpreisend von den in Florenz befindlichen Meisterwerken des Michel Angelo und Leonardo da Vinci erzählten. Sogleich legte er seine Arbeit bei Seite und eilte nach Florenz, dem Sitze der Musen. Dort nahm er mit heiliger Andacht die Eindrücke der vielen Kunstwerke in sich auf; die Stadt gefiel ihm so gut, daß er solange als möglich daselbst zu bleiben sich vornahm. Er befreundete sich mit andern jungen Malern, namentlich mit Ghirlandajo, und er war so sehr mit Anschauen und der eigenen Verständigung beschäftigt, daß er während dieses seines ersten Aufenthalts in Florenz fast gar nichts malte. Er blieb zu Florenz den ganzen Winter hindurch.
Eine Bestellung rief ihn im Jahre 1505 wieder nach Perugia. Er malte ein Altarbild für die dortigen Nonnen des heiligen Antonius aus Padua, ferner ein Freskobild in einer Seitenkapelle der Camaldulenserkirche, die heilige Dreifaltigkeit darstellend, umgeben von sechs Heiligen des Camaldulenser-Ordens. Es folgte ein Auftrag nach dem andern, doch Raphael sehnte sich im Streben nach höherer Kunstbildung nach Florenz, wohin er bald wieder abreiste.
Bei diesem zweiten Aufenthalte lernte ihn Taddeo Taddei, ein florentinischer Edelmann und kunstsinniger Beförderer ausgezeichneter Talente, kennen, und gewann ihn so lieb, daß er ihn stets in seinem Hause und an seinem Tische haben wollte. Raphael, um seine Dankbarkeit zu bezeigen, malte seinem Gönner zwei Madonnenbilder; das eine, die sogenannte »Jungfrau im Grünen« (jetzt in der Galerie des Belvedere in Wien), stellt Maria in einem reichen Wiesengrunde dar, wie sie in liebevoller Sorgfalt das vor ihr stehende Jesuskind mit beiden Händen hält, das sich seinerseits zu dem vor ihm knieenden kleinen Johannes neigt und das Kreuzchen faßt, welches dieser ihm darhält; das andere wahrscheinlich die heilige Familie bei der Fächerpalme, eine runde Tafel, gegenwärtig im Besitz des Herzogs von Bridgewater. Beide Bilder sind dadurch merkwürdig, daß sie zugleich an den ersten peruginischen Styl und an die bessere durch das Studium in Florenz gewonnene Behandlungsweise, namentlich an Leonardo da Vinci erinnern. Außerdem malte Raphael diesmal noch manche Porträts, die größtentheils im Palast Pitti aufbewahrt sind. Seine Hauptthätigkeit richtete er aber auch jetzt auf das Studium der großen florentinischen Meister, und durch die Bekanntschaft mit Fra Bartolomeo gelangte er zu größerer Sicherheit im Kolorit.
Von Florenz ging er nach der berühmten Stadt Bologna, wo er die Bekanntschaft des Meisters Francesco Francia machte und bald mit ihm in das innigste Freundschaftsverhältniß kam. Dann reiste er nach seiner Vaterstadt Urbino (die er öfters besuchte), um seine Verwandte und Freunde nach überstandener Pest zu sehen. Um den Herzog Guidubaldo und seine treffliche Gemahlin Elisabetta Gonzaga war um diese Zeit ein glänzender Hof versammelt; die Blüthe der schönen Geister Italiens war hier vereinigt, ähnlich wie zur Zeit Göthe's in Weimar. Ausgezeichnete Männer wie Giuliano da' Medici, Bruder Leo X., Graf Castiglione, Pietro Bembo, nachmals Sekretär Leo X. und unter Paul III. zum Kardinal erhoben, Bernardo Bibiena, auch später Kardinal, bildeten einen herrlichen Kreis, dessen Mittelpunkt die geist- und gemüthvolle Herzogin war; sie begrüßten mit Freude das immer mehr aufstrebende Talent Raphaels und wurden seine Freunde und Beschützer.
Nachdem er ebenso anregende als genußreiche Tage in Urbino verlebt hatte, kehrte er wieder nach dem kunstreichen Florenz zurück, um sein Studium fortzusetzen, besonders um Michel Angelo's berühmten Carton der »Badenden bei der Schlacht zwischen den Florentinern und Pisanern« kennen zu lernen, welcher zum ersten Mal ausgestellt im Publikum, insbesondere bei den Künstlern, ein so großes Aufsehen erregte, daß von gar nichts Anderem mehr gesprochen wurde.
Während dieses dritten Aufenthaltes in Florenz malte er ein schönes Bild der heiligen Familie, und um der Welt zu zeigen, daß er auch mit einem Michel Angelo und Leonardo da Vinci in die Schranken treten könne, vollendete er den mit außerordentlichem Fleiß entworfenen Carton »die Grablegung Christi«, den er dann in Perugia ausführte. Wir sehen den überaus edel gestalteten Körper des Heilandes von zwei jungen, trauernden Männern zu Grabe getragen, während Maria Magdalena in ihrem ungestümen Schmerz noch einmal herbeieilt und die Hand, die sich so oft zum Segnen erhoben, auf die ihrige legend, zum letzten Mal das Antlitz dessen betrachtet, der ihr Alles auf Erden war und Alles über allen Begriff in der Zukunft werden sollte. Neben ihr steigt Joseph von Arimathia zur Grabeshöhle hinauf, das Werk der Liebe und Trauer zu vollenden, während der treuliebende Jünger Johannes händeringend über Josephs Schulter auf den Herrn und Meister herabsieht, als könne er dessen Tod nicht für möglich halten. Maria aber, in einiger Entfernung von tiefem Schmerz überwältigt, sinkt bewußtlos in die Arme von drei sie umgebenden Frauen, deren Trauer über den Verlust ihres Heilandes hier vorübergehend durch die Sorge um dessen Mutter gemildert wird. In der Ferne sieht man den Calvarienberg, und im Vorgrunde steht Raphaels Name mit der Jahreszahl 1507. Passavant I. S. 119.
