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Aristoteles und Phillis

In Griechenland herrschte einst ein stolzer König, mit Namen Philippus. Von dem berichtet die Märe mancherlei, wie er sein Leben lang gewaltig, milde und ritterlich gewesen, und an Leib, Mut und edlem Gehaben alle andern Könige der Erde übertroffen. Sein Weib, die Königin, aber war so schön, daß jeglicher, der sie sah, aus welchem Lande immer er kommen mochte, ihr den Preis unter allen Frauen zugestand. Denn sie war eine Blume reiner Weibheit, ein Edelstein an vollkommener Tugend und lauter wie das Glas eines Spiegels. Dem König nun und der Königin verlieh Gott ein Söhnlein, das darnach alle Länder bezwang. Sie gaben ihm den Namen Alexander. Keiner von dem Geschlechte, das heute lebt, erhob sich je so hoch, wie Herr Alexander später in seiner Zeit, denn ihm mangelte keine von den Tugenden, die an hoher Könige Söhnen Herz und Auge erfreuen. Als nun die Zeit gekommen war, daß der Knabe zur Schule gehen sollte, um an Wissen und edler Zucht zu gewinnen, bestellte ihm der König einen weisen Mann zum Lehrmeister, der hieß Aristoteles und war schon ganz grau von Alter. Der König bat ihn, seinen Sohn zu belehren, und da Aristoteles zusagte und beteuerte, er wolle ihm aller Länder und Zeiten Weisheit beibringen, daß er dereinst vor der Welt Ehre davon gewönne, versprach ihm der König, ihn des zum Lohne gar reich an Gütern zu machen. Vor dem Palaste stand inmitten eines schönen Baumgartens ein reich erbautes Haus. »Dies«, sprach der König zu dem Meister, »soll Euer sein und des Knaben, sowie des Ingesindes, soviel Ihr dessen bedürft.« Da ward nicht länger gezögert, der Meister nahm den jungen Prinzen und lehrte ihn die Buchstaben, wie sie stehen: A B C D E. Und obwohl ihm dies anfangs wehe tat, wie es den Knaben wohl noch heute ergeht, wenn einer Schule strenge Haft plötzlich ihre Wildheit zügelt, so empfing der Jüngling doch nach Kräften mancherlei Kunst und Wissen von dem Meister. Denn er war voll Wißbegier und so gelehrig und verständig, daß man wohl in keinem Lande je so klugen Knaben hätte finden mögen. Doch wurde er leider bald des Wissens, das er gewonnen, und aller Sinne beraubt: denn die Liebe nahm ihn rasch in ihre strenge Zucht.

Die Königin nämlich hatte eine Magd, die war von solcher Schönheit an Gestalt und Antlitz, daß kein Mann der Herrlichkeit ihres Anblicks sich hätte erwehren können. Sie war aus einem edlen Geschlechte und eine Wonne allen Augen, die sie sahen, ihr Name aber war Phillis. Gegen diese entbrannte Alexander in heftiger Liebesglut: sein Gemüt geriet in tiefe Verwirrung, keinem Gedanken mehr hing er nach, als wie seiner Sorgen Bürde möchte geringert werden. Um sein Lernen war es geschehen, er tat nichts mehr den ganzen Tag, als nach der Jungfrau ausspähen, und versank sogleich in große Traurigkeit, wenn er ihrer nicht ansichtig wurde. Wo er stand und saß, war stets die reine gute Phillis in seinem Sinne und er wußte nicht mehr, was er lassen, was beginnen solle. Dies währte so lang, bis er sich ihr, langsam mehr und mehr, durch heimliche Zeichen entdecken konnte: Da gewannen sie Mut und weil sie womöglich noch heftiger bezwungen ward denn er, begannen sie eins nach dem andern zu brennen. Als sie nun inne geworden, wie heftig er nach ihr tobte, versprach sie ihm, da er sie mit den innigsten Bitten darum bestürmte, an eine gewisse Stelle in den Baumgarten zu kommen, dort wolle sie seiner warten. Die Stunde kam, da ward unter den zweien Herzlieben Innigkeit und Treue. Immer wieder pflogen sie der süßesten Ruh und freudvoller Minne, und so oft geschah dies, als sie des nur Gelegenheit erhaschen mochten. Der Meister aber, der erkannte, daß er der Herrschaft über den Knaben verlustig ging, wurde des Grundes bald inne und befand die Wahrheit wohl. Er zürnte und schalt den Jüngling auf das heftigste mit Worten, schonte selbst der Schläge nicht und bewachte ihn zu allen Stunden des Tages, so strenge er nur vermochte. Doch half dies alles nicht ein Haar: er mochte kommen, wann immer er wollte, ob frühe oder spät, stets schlich Alexander hinter der Liebsten her oder waltete gar süßer Ruhe mit ihr. Denn die beiden Liebenden vermochte keine Fessel zu halten: in vollkommenen Freuden der Liebe schwebten sie, hoch wie der Adler in den glänzenden Lüften.