Wonach er am meisten strebte, einen größeren Styl in Formen, Gewändern und Umrissen, das hatte er in der florentinischen Schule gefunden und lebendig sich angeeignet. Und sobald er diese höhere Stufe in seiner eigenen Kunstbildung gewonnen, fügte es ein glückliches Geschick, daß ihn der Papst Julius II. auf Fürsprache des berühmten Bramante, der den Bau der Peterskirche leitete, nach Rom berief. Jener Kirchenfürst, ausgezeichnet durch seine Charakterfestigkeit wie durch seine großartige Pflege der Werke des Friedens und durch seinen hellen Blick, der ihn überall die ersten Talente finden ließ, unternahm es, den Vatikanischen Palast zu einer Art päpstlichen Stadt zu erweitern und seine Zimmer auf das Großartigste auszuschmücken. Raphael wurde vom Papst mit ausgezeichneter Güte, von den Künstlern mit größter Achtung empfangen. Das erste Zimmer, das er mit seinen Gemälden zieren sollte, war das della Segnatura, dessen Decke bereits von einem andern Künstler ausgemalt worden. Er entwarf sogleich einen großartigen Plan, welcher den Verhältnissen angemessen vom Papste durchaus gebilligt wurde. In vier allegorischen Figuren sollten zuvörderst die vier Hauptrichtungen des menschlichen Geistes (gleichsam die vier Fakultäten) dargestellt werden, die religiöse in der Theologie, die erkennende in der Philosophie, die ästhetische in der Poesie und die sittliche in der Jurisprudenz.
Als der Künstler die »Theologie« vollendet hatte (eine weibliche Gestalt sitzt anmuthsvoll auf Wolken, in der Linken ein Buch haltend, mit der Rechten nach dem Himmel weisend), war Julius so sehr von der Fülle des raphael'schen Genius ergriffen, daß er beschloß, alle Zimmer von ihm ausmalen zu lassen und alle darin befindlichen früheren Malereien zu vertilgen. Dem widersetzte sich Raphael selber; doch rettete er nur ein Deckengemälde, das sein Lehrer Pietro Perugino gemalt hatte.
Die vier großen Runde im Kreuzgewölbe verwendete Raphael abermals zu allegorischen Bildern, die den vier größeren Wandbildern der Theologie, Philosophie, Poesie und Jurisprudenz entsprachen. Der Theologie entsprach die sogenannte »Disputa«. Wir erblicken auf diesem Gemälde eine Versammlung von Theologen und Kirchenmännern, welche, begierig die Geheimnisse des Glaubens zu erforschen, schreiben und miteinander streiten. Sie sind um den Altar versammelt, auf welchem die Hostie steht. Ueber ihnen zeigt sich der Himmel mit Gott dem Vater, mit Christus und der heiligen Jungfrau, Johannes dem Täufer, mit den Aposteln, Evangelisten und Märtyrern. Gott Vater sendet den heiligen Geist herab, das Gewölk theilt sich, durchbrochen von der überirdischen Glorie des geoffenbarten Gottes, welche das Disputiren abschließt und auf die Eucharistie, das sinnliche Zeichen der Gegenwart des Göttlichen hinweist. Es ist ein großartiger Augenblick der Ueberraschung durch den sich offenbarenden Himmelsglanz. Als Uebergangsbilder zu den nächsten großen Wandgemälden erschien nach der Seite der Jurisprudenz zu die Darstellung des Sündenfalls, als negativer Grund aller den Menschen dargereichten Mittel zur Erlösung. Auf der entgegengesetzten Seite nach dem Bilde des Parnasses zu ward die von Apollo über Marsyas verhängte Strafe dargestellt – der Sieg der wahren Kunst über die falsche. Und gleichsam als Überschrift zum Parnaß diente die allegorische Figur der Poesie, eine der gelungensten, welche je durch die Kunst gebildet ward. Sie sitzt geflügelt in Wolken auf einem mit Masken, als Symbol der dramatischen Dichtkunst, gezierten Marmorsessel, und hält die ihren Gesang begleitende Lyra und einen Band ihrer Dichtungen in den Händen. Ihr Haupt mit dem Lorbeerkranz umwunden, das mit Sternen geschmückte Schulterband und ihre weit ausgebreiteten Schwingen deuten auf den Flug in die höchsten Regionen, wohin sie auch den Blick ihres schönen begeisterten Antlitzes richtet. Zu ihren Seiten sitzen zwei kleine Götterknaben, welche eine Tafel halten mit den Worten: Numine afflatur! (Sie wird von der Gottheit angeweht!)
Das auf die Philosophie Bezug habende große Wandgemälde ward die »Schule von Athen« genannt. Wir erblicken, auf der linken Seite des Vordergrundes beginnend, die älteren philosophischen Schulen um Pythagoras gruppirt; Sokrates mit seinen Anhängern und Gegnern bildet den Uebergang zu Plato und Aristoteles, welche von ihren Schülern umgeben in der Mitte des Bildes stehend, den Höhenpunkt griechischer Philosophie nach zwei Richtungen hin bezeichnen. Weiter zur Rechten befinden sich die Stoiker, Cyniker (Diogenes mit seiner Schale), Epikuräer und einige der späteren Philosophen; zuletzt stehen im Vordergrunde rechts die mehr dem Realen zugewandten Lehrer, unter welchen Euklid besonders hervortritt.
Die der Jurisprudenz gewidmeten Gemälde stellen den Kaiser Justinian, wie er das römische Recht dem Tribonian, und Papst Gregor X., wie er das kanonische Recht einem Konsistorialadvokaten übergiebt, dar; unter diesen den Gesetzgeber Moses. Das kleine Uebergangsbild veranschaulicht den Richterspruch Salomonis über die beiden Mütter.
Im Jahre 1511 waren sämmtliche Arbeiten in der ersten Stanze vollendet. Nebenbei hatte Raphael noch manche kleinere Staffeleibilder gemalt, und als sein älterer Freund und Kunstgenosse, dem er von Rom aus schrieb, einige davon zu Gesicht bekam, ward er zu folgendem Sonett begeistert.
Dem vortrefflichen Maler Raphael Santi, dem Zeuxis unsers Jahrhunderts,
von mir Francesco Raibolini, Francia genannt.
Nicht Zeuxis bin ich noch Apoll, die Ehre
So hoher Namen will mir nicht gebühren,
Noch will Talent und Tugend so mich zieren,
Daß Raphael mir ew'ges Lob gewähre.
Du Einz'ger, dem des Himmels Gunst, die hehre,
Sieg allwärts schenkt, ob Allen zu regieren,
Sprich, welche Kunst ließ Solches Dich vollführen,
Daß, gleich der Alten Ruhm, Dich Ruhm verkläre?
Glücksel'ger Jüngling, früh emporgeschwebet
Zu solcher Höh' – wer mag voraus ergründen,
Wozu gereifte Kraft Dich wird begeistern?
Besiegt beugt sich Natur, und, neu belebet
Von Deinem Täuschen, wird sie preisend künden,
Daß Du der Meister seist ob allen Meistern.
Raphaels Kraft wuchs während der Arbeit. Das Gemälde in der zweiten Stanze, die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel zu Jerusalem, aus dem er in Auftrag des Königs Seleucus die dort niedergelegten Wittwen- und Waisengelder entwenden wollte (2. Makk. 3) ist wahrhaft ergreifend durch den Ernst der Leidenschaft und die Wahrheit, womit die stärksten Affekte dargestellt sind. Die Ausschmückung des zweiten Zimmers sollte jedoch Papst Julius II. nicht mehr erleben; er starb schon am 20. Februar 1513. Kardinal Giovanne de Medici bestieg als Leo X. den päpstlichen Stuhl, und in diesem kunst- und prachtliebenden Fürsten fand Raphael einen nicht minder geneigten Gönner, so daß er ohne lange Unterbrechung die Ausschmückung des heliodorischen Zimmers fortsetzte. Die Befreiung des Apostels Petrus aus dem Gefängnisse, und Attila, von den Schutzpatronen Roms geschreckt, durch Leo I. (den Großen) bewogen, sich von den Mauern Roms wieder zurückzuziehen, traten dem genannten ersten Gemälde würdig zur Seite. Der Plafond zeigte Moses und den brennenden Busch, den Bau der Arche Noah's, Isaak's Opfer und Jakob's Traum.
Fast gleichzeitig malte Raphael das schöne Altarblatt für die Kirche St. Domeniko in Neapel, welches nachmals nach Spanien kam und den Namen »Madonna mit dem Fisch« ( m. del pesce) erhielt. Es gehört zu den bewunderungswürdigsten des Meisters; eine edlere Gestalt der Mutter des Heilandes und größere Anmuth des Christkindes möchte wohl nimmer erfunden werden können.
Raphaels Ruhm war bereits durch ganz Italien verbreitet; sein Ansehen und auch sein Vermögen wuchs mit jedem Tage, und es erschien ihm nun wünschenswerth, ein eigenes Haus zu besitzen. Er wählte sich einen Platz in Borgo nuovo gegenüber der Peterskirche, in der Nähe des Vatikan, und mit Hülfe seines Freundes und Landsmannes, des päpstlichen Baumeisters Bramante, entwarf er den Plan zu seiner Wohnung. Denn er war auch in der Architektur wohlbewandert und hatte an der Hand Bramante's schnelle Fortschritte darin gemacht. Die Hauptfronte ging nach dem Petersplatze und hatte drei Stockwerke. Das untere zierten sechs dorische Halbsäulen, mit einem Thor in der Mitte und Werkstätten zu beiden Seiten. Im zweiten Stockwerk waren die fünf Fenster durch kleine ionische Säulen geziert, abwechselnd mit spitzen und gerundeten Giebeln, wie sie Raphael nach antik-römischen Vorbildern gern anwandte. Nischen an den Seiten der Fenster bereicherten noch die Architektur. Im dritten Stock hatten die kleineren Fenster eine flachere, den Antiken entlehnte Einfassung; das Ganze krönte ein ionisches Gesims mit einer Balustrade. Das Wappen Leo's X. prangte über dem mittleren Fenster und sechs Medaillons mit Bildnissen in Relief erhöhten den Schmuck der reichen Façade. Die Schüler strömten schaarenweis zu dem verehrten Meister, und die liebreiche Art, mit welcher er alle empfing und jedem nützlich zu werden suchte, bildete eine schöne Zugabe zu seinem Ruhmeskranze. »Albrecht Dürer« – so berichtet Vasari – »ein bewundernswertster Maler aus Deutschland, der vorzügliche Kupferstiche verfertigte, hörte von seiner Trefflichkeit und schickte ihm als Tribut seiner Huldigung einen Kopf, sein eigenes Bildniß, mit Wasserfarbe auf ganz feiner Leinwand ausgeführt, so daß er sich auf beiden Seiten zeigte. Raphael verwunderte sich sehr darüber und sandte Dürer eine Menge Blätter von seiner Hand gezeichnet, welche dieser ungemein werth hielt. Der oben genannte Kopf des deutschen Künstlers (leider nicht mehr vorhanden) befand sich zu Mantua unter den Besitzthümern von Giulio Romano, dem Erben Raphaels. Eine von den an Dürer gesandten Zeichnungen ist noch in der Sammlung des Erzherzogs Karl erhalten.