Darob erboste sich der Meister sehr, trat vor den König und erzählte ihm auf das genaueste alles, was sich zugetragen. Da ergrimmte der König, ließ das Fräulein vor sich rufen und schalt sie mit bitteren Worten. »O Herr«, entgegnete sie, »was Euch berichtet worden, dabei ist nichts von Sünde. Meine Herrin kennt meine Sittsamkeit und zweifelt gewißlich nicht, daß ich sie immerdar rein bewahren werde.« Und schwur da so manchen Eid, ihre Unschuld zu beteuern, so daß die Königin sich ins Mittel legte und den König begütigte. Seither aber geriet Alexanders und Phillis' Liebe ins Ungewisse: Der Schönen Leib nahm an Kräften ab und alle Freude war ihr in Unmut und Trauer verwandelt. Denn nun konnte man der Beiden nirgends mehr gewahr werden, daß nicht Hüter und Wächter um sie gewesen wären: vergeblich sehnte sie sich, zu dem Freunde zu gelangen, um den Willen ihres wunden Herzens an ihm zu befriedigen. Alexander aber saß in der Schule zornig und brummend wie ein Bär, rückte hierhin, rückte dorthin und gedachte seines Liebeskummers, von dem er ganz und gar besessen war. Indessen geriet Phillis stets heftiger in eine wilde Unruhe: ihr Wesen veränderte sich von Grund aus, ein wenig zu stürmisch wohl hatte die gewaltige Minne sich ihrer bemächtigt und sie um ihres Maßes bestes Teil betrogen. Genug, sie lauerte insgeheim nur auf den Augenblick, da sie ihre Liebe an dem alten, grauhaarigen Meister weidlich würde rächen können.

Nun höret, wie es damit erging: Phillis, die lichte Sonne, begab sich heimlich in eine Kemenate, nahm daselbst ein seiden Gewändlein zur Hand und legte es an ihren zarten Leib. Der Pelz, der unten die Schleppe säumte, war auch nicht eben schlechter Art und gab, da er vom lautersten Hermelin gemacht war, gar einen blanken Schein um sie. Darauf setzte sie einen Reif von Golde auf ihr Haupt: der war schmal, wie er sein sollte, mit hohem Sinne gefertigt. Da lagen Edelsteine darin, zwischen dem andern Gesteine, nicht zu große und dennoch strahlende, das Beste, was es von dieser Art im Lande gab, Smaragde, Jachande, Saffire und Kalzedone, so daß es schien, als habe niemals eines Werkmannes Weisheit Steine edler und zierlicher zu legen verstanden. Als nun die Schöne wohl geschmückt war, nahm sie einen hellen Spiegel, beschaute sich mit großem Fleiß um und um, und prüfte, ob nicht etwa da oder dort ein Ding noch Besserung erheische. Dann ging sie hinunter, wo der Garten war, vor den Palast: sie ging barfüßig, mit ganz entblößten Füßen, ihre Beine waren weißer denn der Schnee und schlank und blank wie eine Kerze und netzten sich in dem Tau des Grases. Zu einem klaren, rieselnden Quell, der da sprang, ging sie hin mit fröhlichen Schritten: ihr Gang aber war gemessen, weder zu kurz, noch zu lang, gerade von rechtem Maße. Sie wandelte aufrecht an Gestalt und so stolz und frei, wie der Sperber ist, bunt geputzt gleich einem Papagei, und ließ ihre Augen wacker hin und wieder schweifen recht wie der Falke auf dem Aste, nicht eben zu verwegen, doch auch nicht gar zu leise, auf eine gar liebliche und berückende Art. Während sie nun so dahinging und sich auf diese befremdliche Weise gebärdete, lüpfte sie im Schreiten ihr Gewandlein noch höher als bis zu den Knieen, um die Blumen darein zu werfen, die sie im Gehen las. Dies alles aber tat sie, um den alten Mann, der ihr den Liebsten genommen, recht von Herzen zu betören und zu betrügen. Ja, dies war die einzige Ursach, daß die Liebliche so, spielend und leichter denn ein Wind, durch das Gras zu dem Bronnen lief.