Unter den gelehrtesten und hochgestelltesten Männern in Rom zählte Raphael warm ihm zugethane Freunde; der Kardinal Bibiena bot ihm die Tochter seines Bruderssohnes, eine sehr edle Jungfrau, zur Gemahlin an. Sie starb jedoch, noch ehe sich Raphael zur Ehe entschlossen hatte. Ein Brief an den geliebten Oheim Simone di Battista di Ciarla in Urbino eröffnet uns einen interessanten Blick in die persönlichen Verhältnisse Raphael's. Derselbe lautet:
»Werthester an Vaters Statt!
Ich habe Euren lieben Brief empfangen und daraus ersehen, daß Ihr mir nicht zürnt, woran Ihr in der That Unrecht thätet. Bedenkt nur, wie lästig es ist, ohne wichtige Veranlassung zu schreiben; jetzt, da ein wichtiger Anlaß vorhanden, antworte ich sogleich, um Euch ganz zu sagen, was ich auszudrücken vermag.
Zuvörderst in Betreff eine Frau zu nehmen, antwortete ich Euch rücksichtlich derjenigen, welche Ihr mir zuerst zudachtet, daß ich sehr froh bin und Gott beständig danke, weder diese noch eine andere genommen zu haben, und darin war ich weiser als Ihr, der mir sie geben wollte. Ich bin überzeugt, Ihr seht gegenwärtig auch ein, daß ich nicht dahin gekommen wäre, wo ich jetzt bin. Denn ich habe gegenwärtig in Rom schon Besitzungen von 3000 Dukaten in Gold und ein Einkommen von 50 Goldskudi. Sodann hat seine Heiligkeit, unser Herr, mich über den Bau der Peterskirche gesetzt und mir einen Gehalt von 300 Golddukaten ausgeworfen, der mir nie fehlen wird, so lange ich lebe, und sicher erhalte ich deren noch andere. Außerdem bezahlt man mir für meine Arbeiten, was mir gut dünkt; für die Malereien eines anderen Zimmers, was ich angefangen habe, erhalte ich 1200 Golddukaten. So lieber Oheim bringe ich Euch sowohl Ehre als allen Verwandten und dem Vaterlande. Aber ich höre nicht auf, Euch immer in meinem Herzen zu tragen, und wenn ich Euch nennen höre, glaube ich den Namen meines Vaters zu hören. Beklagt Euch daher nicht über mich, wenn ich Euch nicht schreibe, da ich mich im Gegentheil über Euch beschweren sollte, der Ihr den ganzen Tag die Feder in der Hand habt und sechs Monate von einem Brief bis zum andern verstreichen laßt. Doch zürne ich Euch, trotz allem diesem, nicht, wie Ihr mir ungerechter Weise thut. Ich habe die Heirathsangelegenheiten fallen lassen, aber darauf zurückkommend, lasse ich Euch wissen, daß mir der Kardinal S. Maria in Portiko eine seiner Verwandtinnen geben will, und daß mit Genehmigung des Oheims (des Priesters D. Bartolomeo Santi) und der Eurigen ich versprochen habe, Seiner Herrlichkeit zu Willen zu sein. Ich kann mein Wort nicht brechen; wir sind jetzt mehr als jemals in der Enge, und ich werde Euch sogleich von Allem unterrichten …
Was meinen Aufenthalt in Rom anbelangt, so kann ich, aus Liebe zum Bau der Peterskirche, niemals anderswo als hier bleiben, denn ich habe jetzt die Stelle des Bramante. Welcher Ort in der Welt ist aber würdiger als Rom? welches Unternehmen würdiger als das von St. Peter, welcher der erste Tempel der Welt ist! Denn der ist der größte Bau, den man je gesehen, und wird mehr als eine Million Goldes kosten. Wißt, der Papst hat jährlich 60,000 Dukaten für den Bau bestimmt und denkt nie anders. Mir hat er einen Gefährten gegeben, einen sehr gelehrten Frate, der über 80 Jahr alt ist, und da der Papst sieht, daß er nur kurze Zeit noch leben wird und er im Ruf großer Kenntnisse steht, so hat Se. Heiligkeit sich entschlossen, mir ihn zum Gefährten zu geben, auf daß ich von ihm lerne, wenn er irgend ein schönes Geheimniß in der Architektur besitzt, und vollkommen in dieser Kunst werde. Er heißt Fra Giokondo. Jeden Tag läßt uns der Papst rufen und spricht einige Zeit mit uns über den Bau. Ich bitte Euch, geht zum Herzog und zur Herzogin, und berichtet ihnen dieses; denn ich weiß, daß sie gern vernehmen, wenn einer ihrer Unterthanen sich Ehre erwirbt, und empfehlt mich ihren Herrlichkeiten, wie ich mich Euch beständig empfehle. Grüßt alle Freunde und Bekannte in meinem Namen, besonders Ridolfo, der eine so große ehrliche Liebe zu mir hat.
Den 1. Juli 1514.
Euer Raphael, Maler in Rom.«
Raphael liebte ein einfaches, aber durch seine Schönheit ausgezeichnetes Mädchen; sie soll die Tochter eines Sodabrenners gewesen sein, welcher über dem Tiber bei Sta. Cäcilia wohnte; man hat ihr den Namen »Fornarina« gegeben. Die von dem Kardinal beabsichtigte Heirath mag er wohl absichtlich so lange verzögert haben.
Doch zurück zu den unsterblichen Schöpfungen des Meisters. Das dritte der päpstlichen Zimmer, Stanza di torre Borgia genannt, der Vorsaal der Palafrenieri, worin sich die Dienerschaft gewöhnlich aufhielt, endlich die Loggien des zweiten Geschosses sollten sämmtlich von Raphael – so wünschte es der Papst – auf das reichste ausgeschmückt werden. So vielen Anforderungen konnte er aber nur dadurch genügen, daß er Vieles blos skizzirte und die Ausführung seinen Schülern überließ. So geschah es mit der fortlaufenden Reihe der Bilder aus der biblischen Geschichte in den Loggien; nur für das päpstliche Zimmer machte er besondere Studien und Cartons, und führte sie großentheils selber al fresco aus. Das ausgezeichnetste Gemälde in der dritten Stanze ist der ganz von Raphael's Hand ausgeführte »Burgbrand« ( incendio del borgo), den Papst Leo durch sein Gebet löscht, ein herrliches Gemälde durch die Stärke und Wahrheit des Ausdrucks, die Schönheit der Formen, durch die Gruppirung und Mannigfaltigkeit der Gestalten. Gleich wundervoll zeigte sich der Genius des Meisters in den Darstellungen aus der Apostelgeschichte, welche er zu den zehn Tapeten für die sixtinische Kapelle in kolorirten Cartons aufführte. Papst Sixtus VI. hatte gleich nach der Erbauung der Kapelle sie mit Freskomalereien aus dem alten und neuen Testamente durch die größten Meister seiner Zeit ausschmücken lassen; Julius II. hatte ihr durch die unvergleichlichen Deckengemälde von Michel Angelo eine Berühmtheit verschafft, welche durch ganz Europa ging. Nun mochte Raphael selber wünschen, mit seinem großen Nebenbuhler in die Schranken zu treten und auch seinerseits der Kapelle einen unvergänglichen Schmuck zu verleihen. Er schlug dem Papst vor, für den untern Raum, der nur mit gemalten scheinbar aufgehängten Teppichen versehen war, Cartons zu fertigen, um nach denselben in Flandern Tapeten in Gold, Seide und Wolle wirken zu lassen, welche nach allrömischem und byzantinischem Gebrauch bei Kirchenfesten längs den unteren Wänden aufgehängt würden. Ein solches Unternehmen war dem prachtliebenden Leo X. ganz willkommen, und es wurde auch so vollkommen ausgeführt, daß diese Tapeten noch jetzt in unerreichter Herrlichkeit prangen. Sie kamen im Jahr 1519 wenige Monate vor Raphael's Tode nach Rom, wurden am zweiten Weihnachtstage in der Kapelle aufgehängt und der Meister erlebte noch die hohe Freude, daß ganz Rom darob in Entzücken gerieth. Vasari nennt sie ein Werk, das vielmehr durch ein Wunder, denn durch menschliche Kunst, scheine entstanden zu sein.
Die Eintheilung geschah so, daß vier für jede der Seitenwände, und zwei Bilder für die Hinterwand neben dem Altar zu stehen kamen. Links zu den Seiten des päpstlichen Throns fanden vier Darstellungen aus dem Leben des Apostels Petrus und die Steinigung Stephani ihre Stelle; gegenüber fünf Begebenheiten aus dem Leben des Apostels Paulus. Unter den Hauptbildern befinden sich sockelartige gleich goldenem Relief behandelte Darstellungen aus dem Leben Leo X. und des Apostels Paulus; an die Tapeten angewirkte Ornamente bedeckten die Pilaster. Sie zeigen in ihren Hauptfiguren die theologischen Tugenden, die Parzen, die Jahres- und Tageszeiten, die Erd- und Himmelskugel etc. Auch zur Tapete für den Altar in der sixtinischen Kapelle fertigte Raphael noch einen Carton, welcher die Krönung Mariä darstellte.