Und wirklich wurde dessen der alte Meister durch ein Fensterlein gewahr, wie sie unter den Blüten spielte und spähend, ob er ihrer nicht bald ansichtig würde, hin und widerschlich, blickte hinaus und sah alles, wie sie sich geberdete. Dies dünkte ihn gar wunderbar: »Hei«, dachte er, »wie fein und lieblich, welch zarte Kreatur ist doch dies minnigliche Weib! O selig der Mann, der seinen Leib an ihrer Seite dürfte altern lassen!« Und stieß ihn eine Kälte an und gleich darnach eine jähe Hitze. Die Süße, Reine aber kam daher unter der grünen Linde vor des Meisters Fensterlein, warf ihm Blumen hinein, mehr denn eine Hand voll, und sprach: »Ach, Meister, ich gönnte Euch wohl, Ihr hättet Glück und Ehren mancherlei. Könnt' ich Euch Freude und Kurzweil vermehren, darum lief ich gern eine Meile weit, und wäre ich noch so krank.« » Grand merci«, erwiderte der Meister. »O holdseliges, süßes Kind, in Euch sind alle Schönheiten der Welt versammelt. Jungfräulein, erbarmt Euch über mich Armen und wollet hereintreten zu mir. Außer Euch ist niemand hier innen.« Da zögerte Phillis nicht, ging zu ihm hinein und setzte sich, nie vergessend, zu welchem Zwecke sie dies alles unternommen und wie sie ihm Schande bereite, kosend neben ihn. »Ach«, sagte er, »wie bin ich doch gänzlich allen Wissens und Verstandes beraubt! Durchfahren habe ich manches Land, doch solch lieblich Kind wie Dich habe ich niemals gesehen. Wenn Du mir Deine Huld gewährst, so will ich des Goldes nicht schonen, auch aus meinem Schatzkästlein sollst Du Dir nehmen dürfen, was und wie viel Du nur willst.« »Ei der frechen Rede«, erwiderte sie, »was mutet Ihr mir zu, Meister?« »Ich wollte, Du ließest mich eine Nacht bei Dir schlafen«, flehte der Alte. Sie aber antwortete: »Seid Ihr denn ganz von Sinnen? Meister, wie sollt' ich denn dieses tun? Dies hieße gleich einer Törin handeln, wollt' ich so leichten Kaufs meinen Kranz verlieren.« Sie hatte aber wohl bemerkt, daß er gänzlich an ihr zum Narren geworden. Da sie nun einen Sattel bei der Wand lehnen sah, sprach sie also: »Wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, umsonst mag ich dies Ding nicht tun. Doch laßt mich den Sattel dort auf Euren Rücken legen und Euch einen Zaum in den Mund tun, dazu mir mein seiden Gürtlein dienen soll, so will ich machen, was Euch lieb ist. Aber sogleich muß dies geschehen, denn Ihr müßt mich auf Euch reiten lassen, drunten in dem Baumgarten, dort wird keines Menschen Auge uns erblicken.« »Doch fürchte ich, auf meinem Leibe wird nicht gut reiten sein«, wandte er ein. »Ich will Euch schon gar lieblich als ein Pferd aufzäumen«, entgegnete Phillis, »dafür will ich Euch aber auch lieb haben, wie Ihr's begehrt.«

Nun höret wunderliche List von einem Weibe, der es freilich nicht an Mut noch an Holdseligkeit gebrach. Der grauhaarige, alte Gauch, von der gewaltigen Minne wieder zu einem Kinde gemacht, gab sich darein, alles zu tun, was das Fräulein ihm gebiete, wenn sie ihm darum nur zu eigen sein wolle, und ließ sich denn auch sogleich auf Knie und Hände nieder. Phillis, nicht faul, ergriff den Sattel, legte ihn fein sauber auf seinen Rücken, tat ihren seidenen Gürtel auf und machte ihm daraus einen Zaum an den Mund. Dann brach sie von einem Rosenstrauch einen blühenden Zweig, nahm den Zaum in die Hand, saß auf und ritt den Helden gar lieblich, indem sie in einem süßen Tone ein zärtliches Minnelied zu singen begann. Ei, da säumte sich der Alte nit, kroch auf allen Vieren, was er konnte, und bewegte sich gegen den Baumgarten, auf dem Rücken stets den zarten, süßen Leib des schönen, listigen Weibes.

Die Königin, die mit einigen ihrer Jungfrauen gerade auf der Zinne des Palastes weilte, wunderte sich nicht wenig, als sie ihr Fräulein auf so seltsame Weise daherreiten sah, und es entstand darob ein großes Gelächter auf der Zinne. Phillis aber, als sie bis ans Ziel geritten war, sprang fröhlich ab und rief: »Du alter Gauch, nun wirst Du wohl von Deinen Tücken lassen, daß Du mir Liebe und Ehre genommen hast. Deine hundert Jahre sind nun auf das herrlichste zu sieben worden; daß Du zum Teufel fahren möchtest!« und lief lachend durch das Gras in den Palast. Diese große Unbill scholl bis in den Hof und in den Saal, vor den König, der daselbst mit all den Seinen zu Tische saß. Aber schon eine Woche darnach nahm der Meister seine Bücher und Kleider, sein Gold, Silber und all seine Habe und schickte sie heimlich bei Nacht auf ein Schifflein hinunter, auf dem er noch desselbigen Tages von dannen fuhr, das Wasser zu Tal, das durch die Gegend floß. Denn er mochte hier nicht länger verweilen, ob all dem Schimpf und Spott und dem gewaltigen Unglimpf, den sie droben auf dem Saale hatten. Er kam in eine Stadt auf einer Insel, die hieß Galicia, blieb daselbst und schrieb darnach ein dickes, gelehrtes Buch, worin er beschrieb, welch wunderbarer Listen das Weib sich bediene, wie seine Schönheit und Untreu Manchem schon das Herz versehrt, und der sich an sie kehre, gefangen würde gleich dem Fische an der Angel oder dem Vogel in dem Stricke. Denn wider Weibes Listen vermag nichts zu helfen, als daß ein jeglicher kluge Mann, will er sich vor Gefahr und Nöten bewahren, ihre Gesellschaft meide und vor ihnen fliehe, so weit er kann.


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