Als sich Papst Leo X. im Winter 1515-1516 in Florenz befand, ließ er auch Raphael dahin kommen, um seinen Rath wegen der Façade der neuerbauten Lorenzkirche zu hören. Zugleich fertigte der Meister noch zwei Pläne für Privatwohnungen, die zu den schönsten gehören, welche das an schönen Häusern und Palästen so reiche Florenz besitzt. Es kamen aus allen Ländern Bestellungen, denen der mit Arbeiten überladene Künstler freilich nur selten genügen konnte. Für den kunstliebenden König von Frankreich, Franz I., malte Raphael (1517) den Erzengel Michael, der den Satan in den Abgrund bannt. Auch eine Reihe wohlgelungener Portraits wurden gefertigt. Die Benediktiner des Klosters zum heiligen Sixtus in Piacenza bestellten (wahrscheinlich für eine Umgangsfahne) eine Leinwand mit der Mutter Gottes, dem heiligen Papst Sixtus und der heiligen Barbara. Der Meister, ohne vorläufige Studien, warf das Bild sogleich auf die Leinwand und gab ihm gerade dadurch den Zauber eines frischen Ergusses seiner Phantasie, einer zur Offenbarung gelangten Vision. »Zwischen den zurückgezogenen Vorhängen, gleichsam aus dem Geheimniß in die Offenbarung hervorschwebend, sehen wir verklärt und von himmlischen Chören im Lichtglanz umgeben die
heiligste Jungfrau, zwar demuthsvoll, aber doch im Bewußtsein ihrer Würde gleich einer Königin in den Räumen des Himmels, ihr göttlich Kind im Arm haltend, durch welches alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollen. Dieses, obgleich in kindlichem Wesen, schauet mit einem Blick der Allgewalt und der Erkenntnißtiefe wunderbar aus dem Bilde. Auf die Mutter mit dem Weltheilande weist nun der knieende heilige Sixtus, als auf den Born aller Gnaden und scheint Fürbitte einzulegen für seine abwesende Gemeinde. Gegenüber knieet die heilige Barbara, jungfräulich und anmuthig nach unten blickend, gleichsam mit weiblicher Holdseligkeit die Zusicherung erhörten Gebetes zu geben. Einen neuen Reiz erhält die hehre himmlische Szene durch zwei Engelknaben, voll holder Unschuld und Seligkeit, die sich unten höchst naiv auf eine Brüstung auflehnen.«
Passavant I, 301. – Julius Hübner, Professor an der Kunstakademie zu Dresden, hat in seinem neuen Kataloge der Gemäldegallerie bei Erwähnung der sixtinischen Madonna ein Sonett mitgetheilt, das nicht treffender und inniger empfunden sein könnte:
Sie schwebt herab! – Die Jungfrau mit dem Kinde,
Deß Himmelsblicke ernst die Welt begrüßen,
In Wolken liegt die Erde ihr zu Füßen,
Und Schleier und Gewände weh'n im Winde!
Das schöne Haupt neigt Barbara gelinde,
In Demuth, knieend so viel Huld zu büßen –
Verklärt schaut Sixtus aufwärts in dem süßen
Bewußtsein, daß die Menschheit Gnade finde!
Und mit den Engeln schau'n auch wir nach oben,
In lichten Chören ewig ihn zu loben,
Der unsers Heiles selige Begründung!
So Raphael, du Engel der Verkündung,
So sahst Du sie – so läßt Du sie uns schauen
»Die Königin des Himmels und der Frauen!«
Mit dieser »sixtinischen Madonna« schloß der Meister würdig seine Reihe der Madonnenbilder. Das Original, gegenwärtig in Dresden befindlich, ist von C. G. Schulze und F. Müller in Kupfer gestochen. Es war dem Churfürsten von Sachsen, August III., gelungen, das kostbare Gemälde zu erwerben; auf ausdrücklichen Befehl des Fürsten wurde das Bild im Audienzsaale zu Dresden der Kiste entnommen, aber man kam in Verlegenheit wegen einer günstigen Aufstellung, da die geeignete Wand gerade durch den Thron bedeckt war. Der Churfürst, sobald er das merkte, faßte eigenhändig den Thronsessel und ließ an dessen Stelle die raphaelsche Madonna aufhängen. Die fürstliche Majestät beugte sich vor der Majestät des Künstlergeistes.
Noch sei auf einen Johannes in der Wüste hingewiesen, den Raphael für den Kardinal Kolonna malte. Der Täufer ist im Jünglingsalter dargestellt, nur leicht mit einem Parderfell am Arm und an den Lenden umwunden; er sitzt an einem Quell in der Wüste und blickt nach dem strahlenden Licht eines Rohrkreuzes.
Zu den Altarblättern, welche Raphael auswärts versendete, gehörte auch die berühmte Tafel für das den Olivitanermönchen gehörende Kloster Santa Maria della Spasimo zu Palermo, auf der Christus dargestellt ist, wie er sein Kreuz zum Richtplatze trägt und zu den ihm nachfolgenden Frauen sich umkehrt, als wollte er jene Worte sprechen: »Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern über eure Kinder!« Es ward später in Paris von Holz auf Leinwand übertragen, und befindet sich jetzt im königlichen Museum zu Madrid.
Das letzte Werk, das der große Künstler aber nicht ganz vollenden sollte, war die Verklärung Christi oder die sogenannte Transfiguration. Man hat dem reichen Gemälde den Vorwurf gemacht, daß es eigentlich aus zwei Bildern bestehe, aber es stehen die beiden Hauptgegenstände doch in einem inneren Zusammenhänge und es bleibt dies Bild eines der größten Meisterstücke der neueren christlichen Kunst. Im oberen Theile sehen wir Christum verklärt und von himmlischem Glanze umgeben, schwebend zwischen Elias und Moses. Auf dem Berge Tabor liegen vom Glanz geblendet die drei Jünger Petrus, Jacobus und Johannes, zu ihrer Seite links knieen noch zwei anbetende Diakonen. Das Gegenstück der verklärten Natur im Gottessohne ist die dämonische Menschennatur, wie sie von der Krankheit niedergebeugt wird. Rechts im untern Theil des Bildes bringt der Vater seinen besessenen Knaben und spricht die gegenüber am Berge zurückgebliebenen Jünger um Hülfe an; die ihn umgebenden Männer und Weiber unterstützen seine Bitte, doch vergebens. Die Jünger, im Gefühl ihrer Unfähigkeit zu helfen, zeigen nach ihrem Meister auf der Höhe des Berges, welcher allein mit dem Geiste den Leib zu heilen vermag.
Raphael hatte durch ein künstliches Helldunkel, in das er viele Figuren, vornehmlich des unteren Theiles, brachte, die Glorie des schwebenden Christus zu heben gesucht, nach seines Schülers Giulio Romano Angabe sich aber dazu des Lampenrußes bedient, der sehr nachdunkelt und den Reiz dieses Kolorits nicht mehr erkennen läßt. Es ist über das Ganze ein erhabener Ernst verbreitet; eine so großartige Vertheilung der Massen von Licht und Schatten, verbunden mit so vollendeter, man möchte sagen dramatischer Zeichnung, verfehlt auch jetzt seine Wirkung aus den Beschauer nicht, trotzdem, daß die Frische des Kolorits verschwunden ist. Das Gemälde bildet jetzt eine Hauptzierde des Vatikan: im Jahr 1797 raubten es die Franzosen, mußten es aber nach dem Frieden von 1815 wieder zurückgeben. Die Gestalt Christi vornehmlich ist wunderbar durchgeistigt. »Wer erkennen will,« sagt Vasari, »wie man Christum zur Gottheit verklärt darstellen könne, der komme und schaue ihn in diesem Bilde. Es ist, als habe dieser seltene Geist alle Kraft aufgeboten, die er besaß, um in dem Angesicht des Heilandes die Macht und Gewalt der Kunst zu offenbaren. denn nachdem er es vollendet hatte, als das letzte, was zu vollbringen ihm oblag, rührte er keinen Pinsel mehr an – es überraschte ihn der Tod.«
Er hatte einen Plan vom antiken Rom entworfen, und dieses Bild der alten Stadt, das zu seiner Zeit schon ganz unkenntlich geworden war, durch genaue Forschungen wieder herzustellen gesucht. Wahrscheinlich war es bei diesen Untersuchungen und Aufnahmen in Roms Ruinen, daß er sich ein heftiges Fieber zugezogen hatte, welches leider die Aerzte ganz falsch behandelten. Anstatt sein von übermäßigen Arbeiten ohnehin gereiztes Nervensystem zu stärken und seine Kräfte zu heben, schwächten sie seinen zarten Körper noch mehr durch wiederholte Aderlässe. Raphael starb nach kurzem Krankenlager im Alter von 37 Jahren am Charfreitage des Jahres 1520, seinem Geburtstage.
Ganz Rom gerieth in Bestürzung, und die Trauer um den gefeierten Künstler, der wie ein höherer Geist in der Weltstadt geweilt und sie verherrlicht hatte, war unermeßlich. Seine Leiche ward auf einem Katafalk von brennenden Wachskerzen umgeben in seinem Hause ausgestellt, und hinter dem Todtenbette des Verklärten war das Bild jener höchsten Verklärung aufgestellt, das beredter als Worte eine Lobrede auf den Dahingeschiedenen hielt. Eine unübersehbare Menge, besonders der Freunde und Verehrer Raphael's, begleitete die sterblichen Reste des unsterblichen Genius zur letzten Ruhestätte; da war kein Auge thränenlos, kein Herz ohne Theilnahme. In der Kirche Santa Maria della Rotonda (dem »Pantheon«) in einem eigens dazu hergerichteten Gewölbe hinter dem Altar, den einst Raphael selber gestiftet, ward der Sarg beigesetzt, nahe bei der Gruft, in welche kurz zuvor die mit Raphael verlobte Maria da Bibiena eingesenkt worden war.
Die von Raphael's Freunde, dem Kardinal Pietro Bambo, verfaßte Grabschrift lautet in deutscher Uebersetzung also:
Gott dem Allmächtigen, Allgütigen.
Raphael Santi dem Sohn des Johannes aus Urbino,
Dem größten Maler, der mit den Alten wetteiferte,
In dessen lebendigen Bildern
Du bei der Betrachtung
Das Bündniß der Natur und Kunst
Leicht erkennst.
Er verherrlichte den Ruhm Julius II. und Leo X.
Durch seine Werke in der Malerei und Baukunst.
Lebte XXXVII volle Jahre
Starb an dem Tage, an dem er geboren war
Am VI. April MDXX.
* * *
Dies ist Raphael, durch den, da er lebte, die Mutter Natur
Besiegt zu werden fürchtete – zu sterben, da er starb.
(
Ille hic est Raphael, timuit quo sospite vinci
Rerum magna parens et moriente mori.)
Man erstaunt, wenn man die reiche Fülle der Werke des Künstlers überschaut, deren spezielle Anführung allein ein ganzes Buch füllen würde. Es war eine übersprudelnde Produktionskraft, wie sie in neuerer Zeit nur wieder auf anderem Gebiete bei Mozart sich offenbarte. Der aus dem Innern mächtig hervorbrechende Gestaltungstrieb, der jede Gestalt zu einer lebendigen, sprechenden, im Höhenpunkt ihrer Handlung erfaßten bildet, die Leichtigkeit der Komposition, welche auch die verschiedensten Gestalten zu einem Organismus verbindet und alles Gezwungene, Steife vermeidet, dieser Bildungstrieb, der selbst das Gewand zu einem natürlichen Bestandtheil der Figur zu machen weiß – ist in solcher Vollkommenheit und Fülle noch bei keinem andern Maler hervorgetreten, er ist, wie alles Vollendete, einzig in seiner Art. Ein Titian und Correggio waren vorzüglicher im Kolorit, ein Michel Angelo in der Darstellung des Nackten, des strengen Naturgesetzes, auch in der titanischen Kühnheit der Phantasie: aber Raphael's universaler Geist nahm strebend das Große jener Geister auf, um es für seinen höheren Zweck der Charakteristik und dramatischen Lebendigkeit zu verarbeiten. Weder das Titanische, Uebermenschliche Treffend heißt es am Schluß einer Charakteristik Raphael's von A. v. Schaden (Erinnerungen an Emil August v. Schaden, herausgegeben von H. Thiersch): »Was Ghirlandajo und Pietro Perugino, Orcagna und Fiesole, ja selbst was Leonardo gemalt hat – von alle dem das Schönste, Edelste und Feinste wie die höchsten und vollendetsten Momente, welche dann und wann die Natur bietet: das Alles ist in Raphael's Werke übergegangen, zu einer Einheit und Harmonie geläutert, deren unsterblicher Zauber in Wahrheit eine unmittelbare Offenbarung des Geistes inmitten der Sinnlichkeit genannt zu werden verdient. Nichts fehlte ihm, als die gigantische himmelstürmende Gewalt eines Michel Angelo. Wo er dieser nachstreben will, da versagt es ihm seine milde und maaßvolle Seele, die zwar die Seligkeit des Himmels, nicht aber die Schauer des Abgrundes wiederzugeben verstand. Aber selbst hier zwang er einmal seine Muse. Das kleine Gemälde im Palast Pitti zu Florenz, welches die Vision des Propheten Hesekiel – Gott den Vater, vom Stier, Adler, Löwe und Engel getragen – darstellt, athmet Michel Angelo'sche Größe und Erhabenheit.«, noch das blos sinnlich reizende Natürliche herrscht bei ihm vor, sondern Göttliches und Menschliches, Geist und Sinnlichkeit ist überall in schönem Maaß vereinigt, darum tritt uns die raphael'sche Kunst überall so menschlich nahe, darum ist sie so freundlich, wohlthuend, erhebend und beruhigend zugleich.
Auf Raphael's liebenswürdigen Charakter als Mensch haben wir schon oben hingewiesen. Welchen Zauber er dadurch auf seine Umgebung ausübte, bezeugt Vasari, indem er ausruft: »O du glückliche und gebenedeite Seele, von welcher Jedermann gern redet, um dich und deine Handlungen zu erhebend.« »Denn außerdem, daß Raphael der Kunst zum Heil ward, zeigte er auch in seinem Leben, auf welche Weise mit den Großen umzugehen sei, wie mit den Geringeren und mit den Niedrigsten. Und sicher ist unter den bewunderungswürdigen Gaben, welche er besessen, eine von solcher Macht, daß ich darüber erstaune, wie der Himmel ihm die Kraft gab, in unserem Kunstleben eine Wirkung zu erreichen, welche der Art und Weise unserer jetzigen Künstler so fremd ist: nämlich, wie die Maler, in Gemeinschaft mit Raphael arbeitend, so in Eintracht verbunden waren, daß bei seinem Anblick eine jede üble Laune bei ihnen erlosch und jeder niedere Gedanke ihnen entschwand. Diese Eintracht war in keiner Zeit so groß als in der seinen, und hatte ihren Grund darin, daß er Alle sowohl an Zuvorkommenheit als in der Kunst übertraf, aber mehr noch durch den Genius seiner Güte, welcher eine solche Fülle einnehmender und wohlwollender Liebe kund that, daß selbst die Thiere ihn gleich den Menschen verehrten. Man sagt, daß er jedem Maler, ob er ihn nun gekannt oder nicht, wenn ein solcher irgend einen Wunsch gegen ihn äußerte, sogleich zu helfen bereit war und seine Arbeit stehen ließ. Er beschäftigte deren beständig eine große Zahl, half ihnen und belehrte sie mit der Liebe, mit welcher man seine eigenen Söhne zu behandeln pflegt. Daher geschah es denn auch, daß, wenn er zu Hofe ging, er von seinem Haus aus wohl von 50 ausgezeichneten und guten Malern begleitet wurde, die ihn dadurch zu ehren suchten. Genug, er lebte nicht wie ein Maler, sondern gleich einem Fürsten.«
Von der Gestalt Raphael's hat Bellori folgendes treffende Bild entworfen: »Nach der Belehrung, welche uns die authentischen Porträte Raphael's gewähren, namentlich das in der florentiner Gallerie und das in der Schule von Athen, hatte er eine regelmäßige, einnehmende und zarte Gesichtsbildung. Seine Haare waren braun, so auch seine Augen von sanftem, bescheidenem Ausdruck. Der Ton seiner Carnation ging in's Olivenfarbige. Im Allgemeinen sprach sich in seinem Benehmen Grazie und Zartgefühl aus. Seine Komplexion und überhaupt seine Körperbildung schienen ganz in Harmonie mit seiner Physiognomie. Er hatte einen langen Hals, einen kleinen Kopf und war von schlankem Wuchs. Nichts verkündete in ihm eine Konstitution von langer Dauer. Seine Manieren waren voll Anmuth, sein Aeußeres einnehmend, sein Anzug zeigte Eleganz, den Umgang mit der Welt und das, was man den guten Ton der Leute bei Hof nennt.«